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Spielen Sie bei uns mit! - Österreichisches Spiele Museum

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viereinhalbtausend Jahre altes Brett, das im heutigen Belutschistan<br />

(Pakistan) gefunden wurde. Beeindruckend ist auch, wie bereits erwähnt,<br />

ein vom Archäologen Sir Robert Woolley ausgegrabenes Board aus der<br />

Stadt Ur, <strong>bei</strong> dem Spielhistoriker in mühevoller Kleinar<strong>bei</strong>t die Regeln<br />

rekonstruieren konnten. Der Name des Spiels: Royal Game of Ur. Selbst<br />

im Grab des Tutenchamun fand man als Beigabe ein Spiel namens Senet,<br />

einen Vorläufer des heute überaus populären Backgammons. Besonders<br />

bemerkenswert ist das <strong>bei</strong> Ovid beschriebene Räuberspiel auf dem Brett,<br />

wenn der Name auch eine für den großen Dichter eher phantasielose<br />

Bezeichnung für dieses im Mittelalter im deutschen Raum unter Wurfzabel,<br />

Puff und Tric-Trac bekannte Zweipersonenspiel darstellt. Kaiser Nero<br />

soll <strong>bei</strong>m Räuberspiel in einer legendären Partie sogar 400.000 Sesterzen<br />

verloren haben. Noch war auch das Brettspiel vom Element des Risikos<br />

und des Hasards tief durchsetzt. Letzterer Begriff stammt übrigens aus<br />

dem Arabischen. Az-zahr bedeutet wörtlich übersetzt „Spielwürfel“.<br />

Beim französischen Belote – hier verspielte Heinrich IV. ein riesiges<br />

Vermögen (siehe oben) – finden wir erstmals bereits eine Mischung aus<br />

Pasch-Würfen (übrigens eine Eindeutschung eines französischen Wortes)<br />

und Augen-Serien. Gewinne gibt es für drei Sechser, drei Einser und die<br />

Kombinationen 1-2-3 und 3-4-5.<br />

Die große Zeit der Kombination „Würfel & Spiel“ kam aber erst im<br />

20. Jahrhundert. Und doch ist trotz dieser kurzen Zeitspanne die Zahl<br />

der <strong>Spiele</strong>, in denen die Würfel eine entscheidende Rolle einnehmen,<br />

Legion. Es kann ohne Übertreibung behauptet werden, dass neben dem<br />

Kegel (Pöppel) der Würfel das dominierende <strong>Spiele</strong>lement des Brettspiels<br />

wurde, ob nun das etwas antiquiert wirkende Laufspiel Mensch ärgere Dich<br />

nicht!, das klassische Wirtschaftsspiel Monopoly, das findige Detektivspiel<br />

Heimlich & Co. oder der Renner der Neunzigerjahre, Die <strong>Sie</strong>dler von Catan,<br />

angesprochen werden. Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen. Der<br />

Würfel hat eben nicht nur eine jahrtausendelange Vergangenheit, er lässt<br />

auch auf eine große Zukunft hoffen.<br />

Alle diese Brettspiele aber haben eines gemeinsam: Das im ersten<br />

Abschnitt angesprochene Hasardelement des Würfelns wurde immer mehr<br />

zurückgedrängt. Der Würfel dient heute hauptsächlich als unbestechlicher<br />

Zufallsgenerator oder in Laufbrettspielen als Antriebs<strong>mit</strong>tel, wird in jeder<br />

Familie sehr willkommen geheißen und ist fast zu einem Symbol einer<br />

immer stärker Freizeit orientierten Gesellschaft geworden. <strong><strong>Spiele</strong>n</strong> gilt als<br />

salonfähig, egal in welcher Altersstufe!<br />

Materialien & Würfeltypen<br />

Während der mehr als viertausendjährigen Geschichte wurden <strong>bei</strong>m<br />

Glücksspiel die unterschiedlichsten Formen wie Materialien verwendet.<br />

Die Ägypter kannten kleine Stäbchen, die Mesopotamier den<br />

pyramidenförmigen Würfel, die Römer wiederum verwendeten, wie bereits<br />

erwähnt, vierseitige Knöchelchen. Ob Samenkörner von Pfirsichen oder<br />

Pflaumen, Bison- oder Elchknochen, Hirschgeweihe, Kieselsteine und<br />

Muscheln, Tonstücke, Biber- oder Murmeltierzähne, das „Würfeln“ um<br />

den Schiedsspruch des Schicksals scheint nie und nirgends an bestimmtes<br />

Material gebunden gewesen zu sein. Allerdings hat die heute übliche<br />

kubische Form ihren vermuteten Ursprung im arabischen Orient oder<br />

<strong>bei</strong> den im Stiefel Italiens siedelnden Etruskern. Mehr Zier als Funktion<br />

scheinen die im 16. und 17. Jahrhundert verwendeten Figurenwürfel<br />

versprochen zu haben. Da<strong>bei</strong> handelt es sich um naturalistische, hockende<br />

Figuren, die an Kopf, Rücken, Bauch, Gesäß und Seiten <strong>mit</strong> aufgemalten<br />

Augenpunkten geschmückt waren. Zum Würfeln dieser Edelstücke wurden<br />

stilgerecht Lederbecher verwendet. Ähnlich ungewöhnlich scheint heute<br />

der bereits zu Römerzeiten verwendete Würfelturm. Hier werden oben<br />

<strong>bei</strong> den Zinnen kleine Spielsteinchen verschiedenster Farbe eingeworfen,<br />

die an den schrägen Zwischenwänden im Turminneren unberechenbar<br />

abprallen und daher nicht vollzählig <strong>bei</strong>m unteren Tor rauskommen.<br />

Bleiben etwa viele rote Steinchen hängen, ändern sich klarerweise <strong>bei</strong>m<br />

nächsten Füllen des Turms die Wahrscheinlichkeiten der Farbverteilung.<br />

Rot wird plötzlich zum Favoriten. Wenn auch der Würfelturm heute<br />

ein wenig kurios erscheinen mag, hat er eine dem Kubus ganz ähnliche<br />

Grundfunktion: das Schaffen des Unvorhersehbaren.<br />

Es soll <strong>bei</strong> diesem kurzen historischen Abriss nicht vergessen werden<br />

darauf hinzuweisen, dass auch der Würfel selbst eine enorme Vielfalt<br />

in seinem Äußeren erfahren hat. Neben dem traditionellen 6-Augen-<br />

Würfel sind Würfel <strong>mit</strong> 8 Augen, <strong>mit</strong> 12 Augen, ja sogar <strong>mit</strong> 20<br />

Augen im Handel erhältlich. Freilich werden diese „platonischen<br />

Körper“ aus verschiedensten Gründen nur im Ausnahmefall verwendet.<br />

Einerseits reichen die sechs Augen des Hexagons für die meisten<br />

Spielideen vollkommen aus, andererseits haben die Mehraugenwürfel auch<br />

unangenehme Rolleigenschaften, die dem praktischen Spiel abträglich<br />

sind, wenn man von exotischen <strong><strong>Spiele</strong>n</strong> wie Krakatoa absieht. Die heute<br />

populären Pokerwürfel zeigen <strong>mit</strong> 9, 10, Bube (Jack), Dame (Queen), König<br />

(King) und Ass die höchsten Spielkartenwerte. Farbwürfel, Symbolwürfel,<br />

Würfel <strong>mit</strong> einer Jokerfläche (Stern), runde Würfel, eckige Casinowürfel<br />

(die möglichst schnell zur Ruhe kommen, wenn sie von der Wand<br />

abprallen), Würfel <strong>mit</strong> unüblichen Zahlenkombinationen, Tetraeder geformte<br />

Würfel, Buchstabenwürfel, Blankowürfel, Würfelpuzzles; was immer denkbar<br />

ist, werden vom boomenden Markt des letzten Jahrhunderts hergestellt,<br />

darunter selbst einseitig gewichtete Falschspielerwürfel, so genannte<br />

Schwerpunktwürfel. Der Rubik’s Cube, ein Welthit der <strong>Sie</strong>bzigerjahre, wurde<br />

von einigen gewichtigen Fachjournalisten sogar als „Puzzle des 20.<br />

Jahrhunderts“ ausgezeichnet. Immer häufiger werden die Ziffern der<br />

Würfel auch <strong>mit</strong> Zusatzfunktionen belegt, oder diese in technisch leicht<br />

zu fertigenden Spezialwürfeln einfach durch Symbole ausgedrückt. Ob <strong>mit</strong><br />

diesem Ideenboom auch entsprechend vielseitige neue <strong>Spiele</strong>lemente<br />

geschaffen wurden, bleibt letztlich dem interessierten Hobbyspieler zur<br />

Beurteilung überlassen. Freuen <strong>Sie</strong> sich jedenfalls auf die vielfältige Welt<br />

des Würfelns, die Ihnen diese Enzyklopädie ver<strong>mit</strong>teln möchte (siehe<br />

auch Farbtafeln).<br />

Als Schlusswort dieser historischen Betrachtung möchte ich nochmals<br />

Alex Randolph zitieren: „Die krassen Unterschiede des Lebens, die <strong>uns</strong> sonst so<br />

plagen und beleidigen, werden plötzlich unbedeutend: ob wir reich oder arm sind, schön<br />

oder hässlich, gut oder böse, klug oder dumm. Hier endlich, aber leider nur hier, <strong>mit</strong><br />

dem Würfel in der Hand, sind wir alle für eine Weile tatsächlich gleich.“<br />

Hugo Kastner, „Die große Humboldt Enzyklopädie der Würfelspiele“<br />

ca. 400 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, EUR 19,80 (D) / EUR<br />

20,40 (A) ISBN 3-89994-087-3<br />

2006 Das Buch der <strong>Spiele</strong> - Österreichisches <strong>Spiele</strong>handbuch<br />

Seite 65

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