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BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 99<br />
Dombek, Begrüßungsworte zur Ausstellungseröffnung „Anwalt ohne Recht“<br />
Begrüßungsworte Dr. Bernard Dombek zur Ausstellungseröffnung<br />
„Anwalt ohne Recht“ im Paul-Löbe-Haus<br />
Sehr geehrter Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt,<br />
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,<br />
sehr geehrte Frau Bun<strong>de</strong>sjustizministerin,<br />
meine Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
nur eine Liste sollte es sein. Das wünschte ein israelischer Kollege<br />
bei einem Besuch <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Tel Aviv bei<br />
<strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Berlin im Jahre 1995.<br />
Nur eine Liste, eine Liste <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Anwaltschaft ausgeschlossenen<br />
Anwälte, mit ihren Namen, vielleicht, wenn bekannt,<br />
ihren letzten Anschriften, einigen Hinweisen auf ihr individuelles<br />
Schicksal.<br />
Eine Liste als Zeichen, dass die vertriebenen jüdischen Rechtsanwälte<br />
nicht vergessen wer<strong>de</strong>n und nicht das vergessen wird,<br />
was sie erlitten haben.<br />
Diese Liste zu erstellen, sei unmöglich, sagten uns die, die sich<br />
mit <strong>de</strong>m Thema bereits wissenschaftlich beschäftigt hatten. Die<br />
Akten <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Berlin seien verbrannt. Die<br />
Liste wer<strong>de</strong> zu große Lücken aufweisen. Nur einzelnen Schicksalen<br />
könne man nachgehen und das sei bereits geschehen.<br />
Damit wollten wir uns nicht abfin<strong>de</strong>n. Wir fan<strong>de</strong>n Simone Ladwig-Winters.<br />
Wir beauftragten sie, die Liste zu versuchen. Zu<br />
unserer Überraschung gelang es ihr, die Liste <strong>de</strong>r nach 1933 verfolgten<br />
Rechtsanwälte nahezu vollständig zu erstellen. Es ist<br />
nicht bei <strong>de</strong>r Liste geblieben. Sie wur<strong>de</strong> begleitet von einer umfangreichen<br />
Dokumentation darüber, wie es zu <strong>de</strong>r Vertreibung<br />
kam. Die Rechtsanwaltskammer Berlin hat Liste und Dokumentation<br />
als ein Buch „Anwalt ohne Recht“, verfasst von Simone<br />
Ladwig-Winters, herausgegeben. Folge <strong>de</strong>s Buches war eine<br />
Ausstellung, die am 30.11.1998 durch die Rechtsanwaltskammer<br />
Berlin im Centrum Judaicum in Berlin eröffnet wur<strong>de</strong>. Als<br />
ich Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer wur<strong>de</strong>, wollte<br />
ich, dass sich nicht nur die Berliner Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälte ihrer nach 1933 ausgestoßenen und getöteten<br />
jüdischen Kollegen erinnerten. Ich wollte, dass man sich möglichst<br />
überall in Deutschland an die Anwälte ohne Recht erinnert.<br />
Viele <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Rechtsanwaltskammern sind unserer Anregung<br />
gern gefolgt. Entschei<strong>de</strong>nd aber war, dass wir mit <strong>de</strong>m<br />
Deutschen Juristentag <strong>de</strong>n Partner gefun<strong>de</strong>n haben, <strong>de</strong>r uns half,<br />
<strong>de</strong>r Ausstellung die Beachtung zu verschaffen, die sie verdient.<br />
Sie wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r jetzigen Form erstmals auf <strong>de</strong>m 63. Deutschen<br />
Juristentag in Leipzig vor etwas mehr als zwei Jahren gezeigt.<br />
Was ist das Beson<strong>de</strong>re an dieser Ausstellung<br />
Ich glaube, es sind die Einzelschicksale, die in ihr enthalten<br />
sind, die uns beeindrucken. Sie stehen auch im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>r<br />
Ausstellung. Wenn wir erfahren, dass etwa ein Viertel <strong>de</strong>r Berliner<br />
Anwälte jüdischer Herkunft umgebracht wor<strong>de</strong>n ist, so nehmen<br />
wir diese Zahl nur zur Kenntnis. Einen moralischen Schock<br />
verschafft sie uns nicht. Dieser Schock kommt nur aus je<strong>de</strong>m individuellen<br />
Schicksal. Der einzelne Tod berührt uns, und <strong>de</strong>swegen<br />
ist es wichtig, dass wir von vielen Einzelschicksalen erfahren,<br />
nicht nur von berühmten Rechtsanwälten, <strong>de</strong>ren Namen<br />
in <strong>de</strong>r Juristenwelt noch heute je<strong>de</strong>rmann kennt. Wir erfahren<br />
auch vom Schicksal <strong>de</strong>s einfachen, normalen, nicht berühmten<br />
Rechtsanwalts. Auch er soll nicht vergessen wer<strong>de</strong>n.<br />
Es bleiben Fragen offen, auch nach dieser Ausstellung. Eine dieser<br />
offenen Fragen ist:<br />
Wie war die Reaktion <strong>de</strong>r nichtjüdischen Anwälte auf die willkürliche<br />
Ausgrenzung eines Teils ihrer Kollegen Von solidarischem<br />
Vorgehen gegen die Berufsverbote ist nichts bekannt. Einzelne<br />
gab es, die sich, wie Adolf Arndt es nannte, „anständig“<br />
verhielten. Von einem wissen wir genau, dass er sich „anständig“<br />
verhielt. Es war kein Anwalt, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r so genannte „Anwaltsbeamte“<br />
am Landgericht Willi Naatz. Er bewahrte <strong>de</strong>n<br />
Kontakt zu <strong>de</strong>n beruflich und gesellschaftlich Ausgegrenzten. Er<br />
legte ein Fotoalbum mit Passfotos von ihm bekannten jüdischen<br />
Anwälten an. Er wollte ein An<strong>de</strong>nken bewahren. Das ist ihm gelungen.<br />
Sein Fotoalbum ist einer <strong>de</strong>r Mittelpunkte <strong>de</strong>r Ausstellung.<br />
Eine Seite aus diesem Fotoalbum ist auch in <strong>de</strong>r Einladung<br />
zur Ausstellung abgebil<strong>de</strong>t.<br />
Auch das Verhalten <strong>de</strong>r nichtjüdischen Rechtsanwälte und die<br />
Rolle <strong>de</strong>r Anwaltsorganisationen wur<strong>de</strong> jetzt untersucht. Diese<br />
Untersuchung hat gezeigt, dass die meisten <strong>de</strong>r nichtjüdischen<br />
Rechtsanwälte nur allzu bereit waren, bei <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>r<br />
bürgerlichen Existenz ihrer Kollegen (das Wort Kollege kann<br />
man in diesem Zusammenhang kaum in <strong>de</strong>n Mund nehmen)<br />
mitzumachen o<strong>de</strong>r diese Vernichtung wenigstens wohlwollend<br />
zu billigen. Und das waren keine Jugendlichen mit kurzgeschorenen<br />
Haaren und Springerstiefeln, son<strong>de</strong>rn gebil<strong>de</strong>te, gut situierte<br />
Menschen wie wir hier.<br />
Eine weitere offene Frage:<br />
Wie konnte es kommen, dass diese Ausstellung erst über 60<br />
Jahre nach <strong>de</strong>m Geschehen stattfin<strong>de</strong>t, zu einer Zeit, wo es praktisch<br />
keine Zeitzeugen mehr gibt<br />
Diese Frage muss beschämend offen bleiben. Erklärungen und<br />
Rechtfertigungsversuche mag es geben. Es erschiene mir jedoch<br />
peinlich, diese hier vorzutragen.<br />
Dennoch sind wir zufrie<strong>de</strong>n darüber, dass es uns gemeinsam mit<br />
<strong>de</strong>m Deutschen Juristentag gelungen ist, heute diese Ausstellung<br />
auch im Paul-Löbe-Haus <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages präsentieren<br />
zu können. Ihnen, sehr geehrter Herr Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt,<br />
darf ich dafür sehr herzlich danken. Ganz beson<strong>de</strong>rs danken wir<br />
auch dafür, dass Sie diese Ausstellung mit eröffnen.<br />
Keiner von <strong>de</strong>nen, die dabei waren, als unser israelischer Anwaltskollege<br />
<strong>de</strong>n Wunsch nach <strong>de</strong>r Liste äußerte, hätte sich vorstellen<br />
können, was aus diesem Wunsch gewor<strong>de</strong>n ist.<br />
Nicht nur eine Liste: ein Buch.<br />
Nicht nur ein Buch. Neben <strong>de</strong>n Berlinern haben auch die Potsdamer<br />
und die Bochumer Juristen sich ihrer jüdischen Kollegen<br />
erinnert und Bücher herausgegeben.<br />
Aus <strong>de</strong>r Liste wur<strong>de</strong>n aber nicht nur Bücher, son<strong>de</strong>rn Ausstellungen.<br />
Niemand hätte gedacht, dass die Ausstellung einmal auch im<br />
Deutschen Bun<strong>de</strong>stag gezeigt wür<strong>de</strong>. Mir scheint es an <strong>de</strong>r Zeit,<br />
auch <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s israelischen Anwalts zu sagen, <strong>de</strong>r die<br />
Liste wünschte.<br />
Lieber Joel Levi, Du warst es, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer<br />
Berlin die Liste wünschte. Ich <strong>de</strong>nke, auch Du kannst zufrie<strong>de</strong>n<br />
sein mit <strong>de</strong>m, was aus Deinem Wunsch gewor<strong>de</strong>n ist. Es bedurfte<br />
aber dieses Wunsches. Dafür danken wir Dir sehr.