Newsletter Menschenrechte - Jan Sramek Verlag
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NLMR 1/2011-VfGH<br />
Differenzierung bei Fahrpreisermäßigung für Senioren<br />
VfGH V 39/10 u.a., Erkenntnis vom 15.12.2010<br />
Leitsatz der Redaktion<br />
Bei der Fahrpreisermäßigung für Senioren kann eine<br />
Anknüpfung am unterschiedlichen gesetzlichen Pensionsalter,<br />
welches jedoch auf die Benützung öffentlicher<br />
Verkehrsmittel nicht unmittelbar Auswirkung hat, nicht<br />
als »spezifische Maßnahme« iSv. Art. 6 der RL 2004/113/<br />
EG angesehen werden, um geschlechtsspezifische<br />
Benachteiligungen zu verhindern oder auszugleichen.<br />
Rechtsquellen<br />
Art. 89 Abs. 2, Art. 139 Abs. 1 und 2 B-VG, § 40a ff. GlBG,<br />
Art. 7 RL 79/7/EWG, Art. 6 RL 2004/113/EG<br />
Schlagworte<br />
Alter; Diskriminierung; Geschlecht; Pension;<br />
Unionsrecht<br />
Sachverhalt<br />
Eduard Christian Schöpfer<br />
Mit auf Art. 89 Abs. 2 iVm. Art. 139 Abs. 1 und Abs. 3<br />
B-VG gestützten Anträgen vom 26.2.2010 und 2.3.2010<br />
begehrten das BG für Handelssachen Wien bzw. das BG<br />
Innere Stadt Wien, der VfGH möge die Wortfolge »Senioren<br />
– das sind Männer ab dem 65. und Frauen ab dem 60.<br />
Lebensjahr« in Punkt 9 der Anlage 1 der VO des Bundesministers<br />
für Verkehr, Innovation und Technologie über<br />
die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den<br />
Kraftfahrlinienverkehr (im Folgenden: Kfl-Bef-Bed-VO)<br />
vom 18.1.2001, BGBl. II 47/2001, 1 aufheben. Bei ihnen<br />
wären Rechtssachen anhängig, in denen im Ruhestand<br />
befindliche Kläger, die noch nicht das 65. Lebensjahr<br />
erreicht hätten, behaupten würden, die Ermäßigung für<br />
die Benutzung von Verkehrsmitteln auf der Grundlage<br />
unterschiedlicher Altersgrenzen für Frauen und Männer<br />
stelle eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des<br />
Geschlechts dar. Es bestünden Bedenken hinsichtlich<br />
der Gesetzmäßigkeit der Wortfolge in Punkt 9 der Anlage<br />
1 der Kfl-Bef-Bed-VO im Hinblick auf § 40a ff. GlBG.<br />
1 Demnach kann Senioren – das sind Männer ab dem 65. und<br />
Frauen ab dem 60. Lebensjahr – bei Vorweis eines gültigen<br />
amtlichen Lichtbildausweises eine Fahrpreisermäßigung in<br />
der Höhe von 50 Prozent gewährt werden.<br />
Rechtsausführungen<br />
Der VfGH hält es für denkmöglich, dass die beiden<br />
Gerichte die angefochtene Wortfolge in den bei ihnen<br />
anhängigen Verfahren – in denen Schadenersatzansprüche<br />
wegen der Anwendung diskriminierender Seniorenfahrpreisermäßigungen<br />
geltend gemacht werden –<br />
anzuwenden haben. Die Anträge sind somit, da auch die<br />
übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, zulässig.<br />
Ziel des Kraftfahrlinienrechts ist die optimale Versorgung<br />
der Bevölkerung mit Kraftfahrlinien. Der Verordnungsgeber<br />
hat bei der Festlegung von Ermäßigungskriterien<br />
iSv. § 46 Kraftfahrliniengesetz aber auch darauf<br />
Bedacht zu nehmen, nicht gegen andere Bundesgesetze,<br />
wie etwa das Gleichbehandlungsgesetz, zu verstoßen.<br />
§ 40b GlBG verbietet grundsätzlich jede unmittelbare<br />
oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des<br />
Geschlechts bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen,<br />
die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.<br />
Gemäß § 40c GlBG liegt eine unmittelbare Diskriminierung<br />
vor, wenn eine Person auf Grund ihres Geschlechts<br />
in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige<br />
Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren<br />
hat oder erfahren würde. Im vorliegenden Fall wird bei<br />
der Gewährung von Preisermäßigungen für Senioren<br />
unmittelbar zwischen Männern und Frauen unterschieden<br />
und an unterschiedliche Lebensalter angeknüpft.<br />
Selbst wenn man die vorliegende Differenzierung bloß<br />
als mittelbare Diskriminierung qualifizieren würde,<br />
indem man unterstellt, sie knüpfe an das unterschiedliche<br />
gesetzliche Pensionsalter an (was naheliegend ist),<br />
würde dies nichts am Ergebnis ändern: Auch mittelbare<br />
Diskriminierungen – wenn dem Anschein nach neutrale<br />
Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen eines<br />
Geschlechts in besonderer Weise gegenüber dem anderen<br />
Geschlecht benachteiligen – sind nur zulässig, wenn<br />
die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren<br />
durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und<br />
die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und<br />
erforderlich sind (§ 40c Abs. 2 GlBG).<br />
Die Zulässigkeit unterschiedlicher Altersgrenzen<br />
von männlichen und weiblichen Sozialversicherten<br />
für den Anspruch auf Pension wurde mit BVG BGBl.<br />
832/1992 verfassungsrechtlich abgesichert. Es wurde<br />
darin jedoch keine ausdrückliche Regelung getroffen,<br />
dass darüber hinausgehend etwa bei Dienstleistungen<br />
an das unterschiedliche gesetzliche Pensionsalter ange-<br />
Österreichisches Institut für <strong>Menschenrechte</strong><br />
© <strong>Jan</strong> <strong>Sramek</strong> <strong>Verlag</strong>