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Newsletter Menschenrechte - Jan Sramek Verlag

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NLMR 1/2011-VfGH VfGH B 1214/09<br />

55<br />

eine Anerkennung zu erfolgen hätte, würde es schließlich<br />

zwei sich als islamisch verstehende Religionsgesellschaften<br />

geben, was das Islamgesetz jedoch ausschließe.<br />

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende<br />

Beschwerde an den VfGH wegen behaupteter Verletzung<br />

im Recht auf Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK).<br />

Rechtsausführungen<br />

Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des<br />

Antrags auf Anerkennung als gesetzlich anerkannte<br />

Religionsgesellschaft richtet, ist sie nicht begründet,<br />

setzt doch § 11 Abs. 1 Z. 1 BekGG für eine Anerkennung<br />

den Bestand als religiöse Bekenntnisgemeinschaft voraus,<br />

der im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben ist.<br />

Dieser Beschwerdepunkt ist daher abzuweisen.<br />

Die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags auf<br />

Feststellung des Erwerbs der Rechtspersönlichkeit als<br />

religiöse Bekenntnisgemeinschaft ist begründet: Weder<br />

dem Wortlaut des Art. I Islamgesetz, wonach den Anhängern<br />

des Islam die Anerkennung als Religionsgesellschaft<br />

gewährt wird, noch jenem des § 1 leg. cit., der die<br />

Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse an den Zeitpunkt<br />

der Errichtung wenigstens einer Kultusgemeinde<br />

knüpft, kann entnommen werden, dass es nur eine<br />

einzige islamische Religionsgesellschaft bzw. Bekenntnisgemeinschaft<br />

geben darf. Ebenso wenig ergibt sich<br />

eine solche Beschränkung aus § 1 Islam-Verordnung,<br />

wonach die Anhänger des Islam die Bezeichnung »Islamische<br />

Glaubensgemeinschaft in Österreich« führen.<br />

Im Übrigen ist aus dem Erkenntnis VfSlg. 11.574/1987,<br />

demzufolge die (damals) bestehende Gesetzeslage es in<br />

verfassungswidriger Weise nicht erlaube, alle Anhänger<br />

der religiösen Gemeinschaft des Islam in einer anerkannten<br />

Religionsgemeinschaft zusammenzufassen,<br />

keineswegs der Umkehrschluss zu ziehen, dass nun alle<br />

Anhänger des Islam zwingend in einer einzigen Religionsgemeinschaft<br />

zusammenzufassen wären.<br />

Aus Art. 15 StGG kann nicht abgeleitet werden, dass<br />

nur eine einzige rechtlich verfasste islamische Religionsgemeinschaft<br />

bestehen darf. Ein solches Ergebnis<br />

stünde auch im Konflikt mit Art. 9 EMRK, ist doch der<br />

Staat laut der Rechtsprechung des EGMR zur Neutralität<br />

und Unparteilichkeit verpflichtet. 2 Eine Verletzung<br />

des Art. 9 EMRK ist dann anzunehmen, wenn die Anerkennung<br />

einer – keine neue Bewegung darstellenden –<br />

Religionsgemeinschaft vom Willen einer bereits anerkannten<br />

kirchlichen Autorität abhängig gemacht wird. 3<br />

Ferner verstieße es gegen die Garantien der Religions-<br />

2 Siehe EGMR 31.7.2008, Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas<br />

u.a./A, NL 2008, 232; ÖJZ 2008, 865.<br />

3 Vgl. EGMR 13.12.2001, Metropolitanische Kirche von Bessarabien<br />

u.a./MD, NL 2001, 250.<br />

freiheit, wollte der Gesetzgeber einer Personengruppe,<br />

für deren religiöse Überzeugung es essentiell ist, sich zu<br />

einem bestimmten Glauben zu bekennen, die Möglichkeit<br />

verwehren, neben der auf einem bestimmten Gebiet<br />

einzig bestehenden gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft<br />

eine andere dieses Glaubens zu gründen.<br />

Die relevanten Bestimmungen des Islamgesetzes<br />

bzw. der Islam-Verordnung überschreiten weder die<br />

vom EGMR markierte Grenze des konventionsrechtlich<br />

Zulässigen noch gebieten sie, dass es nur eine rechtlich<br />

verfasste islamische Religionsgemeinschaft geben darf.<br />

Sie sind vielmehr dahingehend auszulegen, dass eine<br />

Vertretung aller Anhänger des Islam durch eine (islamische)<br />

»Einheitsgemeinde« nicht vorgegeben ist und stehen<br />

somit dem – von den Voraussetzungen des BekGG<br />

und des AnerkennungsG abhängigen – Bestand einer<br />

weiteren islamischen Religionsgemeinschaft nicht entgegen.<br />

Bei Erfüllung der im AnerkennungsG bzw. im BekGG<br />

festgelegten Voraussetzungen kann – entsprechend der<br />

das Erkenntnis VfSlg. 11.574/1987 tragenden Grundposition<br />

– auch eine weitere sich als islamisch verstehende<br />

Religionsgemeinschaft gesetzlich anerkannt bzw. als<br />

religiöse Bekenntnisgemeinschaft eingetragen werden.<br />

Die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung<br />

führt somit zu einem unverhältnismäßigen Eingriff<br />

in das Grundrecht der Religionsfreiheit, wurde von<br />

ihr doch die Voraussetzung des Bestehens einer Religionslehre,<br />

die sich von der Lehre anderer Bekenntnisgemeinschaften<br />

bzw. gesetzlich anerkannter Kirchen und<br />

Religionsgesellschaften unterscheidet, im Wesentlichen<br />

mit der Begründung verneint, dass es bereits eine<br />

sich ebenfalls als islamisch verstehende – gesetzlich<br />

anerkannte – Religionsgesellschaft gebe und die Zuerkennung<br />

des Status einer Bekenntnisgemeinschaft eine<br />

Einmischung in die Angelegenheiten einer gesetzlich<br />

anerkannten Religionsgesellschaft bilden würde.<br />

Damit hat die belangte Behörde § 4 Abs. 1 Z. 2 BekGG<br />

einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, der mit<br />

Art. 9 EMRK – in der Bedeutung, die ihm die Rechtsprechung<br />

des EGMR und des VfGH gegeben haben –<br />

nicht im Einklang steht. Bei der Beurteilung, ob die<br />

beschwerdeführende Partei dem Erfordernis der Darstellung<br />

einer sich von der Lehre religiöser Bekenntnisgemeinschaften<br />

sowie gesetzlich anerkannter Kirchen<br />

und Religionsgesellschaften unterscheidenden<br />

Religionslehre entsprochen hat, hätte sich die belangte<br />

Behörde mit deren Vorbringen näher auseinandersetzen<br />

müssen. Die Formulierung des § 4 Abs. 1 Z. 2 BekGG<br />

legt nahe, dass sie dabei auf die Beurteilung der Frage<br />

der ausreichenden Darstellung der Unterschiedlichkeit<br />

beschränkt, nicht aber dazu berufen ist, über die Legitimität<br />

der Religionslehre inhaltlich abzusprechen. Der<br />

angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung des<br />

Rechts auf Religionsfreiheit aufzuheben.<br />

Österreichisches Institut für <strong>Menschenrechte</strong><br />

© <strong>Jan</strong> <strong>Sramek</strong> <strong>Verlag</strong>

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