Newsletter Menschenrechte - Jan Sramek Verlag
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52<br />
DEB gg. Deutschland<br />
Das Kammergericht bestätigte diese Entscheidung. Es<br />
ist unter Bezugnahme auf die zu dieser Vorschrift ergangene<br />
Rechtsprechung des BGH der Auffassung, dass die<br />
Unterlassung der Rechtsverfolgung im vorliegenden Fall<br />
allgemeinen Interessen nicht zuwiderlaufe. Dies wäre<br />
nur dann der Fall, wenn die Entscheidung größere Kreise<br />
der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens anspreche<br />
oder soziale Auswirkung nach sich ziehen könne.<br />
Das Kammergericht hat das Verfahren ausgesetzt und<br />
dem EuGH die folgende Frage zur Vorabentscheidung<br />
vorgelegt: Bestehen Bedenken gegen eine nationale<br />
Regelung, nach der eine gerichtliche Geltendmachung<br />
von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig<br />
gemacht wird und einer juristischen Person, die diesen<br />
Vorschuss nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe<br />
nicht zu bewilligen ist – Bedenken insofern, als<br />
die Erlangung einer Entschädigung nach den Grundsätzen<br />
des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs<br />
nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig<br />
erschwert werden darf.<br />
Rechtsausführungen<br />
Die Frage des vorlegenden Gerichts bezieht sich auf den<br />
Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes.<br />
Gemäß diesem darf die Art und Weise einer Verfahrensdurchführung<br />
die Ausübung der Rechte des Einzelnen<br />
nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig<br />
erschweren. Demnach ist zu prüfen, ob die Tatsache,<br />
dass einer juristischen Person Prozesskostenhilfe nicht<br />
gewährt wird, ihr die Ausübung ihrer Rechte praktisch<br />
unmöglich macht oder übermäßig erschwert, sodass<br />
diese deshalb keinen Zugang zu einem Gericht hat, weil<br />
es ihr unmöglich ist, die Vorleistung für die Gerichtskosten<br />
aufzubringen und sich des Beistands eines Rechtsanwalts<br />
zu versichern.<br />
Bezüglich der Grundrechte ist Art. 47 Abs. 1 GRC zu<br />
berücksichtigen, der besagt, dass jede Person, deren<br />
unionsrechtlich garantierten Rechte oder Freiheiten<br />
verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der<br />
in dieser Bestimmung vorgesehenen Bedingungen bei<br />
einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.<br />
Nach Abs. 2 desselben Artikels hat jede Person ein<br />
Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen,<br />
unparteiischen und zuvor durch das Gesetz errichteten<br />
Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb<br />
angemessener Frist verhandelt wird. Abs. 3 sieht<br />
sogar speziell vor, dass Personen, die nicht über ausreichende<br />
Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt<br />
können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung<br />
oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen<br />
würde.«<br />
NLMR 1/2011-EuGH<br />
wird, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang<br />
zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.<br />
Die Vorlagefrage ist daher folgendermaßen umzuformulieren:<br />
Steht Art. 47 GRC im Zusammenhang mit<br />
einem Verfahren zur Geltendmachung des unionsrechtlichen<br />
Staatshaftungsanspruchs einer nationalen Regelung<br />
entgegen, die die gerichtliche Geltendmachung<br />
von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig<br />
macht und nach der einer juristischen Person, wenn sie<br />
diesen nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe nicht<br />
zu bewilligen ist<br />
Bezüglich der Prozesskostenhilfe ist sowohl der Aspekt<br />
der Gerichtskosten als auch der Aspekt der Ansprüche<br />
des Rechtsanwalts gegen die Partei zu prüfen.<br />
Da Art. 47 Abs. 3 GRC Art. 6 Abs. 1 EMRK entspricht,<br />
ist bezüglich der Bedeutung und Tragweite der garantierten<br />
Rechte die diesbezügliche Rechtsprechung des<br />
EGMR zu berücksichtigen.<br />
In den Erläuterungen zu Art. 47 GRC wird das Urteil<br />
Airey/IRL 4 des EGMR erwähnt, wonach Prozesskostenhilfe<br />
zu gewähren ist, wenn mangels einer solchen Hilfe<br />
die Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs nicht<br />
gewährleistet wäre. In dieser Bestimmung wird weder<br />
angeben, ob einer juristischen Person Prozesskostenhilfe<br />
zu gewähren ist, noch, was sie abdeckt.<br />
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften<br />
erwähnte in ihren schriftlichen Erklärungen, dass der in<br />
Art. 47 Abs. 1 und 2 GRC verwendete Begriff »Person« auf<br />
natürliche Personen hinweise, aber auch juristische Personen<br />
rein sprachlich nicht ausschließe. Auch die Verwendung<br />
des Begriffs »Person«, im Gegensatz zum teilweise<br />
verwendeten Begriff »Mensch«, spricht dafür, dass<br />
Art. 47 GRC auch durch juristische Personen geltend<br />
gemacht werden kann. Dies gilt ebenso für die Einordnung<br />
des Rechts, bei einem Gericht einen wirksamen<br />
Rechtsbehelf einzulegen, in den Titel IV der Charta (»Justizielle<br />
Rechte«), in dem weitere, auch für juristische Personen<br />
geltende Verfahrensgrundsätze verankert sind.<br />
Der EGMR hat außerdem wiederholt darauf hingewiesen,<br />
dass das Recht auf Zugang zu einem Gericht<br />
Bestandteil des Rechts auf einen fairen Prozess iSv.<br />
Art. 6 Abs. 1 EMRK sei. Was die Prozesskostenhilfe in<br />
Form des Beistands eines Rechtsanwalts betrifft, hat der<br />
EGMR entschieden, dass die besonderen Umstände des<br />
Einzelfalls zu prüfen seien und die Erforderlichkeit der<br />
Gewährung von Prozesskostenhilfe u.a. vom Umfang der<br />
Auswirkungen auf den Kläger, der Komplexität des geltenden<br />
Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie<br />
von der Fähigkeit des Klägers abhänge, seine Sache<br />
wirksam zu verteidigen. Den finanziellen Verhältnissen<br />
des Betroffenen oder seinen Erfolgsaussichten im Verfahren<br />
darf dabei Rechnung getragen werden. 5<br />
4 EGMR 9.10.1979, Airey/IRL v. 9.10.1979, EuGRZ 1979, 626.<br />
5 EGMR 15.2.2005, Steel und Morris/GB, NL 2005, 27.<br />
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