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BRAK-Mitt. 6/2004 241<br />

6/2004<br />

15. 12. 2004 35. Jahrgang<br />

Akzente<br />

125 Jahre Rechtsanwaltskammern<br />

125 Jahre Selbstbestimmung<br />

125 Jahre sind eine lange Zeit. Je<strong>de</strong>nfalls aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer, <strong>de</strong>nn diese gibt es erst seit<br />

45 Jahren.<br />

125 Jahre sind eine kurze Zeit aus <strong>de</strong>r Sicht mancher ausländischer<br />

Rechtsanwaltskammern. In Spanien gibt es Rechtsanwaltskammern<br />

seit mehr als 400 Jahren. In Holland mussten<br />

sich Rechtsanwälte bereits 1520 in ein Register eintragen lassen.<br />

Noch viel älter ist das Barreau <strong>de</strong> Paris. Bereits im Jahre<br />

1274 wur<strong>de</strong>n berufsrechtliche Prinzipien formuliert, wie die<br />

Festlegung <strong>de</strong>r anwaltlichen Gebührenhöhe in Abhängigkeit<br />

von <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Streitsache und <strong>de</strong>r Erfahrung <strong>de</strong>s Anwalts,<br />

die Festlegung eines Gebührenhöchstbetrages und die Wahrheitspflicht<br />

von Anwälten. Es fällt auch auf, dass die Rechtsanwaltskammern<br />

in Frankreich nicht als Kammern bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn als „Ordre <strong>de</strong>s avocats“, während die Industrie-<br />

und Han<strong>de</strong>lskammern z.B. wie in Deutschland „Kammern“<br />

sind und sogar die Notare in Kammern zusammengeschlossen<br />

sind. Die Rechtsanwälte haben also auf <strong>de</strong>r einen Seite <strong>de</strong>s<br />

Rheins <strong>de</strong>n „Anwaltsor<strong>de</strong>n“ und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite die<br />

„Anwaltskammer“. Das hat seine Be<strong>de</strong>utung. Etwas überspitzt<br />

könnte man sagen, <strong>de</strong>r „Anwaltsor<strong>de</strong>n“ ist von <strong>de</strong>r Geschichte<br />

her ein Or<strong>de</strong>n wie ein religiöser Or<strong>de</strong>n. An <strong>de</strong>r Spitze steht <strong>de</strong>r<br />

Batonnier wie ein Abt in einem Kloster. Und an<strong>de</strong>rs als in<br />

Deutschland ist in Frankreich auch die Anwaltschaft in ihrer<br />

Gesamtheit, also <strong>de</strong>r „Or<strong>de</strong>n“ Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege. Bei uns<br />

in Deutschland ist nur <strong>de</strong>r Anwalt als Individuum, also als einzelner<br />

Anwalt Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege. Das be<strong>de</strong>utet aber<br />

auch, dass die Rechtsanwälte in Frankreich und in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

„Or<strong>de</strong>ns“-Staaten sich ihrer Gemeinschaft wie einem Or<strong>de</strong>n<br />

zugehörig fühlen. Sie erkennen daher auch die Autorität ihrer<br />

Or<strong>de</strong>nsoberen, also ihrer Präsi<strong>de</strong>nten und Bâtonniers eher an<br />

als wir Angehörige einer Kammer. Bei uns hingegen wird die<br />

Pflichtmitgliedschaft in <strong>de</strong>r Kammer oft als lästiger Zwang empfun<strong>de</strong>n<br />

und die Frage gestellt: Was bringt mir eigentlich die<br />

Kammer?<br />

Ein Jubiläum wie dieses gibt Anlass, uns in Erinnerung zu rufen,<br />

dass wir Rechtsanwälte es selbst waren, die vor über 125 Jahren<br />

die Einrichtung von Kammern mit Pflichtmitgliedschaft<br />

wünschten. Wir wollten vom Staat völlig unabhängig sein,<br />

nicht von ihm verwaltet wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn uns selber verwalten.<br />

Daher unterstützte auch <strong>de</strong>r Deutsche Anwaltverein, <strong>de</strong>r acht<br />

Jahre älter ist als die Kammern, <strong>de</strong>ren Bildung. Alle d iejenigen,<br />

die mit <strong>de</strong>n Kammern nichts zu tun haben wollen und ihre<br />

Abschaffung verlangen, kennen anscheinend diese Entstehungsgeschichte<br />

nicht. Sie wissen nicht, dass die Rechtsanwaltskammern<br />

entstan<strong>de</strong>n sind, um <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>s Staates<br />

zugunsten berufseigener Institutionen zurückzudräng en. Erklärtes<br />

Ziel <strong>de</strong>rjenigen, die vom Staat losgelöste Selbstverwaltungseinrichtungen<br />

schaffen wollten, war „die Hebung <strong>de</strong>s Stan<strong>de</strong>sbewusstseins<br />

und Ehrgefühls durch gleichmäßige und gerechte<br />

Handhabung <strong>de</strong>r Disziplin und ein verstärktes Gefühl <strong>de</strong>r<br />

Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Verantwortung, um so<br />

die Geringschätzung <strong>de</strong>s Anwaltsstan<strong>de</strong>s zu beseitigen.“ Wenn<br />

man dieser Sprache auch anmerkt, dass sie über 125 Jahre alt<br />

ist, können wir <strong>de</strong>n Kerngehalt dieses Satzes sicher auch heute<br />

noch vertreten. Der Staat versuchte, die Einrichtung von Kammern<br />

lange zu verhin<strong>de</strong>rn. Es ist ihm letztlich nicht gelungen.<br />

Wir wissen aus <strong>de</strong>r Zeit zwischen 1933 und 1945, dass die<br />

Selbstverwaltungseinrichtung <strong>de</strong>r Kammern <strong>de</strong>n Machthabern<br />

überhaupt nicht gefiel. Die Reichsrechtsanwaltskammer wur<strong>de</strong><br />

„umgestaltet“. Der Kammerpräsi<strong>de</strong>nt wur<strong>de</strong> vom Reichsjustizminister<br />

im Einvernehmen mit <strong>de</strong>m Reichsführer <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s<br />

nationalsozialistischer <strong>de</strong>utscher Juristen berufen. Er wur<strong>de</strong><br />

nicht gewählt. Die klassische Funktion <strong>de</strong>r Selbstverwaltungseinrichtung<br />

wur<strong>de</strong> also völlig pervertiert.<br />

Auch in <strong>de</strong>r DDR war für klassische Selbstverwaltungseinrichtungen<br />

wie die Rechtsanwaltskammern kein Raum. Zwar<br />

waren die Kollegien <strong>de</strong>r Rechtsanwälte mitgliedschaftlich strukturiert.<br />

Ihre Aufgabe bestand aber nicht in selbstbestimmter<br />

Interessenbün<strong>de</strong>lung, son<strong>de</strong>rn diente <strong>de</strong>r Durchsetzung staatlicher<br />

Zielvorstellungen, nämlich <strong>de</strong>r sogenannten sozialistischen<br />

Gesetzlichkeit. Der Wunsch nach <strong>de</strong>r Selbstverwaltungsorganisation<br />

<strong>de</strong>r Kammern war dann nicht nur in <strong>de</strong>r DDR sehr<br />

stark, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>n früheren sozialistischen Staaten.


242 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Knopp, Die Selbstverwaltung <strong>de</strong>r Rechtsanwälte<br />

Alle Staaten, die in diesem Jahr <strong>de</strong>r Europäischen Union beigetreten<br />

sind, haben Rechtsanwaltskammern.<br />

Wer das Bestehen von Kammern kritisiert, be<strong>de</strong>nkt auch nicht<br />

die Folgen einer Abschaffung. Wenn es keine Kammern mehr<br />

gibt, wer soll zur Anwaltschaft zulassen, wer soll die Zulassung<br />

wi<strong>de</strong>rrufen? Wer prüft die Fachanwälte, die es <strong>de</strong>m rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />

Bürger erleichtern, <strong>de</strong>n für ihn richtigen Anwalt zu<br />

fin<strong>de</strong>n? Wer prüft die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter <strong>de</strong>s<br />

Anwalts? Und schließlich: Wer übt die Disziplinargewalt aus?<br />

Wir brauchen diese Disziplinargewalt auch heute, <strong>de</strong>nn wir<br />

wollen bestimmte Essentials unseres Berufs erhalten wissen, die<br />

Unabhängigkeit, die Verschwiegenheit und das Verbot, wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong><br />

Interessen zu vertreten. Soll sich nach Abschaffung<br />

<strong>de</strong>r Kammern <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>nkt, ein Anwalt habe gegen<br />

diese Pflichten verstoßen, zukünftig an <strong>de</strong>n Staat, vielleicht an<br />

ein Bun<strong>de</strong>samt für Dienstleistungswesen wen<strong>de</strong>n? Das wür<strong>de</strong><br />

gegen unser Selbstverständnis verstoßen. Wir wollen uns selbst<br />

verwalten. Wir wollen dies als Angehörige eines freien Berufes<br />

selbstbestimmt und unabhängig. Diesen Willen müsste bei<br />

einigermaßen klarem Verstand je<strong>de</strong>r von uns haben. Und wenn<br />

das so ist, müsste sich auch je<strong>de</strong>r zu seiner Rechtsanwaltskammer<br />

gehörig fühlen.<br />

Die Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer verleiht alle zwei Jahre <strong>de</strong>n<br />

Karikaturpreis <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Anwaltschaft. Vor einigen Wochen<br />

haben wir ihn an Marie Marcks , die berühmte <strong>de</strong>utsche Karikaturistin<br />

verliehen. In ihrer Dankesre<strong>de</strong> teilte uns Marie Marcks<br />

mit, dass sie sich gefragt habe, warum die Rechtsanwälte in<br />

einer Kammer zusammengeschlossen seien. Als passen<strong>de</strong> Antwort<br />

sei ihr nur das Lied von Matthias Claudius „Der Mond ist<br />

aufgegangen“ eingefallen. Dort heißt es:<br />

„Wie ist die Welt so stille<br />

und in <strong>de</strong>r Dämmrung‘ Hülle<br />

so traulich und so hold<br />

als eine stille Kammer,<br />

wo ihr <strong>de</strong>s Tages‘ Jammer<br />

verschlafen und vergessen sollt.“<br />

Nach diesem Zitat war Marie Marcks <strong>de</strong>r Lacherfolg sicher. Ist<br />

es aber wirklich so lächerlich, dieses Zitat im Zusammenhang<br />

mit <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer? Ich fän<strong>de</strong> es je<strong>de</strong>nfalls schön,<br />

wenn unsere Mitglie<strong>de</strong>r ihre Rechtsanwaltskammern als so<br />

etwas Vertrautes und so etwas, <strong>de</strong>m man vertrauen kann,<br />

ansehen wür<strong>de</strong>n, dass sie in <strong>de</strong>n Rechtsanwaltskammern<br />

ihren Jammer verschlafen und vergessen können. Ein bisschen<br />

passt es also doch, das Zitat. Ineinem Punkt allerdings<br />

nicht. Dort, wo von <strong>de</strong>m Jammer die Re<strong>de</strong> ist. Man wird zwar<br />

sicherlich sagen können, dass die Zeiten für die Anwaltschaft<br />

nicht gut sind. Es gibt viel zuviele Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte in Deutschland. Die Wirtschaftslage ist nicht<br />

gut. Auch <strong>de</strong>n Anwälten geht es daher wirtschaftlich nicht<br />

gut. Diverse Gesetzgebungsvorhaben aus Berlin und Brüssel<br />

müssen uns zusätzliche Sorge machen. Wir müssen also<br />

wachsam sein. Wir müssen auch vorbereitet sein auf viel<br />

Schlimmes. Das Schlimmste wird aber nicht kommen. Ludwig<br />

Koch, früherer DAV-Präsi<strong>de</strong>nt, hat auf <strong>de</strong>m Hamburger<br />

Anwaltstag in diesem Jahr ein selbstbewusstes Auftreten <strong>de</strong>r<br />

Anwaltschaft gefor<strong>de</strong>rt. Heinz Weil , früherer CCBE-Präsi<strong>de</strong>nt<br />

und Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Europaausschusses <strong>de</strong>r BRAK, <strong>de</strong>utscher<br />

und französischer Rechtsanwalt, hat im vergangenen September<br />

auf <strong>de</strong>r Hauptversammlung <strong>de</strong>r BRAK in Hamburg<br />

erklärt:<br />

„Ich halte eine unabhängige Anwaltschaft für eine <strong>de</strong>r Säulen<br />

<strong>de</strong>s Rechtsstaates, <strong>de</strong>n zu bil<strong>de</strong>n sich die Europäische Union<br />

insgesamt und je<strong>de</strong>r einzelne Mitgliedstaat verpflich tet hat.<br />

Eine unabhängige Anwaltschaft ist nur <strong>de</strong>nkbar, wenn die verfasste<br />

Anwaltschaft stark und vom Staat sowie von <strong>de</strong>n Machtzentren<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft unabhängig ist.“<br />

Die <strong>de</strong>utsche Anwaltschaft ist selbstbewusst. Und stark. Deswegen<br />

kann uns <strong>de</strong>r Gegenwind, <strong>de</strong>r uns jetzt manchmal ins<br />

Gesicht bläst, nichts anhaben.<br />

Ich wünsche allen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten,<br />

dass sie sich <strong>de</strong>ssen bewusst sind. Und dass sie wissen, dass<br />

ihre Stärke nicht nur in je<strong>de</strong>m einzelnen von ihnen li egt. Dass<br />

sie vielmehr eine starke Gemeinschaft in ihrer Rechtsanwaltskammer<br />

bil<strong>de</strong>n.<br />

Bernhard Dombek<br />

Aufsätze<br />

Die Selbstverwaltung <strong>de</strong>r Rechtsanwälte 1<br />

Rechtsanwalt und Notar Günter Knopp, Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r RAK Köln<br />

1 Auszüge aus <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> anlässlich <strong>de</strong>r 125-Jahr-Feier <strong>de</strong>r RAK Frankfurt am<br />

1.10.2004.<br />

Wir haben in <strong>de</strong>r Einladung <strong>de</strong>utlich gemacht, dass an 125 Jahre<br />

Rechtspflege in Frankfurt am Main erinnert wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Ganz selbstverständlich verstehen wir uns heute als Organe <strong>de</strong>r<br />

Rechtspflege. Auch die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte,<br />

die <strong>de</strong>n Richtern und auch <strong>de</strong>n Staatsanwälten die Rechte ihrer<br />

Mandanten darstellen und sich entschie<strong>de</strong>n für die Durchsetzung<br />

dieser Rechte einsetzen, nehmen Teil am sogenannten<br />

„Kampf um das Recht“. Dies freilich ineigenständiger Funktion.<br />

Eben <strong>de</strong>shalb haben die Rechtsanwälte auch weitergehen<strong>de</strong><br />

Befugnisse im Prozess als ihre Mandanten, und – allerdings<br />

– auch damit korrespondieren<strong>de</strong> Pflichten. Und die Rechtsanwälte<br />

tragen auch Mitverantwortung für das Funktionieren <strong>de</strong>r<br />

Rechtspflege insoweit, als sie die Vertretung und Beratung bedürftiger<br />

Menschen übernehmen, auch wenn die hiermit ermöglichten<br />

Einkünfte nur gering sind.<br />

Die Rechtsanwaltsordnung war, wie damals üblich, mit feudaler<br />

Poesie eingeleitet wor<strong>de</strong>n. Im Rechtsgesetzblatt v. 1.7.1878<br />

hieß es: „Wir, Wilhelm von Gottes Gna<strong>de</strong>n, Deutscher Kaiser,<br />

König von Preußen, verordnen im Namen <strong>de</strong>s Reiches was


BRAK-Mitt. 6/2004 Aufsätze 243<br />

Knopp, Die Selbstverwaltung <strong>de</strong>r Rechtsa nwälte<br />

folgt ...“ und verordnet wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Rechtsanwälten – ich muss<br />

einfügen: Rechtsanwältinnen gab es bis 1922 noch nicht, und<br />

auch dann nur bis 1935; erst nach <strong>de</strong>m zweiten Weltkrieg war<br />

es für die Militärregierungen selbstverständlich, auch Frauen zu<br />

diesem Beruf zuzulassen – verordnet wur<strong>de</strong> also mit <strong>de</strong>r heute<br />

vor 125 Jahren in Kraft getretenen Rechtsanwaltsordnung <strong>de</strong>n<br />

Rechtsanwälten die Freiheit ihres Berufes und die Selbstverwaltung.<br />

Zum ersten Mal in <strong>de</strong>r Geschichte gab es einen im ganzen<br />

Reich für alle Absolventen <strong>de</strong>r II. juristischen Staatsprüfung gelten<strong>de</strong>n<br />

Anspruch auf <strong>de</strong>n Berufszugang. Dafür steht seit<strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r „Freiheit <strong>de</strong>r Advokatur“. Und zum ersten Mal<br />

gab es auch eine Organisation, in <strong>de</strong>r die Rechtsanwälte ihre<br />

Angelegenheiten selbst zu regeln hatten.<br />

Die Freiheit <strong>de</strong>r Advokaten stellt heute niemand in unserem<br />

Land und auch nicht in <strong>de</strong>n übrigen Mitgliedstaaten <strong>de</strong>r Europäischen<br />

Union in Frage. Die Unabhängigkeit <strong>de</strong>s Rechtsanwalts,<br />

<strong>de</strong>r nur seinen Berufspflichten, insbeson<strong>de</strong>re zur V erschwiegenheit<br />

und zur <strong>de</strong>m Mandanten verpflichteter Treue,<br />

unterliegt, diese Unabhängigkeit ist nach allgemeiner Meinung<br />

ein Eckpfeiler unserer Rechtsstaatlichkeit.<br />

Steht die Freiheit <strong>de</strong>s Rechtsanwalts also außer Frage, so gilt das<br />

heute nicht so für die ebenfalls vor 125 Jahren begonnene<br />

Selbstverwaltung <strong>de</strong>r Rechtsanwälte in <strong>de</strong>r Europäischen Union.<br />

Gefahr droht ihr dabei weniger aus <strong>de</strong>m eigenen Land. Denn<br />

es ist insbeson<strong>de</strong>re einer Initiative in <strong>de</strong>r Justizministerkonferenz<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r zudanken, dass die <strong>de</strong>utschen<br />

Justizminister im November <strong>de</strong>s vergangenen Jahres einstimmig<br />

<strong>de</strong>n Bestrebungen im Deutschen Bun<strong>de</strong>stag entgegen<br />

getreten sind, auch die Rechtsanwaltskammern abzuschaffen.<br />

Nach wie vor ist aber aus <strong>de</strong>r Europäischen Union und hier insbeson<strong>de</strong>re<br />

von <strong>de</strong>n Kommissaren für Wettbewerb und für <strong>de</strong>n<br />

Binnenmarkt zu hören, die berufsständischen Kammern beschränkten<br />

die Freiheit <strong>de</strong>s Wettbewerbs. Von diesen Kommissaren<br />

wird einer reinen Ökonomisierung <strong>de</strong>s Rechtsrates und damit<br />

<strong>de</strong>s Zugangs zum Recht das Wort gere<strong>de</strong>t. Dabei wird aber<br />

die Komplexität <strong>de</strong>r Bedingungen unseres sozialen Zusammenlebens<br />

nicht hinreichend berücksichtigt. Discount-Standarts lassen<br />

die Rechtsversorgung als öffentliches Gut untergehen. Die<br />

Entwicklung im Bereich unserer Gesundheitsversorgung sollte<br />

Warnung genug sein. Tatsächlich gibt es keinen überzeugen<strong>de</strong>n<br />

Grund dafür, dass die Europäische Union die Rechtspflegesysteme<br />

nach unten nivelliert. Je<strong>de</strong>r Mitgliedstaat sollte vielmehr, je<strong>de</strong>nfalls<br />

so lange wir keine Rechtseinheit in <strong>de</strong>r Europäischen<br />

Union haben, selbst entschei<strong>de</strong>n, wie er die Funktionsfähigkeit<br />

seines Rechtspflegesystems am besten sichert.<br />

Instrumente unserer anwaltlichen Selbstverwaltung sind die<br />

Rechtsanwaltskammern, die Satzungsversammlung, die Anwaltsgerichtsbarkeit<br />

und das Versorgungswerk.<br />

– Die Rechtsanwaltskammern sind <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlichen Gerichtsbarkeit<br />

dadurch eng verbun<strong>de</strong>n, dass <strong>de</strong>r Bereich <strong>de</strong>r Kammer<br />

<strong>de</strong>m Bezirk eines Oberlan<strong>de</strong>sgerichts zugeordnet ist.<br />

Alle im Bezirk eines Oberlan<strong>de</strong>sgerichts zugelassenen<br />

Rechtsanwälte sind Mitglied einer Kammer und bil<strong>de</strong>n „ihre<br />

Rechtsanwaltskammer“.<br />

Aufgabe <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer ist es, über die Grundwerte<br />

<strong>de</strong>s Berufsstan<strong>de</strong>s zu wachen: Die Unabhängigkeit<br />

und die Integrität <strong>de</strong>r Rechtsanwälte, die Pflicht im besten Interesse<br />

<strong>de</strong>s Mandanten zu han<strong>de</strong>ln und die Vertraulichkeit<br />

zu wahren. Dazu haben die Kammern im öffentlichen Interesse<br />

über die Zulassung zum Beruf <strong>de</strong>s Rechtsanwalts zu entschei<strong>de</strong>n,<br />

Ausbildung und Fortbildung <strong>de</strong>r Rechtsanwälte<br />

und ihrer Fachangestellten zu för<strong>de</strong>rn und zu regeln, ihre<br />

Mitglie<strong>de</strong>r zu beaufsichtigen und unter an<strong>de</strong>rem bei <strong>de</strong>r Entscheidung<br />

über Beschwer<strong>de</strong>n die Disziplinargewalt auszuüben.<br />

–Die Regeln <strong>de</strong>r Berufsausübung wer<strong>de</strong>n im Rahmen <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Ermächtigung von <strong>de</strong>r Satzungsversammlung festgelegt,<br />

einem noch recht neuen Instrument <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />

Selbstverwaltung. Sie wird in allgemeinen und geheimen<br />

Wahlen gewählt. Die von <strong>de</strong>r Satzungsversammlung, <strong>de</strong>m so<br />

genannten Anwaltsparlament, festgelegten Bestimmungen<br />

<strong>de</strong>r Berufsordnung unterliegen <strong>de</strong>r Rechtsaufsicht durch das<br />

Bun<strong>de</strong>sjustizministerium und treten nur in Kraft, wenn sie<br />

von <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sjustizministerium nicht beanstan<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

– Ein wesentlicher Teil <strong>de</strong>r anwaltlichen Selbstverwaltung ist<br />

die Anwaltsgerichtsbarkeit. Die Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>r Anwaltsgerichtsbarkeit<br />

besteht darin, dass sie (an<strong>de</strong>rs als für die sonstigen<br />

freien Berufe zuständigen Spruchkörper in Disziplinarsachen<br />

bei <strong>de</strong>n or<strong>de</strong>ntlichen Gerichten) im ersten und zweiten<br />

Rechtszug eine eigenständige Gerichtsbarkeit darstellt.<br />

– Und zu unserer Selbstverwaltung zählt schließlich – wie <strong>de</strong>r<br />

Schlussstein in einem Gebäu<strong>de</strong> – das Versorgungswerk. Das<br />

ist die Altersversorgung <strong>de</strong>r Rechtsanwälte. Sie wird nach<br />

<strong>de</strong>m Kapital<strong>de</strong>ckungsprinzip aus angesparten Beiträgen finanziert.<br />

Die in Deutschland bei <strong>de</strong>n Versorgungswerken auf<br />

diese Weise in Höhe etlicher Milliar<strong>de</strong>n Euro gebil<strong>de</strong>ten<br />

Rücklagen haben inzwischen die Begehrlichkeit <strong>de</strong>r Sozialpolitiker<br />

geweckt, die diese Ersparnisse auf die maro<strong>de</strong> gesetzliche<br />

Altersversorgung übertragen wollen.<br />

Ich kann diese Sozialpolitiker nur warnen. In unserem Volk<br />

grummelt es bereits vernehmlich. Gera<strong>de</strong> wegen <strong>de</strong>r Sozialpolitik.<br />

Und nicht nur montags. Sie sollten sich nicht noch<br />

<strong>de</strong>n Zorn <strong>de</strong>r 130.000 <strong>de</strong>utschen Rechtsanwälte zuziehen.<br />

Die anwaltliche Selbstverwaltung, ausgeübt durch ihre Funktionsträger,<br />

hat sich je<strong>de</strong>nfalls in <strong>de</strong>r Zeit nach <strong>de</strong>m zweiten<br />

Weltkrieg bewährt. Insbeson<strong>de</strong>re seit das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

<strong>de</strong>m im Bereich <strong>de</strong>s Anwaltsrechts allzu zögerlichen<br />

Bun<strong>de</strong>sgesetzgeber <strong>de</strong>utliche Vorgaben gemacht hat, sind die<br />

Rechtsanwaltskammern, und die Anwaltsgerichtsbarkeit aus<br />

manchem Feuer <strong>de</strong>r Kritik gekommen. Das seit<strong>de</strong>m entstan<strong>de</strong>ne<br />

neue Berufsrecht, die Zulassung von Zweitberufen <strong>de</strong>r<br />

Rechtsanwälte (gemeint sind die Syndici vor allem in Banken<br />

und Versicherungen), die allmählich an Fahrt gewinnen<strong>de</strong> Zulassung<br />

von Fachanwaltschaften und die Zulassung von überörtlichen<br />

und auch internationalen Sozietäten haben zusammen<br />

mit <strong>de</strong>m Wettbewerbsdruck von jetzt 130.000 Rechtsanwälten<br />

wesentlich dazu beigetragen, dass das Berufsrecht heute<br />

besser als noch vor zehn Jahren <strong>de</strong>r grundlegend v erän<strong>de</strong>rten<br />

Stellung <strong>de</strong>s Rechtsanwalts und seiner Entwicklung vom<br />

Prozessagenten zum selbstbestimmten Dienstleister entspricht.<br />

Dabei bietet die Anwaltschaft heute ein höchst heterogenes Erscheinungsbild,<br />

was die Art und Weise <strong>de</strong>r Berufsausübung betrifft.<br />

Der Schwerpunkt anwaltlicher Tätigkeit liegt heute im Bereich<br />

<strong>de</strong>r Rechtsberatung <strong>de</strong>s Mandanten, weil dies <strong>de</strong>ssen Bedürfnissen<br />

entspricht. Der Prozessanwalt ist in <strong>de</strong>n Hintergrund<br />

getreten. Die Rechtsanwälte spielen – um ein Bild aus <strong>de</strong>m<br />

Sport zu verwen<strong>de</strong>n – in verschie<strong>de</strong>nen Ligen. In Frankfurt z.B.<br />

gibt es <strong>de</strong>n sog. Allgemeinanwalt nicht mehr. Die Durchdringung<br />

aller Lebensbereiche durch gesetzliche Bestimmungen,<br />

auch die Spezialisierung <strong>de</strong>r Gerichte und <strong>de</strong>r Gerichtszweige,<br />

auch kompetente Konkurrenz außerhalb <strong>de</strong>r Anwaltschaft, insbeson<strong>de</strong>re<br />

aber <strong>de</strong>r enorme Wettbewerbsdruck innerhalb <strong>de</strong>r<br />

RechtsanwaItschaft und <strong>de</strong>r Zwang zur Bewahrung hoher Qualität<br />

<strong>de</strong>r anwaltlichen Arbeit, haben zu ganz neuen Formen <strong>de</strong>r<br />

Berufsausübung in überörtlichen o<strong>de</strong>r gar internationalen<br />

Sozietäten bei hoher Arbeitsteilung geführt. Daneben gibt es<br />

draußen im Land noch <strong>de</strong>n Allgemeinanwalt. Die gemeinsame<br />

Klammer um alle diese Rechtsanwälte und die auseinan<strong>de</strong>r<br />

driften<strong>de</strong>n Gruppen innerhalb <strong>de</strong>r Anwaltschaft sind zum einen<br />

die anwaltlichen Grundpflichten und zum an<strong>de</strong>ren die Selbstverwaltungseinrichtungen<br />

<strong>de</strong>r Rechtsanwälte.


244 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Prütting, Rechtsberatung im Wan<strong>de</strong>l<br />

Dieser unserer Form <strong>de</strong>r Selbstverwaltung kommt nicht nur eine<br />

ordnungspolitische Funktion zu. Eine Funktion, die sich auf die<br />

Ethik <strong>de</strong>r Berufsgruppe stützt, die sich ihrerseits wie<strong>de</strong>rum aus<br />

<strong>de</strong>m Selbstverständnis <strong>de</strong>r Gruppenangehörigen und <strong>de</strong>n Erwartungen<br />

<strong>de</strong>r Gesamtgesellschaft an diese Gruppe ergibt.<br />

Den berufsständischen Selbstverwaltungskörperschaften kommt<br />

auch eine doppelte Be<strong>de</strong>utung für unsere <strong>de</strong>mokratische<br />

Staatsform zu. Die Selbstverwaltung ist in <strong>de</strong>r Lage, die Effizienz<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen Ordnung zu verbessern, weil sie die<br />

beson<strong>de</strong>re Sachkun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Berufsangehörigen, besser als je<strong>de</strong><br />

unmittelbare Staatsverwaltung es könnte, in die Entscheidungsprozesse<br />

und die gesellschaftliche Entwicklung einbezieht. Die<br />

Beteiligten <strong>de</strong>r Berufsgruppe wer<strong>de</strong>n nicht nur angehört, son<strong>de</strong>rn<br />

unmittelbar an <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses<br />

beteiligt. U nd das im Ehrenamt und damit<br />

für die Gesellschaft kostengünstig. Die Arbeit unserer<br />

Rechtsanwaltskammer in Frankfurt wird zum einen Teil aus <strong>de</strong>n<br />

Mitgliedsbeiträgen <strong>de</strong>r Kammermitglie<strong>de</strong>r finanziert. Ein sehr<br />

großer Teil dieser Arbeit wird aber auch ehrenamtlich in <strong>de</strong>n<br />

Abteilungen und in <strong>de</strong>n Ausschüssen <strong>de</strong>s Vorstands, auch in<br />

<strong>de</strong>r Satzungsversammlung, in <strong>de</strong>n Anwaltsgerichten und im<br />

Versorgungswerk geleistet.<br />

Eines darf freilich an dieser Stelle nicht verschwiegen wer<strong>de</strong>n,<br />

und das ist eine Mahnung an <strong>de</strong>n Gesetzgeber: Die Rechtsanwaltskammern<br />

sind noch wie vor 125 Jahren nach klassischen<br />

Vorstellungen <strong>de</strong>r Basis<strong>de</strong>mokratie strukturiert. Bei <strong>de</strong>r Willensbildung<br />

von unten nach oben wird auf die Versammlung aller<br />

Kammermitglie<strong>de</strong>r als Organ <strong>de</strong>r Willensbildung abgestellt.<br />

Auch bei <strong>de</strong>r Formulierung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung<br />

1959 ging man davon aus, eine Kammer lasse sich nach <strong>de</strong>n<br />

Prinzipien <strong>de</strong>r Honoratiorenverwaltung führen und könne <strong>de</strong>shalb<br />

nach <strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>r unmittelbaren Demokratie<br />

strukturiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Deshalb ist noch heute die Kammerversammlung als Vollversammlung<br />

aller Kammermitglie<strong>de</strong>r das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Organ<br />

<strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer. Nur ging man eben bei diesen Festlegungen<br />

davon aus – wie § 61 BRA O zeigt –,dass in einem<br />

Oberlan<strong>de</strong>sgerichtsbezirk dann eine weitere Rechtsanwaltskammer<br />

gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n könnte, wenn dort mehr als 500<br />

Rechtsanwälte zugelassen sind. Diese Zeiten liegen lange zurück.<br />

Wir sind heute mehr als 14.000 Rechtsanwälte im Bezirk<br />

<strong>de</strong>r Kammer Frankfurt. Wir halten es für an <strong>de</strong>r Zeit, dass <strong>de</strong>r<br />

Gesetzgeber es auch uns ermöglicht, mehr Demokratie zu wagen.<br />

Wie bei <strong>de</strong>r Wahl zur Satzungsversammlung sollte es uns<br />

ermöglicht wer<strong>de</strong>n, Repräsentanten in die Kammerversammlung<br />

zu wählen. Auch dabei kann problemlos sichergestellt<br />

wer<strong>de</strong>n, dass Allgemeinanwälte und kleine Sozietäten sich dort<br />

ebenso repräsentiert fin<strong>de</strong>n wie große Sozietäten o<strong>de</strong>r gar<br />

rechtsberaten<strong>de</strong> Kapitalgesellschaften. Das wür<strong>de</strong> uns je<strong>de</strong>nfalls<br />

innerlich stärken.<br />

In je<strong>de</strong>m Falle bin ich aber zuversichtlich, dass unsere bewährte<br />

Selbstverwaltung in <strong>de</strong>r Lage ist, auch künftig ihrer Rolle in<br />

Staat und Gesellschaft gerecht zu wer<strong>de</strong>n: Für alle, die diesen<br />

Rechtsstaat mit uns schützen und verteidigen wollen.<br />

Rechtsberatung im Wan<strong>de</strong>l 1<br />

Prof. Dr. Hanns Prütting, Köln<br />

Herr Präsi<strong>de</strong>nt Dr. Thümmel , verehrte Festversammlung!<br />

1 Festvortrag anlässlich <strong>de</strong>r 125-Jahr-Feier <strong>de</strong>r RAK Köln am 6.10.2004.<br />

Ich stehe heute in doppelter Eigenschaft vor Ihnen. Zunächst<br />

darf ich mir erlauben, Ihnen als Dekan die Grüße und die<br />

Glückwünsche <strong>de</strong>r Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät zu<br />

übermitteln. 125 Jahre ist die Rechtsanwaltskammer Köln nun<br />

also für die rheinischen Rechtsanwälte im Kammerbezirk erfolgreich<br />

tätig. Dies ist ein stolzes Jubiläum. Dass es in dieser langen<br />

Zeit auch stets viele gute und enge Kontakte zwischen Kammer<br />

und Fakultät gegeben hat und heute mehr <strong>de</strong>nn je gibt, ist für<br />

mich natürlich ein beson<strong>de</strong>rer Grund zur Freu<strong>de</strong> und zum<br />

Dank. Allein sieben Rechtsanwälte <strong>de</strong>r Kölner Kammer sind <strong>de</strong>rzeit<br />

zugleich Honorarprofessoren unserer Fakultät, darüber hinaus<br />

gibt es eine beträchtliche Zahl von Rechtsanwälten, die einen<br />

Lehrauftrag wahrnehmen. Im November dieses Jahres wird<br />

einem verdienten und angesehenen Mitglied <strong>de</strong>r Kölner Kammer<br />

die Wür<strong>de</strong> eines Ehrendoktors verliehen wer<strong>de</strong>n und dies<br />

ist nicht die erste Auszeichnung eines Kölner Anwalts durch die<br />

Fakultät. Eine beson<strong>de</strong>rs schöne und erfolgreiche Frucht <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />

von Fakultät und Kammer ist schließlich das im<br />

Jahre 1989 von Anwälten und Professoren gemeinsam gegrün<strong>de</strong>te<br />

Institut für Anwaltsrecht an <strong>de</strong>r Universität zu Köln. Es ist<br />

das erste seiner Art in ganz Deutschland und nach wohl einhelliger<br />

Auffassung auch das bei weitem produktivste und erfolgreichste.<br />

Die wissenschaftliche Arbeit <strong>de</strong>r vergangenen 15 Jahre<br />

an diesem Institut wäre ohne die Unterstützung <strong>de</strong>r Kölner Kammer<br />

und vieler weiterer Sponsoren in Deutschland nicht möglich<br />

gewesen. So darf ich (zugleich im Namen von Frau Kollegin<br />

Grunewald und Herrn Kollegen Henssler) zum heutigen Jubiläum<br />

auch unseren gemeinsamen Dank für alle uns zuteil gewor<strong>de</strong>ne<br />

Unterstützung, Hilfestellung und fürdas fruchtbare Zusammenwirken<br />

zum Ausdruck bringen.<br />

I. Einführung<br />

Das Recht ist Teil unserer Kultur. Ohne Recht gibt es keine Sicherheit,<br />

keinen Frie<strong>de</strong>n und keinen Fortschritt in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen,<br />

wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Recht<br />

ist also ein sehr hohes Gut.<br />

Es ist daher nicht überraschend, dass Recht (ähnlich wie die<br />

Medizin) seit vielen tausend Jahren entwickelt wird und dass<br />

<strong>de</strong>r Beruf <strong>de</strong>s Rechtsberaters (ähnlich wie <strong>de</strong>r Arzt) schon immer<br />

eine ganz beson<strong>de</strong>rs herausgehobene Stellung hatte.<br />

Wir sprechen beim Thema Rechtsberatung also nicht von einer<br />

beliebigen Ware o<strong>de</strong>r von einer einfachen Dienstleistung, die<br />

ganz unproblematisch <strong>de</strong>r EU-Dienstleistungsfreiheit unterläge.<br />

Daher hat das Thema „Rechtsberatung“ auch – nieman<strong>de</strong>n<br />

wird dies überraschen – eine wechselvolle Geschichte.<br />

II. Historische Aspekte und Entwicklungslinien<br />

Das mo<strong>de</strong>rne <strong>de</strong>utsche Verfahrens- und Anwaltsrecht hat sich<br />

bekanntlich nach <strong>de</strong>r Reichsgründung 1870/71 insbeson<strong>de</strong>re<br />

durch die sog. Reichsjustizgesetze <strong>de</strong>s Jahres 1877 entwickelt.<br />

In diesen Reichsjustizgesetzen waren das GVG, die ZPO, die<br />

StPO und weitere Verfahrensgesetze wie die KO vereinigt. Bereits<br />

ein Jahr später, am 1.7.1878, wur<strong>de</strong> die erste <strong>de</strong>utsche<br />

Rechtsanwaltsordnung (RAO) als Reichsgesetz verkün<strong>de</strong>t. Diese<br />

RAO trat zusammen mit allen Reichsjustizgesetzen am


BRAK-Mitt. 6/2004 Aufsätze 245<br />

Prütting, Rechtsberatung im Wan<strong>de</strong>l<br />

1.10.1879, also vor genau 125 Jahren, in Kraft. Damit war erstmals<br />

in Deutschland ein reichseinheitliches Verfahrensrecht<br />

und ein einheitlicher <strong>de</strong>utscher Anwaltsstand geschaffen. Die<br />

lange umkämpfte Freiheit <strong>de</strong>r Advokatur war erreicht, <strong>de</strong>r<br />

Rechtsanwalt als eine gerichtliche Hilfsperson, die <strong>de</strong>r Disziplinaraufsicht<br />

<strong>de</strong>r Gerichte untersteht, war endgültig beseitigt. Aus<br />

<strong>de</strong>n Motiven zur RAO 1878 ergibt sich allerdings, dass die<br />

Rechtsanwaltschaft als ein „unentbehrliches Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege“<br />

bezeichnet wird, jedoch nur im Hinblick auf <strong>de</strong>n Anwaltsprozess.<br />

Bekanntlich enthält bis heute § 1BRAO im Gesetzestext<br />

diese Kennzeichnung <strong>de</strong>s Rechtsanwalts als ein unabhängiges<br />

Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege. Damit ist klar, dass das Berufsbild<br />

<strong>de</strong>s Rechtsanwalts neben <strong>de</strong>r Freiheit und Unabhängigkeit<br />

<strong>de</strong>s Berufsstan<strong>de</strong>s auch einem gewissen Pflichtenkatalog<br />

unterliegt. Diese uns allen bekannten anwaltlichen Berufspflichten<br />

än<strong>de</strong>rn aber nichts an <strong>de</strong>r vom Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

immer wie<strong>de</strong>r festgestellten Tatsache, dass die anwaltliche<br />

Berufsausübung unter <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>s Grundgesetzes <strong>de</strong>r<br />

freien und unreglementierten Selbstbestimmung <strong>de</strong>s Einzelnen<br />

unterliegt (vgl. BVerfG, NJW 1983, 1535, 1536).<br />

Neben <strong>de</strong>r berufsrechtlichen Regelung <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft<br />

gab es im Deutschen Reich kein eigenständiges Rechtsberatungsgesetz.<br />

Die auch in dieser Zeit vorhan<strong>de</strong>nen sog. Rechtskonsulenten<br />

unterlagen <strong>de</strong>r Gewerbeordnung, die seit <strong>de</strong>m Jahre<br />

1883 in §35 vorsah, dass die gewerbsmäßige Besorgung<br />

frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheit zu untersagen sei, wenn Tatsachen<br />

vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit <strong>de</strong>s Gewerbetreiben<strong>de</strong>n<br />

dartun ( von Schweinitz, Rechtsberatung durch Juristen<br />

und Nichtjuristen, insbeson<strong>de</strong>re durch Wirtschaftsprüfer, 1975,<br />

S. 32 ff.). In <strong>de</strong>r Weimarer Zeit stieg die Zahl <strong>de</strong>r Rechtsanwälte<br />

drastisch an, so dass <strong>de</strong>r Gesetzgeber Maßnahmen diskutierte,<br />

die (wie in <strong>de</strong>r Literatur vielfach formuliert wur<strong>de</strong>) zur Behebung<br />

<strong>de</strong>r Not <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsstan<strong>de</strong>s geeignet waren. Bereits<br />

seit 1909 gab es eine Bedürfnisprüfung für Prozessagenten.<br />

Später wur<strong>de</strong> dann in <strong>de</strong>r Weimarer Republik eine Novelle vorbereitet,<br />

die die nichtanwaltliche Rechtsberatungstätigkeit<br />

<strong>de</strong>utlich einschränken sollte. Die dann im Jahre 1935 vollzogene<br />

Neuordnung <strong>de</strong>s Rechtsberatungswesens beruhte daher je<strong>de</strong>nfalls<br />

zum Teil bereits auf gesetzgeberischen Überlegungen<br />

<strong>de</strong>r Weimarer Zeit.<br />

Trotz dieser in <strong>de</strong>r bisherigen Diskussion regelmäßig unterschlagenen<br />

Gesetzgebungsgeschichte ist und bleibt das Rechtsberatungsgesetz<br />

ein typisches NS-Gesetz und damit eine Erblast<br />

<strong>de</strong>s Dritten Reiches (Kleine-Cosack, RBerG, 2004, S.38).<br />

Am 13.12.1935 wur<strong>de</strong> diese Regelung als „Gesetz zur Verhütung<br />

von Missbräuchen auf <strong>de</strong>m Gebiete <strong>de</strong>r Rechtsberatung“<br />

auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s Ermächtigungsgesetzes erlassen. Es hatte<br />

an mehreren Stellen ein<strong>de</strong>utig nationalsozialistische Zielsetzungen.<br />

So enthielten die §§5, 11 Abs. 2 <strong>de</strong>r 1. AVO einen<br />

Ausschluss <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Rechtsberatung und in Art. 1 § 3<br />

Nr. 1 <strong>de</strong>s Gesetzes sowie in §5 <strong>de</strong>r 2. AVO wur<strong>de</strong>n nationalsozialistische<br />

Organisationen ausdrücklich als zur Rechtsberatung<br />

zugelassen genannt. Diesen historischen Belastungen ist<br />

aus heutiger Sicht zunächst entgegenzuhalten, dass nach Tilgung<br />

<strong>de</strong>s nationalsozialistischen Gedankengutes mit <strong>de</strong>m<br />

Schutz <strong>de</strong>s Rechtsuchen<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>m Schutz einer funktionsfähigen<br />

Rechtspflege zwei aus heutiger Sicht überragend wichtige<br />

Schutzgüter geblieben sind, die von Anfang an in <strong>de</strong>r Gesetzesbegründung<br />

<strong>de</strong>s Jahres 1935 genannt wor<strong>de</strong>n waren. Nicht<br />

zu bestreiten ist freilich, dass im Jahre 1935 ein Systemwechsel<br />

von <strong>de</strong>r Gewerbefreiheit hin zu einem Gesetz mit stark antiliberalen<br />

Zügen erfolgt ist. Diese Ten<strong>de</strong>nz geht allerdings, was in<br />

<strong>de</strong>r Diskussion regelmäßig verschwiegen wird, durchaus konform<br />

mit vielen mo<strong>de</strong>rnen Verbraucherschutzentwicklungen.<br />

Wer heute das Rechtsberatungsgesetz in erster Linie mit historischen<br />

Argumenten bekämpft, <strong>de</strong>r sollte auch be<strong>de</strong>nken, dass<br />

das Einkommensteuergesetz und viele an<strong>de</strong>re gesetzliche Regelungen<br />

aus <strong>de</strong>r NS-Zeit stammen.<br />

Nach<strong>de</strong>m im Jahre 1958 das Rechtsberatungsgesetz ohne die<br />

spezifischen nationalsozialistischen Teile in das <strong>de</strong>utsche Bun<strong>de</strong>srecht<br />

überführt wor<strong>de</strong>n war, hat es in <strong>de</strong>n vergangenen Jahrzehnten<br />

eine erstaunliche Entwicklung erlebt. Lange Zeit wissenschaftlich<br />

und praktisch wenig beachtet, hat das Gesetz in<br />

jüngerer Zeit viel Aufsehen erregt, erhebliche Kontroversen<br />

ausgelöst und teilweise scharfe Kritik hervorgerufen. Diese Entwicklung<br />

seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 80er Jahre <strong>de</strong>s vergangenen Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

geht einher mit einem dramatischen Anstieg <strong>de</strong>r Anwaltszahlen<br />

in Deutschland sowie grundlegen<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>s anwaltlichen Berufsrechts. Nicht zuletzt droht <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Anwaltschaft seit einiger Zeit ein verstärkter Konkurrenzkampf<br />

von Banken, Rechtsschutzversicherern, Steuerberatern<br />

und Wirtschaftsprüfern, Fachhochschulwirtschaftsjuristen und<br />

vielen an<strong>de</strong>ren Ausbildungs- und Berufszweigen.<br />

Es konnte daher kaum überraschen, dass die <strong>de</strong>rzeitige Bun<strong>de</strong>sregierung<br />

in ihrer Koalitionsvereinbarung vom 16.10.2002<br />

formulierte, das Rechtsberatungsgesetz von 1935 solle <strong>de</strong>n gesellschaftlichen<br />

Bedürfnissen angepasst wer<strong>de</strong>n. Damit war <strong>de</strong>r<br />

Auftakt zu gesetzgeberischen Bemühungen gemacht, die wir<br />

heute näher untersuchen wollen.<br />

III. Der Entwurf eines Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG)<br />

1. Entstehung<br />

In Ausführung dieser Koalitionsvereinbarung hat das Bun<strong>de</strong>sministerium<br />

<strong>de</strong>r Justiz im Mai 2003 eine groß angelegte Umfrage<br />

zu <strong>de</strong>n Problemen und zur Reform <strong>de</strong>s Rechtsberatungsgesetzes<br />

durchgeführt. Weiterhin wur<strong>de</strong> die damalige Richterin<br />

am OLG Köln Gabriele Caliebe an das BMJ abgeordnet, um<br />

<strong>de</strong>n Entwurf eines neuen Gesetzes vorzubereiten. Nach <strong>de</strong>m<br />

Wechsel von Frau Caliebe zum BGH hat im BMJ Herr Dr. Franz<br />

mit Unterstützung durch <strong>de</strong>n abgeordneten Richter am OLG<br />

Oliver Sabel die Arbeit an diesem Entwurf weitergeführt. Ferner<br />

hat <strong>de</strong>r Deutsche Juristentag für sein Programm im September<br />

2004 das Rechtsberatungsgesetz als eigene Abteilung auf seine<br />

Tagesordnung gesetzt. Zusätzliche Brisanz hat das Thema<br />

durch einen Vortrag <strong>de</strong>s parlamentarischen Staatssekretärs im<br />

Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz Alfred Hartenbach erhalten, <strong>de</strong>r<br />

im März 2004 in Frankfurt <strong>de</strong>n Eindruck vermittelte, es sei intern<br />

ein neues Rechtsberatungsgesetz weitgehend beschlossene<br />

Sache, das in wesentlichen Teilen auf eine Öffnung <strong>de</strong>r Rechtsberatung<br />

hinauslaufe. Selbst Dipl.-Wirtschaftsjuristen von Fachhochschulen<br />

mit einem Rechtsstudium im Umfang von 4–5 Semestern<br />

sollten danach angeblich eine rechtliche Erstberatung<br />

durchführen können. Auf <strong>de</strong>m 55. Deutschen Anwaltstag im<br />

Mai 2004 in Hamburg hat dann freilich Bun<strong>de</strong>sjustizministerin<br />

Zypries sich vorsichtiger geäußert und lediglich versichert, im<br />

September 2004 wer<strong>de</strong> ein erster Diskussionsentwurf vorgelegt.<br />

Diese Ankündigung hat das Ministerium eingehalten und<br />

so kennen wir seit 6. September 2004 <strong>de</strong>n Diskussionsentwurf<br />

eines Gesetzes zur Neuregelung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsrechts,<br />

<strong>de</strong>ssen Art. 1 ein neues Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) sein<br />

soll. Verständlicherweise rückte dieser Diskussionsentwurf auf<br />

<strong>de</strong>m 65. Deutschen Juristentag am 22. und 23. September<br />

2004 in Bonn in das Zentrum <strong>de</strong>s Interesses. Es ist daher heute<br />

möglich, nicht nur <strong>de</strong>n Inhalt dieses Diskussionsentwurfs zu<br />

behan<strong>de</strong>ln, son<strong>de</strong>rn auch ein vorläufiges Fazit aus <strong>de</strong>r Diskussion<br />

<strong>de</strong>r vergangenen vier Wochen zu ziehen.<br />

2. Grundlegen<strong>de</strong>r Inhalt<br />

Der Entwurf <strong>de</strong>s neuen Rechtsdienstleistungsgesetzes (im Folgen<strong>de</strong>n<br />

soll vereinfachend von RDG gesprochen wer<strong>de</strong>n) sieht<br />

nach einem ersten allgemeinen Teil mit <strong>de</strong>n grundlegen<strong>de</strong>n<br />

Normen spezielle Möglichkeiten für Rechtsdienstleistungen<br />

durch nicht registrierte Personen (2. Teil) sowie durch registrierte<br />

Personen (3. Teil) vor und regelt in einem weiteren 4. Teil ein


246 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Prütting, Rechtsberatung im Wan<strong>de</strong>l<br />

neues sog. Rechtsdienstleistungsregister. Im Einzelnen wird in<br />

§1 Abs. 1 Satz 1 zunächst festgestellt, dass das RDG nur die<br />

außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen regeln will. In §1<br />

Abs. 1 Satz 2 wird dann in einer beson<strong>de</strong>rs interessanten Weise<br />

<strong>de</strong>r Schutzzweck <strong>de</strong>s Gesetzes aufgeführt. Über die bisher anerkannten<br />

Schutzzwecke, nämlich <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />

sowie <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Rechtspflege (das RDG spricht<br />

von Rechtsverkehr) vor unqualifizierter Rechtsberatung und<br />

Rechtsbesorgung hinaus, wird zusätzlich und ausdrücklich <strong>de</strong>r<br />

Schutz <strong>de</strong>r gesamten Rechtsordnung aufgeführt. Dies halte ich<br />

für einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung und ich<br />

habe dies im Juristentags-Gutachten bereits eingehend dargelegt.<br />

Es muss endlich anerkannt wer<strong>de</strong>n, dass durch normative<br />

Regeln <strong>de</strong>r Rechtsberatung auch die Rechtsentwicklung im<br />

Ganzen sowie die Rechtsfortbildung und letztlich <strong>de</strong>r Schutz<br />

<strong>de</strong>s Rechtsstaates bezweckt wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Der Begriff <strong>de</strong>r Rechtsdienstleistung<br />

In §2 RDG wird sodann in zentraler Weise <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r<br />

Rechtsdienstleistung konkretisiert. Sie soll je<strong>de</strong> Hilfeleistung in<br />

konkreten frem<strong>de</strong>n Angelegenheiten sein, die nach <strong>de</strong>r Verkehrsanschauung<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r erkennbaren Erwartung <strong>de</strong>s Rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />

eine umfassen<strong>de</strong> rechtliche Beurteilung o<strong>de</strong>r eine<br />

nach rechtlicher Prüfung erfolgen<strong>de</strong> Gestaltung rechtlicher Verhältnisse<br />

zum Inhalt hat. Diese Definition ist sehr heikel und<br />

hat auf <strong>de</strong>m Juristentag zu einer umfangreichen Kontroverse geführt.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re das Wort von <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n rechtlichen<br />

Beurteilung könnte zu <strong>de</strong>m Missverständnis Veranlassung geben,<br />

vom künftigen RDG sei diejenige Rechtsdienstleistung<br />

nicht erfasst, die von vornherein noch nicht abschließend und<br />

endgültig angelegt sei. Je<strong>de</strong> als vorläufig anzusehen<strong>de</strong> Beratung,<br />

fast je<strong>de</strong> sog. Erstberatung und insbeson<strong>de</strong>re je<strong>de</strong> telefonische<br />

Beratung wäre dann vom RDG nicht erfasst. Die Begründung<br />

zum Diskussionsentwurf schlägt allerdings eine an<strong>de</strong>re<br />

Richtung ein (S. 28f.). Nach <strong>de</strong>n dortigen Beispielen soll<br />

durch §2 RDG eine allgemeine Rechtsinformation und eine<br />

Bagatelltätigkeit sowie eine Geschäftsbesorgung, die ohne individuelle<br />

rechtliche Prüfung erfolgt, gestattet sein. Es bedarf hier<br />

keiner näheren Diskussion, dass eine allgemeine Rechtsinformation<br />

und eine Tätigkeit ohne je<strong>de</strong> individuelle rechtliche<br />

Prüfung nicht das Problem darstellen. Soweit in <strong>de</strong>r Entwurfsbegründung<br />

auf Bagatelltätigkeiten abgestellt wird, stimmt dies<br />

mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n rechtlichen Beurteilung erkennbar<br />

nicht überein. Ich halte <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>n Gesetzentwurf in<br />

diesem Punkt für dringend verän<strong>de</strong>rungsbedürftig und habe<br />

vorgeschlagen, statt von einer umfassen<strong>de</strong>n allenfalls von einer<br />

vertieften rechtlichen Beurteilung zu sprechen.<br />

Unabhängig davon ist es aber zu begrüßen, dass <strong>de</strong>r Entwurf<br />

mit <strong>de</strong>m Oberbegriff <strong>de</strong>r Rechtsdienstleistung eine klare Terminologie<br />

schafft, die das nicht immer klare Verhältnis von<br />

Rechtsberatung und Rechtsbesorgung ablösen soll.<br />

4. Mediation<br />

In §2 Abs. 3 wird in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>m bisherigen<br />

Recht festgestellt, dass die Erstellung wissenschaftlicher Gutachten<br />

sowie die Tätigkeit als Schiedsrichter und in ähnlicher Funktion<br />

nicht als Rechtsdienstleistung anzusehen ist. In diesem Zusammenhang<br />

wird im Entwurf neu die Mediation und je<strong>de</strong> vergleichbare<br />

Form <strong>de</strong>r Streitbeilegung genannt und damit vom<br />

RDG ausgeschlossen. Aus <strong>de</strong>r Entwurfsbegründung ergibt sich<br />

freilich, dass die Entwurfsverfasser diesen Ausschluss wesentlich<br />

enger und beschränkter erfassen wollten, als esnach <strong>de</strong>m<br />

Gesetzestext <strong>de</strong>utlich wird. Freigestellt vom RDG soll nach <strong>de</strong>r<br />

Begründung lediglich die Mediation als methodisches Vorgehen<br />

außergerichtlicher Konfliktbearbeitung anzusehen sein. Ist<br />

jedoch (wie die Entwurfsbegründung formuliert) die Tätigkeit<br />

<strong>de</strong>s Mediators nicht auf die gesprächsleiten<strong>de</strong> Funktion beschränkt,<br />

greift er vielmehr regelnd o<strong>de</strong>r durch rechtliche Regelungsvorschläge<br />

in die Gespräche <strong>de</strong>r Beteiligten ein, so kann<br />

dieses Verhalten eine Rechtsdienstleistung im Sinne <strong>de</strong>s RDG<br />

darstellen. Dieser Standpunkt scheint mir akzeptabel. Umso<br />

wichtiger dürfte essein, <strong>de</strong>n Text <strong>de</strong>s Entwurfes in§2 Abs. 3<br />

Nr. 3 insoweit zu ergänzen und zu ver<strong>de</strong>utlichen. Schließlich<br />

wird in §2 Abs. 3 Nr. 4die an die Allgemeinheit gerichtete<br />

Darstellung und Erörterung von Rechtsfragen und Rechtsfällen<br />

in <strong>de</strong>n Medien vom RDG ausgeschlossen. In <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Fassung ist dies eine unproblematische Selbstverständlichkeit<br />

und entspricht auch <strong>de</strong>r ständigen Rechtsprechung. Diese Regelung<br />

ist im Übrigen schon <strong>de</strong>shalb sehr zu begrüßen, weil aus<br />

ihr im Umkehrschluss sehr <strong>de</strong>u tlich wird, dass es auch in <strong>de</strong>n<br />

Medien eine Erörterung von Rechtsfragen und Rechtsfällen geben<br />

kann, die sich auf eine konkrete frem<strong>de</strong> Angelegenheit bezieht.<br />

Diese wäre auch nach künftigem RDG verboten.<br />

5. Vereinbarkeit mit an<strong>de</strong>ren Pflichten<br />

Wichtig und interessant erscheint auch die Festlegung <strong>de</strong>s Entwurfs<br />

in §4, wonach Rechtsdienstleistungen dort nicht erbracht<br />

wer<strong>de</strong>n dürfen, wo sie mit einer an<strong>de</strong>ren Leistungspflicht<br />

unvereinbar sind. Auch diese Formulierung entspricht<br />

langjähriger BGH-Rechtsprechung (BGH, NJW 1961, 1113).<br />

§4 <strong>de</strong>s Entwurfs schränkt also insbeson<strong>de</strong>re die Rechtsberatung<br />

von Rechtsschutzversicherern ein und dürfte insgesamt<br />

<strong>de</strong>r bereits bestehen<strong>de</strong>n Rechtslage entsprechen. Es ist daher<br />

nicht überraschend, dass gera<strong>de</strong> diese Entwurfsregelung von<br />

<strong>de</strong>n Rechtsschutzversicherern auf <strong>de</strong>m 65. Deutschen Juristentag<br />

scharf kritisiert wur<strong>de</strong>. Persönlich halte ich diese Regelung<br />

für richtig und für unabdingbar.<br />

6. Nebenleistungen<br />

Schließlich regelt §5 <strong>de</strong>s Entwurfs die Rechtsdienstleistungen<br />

im Zusammenhang mit an<strong>de</strong>ren Tätigkeiten. Hier wird <strong>de</strong>r gelten<strong>de</strong><br />

Art. 1 § 5Nr. 1 RBerG <strong>de</strong>utlich ausgeweitet. Bisher kam<br />

eine solche Ausnahme nur für kaufmännische o<strong>de</strong>r gewerbliche<br />

Unternehmer in Betracht, künftig sollen alle beruflichen<br />

und alle gesetzlich geregelten Tätigkeiten solche Ausnahmen<br />

ermöglichen. Auch die Art <strong>de</strong>r gestatteten Tätigkeit ist im Entwurf<br />

<strong>de</strong>utlich verän<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n. Bisher sollten recht liche Angelegenheiten<br />

gestattet sein, die mit <strong>de</strong>m Geschäft <strong>de</strong>s Gewerbebetriebs<br />

in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Künftig soll<br />

je<strong>de</strong> Nebenleistung, die zum Berufs- o<strong>de</strong>r Tätigkeitsbild o<strong>de</strong>r<br />

zur vollständigen Erfüllung vertraglicher o<strong>de</strong>r gesetzlicher<br />

Pflichten zu rechnen ist, vom RDG freigestellt sein. Darüber hinaus<br />

wer<strong>de</strong>n als stets erlaubte Nebenleistungen <strong>de</strong>finiert die<br />

Testamentsvollstreckung, die Haus- und Wohnungsverwaltung,<br />

die Frachtprüfung und die För<strong>de</strong>rmittelberatung. Noch<br />

weitergehend will § 5 Abs. 3 alle insoweit nicht freigestellten<br />

Tätigkeiten je<strong>de</strong>nfalls dann freistellen, wenn sie in Zusammenarbeit<br />

mit o<strong>de</strong>r unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erbracht<br />

wer<strong>de</strong>n. Dieser § 5 RDG wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n vergangenen<br />

Wochen sehr kontrovers diskutiert. M.E. ist er an drei Stellen<br />

<strong>de</strong>utlich zu weit geraten. Der Begriff <strong>de</strong>r Nebenleistung, die zu<br />

einem Berufs- o<strong>de</strong>r Tätigkeitsbild gehört, ist als Abgrenzungsmerkmal<br />

in meinen Augen viel zu weit gefasst. Die vollständige<br />

Ausklammerung <strong>de</strong>r Testamentsvollstreckung in Abs. 2 Nr. 1<br />

lädt zu Missbrauch gera<strong>de</strong>zu ein. Schließlich ist in § 5 Abs. 3<br />

<strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt problematisch.<br />

Auch hier bieten sich massive Missbrauchsmöglichkeiten<br />

gera<strong>de</strong>zu an.<br />

7. Registrierte und nicht registrierte Personen<br />

Der 2. Teil <strong>de</strong>s RDG regelt Rechtsdienstleistungen durch nicht<br />

registrierte Personen (§§ 6–8). Beson<strong>de</strong>rs be<strong>de</strong>utsam ist die Regelung<br />

<strong>de</strong>r unentgeltlichen Rechtsdienstleistung in § 6. Überzeugend<br />

wird zunächst in Abs. 1 und Abs. 2 von §6 je<strong>de</strong>


BRAK-Mitt. 6/2004 Aufsätze 247<br />

Prütting, Rechtsberatung im Wan<strong>de</strong>l<br />

Rechtsdienstleistung erlaubt, die unentgeltlich ist und innerhalb<br />

familiärer, nachbarschaftlicher o<strong>de</strong>r ähnlich enger persönlicher<br />

Beziehung erbracht wird. Wird eine solche Rechtsdienstleistung<br />

außerhalb <strong>de</strong>s genannten engen persönlichen Bereichs<br />

erbracht, verlangt <strong>de</strong>r Entwurf, dass je<strong>de</strong>nfalls eine Person mit<br />

Befähigung zum Richteramt eingeschaltet ist. Dies halte ich für<br />

einen richtigen und begrüßenswerten Schritt <strong>de</strong>s künftigen Gesetzes.<br />

Ich selbst hatte eine gleichartige Regelung in meinem<br />

Juristentags-Gutachten vorgeschlagen, dabei freilich einengend<br />

weiterhin verlangen wollen, dass solche Personen eine Gewähr<br />

für die Beachtung gewisser grundlegen<strong>de</strong>r anwaltlicher Berufspflichten<br />

bieten. Dies wird in <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>r letzten Wochen<br />

überwiegend an<strong>de</strong>rs gesehen, wobei häufig nicht erkannt<br />

wird, dass ein solches Verlangen einen wichtigen Hebel gegen<br />

die missbräuchliche Nutzung <strong>de</strong>r Erlaubnisse <strong>de</strong>s § 6 darstellen<br />

könnte. Der Entwurf <strong>de</strong>s RDG versucht die Missbrauchsproblematik<br />

dadurch zu lösen, dass bei <strong>de</strong>r Annahme dauerhaft unqualifizierter<br />

Rechtsdienstleistung o<strong>de</strong>r bei erheblichen Verstößen<br />

gegen gesetzliche Pflichten <strong>de</strong>m Dienstleister die weitere<br />

Erbringung solcher Rechtsdienstleistungen untersagt wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Diese Sanktion und ihre Eintragung inein Register soll<br />

die bisher im Gesetz vorgesehenen Ordnungswidrigkeiten ablösen.<br />

Die Beseitigung <strong>de</strong>s bisherigen Art. 1 § 8 RBerG über die<br />

Ordnungswidrigkeiten hat beim Deutschen Juristentag klare<br />

Zustimmung erhalten.<br />

Eine weitere wichtige Ausnahme vom RDG soll nach §7 <strong>de</strong>s<br />

Entwurfs die Tätigkeit von beruflichen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren zur Wahrung<br />

gemeinschaftlicher Interessen gegrün<strong>de</strong>ten Vereinigungen<br />

darstellen. Hier wird also <strong>de</strong>r bisherige Art. 1 § 7 RBerG<br />

übernommen und erweitert. Dies verdient schon <strong>de</strong>shalb Zustimmung,<br />

weil <strong>de</strong>r bisherige Gesetzeswortlaut von <strong>de</strong>n berufsständischen<br />

o<strong>de</strong>r auf ähnlicher Grundlage gebil<strong>de</strong>ten Vereinigungen<br />

o<strong>de</strong>r Stellen zu merkwürdigen Entscheidungen und<br />

heilloser Verwirrung geführt hatte.<br />

Schließlich wer<strong>de</strong>n in § 8RDG Rechtsdienstleistungen gestattet,<br />

die durch gerichtlich o<strong>de</strong>r behördlich bestellte Personen,<br />

durch Behör<strong>de</strong>n, durch Verbraucherzentralen, durch Schuldnerberatungsstellen<br />

i.S.d. § 305 InsO sowie durch anerkannte<br />

freie Träger <strong>de</strong>r Jugendhilfe und Träger <strong>de</strong>r freien Wohlfahrtspflege<br />

durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Der zuletzt genannte Gesichtspunkt<br />

ist neu, erscheint aber sinnvoll. Interessant ist, dass in<br />

ersten Diskussionen von Mitarbeitern <strong>de</strong>s BMJ die Meinung<br />

vertreten wur<strong>de</strong>, § 8 RDG sei eigentlich überflüssig und lediglich<br />

eine Ver<strong>de</strong>utlichung <strong>de</strong>ssen, was sich auch aus <strong>de</strong>n vorherigen<br />

Grundsätzen ergebe. Dieser Streit mag hier dahinstehen.<br />

Ferner sei noch darauf hingewiesen, dass in §9 RDG eine<br />

Rechtsdienstleistung durch registrierte Personen vorgesehen ist.<br />

Solche registrierten natürlichen o<strong>de</strong>r juristischen Personen sowie<br />

Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit können auch<br />

künftig in Teilbereichen Rechtsdienstleistung erbringen. In sehr<br />

abgespeckter Form ist damit die bisherige Teilerlaubnis <strong>de</strong>s<br />

Art. 1§1 Abs. 1 RBerG übernommen. Die weiteren vorgesehenen<br />

Regelungen mit rein verfahrensrechtlichem Charakter sollen<br />

hier aus Zeitgrün<strong>de</strong>n nicht näher dargelegt wer<strong>de</strong>n.<br />

8. Berufliche Zusammenarbeit<br />

Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass <strong>de</strong>r Entwurf in<br />

Art. 2 die berufliche Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit<br />

an<strong>de</strong>ren Personen (§ 59a BRAO) massiv ausweiten will. Dieser<br />

Gesichtspunkt ist hoch umstritten und auf <strong>de</strong>m Juristentag sehr<br />

kontrovers diskutiert wor<strong>de</strong>n. Überraschen<strong>de</strong>rweise hat die geplante<br />

Än<strong>de</strong>rung bei <strong>de</strong>r Abstimmung eine knappe Mehrheit<br />

erhalten, weil es zu diesem Punkt eine große Zahl von Enthaltungen<br />

gegeben hat.<br />

9. Abschließen<strong>de</strong> Würdigung<br />

Im Ergebnis hat dieser Diskussionsentwurf sowohl auf <strong>de</strong>m<br />

65. Deutschen Juristentag wie in <strong>de</strong>n sonstigen Diskussionen<br />

<strong>de</strong>r vergangenen Wochen überwiegend Zustimmung erfahren.<br />

Er kann nach meinem Eindruck je<strong>de</strong>nfalls als diskussionswürdig<br />

und damit als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen dienen.<br />

Meine bisherigen Hinweise zu einigen Schwierigkeiten und<br />

Problemen <strong>de</strong>s Entwurfs sollten Ihnen allerdings bereits gezeigt<br />

haben, dass hier <strong>de</strong>r Teufel im Detail liegt. Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Entwurf<br />

in <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Fassung Gese tzeskraft erhalten, so gäbe es<br />

eine nicht unerhebliche Zahl von Missbrauchsgefahren und von<br />

Auslegungsmöglichkeiten für alle Beteiligten, die entgegen <strong>de</strong>r<br />

grundsätzlichen Ten<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>s Entwurfs seine Schutzrichtung<br />

weitgehend aushebeln könnten. Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n genannten<br />

wichtigen Detailregelungen bedarf <strong>de</strong>r Entwurf <strong>de</strong>shalb intensiver<br />

Diskussion und einer <strong>de</strong>utlichen Nachbesserung. Mir selbst<br />

fällt an<strong>de</strong>rerseits die Zustimmung zu <strong>de</strong>n Grundlinien <strong>de</strong>s Entwurfes<br />

leicht, da er in vielfacher Weise mit meinem eigenen<br />

Gesetzesvorschlag im Juristentagsgutachten übereinstimmt.<br />

10. Abstimmungen auf <strong>de</strong>m Juristentag<br />

Zur <strong>de</strong>utlichen Stabilisierung <strong>de</strong>r Diskussion um ein künftiges<br />

Rechtsberatungsgesetz wer<strong>de</strong>n nach meinem Eindruck auch<br />

die Abstimmungsergebnisse auf <strong>de</strong>m 65. Deutschen Juristentag<br />

beitragen. Dort wur<strong>de</strong>n mit in meinen Augen ganz erstaunlichen<br />

Mehrheiten alle weitergehen<strong>de</strong>n Vorschläge zur Auflockerung<br />

o<strong>de</strong>r Beseitigung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsgesetzes abgelehnt.<br />

So wur<strong>de</strong> beispielsweise das viel diskutierte Informationsmo<strong>de</strong>ll<br />

bei 5 Ja-Stimmen und 2 Enthaltungen mit 164 Nein-<br />

Stimmen abgelehnt. Das bisherige gesetzliche Mo<strong>de</strong>ll einer<br />

Verbotsnorm mit Erlaubnisvorbehalt wur<strong>de</strong> mit 164 Ja-Stimmen<br />

gegen 9 Nein-Stimmen bei 5 Enthaltungen befürwortet. Die<br />

Akzeptanz von Gesetzeszwecken wie Verbraucherschutz,<br />

Schutz <strong>de</strong>r Rechtspflege, Schutz <strong>de</strong>r Rechtsentwicklung und<br />

Rechtsfortbildung sowie Versorgung <strong>de</strong>r rechtsuchen<strong>de</strong>n Bevölkerung<br />

und Schutz eines gleichberechtigten Zugangs zum<br />

Recht wur<strong>de</strong>n jeweils mit mehr als 160 Ja-Stimmen bei jeweils<br />

zwischen 1 und 7 Nein-Stimmen befürwortet. Diese kurzen<br />

Hinweise zu<strong>de</strong>n Abstimmungsergebnissen mögen Ihnen ver<strong>de</strong>utlichen,<br />

wie außeror<strong>de</strong>ntlich klar und eindrucksvoll das<br />

Stimmungsbild auf <strong>de</strong>m Juristentag war. Diese Festst ellung erhält<br />

zusätzliches Gewicht, weil in insgesamt 43 Fragen und<br />

Unterfragen ein außeror<strong>de</strong>ntlich differenziertes Stimmungsbild<br />

zur Abstimmung gestellt wur<strong>de</strong>.<br />

Der Deutsche Juristentag mag im Jahre 2004 und in früheren<br />

Jahren insbeson<strong>de</strong>re in seiner arbeitsrechtlichen Abteilung von<br />

Interessengegensätzen und blockartigem Stimmverhalten geprägt<br />

gewesen sein, die Abteilung Rechtsberatung hat nach<br />

meinem Eindruck zueiner außeror<strong>de</strong>ntlich fairen und aufgeschlossenen<br />

Diskussion geführt. Die Stimmung war zu keinem<br />

Zeitpunkt von Interessengegensätzen o<strong>de</strong>r Kampfabstimmungen<br />

wirklich geprägt. Die von ganz unterschiedlicher Seite gelobten<br />

Diskussionsvorschläge wur<strong>de</strong>n im Detail kritisch gewürdigt.<br />

Auf <strong>de</strong>r Basis dieser intensiven zweitägigen Beratungen<br />

kann ich das Abstimmungsverhalten <strong>de</strong>r ca. 200 im Saal anwesen<strong>de</strong>n<br />

abstimmungsberechtigten Personen nur als eine eindrucksvolle<br />

Bestätigung einer vernünftigen und gemäßigten<br />

Grundlinie bezeichnen, die ich in meinem Gutachten befürwortet<br />

habe und <strong>de</strong>r sich offenkundig auch <strong>de</strong>r ministerielle<br />

Entwurf verpflichtet sieht.<br />

11. Grundlinien in <strong>de</strong>r Begründung <strong>de</strong>s Diskussionsentwurfs<br />

Beson<strong>de</strong>rs auffallend und bemerkenswert erscheint es, dass die<br />

sehr breite Begründung <strong>de</strong>s Diskussionsentwurfs ausgesprochen<br />

zentrale Grundlinien vertieft erörtert. So wird überzeugend<br />

<strong>de</strong>r völligen Deregulierung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes<br />

eine klare Absage erteilt (S. 22 ff.). Beson<strong>de</strong>re Hervorhebung<br />

verdient weiterhin die ausführliche Darstellung in <strong>de</strong>r Begründung<br />

<strong>de</strong>s Entwurfs, dass unterhalb <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft kein<br />

allgemeiner Rechtsdienstleistungsberuf eingeführt wer<strong>de</strong>n sol-


248 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Prütting, Rechtsberatung im Wan<strong>de</strong>l<br />

le. Diese Entscheidung <strong>de</strong>s BMJ erscheint mir <strong>de</strong>shalb so beson<strong>de</strong>rs<br />

wichtig und be<strong>de</strong>utsam, weil damit zugleich <strong>de</strong>r Gefahr<br />

entgegengewirkt wird, dass über <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Fachhochschuljuristen<br />

hinaus eine Rechtsberatungsbefugnis unserer<br />

mit erstem Staatsexamen versehenen Rechtskandidaten eingeführt<br />

wird. Eine solche Entwicklung könnte die <strong>de</strong>utsche Juristenausbildung<br />

an<strong>de</strong>renfalls nachhaltig zerstören. Sie wür<strong>de</strong><br />

nach meinem Eindruck imZusammenhang mit <strong>de</strong>r vom vieldiskutierten<br />

Bologn a-Prozess veranlassten Einführung von Bachelor<br />

und Master zu einer völligen Beseitigung <strong>de</strong>r volljuristischen<br />

Ausbildung und <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Einheitsjuristen führen.<br />

Hervorhebung verdient letztlich auch das klare Verbot von<br />

Rechtsdienstleistungen bei Unvereinbarkeit mit einer an<strong>de</strong>ren<br />

Leistungspflicht. Umgekehrt wird man begreifen müssen, dass<br />

die in meinen Augen dringend erfor<strong>de</strong>rliche Auflockerung <strong>de</strong>r<br />

Rechtsberatung für unentgeltliche Rechtsdienstleistungen dazu<br />

führen wird, dass typische Streitfälle <strong>de</strong>s gelten<strong>de</strong>n Rechts<br />

(<strong>de</strong>nken Sie nur an die mit großem Echo geführten Kampagnen<br />

<strong>de</strong>r pensionierten Richter Kramer und Rasehorn) künftig ausgeschlossen<br />

sein wer<strong>de</strong>n, zumal gera<strong>de</strong> die bei<strong>de</strong>n genannten<br />

Kämpfer gegen <strong>de</strong>s Rechtsberatungsgesetz ihre Auffassungen in<br />

zentraler Weise auf historische Argumente gestützt hatten.<br />

IV. Entwicklungsten<strong>de</strong>nzen im künftigen Europa<br />

In <strong>de</strong>r Vergangenheit sind rechtsvergleichen<strong>de</strong> Aspekte regelmäßig<br />

gegen das gelten<strong>de</strong> Rechtsberatungsgesetz ins Feld geführt<br />

wor<strong>de</strong>n. Häufig zitiert wur<strong>de</strong> dabei ein Gutachten für <strong>de</strong>n<br />

58. Deutschen Juristentag 1990 in München, das Everling vorgelegt<br />

hatte. In diesem Gutachten über Fragen <strong>de</strong>r Dienstleistung<br />

und Nie<strong>de</strong>rlassung von Rechtsanwälten in <strong>de</strong>r Europäischen<br />

Gemeinschaft hatte Everling in einem Anhang einen<br />

Überblick über das Anwaltsrecht <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren europäischen<br />

Mitgliedstaaten gegeben und kam zu folgen<strong>de</strong>m Fazit: „Kein<br />

an<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>r behan<strong>de</strong>lten Mitgliedstaaten behält die Rechtsberatung<br />

<strong>de</strong>n Anwälten vor, wie esin <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik, allerdings<br />

mit <strong>de</strong>n bekannten Ausnahmen, <strong>de</strong>r Fall ist.“ Insgesamt<br />

hat Everling aber schon im Jahre 1990 eine durchaus differenzierte<br />

Untersuchung vorgelegt. Dies wird allerdings durch <strong>de</strong>n<br />

zitierten zusammenfassen<strong>de</strong>n Schlusssatz ein wenig verwischt.<br />

Regelmäßig ist bis heute aber nur dieser Schlusssatz zitiert wor<strong>de</strong>n.<br />

In mehreren an<strong>de</strong>ren Untersuchungen wird er in folgen<strong>de</strong>r<br />

zugespitzter Form wie<strong>de</strong>rgegeben: „Tatsächlich ist die Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

das einzige Mitglied <strong>de</strong>r Europäischen Union und<br />

wohl <strong>de</strong>r gesamten <strong>de</strong>mokratischen Welt, das die Rechtsberatung<br />

<strong>de</strong>n Anwälten vorbehält“ (so Kramer, KJ 2000, 600, 605;<br />

Lehmann, NJ 2000, 337, 338; Rasehorn, DRiZ 2000, 442).<br />

Seit <strong>de</strong>r Untersuchung von Everling aus <strong>de</strong>m Jahre 1990 hat<br />

sich zum einen ein gewisser Wan<strong>de</strong>l ergeben, zum an<strong>de</strong>ren<br />

war die europäische und internationale Rechtslage schon immer<br />

wesentlich komplexer gewesen, als dies die Kritiker <strong>de</strong>s<br />

Rechtsberatungsgesetzes vermutet hatten. Eine weithin übereinstimmen<strong>de</strong><br />

Regelung ergibt sich bei forensischen Tätigkeiten.<br />

Hier besteht fast überall in Europa und in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>mokratischen<br />

Staaten <strong>de</strong>r Welt vor Gerichten im Wesentlichen<br />

ein Anwaltsmonopol. Grundsätzliche Abweichungen vom Anwaltsmonopol<br />

im forensischen Bereich gibt es lediglich in <strong>de</strong>n<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, in Schwe<strong>de</strong>n und in Finnland. Dabei fällt auf,<br />

dass gera<strong>de</strong> in Schwe<strong>de</strong>n und Finnland trotz fehlen<strong>de</strong>r Regelung<br />

<strong>de</strong>r gesamte Rechtsberatungs- und Vertretungsmarkt faktisch<br />

vollständig in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft ist. Die<br />

außergerichtliche Rechtsberatung ist von Land zu Land sehr<br />

unterschiedlich geregelt. Eine weitgehen<strong>de</strong> Monopolisierung<br />

<strong>de</strong>r Rechtsberatung wie inDeutschland fin<strong>de</strong>t sich in Österreich,<br />

in Griechenland, in Luxemburg, in Norwegen, in Spanien<br />

sowie in Polen. Auch Frankreich kennt eine starke Beschränkung<br />

<strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes. Seit 1992 wird dort die Licence<br />

en Droit o<strong>de</strong>r ein vergleichbares Diplom für die Rechtsberatung<br />

vorausgesetzt. Interessant ist weiterhin die Situation in<br />

<strong>de</strong>n USA. Dort besteht trotz <strong>de</strong>s Fehlens gesetzlicher Regelungen<br />

in <strong>de</strong>r Sache ebenfalls ein echtes Anwaltsmonopol. Nicht<br />

anwaltliche Rechtsberatung wird nach Auffassung <strong>de</strong>s renommierten<br />

American Law Institute grundsätzlich als „unauthorized<br />

practice of law“ angesehen und damit als unzulässig behan<strong>de</strong>lt.<br />

Interessant ist weiterhin die Feststellung, dass in Län<strong>de</strong>rn<br />

mit einem faktisch o<strong>de</strong>r mehr theoretisch unreglementierten<br />

Rechtsberatungsmarkt wie in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r in<br />

Finnland massive Klagen über die Situation <strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes<br />

und seiner Leistungsfähigkeit geführt wer<strong>de</strong>n. Die<br />

Diskussion auf <strong>de</strong>m 65. Deutschen Juristentag hat diesen Befund<br />

unterstrichen. Interessant war weiterhin <strong>de</strong>r Beitrag eines<br />

italienischen Rechtsanwalts, <strong>de</strong>r entgegen <strong>de</strong>n Behauptungen<br />

in <strong>de</strong>r Begründung <strong>de</strong>s ministeriellen Entwurfs dargelegt hat,<br />

dass im außergerichtlich en Bereich in Italien keinerlei anwaltliches<br />

Monopol besteht und <strong>de</strong>r diesen Befund zugleich mit einem<br />

flammen<strong>de</strong>n Plädoyer verbun<strong>de</strong>n hat, die Schwierigkeiten<br />

und Missbräuche auf <strong>de</strong>m italienischen Rechtsberatungsmarkt<br />

durch ein Gesetz nach <strong>de</strong>utschem Vorbild zu beseitigen. Insgesamt<br />

ergibt sich bei rechtsvergleichen<strong>de</strong>r Betrachtung nach wie<br />

vor in Europa und in <strong>de</strong>r Welt ein sehr vielfältiges und verwirren<strong>de</strong>s<br />

Bild von Regeln und Ausnahmen, das eine generalisieren<strong>de</strong><br />

Aussage nur schwer ermöglicht. In jüngerer Zeit kann<br />

man sowohl in <strong>de</strong>r faktischen Entwicklung wie in<strong>de</strong>r Gesetzgebung<br />

aber mit gewisser Vorsicht von einem Trend hin zu einer<br />

gewissen Monopolisierung <strong>de</strong>r Rechtsberatung in Anwaltshand<br />

sprechen. Aus rein europarechtlicher Sicht muss schließlich<br />

hervorgehoben wer<strong>de</strong>n, welche Be<strong>de</strong>utung man in Brüssel<br />

<strong>de</strong>m Verbraucherschutz und generell <strong>de</strong>r Aufrechterhaltung eines<br />

hohen Schutzniveaus beimisst. Wenn also in Deutschland<br />

(wie die Abstimmung auf <strong>de</strong>m Deutschen Juristentag <strong>de</strong>utlich<br />

gezeigt hat) nahezu allgemein die anerkannten Schutzgüter <strong>de</strong>s<br />

Rechtsberatungsgesetzes bejaht wer<strong>de</strong>n, so müsste <strong>de</strong>r rechtspolitische<br />

Ruf nicht auf einen Abbau <strong>de</strong>utscher Schutzregelungen<br />

hinzielen, son<strong>de</strong>rn er müsste vergleichbare Regelungen in<br />

an<strong>de</strong>ren europäischen Staaten for<strong>de</strong>rn.<br />

Oft übersehen wird in <strong>de</strong>r internationalen Entwicklung ferner<br />

die Tatsache, dass je<strong>de</strong> rechtsvergleichen<strong>de</strong> Betrachtung über<br />

die konkreten gesetzlichen Regelungen <strong>de</strong>r einzelnen Staaten<br />

hinaus auf eine Bewertung <strong>de</strong>r allgemeinen Beding ungen <strong>de</strong>s<br />

Rechtsberatungsmarktes eines Lan<strong>de</strong>s Rücksicht nehmen muss .<br />

Dies sei an dieser Stelle mit Blick auf die Situation <strong>de</strong>s japanischen<br />

Anwaltsmarktes kurz ange<strong>de</strong>utet. Dort ist <strong>de</strong>r Zugang zur<br />

Rechtsanwaltschaft durch ein außeror<strong>de</strong>ntlich schwieriges und<br />

zahlenmäßig streng limitiertes eigenes Anwaltsexamen in drastischer<br />

Weise beschränkt. Daher ist seit vielen Jahren und bis<br />

heute die Zahl <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft im Verhältnis zur Bevölkerung<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich klein. Darüber hinaus ist aus vielfältigen<br />

Grün<strong>de</strong>n die Nie<strong>de</strong>rlassung japanischer Rechtsanwälte<br />

ganz wesentlich auf die großen Zentren <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s beschränkt.<br />

Dagegen herrscht in weiten Bereichen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s ein gravieren<strong>de</strong>r<br />

Anwaltsmangel. Aus diesem Grun<strong>de</strong> wäre eine Regelung<br />

<strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes wie in Deutschland auf <strong>de</strong>m<br />

Lan<strong>de</strong> praktisch unmöglich und sie wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Zugang weiter<br />

Bevölkerungsbereiche in ländlichen Gegen<strong>de</strong>n zum Recht vollkommen<br />

abschnei<strong>de</strong>n.<br />

Sehr unsicher und im Einzelnen noch ungeklärt ist bis heute<br />

die wichtige Frage, welche Entwicklungsten<strong>de</strong>nzen auf Grund<br />

künftiger Richtlinientätigkeit <strong>de</strong>r Europäischen Union sich in<br />

<strong>de</strong>n nächsten Jahren ergeben. So gibt es seit Frühjahr 2004 <strong>de</strong>n<br />

Entwurf einer Dienstleistungsrichtlinie <strong>de</strong>r Europäischen Union,<br />

<strong>de</strong>r inArt. 16 das Herkunftslandprinzip festschreibt. Zwar<br />

gilt diese Regelung sicherlich nur für außergerichtliche Tätigkeiten.<br />

Im forensischen Bereich wird es auch künftig in <strong>de</strong>r Europäischen<br />

Union eine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip<br />

geben. Dennoch könnte eine solche Regelung zu einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Konsequenzen führen. Wenn diese Dienstleistungsrichtli-


BRAK-Mitt. 6/2004 Aufsätze 249<br />

Kuntze-Kaufhold, Anwaltliche Verhaltenskodizes auf <strong>de</strong>m Weg zur europäischen Advokatur<br />

nie (wie geplant) am 1.1.2010 in Kraft treten sollte, so könnte<br />

bei Geltung <strong>de</strong>s Herkunftslandsprinzips je<strong>de</strong> Person aus <strong>de</strong>n<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, aus Belgien, aus Finnland und aus Schwe<strong>de</strong>n in<br />

Deutschland unbeschränkte Rechtsberatung betreiben. Dass<br />

eine solche Situation langfristig und europaweit zu ernsten<br />

Problemen führen könnte, ist schwerlich zubestreiten. Zu for<strong>de</strong>rn<br />

wäre hier für rechtsberaten<strong>de</strong> Tätigkeit die Geltung <strong>de</strong>s<br />

Rechts <strong>de</strong>s Aufnahmestaates. Ob die für die nahe Zukunft geschil<strong>de</strong>rte<br />

Problematik wirklich real e Gestalt annimmt, kann<br />

freilich noch nicht gesagt wer<strong>de</strong>n. So wird in <strong>de</strong>r Diskussion<br />

verschie<strong>de</strong>ntlich darauf hingewiesen, dass die künftige Dienstleistungsrichtlinie<br />

im Rahmen von Art. 17 für Rechtsanwälte<br />

eine vollständige Bereichsausnahme enthalten wird. Damit<br />

wäre das europarechtliche Problem entschärft. Nur hinzuweisen<br />

ist an dieser Stelle darauf, dass nach gelten<strong>de</strong>m Recht ganz<br />

überwiegend je<strong>de</strong> Dienstleistung rechtsberaten<strong>de</strong>r Art durch<br />

Personen mit Wohnsitz o<strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassung im Ausland <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>utschen Rechtsberatungsrecht unterworfen wird, wenn diese<br />

Dienstleistung als rechtsberaten<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r rechtsbesorgen<strong>de</strong> Tätigkeit<br />

in Deutschland anzusehen ist (OLG Stuttgart, AnwBl. 2002,<br />

368; Rennen-Caliebe, Rechtsberatungsgesetz, Art. 1 § 1 Rdn. 6;<br />

a.A. Kleine-Cosack , Rechtsberatungsgesetz, 2004, S. 75).<br />

V. Rechtsberatung und Rechtsstaat<br />

Die Diskussionen umdie Regelung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes<br />

in Deutschland und Europa kann man unter vielen und sehr<br />

verschie<strong>de</strong>nen Gesichtspunkten würdigen. Rechtspolitisch<br />

kann man <strong>de</strong>n Vorgang als ein beson<strong>de</strong>rs interessantes Gesetzgebungsvorhaben<br />

einstufen. Ökonomisch könnte man die Gesichtspunkte<br />

<strong>de</strong>r Deregulierung und <strong>de</strong>r Distribution von<br />

Marktanteilen in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund stellen. Historisch lässt sich<br />

das Ganze als die Entwicklungsgeschichte von Liberalismus<br />

und Gewerbefreiheit <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts hin zur Verfestigung<br />

<strong>de</strong>s Verbraucherschutzes im 21. Jahrhun<strong>de</strong>rt darstellen. Soziologisch<br />

könnte man von <strong>de</strong>r Analyse eines Gesetzes im Lichte<br />

<strong>de</strong>r gesellschaftlichen Bedürfnisse sprechen. Alle diese Aspekte<br />

enthalten Teilwahrheiten. Als Juristen sind wir gewohnt, Werte<br />

und Positionen gegeneinan<strong>de</strong>r abzuwägen. Unser Grundgesetz<br />

verstehen wir als objektive Wertordnung, die es in a llen Lebensbereichen<br />

zur Geltung zu bringen gilt. Zu <strong>de</strong>n anerkannten<br />

Verfassungsgrundsätzen und damit zu unseren höchsten<br />

Werten zählt auch das Postulat <strong>de</strong>s Rechtsstaates, wie es in<br />

Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG nie<strong>de</strong>rgelegt ist. Wenn es also<br />

richtig ist, dass eine ausgewogene Regelung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes<br />

ebenso be<strong>de</strong>utsam für <strong>de</strong>n Rechtsstaat ist wie<br />

eine funktionsfähige und leistungsstarke Anwaltschaft, dann<br />

schließt sich <strong>de</strong>r Kreis und wir können zu <strong>de</strong>n Anfangsüberlegungen<br />

dieses Referates zurückkehren. Es gilt dann nämlich<br />

mehr <strong>de</strong>nn je <strong>de</strong>r Satz, dass Recht ein hohes Gut ist, das wir<br />

nicht wie je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re Dienstleistungsprodukt <strong>de</strong>m freien Spiel<br />

<strong>de</strong>r Marktkräfte überantworten dürfen. Diese Erkenntnis ist zugleich<br />

eine schwere Verpflichtung. Die Qualität unseres Rechts<br />

und damit unseres Rechtsstaates ist abhängig von <strong>de</strong>r guten<br />

Ausbildung und <strong>de</strong>n guten Leistungen all <strong>de</strong>r Menschen, die in<br />

Legislative, Exekutive und Judikative sowie in <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />

und in <strong>de</strong>n freien Berufen tätig sind. Mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung nach<br />

vernünftiger Regelung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes ist also untrennbar<br />

die Verpflichtung zu guter Ausbildung, stetiger Fortbildung<br />

und stets qualitätsvoller Berufsausübung verbun<strong>de</strong>n.<br />

VI. Schluss<br />

Mein Vortrag sollte <strong>de</strong>r Versuch einer Momentaufnahme unmittelbar<br />

nach <strong>de</strong>r Veröffentlichung <strong>de</strong>s Diskussionsentwurfs eines<br />

RDG und nach <strong>de</strong>r breiten Diskussion auf <strong>de</strong>m 65. Deutschen<br />

Juristentag in Bonn sein. Diese Aufgabe war mir gestellt. Niemand<br />

weiß besser als Sie, wie schnell sich in <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Diskussion und imparlamentarischen Raum die Diskussionsgegenstän<strong>de</strong><br />

verän<strong>de</strong>rn können. Deshalb ist von uns allen<br />

Wachsamkeit in <strong>de</strong>r Sache und Präsenz in <strong>de</strong>r Diskussion gefor<strong>de</strong>rt.<br />

Letztlich geht es um die Sicherung und Bewahrung<br />

eines hohen Qualitätsstandards <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Re chtsanwaltschaft<br />

und darüber hinaus aller <strong>de</strong>utschen Juristen als Grundvoraussetzung<br />

<strong>de</strong>s Rechtsstaates. Daher wäre die völlige o<strong>de</strong>r<br />

weitgehen<strong>de</strong> Deregulierung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes genauso<br />

schädlich wie die Abschaffung <strong>de</strong>r juristischen Staatsexamina<br />

zugunsten von Bachelor- und Master-Studiengängen.<br />

Der Bachelor mit <strong>de</strong>m geplanten sechssemestrigen Studium<br />

soll nämlich erklärtermaßen berufsqualifizierend sein und eine<br />

nichtwissenschaftliche Ausbildung enthalten. Dies wür<strong>de</strong> die<br />

gesamte Grundausbildung von Juristen in Deutschland faktisch<br />

an die Fachhochschulen übertragen. Anschließend sollen nur<br />

ca. 25 % <strong>de</strong>r Bachelor-Absolventen in das Master-Studium<br />

überwechseln dürfen. Die erfolgreichen Master-Absolventen<br />

müssten künftig in speziellen Referendariaten o<strong>de</strong>r berufsorientierten<br />

Praktika an einzelne volljuristische Berufe herangeführt<br />

wer<strong>de</strong>n. Lassen Sie uns gemeinsam eine solche völlige Zerstörung<br />

<strong>de</strong>r einheitlichen und wissenschaftlichen Juristenausbildung<br />

in Deutschland verhin<strong>de</strong>rn.<br />

Ich schließe meinen Festvortrag mit allen guten Wünschen für<br />

die Rechtsanwaltskammer Köln und für ihre Mitglie<strong>de</strong>r. Ich<br />

baue darauf, dass wir alle uns in 25 Jahren zur 150-Jahr-Feier<br />

gesund und munter wie<strong>de</strong>rsehen.<br />

Anwaltliche Verhaltenskodizes auf <strong>de</strong>m Weg zur europäischen Advokatur –<br />

warum sie stärker fixiert wer<strong>de</strong>n sollten<br />

Rechtsanwalt Dr. Gregor Kuntze-Kaufhold, lic. droit, Frankfurt/Main<br />

I. Die Überwindung <strong>de</strong>r Stan<strong>de</strong>srichtlinien durch das Berufsrecht<br />

und das „hired gun“-Risiko<br />

Ausgangsfall: Ein Rechtsreferendar hat eine Antragsschrift zum<br />

Erlass einer einstweiligen Verfügung entworfen. Darin ist vorgesehen,<br />

dass das Gericht aufgrund beson<strong>de</strong>rer Dringlichkeit<br />

gem. § 937 Abs. 2ZPO ohne vorherige Anhörung <strong>de</strong>r Gegenseite<br />

per Beschluss entschei<strong>de</strong>n möge. Der Ausbil<strong>de</strong>r ergänzt<br />

die Antragsschrift um <strong>de</strong>n Zusatz, das Gericht wer<strong>de</strong> gebeten,<br />

Rücksprache mit <strong>de</strong>m Unterzeichner aufzunehmen, falls <strong>de</strong>m<br />

Erlass <strong>de</strong>r einstweiligen Verfügung aus Sicht <strong>de</strong>s Gerichts ein<br />

Hin<strong>de</strong>rnis entgegenstehe. Der Referendar, nach <strong>de</strong>n jüngsten<br />

Reformen <strong>de</strong>r Juristenausbildung für berufsrechtliche Fragen<br />

sensibilisiert, 1 will wissen, ob diese Anregung berufsrechtlich


250 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Kuntze-Kaufhold, Anwaltliche Verhaltenskodizes auf <strong>de</strong>m Weg zur europäischen Advokatur<br />

zulässig sei. Er argwöhnt, sie könne gegen <strong>de</strong>n Grundsatz „et<br />

audiatur altera pars“ verstoßen.<br />

1 Zur anwaltsorientierten Juristenausbildungsreform vgl. Fischer,<br />

AnwBl. 2003, 319; Barton u.a., BRAK-Mitt. 2003, 151.<br />

2 Zur Beachtlichkeit <strong>de</strong>s Grundsatzes <strong>de</strong>r Waffen- und Chancengleichheit<br />

im Zivilverfahren vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar,<br />

2.Aufl. 1996, Art. 6 Rdnr. 91, 100; Feldbrugge, EuGRZ 1988,<br />

18; BVerfG, EuGRZ 1980, 685.<br />

3 Nach BVerfG v. 5.5.1987, NJW 1987, 2500 (zu Art. 13 GG), darf<br />

durch die Nachholung <strong>de</strong>s Gehörs effektiver Grundrechtsschutz<br />

nicht gefähr<strong>de</strong>t sein, Vollkommer in Zöller, ZPO-Kommentar,<br />

23. Aufl., § 937 Rdnr. 2.<br />

4 BVerfG v. 14.7.1987, NJW 1988, 191. In <strong>de</strong>m entschie<strong>de</strong>nen Fall<br />

war eine Rüge wegen angeblicher Verletzung <strong>de</strong>s Sachlichkeitsgebots<br />

erteilt wor<strong>de</strong>n. Das BVerfG vertrat die Auffassung, dass in diesem<br />

Bereich eine beson<strong>de</strong>re Zurückhaltung geboten sei, da Wort<br />

und Schrift die wichtigsten „Berufswaffen“ darstellten.<br />

5 Die BRAO trat als Bun<strong>de</strong>sgesetz am 3.9.1994 in Kraft, die BORA als<br />

Satzungsregelung am 11.3.1997.<br />

6 Feuerich/Braun, Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung, Kommentar, 4. Aufl.<br />

1999, BO §12 Rdnr. 1, sehen hierin eine Grundnorm <strong>de</strong>s Fair play;<br />

Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, Kommentar, 1997,<br />

BORA §12 Rdnr. 1, einen Grundpfeiler anwaltlicher Berufsausübung.<br />

Nach<strong>de</strong>m er seine erste Verblüffung überwun<strong>de</strong>n hat, antwortet<br />

<strong>de</strong>r Ausbil<strong>de</strong>r, dass es Sache <strong>de</strong>s Gerichts sei, die Verfahrensgrundsätze<br />

zu beachten, bem erkt allerdings, dass diese Argumentation<br />

nicht tragfähig ist, weil sich ein Aufruf eines Prozessbevollmächtigten<br />

zu Verfahrensverstößen durch das Gericht,<br />

wären sie offensichtlich, nicht rechtfertigen ließe. 2 Er beginnt<br />

nach einer Begründung zu suchen, weshalb die Anregung<br />

an das Gericht keinen Verfahrensgrundsatz verletzt. Seinen<br />

zweiten Reflex, das habe er „schon immer so gemacht“,<br />

unterdrückend, erläutert er, dass die Vorschrift <strong>de</strong>s § 937 Abs. 2<br />

ZPO javorsehe, dass eine Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren<br />

ohne vorherige Anhörung <strong>de</strong>r Gegenseite erfolgen<br />

könne. Es han<strong>de</strong>le sich um einen Ausnahmefall zu <strong>de</strong>r<br />

Regel, wonach rechtliches G ehör im Vorhinein zu gewähr en<br />

sei. Da das rechtliche Gehör in einem solchen Ausnahmefall<br />

nachgeholt wer<strong>de</strong>n dürfe, 3 spreche auch nichts dagegen, ein<br />

Rechtsgespräch mit <strong>de</strong>m Gericht zu führen, um einen Eilantrag<br />

einzuschränken o<strong>de</strong>r zu präzisieren und das Gericht so zu bewegen,<br />

eine begehrte einstweilige Verfügung anzuordnen. Der<br />

Antragsgegner sei in einem solchen Fall ausreichend durch<br />

§945 ZPO geschützt. Denn wer<strong>de</strong> die einstweilige Verfügung<br />

im Hauptsacheverfahren wie<strong>de</strong>r aufgehoben, habe <strong>de</strong>r Antragsteller<br />

bekanntlich einen Erstattungsanspruch. Allerdings räumt<br />

<strong>de</strong>r Ausbil<strong>de</strong>r ein, dass <strong>de</strong>r Antragsgegner in diesem Fall das<br />

Solvenzrisiko trägt. Der Referendar, <strong>de</strong>r sich an <strong>de</strong>n Vorrang<br />

<strong>de</strong>s Primär- vor <strong>de</strong>m Sekundärrechtsschutz erinnert, fragt, von<br />

<strong>de</strong>n Argumenten <strong>de</strong>s Ausbil<strong>de</strong>rs noch nicht überzeugt, ob es<br />

keine Stan<strong>de</strong>sregel zur Kontaktaufnahme mit <strong>de</strong>n Gerichten gebe.<br />

Dies gibt <strong>de</strong>m Ausbil<strong>de</strong>r Anlass zu erklären, dass das Stan<strong>de</strong>srecht<br />

durch die Rspr. <strong>de</strong>s BVerfG abgeschafft wor<strong>de</strong>n sei.<br />

Die bis 1987 angewandten, bis ins Einzelne gehen<strong>de</strong>n Stan<strong>de</strong>srichtlinien<br />

seien für ungültig erklärt wor<strong>de</strong>n, da es <strong>de</strong>m Sa t-<br />

zungsgeber an <strong>de</strong>r notwendigen Ermächtigung für die Einschränkung<br />

<strong>de</strong>r Berufsausübungsfreiheit gefehlt habe. 4 Maßgeblich<br />

sei <strong>de</strong>r Wesentlichkeitsgrundsatz, wonach alle einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Regelungen, <strong>de</strong>n Berufszugang und die Berufsausübung<br />

betreffend, im Wege förmlicher Gesetze erfolgen<br />

müssten. Das nunmehr in Berufsrecht 5 umfunktionierte Stan<strong>de</strong>srecht<br />

sehe nur noch in einigen zentralen Bereichen konkrete<br />

Berufsausübungspflichten vor, beispielsweise als Verbot, <strong>de</strong>n<br />

Gegenanwalt durch direkte Kontaktaufnahme mit <strong>de</strong>ssen Mandanten<br />

zu umgehen. 6 Eine allgemeine Pflicht zur Kollegialität<br />

gebe es dagegen nicht mehr, da diese lediglich mit Stan<strong>de</strong>sinteressen<br />

gerechtfertigt wer<strong>de</strong>n könne, nicht aber mit <strong>de</strong>n Interessen<br />

<strong>de</strong>s Mandanten o<strong>de</strong>r Gemeinwohlinteressen.<br />

Der Referendar fin<strong>de</strong>t die Ausführungen <strong>de</strong>s Ausbil<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r<br />

Kommentarliteratur und in <strong>de</strong>r Rspr. nur teilweise bestätigt. Er<br />

liest, dass durch die BRAO und die BORA mit Bedacht kein<br />

edukatorischer Leitfa<strong>de</strong>n aufgestellt wer<strong>de</strong>n sollte. 7 An<strong>de</strong>rerseits<br />

stellt er fest, dass über die Generalklausel <strong>de</strong>s § 43 BRAO<br />

berufliche Pflichten statuiert wer<strong>de</strong>n können, die nirgends festgeschrieben<br />

sind, zumin<strong>de</strong>st wenn man einem Teil <strong>de</strong>r Literatur<br />

folgt. 8 Eine Antwort darauf, wie sein Fall zu entschei<strong>de</strong>n ist, hat<br />

er damit nicht. Denn offensichtlich ist nicht alles er laubt, was<br />

nicht positiv verboten ist. Die Tatsache etwa, dass eine Regel<br />

keinen Bestand mehr hat, nach <strong>de</strong>r es stan<strong>de</strong>swidrig ist, Telefonate<br />

heimlich von einem Dritten mithören zu lassen, 9 be<strong>de</strong>utet<br />

nicht, dass ein solches Mithören unproblematisch wäre. Dem<br />

stimmt <strong>de</strong>r Ausbil<strong>de</strong>r, erneut auf <strong>de</strong>n Fall angesprochen, zu. Allerdings<br />

meint er, dass zwei Dinge zu berücksichtigen seien:<br />

Der Grundsatz <strong>de</strong>r restriktiven Auslegung von Einschränkungen<br />

<strong>de</strong>r Berufsfreiheit einerseits und die Tatsache, dass eine Güterabwägung<br />

in je<strong>de</strong>m Einzelfall stattfin<strong>de</strong>n müsse, um eine berufliche<br />

Handlungs- o<strong>de</strong>r Unterlassungspflicht zu statuieren, an<strong>de</strong>rerseits.<br />

Berücksichtige man diese Punkte, sei aus praktischen<br />

Grün<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Zulässigkeit einer Anregung an das Gericht<br />

nicht zu rütteln. Denn zumin<strong>de</strong>st ein vorwerfbarer Verstoß<br />

sei nicht zu erkennen. Es liege in <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>s Richters,<br />

ob die Anregung aufgegriffen wer<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r nicht – schließlich<br />

komme auch <strong>de</strong>r umgekehrte Fall, die einseitige Kontaktaufnahme<br />

durch ein Gericht, nicht selten vor. Der Referendar –<br />

zugegebenermaßen ein I<strong>de</strong>albild – zweifelt immer noch. Sein<br />

Rechtsgefühl sage ihm, fährt er fort, dass <strong>de</strong>r Prozessgegner an<br />

<strong>de</strong>m Zustan<strong>de</strong>kommen einer fairen Entscheidung zweifeln könne,<br />

wenn er davon ausgehen müsse, dass einseitige Kontakte<br />

zwischen Gericht und Antragsteller stattgefun<strong>de</strong>n hätten, ohne<br />

dass er, <strong>de</strong>r Antragsgegner, die Möglichkeit hatte, sich Gehör<br />

zu verschaffen. Der RA laufe Gefahr, nicht mehr als gleichberechtigtes<br />

Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege 10 wahrgenommen zu wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn er nicht auch die Interessen <strong>de</strong>s Prozessgegners auf<br />

Chancengleichheit im Auge habe. Der Ausbil<strong>de</strong>r gibt zu, es<br />

könne die Gefahr bestehen, dass <strong>de</strong>r RA aufgrund <strong>de</strong>s Wegfalls<br />

<strong>de</strong>r Stan<strong>de</strong>srichtlinien zur „hired-gun“ seines Mandanten wer<strong>de</strong>.<br />

Es gebe tatsächlich <strong>de</strong>n einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Kollegen, <strong>de</strong>r<br />

sich vor <strong>de</strong>n Karren spannen ließe, ohne die Rechtslage vorher<br />

analysiert und seinem Mandanten vor Augen geführt zu haben.<br />

Dies än<strong>de</strong>re aber nichts daran, dass in einem echten Konfliktfall<br />

das Gebot einseitiger Interessenwahrnehmung Vorrang verdiene.<br />

Diese Auffassung habe sich zu Recht durchgesetzt. Als<br />

Beispiel führt er <strong>de</strong>n Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils<br />

an, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>n Stan<strong>de</strong>srichtlinien nur unter engen Voraussetzungen<br />

habe gestellt wer<strong>de</strong>n dürfen. 11 Diese Regel sei als verfassungswidrige<br />

Berufsausübungsbeschränkung erkannt und<br />

7 Eylmann in Henssler/Prütting, § 43 Rdnr. 6: Bloße Transformationsund<br />

Abschichtungsfunktion <strong>de</strong>r Generalklausel.<br />

8 Dittmann in Henssler/Prütting, § 113 Rdnr. 11, Kleine-Cosack, NJW<br />

1997, 1257; a.A. Eylmann ,a.a.O. (Fn. 7), §43 Rdnr. 17; Feuerich/<br />

Braun , § 43 Rdnr. 3.<br />

9 § 7 <strong>de</strong>r vormaligen Stan<strong>de</strong>srichtlinien: „Es ist stan<strong>de</strong>swidrig, unbefugt<br />

von Unterredungen eine <strong>de</strong>m Gesprächspartner verborgene<br />

Tonträgeraufnahme herzustellen (vgl. §201 StGB) o<strong>de</strong>r Unterredungen<br />

heimlich von einem Dritten mithören zu lassen. Das gilt auch<br />

für Telefongespräche.“<br />

10 §9 Abs. 1 <strong>de</strong>r vormaligen Stan<strong>de</strong>srichtlinien: „Das Verhalten <strong>de</strong>s<br />

Rechtsanwalts gegenüber Gerichten hat seiner Stellung eines gleichberechtigten<br />

Organs <strong>de</strong>r Rechtspflege zu entsprechen.“<br />

11 Nach §23 <strong>de</strong>r Stan<strong>de</strong>srichtlinien durfte kein Versäumnisurteil beantragt<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn dies nicht zuvor angedroht wor<strong>de</strong>n war o<strong>de</strong>r<br />

wenn ein Kollege aus einem an<strong>de</strong>ren Landgerichtsbezirk sein Erscheinen<br />

angekündigt hatte.


BRAK-Mitt. 6/2004 Aufsätze 251<br />

Kuntze-Kaufhold, Anwaltliche Verhaltenskodizes auf <strong>de</strong>m Weg zur europäischen Advokatur<br />

damit für ungültig erklärt wor<strong>de</strong>n. 12 Er wird sich seiner Sache<br />

nun sicherer. Bis <strong>de</strong>r Referendar, <strong>de</strong>r weiter geforscht hat, auf<br />

die abweichen<strong>de</strong> Regelung zur Kontaktaufnahme mit <strong>de</strong>n Gerichten<br />

in <strong>de</strong>n CCBE-Berufsregeln hinweist.<br />

II. CCBE-Berufsregeln und Notwendigkeit anwaltlicher Verhaltenskodizes<br />

Der Rat <strong>de</strong>r Anwaltschaften <strong>de</strong>r europäischen Union (Conseil<br />

<strong>de</strong>s Barreaux <strong>de</strong> l’Union européenne) hat am 28.10.1988<br />

„Stan<strong>de</strong>sregeln <strong>de</strong>r Rechtsanwälte <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaft“<br />

verabschie<strong>de</strong>t, 13 die, inzwischen überarbeitet, als „Berufsregeln<br />

<strong>de</strong>r RAe <strong>de</strong>r Europäischen Union“ weiter gelten. 14<br />

Vorrangiges Motiv für die CCBE-Berufsregeln war es nicht, die<br />

Berufs- und Stan<strong>de</strong>srechte <strong>de</strong>r RAe in <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten zu<br />

harmonisieren – hierzu galten die Unterschie<strong>de</strong> als zu groß. 15<br />

Vielmehr ging es um die Beseitigung wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong>r Verhaltensanfor<strong>de</strong>rungen<br />

im Falle <strong>de</strong>r Wahrnehmung grenzüberschreiten<strong>de</strong>r<br />

Mandate, etwa bei <strong>de</strong>r Behandlung vertraulicher<br />

Korrespon<strong>de</strong>nz. 16 Über das Bemühen um eine reibungslose<br />

Abwicklung grenzüberschreiten<strong>de</strong>r Mandate hinaus sind die<br />

CCBE-Berufsregeln geprägt von Leitvorstellungen, die gemeinsame<br />

Grundüberzeugungen <strong>de</strong>r europäischen Anwaltschaften<br />

wi<strong>de</strong>rspiegeln. 17 Diese Grundüberzeugungen gehen über das<br />

hinaus, was durch BRAO o<strong>de</strong>r BORA vorgegeben ist, heißt es<br />

doch beispielsweise in Art. 1.1. <strong>de</strong>r CCBE-Berufsregeln, dass<br />

<strong>de</strong>r RA sich Pflichten <strong>de</strong>m Mandanten, Gerichten und Behör<strong>de</strong>n,<br />

seinem Berufsstand und <strong>de</strong>r Gesellschaft gegenüber sieht.<br />

Demnach kennt das CCBE-Regelwerk unter an<strong>de</strong>rem, wie das<br />

frühere <strong>de</strong>utsche Stan<strong>de</strong>srecht, eine echte Pflicht zur Kollegialität.<br />

Wer eine solche Pflicht nach <strong>de</strong>utschem Berufsrecht verneint,<br />

sieht sich <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>m Einwand ausgesetzt, dass sie eine<br />

gemeinsame Grundüberzeugung <strong>de</strong>r europäischen Anwaltschaften<br />

darstellt. Allerdings nur, solange die Kollegialität nicht<br />

<strong>de</strong>m Schutz bloßer Stan<strong>de</strong>sinteressen dient und <strong>de</strong>n Mandanteninteressen<br />

zuwi<strong>de</strong>rläuft. 18<br />

Zur Entscheidung <strong>de</strong>s Ausgangsfalls halten die CCBE-Berufsregeln<br />

Kriterien bereit. In Bezug auf das Verhalten gegenüber Gerichten<br />

stellt Art. 4.2. <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Chancengleichheit im<br />

Prozess auf und bestimmt in Satz 2: „Der RA hat je<strong>de</strong>rzeit auf<br />

eine faire Verfahrensführung zu achten. Er darf unter an<strong>de</strong>rem<br />

mit einem Richter in einer Rechtssache keine Ve rbindung aufnehmen,<br />

außer er informiert zuvor <strong>de</strong>n Gegenanwalt.“ Legt<br />

man diesen Maßstab an <strong>de</strong>n Ausgangsfall an, ist ein Verstoß zu<br />

bejahen: Darf ein RAkeinen einseitigen und vom Gegner unbemerkten<br />

Kontakt zum Gericht aufnehmen, so darf er eine<br />

solche berufsrechtswidrige Kontaktaufnahme durch das Gericht<br />

auch nicht anregen.<br />

Der Wi<strong>de</strong>rspruch zur Rechtsauffassung <strong>de</strong>s Ausbil<strong>de</strong>rs lässt sich<br />

auch nicht dadurch überwin<strong>de</strong>n, dass gesagt wird, die CCBE-<br />

Berufsregeln fän<strong>de</strong>n nur im internationalen Verkehr Anwendung.<br />

19 Soweit es sich um Grundüberzeugungen han<strong>de</strong>lt, machen<br />

diese nicht an <strong>de</strong>r Grenze Halt. Dass es sich bei Art. 4.2.<br />

um eine solche Grundregel han<strong>de</strong>lt, behauptet je<strong>de</strong>nfalls die<br />

Kommentarliteratur: „Die Ausführungen in Satz 2 geben eine<br />

12 BVerfG, NJW 2000, 347.<br />

13 NJW 1990, Heft 15, X; AnwBl. 1989, 647, und BRAK-Mitt. 1989,<br />

Beiheft.<br />

14 BRAK-Mitt. 2001, 177 ff.<br />

15 Vgl. dazu etwa Kespohl-Willemer, EuZW 1990, 88.<br />

16 Art. 5.3 <strong>de</strong>r CCBE-Berufsregeln.<br />

17 So ausdrücklich in Art. 1.2.2. Satz 4<strong>de</strong>r CCBE-Berufsregeln.<br />

18 Art. 5.1.1. <strong>de</strong>r CCBE-Berufsregeln: „Kollegialität darf jedoch unter<br />

keinen Umstän<strong>de</strong>n dazu führen, die Interessen <strong>de</strong>r Anwälte <strong>de</strong>nen<br />

<strong>de</strong>s Mandanten entgegenzustellen.“<br />

Selbstverständlichkeit wie<strong>de</strong>r, die sich aus <strong>de</strong>m Grundsatz <strong>de</strong>r<br />

fairen Verfahrensführung ergibt. Der <strong>de</strong>utsche Satzungsgeber<br />

hat bewusst eine Aufnahme von Selbstverständlichkeiten in die<br />

Berufsordnung vermie<strong>de</strong>n.“ 20<br />

Hat <strong>de</strong>r Ausbil<strong>de</strong>r also unrecht? Ist die – wir unterstellen: in<br />

Deutschland weithin geübte 21 – Praxis einseitiger Kontaktaufnahme<br />

<strong>de</strong>r RAe zu <strong>de</strong>n Gerichten und umgekehrt berufsrechtswidrig?<br />

Nicht unbedingt! Grundüberzeugungen sind bei weitem<br />

nicht so selbstverständlich, wie es scheint, je<strong>de</strong>nfalls solange<br />

sie nicht explizit gemacht wor<strong>de</strong>n sind; zumal sie, wie je<strong>de</strong><br />

soziale Errungenschaft, Entwicklungen unterliegen. Allerdings<br />

spricht etwas dafür, dass durch die CCBE-Berufsregeln, solange<br />

sie einen ungeteilten Konsens beanspruchen, die Darlegungslast<br />

verschoben wer<strong>de</strong>n könnte. Für <strong>de</strong>n Ausbil<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utete<br />

dies ein nicht unerhebliches Risiko: Gelingt ihm nicht <strong>de</strong>r<br />

Nachweis, dass seine Vorgehensweise einer gefestigten und gebilligten<br />

Rechtspraxis entspricht, könnte ein berufsrechtlicher<br />

Verstoß zu bejahen sein. Neben <strong>de</strong>n berufsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten<br />

stellt sich die Frage einer Haftung gegenüber<br />

Dritten, im Ausgangsfall also gegenüber <strong>de</strong>m Antragsgegner.<br />

Ein eventueller Verfahrensverstoß <strong>de</strong>s Gerichts wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n RA<br />

je<strong>de</strong>nfalls nicht zwangsläufig von einer etwaigen Haftung befreien.<br />

22<br />

Das Ergebnis im Ausgangsfall ist unbefriedigend. Selbst wenn<br />

man unterstellt, dass die Praxis <strong>de</strong>r Rechtsberatung in Deutschland<br />

kein Verbot <strong>de</strong>r einseitigen Kontaktaufnahme zu <strong>de</strong>n Gerichten<br />

kennt – auch nicht in <strong>de</strong>r Nuancierung einer anschließen<strong>de</strong>n<br />

Benachrichtigung <strong>de</strong>r Gegenseite –, heißt dies nicht,<br />

dass die Vorgehensweise <strong>de</strong>s Ausbil<strong>de</strong>rs im Ausgangsfall auf<br />

überwiegen<strong>de</strong> Zustimmung unter Praktikern stieße. Fehlt es daran,<br />

begibt sich <strong>de</strong>r RA in berufsrechtlich und haftungsrechtlich<br />

gefährliches Fahrwasser. Es gibt zahlreiche weitere Stromschnellen:<br />

Über <strong>de</strong>n Ausgangsfall hinaus könnten Referendarsfragen<br />

etwa auf <strong>de</strong>n Umgang mit Zeugen, auf die Sachverhaltsaufklärung<br />

o<strong>de</strong>r -ermittlung sowie auf das Verhalten bei erkannten<br />

o<strong>de</strong>r vermeintlichen Berufsrechtsverstößen abzielen.<br />

Für eine Befreiung aus <strong>de</strong>m Dilemma zwischen verbotener,<br />

<strong>de</strong>n Mandanteninteressen zuwi<strong>de</strong>rlaufen<strong>de</strong>r Rücksichtnahme<br />

und ebenso verbotener Unterschreitung eines nirgends festgeschriebenen<br />

Min<strong>de</strong>ststandards bieten in diesem und auch in<br />

an<strong>de</strong>ren Bereichen we<strong>de</strong>r BRAO noch BORA griffige Anhaltspunkte.<br />

Gespeist aus einem liberalen Grundrechtsverständnis,<br />

regelt die BORA zwar periphere Fragen <strong>de</strong>r Rechtsanwendung,<br />

wie beispielsweise die Verwendung <strong>de</strong>r Berufstracht. 23 Zu Fragen<br />

nach <strong>de</strong>r Ausfüllung von Verfahrensgarantien lässt sie jedoch<br />

allzu häufig ein<strong>de</strong>utige Stellungnahmen vermissen. Die<br />

19 Die Umsetzung <strong>de</strong>r CCBE-Berufsregeln in nationales Recht ist in<br />

Deutschland durch §29 BORA bewirkt wor<strong>de</strong>n. Danach sind die<br />

Regelungen <strong>de</strong>r CCBE lediglich im grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Rechtsverkehr<br />

anwendbar. Für eine mögliche Anwendung auf nationale<br />

Fälle Ahlers, Anwalt 2004, 6, 7.<br />

20 Lörcher in Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, München<br />

1997, CCBE, Art. 4.2., Rdnr. 1. In Frankreich ist dieser Grundsatz als<br />

„respect du contradictoire“ anerkannt, vgl. Woog, Pratique professionnelle<br />

<strong>de</strong> l’Avocat, Paris 1987, 657.<br />

21 Eine systematische Befragung zu diesem Thema ist <strong>de</strong>m Autor nicht<br />

bekannt. Auf Nachfrage konnten allerdings we<strong>de</strong>r die RAK Frankfurt<br />

am Main noch die BRAK bestätigen, dass es bereits einmal zu einem<br />

Rügeverfahren aufgrund einseitiger Kontaktaufnahme zu <strong>de</strong>n Gerichten<br />

gekommen wäre.<br />

22 Gegebenenfalls kann auch eine kumulative Haftung vorliegen. Zur<br />

Möglichkeit <strong>de</strong>r Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen<br />

Mitgliedsstaaten gem. Art. 226 EGV wegen Aufrechterhaltung einer<br />

EG-rechtswidrigen nationalen Rechtspraxis Breuer, EuZW 2004,<br />

199.<br />

23 §20 BORA: „Der RA trägt vor Gericht als Berufstracht die Robe, soweit<br />

das üblich ist“. Dies ist <strong>de</strong>r einzige Hinweis in <strong>de</strong>r BORA auf<br />

die Maßgeblichkeit einer Verfahrensübung.


252 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Kuntze-Kaufhold, Anwaltliche Verhaltenskodizes auf <strong>de</strong>m Weg zur europäischen Advokatur<br />

Zurückhaltung <strong>de</strong>s Satzungsrechts angesichts <strong>de</strong>s verfassungsgerichtlichen<br />

iudicando in dubio pro libertate löst einen Kreislauf<br />

zweier entgegengesetzt verlaufen<strong>de</strong>r Rechtfertigungszwänge<br />

aus, in <strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r RA an <strong>de</strong>m Min<strong>de</strong>stmaß <strong>de</strong>s noch Vertretbaren<br />

zu orientieren hat. Es droht die Kopie schlechter Vorbil<strong>de</strong>r<br />

und damit ein race to the bottom .<br />

Verhaltenskodizes können <strong>de</strong>mgegenüber Grenzen <strong>de</strong>s für vertretbar<br />

Gehaltenen aufzeigen. Dies ist angesichts <strong>de</strong>r Zunahme<br />

<strong>de</strong>r grenzüberschreiten<strong>de</strong>n rechtsanwaltlichen Tätigkeit auch<br />

aus Orientierungsgrün<strong>de</strong>n hilfreich. „Grenzüberschreitend“ ist<br />

hierbei relativ zu verstehen: Die Verfahrenspraxis kann bekanntlich<br />

von einem Gerichtsbezirk zum an<strong>de</strong>ren schon sehr<br />

unterschiedlich sein. Durch die Aufhebung <strong>de</strong>r Singularzulassung<br />

an <strong>de</strong>n LG etwa nimmt die Vertrautheit mit <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Gerichtspraxis ten<strong>de</strong>nziell ab. Erst recht gilt das für die grenzüberschreiten<strong>de</strong><br />

Tätigkeit in <strong>de</strong>r Europäischen Union. In diesem<br />

Lichte betrachtet ist die Fixierung beruflicher Verhaltensregeln<br />

ein wichtiger Anhaltspunkt für <strong>de</strong>n kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner einerseits und, soweit nationale o<strong>de</strong>r regionale<br />

Berufsregeln betroffen sind, für die je anerkannte Ausübung <strong>de</strong>r<br />

gesetzlichen Verfahrensregeln an<strong>de</strong>rerseits. Gegen die Verhaltenskodizes<br />

spräche esallerdings, wenn sie weniger Ausdruck<br />

<strong>de</strong>r reichhaltigen europäischen Rechtskulturen als vielmehr<br />

wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong> Abre<strong>de</strong>n wären, die <strong>de</strong>m freien<br />

Dienstleistungsverkehr o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>r Berufsausübung<br />

Abbruch tun.<br />

III. Der Rechtfertigungszwang für Beschränkungen <strong>de</strong>r<br />

Dienstleistungs- und Berufsausübungsfreiheit<br />

Das Berufsrecht einschließlich <strong>de</strong>r berufsrechtlichen Organisation<br />

<strong>de</strong>r europäischen RAe wird seit einiger Zeit durch die europäische<br />

Kommission, die europäische und die nationale Rspr.<br />

sowie <strong>de</strong>n Gesetzgeber auf <strong>de</strong>n Prüfstand gestellt. Anlass hierfür<br />

ist die dienstleistungs- und wettbewerbsrechtliche Dimension<br />

<strong>de</strong>r Rechtsberatung. Jedwe<strong>de</strong> Regelung stehe auf <strong>de</strong>m Prüfstand,<br />

heißt esimmer wie<strong>de</strong>r. In Deutschland steht zusätz lich<br />

das Rechtsberatungsmonopol unter Druck. Im Zuge <strong>de</strong>r Reform<br />

<strong>de</strong>s Rechtsberatungsgesetzes noch in dieser Legislaturperio<strong>de</strong><br />

wird trotz teils heftigem Wi<strong>de</strong>rstand eine Liberalisierung <strong>de</strong>s<br />

Zugangs zum Rechtsberatungsmarkt erwartet. 24<br />

Die Position <strong>de</strong>r Anwaltschaft zu <strong>de</strong>n anstehen<strong>de</strong>n Reformen<br />

ist ambivalent, die Bereitschaft dafür, die rechtsanwaltliche Tätigkeit<br />

sonstigen Dienstleistungen anzunähern, unterschiedlich<br />

ausgeprägt. 25 Ten<strong>de</strong>nziell ist die Debatte auf <strong>de</strong>n Abbau 26 <strong>de</strong>s<br />

Rechtsberatungsmonopols o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>ssen Verteidigung 27 bezogen.<br />

Dies ist angesichts <strong>de</strong>s oben Ausgeführten nicht ausreichend,<br />

befin<strong>de</strong>t sich das Verständnis für eine europäische Advokatur<br />

doch bereits im Wer<strong>de</strong>n, beför<strong>de</strong>rt von <strong>de</strong>r Entwicklung<br />

zur Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit <strong>de</strong>r RAe in <strong>de</strong>r Europäischen<br />

Union wie eben auch nicht zuletzt durch die CCBE-Berufsregeln.<br />

Einen Kernbereich berufsständischer Regelungen auszubil<strong>de</strong>n,<br />

wäre <strong>de</strong>shalb ein nahe liegen<strong>de</strong>s Ziel. Dieser Kernbestand<br />

hätte einerseits so fassbar, an<strong>de</strong>rerseits so grundlegend zu<br />

sein, dass in ihm gleichzeitig die wesentlichen praktischen Arbeitsverständnisse<br />

<strong>de</strong>r Anwaltschaft und ihr rechtspflegerisches<br />

Selbst- und Leitbild zum Ausdruck kommen. Die Auffassung<br />

24 Vgl. Dombek, BRAK-Mitt. 3/2004, Editorial; Koch/Hamacher,<br />

AnwBl. 2004, 385.<br />

25 Vgl. einerseits Weil, Anwalt 2004, 8, an<strong>de</strong>rerseits Römermann , Anwalt<br />

2004, 10.<br />

26 Etwa BVerfG v.29.10.1997, NJW 1998, 3481; jüngst die Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s BVerfG v. 29.7.2004 – 1 BvR 737/00 zum Merkmal <strong>de</strong>r<br />

Geschäftsmäßigkeit.<br />

27 Etwa Hellwig, BRAK-Mitt. 2004, 19; Weil, BRAKMagazin 3/2003, 4.<br />

<strong>de</strong>r Europäischen Kommission stün<strong>de</strong> einer solchen beruflichen<br />

Selbstbeschreibung <strong>de</strong>r RAe nicht entgegen. 28 Auch wenn<br />

die Akzente an<strong>de</strong>rs gesetzt wer<strong>de</strong>n, besteht Übereinstimmung<br />

darin, dass die rechtsanwaltliche Tätigkeit keine Dienstleistung<br />

wie je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re ist. Neben <strong>de</strong>n Pfeilern Unabhängigkeit und<br />

Parteilichkeit gilt es, die Fairness zu betonen. Sie ist eine Verfahrensmaxime,<br />

die RAe ebenso zu überwachen wie selbst einzuhalten<br />

haben. Zum einen soll <strong>de</strong>r RA als Fürsprecher und Experte<br />

im Umgang mit Rechtsregeln die Interessen <strong>de</strong>s Vertretenen<br />

so wahrnehmen, dass dieser nicht übervorteilt wird.<br />

Gleichzeitig ist <strong>de</strong>r Rechtsberater Teilhaber <strong>de</strong>s Systems <strong>de</strong>r<br />

Rechtsregeln und als solcher unabhängiger Dritter. Grundlegend<br />

ist <strong>de</strong>shalb die Verbindung <strong>de</strong>s gemeinwohlbezogenen<br />

Rechts mit <strong>de</strong>m jeweiligen Partikularinteresse <strong>de</strong>s Mandanten.<br />

Dies kann <strong>de</strong>r Rechtsberater nur tun, wenn er in bei<strong>de</strong>n Eigenschaften,<br />

als Interessensvertreter und als Regelvertreter, <strong>de</strong>m<br />

Mandanten unabhängig, in <strong>de</strong>r Funktion eines Organs <strong>de</strong>r<br />

Rechtspflege, gegenübersteht. Rechtsberatung hat <strong>de</strong>shalb dort<br />

ihre Grenze, wo sie in <strong>de</strong>r partikularen Interessenwahrnehmung<br />

aufgeht: Ein Rechtsberater, <strong>de</strong>r sich mit <strong>de</strong>m Interesse eines<br />

Mandanten schlicht gemein macht, verletzt eine Grundregel<br />

<strong>de</strong>r Profession. Die Einhaltung <strong>de</strong>r Grenzen ist in hohem<br />

Maße gewöhnungs- und einübungsbedürftig und macht die<br />

Rechtsberatung zur professionalisierungsbedürftigen Tätigkeit.<br />

Der sachliche Grund für die notwendige Unabhängigkeit <strong>de</strong>s<br />

Rechtsberaters ist <strong>de</strong>shalb nicht diese anund für sich genommen,<br />

son<strong>de</strong>rn die Glaubwürdigkeit im Austarieren <strong>de</strong>r Gemeinwohl-<br />

mit <strong>de</strong>n Partikularinteressen. Daher sind die Grundsätze<br />

<strong>de</strong>s rechtlichen Gehörs und <strong>de</strong>s fairen Verfahrens gera<strong>de</strong> auch<br />

in Bezug auf ein Gegenüber einzuhalten – insofern ist <strong>de</strong>r<br />

Rechtsberater von jeher Mahner, Begrenzer, Rufer zur Ordnung.<br />

An<strong>de</strong>rs ließe sich etwa die Pflicht zum vollständigen<br />

Sachvortrag nicht erklären.<br />

Einer Stan<strong>de</strong>sregel, die zur Beschränkung <strong>de</strong>r Dienstleistungsund<br />

Berufsausübungsfreiheit führt, wird die Gültigkeit nicht abgesprochen<br />

wer<strong>de</strong>n können, wenn sie sich aus dieser Sachlogik<br />

ergibt. Nichts einzuwen<strong>de</strong>n ist dagegen, dass <strong>de</strong>r Zusammenhang<br />

zwischen Beschränkung und Sachlogik untersucht wird.<br />

Umso wichtiger erscheint es aber, diesen Zusammenhang<br />

transparent zu machen.<br />

Zu befürchten ist <strong>de</strong>shalb, dass die Unentschlossenheit <strong>de</strong>r<br />

BORA hinsichtlich <strong>de</strong>r tragen<strong>de</strong>n Rolle <strong>de</strong>s RA, was die parteiliche<br />

und faire Interessenwahrnehmung anbelangt, auf <strong>de</strong>n unbefangenen<br />

Leser wie eine Abdankung wirkt. Verkämen die<br />

Grundpflichten zu Floskeln, drohte aber nicht nur ein Absinken<br />

<strong>de</strong>s Bewusstseins innerhalb <strong>de</strong>r Profession, dass die Wahrnehmung<br />

<strong>de</strong>r anvertrauten Fremdinteressen nur um <strong>de</strong>n Preis einer<br />

strikten Einhaltung <strong>de</strong>r Grenzen von Parteilichkeit und Fairness<br />

erfolgen darf. Darüber hinaus schwän<strong>de</strong> tatsächlich die Grenze<br />

zwischen freiem Beruf und Dienstleistungsgewerbe. Die Berufsregeln<br />

gewönnen <strong>de</strong>n Charakter Allgemeiner Geschäftsbedingungen.<br />

29 Zwar ist die Nähe zu typischen wettbewerbsrechtlichen<br />

und dienstleistungsrechtlichen Tätigkeiten in bestimmten<br />

Bereichen (wie etwa <strong>de</strong>r Zulässigkeit von interprofessionellen<br />

Sozietäten 30 o<strong>de</strong>r für Fragen <strong>de</strong>r Gebührenordnung 31 )<br />

größer. Außerhalb <strong>de</strong>s Streits sollte aber stehen, dass Verhaltenskodizes<br />

eine wichtige Hilfestellung sein können, um <strong>de</strong>n<br />

28 Vgl. Art. 39 <strong>de</strong>s Entwurfs zu einer Richtlinie über Dienstleistungen<br />

im Binnenmarkt, www.anwaltverein.<strong>de</strong>/-01/<strong>de</strong>pesche/texte04/rilinie.<br />

pdf; Schriever, AnwBl. 2004, 161; Schaub, AnwBl. 2004, 263, 265.<br />

29 In diese Richtung gehen Befürchtungen in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit, nach<br />

<strong>de</strong>nen die Satzungsgewalt eine gera<strong>de</strong>zu typische Gefahr zur Benachteiligung<br />

<strong>de</strong>r Mandanten sein soll, vgl. Jaeger, NJW 2004,<br />

1492, 1495.<br />

30 Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481, 1486 f.<br />

31 Lörcher,NJW 2002, 1092.


BRAK-Mitt. 6/2004 Aufsätze 253<br />

Schöttle, Anwaltliche Internet-Rechtsberatung und das Teledienstedatensc hutzgesetz<br />

Pfeilern <strong>de</strong>r freien Advokatur Kontur zu verleihen. Ein solche<br />

Konturierung durch da s Fixieren und Fortschreiben bestehen<strong>de</strong>r<br />

Verhaltenskodizes trägt zum Selbstbild wie auch zum Bild <strong>de</strong>r<br />

Profession in <strong>de</strong>r Gesellschaft bei.<br />

Die Entwicklung <strong>de</strong>s eur opäischen Wettbewerbs- und Dienstleistungsrechts<br />

sowie die Novellierung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsgesetzes<br />

sollten daher zum Anlass genommen wer<strong>de</strong>n, Wi<strong>de</strong>rsprüche<br />

und Unebenheiten in <strong>de</strong>n satzungsmäßigen nationalen<br />

wie auch in <strong>de</strong>n CCBE-Berufsregeln aufzuheben. Die Europäische<br />

Kommission als alleinige Gefahr für das Berufsrecht anzusehen,<br />

blen<strong>de</strong>t einen Teil <strong>de</strong>s Problems aus, nämlich das<br />

rechtsanwaltliche Selbst- und Berufsbild. Auch das BVerfG erkennt<br />

in ständiger Rspr. an, dass Stan<strong>de</strong>srichtlinien ihren guten<br />

Sinn darin haben, ein Stan<strong>de</strong>sethos wi<strong>de</strong>rzuspiegeln. 32 Diese<br />

Aufgabe sollte nicht unterschätzt wer<strong>de</strong>n.<br />

32 BVerfG v. 14.7.1987, NJW 1988, 191, 192.<br />

IV. Zusammenfassung<br />

Im Ausgangsfall ist das Verhalten <strong>de</strong>s Ausbil<strong>de</strong>rs berufsrechtlich<br />

be<strong>de</strong>nklich. Ein Verstoß gegen <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Chancengleichheit<br />

wäre nur wi<strong>de</strong>rlegbar, wenn es eine communis opinio<br />

<strong>de</strong>r einschlägig praktizieren<strong>de</strong>n RAe gäbe, die eine Anregung<br />

zu einseitiger Kontaktaufnahme mit <strong>de</strong>n Gerichten auch<br />

in einstweiligen Verfügungsverfahren erlaubt. Ohne eine Fixierung<br />

und Fortschreibung von Verhaltenskodizes wird sich eine<br />

solche gemeinsame Rechtsüberzeugung kaum feststellen lassen.<br />

Da es aber im <strong>de</strong>utschen Berufsrecht kein positives Verbot<br />

eines solchen Verhaltens gibt, wäre ein etwaiger Verstoß kaum<br />

sanktionierbar.<br />

Im Interesse einer Pflege <strong>de</strong>s anwaltlichen Selbst- und Fremdbil<strong>de</strong>s<br />

wäre es angezeigt, die BORA wie die CCBE zu überarbeiten.<br />

Ziel sollte sein, die anwaltliche Funktion bei <strong>de</strong>r Herstellung<br />

und Einhaltung eines fairen Verfahrens beschreibend zu<br />

präzisieren. Dies gilt gera<strong>de</strong> auch im Hinblick auf bestehen<strong>de</strong><br />

Unterschie<strong>de</strong> im nationalen und internationalen Rechtsverkehr.<br />

Anwaltliche Internet-Rechtsberatung und das Teledienstedatenschutzgesetz<br />

Dr. Hendrik Schöttle 1<br />

I. Einleitung<br />

Der Anwalt, <strong>de</strong>r sich auf Rechtsberatung im Internet einlässt,<br />

sieht sich einer Vielzahl von Regelungen gegenübergestellt, die<br />

bei einem rechtskonformen Internetauftritt beachtet wer<strong>de</strong>n<br />

wollen. Selten wird dabei <strong>de</strong>r Frage Beachtung geschenkt, ob<br />

und in welchem Umfang das Teledienstedatenschutzgesetz<br />

(TDDSG) auf die anwaltliche Beratungstätigkeit im Internet Einfluss<br />

ausübt; diese Frage soll im Folgen<strong>de</strong>n beantwortet wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Frage ist nicht nur von theoretischem Interesse, <strong>de</strong>nn<br />

bei Verstößen gegen das TDDSG sind wettbewerbsrechtliche<br />

Scha<strong>de</strong>nsersatz- und Unterlassungsansprüche möglich, zu<strong>de</strong>m<br />

kommen berufsrechtliche Maßnahmen in Betracht. Auch ist <strong>de</strong>r<br />

Verstoß gegen einzelne Regelungen in § 9 TDDSG als bußgeldbewehrte<br />

Ordnungswidrigkeit qualifiziert.<br />

Das TDDSG hat <strong>de</strong>n Schutz personenbezogener Daten zum Inhalt.<br />

Es ist bereichsspezifisches Datenschutzrecht, <strong>de</strong>nn sein<br />

Anwendungsbereich beschränkt sich auf Teledienste.<br />

Das TDDSG regelt Art, Umfang und Zweck <strong>de</strong>s Umgangs mit<br />

personenbezogenen Daten. Eslegt die Voraussetzungen fest,<br />

unter <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>rartige Daten erhoben, verarbeitet und genutzt<br />

wer<strong>de</strong>n dürfen; dabei stellt es auch organisatorische Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

andie erheben<strong>de</strong> Stelle, zu<strong>de</strong>m statuiert esbeson<strong>de</strong>re<br />

Informations- und Auskunftspflichten.<br />

Im Datenschutzrecht sind personenbezogene Daten, anonyme<br />

Daten und pseudonyme Daten voneinan<strong>de</strong>r zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Personenbezogene Daten sind gesetzlich <strong>de</strong>finiert als »Einzelangaben<br />

über persönliche o<strong>de</strong>r sachliche Verhältnisse einer bestimmten<br />

o<strong>de</strong>r bestimmbaren natürlichen Person«. 2 Bei anonymen<br />

Daten fehlt ein solcher Personenbezug, dort ist es nicht<br />

möglich, Angaben einer bestimmten Person zuzuordnen. 3<br />

1 Dr. Hendrik Schöttle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für<br />

Rechtsinformatik <strong>de</strong>r Universität <strong>de</strong>s Saarlan<strong>de</strong>s.<br />

2 § 3 Abs. 1 BDSG.<br />

Pseudonymisierte Daten weisen einen indirekten Personenbezug<br />

auf, jedoch sind Namen und an<strong>de</strong>re I<strong>de</strong>ntifikationsmerkmale,<br />

die eine direkte Zuordnung ermöglichen wür<strong>de</strong>n, durch<br />

ein Kennzeichen ersetzt. 4 Das ist beispielsweise dann <strong>de</strong>r Fall,<br />

wenn eine Person in einem Chatroom unter einem selbst gewählten<br />

Pseudonym auftritt. 5<br />

Das Teledienstedatenschutzgesetz differenziert bei personenbezogenen<br />

Daten weiter zwischen Bestandsdaten 6 , Nutzungsdaten<br />

7 und Abrechnungsdaten 8 . Unter welchen Voraussetzungen<br />

<strong>de</strong>ren Erhebung, Verarbeitung und Nutzung im Rahmen<br />

von Online-Rechtsberatung zulässig ist, soll am Beispiel zweier<br />

typischer Szenarien erörtert wer<strong>de</strong>n.<br />

Das für <strong>de</strong>n RA wohl wichtigste Kommunikationsmittel <strong>de</strong>s Internets<br />

ist die E-Mail; es wird im ersten Szenario näher betrachtet.<br />

Im zweiten Szenario sind Online-Formulare Gegenstand <strong>de</strong>r<br />

Untersuchung. Ein Online-Formular ist nichts an<strong>de</strong>res als eine<br />

Internet-Seite, die es <strong>de</strong>m Nutzer erlaubt, direkt im Browser Daten<br />

in bestimmte Fel<strong>de</strong>r einzugeben. Der potenzielle Mandant<br />

kann dort seinen Namen sowie seine Anschrift und E-Mail-<br />

Adresse hinterlassen; in einem meist mehrzeiligen Textfeld<br />

kann er sein Anliegen schil<strong>de</strong>rn. Durch die Vorstrukturierung<br />

<strong>de</strong>s Formulars kann sichergestellt wer<strong>de</strong>n, dass keine wichtigen<br />

Informationen vergessen wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Beitrag beschränkt sich auf die Frage, inwiefern die zur<br />

Rechtsberatung ausgetauschten Informationen <strong>de</strong>n Regelungen<br />

<strong>de</strong>s TDDSG unterworfen sind. Neben diesen Informationen<br />

fallen beim technischen Übertragungsvorgang noch weite-<br />

3 Vgl. § 3 Abs. 6 BDSG.<br />

4 § 3 Abs. 6a BDSG.<br />

5 Näher zu verschie<strong>de</strong>nen Formen <strong>de</strong>r Pseudonymisierung Schaar,<br />

Datenschutz im Internet, S. 59 ff.<br />

6 § 5 Satz 1TDDSG.<br />

7 § 6 Abs. 1 TDDSG.<br />

8 § 6 Abs. 4 Satz 1TDDSG.


254 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Schöttle, Anwaltliche Internet-Rechtsberatung und das Teledienstedatensc hutzgesetz<br />

re Daten an, wie beispielsweise die IP-Adresse <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Kommunikation<br />

beteiligten Rechner, o<strong>de</strong>r Datum und Uhrzeit <strong>de</strong>r<br />

Verbindung; sie können hier nicht berücksichtigt wer<strong>de</strong>n.<br />

II. Rechtsberatung per E-Mail<br />

Betrachtet man dieses Szenario, so steht an erster Stelle die Frage,<br />

ob das TDDSG auf diesen Sachverhalt überhaupt Anwendung<br />

fin<strong>de</strong>t. Halten wir uns noch einmal die Situation vor Augen:<br />

Der RA kommuniziert mit seinem Mandanten per E-Mail, er<br />

verschickt und versen<strong>de</strong>t also Nachrichten unter seiner E-Mail-<br />

Adresse an das E-Mail-Konto <strong>de</strong>s Mandanten, dieser antwortet<br />

ihm auf <strong>de</strong>mselben Weg.<br />

Nach § 1 Abs. 1 TDDSG gilt das T eledienstedatenschutzgesetz<br />

für <strong>de</strong>n Schutz personenbezogener Daten <strong>de</strong>r Nutzer von Telediensten<br />

i.S.d. Teledienstegesetzes bei <strong>de</strong>r Erhebung, Verarbeitung<br />

und Nutzung dieser Daten durch Diensteanbieter. Das<br />

Versen<strong>de</strong>n und Empfangen von E-Mails müsste also einen Teledienst<br />

darstellen, zu<strong>de</strong>m müssen <strong>de</strong>r Anwalt Diensteanbieter<br />

und <strong>de</strong>r Mandant Nutzer <strong>de</strong>s Teledienstes sein.<br />

Der Teledienst ist im Fall <strong>de</strong>r E-Mail zum einen vom Mediendienst<br />

abzugrenzen, einem an die Allgemeinheit gerichteten<br />

Informations- und Kommunikationsdienst 9 ; zum an<strong>de</strong>ren ist er<br />

von einer Telekommunikationsdienstleistung zu unterschei<strong>de</strong>n,<br />

für welche die Bereichsausnahme <strong>de</strong>s §2 Abs. 4 Nr. 1 TDG<br />

gilt.<br />

Es ist umstritten, ob die E-Mail einen Teledienst darstellt. Begrifflich<br />

lässt sich die E-Mail unter die Definition <strong>de</strong>s Teledi enstes<br />

<strong>de</strong>s § 2Abs. 1 TDG subsumieren. Danach ist ein Teledienst<br />

ein elektronischer Informations- und Kommunikationsdienst,<br />

<strong>de</strong>r für eine individuelle Nutzung von kombinierbaren Daten<br />

wie Zeichen, Bil<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r Tönen bestimmt ist und <strong>de</strong>m eine<br />

Übermittlung mittels Telekommunikation zugrun<strong>de</strong> liegt. Die<br />

E-Mail ermöglicht die individuelle Übermittlung von Zeichen,<br />

Bil<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r Tönen mittels Telekommunikation. Sie richtet sich<br />

nicht an die Allgemeinheit, son<strong>de</strong>rn nur an bestimmte Adressaten,<br />

ist also auch kein Mediendienst. Eine Ansicht nimmt daher<br />

an, dass es sich bei <strong>de</strong>r E-Mail um einen Teledienst han<strong>de</strong>le. 10<br />

Eine an<strong>de</strong>re Ansicht sieht in <strong>de</strong>r E-Mail eine Telekommunikationsdienstleistung,<br />

für welche die Bereichsausnahme <strong>de</strong>s §2<br />

Abs. 4 Nr. 1 TDG gelte und die folglich <strong>de</strong>m Anwendungsbereich<br />

<strong>de</strong>s Telekommunikationsgesetzes unterliege. 11 Es sei wesentlicher<br />

Inhalt <strong>de</strong>s Angebots von E-Mail-Diensten, Nachrichten<br />

sen<strong>de</strong>n und empfangen zu können; <strong>de</strong>r E-Mail-Server <strong>de</strong>s<br />

Anbieters diene als Zwischenspeicher, <strong>de</strong>r auf Anfrage <strong>de</strong>s Nutzers<br />

die Nachricht an diesen übermittle. 12 Dies entspreche <strong>de</strong>r<br />

Definition <strong>de</strong>r Telekommunikationsdienstleistung, sodass <strong>de</strong>r<br />

Anwendungsbereich <strong>de</strong>s TKG eröffnet sei.<br />

Ob die E-Mail als Teledienst o<strong>de</strong>r als Telekommunikationsdienstleistung<br />

zu qualifizieren ist, kann hier dahinstehen.<br />

Denn selbst wenn es sich um einen Teledienst han<strong>de</strong>ln sollte –<br />

wofür einiges spricht – ist <strong>de</strong>r RA kein Anbieter <strong>de</strong>s Teledienstes<br />

»E-Mail«. Das TDDSG <strong>de</strong>finiert einen Diensteanbieter als<br />

natürliche o<strong>de</strong>r juristische Person, die eigene o<strong>de</strong>r frem<strong>de</strong> Teledienste<br />

zur Nutzung bereithält o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Zugang zur Nutzung<br />

vermittelt. 13 In Betracht zuziehen ist hier das Bereithalten eines<br />

eigenen o<strong>de</strong>r frem<strong>de</strong>n Teledienstes. Ob <strong>de</strong>r Anwalt dies tut,<br />

9 Vgl. § 2MDStV.<br />

10 Vgl. Spindler in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §2 TDG,<br />

Rdnr. 76.<br />

11 Möller, Gesetzliche Vorgaben für anonyme E-Mail, DuD 2000,<br />

344 f.; Schaar, Datenschutz im Internet, S. 91.<br />

12 Möller, DuD 2000, 345.<br />

13 §2 Nr. 1 TDDSG.<br />

hängt letztlich davon ab, ob ein Teledienst bereits die einzelne,<br />

individuell verschickte E-Mail ist o<strong>de</strong>r ob die Definition das<br />

Vorhalten <strong>de</strong>r wesentlichen technischen Vorrichtungen meint,<br />

die zur E-Mail-Kommunikation benötigt wer<strong>de</strong>n. Die Definition<br />

<strong>de</strong>s Teledienstes legt Letzteres nahe: Es muss sich um einen<br />

Kommunikationsd i e n s t han<strong>de</strong>ln, die Erbringung einer Leistung<br />

eben. Zum Versand einer E-Mail sind je ein Postausgangsund<br />

Posteingangsserver auf Seiten je<strong>de</strong>s Teilnehmers erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Diese halten die am Versand beteiligten E-Mail-Provi<strong>de</strong>r<br />

vor. Die Provi<strong>de</strong>r sind im Verhältnis zu ihren Kun<strong>de</strong>n – hier<br />

<strong>de</strong>m RA und <strong>de</strong>m Mandanten – Anbieter eines Teledienstes,<br />

nicht aber <strong>de</strong>r Anwalt im Verhältnis zum Mandanten, <strong>de</strong>nn er<br />

hat keine Funktionsherrschaft über <strong>de</strong>n Mail-Server <strong>de</strong>s Mandanten.<br />

Der Anwalt ist also kein Diensteanbieter von E-Mail-<br />

Kommunikation. Dem steht auch nicht entgegen, dass per <strong>de</strong>finitionem<br />

das Bereithalten frem<strong>de</strong>r Teledienste genügt. 14 Die<br />

E-Mail-Infrastruktur ist zwar ein <strong>de</strong>m RA frem<strong>de</strong>r Teledienst.<br />

Der Anwalt hält diesen Dienst jedoch nicht bereit, <strong>de</strong>nn es fehlt<br />

ihm ja die Funktionsherrschaft darüber.<br />

Es kann also festgehalten wer<strong>de</strong>n, dass die Rechtsberatung per<br />

E-Mail kein Teledienst ist, <strong>de</strong>r vom Anwalt betrieben wird. Das<br />

Teledienstedatenschutzgesetz fin<strong>de</strong>t daher auf dieses Szenario<br />

keine Anwendung.<br />

III. Rechtsberatung über Online-Formulare<br />

Was unterschei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Nachrichtenaustausch über Online-Formulare<br />

von <strong>de</strong>r Kommunikation per E-Mail? Auf <strong>de</strong>n ersten<br />

Blick passiert hier dasselbe: Der Mandant verschi ckt sein Anliegen<br />

via Internet an <strong>de</strong>n RA. Einziger Unterschied: Die Kommunikation<br />

geht nur in eine Richtung; <strong>de</strong>r Anwalt wird per E-Mail<br />

und nicht über ein Online-Formular antworten. 15 Doch so ähnlich<br />

die bei<strong>de</strong>n Szenarien auf <strong>de</strong>n ersten Blick scheinen – es ist<br />

eine differenzieren<strong>de</strong> Betrachtungsweise angebracht.<br />

1. Anwendbarkeit <strong>de</strong>s TDDSG<br />

Das TDDSG ist gem. § 1 Abs. 1 TDDSG anwendbar, wenn das<br />

Online-Formular ein vom RA betriebener und vom Mandanten<br />

genutzter Teledienst ist. Auch hier stellt sich damit die Frage<br />

nach <strong>de</strong>r Abgrenzung von Teledienst und Mediendienst. Der<br />

MDStV erfasst Mediendienste, also Angebote, die sich an die<br />

Allgemeinheit richten. Der Regelungskreis <strong>de</strong>s TDG betrifft die<br />

individuelle Nutzung von Daten, die Teledienste. 16 Kennzeichnend<br />

für eine Abgrenzung von Tele- und Mediendienst ist das<br />

Merkmal <strong>de</strong>r Individualität.<br />

Das Online-Formular ist Teil <strong>de</strong>r Kanzleihomepage. Der Regierungsentwurf<br />

<strong>de</strong>s TDG erwähnt ausdrücklich Homepages als<br />

Teledienst i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 TDG. 17 Diese Ansicht ist allerdings<br />

zugeneralisierend. Eine Seite im WWW kann grundsätzlich<br />

von je<strong>de</strong>rmann abgerufen wer<strong>de</strong>n. Ruft ein Nutzer eine gewöhnliche<br />

Website auf, wird zwar eine individuelle Verbindung<br />

zwischen seinem Rechner und <strong>de</strong>m Webserver aufgebaut;<br />

allerdings ist <strong>de</strong>r Inhalt, <strong>de</strong>r übertragen wird, bei je<strong>de</strong>r<br />

Anfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>rselbe. Das entspricht nicht <strong>de</strong>m Merkmal <strong>de</strong>r<br />

individuellen Kommunikation. Allein auf die technische Verbindung<br />

kann daher nicht abgestellt wer<strong>de</strong>n, es ist stets auch<br />

14 Diese Alternative bezieht sich vor allem auf Hosting-Angebote, z.B.<br />

das Speichern frem<strong>de</strong>r Websites auf einem Webserver, und auf Caching,<br />

also das Zwischenspeichern von Daten zur Verringerung <strong>de</strong>r<br />

Netzlast im Internet; Wal<strong>de</strong>nberger in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste,<br />

§ 3TDG, Rdnr. 24.<br />

15 Dazu müsste auch <strong>de</strong>r Mandant über eine eigene Homepage mit<br />

Online-Formular verfügen.<br />

16 Vgl. § 2Abs. 1 TDG und § 2Abs. 1 MDStV.<br />

17 Regierungsentwurf <strong>de</strong>s IuKDG, BT-Drucks. 13/7385, S. 19.


BRAK-Mitt. 6/2004 Aufsätze 255<br />

Schöttle, Anwaltliche Internet-Rechtsberatung und das Teledienstedatensc hutzgesetz<br />

<strong>de</strong>r Inhalt <strong>de</strong>r Homepage zu berücksichtigen. 18 Das Online-<br />

Formular dient <strong>de</strong>r Kontaktaufnahme zum RA. Zwar kann es<br />

von je<strong>de</strong>rmann im Internet abgerufen wer<strong>de</strong>n, allerdings ermöglicht<br />

es gera<strong>de</strong> eine individuelle Kommunikation zwischen<br />

Mandant und Anwalt. Das Online-Formular ist damit als Teledienst<br />

und nicht als Mediendienst zu qualifizieren.<br />

Im Gegensatz zum E-Mail-Dienst wird dieser Teledienst auch<br />

vom RA betrieben. Die Daten, welche <strong>de</strong>r Mandant in das Online-Formular<br />

einträgt, wer<strong>de</strong>n nicht über <strong>de</strong>n E-Mail-Account<br />

<strong>de</strong>s Mandanten verschickt, son<strong>de</strong>rn über <strong>de</strong>n We bserver <strong>de</strong>r<br />

Kanzleihomepage. Der RA ist als Webmaster in <strong>de</strong>r Lage, sowohl<br />

die Gestaltung <strong>de</strong>s Online-Formulars festzulegen, als<br />

auch <strong>de</strong>n Versand <strong>de</strong>r Formulardaten zuregeln. Zwar bedient<br />

sich <strong>de</strong>r Anwalt dazu in <strong>de</strong>r Regel eines Provi<strong>de</strong>rs, <strong>de</strong>r die Server-<br />

und Netzwerktechnik vorhält, hat aber über letztere die<br />

Funktionsherrschaft.<br />

Der RA ist folglich Anbieter eines Teledienstes, <strong>de</strong>r Mandant<br />

Nutzer eines solchen. Im Gegensatz zur anwaltlichen Kommunikation<br />

via E-Mail fin<strong>de</strong>t das TDDSG daher grundsätzlich Anwendung<br />

auf <strong>de</strong>n Einsatz von Online-Formularen.<br />

2. Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten<br />

Wie bereits ausgeführt, ist im Datenschutzrecht zwischen personenbezogenen,<br />

anonymen und pseudonymen Daten zu un -<br />

terschei<strong>de</strong>n. Das Teledienstedatenschutzgesetz ist lediglich auf<br />

<strong>de</strong>n Umgang mit personenbezogenen Daten anwendbar; es<br />

differenziert dabei zwischen Bestandsdaten, Nutzungsdaten<br />

und Abrechnungsdaten. Unterscheidungsmerkmal <strong>de</strong>r einzelnen<br />

Datentypen ist <strong>de</strong>r Zweck ihrer Erhebung: Bestandsdaten<br />

sind für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung o<strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung<br />

eines Vertragsverhältnisses zwischen Diensteanbieter und<br />

Nutzer erfor<strong>de</strong>rlich. 19 Nutzungsdaten sollen die Inanspruchnahme<br />

von Telediensten ermöglichen. 20 Abrechnungsdaten<br />

sind Nutzungsdaten, die für Zwecke <strong>de</strong>r Abrechnung mit <strong>de</strong>m<br />

Nutzer benötigt wer<strong>de</strong>n. 21<br />

Ist das Teledienstedatenschutzgesetz auf die Informationen anwendbar,<br />

die über das Online-Formular zum Zweck <strong>de</strong>r<br />

Rechtsberatung übermittelt wer<strong>de</strong>n? Der Mandant gibt in das<br />

Formular persönliche Daten ein, wie etwa seine Anschrift und<br />

eine Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Rechtsproblems, zu welchem er Beratung<br />

wünscht. Sind dies Bestands- und Nutzungsdaten i.S.d.<br />

TDDSG? Problematisch ist, dass die Daten nicht zum Zweck<br />

<strong>de</strong>r Durchführung <strong>de</strong>s Teledienstes erhoben wer<strong>de</strong>n. Der Teledienst<br />

ist das Online-Formular, sein Zweck ist lediglich, die Informationen<br />

<strong>de</strong>s Mandanten an <strong>de</strong>n Anwalt zu übermitteln. In<br />

einem zweiten Schritt fin<strong>de</strong>t dann die Rechtsberatung statt.<br />

Diese hat mit <strong>de</strong>m Online-Formular nichts mehr zu tun, auch<br />

erfolgt die Antwort auf einem an<strong>de</strong>ren Weg, etwa per E-Mail,<br />

als Brief o<strong>de</strong>r telefonisch.<br />

18 Heyl, Teledienste und Mediendienste nach Teledienstegesetz und<br />

Mediendienste-Staatsvertrag, ZUM 1998, 115 (119); Spindler in:<br />

Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §2 TDG, Rdnr. 70 ff.<br />

19 §5 Satz 1TDDSG.<br />

20 §6 Abs. 1 Satz 1TDDSG.<br />

21 §6 Abs. 4 Satz 1TDDSG.<br />

22 Regierungsentwurf <strong>de</strong>s IuKDG, BT-Drucks. 13/7385, S. 53.<br />

Der Bun<strong>de</strong>srat hat im Gesetzgebungsverfahren zum IuKDG,<br />

<strong>de</strong>m Mantelgesetz <strong>de</strong>s TDDSG angemerkt, dass es beim Angebot<br />

von Telediensten, die <strong>de</strong>n Umgang mit vertraulichen Daten<br />

voraussetzen, auf eine Abgrenzung von Teledienst als Übertragungsmedium<br />

und <strong>de</strong>r darüber abgewickelten Dienstleistung<br />

ankommt. So richte sich die datenschutzrechtliche Zulässigkeit<br />

<strong>de</strong>s elektronischen Überweisungsauftrags nicht nach <strong>de</strong>m<br />

TDDSG, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>m BDSG. 22 Der Bun<strong>de</strong>srat schlug daher<br />

vor, anstelle <strong>de</strong>s – trotz<strong>de</strong>m letztendlich unverän<strong>de</strong>rt beschlossenen<br />

– §1 Abs. 1 TDDSG die Umschreibung »Die<br />

nachfolgen<strong>de</strong>n Vorschriften gelten für <strong>de</strong>n Schutz personenbezogener<br />

Daten bei Telediensten« durch <strong>de</strong>n Zusatz »zur Durchführung<br />

von Telediensten« zu präzisieren. Dies hätte auch <strong>de</strong>r<br />

Formulierung in § 3 Abs. 1 und 2 TDDSG entsprochen.<br />

Der Bun<strong>de</strong>stag blieb in<strong>de</strong>s inseiner Gegenäußerung bei <strong>de</strong>r<br />

Ansicht, dass das TDG zur Vermeidung von Regelungslücken<br />

auf das Nutzungsverhältnis insgesamt anzuwen<strong>de</strong>n sei; die<br />

vom Bun<strong>de</strong>srat vorgeschlagene Differenzierung führe zueiner<br />

Verkürzung <strong>de</strong>s Datenschutzes und sei insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>m<br />

Grundsatz <strong>de</strong>r Datenvermeidung abträglich. 23 Folgte man <strong>de</strong>r<br />

Auffassung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>stages , wäre das TDDSG im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Online-Beratung also auf sämtliche vom Mandanten erhobenen<br />

Daten anwendbar. 24<br />

Mittlerweile wur<strong>de</strong> die vom Bun<strong>de</strong>stag favorisierte einheitliche<br />

Betrachtung aufgegeben, die wohl herrschen<strong>de</strong> Meinung differenziert<br />

zwischen <strong>de</strong>m Teledienst und <strong>de</strong>r durch ihn vermittelten<br />

Leistung. 25 Die Daten, die zur Erbringung <strong>de</strong>s Teledienstes,<br />

also zur Leistungsvermittlung erfor<strong>de</strong>rlich sind, fallen unter das<br />

TDDSG. Wer<strong>de</strong>n Informationen ausschließlich zum Zwecke<br />

<strong>de</strong>r Erbringung <strong>de</strong>r Dienstleistung übermittelt, han<strong>de</strong>lt es sich<br />

um bloße Inhaltsdaten 26 ;<strong>de</strong>ren Erhebung bestimmt sich nach<br />

allgemeinem Datenschutzrecht. Diese Differenzierung leuchtet<br />

ein. Wür<strong>de</strong>n sämtliche Dienstleistungen, die über das W WW<br />

abgewickelt wer<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>m Maß <strong>de</strong>s TDDSG gemessen,<br />

wäre ein nicht unerheblicher Teil, insbeson<strong>de</strong>re auf <strong>de</strong>m Gebiet<br />

<strong>de</strong>r Finanzdienstleistungen, datenschutzrechtlich unzulässig.<br />

Die Erbringung <strong>de</strong>s Teledienstes ist das Angebot <strong>de</strong>s Online-<br />

Formulars und die Abwicklung <strong>de</strong>r Kommunikation zwischen<br />

Anwalt und Mandant darüber. Das Formular vermittelt lediglich<br />

die Daten zum Anwalt; die Daten dienen aber nicht <strong>de</strong>r<br />

Übermittlung selbst – ein Online-Formular ist nicht bloßer<br />

Selbstzweck –, son<strong>de</strong>rn sie sollen die Rechtsberatung ermöglichen.<br />

Sie sind damit Inhaltsdaten, auf welche das TDDSG unanwendbar<br />

ist. 27<br />

Am Beispiel dieses Szenarios wird <strong>de</strong>utlich, dass <strong>de</strong>r Anwendungsbereich<br />

<strong>de</strong>s TDDSG schmal ist. Erbeschränkt sich bei<br />

Dienstleistungen, die »offline« erbracht wer<strong>de</strong>n, lediglich auf<br />

die Eigenschaft <strong>de</strong>s Teledienstes als Übertragungsmedium. 28<br />

Das be<strong>de</strong>utet jedoch nicht, dass das TDDSG auf Rechtsberatung<br />

über Online-Formulare gänzlich unanwendbar ist. Es sind<br />

lediglich die Regelungen zur Erhebung, Verarbeitung und Nutzung<br />

personenbezogener Daten unanwendbar, soweit es um<br />

die Informationen geht, die <strong>de</strong>r Mandant <strong>de</strong>m Anwalt zum<br />

Zweck <strong>de</strong>r Rechtsberatung übermittelt. Durchaus noch zu prüfen<br />

ist – und das soll nachfolgend geschehen – <strong>de</strong>r Umfang etwaiger<br />

Organisations- und Informationspflichten.<br />

3. Organisationspflichten<br />

Unabhängig von <strong>de</strong>r Frage, welche Daten erhoben wer<strong>de</strong>n<br />

dürfen, legt das Teledienstedatenschutzgesetz Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

fest, die in organisatorischer Hinsicht zu beachten sind. Die<br />

wichtigsten sollen hier kurz vorgestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

23 Regierungsentwurf <strong>de</strong>s IuKDG, BT-Drucks. 13/7385, S. 70.<br />

24 Horst , E-Commerce – Verbotenes Terrain für RAe?, MDR 2000,<br />

1293 (1295) und Hoß , Berufs- und wettbewerbsrechtliche Grenzen<br />

<strong>de</strong>r Anwaltswerbung im Internet, AnwBl 2002, 377 (380).<br />

25 Bizer in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §3 TDDSG,<br />

Rdnr. 13; Gola/Müthlein, TDDSG, §3, Rdnr. 3.4; Schaar, Datenschutz<br />

im Internet, S. 101 ff., S. 212.<br />

26 Bizer in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §3 TDDSG,<br />

Rdnr. 13.<br />

27 Bizer in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §3 TDDSG,<br />

Rdnr. 13.<br />

28 Schulz in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §1 TDDSG,<br />

Rdnr. 42 f.


256 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Schöttle, Anwaltliche Internet-Rechtsberatung und das Teledienstedatensc hutzgesetz<br />

a) Je<strong>de</strong>rzeit möglicher Verbindungsabbruch<br />

Der Anbieter hat nach § 4 Abs. 4 Nr. 1 TDDSG <strong>de</strong>m Nutzer die<br />

Möglichkeit einzuräumen, die Verbindung zum Diensteanbieter<br />

je<strong>de</strong>rzeit abzubrechen. Dabei genügt es nicht, auf die physische<br />

Trennung <strong>de</strong>s Rechners vom Internet zu verweisen (etwa<br />

durch Ausschalten o<strong>de</strong>r Unterbrechen <strong>de</strong>r Netzwerkverbindung<br />

29 ), vielmehr muss die Trennung auf <strong>de</strong>r Software-Ebene<br />

realisiert wer<strong>de</strong>n. Für <strong>de</strong>n RA ist diese Pflicht unproblematisch,<br />

<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Nutzer kann seinen Browser je<strong>de</strong>rzeit schließen, er<br />

wird nicht gezwungen, das im Browser einmal aufgerufene Formular<br />

auch auszufüllen und abzusen<strong>de</strong>n.<br />

b) Schutz vor frem<strong>de</strong>r Kenntnisnahme<br />

Der Anbieter hat sicherzustellen, dass <strong>de</strong>r Nutzer <strong>de</strong>n Teledienst<br />

vor Kenntnisnahme Dritter geschützt in Anspruch nehmen kann,<br />

§4 Abs. 4 Nr. 3 TDDSG. Diese Vorschrift for<strong>de</strong>rt nicht, dass je<strong>de</strong>r<br />

Teledienst beson<strong>de</strong>rs gesichert abgewickelt wer<strong>de</strong>n muss,<br />

<strong>de</strong>m Nutzer ist lediglich eine solche Möglichkeit einzuräumen.<br />

Zweck <strong>de</strong>r Norm ist die Absicherung <strong>de</strong>s Fernmel<strong>de</strong>geheimnisses<br />

im Bereich <strong>de</strong>r Teledienste. 30 Der Umfang <strong>de</strong>r Schutzmaßnahmen<br />

steht dabei in Relation zur Vertraulichkeit <strong>de</strong>r übermittelten<br />

Daten. 31 Beson<strong>de</strong>rs sensible Informationen müssen verschlüsselt<br />

übertragen wer<strong>de</strong>n können, während bei an<strong>de</strong>ren Angeboten<br />

ein einfacher Passwortschutz genügen kann.<br />

Bei <strong>de</strong>r Nutzung eines Online-Formulars als Vermittlungsdienst<br />

zur anwaltlichen Rechtsberatung wer<strong>de</strong>n sensible Daten durch<br />

<strong>de</strong>n Teledienst übertragen. Es wur<strong>de</strong> bereits ausgeführt, dass<br />

diese Daten keine Bestands- o<strong>de</strong>r Nutzungsdaten <strong>de</strong>s Teledienstes<br />

sind; die Funktion <strong>de</strong>s Teledienstes besteht ausschließlich<br />

in <strong>de</strong>r Übermittlung <strong>de</strong>r Informationen zwischen Mandant<br />

und Anwalt. Das be<strong>de</strong>utet aber nicht, dass es sich dabei um einen<br />

inhaltsneutralen Dienst han<strong>de</strong>lt, für <strong>de</strong>n keine Pflicht zur<br />

Verschlüsselung besteht. 32 Das Online-Formular auf <strong>de</strong>r Kanzleihomepage<br />

soll nicht beliebige Konversation ermöglichen,<br />

son<strong>de</strong>rn es dient explizit <strong>de</strong>r Übermittlung von Informationen,<br />

die zur Rechtsberatung erfor<strong>de</strong>rlich sind. Der Teledienst ist gera<strong>de</strong><br />

für <strong>de</strong>n Versand vertraulicher Daten konzipiert. Dass sich<br />

die Zulässigkeit <strong>de</strong>r Erhebung <strong>de</strong>r übermittelten Daten dabei<br />

nicht nach <strong>de</strong>m TDDSG richtet, ist unbeachtlich. Die Pflicht<br />

zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen setzt nicht – wie etwa<br />

§3 Abs. 1 TDDSG – voraus, dass Daten »zur Durchführung<br />

von Telediensten« erhoben wer<strong>de</strong>n. Schutzgegenstand <strong>de</strong>r Vorschrift<br />

sind auch reine Vermittlungsdienste, soweit sie gera<strong>de</strong><br />

dazu eingerichtet wer<strong>de</strong>n, sensible Informationen zutransportieren.<br />

Der Anwalt muss diesen Dienst daher durch Verschlüsselung<br />

beson<strong>de</strong>rs sichern. Dazu kann er sich <strong>de</strong>r Verschlüsselung<br />

auf Basis <strong>de</strong>s » Secure Socket Layer «-Protokolls (SSL) bedienen.<br />

Diese Verschlüsselung ist in je<strong>de</strong>m mo<strong>de</strong>rnen Browser<br />

integriert. Sie erlaubt es, die Verbindung zwischen Webserver<br />

<strong>de</strong>s Diensteanbieters und Browser <strong>de</strong>s Nutzers so zu sichern,<br />

dass eine unbefugte Kenntnisnahme <strong>de</strong>r untereinan<strong>de</strong>r ausgetauschten<br />

Daten verhin<strong>de</strong>rt wird.<br />

29 Schaar in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §4 TDDSG,<br />

Rdnr. 374.<br />

30 Schaar spricht vom »Mediennutzungsgeheimnis«, Roßnagel , Recht<br />

<strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, § 4 TDDSG, Rdnr. 387.<br />

31 Schaar, Datenschutz im Internet, S. 199.<br />

32 Schaar lehnt bei inhaltsneutralen Diensten, wie beispielsweise <strong>de</strong>m<br />

E-Mail-Dienst, eine generelle Verpflichtung <strong>de</strong>s Anbieters zu<br />

Schutzmaßnahmen, namentlich Verschlüsselung, ab. Er for<strong>de</strong>rt jedoch,<br />

dass die Möglichkeit <strong>de</strong>s Nutzers, sich selbst zuschützen,<br />

nicht verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n dürfe; Schaar, Datenschutz im Internet,<br />

S. 199; Schaar in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §4<br />

TDDSG, Rdnr. 393.<br />

c) Weitere Organisationspflichten<br />

Es gibt noch eine Reihe von weiteren Pflichten, welche aber für<br />

die anwaltliche Rechtsberatung keine Rolle spielt, da sie auf<br />

das hier skizzierte Szenario nicht anwendbar ist. Eine Ein willigung<br />

<strong>de</strong>s Nutzers nach §3 Abs. 1 und 2 TDDSG in die Erhebung,<br />

Verarbeitung und Nutzung von Daten ist für das hier betrachtete<br />

Szenario nicht erfor<strong>de</strong>rlich, da – wie bereits ausgeführt<br />

– die über das Formular ausgetauschten Informationen<br />

bloße Inhaltsdaten sind, auf welche das TDDSG nicht anwendbar<br />

ist. Auch die Vorschriften über die Löschung und Sperrung<br />

personenbezogener Daten 33 greifen aus diesem Grun<strong>de</strong> nicht,<br />

dasselbe gilt für die Regelungen zum Zusammenführen von<br />

pseudonymisierten Daten mit <strong>de</strong>m Träger <strong>de</strong>s Pseudonyms 34 .<br />

Weiterhin ist die Pflicht zur Schaffung einer anonymen o<strong>de</strong>r<br />

pseudonymen Nutzungsmöglichkeit <strong>de</strong>s Teledienstes »Online-<br />

Formular« 35 für <strong>de</strong>n Anwalt irrelevant, da sich daraus keine<br />

Pflicht zum Angebot anonymer Rechtsberatung ableit en lässt –<br />

die Rechtsberatung selbst ist ja kein Teledienst.<br />

4. Informationspflichten<br />

Das Teledienstedatenschutzgesetz sieht ferner eine Reihe von<br />

Hinweisen vor, die <strong>de</strong>r Anbieter zugeben hat. Die Hinweise<br />

dienen <strong>de</strong>m Selbstbestimmungsrecht <strong>de</strong>s Nutzers: Nur wenn<br />

dieser weiß, welche Daten erhoben wer<strong>de</strong>n und wie mit ihnen<br />

umgegangen wird, kann er <strong>de</strong>n Teledienst in eigenverantwortlicher<br />

Entscheidung über die Verwendung seiner Daten nutzen.<br />

a) Die Datenschutzerklärung<br />

Eine zentrale Vorschrift ist § 4 Abs. 1 TDDSG; sie enthält gleich<br />

mehrere Pflichten. Zunächst hat <strong>de</strong>r Diensteanbieter <strong>de</strong>n Nutzer<br />

zu Beginn <strong>de</strong>s Nutzungsvorgangs über Art, Umfang und<br />

Zweck <strong>de</strong>r Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener<br />

Daten zu unterrichten. Dies soll sicherstellen, dass <strong>de</strong>r<br />

Nutzer frühestmöglich eine Entscheidung treffen kann, ob und<br />

welche Daten er <strong>de</strong>m Anbieter übermittelt.<br />

Wer<strong>de</strong>n Daten in so genannten Drittstaaten verarbeitet, also<br />

Staaten außerhalb <strong>de</strong>r Europäischen Union bzw. <strong>de</strong>s Europäischen<br />

Wirtschaftsraumes, ist auch dies anzuzeigen. Das soll<br />

<strong>de</strong>m Umstand Rechnung tragen, dass das dortige Datenschutzrecht<br />

möglicherweise nicht <strong>de</strong>m europäischen Standard entspricht.<br />

Ferner ist <strong>de</strong>r Nutzer ggf. darauf hinzuweisen, dass Daten, die<br />

zunächst ohne Personenbezug erhoben wer<strong>de</strong>n, später <strong>de</strong>m Nutzer<br />

zugeordnet wer<strong>de</strong>n können. Diese Regelung zielt insbeson<strong>de</strong>re<br />

auf Nutzerprofile ab. Sie soll sicherstellen, dass <strong>de</strong>r Nutzer<br />

nicht nur über aktuelle, son<strong>de</strong>rn auch über zukünftige Verarbeitungsprozesse<br />

informiert ist. Konkret soll <strong>de</strong>m Nutzer vor Augen<br />

geführt wer<strong>de</strong>n, dass die Möglichkeit besteht, von ihm erhobene<br />

Daten zu einem Nutzerprofil zusammenzuführen.<br />

Schließlich stellt § 4Abs. 1 Satz 3TDDSG eine formale Anfor<strong>de</strong>rung<br />

an die Datenschutzerklärung: Die Norm bestimmt, dass<br />

die Unterrichtung für <strong>de</strong>n Nutzer je<strong>de</strong>rzeit abrufbar sein muss.<br />

Inwiefern greift die Vorschrift im hier untersuchten Szenario?<br />

An<strong>de</strong>rs als die Vorschriften zur Erhebung, Verarbeitung und<br />

Nutzung von Daten 36 beschränkt sich §4 Abs. 1 TDDSG nicht<br />

auf Daten, die »zur Durchführung von Telediensten« erhoben<br />

wer<strong>de</strong>n, wie es etwa in § 3 Abs. 1 TDDSG <strong>de</strong>r Fall ist. Erfasst<br />

wird daher <strong>de</strong>r gesamte Kommunikationsvorgang, also auch<br />

die Daten, die auf <strong>de</strong>r Inhaltsebene ausgetauscht wer<strong>de</strong>n. 37<br />

Dabei ist klar, dass <strong>de</strong>r Anwalt nicht von vornherein wissen<br />

33 §4 Abs. 4Nr. 2,§6 Abs. 7, 8 TDDSG.<br />

34 §4 Abs. 4Nr. 5 und 6 TDDSG.<br />

35 §4 Abs. 6TDDSG.<br />

36 Vgl. §3 Abs. 1und 2 TDDSG.


BRAK-Mitt. 6/2004 Aufsätze 257<br />

Maier-Bridou, Die Reform <strong>de</strong>s französischen An waltsrechts<br />

kann, welche Informationen er vom Mandanten verlangen<br />

müssen wird. Die Unterrichtung kann sich in diesem Fall darauf<br />

beschränken, dass im Rahmen <strong>de</strong>s Mandatsverhältnisses<br />

vertrauliche Informationen erfragt wer<strong>de</strong>n müssen, um <strong>de</strong>n<br />

Mandanten in <strong>de</strong>r Sache beraten zu können.<br />

Was die Form betrifft, so wird lediglich die je<strong>de</strong>rzeit mögliche<br />

Abrufbarkeit verlangt. Die Erklärung muss also ständig auf <strong>de</strong>r<br />

Homepage verfügbar sein, ausreichend ist dabei ein Link vom<br />

Online-Formular auf eine geson<strong>de</strong>rte Seite. 38<br />

b) Wi<strong>de</strong>rrufs- und Wi<strong>de</strong>rspruchsrecht, Auskunftspflicht<br />

Wi<strong>de</strong>rrufs- 39 und Wi<strong>de</strong>rspruchsrecht 40 sind für die anwaltliche<br />

Internet-Rechtsberatung nicht von Be<strong>de</strong>utung. Eine Einwilligung<br />

<strong>de</strong>s Nutzers zur Datenverarbeitung, auf <strong>de</strong>ren Wi<strong>de</strong>rrufsmöglichkeit<br />

<strong>de</strong>r Anbieter hinweisen müsste, ist nicht erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Auch das Wi<strong>de</strong>rspruchsrecht greift nicht, da <strong>de</strong>r RA keine<br />

pseudonymisierten Nutzerprofile i.S.d. §6 Abs. 3 TDDSG erstellt.<br />

Die Pflicht, <strong>de</strong>m Nutzer auf Verlangen Auskunft über die zu<br />

seiner Person o<strong>de</strong>r zu seinem Pseudonym gespeicherten Daten<br />

zu erteilen, 41 trifft <strong>de</strong>n RA ebenfalls nicht; sie bezieht sich nur<br />

auf Daten, die zur Benutzung eines Teledienstes erhoben wur<strong>de</strong>n,<br />

im Einzelnen Bestands-, Nutzungs-, und Abrechnungsdaten.<br />

Die Daten, die <strong>de</strong>r Anwalt zur Rechtsberatung erhebt, sind<br />

Inhaltsdaten und fallen nicht darunter. 42<br />

c) Anzeige <strong>de</strong>r Weitervermittlung<br />

Der Anbieter ist gem. § 4 Abs. 5 TDDSG verpflichtet, <strong>de</strong>m Nutzer<br />

die Weiterleitung zu einem an<strong>de</strong>ren Diensteanbieter anzuzeigen.<br />

Unter <strong>de</strong>r Weiterleitung ist <strong>de</strong>r vom Anbieter initiierte<br />

Wechsel zum Angebot eines an<strong>de</strong>ren Anbieters zu verstehen. 43<br />

Keine Anzeigepflicht besteht, wenn <strong>de</strong>r Nutzer lediglich einem<br />

vom Anbieter gesetzten Link folgt, soweit dieser als externer<br />

Verweis zu erkennen ist. 44 Die Erkennbarkeit ist in <strong>de</strong>r Regel<br />

gegeben, da alle Browser in <strong>de</strong>r Statuszeile die URL anzeigen,<br />

37 Bizer in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §4 TDDSG,<br />

Rdnr. 125.<br />

38 Bizer in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §3 TDDSG,<br />

Rdnr. 226. Hansen hält die Unterbringung im Impressum für möglich;<br />

Hansen , Rechtliche Anfor<strong>de</strong>rungen an die Gestaltung von<br />

Kanzleihomepages, ZGS 2003, 261 (269).<br />

39 §4 Abs. 3 TDDSG.<br />

40 §6Abs. 3 Satz 2 TDDSG.<br />

41 §4 Abs. 7 TDDSG.<br />

42 Schaar, Datenschutz im Internet, S. 164.<br />

43 Schulz in: Roßnagel, Recht <strong>de</strong>r Multimedia-Dienste, §4 TDDSG,<br />

Rdnr. 418.<br />

44 Schaar, Datenschutz im Internet, S. 119.<br />

zu welcher ein Link führt. Dem Anwalt, <strong>de</strong>r ein Online-Formular<br />

zur Rechtsberatung nutzt, bereitet diese Regelung keine<br />

Probleme. Soweit er sich zur Abwicklung <strong>de</strong>r Zahlung <strong>de</strong>s Teledienstes<br />

eines Drittanbieters bedient, muss er darauf hinweisen.<br />

Reine Linklisten hingegen bedürfen keines <strong>de</strong>rartigen Hinweises.<br />

5. Der Bußgeldtatbestand <strong>de</strong>s § 9TDDSG<br />

Dem Teledienstedatenschutzgesetz fehlte zunächst eine Sanktionsvorschrift.<br />

Mit <strong>de</strong>m seit <strong>de</strong>m 1. Januar 2002 gelten<strong>de</strong>n Bußgeldtatbestand<br />

<strong>de</strong>s § 9 TDDSG hat <strong>de</strong>r Gesetzgeber Abhilfe geschaffen.<br />

In einem Katalog wer<strong>de</strong>n eine Reihe von Verstößen<br />

gegen Informations- und Organisationspflichten als Ordnungswidrigkeit<br />

qualifiziert. Für <strong>de</strong>n RA ist insbeson<strong>de</strong>re § 9 Abs. 1<br />

Nr. 2 TDDSG von Be<strong>de</strong>utung. Danach han<strong>de</strong>lt ordnungswidrig,<br />

wer die Datenschutzerklärung <strong>de</strong>s § 4 Abs. 1 TDDSG<br />

nicht, nicht richtig, nicht vollständig o<strong>de</strong>r nicht rechtzeitig vorhält.<br />

In diesem Fall kann eine Geldbuße von bis zu 50.000<br />

Euro verhängt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Verhängung eines Bußgelds ist nicht die einzige Sanktionsmöglichkeit,<br />

nur am Ran<strong>de</strong> soll noch erwähnt wer<strong>de</strong>n, dass<br />

Scha<strong>de</strong>nsersatz- und Unterlassungsansprüche aus <strong>de</strong>m UWG<br />

ebenfalls möglich sind, auch berufsrechtliche Maßnahmen<br />

durch die Anwaltskammern sind nicht ausgeschlossen.<br />

IV. Fazit<br />

Auch wenn es auf <strong>de</strong>n ersten Blick an<strong>de</strong>rs aussehen mag, legt<br />

das TDDSG anwaltlicher Rechtsberatung via Internet keine<br />

Steine in <strong>de</strong>n Weg. Rechtsberatung per E-Mail ist <strong>de</strong>m Anwendungsbereich<br />

<strong>de</strong>s TDDSG entzogen, da es sich nicht um einen<br />

vom RA betriebenen Teledienst han<strong>de</strong>lt. Auf Rechtsberatung<br />

über Online-Formulare ist das TDDSG grundsätzlich zwar anwendbar,<br />

allerdings stellen die zur Rechtsberatung ausgetauschten<br />

Informationen bloße Inhaltsdaten dar, auf welche die<br />

Beschränkungen <strong>de</strong>s TDDSG zur Erhebung, Verarbeitung und<br />

Nutzung von Daten nicht anwendbar sind. Dennoch treffen<br />

<strong>de</strong>n Anwalt als Verwen<strong>de</strong>r eines Online-Formulars O rganisations-<br />

und Hinweispflichten. Zum einen ist <strong>de</strong>r Schutz vor frem<strong>de</strong>r<br />

Kenntnisnahme zu nennen: Der RA muss <strong>de</strong>m Nutzer die<br />

Möglichkeit einräumen, <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s Online-Formulars über<br />

eine sichere Verbindung zu verschicken – es bietet sich an, zu<br />

diesem Zweck die SSL-Verschlüsselung einzusetzen. Zum an<strong>de</strong>ren<br />

ist auf <strong>de</strong>r Website eine Datenschutzerklärung vorzuhalten,<br />

welche darüber Auskunft gibt, welche Daten erhoben wer<strong>de</strong>n<br />

und zu welchem Zweck dies geschieht. Da <strong>de</strong>r Umfang<br />

<strong>de</strong>r anfallen<strong>de</strong>n Daten einzelfallabhängig ist, genügt ein allgemeiner<br />

Hinweis darauf, dass die vom Mandanten übermittelten<br />

Daten zum Zweck <strong>de</strong>r Rechtsberatung verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Reform <strong>de</strong>s französischen Anwaltsrechts<br />

Rechtsanwalt und Avocat Dr. Arno Maier-Bridou 1 , Frankfurt am Main<br />

Frankreich hat Anfang 2004 mit 4-jähriger Verspätung die EG-<br />

Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie 2 in französisches Recht umgesetzt.<br />

1 Dr. Arno Maier-Bridou, LL.M. (Cornell University), Rechtsanwalt<br />

und Avocat (Paris), ist Partner bei GGV Grützmacher/Gravert/Viegener<br />

in Frankfurt am Main.<br />

Selbst ein Vertragsverletzungsverfahren vor <strong>de</strong>m Europäischen<br />

Gerichtshof, das 2002 mit einer Verurteilung Frankreichs en<strong>de</strong>te<br />

3 ,konnte die Umsetzung nicht entschei<strong>de</strong>nd beschleunigen.<br />

Ursache <strong>de</strong>r jahrelangen Verzögerung, die unter <strong>de</strong>n zahlreichen<br />

in Frankreich nie<strong>de</strong>rgelassenen ausländischen RAen einen<br />

gewissen Zulassungsstau verursachte, war jedoch nicht<br />

(wie in einigen an<strong>de</strong>ren Nachzüglerstaaten) ein etwaiger pro-


258 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Maier-Bridou, Die Reform <strong>de</strong>s französischen Anwaltsrechts<br />

tektionistischer Hintergedanke 4 , son<strong>de</strong>rn die Tatsache, dass die<br />

Umsetzung <strong>de</strong>r Richtlinie mit einer allgemeinen Reform <strong>de</strong>s<br />

Berufsrechts <strong>de</strong>r RAe und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren rechtsnahen Berufe verbun<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong>. Durch Gesetz vom 11.2.2004 5 wur<strong>de</strong> das französische<br />

Anwaltsgesetz von 1971 6 grundlegend geän<strong>de</strong>rt und<br />

mo<strong>de</strong>rnisiert.<br />

1. Der Zugang zum Anwaltsb eruf nach <strong>de</strong>r Umsetzun g <strong>de</strong>r<br />

Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie ist nun für EG-Anwälte (d.h. für RAe<br />

mit Staatsangehörigkeit und Zulassung eines EG-Mitgliedstaats)<br />

nach Ablauf <strong>de</strong>r dreijährigen Nie<strong>de</strong>rlassungsfrist in Frankreich<br />

eher Formsache. 7 Wer nicht in Frankreich nie<strong>de</strong>rgelassen ist,<br />

o<strong>de</strong>r wer (wohl kaum ein häufiger Fall) zwar drei Jahre in<br />

Frankreich nie<strong>de</strong>rgelassen, jedoch nicht auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s<br />

französischen Rechts tätig ist, o<strong>de</strong>r wer die drei Jahre nicht abwarten<br />

will, muss wie bisher eine Eignungsprüfung ablegen.<br />

Während <strong>de</strong>r dreijährigen Wartezeit kann sich <strong>de</strong>r EG-Anwalt<br />

unter seiner Herkunftsbezeichnung in Frankreich nie<strong>de</strong>rlassen<br />

und natürlich auch im französischen Recht beraten. Der<br />

Schwierigkeitsgrad <strong>de</strong>r Eignungsprüfung wird gelegentlich von<br />

<strong>de</strong>n Astn. unterschätzt, auch von Auslandsfranzosen mit einer<br />

Zulassung eines an<strong>de</strong>ren EG-Mitgliedstaats.<br />

Eine positive Folge <strong>de</strong>r Reform ist, dass sich nunmehr französische<br />

RAe ohne Einschränkungen mit an<strong>de</strong>ren EG-Anwälten (in<br />

Frankreich und im Ausland) assoziieren können. Dies hatte in<br />

<strong>de</strong>r Vergangenheit immer wie<strong>de</strong>r zu Problemen geführ t. EG-<br />

Anwälte können bei ihrer Nie<strong>de</strong>rlassung in Frankreich entwe<strong>de</strong>r<br />

eine <strong>de</strong>r Rechtsformen <strong>de</strong>s französischen Rechts (nahezu<br />

alle Formen <strong>de</strong>r Personengesellschaft o<strong>de</strong>r Kapitalgesellschaft)<br />

nutzen o<strong>de</strong>r auch eine Rechtsform eines an<strong>de</strong>ren EG-Mitgliedstaats<br />

(z.B. die <strong>de</strong>utsche Gesellschaft bürgerlichen Rechts).<br />

Auch können jetzt französische Anwälte problemlos als freie<br />

Mitarbeiter o<strong>de</strong>r Arbeitnehmer beschäftigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Noch nicht vollständig gelöst ist das Problem <strong>de</strong>r Versicherungspflicht<br />

gegen Haftpflichtschä<strong>de</strong>n. In Paris, wo die weit<br />

überwiegen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>utscher RAe nie<strong>de</strong>rgelassen ist, und auch<br />

in <strong>de</strong>n meisten größeren Kammerbezirken Frankreichs sind die<br />

Anwälte über einen Gruppenversicherungsvertrag <strong>de</strong>r RAK versichert.<br />

Die Prämie ist in Frankreich erheblich niedriger als in<br />

Deutschland, weil Haftpflichtprozesse in Frankreich (noch) relativ<br />

selten sind und weil die Kammern als Versicherungsnehmer<br />

eine stärkere Verhandlungsmacht haben als <strong>de</strong>r einzelne<br />

Anwalt. Die in Deutschland und Frankreich zugelassenen RAe,<br />

2 Richtlinie 98/5/EG <strong>de</strong>s Europäischen Parlaments und <strong>de</strong>s Rates v.<br />

16.2.1998 zur Erleichterung <strong>de</strong>r ständigen Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs<br />

in einem an<strong>de</strong>ren Mitgliedstaat als <strong>de</strong>m, in <strong>de</strong>m die<br />

Qualifikation erworben wur<strong>de</strong> (Amtsblatt Nr. L 077 vom 14.3.1998,<br />

S. 36–43, abrufbar in <strong>de</strong>r Internetdatenbank <strong>de</strong>s europäischen<br />

Rechts Eur-Lex unter www.europa.eu.int/eur-lex. Deutschland hat<br />

die Richtlinie im Gesetz über die Tätigkeit europäischer RAe in<br />

Deutschland (EuRAG) v. 9.3.2000 umgesetzt.<br />

3 Urt. v. 26.9.2002 in <strong>de</strong>r Rechtssache C-351/01; die Vollstreckung<br />

nach Art. 228 EG-Vertrag drohte seit Frühjahr 2003. Soweit ersichtlich,<br />

hat lediglich Irland – trotz Verurteilung durch <strong>de</strong>n EuGH mit<br />

Urt. v. 10.12.2002 (Rechtssache C-362/01) – die Richtlinie noch<br />

nicht umgesetzt.<br />

4 In Paris sind seit Jahrzehnten Hun<strong>de</strong>rte von ausländischen RAen nie<strong>de</strong>rgelassen<br />

und das französische Berufsrecht ermöglichte (an<strong>de</strong>rs<br />

als das <strong>de</strong>utsche Recht!) bereits lange vor <strong>de</strong>r EG-Richtlinie die Nie<strong>de</strong>rlassung<br />

ausländischer RAe.<br />

5 Gesetz Nr. 2004-130 v. 11.2.2004, Gesetzblatt v. 12.2.2004, abrufbar<br />

unter www.legifrance.gouv.fr, <strong>de</strong>m Gesetzgebungsportal <strong>de</strong>r<br />

französischen Regierung.<br />

6 Gesetz Nr. 71-1130 v. 31.12.1971 (im Folgen<strong>de</strong>n: Anwaltsgesetz –<br />

AnwG), in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeit gelten<strong>de</strong>n konsolidierten Fassung ebenfalls<br />

abrufbar unter www.legifrance.gouv.fr.<br />

7 Die Vorschriften betreffend EG-Anwälte fin<strong>de</strong>n sich in Art. 83 ff. AnwG.<br />

welche in Deutschland nie<strong>de</strong>rgelassen sind, müssen bisher in<br />

bei<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn die volle Prämie bezahlen, weil die <strong>de</strong>utschen<br />

Versicherungspolicen – abgesehen von <strong>de</strong>n teilweise <strong>de</strong>m französischen<br />

Recht frem<strong>de</strong>n Haftungsausschlüssen <strong>de</strong>s §51<br />

Abs. 3 BRAO 8 – häufig eine niedrigere Deckungsgrenze als in<br />

Frankreich und nahezu immer eine Jahres<strong>de</strong>ckungsgrenze vorsehen.<br />

9 Damit gelten sie nicht als <strong>de</strong>r französischen Deckung<br />

gleichwertig. Die vom französischen Anwaltsgesetz gefor<strong>de</strong>rte<br />

Differenz<strong>de</strong>ckung ist jedoch bisher nicht auf <strong>de</strong>m französischen<br />

Markt erhältlich; ebenso wenig eine Beitragsreduzierung.<br />

10 Für die in Frankreich nie<strong>de</strong>rgelassenen EG-Anwälte ist<br />

die Angelegenheit weniger brennend; sie zahlen in <strong>de</strong>r Regel<br />

in Deutschland nur die Min<strong>de</strong>stversicherungsprämie und in<br />

Frankreich die volle Prämie.<br />

2. Die Diskussion über Ausb ildung <strong>de</strong>r RAe ist in Frankreich<br />

ebenso wie in Deutschland ein Dauerbrenner. Der wichtigste<br />

Unterschied zu Deutschland ist <strong>de</strong>r, dass es in Frankreich keine<br />

einheitliche Ausbildung für die verschie<strong>de</strong>nen juristischen Berufe<br />

gibt. Eine einheitliche Ausbildung für alle juristischen Berufe<br />

(<strong>de</strong>n „Volljurist“) gibt es bekanntlich (fast) nur in Deutschland,<br />

und zwar vor allem <strong>de</strong>swegen, weil nur <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche<br />

Staat einen so hohen finanziellen Beitrag zur Anwaltsausbildung<br />

zu leisten bereit ist. Dabei erkennt man auch in Frankreich,<br />

dass eine (je<strong>de</strong>nfalls teilweise) gemeinsame Ausbildung<br />

zumin<strong>de</strong>st von zukünftigen RAen und Richtern wünsche nswert<br />

wäre. Jedoch fehlt es hierfür am Geld, zumal die französische<br />

Anwaltschaft die Ausbildung ihres Nachwuchses (mit einer<br />

immer geringer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Beteiligung <strong>de</strong>s Staates und einer<br />

immer höher wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Beteiligung <strong>de</strong>r Referendare) selbst finanziert.<br />

11 Damit die Anwälte die bittere Pille <strong>de</strong>r Finanzierung<br />

ohne großen Protest schlucken, hat man ihnen ein erhebliches<br />

Mitspracherecht bei <strong>de</strong>r Zulassung von Referendaren eingeräumt.<br />

So erklärt sich maßgeblich die im Verhältnis zur Bevölkerungszahl<br />

weitaus geringere Zahl von RAen in Frankreich!<br />

Da es trotz <strong>de</strong>r Initiative mehrerer Regierungen (wegen <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstands<br />

<strong>de</strong>s Parlaments) keine Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> gibt,<br />

kann auch kein Bürger gerichtlich überprüfen lassen, ob diese<br />

Einschränkung <strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>r Berufswahl mit <strong>de</strong>r französischen<br />

Verfassung vereinbar ist.<br />

Die Referendarzeit, die an einem <strong>de</strong>r (bisher 22) regionalen<br />

Ausbildungszentren abgeleistet wer<strong>de</strong>n muss 12 , wur<strong>de</strong> nun von<br />

12 auf 18 Monate verlängert. Die Ausbildung während <strong>de</strong>r Referendarzeit<br />

ist dual, d.h. <strong>de</strong>r Referendar ist alternierend beim<br />

Anwalt und im Ausbildungszentrum tätig. Der Status <strong>de</strong>r Referendarausbildungszentren<br />

(Körperschaften <strong>de</strong>s öffentlichen<br />

Rechts, bisher unter <strong>de</strong>r Aufsicht <strong>de</strong>r RAKn) wur<strong>de</strong> neu geregelt,<br />

u.a. um die bestehen<strong>de</strong>n Qualitätsunterschie<strong>de</strong> zwischen<br />

<strong>de</strong>n Zentren zu verringern und um das Pariser Zentrum, welches<br />

die weit überwiegen<strong>de</strong> Zahl aller französischen Referendare<br />

ausbil<strong>de</strong>t, zu entlasten. Zukünftig unterstehen die Ausbil-<br />

8 Das französische Recht erlaubt z.B. keinen Haftungsausschluss für<br />

Veruntreuungen von Fremdgel<strong>de</strong>rn; Veruntreuungen sind vielmehr<br />

durch eine Vertrauensscha<strong>de</strong>nversicherung ge<strong>de</strong>ckt.<br />

9 Die Jahres<strong>de</strong>ckungsgrenze ist nach § 51 Abs. 4Satz 2 BRAO zulässig;<br />

Die Versicherungspolice <strong>de</strong>r Pariser Kammer sieht <strong>de</strong>rzeit eine<br />

Deckungsgrenze von Euro 7,5 Mio. für je<strong>de</strong>n Versicherungsfall<br />

ohne Jahres<strong>de</strong>ckungsgrenze vor.<br />

10 Sie ist, soweit ersichtlich, auch in Deutschland (für <strong>de</strong>n in Deutschland<br />

nie<strong>de</strong>rgelassenen Anwalt) bisher nicht erhältlich. Der Rat <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Anwaltschaften CCBE hat sich Anfang 2004 nunmehr<br />

dafür eingesetzt, eine Differenz-Haftpflichtversicherung zu schaffen,<br />

vgl. Pressemitteilung v. 4.2.2004, www.ccbe.org.<br />

11 Nach Art. 14-1 AnwG durfte <strong>de</strong>r Beitrag aller französischen RAe im<br />

Jahr 2002 insgesamt 11 Mio. Euro nicht überschreiten; er darf sich<br />

jährlich um maximal 10 %erhöhen.<br />

12 Art. 13 ff. AnwG.


BRAK-Mitt. 6/2004 Aufsätze 259<br />

Maier-Bridou, Die Reform <strong>de</strong>s französischen An waltsrechts<br />

dungszentren <strong>de</strong>m Nationalen Rat <strong>de</strong>r Anwaltskammern CNB<br />

(„conseil national <strong>de</strong>s barreaux“, vergleichbar <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

BRAK).<br />

Die 2-jährige „stage“ nach <strong>de</strong>r Anwaltszulassung entfällt künftig.<br />

13 Der jetzt abgeschaffte „avocat stagiaire“ hatte ähnlich<br />

<strong>de</strong>m früher auch in Deutschland bekannten Anwaltsassessor<br />

sämtliche Rechte und Pflichten eines RA, durfte <strong>de</strong>n Beruf jedoch<br />

nur unter <strong>de</strong>r Aufsicht eines „maître <strong>de</strong> stage“ ausüben.<br />

Dies war ein weiteres Hin<strong>de</strong>rnis für <strong>de</strong>n Zugang zum Beruf, da<br />

immer mehr „avocats stagiaire“ nur unter großen Schwierigkeiten<br />

einen „maître <strong>de</strong> stage“ fin<strong>de</strong>n konnte. Der W egfall <strong>de</strong>r<br />

„stage“ soll u.a. dadurch kompensiert wer<strong>de</strong>n, dass nun eine<br />

obligatorische Weiterbildung eingeführt wird, die nunmehr<br />

ebenso wie die Prüfungen für die Fachanwaltsbezeichnungen<br />

durch die Ausbildungszentren durchgeführt wird. 14<br />

3. Das anwaltliche Berufsrecht ist in Frankreich eine scharfe<br />

Waffe, da die Kammern wesentlich weiter gehen<strong>de</strong> Aufsichtsbefugnisse<br />

als in Deutschland haben. Bisher hatte <strong>de</strong>r Vorstand<br />

<strong>de</strong>r Anwaltskammer sowohl die Funktion einer „Anklagebehör<strong>de</strong>“<br />

als auch eines Anwaltsgerichts, was nicht unbedingt<br />

mit Art. 6 Abs. 1 <strong>de</strong>r Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

vereinbar war. Nunmehr wer<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Bezirk je<strong>de</strong>s<br />

Berufungsgerichts 15 ausgeglie<strong>de</strong>rte „Disziplinarkammern“ geschaffen,<br />

die von <strong>de</strong>n Anwaltskammern nicht mehr unmittelbar<br />

abhängig sind. 16 Wie die <strong>de</strong>utschen Anwaltsgerichte sind<br />

die Disziplinarkammern nur mit Anwälten besetzt, allerdings<br />

ausschließlich mit amtieren<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r ehemaligen Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

eines Kammervorstands, so dass die Unabhängigkeit doch<br />

noch Grenzen hat. 17 Die Disziplinarkammern können nur auf<br />

Antrag <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Anwaltskammer („bâtonnier“) 18<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft tätig wer<strong>de</strong>n. Gegen ihre Entscheidungen<br />

kann Berufung beim zuständigen Berufungsgericht<br />

und ggf. Revision beim Kassationshof eingelegt wer<strong>de</strong>n. Diese<br />

Gerichte entschei<strong>de</strong>n dann aber ohne Beteiligung von RAen. 19<br />

13 Dadurch erledigt sich auch (je<strong>de</strong>nfalls bezüglich Frankreich) die Frage,<br />

ob ein französischer avocat stagiaire sich auf Grund <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie<br />

bzw. <strong>de</strong>s EuRAG in Deutschland nie<strong>de</strong>rlassen<br />

konnte. Vgl. das Urteil <strong>de</strong>s EuGH v. 13.11.2003 in <strong>de</strong>r Rechtssache<br />

C-313/01 (Morgenbesser), kommentiert von Gemberg-Wiesike in<br />

AnwBl. 2004, 40.<br />

14 Art. 14-2 AnwG; Form und Umfang dieser Weiterbildung müssen<br />

noch durch eine Rechtsverordnung bestimmt wer<strong>de</strong>n.<br />

15 Anwaltskammern bestehen für je<strong>de</strong>n Bezirk eines LG; viele Kammern<br />

in <strong>de</strong>r Provinz haben sehr wenige Mitglie<strong>de</strong>r.<br />

16 Art. 22 ff. AnwG; die Pariser Kammer ist so groß, dass <strong>de</strong>r Gesetzgeber<br />

meinte, ihr weiterhin die Disziplinarzuständigkeit ohne Gefahr<br />

für die Objektivität <strong>de</strong>s Verfahrens belassen zu können.<br />

17 Nach §§ 94 Abs. 3,103 Abs. 2, 108 Abs. 2 BRAO hingegen dürfen<br />

die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Berufsgerichte für RAe nicht gleichzeitig <strong>de</strong>m<br />

Kammervorstand angehören.<br />

18 Der bâtonnier kann nicht Mitglied einer Disziplinarkammer sein.<br />

19 Hingegen sind in Deutschland bekanntlich nach §§ 101, 106 BRAO<br />

auch RAe Mitglied <strong>de</strong>r Anwaltsgerichtshöfe bzw. <strong>de</strong>s Senats für Anwaltsachen<br />

beim BGH, was sich durchaus bewährt hat.<br />

20 Frankreich besteht aus Paris, <strong>de</strong>r Provinz und <strong>de</strong>n DOM/TOM<br />

(Übersee<strong>de</strong>partements und -gebiete); <strong>de</strong>r Begriff „Provinz“ hat in<br />

Frankreich keine negative Be<strong>de</strong>utung.<br />

Die Rolle <strong>de</strong>s Nationalen Rats <strong>de</strong>r Anwaltskammern CNB wird<br />

erheblich verstärkt. Die Zahl <strong>de</strong>r Kammern ist in Frankreich<br />

wesentlich höher als in Deutschland. Auf Grund <strong>de</strong>r Größe<br />

und Dominanz <strong>de</strong>r Pariser Kammer waren die „Provinzkammern“<br />

20 lange vehement gegen eine nationale Berufsvertretung<br />

und <strong>de</strong>r CNB wur<strong>de</strong> erst 1990 geschaffen. Der CNB hat<br />

nun auch die gesetzliche Aufgabe, das Berufsrecht zu<br />

vereinheitlichen und <strong>de</strong>n Berufsstand nach außen (einschließlich<br />

gegenüber ausländischen Berufsorganisationen) zu repräsentieren.<br />

21<br />

4. Ein weiterer Dauerbrenner, <strong>de</strong>r bei grenzüberschreiten<strong>de</strong>n<br />

Sachverhalten zu fast unlösbaren praktischen Problemen führen<br />

konnte, ist die strenge Verschwiegenheitspflicht <strong>de</strong>r französischen<br />

Anwälte. Die Verschwiegenheitspflicht ergibt sich unmittelbar<br />

aus <strong>de</strong>m Gesetz, ist allumfassend und auch <strong>de</strong>r Mandant<br />

kann (an<strong>de</strong>rs als in Deutschland) seinen Anwalt nicht von<br />

ihr befreien. Sie beschränkt sich auch nicht auf die Kommunikation<br />

zwischen A nwalt und Mandant, son<strong>de</strong>rn erfasst (ebenfalls<br />

an<strong>de</strong>rs als in Deutschland) auch jegliche Kommunikation<br />

zwischen <strong>de</strong>n Anwälten. Aus diesem Grund erhält ein Mandant<br />

auch nie von seinem französischen Anwalt Kopien <strong>de</strong>s<br />

Schriftwechsels mit <strong>de</strong>m gegnerischen RA, son<strong>de</strong>rn immer nur<br />

eine eigene Zusammenfassung. 22 Die Rechtsgrundlage und <strong>de</strong>r<br />

Umfang <strong>de</strong>r Verschwiegenheitspflicht waren in <strong>de</strong>n letzten Jahren<br />

unterschiedlich; zuletzt hatte <strong>de</strong>r Kassationshof 2003 geurteilt,<br />

dass keinerlei Ausnahme von <strong>de</strong>r Verschwiegenheit zulässig<br />

sei. Nach <strong>de</strong>r Berufsrechtsreform ist die Korrespon<strong>de</strong>nz zwischen<br />

RAen (und nur diese!) nicht vertraulich, wenn die Schreiben<br />

ausdrücklich als „offiziell“ gekennzeichnet sind. 23 In nicht<br />

vertraulichen Schreiben darf nur auf Fakten Bezug genommen<br />

wer<strong>de</strong>n, welche ebenfalls nicht vertraulich sind.<br />

Beim Schriftverkehr zwischen RAen, die in verschie<strong>de</strong>nen<br />

EG-Mitgliedstaaten zugelassen sind, sieht Art. 5 Abs. 3 <strong>de</strong>r<br />

CCBE-Berufsregeln, welche über § 29 Berufsordnung auch in<br />

Deutschland anwendbar sind, vor, dass die Verschwiegenheitspflicht<br />

nur besteht, wenn ausdrücklich in <strong>de</strong>m Schreiben<br />

darauf hingewiesen wird. Hier gilt also letztlich die <strong>de</strong>utsche<br />

Regel. Die CCBE-Berufsregeln sind nicht anwendbar auf die<br />

Korrespon<strong>de</strong>nz zwischen einem in Frankreich zugelassenen<br />

und nie<strong>de</strong>rgelassenen avocat und einem in Deutschland und<br />

Frankreich zugelassenen RA, <strong>de</strong>r in Deutschland nie<strong>de</strong>rgelassen<br />

ist. Der letztere Kollege konnte sich bisher eigentlich nur<br />

falsch verhalten, <strong>de</strong>nn die nationalen Berufsrechte waren<br />

schlicht unvereinbar: nach <strong>de</strong>utschem Recht musste er <strong>de</strong>m<br />

Mandanten das Schreiben <strong>de</strong>s französischen Kollegen weiterleiten<br />

und nach französischem Recht durfte er genau dies<br />

nicht. Die Gesetzesän<strong>de</strong>rung eröffnet ihm jedoch jetzt einen<br />

Ausweg; er müsste eigentlich <strong>de</strong>n französischen Kollegen auf<br />

die <strong>de</strong>utsche Rechtslage aufmerksam machen und von ihm<br />

verlangen, das dieser seine Schreiben als „nicht vertraulich“<br />

kennzeichnet.<br />

5. Durch das Gesetz vom 11.2.2004 wur<strong>de</strong>n auch zahlreiche<br />

Gesetze betreffend an<strong>de</strong>re justiznahe freie Berufe geän<strong>de</strong>rt,<br />

wie z.B. die Gesetze betreffend Insolvenzverwalter, Patentanwälte,<br />

gerichtliche Sachverständige, Gerichtsvollzieher, Notare,<br />

Sachverständige für Versteigerungen und Geschäftsstellenverwalter<br />

bei <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lsgerichten. 24 Hierauf soll an dieser<br />

Stelle nicht eingegangen wer<strong>de</strong>n.<br />

21 Art. 21-1 ff. AnwG.<br />

22 Die strenge Verschwiegenheitspflicht kann <strong>de</strong>m Mandant die Beweisführung<br />

bei beruflichen Fehlern <strong>de</strong>s Anwalts erheblich erschweren.<br />

23 Art. 66-6 AnwG; bei einer Korrespon<strong>de</strong>nz in <strong>de</strong>utscher Sprache<br />

wird wohl auch <strong>de</strong>r Vermerk „nicht vertraulich“ ausreichen.<br />

24 Da an <strong>de</strong>n französischen Han<strong>de</strong>lsgerichten nur ehrenamtliche Han<strong>de</strong>lsrichter<br />

Recht sprechen, wird die Infrastruktur dieser Gerichte<br />

durch sog. freiberufliche Geschäftsstellenverwalter, <strong>de</strong>n „greffiers<br />

<strong>de</strong>s tribunaux <strong>de</strong> commerce“, sichergestellt, welche das Gericht als<br />

Inhaber eines öffentlichen Amts im staatlichen Auftrag verwalten<br />

(z.B. das Han<strong>de</strong>lregister führen) und das entsprechen<strong>de</strong> Personal auf<br />

eigene Rechnung beschäftigen. Die „greffiers“ an sämtlichen an<strong>de</strong>ren<br />

Gerichten sind hingegen Beamte und mit <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Urkundsbeamten<br />

vergleichbar.


260 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Heintze, Gemeinsame Markenbildung für selbständige Rechtsanwaltskanzleien<br />

Gemeinsame Markenbildung für selbständige Rechtsanwaltskanzleien<br />

– die Urteile zu CMS Hasche Sigle und Legitas –<br />

Rechtsanwalt Dr. Fabian Georg Heintze, Hamburg<br />

Mit zwei in Ihrer Be<strong>de</strong>utung weitreichen<strong>de</strong>n Urteilen ermöglicht<br />

die <strong>de</strong>utsche Rspr. auch selbständig bleiben<strong>de</strong>n Kanzleien,<br />

im Verbund mit an<strong>de</strong>ren selbständigen RA en an <strong>de</strong>n Vorteilen<br />

eines Markenbildungsprozesses teilzuhaben.<br />

1. Kooperationen können <strong>de</strong>n Kooperationsnamen <strong>de</strong>m Kanzleinamen<br />

voranstellen<br />

Im Urteil zum internationalen Kanzleiverbund CMS hat es <strong>de</strong>r<br />

BGH <strong>de</strong>r Kanzlei Sigle Hasche ausdrücklich erlaubt, ihrem<br />

Kanzleinamen das Kürzel <strong>de</strong>r Europäischen Wirtschaftlichen<br />

Interessenvereinigung (EWIV) CMS voranzustellen. 1 CMS<br />

steht für Cameron McKenna Sigle und ist ein Zusammenschluss<br />

selbständiger Sozietäten in einer EWIV (Europäische<br />

Wirtschaftliche Interessenvereinigung). So gibt es neben <strong>de</strong>r<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Sozietät CMS Hasche Sigle in Österreich die<br />

Kanzlei CMS Reich-Rohrwig Hainz, in Großbritannien die<br />

Kanzlei CMS Cameron McKenna und in Belgien CMS Lexcelis<br />

. CMS ist somit gera<strong>de</strong> keine überörtliche Sozietät, son<strong>de</strong>rn<br />

eine überörtliche Kooperation. Während alle Kanzleien im<br />

Briefkopf ihren Namen mit <strong>de</strong>r Voranstellung CMS führen,<br />

wird in <strong>de</strong>r Fußzeile die Art <strong>de</strong>s Zusammenschlusses erläutert.<br />

Ein solcher Hinweis auf eine Kooperation ist nach <strong>de</strong>m BGH<br />

zulässig.<br />

Nichts an<strong>de</strong>res hat letztlich <strong>de</strong>r AnwGH in seinem Urteil zu Legitas<br />

entschie<strong>de</strong>n. 2 Dass es sich bei CMS um einen internationalen<br />

Zusammenschluss und bei Legitas lediglich um einen<br />

Zusammenschluss von Kanzleien aus Deutschland han<strong>de</strong>lt,<br />

spielt für die Bewertung nach Berufs- und Wettbewerbsrecht<br />

keine Rolle.<br />

2. Erläuterung von Aussagen auf <strong>de</strong>m Briefkopf durch eine<br />

Fußzeile<br />

Neben <strong>de</strong>r Benennung im Briefkopf spielt für die Zulässigkeit<br />

auch die erläutern<strong>de</strong> Fußzeile eine wichtige Rolle. Kopp 3<br />

meint, <strong>de</strong>r Hinweis in einer Fußzeile genüge nicht, um <strong>de</strong>n im<br />

Briefkopf erweckten Anschein einer Sozietät zu korrigieren.<br />

Das ist sicherlich richtig, sofern <strong>de</strong>r Eindruck einer Sozietät im<br />

Briefkopf wirklich erweckt wird. Die Frage, ob ein Hinweis in<br />

<strong>de</strong>r Fußzeile genügt, um eine Aussage im Briefkopf zu erläutern,<br />

hängt naturgemäß von <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r im Briefkopf gemachten<br />

Aussage ab. Kopp führt ein Urteil <strong>de</strong>s OLG München 4 an, nach<br />

1 BGH, BRAK-Mitt. 2002, 92 = NJW 2002, 608.<br />

2 AnwGH Hamburg, NJW 2004, 371 ff. = BRAK-Mitt. 2004, 81; Die aktuelle<br />

Kritik an diesem Urteil verkennt <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>s CMS -Verbun<strong>de</strong>s,<br />

wenn dort festgestellt wird: „Denn die Rechtsanwaltsgemeinschaft (CMS,<br />

Anm. <strong>de</strong>s Verfassers) selbst war sowohl nach <strong>de</strong>ren Anschein, als auch in<br />

Wirklichkeit eine überörtliche Sozietät i.S. von § 59a BRAO. An<strong>de</strong>rs als<br />

bei CMS liegt eine solche überörtliche Sozietät (bei Legitas, Anm. <strong>de</strong>s<br />

Verfassers) aber gera<strong>de</strong> nicht vor.“ Siegmund, NJW 2004, 1635, 1638;<br />

bzw. Kopp, BRAK-Mitt. 2004, 154, 156 Fn. 24: „Hierin liegt <strong>de</strong>r wichtige<br />

Unterschied <strong>de</strong>s Legitas-Falles zu <strong>de</strong>r BGH-Rspr. zum Zusatz CMS .“<br />

3 BRAK-Mitt. 2004, 154, 156.<br />

4 OLG München, NJW-RR 1996, 1149.<br />

<strong>de</strong>m die Aufklärung über eine Kooperation in <strong>de</strong>r Fußzeile<br />

nicht ausreichen soll, um <strong>de</strong>n im Briefkopf erweckten Eindruck<br />

einer Sozietät zu zerstreuen. Das Zitat dieses Urteils<br />

hinkt nicht nur, weil das Urteil <strong>de</strong>s OLG München aus <strong>de</strong>m<br />

Jahr 1996 auf einem gänzlich an<strong>de</strong>ren Regelungsumfeld basiert<br />

als die Urteile zu CMS und Legitas , son<strong>de</strong>rn vor allem<br />

aufgrund <strong>de</strong>s unterschiedlichen Sachverhalts. Das Urteil <strong>de</strong>s<br />

OLG München entschei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Fall, dass eine Rechtsanwaltskanzlei<br />

einen nichtanwaltlichen Diplom-Agraringenieur auf<br />

<strong>de</strong>m Briefkopf führt und lediglich in einer Fußnote darauf hingewiesen<br />

wird, dass dieser nicht RA, son<strong>de</strong>rn landwirtschaftlicher<br />

Sachverständiger sei. Es han<strong>de</strong>lte sich hierbei um ein<br />

wettbewerbsrechtliches Verfahren, in <strong>de</strong>m eine offenkundig<br />

irreführen<strong>de</strong> Aussage auf <strong>de</strong>m Briefkopf lediglich in <strong>de</strong>r Fußzeile<br />

korrigiert wer<strong>de</strong>n sollte. Wenn ein solcher Vergleich dokumentieren<br />

soll, dass auch <strong>de</strong>r Hinweis auf <strong>de</strong>n Kanzleiverbund<br />

CMS o<strong>de</strong>r Legitas im unteren Bereich <strong>de</strong>s Briefbogens<br />

nicht ausreichend sei, so kann <strong>de</strong>m nur die Aussage entnommen<br />

wer<strong>de</strong>n, dass ein solcher Hinweis grundsätzlich keine Erklärungskraft<br />

haben soll. Gera<strong>de</strong> dies hat <strong>de</strong>r BGH im Fall<br />

CMS und <strong>de</strong>r AnwGH im Fall Legitas mit Recht jedoch an<strong>de</strong>rs<br />

gesehen. We<strong>de</strong>r im CMS-Verbund noch im LEGITAS-Verbund<br />

wer<strong>de</strong>n RAe o<strong>de</strong>r Standorte auf <strong>de</strong>m Briefkopf so dargestellt,<br />

dass <strong>de</strong>r Eindruck entsteht, es han<strong>de</strong>le sich um eine Sozietät<br />

<strong>de</strong>r beteiligten Kanzleien. Insofern genügt es bei <strong>de</strong>r konkreten<br />

Darstellung <strong>de</strong>r Kooperationsformen – wie auch die zuständigen<br />

Gerichte zu Recht angenommen haben – einen erklären<strong>de</strong>n<br />

Hinweis in <strong>de</strong>r Fußzeile zu führen.<br />

3. Verhältnis zwischen <strong>de</strong>m Kanzleinamen und <strong>de</strong>m Namen<br />

<strong>de</strong>r Kooperation als Zusatz<br />

Kopp kritisiert das Urteil <strong>de</strong>s AnwGH Hamburg , weil bei<br />

Legitas , im Gegensatz zu CMS , die Kooperationsbezeichnung<br />

im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>s Außenauftritts stehe. Kopp behauptet, in<br />

Form und Farbe dominiere die Bezeichnung Legitas . Diese sei<br />

größer gedruckt und farblich dominierend. Der AnwGH , <strong>de</strong>r<br />

das Logo in <strong>de</strong>r konkreten farblichen Gestaltung vorliegen<br />

hatte, hat an<strong>de</strong>rs entschie<strong>de</strong>n. Die dunkle Schrift <strong>de</strong>s Kanzleinamens<br />

auf hellem Grund ist nach allgemein anerkannten<br />

graphischen Regeln <strong>de</strong>utlicher als die helle Schrift „ Legitas “<br />

auf dunklem Grund. Deshalb sind Zeitungen ja auch<br />

durchgehend in dunkler Farbe auf hellem Untergrund gedruckt.<br />

Entschei<strong>de</strong>nd ist auch hier wie<strong>de</strong>r nicht die Größe – die angestoßene<br />

Diskussion über Schriftgrößen erinnert an die überwun<strong>de</strong>n<br />

geglaubten Streitigkeiten über die Größe von Kanzleischil<strong>de</strong>rn<br />

–, son<strong>de</strong>rn die objektive Erkennbarkeit für die<br />

Verkehrskreise, ob hier eine Sozietät o<strong>de</strong>r eine Kooperation<br />

vorliegt. Durch die <strong>de</strong>utliche Trennung zwischen <strong>de</strong>r Markenbezeichnung<br />

und <strong>de</strong>m Kanzleinamen in zwei getrennten<br />

Quadraten und <strong>de</strong>m Fehlen eines RA „ Legitas“ auf <strong>de</strong>m<br />

Briefkopf wird <strong>de</strong>utlich, dass es sich gera<strong>de</strong> nicht um eine Sozietät<br />

han<strong>de</strong>lt. Auch sind an<strong>de</strong>re RAe aus <strong>de</strong>m Verbund selbständiger<br />

Rechtsanwaltskanzleien auf <strong>de</strong>m Briefkopf nicht genannt.


BRAK-Mitt. 6/2004 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 261<br />

Das aktuelle Urteil<br />

4. Die Bewertung anwaltlicher Verbundsysteme im Vergleich<br />

zu gewerblichen Verbundsystemen.<br />

Die Verbund- und Systemmarkierung ist <strong>de</strong>m Verbraucher seit<br />

<strong>de</strong>m Siegeszug <strong>de</strong>r Markierung von Produkten und Dienstleistungen<br />

wohl vertraut. So steht auf <strong>de</strong>n Werbeschil<strong>de</strong>rn lokaler<br />

Firmen seit Jahrzehnten etwa „Merce<strong>de</strong>s Hillmer“ o<strong>de</strong>r „Spar<br />

Peters“, ohne dass ein Gericht in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten angenommen<br />

hat, hier sei Daimler Chrysler <strong>de</strong>r zur Erfüllung<br />

verpflichtete Vertragspartner einer Autoreparatur o<strong>de</strong>r Spar<br />

verpflichtet, einen Joghurt zu liefern. Wer ernsthaft behauptet,<br />

die Verbundmarkierung stelle nicht sicher, dass <strong>de</strong>r Kun<strong>de</strong> erkennt,<br />

bei einem selbständigen Händler zu kaufen, verkennt<br />

die firmenrechtlichen Realitäten in <strong>de</strong>r gewerblichen Wirtschaft.<br />

Wenn dieser in gewerblichen Verbundsystemen übliche Außenauftritt<br />

anwaltlichen Verbundgruppen verboten sein soll,<br />

dann bedarf es dazu eines verfassungsrechtlich anerkannten<br />

Gemeinwohlinteresses. Dieses Gemeinwohlinteresse ist nicht<br />

ersichtlich. 5 Anwaltliche Verbundsysteme wie CMS und Legitas<br />

bieten RAen und Kanzleien <strong>de</strong>n Vorteil, auf eine gemeinsame<br />

Marketing- und Organisationsplattform zurückzugreifen, ohne<br />

ihre Selbständigkeit aufgeben zu müssen.<br />

5 Ausführlich hierzu: Heintze , Rechtsanwalt-Franchising, Bonn 2003.<br />

Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk und Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Allianz Versicherungs-AG, München,<br />

Rechtsanwalt Holger Grams 1<br />

Das aktuelle Urteil<br />

Haftung gegenüber Dritten, die nicht Mandanten sind, im<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Zahlung einer Barkaution<br />

1. Wird <strong>de</strong>r gegen <strong>de</strong>n Mandanten eines RA erlassene Haftbefehl<br />

unter <strong>de</strong>r Voraussetzung außer Vollzug gesetzt, dass <strong>de</strong>r Beschuldigte<br />

selbst eine Barkaution leistet, und ist ein Dritter bereit, ihm<br />

diesen Betrag zur Verfügung zustellen, so we r<strong>de</strong>n vertragliche<br />

Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Dritten und <strong>de</strong>m RA <strong>de</strong>s Beschuldigten<br />

nicht schon dadurch begrün<strong>de</strong>t, dass er mit ihm die technische<br />

Abwicklung <strong>de</strong>s Zahlungsvorgangs über ein An<strong>de</strong>rkonto <strong>de</strong>s<br />

RA vereinbart.<br />

2. Belehrt <strong>de</strong>r RA <strong>de</strong>n Beschuldigten nicht über die Möglichkeit,<br />

<strong>de</strong>n Anspruch auf Rückzahlung <strong>de</strong>r Kaution durch Abtretung an<br />

<strong>de</strong>n Geldgeber vor Pfändung von Gläubigern <strong>de</strong>s Beschuldigten<br />

zu schützen, kann <strong>de</strong>m Geldgeber daraus kein Scha<strong>de</strong>nersatzanspruch<br />

gegen <strong>de</strong>n RA aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für<br />

Dritte erwachsen.<br />

3. Erteilt <strong>de</strong>r RA <strong>de</strong>s Beschuldigten <strong>de</strong>m Dritten auf Nachfrage<br />

eine rechtlich unzureichen<strong>de</strong> Auskunft über die für ihn mit <strong>de</strong>r<br />

Bereitstellung <strong>de</strong>r Kaution verbun<strong>de</strong>nen Risiken, so haftet er <strong>de</strong>m<br />

Dritten aus <strong>de</strong>r Verletzung einer ihm gegenüber begrün<strong>de</strong>ten vertraglichen<br />

Pflicht.<br />

BGH, Urt. v. 22.7.2004 – IX ZR132/03<br />

Besprechung:<br />

Das Urteil <strong>de</strong>s IX. ZS verdient unter zwei Aspekten beson<strong>de</strong>re<br />

Aufmerksamkeit. Zum einen lag <strong>de</strong>m Haftungsanspruch –<br />

zumin<strong>de</strong>st ursprünglich – ein strafrechtliches Mandat zugrun<strong>de</strong>.<br />

Das kommt eher selten vor, zeigt aber auch <strong>de</strong>m ausgewiesenen<br />

Strafverteidiger, dass er je<strong>de</strong>nfalls durch seine Fachrichtung<br />

allein und <strong>de</strong>r damit einhergehen<strong>de</strong>n Offizialmaxime im<br />

Prozess sowie <strong>de</strong>r Tatsache, dass Anwaltsverschul<strong>de</strong>n bei Fristversäumnissen<br />

einer Wie<strong>de</strong>reinsetzung nicht entgegensteht,<br />

nicht vor Haftung geschützt ist. Zum zweiten geht es um die<br />

1 Kanzlei Rothe, Senninger & Kollmar, München.<br />

Frage so genannter „Dritthaftung“, also <strong>de</strong>r Problematik, ob<br />

und ggf. unter welchen Voraussetzungen <strong>de</strong>r RA gegenüber<br />

Personen in die Haftungsverantwortung kommen kann, mit<br />

<strong>de</strong>nen er je<strong>de</strong>nfalls nicht ausdrücklich ein Mandat vereinbart<br />

hat.<br />

Der RA war Strafverteidiger eines Beschuldigten, <strong>de</strong>r sich<br />

wegen <strong>de</strong>s dringen<strong>de</strong>n Verdachts <strong>de</strong>s Betruges und <strong>de</strong>r Untr eue<br />

in Untersuchungshaft befand. Der Haftbefehl wur<strong>de</strong> aber<br />

gegen Zahlung von 400.000 DM, die <strong>de</strong>r Beschuldigte selbst in<br />

bar zu hinterlegen hatte, außer Vollzug gesetzt. 200.000 DM<br />

brachte dieser über eine Bank auf, die sich als Sicherheit <strong>de</strong>n<br />

Auszahlungsanspruch <strong>de</strong>s Beschuldigten gegen die Hinterlegungsstelle<br />

abtreten ließ. Weitere 200.000 DM erhielt er vom<br />

Vater seiner damaligen Lebensgefährtin, die er kurz darauf heiratete.<br />

Dieser nahm einen Bankkredit auf und belastete als<br />

Sicherheit sein Hausgrundstück. Eine Abtretung <strong>de</strong>s Anspruchs<br />

gegen die Hinterlegungsstelle auf Auszahlung nach Erledigung<br />

<strong>de</strong>s Kautionszwecks wur<strong>de</strong> nicht vorgenommen. Kurz nach<strong>de</strong>m<br />

das Geld über ein An<strong>de</strong>rkonto <strong>de</strong>s Bekl. an die Hinterlegungsstelle<br />

gelangte und <strong>de</strong>r Beschuldigte auf freien Fuß kam,<br />

konnte <strong>de</strong>shalb dieser Teil <strong>de</strong>s Kautionsrückzahlungsanspruches<br />

durch eine weitere Bank, die noch For<strong>de</strong>rungen gegen<br />

<strong>de</strong>n Beschuldigten hatte, wirksam gepfän<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Der<br />

Beschuldigte verstarb noch vor Abschluss <strong>de</strong>s Strafverfahrens,<br />

so dass <strong>de</strong>r Rückzahlungsanspruch fällig wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Schwiegervater<br />

<strong>de</strong>s Beschuldigten aber nun aufgrund <strong>de</strong>r Pfändung<br />

und <strong>de</strong>r nicht eingeholten Abtretungserklärung leer ausging. Es<br />

lag also nun nahe, <strong>de</strong>n RA, über <strong>de</strong>n die Zahlung ging und <strong>de</strong>r<br />

unstreitig auch in einem Telefonat mit <strong>de</strong>m Schwiegervater seines<br />

Mandanten und jetzigem Kl. die technische Abwicklung<br />

<strong>de</strong>r Zahlung erörtert hatte, zu verklagen. Für einen Anspruch<br />

auf Ersatz seines erlittenen Vermögensscha<strong>de</strong>ns muss er sich<br />

auf einen vertraglichen Anspruch gegen <strong>de</strong>n Anwalt stützen,<br />

was uns unmittelbar zur eingangs aufgeworfenen Fragestellung<br />

führt.<br />

Bei<strong>de</strong> Vorinstanzen hatten <strong>de</strong>n beklagten Anwalt zur Zahlung<br />

verurteilt. Das OLG hatte sich zur Begründung auf ein Treue-


262 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

o<strong>de</strong>r Auftragsverhältnis gestützt, das zwischen <strong>de</strong>n Parteien <strong>de</strong>s<br />

Rechtsstreits zumin<strong>de</strong>st konklu<strong>de</strong>nt bestan<strong>de</strong>n habe. Im Rahmen<br />

dieses Verhältnisses sei <strong>de</strong>r Anwalt gehalten gewesen, die<br />

Vermögensinteressen <strong>de</strong>s Kl. zu wahren und <strong>de</strong>mentsprechend<br />

für die Sicherung <strong>de</strong>s Rückzahlungsanspruchs zusorgen. Der<br />

BGH prüft sehr sorgfältig, ob man ein solches Verhältni s unter<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>s jeweiligen Verhaltens und <strong>de</strong>r Interessen<br />

<strong>de</strong>r Parteien annehmen durfte. Dabei betont <strong>de</strong>r IX. ZS, dass an<br />

die Annahme eines Anwaltsvertrages durch schlüssiges Verhalten<br />

strenge Anfor<strong>de</strong>rungen zu stellen sind. Wer als Verteidiger<br />

zum Zweck <strong>de</strong>r sofortigen Hi nterlegung einer Kaution<br />

bestimmte Gel<strong>de</strong>r von dritter Seite für seinen Mandanten entgegennehme,<br />

begrün<strong>de</strong> dadurch allein noch keine zusätzlichen<br />

vertraglichen Verpflichtungen gegenüber <strong>de</strong>m Geldgeber.<br />

Sofern nicht beson<strong>de</strong>re Umstän<strong>de</strong> hinzuträten, han<strong>de</strong>le er in<br />

<strong>de</strong>r Regel allein als Vertreter seines Auftraggebers. Dies folge<br />

schon aus <strong>de</strong>m Verbot wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen, weil er sich<br />

durch weitere Mandate in Konfliktlagen bringen könnte. Die<br />

Besprechung <strong>de</strong>r technischen Abwicklung allein genügt <strong>de</strong>m<br />

BGH für die Annahme eines eigenen Vertragsverhältnisses<br />

nicht.<br />

Das OLG hatte hilfsweise die Verurteilung auch auf einen Vertrag<br />

mit Schutzwirkung für <strong>de</strong>n Kl. gestützt. Auch diese Konstruktion<br />

lehnt <strong>de</strong>r BGH vorliegend ab. Sie sei entwickelt wor<strong>de</strong>n<br />

für Fälle, in <strong>de</strong>nen Personen zu Scha<strong>de</strong>n kommen, di e<br />

zufällig vertragslos, aber doch bestimmungsgemäß mit unzureichend<br />

erbrachten Leistungen in Berührung kommen. Wenn die<br />

geschädigte Partei ihrerseits eigene vertragliche Ansprüche <strong>de</strong>sselben<br />

Inhalts hat – lediglich gegen an<strong>de</strong>re Personen –, bestehe<br />

für die Annahme eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten<br />

Dritter nach Treu und Glauben eben kein Raum, und zwar<br />

auch dann nicht, wenn die vertraglich verpflichtete Person<br />

finanziell zum Ausgleich nicht in <strong>de</strong>r Lage ist. Es genüge vielmehr,<br />

dass grundsätzlich ein Anspruch auf Auszahlung <strong>de</strong>r darlehensweise<br />

überlassenen Kaution gegen <strong>de</strong>n Beschuldigten<br />

bzw. <strong>de</strong>ssen Erben besteht, um einen Vertrag mit Schutzwirkung<br />

zugunsten Dritter entbehrlich zu machen. Nur dadurch,<br />

so <strong>de</strong>r IX. ZS in <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n weiter, wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>m stets von <strong>de</strong>r<br />

höchstrichterlichen Rspr. hervorgehobenen Anliegen entsprochen,<br />

eine uferlose Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>s Kreises <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Schutzbereich<br />

einbezogenen Personen zu vermei<strong>de</strong>n.<br />

Dennoch aber sah sich <strong>de</strong>r BGH nicht in <strong>de</strong>r Lage, durchzuentschei<strong>de</strong>n<br />

und die Klage abzuweisen. Der Kl. hatte nämlich in<br />

<strong>de</strong>r Klageschrift vorgetragen, die Tochter damit beauftragt zu<br />

haben, sich explizit beim RA nach <strong>de</strong>n Risiken zu erkundigen,<br />

die mit <strong>de</strong>r Kautionsgestellung einhergehen könnten. Darauf<br />

habe <strong>de</strong>r Bekl. erklärt, dass ein Verlust <strong>de</strong>r 200.000 DM nur<br />

dann zu befürchten sei, wenn sich <strong>de</strong>r Beschuldigte <strong>de</strong>m Verfahren<br />

durch Flucht entziehe. Über sonstige Risiken sei die<br />

Tochter nicht belehrt wor<strong>de</strong>n. Da es hierauf für die Instanzgerichte<br />

nicht ankam, musste nun zur Beweisaufnahme – Vernehmung<br />

<strong>de</strong>r Tochter – zurückverwiesen wer<strong>de</strong>n. Denn wenn <strong>de</strong>r<br />

Anwalt explizit befragt wur<strong>de</strong> und sich auch darauf eingelassen<br />

habe, die Frage zu beantworten, könne man tatsächlich von<br />

einem Auskunftsvertrag ausgehen.<br />

Die Entscheidung ist in allen Punkten zu begrüßen. Zugehör<br />

(Handbuch <strong>de</strong>r Anwaltshaftung, Rdnr. 1346), bis vor einiger<br />

Zeit selbst Richter am IX. ZS, hat stets <strong>de</strong>m Dritthaftungsproblem<br />

großen Raum gegeben und vor allem auf die Gefahren hingewiesen,<br />

die Rechtsberatern aus <strong>de</strong>rlei Konstruktionen drohen,<br />

gera<strong>de</strong> weil diese nicht immer davon ausgehen können,<br />

Rechtsrat gegenüber weiteren Personen als <strong>de</strong>m „eigentlichen“<br />

Mandanten zu schul<strong>de</strong>n. Gleichzeitig setzt er sich zu Recht<br />

gegen eine zu starke Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Instrumente<br />

ein, die zur Grundlage einer Haftung gegenüber Nichtmandanten<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n können. Die Entscheidung fußt<br />

offenkundig genau auf diesen Prinzipien.<br />

Keine Erwähnung in <strong>de</strong>n Urteilsgrün<strong>de</strong>n fin<strong>de</strong>t ein Urteil <strong>de</strong>s<br />

BGH vom 13.5.2004 (III ZR 368/03, NJW-RR 2004, 1356 – s.u.<br />

Rechtsprechungsleitsätze), in <strong>de</strong>m ebenfalls ein Anwalt auf<br />

Scha<strong>de</strong>nersatz wegen verlorener Einzahlungen verklagt war. Es<br />

han<strong>de</strong>lte sich um Investitionen in Börsentermingeschäfte, die<br />

über ein Treuhandkonto <strong>de</strong>s Anwalts abgewickelt wur<strong>de</strong>n. Das<br />

Unternehmen, an das die Gel<strong>de</strong>r weitergeleitet wur<strong>de</strong>n, erteilte<br />

zwar <strong>de</strong>n Brokern noch entsprechen<strong>de</strong> Kaufaufträge, veräußerte<br />

aber diese Positionen alsbald wie<strong>de</strong>r, um über die Erlöse<br />

selbst zu verfügen. Das Berufungsgericht hatte u.a. ausgeführt,<br />

dass <strong>de</strong>r Auftrag an <strong>de</strong>n Anwalt zwar vom betrügerisch agieren<strong>de</strong>n<br />

Unternehmen ausging und dieses gegenüber <strong>de</strong>n eigenen<br />

Kun<strong>de</strong>n die Aufgabe übernommen hatte, einen Anwalt zur<br />

Sicherheit zwischenzuschalten, <strong>de</strong>r die weisungsgemäße Weiterleitung<br />

<strong>de</strong>r Gel<strong>de</strong>r sicherstellen sollte; <strong>de</strong>nnoch seien aber<br />

aus <strong>de</strong>m Zusammenspiel zwischen <strong>de</strong>m Vertrag <strong>de</strong>s Unternehmens<br />

mit <strong>de</strong>m Bekl. und <strong>de</strong>r „Vereinbarung über die Zahlungsabwicklung“,<br />

die die Investoren jeweils neu unterzeichneten,<br />

hinreichend konkrete Anhaltspunkte geschaffen, um die vertragliche<br />

Beziehung zwischen <strong>de</strong>m Unternehmen und <strong>de</strong>m<br />

Anwalt als Vertrag zugunsten <strong>de</strong>r geschädigten Anleger qualifizieren<br />

zu können. Der III. ZS billigt diese Auslegung durch <strong>de</strong>n<br />

Tatrichter ausdrücklich als „möglich“. Wesentlicher Grund für<br />

die Einschaltung eines RA sei es gera<strong>de</strong> gewesen, <strong>de</strong>n Anlageinteressenten<br />

eine Sicherheit <strong>de</strong>r Art bereitzustellen, bei Fehlverhalten<br />

und etwaiger anschließen<strong>de</strong>r Zahlungsunfähigkeit<br />

<strong>de</strong>s Finanzunternehmens Zugriff auf die investierten Gel<strong>de</strong>r zu<br />

haben. Deshalb stün<strong>de</strong>n eigene Ansprüche gegen das insolvente<br />

Unternehmen <strong>de</strong>r Schutzbedürftigkeit <strong>de</strong>r Anleger nicht<br />

entgegen, auch nicht eine mögliche (teilweise) Gegenläufigkeit<br />

<strong>de</strong>r Interessen von Auftraggeber und Investoren. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

letzte Gedanke passt nicht so recht in die strenge Linie <strong>de</strong>s<br />

IX. ZS. Die Begründung <strong>de</strong>s III. ZS mag so noch nachvollziehbar<br />

sein, tragfähiger erscheint die Argumentation <strong>de</strong>s IX. ZS,<br />

<strong>de</strong>r als eigentlich für die Anwaltshaftung zuständiger Senat<br />

möglicherweise auch die Folgen seiner Rspr. für die Anwaltschaft<br />

noch etwas stärker ins Kalkül zieht.<br />

Haftung<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Sozienhaftung nach § 130 HGB?<br />

Nachtrag zu „Das aktuelle Urteil“, BRAK-Mitt. 2004, 217<br />

Die Haftung neu eintreten<strong>de</strong>r Sozien für Altverbindlichkeiten<br />

analog § 130 HGB erstreckt sich auch auf Haftpflichtansprüche<br />

wegen beruflicher Fehler bei Freiberuflersozietäten. (eigener Leitsatz)<br />

LG Hamburg, Urt. v. 11.5.2004 – 321 O 433/03<br />

Im „aktuellen Urteil“ im letzten Heft wur<strong>de</strong> die Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s LG Hamburg vom 11.5.2004 – 321 O 433/03 besprochen,<br />

<strong>de</strong>r zufolge sich die Haftung neu eintreten<strong>de</strong>r Sozien für Altverbindlichkeiten<br />

analog § 130 HGB auch auf Haftpflichtansprüche<br />

wegen beruflicher Fehler bei Freiberuflersozietäten erstrecken<br />

soll. Wir hatten berichtet, dass das Urteil nicht rechtskräftig<br />

sei, son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>r Berufung angegriffen wur<strong>de</strong>.<br />

In <strong>de</strong>r mündlichen Berufungsverhandlung vor <strong>de</strong>m Hanseatischen<br />

OLG Hamburg (14 U 91/04) äußerte <strong>de</strong>r Senat, dass im<br />

konkreten Fall entgegen <strong>de</strong>r Ansicht <strong>de</strong>s LG zugunsten <strong>de</strong>s im<br />

April 2002 beigetretenen Sozius je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>r vom BGH in <strong>de</strong>r


BRAK-Mitt. 6/2004 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 263<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

Entscheidung vom 7.4.2003 (NJW 2003, 1803) im Hinblick auf<br />

die Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r früheren BGH-Rspr. zur Haftungsverfassung<br />

<strong>de</strong>r GbR eingeräumte Vertrauensschutz greife. Maßgeblich für<br />

<strong>de</strong>n Vertrauensschutz sei in zeitlicher Hinsicht, ob <strong>de</strong>r Beitritt<br />

zu einer Sozietät vor o<strong>de</strong>r nach (Veröffentlichung) <strong>de</strong>r BGH-<br />

Entscheidung vom 7.4.20 03 erfolgte, mit <strong>de</strong>r erst mals im<br />

Grundsatz die analoge Anwendbarkeit <strong>de</strong>s § 130 HGB bejaht<br />

wor<strong>de</strong>n war. Das LG Hamburg hatte zeitlich – zu Unrecht – auf<br />

die Entscheidung <strong>de</strong>s BGH vom 29.1.2001 (NJW 2001, 1056)<br />

abgestellt, die zwar die Haftungsverfassung <strong>de</strong>r GbR an die <strong>de</strong>r<br />

OHG weitgehend anglich, aber noc h keine Festlegung zur<br />

Anwendbarkeit von § 130 HGB traf.<br />

Aufgrund <strong>de</strong>r Hinweise <strong>de</strong>s O LG wur<strong>de</strong> die Klage gegen <strong>de</strong>n<br />

neu eingetretenen Sozius zurückgenommen. Dies ist für sich<br />

gesehen erfreulich; eine Entscheidung über die rechtlich und<br />

berufspolitisch eigentlich brisanten Fragen (s. letztes Heft)<br />

wur<strong>de</strong> dadurch jedoch lei<strong>de</strong>r umgangen.<br />

Auch das LG Frankenthal (NJW 2004, 3190) hatte sich mit diesem<br />

Problem zu befassen. Auch dort wur<strong>de</strong> die Anwendbarkeit<br />

von §130 HGB pauschal befürwortet, ohne dass eine Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

mit <strong>de</strong>n diskutierten Rechtsfragen erfolgte;<br />

primär wur<strong>de</strong> jedoch auch diese Entscheidung auf <strong>de</strong>n Vertrauensschutz<br />

gestützt, <strong>de</strong>r auch nach Ansicht dieses LG für<br />

Sozietätsbeitritte vor <strong>de</strong>r BGH-Entscheidung vom 7.4.2003 zu<br />

gewähren ist.<br />

Rechtsanwalt Holger Grams<br />

Weiterleitung von Investorengel<strong>de</strong>rn über ein Treuhandkonto<br />

Zu <strong>de</strong>n Pflichten eines vom Vermittler von Börsentermingeschäften<br />

eingeschalteten RA, über <strong>de</strong>ssen Treuhandkonto die Einzahlungen<br />

<strong>de</strong>r Anleger zu<strong>de</strong>ren „Sicherheit“ weiterzuleiten waren.<br />

BGH, Urt. v. 13.5.2004 – III ZR 368/03, NJW-RR 2004, 1356<br />

Anmerkung: Siehe oben in „Das aktuelle Urteil“.<br />

Vergütungsanspruch <strong>de</strong>s Anwalts bei Pflichtverletzung<br />

1. Der Vergütungsanspruch aus einem Anwaltsdienstver trag kann<br />

wegen einer unzureichen<strong>de</strong>n und pflichtwidrigen Leistung <strong>de</strong>s RA<br />

nicht gekürzt wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r in Wegfall geraten.<br />

2. Vereitelt <strong>de</strong>r RA durch seine Pflichtverletzung einen Kostenerstattungsanspruch<br />

<strong>de</strong>s Mandanten, liegt darin in <strong>de</strong>r Regel ein<br />

Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Vergütungsanspruch entgegengehalten wer<strong>de</strong>n<br />

kann.<br />

BGH, Urt. v. 15.7.2004 – IX ZR 256/03, NJW 2004, 2817<br />

Anmerkung:<br />

Der Mandant kann <strong>de</strong>n Honoraranspruch <strong>de</strong>s Anwalts nicht<br />

wegen Schlechterfüllung seitens <strong>de</strong>s Anwalts kürzen, da das<br />

Dienstvertragsrecht keine Gewährleistung kennt. Ein Ausschluss<br />

<strong>de</strong>r Gebührenfor<strong>de</strong>rung kommt nur in Betracht, wenn<br />

<strong>de</strong>r Anwalt über einen grob fahrlässigen Pflichtenverstoß<br />

hinaus einen nach §356 StGB strafbaren Parteiverrat begangen<br />

hat (BGH, NJW 1981, 1211).<br />

Der Vergütungsanspruch ist jedoch nicht durchsetzbar – und<br />

dies ist in <strong>de</strong>r Praxis nicht selten <strong>de</strong>r Fall –, wenn die Gebühren<br />

<strong>de</strong>s Anwalts gera<strong>de</strong> aufgrund seiner anwaltlichen Pflichtverletzung<br />

(ganz o<strong>de</strong>r teilweise) <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Mandanten darstellen.<br />

Diese Konstellation liegt z.B. vor, wenn <strong>de</strong>r Mandant<br />

aufgrund eines Anwaltsfehlers einen Prozess verliert. Hätte er<br />

<strong>de</strong>n Prozess gewonnen, hätte er gegen seinen Prozessgegner<br />

einen Kostenerstattungsanspruch gehabt (vorausgesetzt, <strong>de</strong>r<br />

Gegner ist solvent).<br />

Eine an<strong>de</strong>re Fallgruppe ist die Führung eines aussichtslosen<br />

Prozesses durch <strong>de</strong>n Anwalt ohne Belehrung <strong>de</strong>s Mandanten<br />

über das Prozessrisiko, wenn <strong>de</strong>r Mandant <strong>de</strong>n Prozess bei ordnungsgemäßer<br />

Belehrung nicht geführt hätte. Dann hätte <strong>de</strong>m<br />

Anwalt lediglich eine Abrategebühr zugestan<strong>de</strong>n. Die darüber<br />

hinausgehen<strong>de</strong>n Gebühren, die <strong>de</strong>r Anwalt durch <strong>de</strong>n aussichtslosen<br />

Prozess „verdient” hat, sind Teil <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>s<br />

Mandanten. Auch wenn <strong>de</strong>r Gebührenanspruch dadurch nicht<br />

erlischt, kann <strong>de</strong>r Mandant doch die Einre<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „dolo agit, qui<br />

petit, quod statim redditurus est” erheben. (Borgmann/Haug,<br />

Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rdnr. V 105 ff.; OLG Hamm, NJW-RR<br />

1988, 541).<br />

Fristen<br />

Rechtsanwalt Holger Grams<br />

„Weiterbetreiben <strong>de</strong>s Verfahrens“ durch öffentliche<br />

Zustellung<br />

1. Gerät <strong>de</strong>r Prozess in Stillstand, weil <strong>de</strong>m Kl. die für die Zustellung<br />

eines Schriftsatzes benötigte Anschrift <strong>de</strong>s Prozessgegners<br />

unbekannt ist, so en<strong>de</strong>t die Unterbrechung <strong>de</strong>r Verjährung nur<br />

dann nicht, wenn die zur Anschriftenmitteilung verpflichtete Partei<br />

darlegt und ggf. beweist, dass sie die ihr möglichen (und<br />

zumutbaren) Schritte unternommen hat, die zustellungsfähige<br />

Anschrift <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Partei erfolgversprechend zuermitteln.<br />

2. Im Rahmen dieser Obliegenheit ist die zur Anschriftenermittlung<br />

verpflichtete Partei grundsätzlich gehalten, die öffentliche<br />

Zustellung zu beantragen.<br />

BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 205/00<br />

Anmerkung:<br />

Die Durchsetzung berechtigter Ansprüche scheitert nicht selten<br />

daran, dass <strong>de</strong>r Schuldner nicht mehr greifbar ist. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

wenn die Ansprüche zu verjähren drohen, kann die Ermittlung<br />

einer zustellungsfähigen Anschrift ein Wettlauf mit <strong>de</strong>r Zeit<br />

sein. Hier wollte ein RA seine eigenen Honoraransprüche<br />

gegen die ehemalige Mandantin geltend machen und klagte sie<br />

auch rechtzeitig ein. Erstinstanzlich obsiegte er nur teilweise<br />

und legte (Anschluss-)Berufung ein. Die Bekl. verstarb, das Verfahren<br />

wur<strong>de</strong> ausgesetzt. Mit Schriftsatz vom 6.3.1990 wollte<br />

<strong>de</strong>r RA das Verfahren wie<strong>de</strong>r aufnehmen. Der Schriftsatz<br />

konnte jedoch an die Erbin nicht zugestellt wer<strong>de</strong>n, da diese<br />

nach Frankreich verzogen und <strong>de</strong>r genaue Aufenthaltsort<br />

zunächst nicht ermittelbar war. Erst im Jahr 1999 gelang die<br />

Zustellung.<br />

Der BGH stellt fest, dass die Ansprüche nunmehr verjährt<br />

waren. Das Verfahren sei nicht i.S.v. § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB<br />

a.F. „weiterbetrieben“ wor<strong>de</strong>n. Nur hierdurch hätte eine<br />

erneute Verjährungsunterbrechung erreicht wer<strong>de</strong>n können.<br />

Ein „triftiger Grund“ für das Nichtbetreiben <strong>de</strong>s Prozesses hätte<br />

nur dann bejaht wer<strong>de</strong>n können, wenn <strong>de</strong>r Kl. bewiesen hätte,<br />

dass er die ihm möglichen und zumutbaren Schritte zur Ermittlung<br />

<strong>de</strong>r zustellungsfähigen Anschrift <strong>de</strong>r Beklagten unternommen<br />

hatte. Nach Fehlschlagen <strong>de</strong>r ersten Bemühungen zur<br />

Ermittlung <strong>de</strong>r Anschrift hätte er die öffentliche Zustellung nach<br />

§§ 203 ff. BGB a.F. beantragen müssen und so das Verfahren<br />

vorantreiben können.<br />

Nach neuem Recht (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB) gilt dies entsprechend.<br />

Für die Durchsetzung <strong>de</strong>s titulierten Anspruchs nützt<br />

die öffentliche Zustellung in<strong>de</strong>r Folge natürlich nichts – hier<br />

muss man <strong>de</strong>n Schuldner <strong>de</strong>nnoch ausfindig machen. Im Sinne<br />

einer möglichst zügigen Verfahrensbeendigung muss aber an<br />

die öffentliche Zustellung (jetzt § 185 ZPO) gedacht wer<strong>de</strong>n.<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk


264 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

Verspätung wegen Verkehrsstaus<br />

1. Ein Prozessbevollmächtigter, <strong>de</strong>r sich mittels eines Computerprogramms<br />

für eine Fahrtstrecke von etwa 410 Kilometern eine<br />

voraussichtliche Fahrtdauer von drei Stun<strong>de</strong>n 38 Minuten ermitteln<br />

lässt und dann mit 52 Minu ten Zeitzugabe startet, darf nicht<br />

davon ausgehen, dass er rechtzeitig ankommt, wenn <strong>de</strong>r Verkehr<br />

für die Dauer von einer Stun<strong>de</strong> zum Erliegen kommt.<br />

2. Wenn über das mitgeführte Handy mangels Funkverbindung<br />

eine telefonische Benachrichtigung <strong>de</strong>s Gerichts über die zu<br />

erwarten<strong>de</strong> Verspätung nicht gelingt, obliegt es <strong>de</strong>m Bevollmächtigten,<br />

eine Raststätte o<strong>de</strong>r Tankstelle aufzusuchen, um die<br />

Benachrichtigung über das Festnetz zu veranlassen.<br />

OLG Celle, Urt. v. 24.6.2004 – 11 U 57/04, NJW 2004, 2534<br />

Anmerkung:<br />

Im Gegensatz zu <strong>de</strong>m in BRAK-Mitt. 2004, 113 besprochenen<br />

Fall, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>m Anwalt vorgeworfen wur<strong>de</strong>, von vornherein<br />

nicht genügend Fahrtzeit einkalkuliert zu haben (<strong>de</strong>r Berl-<br />

VerfGH hatte das Einkalkulieren eines Staus in die Zeitplanung<br />

als Überspannung <strong>de</strong>r Sorgfaltspflichten angesehen), ging es im<br />

vorliegen<strong>de</strong>n Fall darum, wie <strong>de</strong>r Anwalt auf einen nicht einkalkulierten<br />

Stau richtig zu reagieren hat. Sobald die Verzögerungen<br />

länger andauern als bei Berechnung <strong>de</strong>r Fahrtzeit<br />

berücksichtigt, muss man von einem verspäteten Eintreffen ausgehen.<br />

In diesem Fall muss <strong>de</strong>r Prozessbevollmächtigte das<br />

Gericht von <strong>de</strong>r zu erwarten<strong>de</strong>n Verspätung in Kenntnis setzen,<br />

um ggf. eine Vertagung zuerreichen und ein (zweites) VU zu<br />

verhin<strong>de</strong>rn. Das „Funkloch“ lässt das OLG nicht gelten. Es verlangt,<br />

dass man eine Telefonzelle ansteuert.<br />

Man kann bezweifeln, ob diese Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>m Sinn <strong>de</strong>r<br />

gesetzlichen Regelung gerecht wer<strong>de</strong>n. Da <strong>de</strong>r RA grds. genug<br />

Zeit für die Fahrt einkalkuliert hatte, war die staubedingte Ve r-<br />

spätung nicht schuldhaft. Lediglich die unterbliebene Mitteilung<br />

<strong>de</strong>r Verspätung kann man als schuldhaft ansehen. Die Versäumung<br />

<strong>de</strong>s Termins selbst hätte hierdurch aber auch nicht<br />

mehr verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n können, son<strong>de</strong>rn allenfalls <strong>de</strong>r Erlass<br />

<strong>de</strong>s Versäumnisurteils.<br />

Vertrauen auf Postlaufzeit von einem Werktag<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

1. Das Verschul<strong>de</strong>n einer Partei o<strong>de</strong>r ihres Prozessbevollmächtigten<br />

schließt die Wie<strong>de</strong>reinsetzung nicht aus, wenn die Partei alle<br />

erfor<strong>de</strong>rlichen Schritte unternommen hat, die bei einem im Übrigen<br />

normalen Geschehensablauf zur Fristwahrung geführt hätten<br />

(hier: Fehlschlagen einer beschleunigten Absendung bei gleichwohl<br />

rechtzeitiger Absendung).<br />

2. Eine Partei darf (auch) nach Erlass <strong>de</strong>r Postuniversaldienstleistungsverordnung<br />

vom 15.12.1999 (BGBl. I S. 4218) darauf vertrauen,<br />

dass werktags im Bun<strong>de</strong>sgebiet aufgegebene Postsendungen<br />

am folgen<strong>de</strong>n Werktag im Bun<strong>de</strong>sgebiet ausgeliefert wer<strong>de</strong>n.<br />

An<strong>de</strong>rs liegt es nur, wenn konkrete Umstän<strong>de</strong> vorliegen, welche<br />

die ernsthafte Gefahr <strong>de</strong>r Fristversäumung begrün<strong>de</strong>n.<br />

BGH, Beschl. v. 13.5.2004 – V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217<br />

Anmerkung:<br />

Der Schriftsatz war am Vortag <strong>de</strong>s Fristablaufs zur Post gegeben<br />

wor<strong>de</strong>n, obwohl eine kanzleiinterne Anweisung bestand, die<br />

Schriftsätze an örtliche Gerichte direkt bei Gericht abzugeben.<br />

Da diese Anordnung nicht befolgt wur<strong>de</strong> und wegen einer Postlaufzeit<br />

von zwei Tagen <strong>de</strong>r Schriftsatz verspätet einging, sah<br />

das Berufungsgericht ein kausales Verschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s RA, weil die<br />

betreffen<strong>de</strong> Anordnung, Schriftsätze zum örtlichen Gericht nicht<br />

per Post zu verschicken, nicht eindringlich genug erfolgt war.<br />

Der BGH tritt <strong>de</strong>m zu Recht aus zwei Grün<strong>de</strong>n entgegen: Zum<br />

einen gibt es keine Sorgfaltspflicht, die besagt, dass man<br />

Schriftsätze zum örtlichen Gericht direkt einwerfen muss.<br />

Diese sozusagen überobligatorische Sorgfalt darf <strong>de</strong>m Anwalt<br />

im Falle <strong>de</strong>r Missachtung nicht entgegengehalten wer<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong>r<br />

Schriftsatz darf per Post versen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Die bisherige Rspr.,<br />

dass man bei Sendungen innerhalb Deutschlands auf eine Auslieferung<br />

am folgen<strong>de</strong>n Werktag vertrauen darf (z.B. BVerfG,<br />

NJW 2001, 744), hat <strong>de</strong>r BGH nochmals ausdrücklich<br />

bestätigt. Das in <strong>de</strong>r Postuniversaldienstleistungs verordnung<br />

(„PUDLV“ § 2Ziff. 3) vorgegebene Ziel, dass 80 % <strong>de</strong>r inländischen<br />

Postsendungen am nächsten Werktag ausgeliefert wer<strong>de</strong>n<br />

müssen, reicht nach Ansicht <strong>de</strong>s BGH aus, um ein entsprechen<strong>de</strong>s<br />

Vertrauen zu begrün<strong>de</strong>n.<br />

Faxnummer aus Anwaltssoftware<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Zur Ermittlung <strong>de</strong>r Faxnummer eine s Gerichts darf sich <strong>de</strong>r RA<br />

auf ein seit Jahren bewährtes EDV-Programm in <strong>de</strong>r jeweils neuesten<br />

Fassung in <strong>de</strong>r Regel verlassen. Eine organisatorische Anweisung<br />

<strong>de</strong>s Anwalts an seine Bürokraft, eine Abgleichung <strong>de</strong>r Faxnummer<br />

mit <strong>de</strong>n Angaben in Anschreiben <strong>de</strong>s Gerichts o<strong>de</strong>r im<br />

Telefonbuch vorzunehmen, ist grundsätzlich nicht erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

BGH, Beschl. v. 24.6.2004 – VII ZB35/03, NJW 2004, 2830<br />

Anmerkung:<br />

Die Entscheidung <strong>de</strong>s VII. ZS schließt an das in BRAK-Mitt.<br />

2004, 161 besprochene Urteil <strong>de</strong>s LAG Hamburg an. Dort war<br />

Wie<strong>de</strong>reinsetzung wegen <strong>de</strong>r falschen Faxnummer versagt wor<strong>de</strong>n,<br />

weil in <strong>de</strong>r Kanzlei nicht das jeweils neueste Update <strong>de</strong>r<br />

Anwaltssoftware verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. Der BGH stellt nun – positiv<br />

gewen<strong>de</strong>t – fest, dass man sich auf ein bewährtes EDV-Programm<br />

in <strong>de</strong>r jeweils neuesten Fassung verlassen darf. Offen<br />

bleibt, welche Programme „bewährt“ sind.<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Zum Lauf <strong>de</strong>r Frist für einen Wie<strong>de</strong>reinsetzungsantrag<br />

Die Frist <strong>de</strong>s §234 Abs. 1 ZPO beginnt schon dann zu laufen,<br />

wenn das Weiterbestehen <strong>de</strong>s <strong>de</strong>r versäumten Frist entgegenstehen<strong>de</strong>n<br />

Hin<strong>de</strong>rnisses nicht mehr als unverschul<strong>de</strong>t angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Das ist schon dann <strong>de</strong>r Fall, wenn die Partei o<strong>de</strong>r<br />

ihr Prozessbevollmächtigter Anlass hatte zu prüfen, ob das Fristen<strong>de</strong><br />

richtig festgehalten war. (eigener Leitsatz)<br />

BGH, Beschl. v. 13.7.2004 – XI ZB 33/03 und (wortgleich) XI ZB<br />

34/03<br />

Die Frist <strong>de</strong>s §234 Abs. 1 ZPO beginnt schon dann zu laufen,<br />

wenn <strong>de</strong>r verantwortliche RA bei Anwendung <strong>de</strong>r von ihm zu<br />

erwarten<strong>de</strong>n Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen<br />

können. Das ist auch dann <strong>de</strong>r Fall, wenn <strong>de</strong>r Anwalt durch Verfügung<br />

<strong>de</strong>s Vorsitzen<strong>de</strong>n darauf hingewiesen wur<strong>de</strong>, dass die Berufungsbegründungsfrist<br />

verstrichen sei, und zwar auch, wenn dieser<br />

davon ausgeht, dass ein Gesuch zur Verlängerung <strong>de</strong>r Berufungsbegründungsfrist<br />

rechtzeitig bei Gericht einging und lediglich<br />

noch nicht zu <strong>de</strong>n Akten gelangt ist. (eigener Leitsatz)<br />

BGH, Beschl. v. 14.9.2004 – XI ZB 21/03<br />

Anmerkung:<br />

Für einen Anwalt ist es im Allgemeinen schon ärgerlich genug,<br />

mit einer Fristversäumung konfrontiert zu wer<strong>de</strong>n. Umso<br />

schlimmer wird die Erkenntnis wiegen, dass vielleicht Wie<strong>de</strong>reinsetzung<br />

in <strong>de</strong>n vorigen Stand möglich gewesen wäre, aber<br />

auch die entsprechen<strong>de</strong> Frist hierfür bei Antragstellung bereits<br />

abgelaufen war. In bei<strong>de</strong>n Fällen erkannte <strong>de</strong>r Prozessbevollmächtigte<br />

nicht, dass die Frist schon anlief, als er mit bestimm-


BRAK-Mitt. 6/2004 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK 265<br />

ten Verfügungen <strong>de</strong>s Gerichts konfrontiert wur<strong>de</strong>. Bei <strong>de</strong>n<br />

Beschlüssen vom 13.7.2004 lag <strong>de</strong>r Fall so, dass das Urteil<br />

I. Instanz wohl erst am 28.4.2003 zugestellt wur<strong>de</strong>, das Empfangsbekenntnis<br />

hingegen das Datum <strong>de</strong>s 25.4.2003 auswies.<br />

Dass das Berufungsgericht seinerseits davon ausging, dass das<br />

Urteil bereits am 25.4.2003 z ugestellt wur<strong>de</strong>, erfuhr <strong>de</strong>r<br />

Anwalt, nach<strong>de</strong>m ihm eine vollstreckbare Ausfertigung <strong>de</strong>s<br />

Urteils zugestellt wur<strong>de</strong> und er daraufhin telefonisch beim LG<br />

nachfragte. Das war am5.6.2003. Erst am 24.6.2003 ging ein<br />

Wie<strong>de</strong>reinsetzungsantrag bei Gericht ein, nach<strong>de</strong>m das LG<br />

zwischenzeitlich <strong>de</strong>m Prozessb evollmächtigten noch eine<br />

Kopie <strong>de</strong>s Empfangsbekenntnisses zukommen ließ. Das war<br />

nach Ansicht <strong>de</strong>s BGH zu spät. Die zweiwöchige Frist begann<br />

zu laufen, als ihm die vollstreckbare Ausfertigung zugestellt<br />

wur<strong>de</strong>. Er durfte schon zu diesem Zeitpunkt nicht ohne weiteres<br />

mehr mit einem Irrtum allein beim LG rechnen.<br />

Auch im zweiten Fall ging <strong>de</strong>r Prozessbevollmächtigte<br />

zunächst davon aus, dass nur ein Irrtum beim Berufungsgericht<br />

vorliege. Als dann doch <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>reinsetzungsantrag gestellt<br />

wur<strong>de</strong>, war es auch hier zu spät.<br />

Fazit: Im Zweifel ist bei Hinweisen auf <strong>de</strong>n verspäteten Eingang<br />

von fristwahren<strong>de</strong>n Schriftsätzen sofort zu prüfen, ob nicht in<br />

<strong>de</strong>r eigenen Kanzlei Versäumnisse vorkamen, und stets – und<br />

sei es auch nur hilfsweise – auch ein Wie<strong>de</strong>reinsetzungsantrag<br />

anzubringen.<br />

Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Zurechnung <strong>de</strong>s Verschul<strong>de</strong>ns juristischer Mitarbeiter<br />

Bedient sich <strong>de</strong>r Prozessbevollmächtigte einer Partei bei <strong>de</strong>r Bearbeitung<br />

eines Rechtsstreits eines nichtanwaltlichen, voll juristisch<br />

ausgebil<strong>de</strong>ten freien Mitarbeiters, so muss sich die Partei <strong>de</strong>ssen<br />

Verschul<strong>de</strong>n wie eigenes zurechnen lassen, wenn ihm <strong>de</strong>r Rechtsstreit<br />

vom Prozessbevoll mächtigten zur selbststä ndigen Bearbeitung<br />

übergeben wor<strong>de</strong>n ist.<br />

BGH, Beschl. v. 9.6.2004 – VIII ZR 86/04, NJW 2004, 2901<br />

Anmerkung:<br />

Gem. §85 Abs. 2 ZPO wird einer Partei bei <strong>de</strong>r Frage, ob<br />

wegen einer Fristversäumung Wi e<strong>de</strong>reinsetzung in <strong>de</strong>n vorigen<br />

Stand gewährt wird (§ 233 ZPO), Verschul<strong>de</strong>n ihres Prozessbevollmächtigten<br />

wie eigenes zugerechnet. Verschul<strong>de</strong>n von<br />

Büropersonal <strong>de</strong>s Anwalts ist dagegen unschädlich (es sei<br />

<strong>de</strong>nn, es liegt außer<strong>de</strong>m ein sog. Organisationsverschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Anwalts vor).<br />

Im vorliegen<strong>de</strong>n Fall wur<strong>de</strong> die Fristversäumung nicht durch<br />

<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Partei mandatierten Anwalt verschul<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn<br />

durch einen dort angestellten Assessor, <strong>de</strong>r selbst nicht als<br />

Anwalt zugelassen war und in <strong>de</strong>m zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n<br />

Anwaltsprozess nicht als Prozessbevollmächtigter auftreten<br />

konnte. Kanzleiintern war das Mandat <strong>de</strong>m Assessor jedoch zur<br />

selbstständigen Bearbeitung übertragen wor<strong>de</strong>n.<br />

Entschie<strong>de</strong>n war bereits, dass Verschul<strong>de</strong>n eines angestellten<br />

Anwalts (auch wenn er nicht auf <strong>de</strong>m Briefkopf als Scheinsozius<br />

in Erscheinung trat), <strong>de</strong>r Partei wie eigenes zugerechnet<br />

wird, wenn er das Mandat selbstständig bearbeitet hat, nicht<br />

dagegen bei nur vorbereiten<strong>de</strong>n und unselbstständigen Tätigkeiten<br />

(BGH, NJW-RR 1992, 1019; MDR 2004, 719 m.w.N.).<br />

Diese Grundsätze wen<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r BGH nun auch auf einen nicht<br />

als Anwalt zugelassenen Assessor an. Die Verschul<strong>de</strong>nszurechnung<br />

wür<strong>de</strong> ausgehöhlt, wenn es <strong>de</strong>r prozessbevollmächtigte<br />

Anwalt in <strong>de</strong>r Hand hätte, sich und seine Partei durch Übertragung<br />

einer Sache zur selbstständigen Bearbeitung an einen<br />

an<strong>de</strong>ren aus <strong>de</strong>r Verantwortung für Versäumnisse zu ziehen.<br />

Rechtsanwalt Holger Grams<br />

Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK<br />

BRAK-Ausschüsse und ihre Mitglie<strong>de</strong>r<br />

In <strong>de</strong>r Berufungsperio<strong>de</strong> 1.1.2004 bis 31.12.2007 gehören <strong>de</strong>n<br />

im Folgen<strong>de</strong>n genannten Ausschüssen an:<br />

Arbeitsgruppe BGH Anwaltschaft<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Johann Friedrich Henschel, Hannover<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Henning Hübner, Bremerhaven<br />

Ausschuss Abwickler/Vertreter<br />

Rechtsanwältin Gerlin<strong>de</strong> Fischedick , Celle<br />

Rechtsanwalt Michael Graf von Pfeil, Düsseldorf<br />

Rechtsanwalt Dr. Detlef Haselbach, Dres<strong>de</strong>n<br />

Rechtsanwalt Dr. Wieland Horn, München<br />

Rechtsanwältin und Notarin Petra Schulze-Grönda, Bremen<br />

Rechtsanwalt und Notar Lutz Tauchert, Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Rainer Wierz ,Saarbrücken<br />

Ausschuss Arbeitsrecht<br />

Rechtsanwalt u. Notar Dr. Werner Schmalenberg, Bremen<br />

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Tschöpe, Gütersloh<br />

Rechtsanwalt Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt, Hamburg<br />

Rechtsanwältin Angela Leschnig, Würzburg<br />

Rechtsanwalt Igor Münter, Leipzig<br />

Rechtsanwalt Ralph Stichler, Kaiserslautern<br />

Ausschuss Berufsbildung<br />

Herr Theo Berling, Ol<strong>de</strong>nburg<br />

Rechtsanwalt und Notar Horst Böttjer, Bremen<br />

Rechtsanwältin Marga Buschbell-Steeger,Koblenz<br />

Rechtsanwalt Kurt-Christoph Landsberg ,Berlin<br />

Rechtsanwalt und Notar Lutz Tauchert, Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Albert Vossebürger ,Köln<br />

Ausschuss Bewertung von Anwaltspraxen<br />

Rechtsanwalt Claus Benz, Stuttgart<br />

Rechtsanwalt Dr. Jürgen F. Ernst, München<br />

Rechtsanwalt Dr. Joachim Löhr, Bad Berka<br />

Rechtsanwalt und Notar Hans-Dieter Meyer ,Wilhelmshaven<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln<br />

Rechtsanwalt und Notar Joachim Teubel, Hamm<br />

BRAO-Ausschuss<br />

Rechtsanwalt Hans-Peter Benckendorff, Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Henning Hübner, Bremerhaven<br />

Rechtsanwalt Dr. Albert Hägele, Kempten<br />

Rechtsanwalt Otmar Kury, Hamburg<br />

Rechtsanwalt und Notar Jan J. Kramer, Ol<strong>de</strong>nburg<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Krumbiegel , Köln<br />

Rechtsanwalt Klaus Steffen ,Krefeld


266 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Ausschuss Datenschutzrecht<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Armin Herb, Stuttgart<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans Klees ,Freiburg<br />

Rechtsanwalt Dr. Giselher Rüpke ,Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Stephan Kopp, München<br />

Europa-Ausschuss<br />

Rechtsanwalt Dr. Martin Abend ,Dres<strong>de</strong>n<br />

Rechtsanwalt Eugen Ewig, Bonn<br />

Rechtsanwalt Dr. Klaus Heinemann ,Brüssel<br />

Rechtsanwalt Stefan Kirsch, Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Peter Mailän<strong>de</strong>r, Stuttgart<br />

Rechtsanwalt Andreas Max Haak, Düsseldorf<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Michael Pott, Düsseldorf<br />

Rechtsanwalt JR Heinz Weil, Paris<br />

Rechtsanwalt JR Dr. Norbert Westenberger ,Mainz<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Westphal, Celle<br />

Ausschuss Familienrecht<br />

Rechtsanwalt J. Christoph Berndt, Halle<br />

Rechtsanwältin Ulrike Börger,Bonn<br />

Rechtsanwalt und Notar Sven Fröhlich ,Offenbach<br />

Rechtsanwältin Brigitte Hörster ,Augsburg<br />

Rechtsanwältin Gabriele Küch, Hannover<br />

Rechtsanwältin Karin Meyer-Götz, Dres<strong>de</strong>n<br />

Rechtsanwältin und Notarin Frauke Reeckmann-Fiedler, Berlin<br />

Arbeitsgruppe Gebührenrecht<br />

Rechtsanwalt und Notar Dieter Ebert , Holzmin<strong>de</strong>n<br />

Rechtsanwalt Dr. Jürgen F. Ernst, München<br />

Rechtsanwalt Dr. Christoph von Heimendahl, München<br />

Rechtsanwalt und Notar Joachim Teubel, Hamm<br />

Ausschuss Gesellschaftsrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Baukelmann ,Karlsruhe<br />

Rechtsanwalt und Notar John Flüh, Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Fritz-Eckhard Kempter,München<br />

Rechtsanwalt Rolf Koerfer,Düsseldorf<br />

Rechtsanwalt Dr. Dietrich Max ,Düsseldorf<br />

Rechtsanwalt und Notar Wulf Meinecke, Hannover<br />

Ausschuss Gewerblicher Rechtsschutz<br />

Rechtsanwalt Dr. Andreas Bock, Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Dr. Henning Harte-Bavendamm, Hamburg<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Nie<strong>de</strong>r, München<br />

Rechtsanwältin Dr. Ine-Marie Schulte-Franzheim ,Köln<br />

Rechtsanwältin und Notarin Gerlin<strong>de</strong> Sternberg ,Hannover<br />

Rechtsanwalt Dr. Christian Westerhausen , L.L.M., Chemnitz<br />

Ausschuss Grundsatzfragen<br />

Rechtsanwalt Dr. Christian Bissel ,Erlangen<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Dieter Finzel , Hamm<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Henning Hübner, Bremerhaven<br />

Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, Ravensburg<br />

Rechtsanwalt Hansjörg Staehle ,München<br />

Ausschuss Informatik und Kommunikation<br />

Rechtsanwalt Helmut Becker, Konstanz<br />

Rechtsanwalt Christian Heermeyer, Osnabrück<br />

Rechtsanwalt Dr. Frank-A. Koch, München<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Lapp, Darmstadt<br />

Rechtsanwalt Hartmut Scharmer, Hamburg<br />

Arbeitsgruppe Insolvenzrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Lucas F. Flöther , Halle<br />

Rechtsanwalt Hans Hänel , Peissenberg<br />

Rechtsanwalt Markus M. Merbecks, Chemnitz<br />

Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Wessel, Lübeck<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Westphal, Celle<br />

Ausschuss Internationales Privat- und Prozessrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Eberhard Körner, Stuttgart<br />

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Münzer, Dres<strong>de</strong>n<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Burghard Piltz, Gütersloh<br />

Rechtsanwalt Dr. Bernd Reinmüller ,Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael J. Schmidt, Düsseldorf<br />

Ausschuss Internationale Sozietäten<br />

Rechtsanwalt Axel C. Filges, Hamburg<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Klaus Finkelnburg , Berlin<br />

Prof. Dr. Martin Henssler, Köln<br />

Rechtsanwalt Stephan Kopp, München<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Kreifels, Düsseldorf<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Peter Mailän<strong>de</strong>r, Stuttgart<br />

Rechtsanwalt Dr. Dieter Schenk, Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Hansjörg Staehle , München<br />

Arbeitsgruppe Mediation<br />

Rechtsanwältin Gerlin<strong>de</strong> Fischedick , Celle<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Werner Klein ,Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Mähler, München<br />

Rechtsanwalt Dr. Andreas Nelle, Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Joerg Schmeding ,Hamburg<br />

Ausschuss Rechtsberatungsgesetz<br />

Rechtsanwalt JR Dr. Manfred Birkenheier, Saarbrücken<br />

Rechtsanwalt Dr. Bernd Bürglen, Köln<br />

Rechtsanwalt und Notar Bernd Häusler, Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Christoph Munz, Dres<strong>de</strong>n<br />

Rechtsanwalt Heinz Plötz , Regensburg<br />

PR-Gremium<br />

Rechtsanwalt Stephan Göcken , Berlin<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Scharf, Celle<br />

Rechtsanwalt Peter Ströbel, Stuttgart<br />

Rechtsanwalt und Notar Michael Prox , Kaltenkirchen<br />

Ausschuss Reform <strong>de</strong>r Anwaltsausbildung<br />

Rechtsanwalt Dr. Christian Bissel ,Erlangen<br />

Rechtsanwalt Gustav Du<strong>de</strong>n , Mannheim<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Krumbiegel , Köln<br />

Rechtsanwalt Markus M. Merbecks, Chemnitz<br />

Rechtsanwalt Hans Ulrich Otto, Bochum<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Remmers , Hannover<br />

Rechtsanwalt Karlheinz Röschert, Bamberg<br />

Rechtsanwalt und Notar Michael Schlüter, Braunschweig<br />

Rechtsanwalt Peter Ströbel, Stuttgart<br />

Ausschuss Qualitätssicherung und Zertifizierung<br />

Rechtsanwältin Petra Blümel, Essen<br />

Rechtsanwalt Frank Diem, Stuttgart<br />

Rechtsanwalt Dieter Fasel ,Memmingen<br />

Rechtsanwalt und Notar Bernd Häusler,Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Hocke ,München<br />

Arbeitsgruppe Schiedsgerichtsbarkeit<br />

Rechtsanwalt Jens Bredow ,Köln<br />

Rechtsanwalt und Notar Jens-Peter Lachmann ,Berlin<br />

Rechtsanwalt Hilmar Raeschke-Kessler, Ettlingen<br />

Rechtsanwalt Dr. Paul Selbherr ,Freiburg<br />

Rechtsanwalt Dr. Franz-Jörg Semler, Stuttgart<br />

Ausschuss Schuldrecht<br />

Rechtsanwalt Jürgen Bestelmeyer , München<br />

Rechtsanwalt Dr. Andreas Eickhoff ,Bochum<br />

Rechtsanwalt Dr. Carsten Harms, Hamburg<br />

Rechtsanwalt Dr. Volkert Vorwerk ,Karlsruhe<br />

Ausschuss Sozialrecht<br />

Rechtsanwältin Erdmute Em<strong>de</strong>n, Mainz<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Jürgen Kruse , München


BRAK-Mitt. 6/2004 Personalien 267<br />

Rechtsanwalt Jörn Schroe<strong>de</strong>r-Printzen, Potsdam<br />

Rechtsanwalt und Notar Günter Werner, Salzgitter<br />

Rechtsanwalt Arno Zurstraßen, Köln<br />

Ausschuss Steuerrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Joachim Berggräfe , Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Dr. Uwe Clausen , München<br />

Rechtsanwalt Dr. Ingo Flore , Dortmund<br />

Rechtsanwalt Dr. Klaus Otto , Nürnberg<br />

Strafrechtsausschuss<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Jochen Hei<strong>de</strong>meier, Stolzenau<br />

Rechtsanwalt Thomas C. Knierim, Mainz<br />

Rechtsanwalt Dr. Daniel M. Krause, Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Holger Matt, Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwältin Anke Müller-Jacobsen, Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Eckhart Müller ,München<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Egon Müller, Saarbrücken<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Reinhold Schlothauer, Bremen<br />

Rechtsanwalt Dr. Eberhard Wahle , Stuttgart<br />

Rechtsanwältin Dr. Anne Wehnert , Düsseldorf<br />

Rechtsanwalt JR Dr. Matthias Weihrauch , Kaiserslautern<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Gunter Widmaier, Karlsruhe<br />

Ausschuss Verwaltungsprozessrecht<br />

Rechtsanwalt Rudolf Häusler,München<br />

Rechtsanwalt Dr. Jost Hüttenbrink ,Münster<br />

Rechtsanwalt Rainer Kulenkampff ,Bremen<br />

Prof. Dr. Hans-Peter Michler, Gimbweiler<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Quaas ,Stuttgart<br />

Ausschuss Verfassungsrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Christian-Dietrich Bracher ,Bonn<br />

Rechtsanwalt Dr. Christian Kirchberg ,Karlsruhe<br />

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Kuhla, Berlin<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Quaas ,Stuttgart<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Bernhard Stüer,Münster<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Uechtritz, Stuttgart<br />

ZPO/GVG-Ausschuss<br />

Rechtsanwalt beim BGH Dr. Hermann Büttner , Karlsruhe<br />

Rechtsanwalt und Notar Horst Droit , Wallenhorst<br />

Rechtsanwalt Dr. Johannes K . Eichele, Mainz<br />

Rechtsanwalt Dr. Gerold Kantner, Rostock<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hubert Schmidt , Koblenz<br />

Rechtsanwalt Lothar Schmu<strong>de</strong> , Köln<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Weigel, Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Heinrich Winte , Hil<strong>de</strong>sheim<br />

CCBE-Delegation<br />

Rechtsanwalt Dr. Martin Abend , Dres<strong>de</strong>n<br />

Rechtsanwalt Wolfgang Eichele, LL.M., Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln<br />

Rechtsanwältin Dr. Heike Lörcher,Brüssel<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Hans C. Lühn, Münster<br />

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Sommer,Köln<br />

UIA Comité Nationale<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL.M., Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Brauch, München<br />

Rechtsanwältin Dr. Heike Lörcher, Brüssel<br />

Rechtsanwalt Dr. Ekkehard Nolting, Dres<strong>de</strong>n<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Burghard Piltz, Gütersloh<br />

Rechtsanwalt Dr. Bernd Reinmüller ,Frankfurt/Main<br />

Rechtsanwalt Dr. Martin Schimke, LL.M., Dortmund<br />

Rechtsanwalt Dr. Henning Stahl, Düsseldorf<br />

Personalien<br />

Bun<strong>de</strong>sverdienstkreuz 1. Klasse<br />

für Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit<br />

Der Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt hat Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit <strong>de</strong>n<br />

Verdienstor<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland 1. Klasse verliehen<br />

und ihr die Auszeichnung heute im Rahmen eines Festaktes<br />

im Schloss Charlottenburg übergeben.<br />

„Mit Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit wird eine exzellente Juristin<br />

geehrt, die sich als Rechtsanwältin, Richterin, Rechtswissenschaftlerin<br />

und Rechtspolitikerin unermüdlich für die Verbesserung<br />

von Frauen- und Kin<strong>de</strong>rrechten engagiert hat. Im Deutschen<br />

Juristinnenbund, <strong>de</strong>ssen Vorsitzen<strong>de</strong> sie von 1977–1981<br />

war, hat sie maßgeblich Reformvorschläge zum elterlichen Sorgerecht<br />

beför<strong>de</strong>rt. Viele Vorschläge <strong>de</strong>s Deutschen Juristinnenbun<strong>de</strong>s<br />

für die Neugestaltung <strong>de</strong>r Rechtsbeziehungen zwischen<br />

Eltern und Kin<strong>de</strong>rn, vor allem das Gewaltverbot, sind<br />

teils wörtlich, teils inhaltlich 1979 in das Familienrecht übernommen<br />

wor<strong>de</strong>n. Als ausgewiesene Familienrechtlerin hatte<br />

sie sich schon Mitte <strong>de</strong>r 60er-Jahre dafür eingesetzt, Beamtinnen<br />

und Richterinnen mit Kin<strong>de</strong>rn Teilzeitarbeit o<strong>de</strong>r Beurlaubungen<br />

zu ermöglichen – unter Beibehalten ihres dienstrechtlichen<br />

Status“, lobte Bun<strong>de</strong>sjustizministerin Brigitte Zypries.<br />

„Den Schutz <strong>de</strong>rjenigen auszubauen, die sich allein nicht ausreichend<br />

schützen können, stand auch im Mittelpunkt ihrer<br />

Arbeit als Lan<strong>de</strong>spolitikerin. Dazu gehörte ihr Einsatz für verbesserte<br />

Opferrechte im Strafverfahren. Die Bun<strong>de</strong>sregierung<br />

hat diesen Gedanken aufgegriffen und mit <strong>de</strong>m familienrechtlichen<br />

Gewaltschutzgesetz wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Grundsatz „Der Täter<br />

geht, das Opfer bleibt“ gesetzlich verankert. Seit 2001 können<br />

nun gewalttätige Partner in einer Beziehung aus <strong>de</strong>r Wohnung<br />

weggewiesen und die Wohnung <strong>de</strong>m Gewaltopfer durch zivilrichterliche<br />

Anordnung zugewiesen wer<strong>de</strong>n. Dieses Gesetzgebungsverfahren<br />

hat Frau Dr. Peschel-Gutzeit als Justizsenatorin<br />

in Hamburg konstruktiv begleitet“, unterstrich die Bun<strong>de</strong>sjustizministerin.<br />

„In <strong>de</strong>r aktuellen Debatte um die Reform <strong>de</strong>s<br />

Unterhaltsrechts streitet sie für eine Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r unterhaltsrechtlichen<br />

Rangfolge zugunsten <strong>de</strong>r Unterhaltsansprüche<br />

von Kin<strong>de</strong>rn und kin<strong>de</strong>rbetreuen<strong>de</strong>n Elternteilen. Dr. Lore<br />

Maria Peschel-Gutzeit hat mit ihren langjährigen Verdiensten


268 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

das gesellschaftliche Leben in Deutschland mitgeprägt. Über<br />

die heutige Auszeichnung freue ich mich sehr mit ihr und für<br />

sie“, sagte Brigitte Zypries.<br />

Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit hat in Hamburg, Freiburg und<br />

Berlin Rechtswissenschaften studiert. Sie war Vorsitzen<strong>de</strong> Richterin<br />

eines Familiensenats am Oberlan<strong>de</strong>sgericht Hamburg und<br />

Lehrbeauftragte für Familien- und Erbrecht an <strong>de</strong>r Universitä t<br />

Hamburg, bevor sie 1991 Justizsenatorin in Hamburg, 1994 in<br />

Berlin und schließlich 1997 wie<strong>de</strong>r in Hamburg wur<strong>de</strong>. Seit<br />

2002 arbeitet sie als Rechtsanwältin in Berlin.<br />

Pressemitteilung <strong>de</strong>s BMJ v. 4.10.2004<br />

Bun<strong>de</strong>sverdienstkreuz 1. Klasse fü r<br />

Rechtsanwalt Dr. Gregor Mattheis<br />

Für seine durch langjähriges ehrenamtliches Engagement<br />

erworbenen Verdienste um das Wohl <strong>de</strong>r Allgemeinheit wur<strong>de</strong><br />

Herr Rechtsanwalt Dr. Gregor Mattheis, Gelsenkirchen-Buer,<br />

mit <strong>de</strong>m Verdienstkreuz erster Klasse <strong>de</strong>s Verdienstor<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland ausgezeichnet.<br />

Herr Kollege Dr. Mattheis ist seit 1967 zur Rechtsanwaltschaft<br />

zugelassen und war zu<strong>de</strong>m als führen<strong>de</strong>r Wirtschaftsjurist <strong>de</strong>r<br />

chemischen und <strong>de</strong>utschen Industrie tätig.<br />

Örtlich, aber auch auf Bun<strong>de</strong>sebene, hat sich Herr Kollege Dr.<br />

Mattheis in hervorragen<strong>de</strong>r Weise ehrenamtlich eingesetzt. So<br />

ist er u.a. seit 1995 für das Deutsche Rote Kreuz tätig, zuletzt<br />

als Mitglied <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>spräsidiums <strong>de</strong>s DRK.<br />

RAK Hamm<br />

Bun<strong>de</strong>sverdienstkreuz am Ban<strong>de</strong> für<br />

Rechtsanwalt und Notar Dieter Ebert<br />

Der Innenminister <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rsachsen hat am<br />

25.10.2004 <strong>de</strong>m 1. Vizepräsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r RAK Celle, Herrn Dieter<br />

Ebert ,<strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>sverdienstor<strong>de</strong>n am Ban<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

Deutschland verliehen. Herr Ebert ist seit 1968 zur<br />

Anwaltschaft zugelassen und wur<strong>de</strong> 1973 Notar. In <strong>de</strong>n Kammervorstand<br />

trat er 1971 und in das Präsidium 1989 ein. 1997<br />

wur<strong>de</strong> er zum 1. Vizepräsi<strong>de</strong>nten und damit stellvertreten<strong>de</strong>n<br />

Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r RAK Celle gewählt. Dieses Amt übt er bis<br />

heute ununterbrochen aus.<br />

Herr Kollege Ebert war im Laufe seiner Tätigkeit Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />

verschie<strong>de</strong>ner Abteilungen <strong>de</strong>s Kammervorstan<strong>de</strong>s. Seit vielen<br />

Jahren leitet er die Gebührenabteilung. In dieser Eigenschaft<br />

nimmt er seit Jahren an <strong>de</strong>n Tagungen <strong>de</strong>r Gebührenreferenten<br />

teil. Seine beson<strong>de</strong>re Kompetenz auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s<br />

anwaltlichen Vergütungsrechts ist u.a. dadurch anerkannt<br />

wor<strong>de</strong>n, dass er in die Expertenkommission beim Bun<strong>de</strong>sjustizministerium<br />

berufen wor<strong>de</strong>n ist, die einen ersten Entwurf<br />

<strong>de</strong>s neuen Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes erarbeitete. Seit<br />

<strong>de</strong>r Verkündung <strong>de</strong>s neuen Vergütungsgesetzes ist Herr Kollege<br />

Ebert bun<strong>de</strong>sweit als Experte auf Fortbildungsveranstaltungen<br />

tätig. Herr Kollege Ebert übt darüber hinaus Ehrenämter<br />

in seinem Heimatort Holzmin<strong>de</strong>n aus. Der nie<strong>de</strong>rsächsische<br />

Innenminister würdigte <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Einsatz von<br />

Herrn Kollegen Ebert für <strong>de</strong>n Anwaltsberuf sowie das<br />

Gemeinwohl.<br />

RAuN Dr. Ulrich Scharf ,<br />

Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r RAK Celle<br />

Berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

*Leitsatz <strong>de</strong>r Redaktion (Orientierungssatz)<br />

Zum Verhältnis von gesetzlicher Rentenversicherung und<br />

berufsständischer Versorgung<br />

GG Art. 12, Art. 14<br />

*1. Durch die Aufhebung <strong>de</strong>r Befreiung von <strong>de</strong>r Versicherungspflicht<br />

in <strong>de</strong>r gesetzlichen Rentenversicherung wird Art. 14Abs. 1<br />

GG nicht berührt. Dieses Grundrecht vermittelt keinen Anspruch<br />

darauf, als abhängig Beschäftigter nicht <strong>de</strong>r Versicherungspflicht<br />

zu unterliegen.<br />

*2. Es ist auch unter keinem an<strong>de</strong>ren grundrechtlichen Gesichtspunkt<br />

geboten, einem RA die aus seiner Sicht optimale Altersversorgung<br />

zukommen zu lassen. Ihm steht von Verfassungs wegen<br />

kein Wahlrecht zu, das ihm ermöglichen wür<strong>de</strong>, im Laufe eines<br />

Berufslebens die jeweils günstigste Versorgungsmöglichkeit zu<br />

wählen und an ihr festzuhalten und die Anwendung aller an<strong>de</strong>ren<br />

Versicherungspflichttatbestän<strong>de</strong> auszuschließen. Ebenso wenig<br />

können Personen, die das Altersversorgungssystem wechseln,<br />

unter Berufung auf Grundrechte verlangen, von jeglichem rechtlichen<br />

Nachteil verschont zu bleiben.<br />

BVerfG, Beschl. v. 31.8.2004 – 1 BvR 1776/97<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> betrifft das Verhältnis von gesetzlicher<br />

Rentenversicherung und berufsständischer Versorgung.<br />

I. 1. Die Bfin. nahm im Mai 1990 eine Beschäftigung als angestellte<br />

RAin in einer Anwaltssozietät auf und wur<strong>de</strong> am<br />

1.6.1990 Pflichtmitglied <strong>de</strong>s Versorgungswerks <strong>de</strong>r rheinlandpfälzischen<br />

RAK. Die Bun<strong>de</strong>sversicherungsanstalt für Angestellte<br />

(im Folgen<strong>de</strong>n: Bun<strong>de</strong>sversicherungsanstalt) befreite sie<br />

daraufhin mit Wirkung vom 1.6.1990 antragsgemäß von <strong>de</strong>r<br />

Versicherungspflicht in <strong>de</strong>r gesetzlichen Rentenversicherung.<br />

Seit Februar 1993 ist die Bfin. bei einem privaten Versicherungsunternehmen<br />

beschäftigt. Sie verzichtete ab Mai 1993 auf<br />

ihre Rechte aus <strong>de</strong>r Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und<br />

schied aus <strong>de</strong>r RAK aus. Ihre damit en<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Pflichtmitgliedschaft<br />

beim Versorgungswerk setzte sie als freiwilliges Mitglied<br />

fort.<br />

Die Bun<strong>de</strong>sversicherungsanstalt hob die Befreiung mit Wirkung<br />

zum 30.11.1993 auf, weil die Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r RAK been<strong>de</strong>t<br />

sei. Dagegen wen<strong>de</strong>t sich die Bfin. Sie möchte mit Rück-


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 269<br />

Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

sicht auf ihre freiwillige Mitgliedschaft im Versorgungswerk<br />

weiterhin von <strong>de</strong>r Versicherungspflicht in <strong>de</strong>r gesetzlichen Rentenversicherung<br />

befreit bleiben. Ihre Klage vor <strong>de</strong>n Sozialgerichten<br />

blieb ohne Erfolg. Das BSG führte in <strong>de</strong>m mit <strong>de</strong>r Verfassungsbeschwer<strong>de</strong><br />

angegriffenen Urteil im Wesentlichen aus,<br />

ein gegen Art. 14 GG verstoßen<strong>de</strong>r Eingriff in die von <strong>de</strong>r Bfin.<br />

beim Versorgungswerk erworbene Anwartschaft liege nicht vor.<br />

Diese bleibe von <strong>de</strong>r nunmehr eingetretenen Versicherungspflicht<br />

in <strong>de</strong>r gesetzlichen Rentenversicherung unberührt. Zwar<br />

entstün<strong>de</strong>n durch die Beendigung <strong>de</strong>r Befreiung Nachteile<br />

beim Erwerb eines Invaliditätsschutzes in <strong>de</strong>r gesetzlichen Rentenversicherung;<br />

im Ver sorgungswerk sei die entspr echen<strong>de</strong><br />

Wartezeit noch nicht erfüllt. Derartige Nachteile könnten aber<br />

durch Fortzahlung freiwilliger Beiträge zum Versorgungswerk<br />

gemin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Sie seien zu<strong>de</strong>m bei Zulassung verschie<strong>de</strong>ner<br />

Vorsorgesysteme unvermeidbar. Auch sei Art. 12 Abs. 1<br />

GG nicht verletzt, da die Vor schriften, durch die eine Doppelpflichtversicherung<br />

vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>, we<strong>de</strong>r einen engen<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Wahl o<strong>de</strong>r Ausübung eines Berufs aufwiesen<br />

noch eine <strong>de</strong>utliche berufsregeln<strong>de</strong> Ten<strong>de</strong>nz erkennen<br />

ließen.<br />

2. Mit ihrer gegen das Urteil <strong>de</strong>s BSG gerichteten Verfassungsbeschwer<strong>de</strong><br />

macht die Bfin. geltend, esverletze sie in ihren<br />

Grundrechten aus Art. 2, 3, 12 und 14 GG. Der erzwungene<br />

Wechsel in die gesetzliche Rentenversicherung entwerte die<br />

Beiträge, die sie bis dahin zum Versorgungswerk entrichtet<br />

hätte. Da sie noch nicht fünf Jahre Mitglied <strong>de</strong>s Versorgungswerks<br />

gewesen sei, habe sie dort noch keinen Rentenanspruch<br />

erworben. Ihre Arbeitsplatzmobilität sei im Verhältnis zu an<strong>de</strong>ren<br />

Juristen eingeschränkt.<br />

3. Das Versorgungswerk hat im März 2003 mitgeteilt, die Bfin.<br />

habe mittlerweile die Wartezeit sowohl für die Gewährung<br />

einer Altersrente als auch für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente<br />

erfüllt.<br />

II. Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> ist nicht zur Entscheidung anzunehmen,<br />

weil die Voraussetzungen von § 93a Abs. 2 BVerfGG<br />

nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.<br />

1. Art. 14 Abs. 1 GG wird durch die Aufhebung <strong>de</strong>r Befreiung<br />

von <strong>de</strong>r Versicherungspflicht in <strong>de</strong>r gesetzlich en Rentenversicherung<br />

nicht berührt. Das Grundrecht vermittelt keinen<br />

Anspruch darauf, als abhängig Beschäftigte nicht <strong>de</strong>r Versicherungspflicht<br />

zu unterliegen.<br />

a) Die durch Verwaltungsakt<br />

Befreiung von <strong>de</strong>r ausgesprochene Befreiung von<br />

Rentenversicherungspflicht<br />

unterfällt nicht als solche kann nicht Gegen-<br />

<strong>de</strong>r Rentenversicherungspflicht<br />

Art. 14 GG stand <strong>de</strong>s Eigentumsschutzes<br />

sein. Öffentlich-rechtliche<br />

Rechtspositionen sind zwar in <strong>de</strong>n Schutzbereich von Art. 14<br />

Abs. 1GG einbezogen, wenn <strong>de</strong>r Einzelne dabei eine Rechtsstellung<br />

erlangt, die <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Eigentümers entspricht. Eine <strong>de</strong>rartige<br />

eigentumsähnliche Verfestigung ist dann gegeben, wenn<br />

nach <strong>de</strong>r gesamten Ausgestaltung <strong>de</strong>s subjektiv-öffentlichen<br />

Rechts und nach <strong>de</strong>m rechtsstaatlichen Gehalt <strong>de</strong>s Grundgesetzes<br />

es ausgeschlossen erscheint, dass <strong>de</strong>r Staat dieses Recht<br />

ersatzlos entziehen kann (vgl. BVerfGE 45, 142, 170, m.w.N.).<br />

Daran fehlt es aber hier, weil die Befreiung von <strong>de</strong>r Rentenversicherungspflicht<br />

nicht auf eigener Leistung, son<strong>de</strong>rn auf staatlicher<br />

Gewährung beruht (vgl. BVerfGE 29, 283, 302; 45, 142,<br />

170).<br />

b) Das Eigentumsgrundrecht ist aber auch unter an<strong>de</strong>ren<br />

Gesichtspunkten nicht beeinträchtigt. Die im Versorgungswerk<br />

erworbene Anwartschaft auf Leistungen, <strong>de</strong>r grundsätzlich<br />

Eigentumsschutz zukommt, bleibt von <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>r<br />

Befreiung unberührt. Es kann offen bleiben, ob es Art. 14<br />

Abs. 1 GG verletzt, wenn ein Betroffener möglicherweise nach<br />

Aufhebung <strong>de</strong>r Befreiung wegen nicht erfüllter und nicht erfüllbarer<br />

Wartezeiten rechtlich gehin<strong>de</strong>rt ist, sie zum Vollrecht<br />

erstarken zu lassen. Denn die hier m aßgebliche Satzung <strong>de</strong>s<br />

Versorgungswerks hat eine Fortsetzung <strong>de</strong>r freiwilligen Mitgliedschaft<br />

auch nach Aufhebung <strong>de</strong>r Befreiung nicht ausgeschlossen.<br />

2. Durch die Aufhebung <strong>de</strong>r Befreiung von <strong>de</strong>r Versicherungspflicht<br />

in <strong>de</strong>r gesetzlichen Rentenversicherung wird die Bfin.<br />

nicht in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 2<br />

Abs. 1 GG verletzt.<br />

a) Es ist unter keinem grundrechtlichen<br />

Gesichtspunkt geboten,<br />

<strong>de</strong>r Bfin. die aus ihrer Sicht<br />

Kein Anspruch auf<br />

optimale<br />

Altersversorgung<br />

optimale Altersversorgung zukommen<br />

zu lassen. Ihr steht von<br />

Verfassungs wegen kein Wahlrecht zu, das ihr ermöglichen<br />

wür<strong>de</strong>, im Laufe eines Berufslebens die jeweils günstigste Versorgungsmöglichkeit<br />

zu wählen o<strong>de</strong>r an ihr festzuhalten und<br />

die Anwendung aller an<strong>de</strong>ren Versicherungspflichttatbestän<strong>de</strong><br />

auszuschließen (vgl. BVerfG, Beschl. <strong>de</strong>r 2. Kamme r <strong>de</strong>s Ersten<br />

Senats v. 25.9.1990, NJW 1991, 746, 747). Ebenso wenig können<br />

Personen, die das Altersversorgungssystem wechseln, unter<br />

Berufung auf Grundrechte verlangen, von jeglichem rechtlichen<br />

Nachteil verschont zu bleiben.<br />

b) Die Pflichtmitgliedschaft und<br />

Kein Verstoß gegen die damit einhergehen<strong>de</strong> Beitragspflicht<br />

in <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Art. 2 I GG durch<br />

Pflichtmitgliedschaft Rentenversicherung verletzen<br />

grundsätzlich auch bei Höherverdienen<strong>de</strong>n,<br />

die an<strong>de</strong>rweitig<br />

für ihre Alterssicherung Sorge tragen können, nicht Art. 2<br />

Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 29, 221, 235 ff.). Es ist verfassungsrechtlich<br />

nicht zu beanstan<strong>de</strong>n, dass die Versicherungspflicht<br />

nicht an die individuelle soziale Schutzbedürftigkeit eines<br />

Versicherungspflichtigen, son<strong>de</strong>rn lediglich an<strong>de</strong>n Tatbestand<br />

<strong>de</strong>r Beschäftigung anknüpft. Der Gesetzgeber durfte davon<br />

ausgehen, dass diejenigen Personen, die ihre Arbeitskraft in<br />

<strong>de</strong>n Dienst an<strong>de</strong>rer stellen, im Allgemeinen auf diese<br />

Beschäftigung zur Erlangung ihres Lebensunterhalts angewiesen<br />

und daher sozial auch unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>r<br />

Alterssicherung schutzbedürftig sind (vgl. BVerfGE 18, 257,<br />

270 f.).<br />

c) Es kann dahinstehen, ob es Fälle gibt, in <strong>de</strong>nen das gelten<strong>de</strong><br />

Recht, wenn es bei einem Wechsel <strong>de</strong>s Versorgungssystems<br />

<strong>de</strong>m Einzelnen Nachteile zumutet, unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

<strong>de</strong>s Schutzes <strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>s Arbeitsplatzes in Art. 12<br />

Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Für die Bfin. kann dies je<strong>de</strong>nfalls<br />

nicht festgestellt wer<strong>de</strong>n. Sie konnte die Wartezeiten <strong>de</strong>s<br />

Versorgungswerks erfüllen und hat dies offenbar mit zumutbaren<br />

Aufwendungen getan.<br />

3. Es stellt keinen Verstoß gegen <strong>de</strong>n allgemeinen Gleichheitssatz<br />

<strong>de</strong>s Art. 3 Abs. 1 GG dar, wenn an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>m beruflichen<br />

Stand <strong>de</strong>r Bfin. vergleichbare Personen, insbeson<strong>de</strong>re angestellte<br />

RAe, die von <strong>de</strong>r Rentenversicherungspflicht befreit wer<strong>de</strong>n<br />

können, nicht indie gesetzliche Rentenversicherung einbezogen<br />

wer<strong>de</strong>n. Sie sind im Anwaltsberuf tätig und als solche<br />

im Versorgungswerk dieses Berufsstan<strong>de</strong>s pflichtversichert.<br />

Dies ist bei <strong>de</strong>r Bfin. nicht <strong>de</strong>r Fall.


270 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

Zum Umfang erlaubter Rechtsberatung nach erteilter<br />

Inkassoerlaubnis<br />

RBerG Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5; GG Art. 12<br />

*We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>r Verbraucher noch die Reibungslosigkeit<br />

<strong>de</strong>r Rechtspflege rechtfertigen es, Inhabern einer Inkassoerlaubnis<br />

Rechtsäußerungen gegenüber ihren Klienten zu<strong>de</strong>n einzuziehen<strong>de</strong>n<br />

For<strong>de</strong>rungen zuverbieten. Sie äußern sich insoweit zu<br />

ihrem Geschäftsgegenstand und halten sich damit grundsätzlich<br />

im Rahmen <strong>de</strong>r ihnen erlaubten Tätigkeit. Dabei ist nicht entschei<strong>de</strong>nd,<br />

ob die rechtlichen Hinweise an ihren Vertragspartner<br />

gerichtet wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r im Außenverhältnis auch <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungsschuldner<br />

erreichen.<br />

BVerfG, Beschl. v. 14.8.2004 – 1 BvR 725/03<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> betrifft <strong>de</strong>n Umfang erlaubter<br />

Rechtsberatung im Rahmen einer nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2<br />

Nr. 5 <strong>de</strong>s RBerG erteilten Inkassoerlaubnis.<br />

1. Die Bfin. ist Inhaberin eines Inkassounternehmens. Als solche<br />

vertrat sie eine Klientin, <strong>de</strong>ren For<strong>de</strong>rung zunächst im<br />

Mahnverfahren beigetrieben wer<strong>de</strong>n sollte. Anlässlich <strong>de</strong>s vom<br />

Schuldner erhobenen Wi<strong>de</strong>rspruchs nahm sie ihm gegenüber<br />

in zwei Schriftsätzen rechtlich und tatsächlich Stellung. Dazu<br />

übermittelte sie <strong>de</strong>m gegnerischen Bevollmächtigten eine Vollmacht,<br />

die sie berechtigen sollte, zugunsten <strong>de</strong>r Gläubigerin<br />

„alle zivilrechtlichen Maßnahmen, die <strong>de</strong>r sachgerechten Beitreibung<br />

dienen, durchzuführen und rechtsverbindliche Erklärungen<br />

abzugeben sowie Vergleiche abzuschließen“. Der<br />

Rechtsstreit en<strong>de</strong>te schließlich durch gütliche Einigung noch<br />

während <strong>de</strong>s Mahnverfahrens.<br />

Wegen <strong>de</strong>r oben genannten Schreiben und <strong>de</strong>s Inhalts <strong>de</strong>r vorgelegten<br />

Vollmacht hat die RAK Klage auf Unterlassung gegen<br />

die Bfin. erhoben. Die Klage auf Unterlassung <strong>de</strong>r Rechtsbesorgung,<br />

wie sie aus <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Schreiben ersichtlich ist, und darauf,<br />

sich von Gläubigern keine Vollmacht mit <strong>de</strong>m genannten<br />

Inhalt ausstellen zu lassen, war weitgehend erfolgreich. Nach<br />

Auffassung von LG und OLG verstoßen Rechtsbesorgung und<br />

Vollmacht gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 5 RBerG und gegen § 1<br />

UWG. Bei <strong>de</strong>n Schreiben <strong>de</strong>r Bfin. han<strong>de</strong>le es sich nicht um<br />

die <strong>de</strong>n Inkassounternehmen erlaubte außergerichtliche Beratung<br />

<strong>de</strong>s Auftraggebers, son<strong>de</strong>rn um eine beraten<strong>de</strong> Tätigkeit in<br />

einem anhängigen Gerichtsverfahren. Mit <strong>de</strong>r Vollmacht hab e<br />

sie angezeigt, <strong>de</strong>n Vollmachtgeber in Gerichtsverfahren vertreten<br />

zu wollen. Das sei ihr aber nach <strong>de</strong>m RBerG ausdrücklich<br />

verboten. Mit diesem Verhalten wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wettbewerb wesentlich<br />

beeinträchtigt.<br />

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> rügt die Bfin. im Wesentlichen<br />

die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Die Auslegung<br />

materiellen Rechts verletze sie in ihrer Berufsausübungsfreiheit.<br />

Die beanstan<strong>de</strong>ten Schreiben seien auf eine außergerichtliche<br />

Erledigung angelegt und außergerichtlich verfasst gewesen; sie<br />

hätten die Vermeidung eines Rechtsstreits bezweckt. Das<br />

Mahnverfahren sei nicht mit einem anhängigen Gerichtsverfahren<br />

gleichzusetzen. Die einem Inkassounternehmen erlaubte<br />

Rechtsberatung dürfe auch Außenstehen<strong>de</strong> einbeziehen; <strong>de</strong>r<br />

Schutzzweck <strong>de</strong>s RBerG stehe <strong>de</strong>m nicht entgegen. Auch die<br />

Vollmacht halte sich noch im Rahmen <strong>de</strong>r erteilten Inkassoerlaubnis.<br />

3. Zu <strong>de</strong>r Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> haben sich das BMJ, die Präsi<strong>de</strong>nten<br />

<strong>de</strong>s BGH und <strong>de</strong>s BVerwG, die BRAK, <strong>de</strong>r DAV, <strong>de</strong>r<br />

Bund Deutscher Rechtspfleger, <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sverband Deutscher<br />

Inkasso-Unternehmen sowie <strong>de</strong>r Bankenfachverband geäußert.<br />

II. Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> erfüllt nur teilweise die Annahmevoraussetzungen<br />

<strong>de</strong>s § 93a Abs. 2 BVerfGG.<br />

Sie ist nicht anzunehmen, soweit die Gerichte <strong>de</strong>r Bfin. die Verwendung<br />

<strong>de</strong>r Einzelvollmacht und die Erklärung untersagt<br />

haben, Schriftverkehr ausschließlich mit ihr führen zu dürfen.<br />

Diese Aussagen haben einen überschießen<strong>de</strong>n Inhalt. Gegen<br />

die Auslegung <strong>de</strong>r Gerich te bestehen insoweit keine verfassungsrechtlichen<br />

Be<strong>de</strong>nken. Von einer weiteren Begründung<br />

wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3BVerfGG).<br />

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> dagegen zur<br />

Entscheidung an, soweit die Gerichte <strong>de</strong>r Bfin. untersagt haben,<br />

in <strong>de</strong>r Weise rechtsbera tend tätig zuwer<strong>de</strong>n, wie di es in <strong>de</strong>n<br />

bei<strong>de</strong>n Schreiben geschehen ist. Die Annahme ist insoweit zur<br />

Durchsetzung <strong>de</strong>s Grundrechts <strong>de</strong>r Bfin. aus Art. 12 Abs. 1 GG<br />

angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen<br />

für eine stattgeben<strong>de</strong> Kammerentscheidung sind auch<br />

im Übrigen gegeben (§93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).<br />

1. Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> wirft keine Fragen von grundsätzlicher<br />

verfassungsrechtlicher Be<strong>de</strong>utung auf (§ 93a Abs. 2<br />

Buchstabe aBVerfGG). Das BVerfG hat bereits ausgesprochen,<br />

dass es im Ergebnis keinem Zweifel unterliegen kann, dass das<br />

RBerG in seiner Grundstruktur und seinem Grundanliegen im<br />

Hinblick auf die Berufsfreiheit verfassungsgemäß ist. Das<br />

RBerG bezweckt, zum Schutz <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n und auch<br />

im Interesse einer reibungslosen Abwicklung <strong>de</strong>s Rechtsverkehrs<br />

fachlich ungeeignete und unzuverlässige Personen von<br />

<strong>de</strong>r geschäftsmäßigen Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten<br />

fernzuhalten (vgl. BVerfGE 41, 378, 390; 75, 246, 267,<br />

275 f.; 97, 12, 26 f.; vgl. zuletzt BVerfG, Beschl. <strong>de</strong>r 3. Kammer<br />

<strong>de</strong>s Ersten Senats v. 29.7.2004 – 1 BvR 737/00, JURIS).<br />

2. Auslegung und Anwendung <strong>de</strong>s Rechts in <strong>de</strong>n angegriffenen<br />

Entscheidungen und die damit einhergehen<strong>de</strong> Beschränkung<br />

<strong>de</strong>r Inkassotätigkeit verletzen die Bfin. in ihrer durch Art. 12<br />

Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsausübungsfreiheit.<br />

a) Das RBerG enthält in Art. 1 § 1 Satz 1 ein Verbot jeglicher<br />

geschäftsmäßiger Rechtsberatung und Rechtsbesorgung mit <strong>de</strong>r<br />

Möglichkeit, behördliche Teilerlaubnisse zu gewähren. Die<br />

Berufstätigkeit <strong>de</strong>s Inkassounternehmers wird <strong>de</strong>r Besorgung<br />

frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten und <strong>de</strong>r Rechtsberat ung gleichgestellt<br />

und damit ebenfalls einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt<br />

unterstellt. Was geschäftsmäßige Rechtsberatung ist, bedarf<br />

wegen <strong>de</strong>r generalklauselartigen Umschreibung <strong>de</strong>r Abklärung<br />

im Einzelfall, die sowohl die durch das Gesetz geschützten<br />

Belange als auch die Freiheitsrechte <strong>de</strong>s Einzelnen zu berücksichtigen<br />

hat. Soweit Personen, die nicht RAe sind, aufgrund<br />

ausdrücklicher Erlaubnis berechtigt sind, geschäftsmäßig For<strong>de</strong>rungen<br />

außergerichtlich einzuziehen, ist ihnen nach <strong>de</strong>m<br />

Inhalt und <strong>de</strong>r Systematik <strong>de</strong>s Gesetzes zugleich, allerdings nur<br />

für einen Teilbereich, auch die geschäftsmäßige Rechtsberatung<br />

und Rechtsbesorgung erlaubt (vgl. BVerfG, Beschl. <strong>de</strong>r 2.<br />

Kammer <strong>de</strong>s Ersten Senats, NJW 2002, 1190, 1192).<br />

b) Auslegung und Anwendung <strong>de</strong>r einschlägigen Normen sind<br />

grundsätzlich Aufgabe <strong>de</strong>r Fachgerichte und können vom<br />

BVerfG – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot –<br />

nur darauf überprüft wer<strong>de</strong>n, ob sie Auslegungsfehler enthalten,<br />

die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von<br />

<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s betroffenen Grundrechts, insbeson<strong>de</strong>re vom<br />

Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist <strong>de</strong>r Fall, wenn<br />

die von <strong>de</strong>n Fachgerichten vorgenommene Auslegung <strong>de</strong>r Normen<br />

die Tragweite <strong>de</strong>s Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt<br />

o<strong>de</strong>r im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen<br />

Beschränkung <strong>de</strong>r grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE<br />

18, 85, 92 f., 96; 85, 248, 257 f.; 97, 12, 27). Dazu kann es im<br />

Zusammenhang mit Art. 12 Abs. 1 GG insbeson<strong>de</strong>re dann<br />

kommen, wenn bei Auslegung und Anwendung <strong>de</strong>r Normen<br />

die typischen Merkmale einer Berufstätigkeit nicht gewürdigt<br />

o<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n entgegenstehen<strong>de</strong>n Gemeinwohlinteressen


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 271<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechu ng<br />

grundrechtliche Belange nicht in ein angemessenes Verhältnis<br />

gebracht wor<strong>de</strong>n sind (vgl. BVerfGE 97, 12, 27). So liegt es hier.<br />

Soweit die Gerichte die Schreiben <strong>de</strong>r Bfin. als unerlaubte<br />

Rechtbesorgung qualifizieren und sie nicht <strong>de</strong>r vom Gesetz<br />

gestatteten außergerich tlichen Einziehungstätigkeit zuordnen,<br />

fehlt je<strong>de</strong> Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Gegenstand <strong>de</strong>r erteilten<br />

Erlaubnis im Lichte <strong>de</strong>r grundrechtlich verbürgten berufsrechtlichen<br />

Freiheit. Ebenso haben die Gerichte nicht geprüft,<br />

ob durch die Hinweisschreiben die Schutzzwecke <strong>de</strong>s RBerG<br />

beeinträchtigt wor<strong>de</strong>n si nd.<br />

aa) Das RBerG dient <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n und<br />

einer geordneten Rechtspflege (vgl. BVerfGE 97, 12, 26 f.).<br />

We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>r Verbraucher noch die Reibungslosigkeit<br />

<strong>de</strong>r Rechtspflege rechtfertigen es aber, Inhabern einer Inkassoerlaubnis<br />

Rechtsäußerungen gegenüber ihren Klienten zu <strong>de</strong>n<br />

einzuziehen<strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen zu verbieten (BVerfG, Beschl. <strong>de</strong>r<br />

2. Kammer <strong>de</strong>s Ersten Senats, NJW 2002, 1190). Sie äuße rn<br />

sich insoweit zu ihrem Geschäftsgegenstand und halten sich<br />

damit grundsätzlich im Rahmen <strong>de</strong>r ihnen erlaubten Tätigkeit.<br />

Dabei ist nicht entschei<strong>de</strong>nd, ob die rechtlichen Hinweise an<br />

ihren Vertragspartner gerichtet wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r im Außenverhältnis<br />

auch <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungsschuldner erreichen. Der Schutz <strong>de</strong>r<br />

Rechtspflege gebietet allein, dass dieser Rechtsrat durch hinreichend<br />

sachkundige Personen erteilt wird. Dieses Erfor<strong>de</strong>rnis<br />

wird durch Art. 1 § 1 Abs. 2 RBerG und die Sachkun<strong>de</strong>prüfung<br />

sichergestellt.<br />

Eine effektive Inkassotätigkeit ist ohne Hinweis auf die Rechtslage,<br />

die <strong>de</strong>n zahlungsunwilligen Schuldner zum außergerichtlichen<br />

Einlenken bewegen soll, auch kaum vorstellbar. Inkassounternehmen<br />

haben nicht nur die Aufgabe schlichter Mahnund<br />

Beitreibungstätigkeit, also einer kaufmännischen Hilfeleistung,<br />

die nicht als Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten<br />

anzusehen wäre. Sie übernehmen vielmehr die Verantwortung<br />

für die wirkungsvolle Durchsetzung frem<strong>de</strong>r Rechte. Gera<strong>de</strong><br />

weil sie in ihrem Teilbereich typischerweise Rechtsbesorgung<br />

übernehmen, unterfallen sie <strong>de</strong>m Erlaubnisvorbehalt <strong>de</strong>s Art. 1<br />

§1 Satz 2 Nr. 5 RBerG. Dann aber darf beim For<strong>de</strong>rungseinzug<br />

auch Rechtsberatung geleistet wer<strong>de</strong>n. Diese fin<strong>de</strong>t zunächst<br />

im Verhältnis zum eigenen Klienten statt (vgl. hierzu BVerfG,<br />

Beschl. <strong>de</strong>r 2. Kammer <strong>de</strong>s Ersten Senats, a.a.O.). Zur Rechtsberatung<br />

gehört aber naturgemäß auch das Geltendmachen<br />

von Ansprüchen mit <strong>de</strong>n rechtlichen Argumenten, die <strong>de</strong>m<br />

Gläubiger zu Gebote stehen. Wenn die Rechtsberatung gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Klienten zugelassen ist, um die auftragsgemäße Einziehung<br />

von <strong>de</strong>ssen For<strong>de</strong>rungen effektiv zu gestalten, umfasst<br />

diese Tätigkeit auch die Äußerung von Rechtsansichten gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Schuldner nach Erhebung von Einwendungen. Diese<br />

rechtliche Qualifizierung <strong>de</strong>s Geschäftsgegenstan<strong>de</strong>s, für die<br />

<strong>de</strong>r Inkassounternehmer seinem Mandanten gegenüber Verantwortung<br />

trägt, bleibt Teil seiner erlaubten Rechtsbesorgung und<br />

wird nicht etwa zum Rechtsrat gegenüber <strong>de</strong>m Schuldner.<br />

Mit <strong>de</strong>m DAV und <strong>de</strong>r BRAK ist dieses Verhalten dahin zu würdigen,<br />

dass es auf außergerichtliche Streitbeilegung gerichtet ist<br />

und <strong>de</strong>n Umfang <strong>de</strong>r erteilten Erlaubnis nicht überschreitet.<br />

Die Äußerung von Rechtsauffassungen gegenüber Dritten im<br />

Namen eines Klienten enthält bei Inkassounternehmen ebenso<br />

wenig eine Rechtsberatung <strong>de</strong>s Gegners wie bei RAen; es ist<br />

die durch <strong>de</strong>n Auftrag legitimierte Rechtsbesorgung gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Kun<strong>de</strong>n.<br />

bb) Der Schuldnerschutz als Verbraucherschutz steht <strong>de</strong>m nicht<br />

entgegen. Verneinte man die Befugnis <strong>de</strong>s Inkassounternehmers<br />

zur Rechtserläuter ung auch im Außenverhältn is, so wür<strong>de</strong><br />

letztlich nicht die Rechtspflege geschützt, son<strong>de</strong>rn nur die<br />

Rechtsbesorgung durch Inkassounternehmen weitgehend auf<br />

rein kaufmännische Tätigkeiten reduziert. Für eine rein kaufmännische<br />

Tätigkeit bedürfte das Inkassounternehmen aber<br />

keiner Erlaubnis nach <strong>de</strong>m RBerG. Beruhte die Zahlungsverweigerung<br />

eines Schuldners nicht auf Zahlungsunfähigkeit,<br />

son<strong>de</strong>rn auf einer von ihm geäußerten Rechtsmeinun g, wäre<br />

bereits dieser außergerichtliche Konflikt zwischen Gläubiger<br />

und Schuldner nur mit rechtsanwaltlicher Unterstützung zu<br />

beseitigen, obwohl die außergerichtliche For<strong>de</strong>rungseinziehung<br />

nach <strong>de</strong>r Wertung <strong>de</strong>s Gesetzgebers nicht <strong>de</strong>n RAen vorbehalten<br />

ist.<br />

cc) Auch die Funktionsfähigkeit <strong>de</strong>r Rechtspflege ist durch die<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>r Bfin. nicht beeinträchtigt. Der außergerichtliche<br />

Briefwechsel berührt <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Rechtspflege noch nicht.<br />

Eine Verbindung zum gerichtlichen Mahnverfahren haben im<br />

Übrigen auch die angegriffenen Entscheidungen nicht hergestellt.<br />

Außergerichtliche Rechtsbesorgung kann auch noch<br />

während <strong>de</strong>s Mahnverfahrens stattfin<strong>de</strong>n. Das gilt je<strong>de</strong> nfalls<br />

solange, wie das Inkassounternehmen keine prozessualen<br />

Erklärungen gegenüber <strong>de</strong>m Gericht abgibt und auch sonst<br />

keine Interaktion zwischen <strong>de</strong>m Inkassounternehmen und <strong>de</strong>m<br />

Gericht stattfin<strong>de</strong>t. Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 RBerG betrifft<br />

nach Wortlaut und Sinn nicht allein vorgerichtliche, son<strong>de</strong>rn<br />

die außergerichtliche Tätigkeit schlechthin. Aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Schutzes <strong>de</strong>r Rechtspflege sollen lediglich die Gerichte vor<br />

Anträgen und sonstigen Schriftsätzen von Inkassounternehmen<br />

bewahrt wer<strong>de</strong>n.<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

*Leitsatz <strong>de</strong>r Redaktion (Orientierungssatz)<br />

Anwaltsgerichtshöfe<br />

Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät – Verstoß durch Satzung einer<br />

Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft<br />

BRAO § 59a Abs. 1, § 59e Abs. 2; BORA § 31<br />

*1. Das sich aus <strong>de</strong>n §§ 59a Abs. 1Satz 1, 59e Abs. 2 BRAO ergeben<strong>de</strong><br />

und in § 31 BORA konkretisierte Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät<br />

unter RAen begegnet keinen verfassungsrechtlichen Be<strong>de</strong>nken.<br />

*2. Dieses Verbot bewirkt keine <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />

verletzen<strong>de</strong> Berufsausübungsbeschränkung. Der RA ist<br />

nicht gehin<strong>de</strong>rt, allein und in einer Sozietät seinen Beruf auszuüben;<br />

erist nur gehin<strong>de</strong>rt, inmehreren anwaltlichen Sozietäten<br />

tätig zu sein. Diese Einschränkung ist im Hinblick auf die Gefahren<br />

<strong>de</strong>r Interessenkollision und <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Mandanten <strong>de</strong>s RA zu<br />

gewährleisten<strong>de</strong>n Transparenz geboten.<br />

*3. Dem steht auch nicht entgegen, dass ein RA neben <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

in einer Sozietät auch als Einzelanwalt tätig wer<strong>de</strong>n kann, da<br />

gera<strong>de</strong> die Tätigkeit <strong>de</strong>s Einzelanwalts <strong>de</strong>m Mandanten Klarheit<br />

über seinen Vertragspartner und damit auch Klarheit über etwaige<br />

Interessenkollisionen verschafft.<br />

AGH Hamburg, Beschl. v. 27.9.2004 – I ZU 8/03 (n.r.)


272 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

Die Parteien streiten darum, ob die Astin. als RA-Aktiengesellschaft<br />

i.G. zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen ist.<br />

I. Dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung liegt folgen<strong>de</strong>r<br />

Sachverhalt zugrun<strong>de</strong>:<br />

Die Astin. – die ... RA-Aktiengesellschaft mit Sitz in H. – wur<strong>de</strong><br />

am 7.11.2002 von RAen errichtet (UR-Nr.: .../2002 E <strong>de</strong>s<br />

Notars Dr. E.), die ihren Kanzleisitz überwiegend im Bun<strong>de</strong>sgebiet<br />

– nicht in H. – haben. Ein Gründungsmitglied ist RA in<br />

Frankreich.<br />

Der Gesellschaft ist es satzungsgemäß gestattet, Zweignie<strong>de</strong>rlassungen<br />

im In- und Ausland zu errichten (§ 2 <strong>de</strong>r Satzung).<br />

Der Gegenstand <strong>de</strong>s Unternehmens wird in§3 <strong>de</strong>r Satzung in<br />

<strong>de</strong>r Fassung <strong>de</strong>r geän<strong>de</strong>rten Satzung v. 3.6.2003 (UR-Nr.: .../<br />

2003 L <strong>de</strong>s Notars Dr. L.) wie folgt beschrieben:<br />

㤠3<br />

Gegenstand <strong>de</strong>s Unternehmens<br />

1. Gegenstand <strong>de</strong>s Unternehmens ist die Besorgung frem<strong>de</strong>r<br />

Rechtsangelegenheiten, einschließlich <strong>de</strong>r Rechtsberatung<br />

durch Übernahme von RA-Aufträgen, <strong>de</strong>ren Ausführung durch<br />

die im Dienste <strong>de</strong>r Gesellschaft stehen<strong>de</strong>n, zugelassenen RAe,<br />

die unabhängig und eigenverantwortlich unter Beachtung ihres<br />

Berufsrechts erfolgt, wofür die Gesellschaft die erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

personellen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen<br />

tätigt.<br />

2. Zum Gegenstand <strong>de</strong>s Unternehmens gehört auch die Be rufstätigkeit<br />

im Dienste <strong>de</strong>r Gesellschaft stehen<strong>de</strong>r Angehöriger<br />

an<strong>de</strong>rer Berufe im Rahmen ihrer eigenen berufsrechtlichen<br />

Befugnisse, mit <strong>de</strong>nen sich RAe nach ihrem Berufsrecht verbin<strong>de</strong>n<br />

können.<br />

3. Die Gesellschaft darf alle Geschäfte betreiben, die die<br />

gemeinschaftliche Berufsausübung <strong>de</strong>r Aktionäre unmittelbar<br />

o<strong>de</strong>r mittelbar för<strong>de</strong>rn, soweit berufsrechtlichen Ge- und Verboten<br />

nicht zuwi<strong>de</strong>r gehan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Sofern einem in Diensten<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft stehen<strong>de</strong>n Berufsträger das Tätigwer<strong>de</strong>n<br />

versagt ist, gilt dies auch für alle an<strong>de</strong>ren in <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

tätigen Berufsträger. Die Gesellschaft hat sicherzustellen, dass<br />

<strong>de</strong>n in ihrem Dienste stehen<strong>de</strong>n Berufsträgern die Feststellung<br />

und Überprüfung von evtl. bestehen<strong>de</strong>n Tätigkeitsverboten im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r gesetzlichen Vorgaben möglich ist. Die Aktionäre<br />

sind insoweit untereinan<strong>de</strong>r verpflichtet, die erfor<strong>de</strong>rliche(n)<br />

Informationen zur Verfügung zu stellen.“<br />

Der Nennbetrag <strong>de</strong>s Grundkapitals beträgt 50.000,00 Euro, er<br />

ist eingeteilt in 10 Namensaktien im Nennbetrag von 5.000,00<br />

Euro (§ 6 <strong>de</strong>r Satzung). Nach § 6a <strong>de</strong>r Satzung ist eine Erhöhung<br />

<strong>de</strong>s Grundkapitals durch Ausgabe neuer Aktien bis zu<br />

25.000,00 Euro möglich.<br />

Nach §16 Abs. 3b (vormals §16 Abs. 3d) <strong>de</strong>r Satzung kann<br />

<strong>de</strong>r Vorstand die Zustimmung über die Verfügung von Aktien<br />

verweigern, wenn<br />

„die Zulassung zur Folge hätte, dass Personen Aktionäre wer<strong>de</strong>n,<br />

die nicht zugleich selbst bzw. durch ihre Sozietät Mitglied<br />

<strong>de</strong>r ... EWiV (AG ..., HRA ...) sind.“<br />

Eine Einziehung <strong>de</strong>r Aktien ohne Zustimmung <strong>de</strong>s Aktionärs ist<br />

zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, insbeson<strong>de</strong>re<br />

wenn<br />

„ein Aktionär nicht mehr selbst o<strong>de</strong>r durch seine Sozietät Mitglied<br />

<strong>de</strong>r ... EWiV (AG ..., HRA ...) ist. Besteht unter <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

einer Sozietät Streit darüber, ob und/o<strong>de</strong>r mit wem die<br />

Sozietät fortbesteht und/o<strong>de</strong>r wer Rechtsnachfolger in <strong>de</strong>r Mitgliedschaft<br />

in <strong>de</strong>r EWiV ist o<strong>de</strong>r wird, gilt dies als wichtiger<br />

Grund für eine Einziehung, wenn die Sozietät auf Anfor<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s nicht binnen Monatsfrist eine übereinstimmen<strong>de</strong><br />

Erklärung aller Sozien vorlegt.“ (§ 17 Abs. 2h<strong>de</strong>r Satzung).<br />

Die Agin. hat mit Bescheid v. 20.5.2003 <strong>de</strong>n Antrag <strong>de</strong>r Astin.<br />

v. 16.12.2002 auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgewiesen.<br />

Ein spezielles Zulassungsverfahren für die RA-Aktiengesellschaft<br />

sei in <strong>de</strong>r BRAO nicht geregelt, ebenso wenig ein einheitliches<br />

Zulassungsverfahren für RA-Kapitalgesellsc haften.<br />

Lediglich in<strong>de</strong>n §§59g ff. BRAO sei für die RA-GmbH ein<br />

geson<strong>de</strong>rtes Zulassungsverfahren normiert. Mangels einer analogiefähigen<br />

Regelungslücke lasse sich das Zulassungsverfahren<br />

für die RA-GmbH auch nicht auf die RA-Aktiengesellschaft<br />

übertragen. Der Gesetzgeber habe sich nämlich bewusst dazu<br />

entschlossen, von <strong>de</strong>r Regelung eines geson<strong>de</strong>rten Zulassungsverfahrens<br />

für RA-Aktieng esellschafen abzusehen. A uch <strong>de</strong>r<br />

Regierungsentwurf v. 9.4.1998 habe zu <strong>de</strong>r Frage zur Zulassung<br />

an<strong>de</strong>rer Gesellschaftsformen als <strong>de</strong>r GmbH keine Aussage<br />

getroffen.<br />

Eine Übertragung <strong>de</strong>r Zulassungsvoraussetzungen <strong>de</strong>r RA-<br />

GmbH komme mangels beson<strong>de</strong>rer Min<strong>de</strong>stvoraussetzungen<br />

für die Zulassung einer RA-Aktiengesellschaft nicht in Betracht.<br />

Eine richterliche Rechtsfortbildung wäre angesichts <strong>de</strong>s sich<br />

aus Art. 20 Abs. 3 GG ergeben<strong>de</strong>n Vorranges <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

auch nicht zulässig.<br />

Die Agin. vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass es sich<br />

bei <strong>de</strong>r Astin. um keine berufsrechtlich zulässige Form <strong>de</strong>s<br />

Zusammenschlusses von RAen zur gemeinsamen Berufsausübung<br />

han<strong>de</strong>le. Die Astin. verstieße mit ihrer Satzung gegen<br />

das in § 31 BORA normierte Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät. Die Satzung<br />

<strong>de</strong>r Astin. gestatte nämlich nicht nur mangels entgegenstehen<strong>de</strong>r<br />

Regelung die an<strong>de</strong>rweitige berufliche Zusammenarbeit,<br />

vielmehr wer<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n §§ 16 Abs. 3bund 17 Abs. 2h <strong>de</strong>r<br />

Satzung positiv davon ausgegangen, dass die Aktionäre ungeachtet<br />

ihrer Gesellschafterstellung in <strong>de</strong>r ...-RA-Aktiengesellschaft<br />

daneben noch in eigenen Sozietäten tätig seien.<br />

In ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung verweist die<br />

Astin. auf das BayObLG, das die Zulässigkeit <strong>de</strong>r RA-Aktiengesellschaft<br />

bejaht habe (BayObLG, Beschl. v. 27.3.2000 – 3 ZBR<br />

331/99, DB 2000, 1017, NJW 2000, 1647 f.). Darüber hinaus<br />

vertritt sie die Auffassung, dass das Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät<br />

gem. § 31 BORA rechtsunwirksam sei.<br />

Die Astin. bezieht sich zur Begründung ihrer Auffassung, nach<br />

<strong>de</strong>r sie als RA-Aktiengesellschaft zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen<br />

ist, auf ein von ihr beigebrachtes Gutachten von Prof. M.<br />

v. 23.6.2003. Auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen.<br />

Die Astin. hält darüber hinaus – ebenfalls unter Bezugnahme<br />

auf das Gutachten von Prof. M. – das Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät<br />

wegen einer Verletzung <strong>de</strong>s Gleichbehandlungsgebotes gem.<br />

Art. 3 Abs. 1 GG und einer Verletzung <strong>de</strong>r Berufsausübungsfreiheit<br />

gem. Art. 12 Abs. 1 GG für verfassungswidrig. Es sei<br />

nicht mit <strong>de</strong>m Gleichbehandlungsgebot zu vereinbaren, dass<br />

StB und WP entsprechen<strong>de</strong> Assoziierungsbeschränkungen<br />

nicht auferlegt seien; diese Benachteiligung <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft<br />

sei we<strong>de</strong>r durch sachliche o<strong>de</strong>r berufsbezogene Kriterien<br />

gerechtfertigt.<br />

Das Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät schränke die Berufsausübungsfreiheit<br />

ungerechtfertigt ein. In diesem Zusammenhang weist die<br />

Astin. unter Bezugnahme auf das von ihr beigebrachte Gutachten<br />

darauf hin, dass nach § 7 Nr. 8 BRAO es <strong>de</strong>m RA grundsätzlich<br />

erlaubt sei, zusätzlich zu seiner anwaltlichen Tätigkeit<br />

zweitberufliche Tätigkeiten – ohne berufsrechtliche Bindungen<br />

– auszuüben und insoweit Abhängigkeiten einzugehen. Eine<br />

Gefahr von Interessenkollisionen als Rechtfertigung einer Ein-


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 273<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechu ng<br />

schränkung <strong>de</strong>r Berufsausübungsfreiheit sei nicht anzunehmen,<br />

vielmehr reichten die Disqualifizierungsnormen <strong>de</strong>r §§45, 46<br />

BRAO zur Wahrung <strong>de</strong>s Verhältnismäßigkeitsprinzips aus. Das<br />

sich aus §§59a Abs. 1 Satz 1, 59e Abs. 2 BRAO ergeben<strong>de</strong><br />

pauschale Verbot sei unverhältnismäßig.<br />

Auch die mit einer konzernähnlichen Struktur möglicherweise<br />

verbun<strong>de</strong>ne Intransparenz und die sich daraus ergeben<strong>de</strong><br />

Gefahr einer unbilligen Benachteiligung <strong>de</strong>s Mandanten können<br />

einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nicht rechtfertigen.<br />

Der Anwalt sei letztlich im eigenen Interesse gezwungen,<br />

gegenüber <strong>de</strong>m Mandanten bei unübersichtlichen Strukturen<br />

<strong>de</strong>utlich zu machen, mit wem dieser vertragliche Be ziehungen<br />

eingehe. Darüber hinaus bestün<strong>de</strong>n im Bereich <strong>de</strong>r Anwaltshaftung<br />

und <strong>de</strong>s Anwaltsvertragsrechts in weitem Umfang<br />

Rechtsscheinprinzipien. Die Tatsache, dass ein in einer Sozietät<br />

eingebun<strong>de</strong>ner Anwalt außerhalb dieser Sozietät als Einzelanwalt<br />

beratend tätig sein könne, mache <strong>de</strong>utlich , dass <strong>de</strong>r<br />

Gesetzgeber eine mögliche Irreführung <strong>de</strong>s Mandanten<br />

bewusst in Kauf nehme. Eine <strong>de</strong>rartige mögliche Irreführung<br />

wäre bei einer Mitgliedschaft in zwei Sozietäten wesentlich<br />

geringer, da wegen <strong>de</strong>r Rechtsfähigkeit <strong>de</strong>r Sozietät dieser das<br />

Mandat erteilt, sofern <strong>de</strong>r RA nicht ausschließlich allein beauftragt<br />

wer<strong>de</strong>. Im Übrigen hin<strong>de</strong>rten die Sicherung <strong>de</strong>r Verschwiegenheitspflicht<br />

und das Verbot <strong>de</strong>r Vertretung wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r<br />

Interessen die Tätigkeit eines Einzelanwaltes, <strong>de</strong>r<br />

zugleich Mitglied einer RA-Sozietät sei, nicht. Gleiches müsse<br />

auch für die Doppelmitgliedschaft in zwei o<strong>de</strong>r mehreren<br />

Sozietäten gelten.<br />

Die Astin. beantragt,<br />

1. <strong>de</strong>n Bescheid <strong>de</strong>r Agin. v. 20.5.2003 aufzuheben und die<br />

Agin. zu verpflichten, die Astin. zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen,<br />

2. hilfsweise, die Agin. unter Aufhebung <strong>de</strong>s Beschei<strong>de</strong>s v.<br />

20.5.2003 zu verpflichten, die Astin. unter Beachtung <strong>de</strong>r<br />

Rechtsauffassung <strong>de</strong>s AGH erneut zu beschei<strong>de</strong>n.<br />

Die Agin. beantragt, die Anträge <strong>de</strong>r Astin. zurückzuweisen.<br />

Sie verteidigt <strong>de</strong>n angefochtenen Bescheid und weist darauf<br />

hin, dass bereits <strong>de</strong>r Umstand, dass die BRAO lediglich für die<br />

GmbH Regelungen enthalte und eine direkte o<strong>de</strong>r analoge<br />

Anwendung dieser Regelungen nicht möglich sei, <strong>de</strong>r Zulassung<br />

einer RA-Aktiengesellschaft entgegenstehe.<br />

Im Hinblick auf das Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät betont die Agin.,<br />

dass die von RAen gefor<strong>de</strong>rte aka<strong>de</strong>mische Beratungsleistung<br />

direkt und unmittelbar zu erbringen sei. Sie sieht bei Zulassung<br />

einer Sternsozietät die Gefahr eines größeren Haftungspotentials.<br />

Darüber hinaus besteht das Risiko <strong>de</strong>r Irreführung <strong>de</strong>r Mandanten<br />

über <strong>de</strong>njenigen, <strong>de</strong>r die Rechtsberatung tatsächlich<br />

erbringen will. Im Ergebnis wür<strong>de</strong> sich nach Auffassung <strong>de</strong>r<br />

Agin. <strong>de</strong>r in eine Sternsozietät eingebun<strong>de</strong>ne Anwalt weitgehend<br />

von <strong>de</strong>m gesetzgeberischen Leitbild einer Beratung auf<br />

freiberuflicher Basis entfernen.<br />

Satzung verstößt<br />

gegen Verbot <strong>de</strong>r<br />

Sternsozietät<br />

II. Der zulässige, insbeson<strong>de</strong>re<br />

gem. § 37 BRAO fristgemäß<br />

gestellte Antrag ist unbegrün<strong>de</strong>t,<br />

da die Satzung <strong>de</strong>r Astin. gegen<br />

das Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät<br />

(§§ 59a Abs. 1 Satz 1, 59e Abs. 2 BRAO, § 31 BORA) verstößt.<br />

Aus <strong>de</strong>n Regelungen <strong>de</strong>r §§16 Abs. 3b und 17 Abs. 2h ihrer<br />

Satzung ergibt sich, dass die Aktionäre <strong>de</strong>r Astin. ungeachtet<br />

ihrer Stellung als Gesellschafter <strong>de</strong>r Astin. daneben noch in<br />

eigenen Sozietäten tätig sind. Diese Regelungen sind unvereinbar<br />

mit <strong>de</strong>m Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät. Auf die zwischen <strong>de</strong>n<br />

Parteien umstrittene Frage, ob eine RA-Aktiengesellschaft einen<br />

Anspruch auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft hat, kommt es<br />

<strong>de</strong>swegen nicht an.<br />

Das Verbot <strong>de</strong>r Zugehörigkeit von RAen zu mehr als einer<br />

Sozietät ergibt sich aus <strong>de</strong>m Wortlaut von § 59a Abs. 1 BRAO,<br />

wonach <strong>de</strong>r RA nur einer Sozietät angehören darf (vgl. Feuerich/Weyland,<br />

BRAO, 6.Aufl. 2003, §59a Rdnr. 4, 14). Zum<br />

Schutz <strong>de</strong>r Mandantschaft vor Irreführungen solle eine „Vermehrung“<br />

o<strong>de</strong>r „Teilung“ <strong>de</strong>r anwaltlichen Berufstätigkeit verhin<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n (vgl. BGH, NJW 1999, 2970, 2971 unter Hinweis<br />

auf BT-Drucks. 12/4993, 33; Feuerich/Weyland, BRAO,<br />

a.a.O., § 59a Rdnr. 14; AGH Hamburg, AnwBl. 1999, 226).<br />

Das sich aus <strong>de</strong>n §§ 59a Abs. 1 Satz 1, 59e Abs. 2BRAO ergeben<strong>de</strong><br />

und in § 31 BORA konkretisierte Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät<br />

unter RAen (zu <strong>de</strong>r Einbeziehung nichtanwaltlicher Sozien<br />

vgl. BGH, NJW 1999, 2970 ff.) begegnet keinen verfassungsrechtlichen<br />

Be<strong>de</strong>nken.<br />

Das Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät verletzt<br />

nicht die Berufsausübungsfreiheit<br />

<strong>de</strong>s Art. 12 Abs. 1 GG. Es<br />

han<strong>de</strong>lt sich vielmehr um eine<br />

auch <strong>de</strong>n Gleichheitsgrundsatz<br />

<strong>de</strong>s Art. 3 Abs. 1 GG wahren<strong>de</strong>, die Berufsausübungsfreiheit<br />

nicht unverhältnismäßig beschränken<strong>de</strong> gesetzliche Regelung.<br />

Das sich aus <strong>de</strong>r BRAO ergeben<strong>de</strong> Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät ist<br />

eine <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit nicht verletzen<strong>de</strong><br />

Berufsausübungsbeschränkung. Sie steht nicht außer Verhältnis<br />

zu <strong>de</strong>m angestrebten Zweck <strong>de</strong>r Verhin<strong>de</strong>rung von Vermehrung<br />

und Teilung <strong>de</strong>r anwaltlichen Tätigkeit. Der <strong>de</strong>m Gesetzgeber<br />

bei Berufsausübungsbeschränkungen zuerkannte weite<br />

Spielraum hinsichtlich <strong>de</strong>r Festlegung arbeits-, sozial- und wirtschaftspolitischer<br />

Ziele (vgl. BVerfGE 81, 156, 189) wird mit<br />

<strong>de</strong>n Regelungen <strong>de</strong>r BRAO zum Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät nicht<br />

verletzt. Sie belasten die Rechtsanwaltschaft nicht übermäßig.<br />

Der RA ist nicht gehin<strong>de</strong>rt, allein und in einer Sozietät seinen<br />

Beruf auszuüben, er ist nur gehin<strong>de</strong>rt, seinen Beruf in mehreren<br />

anwaltlichen Sozietäten auszuüben.<br />

Gefahr <strong>de</strong>r Interessenkollision<br />

und Gebot<br />

<strong>de</strong>r Transparenz<br />

Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät<br />

ist<br />

verfassungsgemäß<br />

Diese Einschränkung ist im Hinblick<br />

auf die Gefahren <strong>de</strong>r Interessenkollision<br />

und <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n<br />

Mandanten <strong>de</strong>s RA zu gewährleisten<strong>de</strong>n<br />

Transparenz geboten.<br />

Die beraten<strong>de</strong> Tätigkeit <strong>de</strong>s RA ist umfassend, er ist <strong>de</strong>r berufene<br />

unabhängige Berater und Vertreter seiner Mandanten in<br />

allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 Abs. 1 BRAO). Aus diesem<br />

Umstand ergibt sich, dass die Tätigkeit <strong>de</strong>s RA wesentliche Persönlichkeitsrechte<br />

seiner Mandanten berühren kann. Dieser<br />

Umstand gebietet es daher auch in beson<strong>de</strong>rem Maße, <strong>de</strong>m<br />

Risiko einer möglichen Irreführung und <strong>de</strong>r Gefahr <strong>de</strong>r Intransparenz<br />

zu begegnen. Es liegt auf <strong>de</strong>r Hand, dass bei einer<br />

Zulassung von Sternsozietäten das Problem von Irreführungen<br />

und insbeson<strong>de</strong>re auch das Problem <strong>de</strong>r Intransparenz sich<br />

gegenüber <strong>de</strong>r Tätigkeit eines Anwalts in einer anwaltlichen<br />

Sozietät <strong>de</strong>utlich vergrößern. Dem steht auch nicht entgegen,<br />

dass neben <strong>de</strong>r Tätigkeit in einer Sozietät <strong>de</strong>r RA auch als Einzelanwalt<br />

tätig wer<strong>de</strong>n kann, da gera<strong>de</strong> die Tätigkeit <strong>de</strong>s Einzelanwalts<br />

<strong>de</strong>m Mandanten Klarheit über seinen Vertragspartner<br />

und damit auch Klarheit über etwaige Interessenkollisionen<br />

verschafft.<br />

Die Regelung <strong>de</strong>r Sternsozietät in <strong>de</strong>r BRAO verletzt auch nicht<br />

<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n gesetzlichen Regelungen zur Beschränkung <strong>de</strong>r<br />

Berufsausübungsfreiheit zu beachten<strong>de</strong>n allgemeinen Gleichheitsgrundsatz<br />

<strong>de</strong>s Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfG, ZIP<br />

1997, 117; 1998, 1068, 1070). Ein Vergleich <strong>de</strong>r Tätigkeiten<br />

<strong>de</strong>r RAe mit <strong>de</strong>n Tätigkeiten <strong>de</strong>r WP und StB, die einer Assoziierungsbeschränkung<br />

in Form <strong>de</strong>s Verbots <strong>de</strong>r Sternsozietät<br />

nicht unterliegen, ist entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Astin. nicht


274 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

geeignet, einen Verstoß gegen <strong>de</strong>n Gleichheitsgrundsatz <strong>de</strong>s<br />

Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen.<br />

Trotz partieller Übereins timmungen<br />

<strong>de</strong>r Berufsfel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r drei vorgenannten<br />

freien Berufe, die eine<br />

Assoziierungsmöglichkeit zwischen<br />

RAen einerseits und StB<br />

und WP an<strong>de</strong>rerseits sachlich begrün<strong>de</strong>n, unterschei<strong>de</strong>n sich<br />

die Berufsbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r StB und WP von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r RAe insgesamt<br />

erheblich.<br />

Die Tätigkeiten <strong>de</strong>r StB und WP zeichnen sich durch eine<br />

große Nähe zueinan<strong>de</strong>r aus. Den StB ist neben <strong>de</strong>r Beratun g<br />

und Vertretung in Steuersachen die wirtschaftsberaten<strong>de</strong> gutachterliche<br />

o<strong>de</strong>r treuhän<strong>de</strong>rische Tätigkeit erlaubt. Die Tätigkeit<br />

<strong>de</strong>r WP umfasst <strong>de</strong>n gesamten Aufgabenbereich <strong>de</strong>s StB<br />

(vgl. zu <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Tätigkeiten <strong>de</strong>r StB und WP BVerfG, ZIP,<br />

1998, 1068, 1070).<br />

Die eng beieinan<strong>de</strong>r liegen<strong>de</strong>n Tätigkeiten <strong>de</strong>r StB und WP<br />

umfassen ihrerseits aber nur einen Teil <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n Beratungstätigkeit<br />

<strong>de</strong>r RAe, nämlich nur <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r wirtschaftlich<br />

beraten<strong>de</strong>n und vertreten<strong>de</strong>n Tätigkeit. Darüber hinaus ist<br />

<strong>de</strong>r RA an<strong>de</strong>rs als die StB und WP als unabhängiges Organ <strong>de</strong>r<br />

Rechtspflege zur Beratung und Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten<br />

berufen (vgl. Feuerich/Weyland, a.a.O., § 1 Rdnr. 4<br />

unter Hinweis auf BVerfGE 63, 266; 34, 293). Die Tätigkeit <strong>de</strong>s<br />

RA kann und wird auch häufig wesentliche Persönlichkeitsrechte<br />

seines Mandanten berühren, da er diesen umfassend,<br />

also in je<strong>de</strong>m Lebensbereich rechtlich beraten und vertreten<br />

kann, eine Tätigkeit, die über die wirtschaftliche und steuerrechtliche<br />

Beratung und Vertretung von WP und StB weit<br />

hinausgeht. Diese Unterschiedlichkeit <strong>de</strong>s Berufsbil<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s RA<br />

von <strong>de</strong>n Berufsbil<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r StB und WP rechtfertigt nach Auffassung<br />

<strong>de</strong>s Senats die im Verhältnis zu <strong>de</strong>n Regelungen bei StB<br />

und WP strengeren Assoziierungsbeschränkungen für RAe (a.A.<br />

Henssler, ZIP 1998, 2121, 2125).<br />

Da eine Zulassung <strong>de</strong>r Astin. zur Rechtsanwaltschaft bereits<br />

wegen <strong>de</strong>s Verstoßes ihrer Satzung gegen das Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät<br />

ausschei<strong>de</strong>t, war über die grundsätzliche Frage <strong>de</strong>r<br />

Zulassung von Aktiengesellschaften zur Rechtsanwaltschaft<br />

nicht mehr zu entschei<strong>de</strong>n.<br />

Fachanwalt – zu <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen andie vorzulegen<strong>de</strong><br />

Fallliste<br />

FAO § 5,§6 Abs. 3<br />

*1. Die vom RA vorzulegen<strong>de</strong> Fallliste muss konkrete Angaben zu<br />

Art und Umfang <strong>de</strong>r jeweils erbrachten Tätigkeit enthalten. Verwen<strong>de</strong>t<br />

ein Ast. Rubriken wie „Sachverhalt“ und „Tätigkeit“, dürfen<br />

sich seine Angaben nicht durchweg in Schlagworten und<br />

Stichpunkten erschöpfen, ohne einen Gesamtüberblick über seine<br />

Funktion und Tätigkeit in <strong>de</strong>r Sache zu geben.<br />

*2. Einer RAK muss es zumin<strong>de</strong>st möglich sein, sich über Art und<br />

Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit eines Ast. einen ausreichen<strong>de</strong>n Überblick<br />

zu verschaffen. Auch die Überprüfung eines möglichen Zusammenhangs<br />

von Fällen zur Vornahme einer Gewichtung muss<br />

ermöglicht wer<strong>de</strong>n, insbeson<strong>de</strong>re wenn ein solcher Zusammenhang<br />

in einigen Fällen nahe liegt.<br />

AGH Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Beschl. v. 15.7.2004 – AGH 45/2002 (I)<br />

Aus <strong>de</strong>m Tatbestand:<br />

Berufsbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

StB und WP<br />

unterschei<strong>de</strong>n sich<br />

Die Astin. ist seit <strong>de</strong>m ... als RAin zugelassen. Die Zulassung<br />

besteht nach Ortswechsel im Januar ... bei <strong>de</strong>m AG ... und <strong>de</strong>m<br />

LG ..., seit September ... auch beim OLG ... . Vor ihrer jetzigen<br />

Tätigkeit in ... war die Astin. ca. 2 1 / 2 Jahre in einer Sozietät in ...<br />

tätig und hierzu beim AG ... und beim LG ... zugelassen.<br />

Mit Schreiben v. 9.2.2000, das bei <strong>de</strong>r Agin. am 18.2.2000 einging,<br />

beantragte die Astin. bei <strong>de</strong>r Agin. die Gestattung <strong>de</strong>r<br />

Führung <strong>de</strong>r Fachgebietsbezeichnung „Fachanwältin für<br />

Arbeitsrecht“. Zum Nachweis ihrer theoretischen Kenntnisse<br />

auf <strong>de</strong>m beantragten Fachgebiet legte sie Zeugnisse über die<br />

erfolgreiche Teilnahme an einem Fachgebietskurs vor, <strong>de</strong>ssen<br />

Eignung zwischen <strong>de</strong>n Parteien außer Streit ist. Zum Nachweis<br />

ihrer praktischen Kenntnisse legte sie zunächst eine Fallliste für<br />

die Jahre 1996, 1997, 1998 und 1999 vor, bei <strong>de</strong>r die Astin. die<br />

vorgelegten Fälle jeweils bezogen auf das Kalen<strong>de</strong>rjahr durchnummeriert<br />

hatte. Darüber hinaus hatte sie die Fallliste in die<br />

Rubriken „Aktenbezeichnung“, „Anlagen-Nr.“, „Ablage-Nr.“,<br />

„zuständiges Gericht“, „AZ <strong>de</strong>s Gerichts“ und „Sachverhalt“<br />

unterglie<strong>de</strong>rt. Für das J ahr 1996 hatte sie 7 arbeitsgerichtliche<br />

Verfahren, für das Jahr 1997 36 arbeitsgerichtliche Verfahren,<br />

für das Jahr 1998 40 arbeitsgerichtliche Verfahren und für das<br />

Jahr 1999 27 arbeitsgerichtliche Verfahren, insgesamt also 110<br />

arbeitsgerichtliche Verfahren, angegeben. Ferner hat die Astin.<br />

in die Fallliste unter <strong>de</strong>r Überschrift „Beratungen“ noch eine<br />

geson<strong>de</strong>rte, nicht auf Kalen<strong>de</strong>rjahre bezogene Übersicht aufgenommen,<br />

welche durchnummeriert und in die Rubriken<br />

„Aktenbezeichnung“, „Anlage-Nr.“, „Beratung am“ und „Sachverhalt“<br />

unterglie<strong>de</strong>rt war. Die Übersicht wies zwei Beratungen<br />

aus, einmal für das Jahr 1998 und einmal für das Jahr 1999.<br />

Mit Schreiben v. 25.8.2000 wies <strong>de</strong>r Berichterstatter <strong>de</strong>s<br />

gemeinsamen Prüfungsausschusses die Astin. darauf hin, dass<br />

ihr Antrag <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r FAO nicht ge nüge. Daher<br />

bitte er die Astin. um die Überarbeitung <strong>de</strong>r Fallliste. Zunächst<br />

sei von ihr eine geschlossene Liste anzufertigen, welche die<br />

Fälle fortlaufend, also entsprechend <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>stzahl <strong>de</strong>r Fälle,<br />

von 1 bis 100 durchzähle. Gemäß § 6Abs. 3 FAO müssten die<br />

Falllisten darüber hinaus genaue Angaben über Aktenzeichen,<br />

Gegenstand, Zeitraum, Art und Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit und <strong>de</strong>n<br />

Stand <strong>de</strong>s Verfahrens enthalten. Im Übrigen seien nach §10<br />

Nr. 2 FAO beson<strong>de</strong>re Kenntnisse im Bereich <strong>de</strong>s kollektiven<br />

Arbeitsrechts nachzuweisen. Insoweit habe die Astin. bei <strong>de</strong>n<br />

einzelnen Fällen nicht dargelegt, ob ein kollektivrechtlicher<br />

Fall o<strong>de</strong>r ein individualrechtlicher Fall mit nicht unerheblichen<br />

kollektiven Bezügen vorliege, wobei Letzteres nach § 5cFAO<br />

genüge.<br />

Für die Vorlage <strong>de</strong>r ergänzen<strong>de</strong>n Angaben wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Astin.<br />

eine Frist bis zum 30.10.2000 gesetzt. Mit Schreiben v.<br />

31.10.2000 erbat die Astin. vom Prüfungsausschuss eine Fristverlängerung,<br />

da sie sich bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber um<br />

Akteneinsicht bemühen müsse. Die Frist wur<strong>de</strong> daraufhin bis<br />

zum 15.12.2000 verlängert. Mit Schreiben v. 15.12.2000 bat<br />

die Astin. erneut um Fristverlängerung. Dies begrün<strong>de</strong>te sie<br />

damit, dass ihr früherer Arbeitgeber auf ihre Schreiben nicht<br />

reagiere. Nach<strong>de</strong>m die RAK Stuttgart aus <strong>de</strong>m gemeinsamen<br />

Prüfungsausschuss <strong>de</strong>r Kammern Freiburg, Karlsruhe und<br />

Tübingen ausgeschie<strong>de</strong>n und einen eigenen Prüfungsausschuss<br />

„Fachanwalt für Arbeitsrecht“ errichtet hatte, bat dieser die<br />

Astin. mit Schreiben v. 1.3.2002 um Mitteilung, obsie ihren<br />

Antrag v. 9.2.2000 aufrechterhalten wolle. Dies bejahte die<br />

Astin. mit Telefaxschreiben v. 2.4.2002.<br />

Der Prüfungsausschuss teilte <strong>de</strong>r Astin. mit Schreiben v.<br />

9.4.2002 mit, dass ihr nunmehr eine Frist von sechs Wochen<br />

für die Vorlage <strong>de</strong>r ergänzten Fallliste gesetzt wer<strong>de</strong>. Das von<br />

<strong>de</strong>r Astin. unterzeichnete Empfangsbekenntnis datiert v.<br />

15.4.2002.<br />

Am 27.5.2002 legte die Astin. sodann eine ergänzte Fallliste<br />

vor. Diese war ebenfalls nach Kalen<strong>de</strong>rjahren geglie<strong>de</strong>rt und<br />

enthielt nunmehr die Bereiche „Mandant“, „Gegner“, „Tätigkeit“,<br />

„Beendigung“ und „Bearbeitungszeit“. Eine Nummerierung<br />

<strong>de</strong>r Liste war nicht erfolgt. Darüber hinaus ergänzte die<br />

Astin. die Fallliste um insgesamt 40 neue Fälle, davon 29


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 275<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechu ng<br />

arbeitsgerichtliche Verfahren, und die Rubrik „Beratung“ um<br />

einen weiteren Fall.<br />

Nach Prüfung <strong>de</strong>r ergänzten Fallliste gelangte <strong>de</strong>r Berichterstatter<br />

in seinem Votum v. 5.6.2002 zu <strong>de</strong>m Ergebnis, dass die<br />

Astin. für die Verleihung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung zwar<br />

<strong>de</strong>n Nachweis beson<strong>de</strong>rer theoretischer Kenntnisse erbracht<br />

habe, nicht aber <strong>de</strong>n Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen.<br />

Die von <strong>de</strong>r Astin. ergänzte Fallliste enthalte nach wie<br />

vor nicht die nach § 6 Abs. 3 FAO vorgesehenen Angaben. So<br />

fehle eine fortlaufen<strong>de</strong> Nummerierung und die Kenntlichmachung<br />

eines Zusammenhangs von Fällen. Insbeson<strong>de</strong>re seien<br />

Art und Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit in keiner Weise nachvollziehb ar<br />

dargelegt wor<strong>de</strong>n. Die Astin. beschränke sich hier lediglich auf<br />

Schlagworte wie „Zeugnis“, „Lohnfortzahlung“ o<strong>de</strong>r „Kündigungsschutzklage“.<br />

Darüber hinaus sei bei <strong>de</strong>r neu angeführten<br />

Beratung keine Bearbeitungszeit genannt. Auch bei <strong>de</strong>n von ihr<br />

angeführten 40 weiteren Fällen fehlten diese Angaben. Weiter<br />

sei nicht ersichtlich, ob bei <strong>de</strong>n drei im Drei-Jahres-Zeitraum<br />

nach § 5Satz 1FAO begonnenen und nach Ablauf dieses Zeitraums<br />

abgeschlossenen Fällen wesentliche Tätigkeiten innerhalb<br />

<strong>de</strong>s Drei-Jahres-Zeitraums erbracht wur<strong>de</strong>n.<br />

Auf Vorschlag <strong>de</strong>s Berichterstatters beschloss die Agin. daher in<br />

ihrer Sitzung v. 5.6.2002, <strong>de</strong>r Astin. eine Auflage zu erteilen, in<br />

<strong>de</strong>r die Astin. unter Setzung einer dreimonatigen Frist dazu aufgefor<strong>de</strong>rt<br />

wur<strong>de</strong>, die von <strong>de</strong>r Agin. gerügten Punkte zu präzisieren<br />

(hinsichtlich <strong>de</strong>s genauen Wortlauts <strong>de</strong>r Auflage wird auf<br />

die Prozessakten verwiesen).<br />

Mit Schreiben v. 10.6.2002 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Astin. die Auflage<br />

bekannt gegeben. Auf die Rechtsfolge <strong>de</strong>r Fristversäumnis<br />

wur<strong>de</strong> hingewiesen (§24 Abs. 4 FAO 99). Die Astin. reichte<br />

hierauf ein am 5.7.2002 unterschriebenes Empfangsbekenntnis<br />

zurück, in welchem sie bestätigte, dass sie das Schreiben v.<br />

10.6.2002 am 14.6.2002 erhalten habe.<br />

Zu <strong>de</strong>r Auflage hat die Astin. keine Stellung genommen und<br />

auch die Fallliste nicht ergänzt.<br />

Der Berichterstatter <strong>de</strong>s Prüfungsausschusses kam in seinem<br />

ergänzen<strong>de</strong>n Votum v. 14.10.2002 daher zu <strong>de</strong>m E rgebnis,<br />

dass <strong>de</strong>r Antrag <strong>de</strong>r Astin. auf Führung <strong>de</strong>r Bezeichnung „Fachanwältin<br />

für Arbeitsrecht“ zurückzuweisen sei.<br />

Die Agin. lehnte daraufhin durch Bescheid v. 18.11.2002 die<br />

Verleihung <strong>de</strong>r begehrten Fachanwaltsbezeichnung ab. Die<br />

Astin. habe nicht die erfor<strong>de</strong>rliche Fallzahl i.S.d. § 5FAO nachgewiesen<br />

und auch nicht die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s §6Abs. 3<br />

FAO erfüllt, welche in<strong>de</strong>r Auflage <strong>de</strong>utlich gemacht wor<strong>de</strong>n<br />

seien. Der Auflage sei nicht ordnungsgemäß nachgekommen<br />

wor<strong>de</strong>n. Es fehle nach wie vor die Kenntlichmachung <strong>de</strong>s<br />

Zusammenhangs von Fällen, eine fortlaufen<strong>de</strong> Nummerierung<br />

sowie nachvollziehbare Angaben zu Art und Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit.<br />

Die Darstellung <strong>de</strong>r Fälle beschränke sich auf Schlagworte<br />

wie Kündigung, Arbeitslosengeld, Beratung wegen Arbeits- und<br />

Vertragsrecht, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung, Mutterschutz.<br />

Nach<strong>de</strong>m die Astin. die ihr in <strong>de</strong>r Auflage gesetzte 3-<br />

Monats-Frist habe fruchtlos verstreichen lassen, könne <strong>de</strong>r Ausschuss<br />

gem. §24 FAO nach Aktenlage entschei<strong>de</strong>n. Eine weitere<br />

Nachfristsetzung sei nicht zumutbar. Im Übrigen gelte im<br />

Antragsverfahren <strong>de</strong>r „Beibringungsgrundsatz“, d.h. die Astin.<br />

müsse die erfor<strong>de</strong>rlichen Nachweise erbringen. Der Kammervorstand<br />

habe sich <strong>de</strong>m ablehnen<strong>de</strong>n Votum <strong>de</strong>s Prüfungsausschusses<br />

angeschlossen.<br />

Gegen <strong>de</strong>n Ablehnungsbescheid, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Astin. mit Zustellungsurkun<strong>de</strong><br />

v.20.11.2002 zugestellt wur<strong>de</strong>, hat die Astin.<br />

mit Schriftsatz v.3.12.2002 – beim AGH eingegangen per Telefax<br />

am 3.12.2002 – Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

gestellt. Zur Begründung ihres Antrages wur<strong>de</strong> ihr vom 1. Senat<br />

eine Frist bis zum 10.1.2003 gesetzt, die auf Antrag <strong>de</strong>r Astin.<br />

bis zum 17.1.2003 verlängert wur<strong>de</strong>. Am 17.1.2003 begrün<strong>de</strong>te<br />

die Astin. ihren Antrag und legte dar, dass nach ihrer Auffassung<br />

die von ihr vorgelegte Fallliste <strong>de</strong>n vorgeschriebenen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen entspreche. Zum einen sei die vorgeschriebene<br />

Fallzahl erfüllt. Zum an<strong>de</strong>ren seien die Fälle mit Aktenzeichen<br />

und näherer Bezeichnung angegeben. Aufgrund <strong>de</strong>s Umstan<strong>de</strong>s,<br />

dass sie am 30.11.199 9aus <strong>de</strong>r Sozietät in ... ausgeschie<strong>de</strong>n<br />

sei, wäre sie nicht in <strong>de</strong>r Lage gewesen, die Fallliste konkreter<br />

zu fassen. Insoweit enthalte die FAO keine Regelungen<br />

für <strong>de</strong>n Fall, dass <strong>de</strong>r Anwalt, <strong>de</strong>r eine Fallliste zu erstellen hat,<br />

auf die Akten keinen Zugriff mehr habe. Die Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

dürften insoweit nicht überspannt wer<strong>de</strong>n. Eine Prüfung sei<br />

anhand <strong>de</strong>r gerichtlichen Aktenzeichen für die Agin. möglich.<br />

Eine an<strong>de</strong>rweitige Handhabung hätte zur Folge, dass angestellte<br />

Anwälte gegenüber selbständigen Anwälten bei <strong>de</strong>r<br />

Erlangung <strong>de</strong>s Fachanwaltstitels benachteiligt wür<strong>de</strong>n.<br />

Die Astin. hat in ihrer Antragsschrift v. 3.12.2002 zunächst<br />

„bezüglich <strong>de</strong>s Beschei<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Agin. v. 18.11.2002 Antrag auf<br />

gerichtliche Entscheidung“ gestellt, im Termin zur mündlichen<br />

Verhandlung v. 19.6.2004 sodann beantragt, die Verpflichtung<br />

<strong>de</strong>r Agin. auszusprechen, ihr die Führung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung<br />

für Arbeitsrecht zu gestatten; hilfsweise: <strong>de</strong>n<br />

Bescheid <strong>de</strong>r Agin. v. 18.11.2002 aufzuheben.<br />

Die Agin. beantragt, <strong>de</strong>n Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

zurückzuweisen.<br />

Der Antrag <strong>de</strong>r Astin. sei informeller Hinsicht unvollständig<br />

und schon <strong>de</strong>shalb zurückzuweisen. Nach § 39 BRAO müsse<br />

die Astin. <strong>de</strong>n Bescheid o<strong>de</strong>r die Verfügung, gegen die sie sich<br />

wen<strong>de</strong>, genau bezeichnen. Sie müsse ferner angeben, inwieweit<br />

<strong>de</strong>r angefochtene Bescheid aufgehoben und zu welcher<br />

Amthandlung die Agin. verpflichtet wer<strong>de</strong>n solle. Eine Nachbesserung<br />

<strong>de</strong>s Antrages sei hier nach Verstreichung <strong>de</strong>r<br />

Antragsfrist nicht mehr möglich.<br />

Im Übrigen habe man <strong>de</strong>n Antrag <strong>de</strong>r Astin. auf Führung <strong>de</strong>r<br />

Bezeichnung „Fachanwältin für Arbeitsrecht“ zu Recht zurückgewiesen,<br />

weil die von <strong>de</strong>r Astin. vorgelegte Fallliste <strong>de</strong>n<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r FAO nicht genüge. Dies sei bereits im<br />

Ablehnungsbescheid ausführlich begrün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n. Hierauf<br />

verweise man nochmals. Die Astin. habe die ihr erteilten Auflagen<br />

nicht in notwendigem Maße erfüllt. Es müsse sich <strong>de</strong>m<br />

Ausschuss aus <strong>de</strong>r Fallliste heraus erschließen, um welche Fälle<br />

es sich konkret gehan<strong>de</strong>lt habe. Es könne nicht so sein, dass die<br />

Agin. Gerichtsakten beiziehen müsse, um die Fälle zu konkretisieren.<br />

Für die Astin. bestehe <strong>de</strong>r Beibringungsgrundsatz. Sie –<br />

und nicht die Agin. – müsse alle für einen Antrag notwendigen<br />

Unterlagen vorlegen.<br />

Ferner gehe es zu Lasten <strong>de</strong>r Astin., wenn sie <strong>de</strong>r ihr erteilten,<br />

ausführlich beschriebenen Auflage nicht nachkomme. Die<br />

Arbeiten, die die Astin. <strong>de</strong>r Agin. zumuten wolle, könnten<br />

genauso gut von <strong>de</strong>r Astin. selbst ausgeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Klarstellend sei darauf hinzuweisen, dass nicht die Fallzahl an<br />

sich in Zweifel gezogen wer<strong>de</strong>. Vielmehr habe die Astin. nicht<br />

ausreichend dargetan, um welche Fälle es sich konkret gehan<strong>de</strong>lt<br />

habe. Somit sei keine konkrete Überprüfung möglich<br />

gewesen.<br />

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19.7.2003 war die<br />

Astin. krankheitsbedingt säumig. Im Termin zur mündlichen<br />

Verhandlung am 19.6.2004 erschien die Agin. nicht. In diesem<br />

Termin erklärte die Astin. auf Frage <strong>de</strong>s Senats und unter Vorlage<br />

<strong>de</strong>s geführten Schriftwechsels, sie habe bis in <strong>de</strong>n März<br />

2001 hinein unter Fristsetzung und Klageandrohung versucht,<br />

ihren ehemaligen Arbeitgeber dazu zu bewegen, die erfor<strong>de</strong>rliche<br />

Fallliste für sie aufzustellen. Als dieser <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung<br />

nicht nachgekommen sei, habe sie auf gerichtliche Schritte verzichtet<br />

und auch von einer Einschaltung <strong>de</strong>r Agin. als zustän-


276 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

dige Anwaltskammer abgesehen, um das ohnedies schwierige<br />

Verhältnis zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber nicht weiter zu<br />

belasten. Dies sei auch <strong>de</strong>r Grund gewesen, weshalb sie auf<br />

die Auflage <strong>de</strong>r Agin. v.10.6.2002 nicht mehr reagiert habe.<br />

Sie sei sich durchaus bewusst, dass ihre Liste nicht in allen<br />

Punkten <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong> r FAO gerecht wer<strong>de</strong>. Sie meine<br />

jedoch, <strong>de</strong>r geschil<strong>de</strong>rte Nachteil bei <strong>de</strong>r Beschaffung <strong>de</strong>r notwendigen<br />

Informationen, <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n angestellten RA nach<br />

Ausschei<strong>de</strong>n aus seinem vorhergehen<strong>de</strong>n Arbeitsverhältnis<br />

typisch sei, dürfe nicht zu ihren Lasten gehen.<br />

Der Senat hat die Akten <strong>de</strong>r Agin. sowie die Personalakten beigezogen.<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

Der Antrag ist statthaft und nach fristgerechter Einlegung auch<br />

zulässig. Er ist jedoch nicht begrün<strong>de</strong>t.<br />

1. Die Astin. hat es unterlassen, innerhalb <strong>de</strong>r Monatsfrist <strong>de</strong>s<br />

§223 Abs. 1 Satz 2 BRAO klarzustellen, inwieweit <strong>de</strong>r von ihr<br />

angefochtene Bescheid aufgehoben und zu welcher Handlung<br />

die Agin. verpflichtet wer<strong>de</strong>n soll. Die Astin. lässt damit in formeller<br />

Hinsicht offen, ob sie ihr Begehren als Anfechtungsantrag<br />

o<strong>de</strong>r Verpflichtungsantrag verstan<strong>de</strong>n wissen will.<br />

Bestimmung <strong>de</strong>s<br />

Streitgegenstan<strong>de</strong>s<br />

notwendig<br />

Nach § 223 Abs. 4 BRAO i.V.m.<br />

§39Abs. 2 BRAO ist die Bestimmung<br />

<strong>de</strong>s Streitgegenstan<strong>de</strong>s<br />

neben <strong>de</strong>m bloßen Antrag auf<br />

gerichtliche Entscheidung zwingen<strong>de</strong><br />

Zulassungsvoraussetzung. Der vorliegen<strong>de</strong> Antrag erfüllt<br />

diese Voraussetzungen nicht. Nach Ablauf <strong>de</strong>r Antragsfrist<br />

gem. § 223 Abs. 1 Satz 2 BRAO war die Astin. auch gehin<strong>de</strong>rt,<br />

die fehlen<strong>de</strong> Klarstellung jetzt noch, etwa nach Hinweis durch<br />

<strong>de</strong>n Senat, nachzuholen. Der Hinweis <strong>de</strong>r Astin. im Verhandlungstermin<br />

v. 19.6.2004 kam daher zu spät.<br />

Die Unzulässigkeit <strong>de</strong>s Antrags wird jedoch vermie<strong>de</strong>n, wenn<br />

hinreichen<strong>de</strong> Anhaltspunkte vorhan<strong>de</strong>n sind, die das Ziel <strong>de</strong>r<br />

Astin. erkennen lassen und damit eine Auslegung <strong>de</strong>s Antrags<br />

ermöglichen ( Feuerich/Braun, Kommentar zur BRAO, 5.Aufl.<br />

2000, §223 Rdnr. 35mit Hinweis auf EGH Celle, EGE XIII,<br />

150, 151). Nach <strong>de</strong>m Inhalt <strong>de</strong>r sehr knappen Antragsbegründungsschrift<br />

v. 17.1.2003 wen<strong>de</strong>t sich die Astin. gegen <strong>de</strong>n<br />

Vorhalt, sie habe keine prüfungsfähige Fallliste vorgelegt. Sie<br />

formuliert wörtlich: „Eine Prüfung ist anhand <strong>de</strong>r gerichtlichen<br />

Aktenzeichen für <strong>de</strong>n Ausschuss möglich“. Antragsbegehren ist<br />

damit die Aufhebung <strong>de</strong>r angegriffenen Verfügung mit <strong>de</strong>m<br />

Ziel, die Agin. zu einer erneuten Prüfung auf Grundlage <strong>de</strong>s<br />

vorgelegten Fallmaterials zu bewegen.<br />

Der Antrag ist damit als Aufhebungsantrag zu qualifizieren.<br />

Als solcher ist <strong>de</strong>r Antrag nach § 223 Abs. 1 BRAO statthaft und<br />

nach fristgerechter Einlegung auch zulässig.<br />

2. Der Antrag ist jedoch nicht begrün<strong>de</strong>t.<br />

Die Astin. erfüllt zwar die zeitlichen Voraussetzungen einer<br />

dreijährigen Tätigkeit nach § 3 FAO. Auch stehen ihre beson<strong>de</strong>ren<br />

theoretischen Kenntnisse im Fachgebiet außer Streit. Sie hat<br />

jedoch nicht in ausreichen<strong>de</strong>m Umfang dargelegt, dass sie über<br />

die beson<strong>de</strong>ren praktischen Erfahrungen verfügt, die zur Verleihung<br />

<strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung notwendig sind.<br />

a. Maßgeblich zur Beurteilung <strong>de</strong>r Rechtslage ist die FAO in<br />

<strong>de</strong>r Fassung v. 22.3.1999, die bei Erlass <strong>de</strong>r angefochtenen Verfügung<br />

in Geltung war. Als die <strong>de</strong>r Astin. günstigere Norm geht<br />

sie <strong>de</strong>r im Zeitpunkt <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung gelten<strong>de</strong>n<br />

Fassung v. 1.7.2003 vor. Nach heutigem Recht hätte sich die<br />

Astin. zum Nachweis ihrer beson<strong>de</strong>ren theoretischen Kenntnisse<br />

im Regelfall einem Fachgespräch zu unterziehen (§7<br />

Abs. 1 FAO i.d.F. v. 1.7.2003).<br />

b. Der <strong>de</strong>m Bewerber abverlangte Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer<br />

Erfahrungen ist nach <strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>r FAO in<br />

hohem Maße formalisiert. Der Bewerber hat seine praktischen<br />

Fähigkeiten nicht in einer Prüfung, son<strong>de</strong>rn durch <strong>de</strong>n Nachweis<br />

zu führen, dass er eine bestimmte Anzahl von Fällen seines<br />

Fachgebiets selbständig bearbeitet hat. Wird dieser Nachweis<br />

erbracht, so ist die bege hrte Fachanwaltsbezeichnung<br />

ohne weiteres zu erteilen. Diesen Grundsatz hat <strong>de</strong>r Senat seiner<br />

Rspr. in vergleichbaren Fällen zugrun<strong>de</strong> gelegt (vgl. AGH<br />

Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Beschl. v. 24.2.2003 – AGH 33/2001 [I],<br />

BRAK-Mitt. 2003, 137 unter Verweis auf BGH, NJW 1997,<br />

1307; vgl. auch BGH, NJW-RR 1998, 635).<br />

Im Bereich <strong>de</strong>s Arbeitsrechts hat <strong>de</strong>r Bewerber für <strong>de</strong>n Zeitraum<br />

<strong>de</strong>r letzten drei Jahre vor Antragstellung einhun<strong>de</strong>rt Fälle<br />

aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>s individuellen und <strong>de</strong>s kollektiven Arbeitsrechts<br />

nachzuweisen, davon min<strong>de</strong>stens die Hälfte in gerichts -<br />

o<strong>de</strong>r rechtsförmlichen Verfahren (§ 5c i.V.m. §10 FAO). Zu<br />

diesem Zweck sieht § 6Abs. 3FAO die Anfertigung und Vorlage<br />

von Falllisten vor, die regelmäßig Angaben zuAktenzeichen,<br />

Gegenstand, Zeitraum, Art und Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit und<br />

zum Stand <strong>de</strong>s Verfahrens enthalten.<br />

Im vorliegen<strong>de</strong>n Fall hat die<br />

Astin. zwar Falllisten vorgelegt,<br />

konkrete Angaben zu Art und<br />

Umfang <strong>de</strong>r jeweils erbrachten<br />

Tätigkeit fehlen jedoch. In <strong>de</strong>n<br />

Rubriken „Sachverhalt“ <strong>de</strong>r ursprünglichen Fallliste und „Tätigkeit“<br />

in <strong>de</strong>r Ergänzung <strong>de</strong>r Fallliste beschränkt sich die Astin.<br />

durchweg auf Schlagworte und Stichpunkte, ohne einen<br />

Gesamtüberblick über ihre Funktion und Tätigkeit in <strong>de</strong>r Sache<br />

zu geben. So gibt sie beispielsweise im Fall Nr. ... aus 1996 <strong>de</strong>n<br />

Sachverhalt mit „Zeugnis“ und ihre Tätigkeit in <strong>de</strong>r Sache mit<br />

„Wahrnehmung Gütetermin“ an, im Fall Nr. ... aus 1996 <strong>de</strong>n<br />

Sachverhalt „Lohnfortzahlung“ und die Tätigkeit mit „Wahrnehmung<br />

Gütetermin und Kammertermin“. In dieser knappen<br />

Form sind auch die Beschreibungen aller an<strong>de</strong>ren, auch <strong>de</strong>r 40<br />

neu eingereichten Fälle, gehalten.<br />

Die Agin. war damit nicht in <strong>de</strong>r Lage, sich über Art und<br />

Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r Astin. im Fachgebiet einen ausreichen<strong>de</strong>n<br />

Überblick zu verschaffen.<br />

Vornahme einer<br />

Gewichtung unmöglich<br />

Angaben zu Art und<br />

Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

fehlen<br />

Ebenso wenig ist ein möglicher<br />

Zusammenhang von Fällen zur<br />

Vornahme einer Gewichtung<br />

überprüfbar, obwohl ein solcher<br />

Zusammenhang in einigen Fällen<br />

nahe liegt. So erscheint es beispielsweise nicht ausgeschlossen,<br />

dass es sich bei <strong>de</strong>n Verfahren Nr. ..., ..., ... und ...<br />

(alle aus <strong>de</strong>m Jahre 1997) um solche gleich gelagerten Verfahren<br />

han<strong>de</strong>lt, da es sich bei <strong>de</strong>r Bekl. jeweils um dieselbe Mandantin<br />

(„...“) han<strong>de</strong>lt und als Sachverhalt lediglich „Kündigungsschutzklage“<br />

angegeben wird. Die Agin. ist aufgrund <strong>de</strong>r<br />

mangelhaften Darlegung <strong>de</strong>r Astin. auch nicht in <strong>de</strong>r Lage,<br />

Feststellungen darüber zu treffen, obdie Astin. in ausreichen<strong>de</strong>m<br />

Umfang Fälle mit kollektivrechtlichem Bezug (§ 10 Ziff. 2<br />

FAO 99) bearbeitet o<strong>de</strong>r die vorgelegten Fälle je<strong>de</strong>nfalls in<br />

ihren maßgeblichen Teilen innerhalb <strong>de</strong>s Drei-Jahres-Zeitraums<br />

<strong>de</strong>s § 5 FAOerbracht hat.<br />

Im Ergebnis hat es die Astin. somit versäumt, mit Vorlage <strong>de</strong>r<br />

Falllisten die Anknüpfungstatsachen darzulegen, welche die<br />

Agin. zur Beurteilung <strong>de</strong>r Bewerbung benötigt.<br />

Die Verletzung einer solchen<br />

Darlegungsobliegenheit rechtfertigt<br />

im Regelfall die Ablehnung legungsobliegenheit<br />

Verletzung <strong>de</strong>r Dar-<br />

<strong>de</strong>s Antrags auf Gewährung <strong>de</strong>r<br />

Fachanwaltsbezeichnung (AGH Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Beschl. v.


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 277<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechu ng<br />

24.2.2003 – AGH 33/2001 [I], BRAK-Mitt. 2003, 137; AGH<br />

Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Beschl. v. 22.5.2003 – AGH 47/2002 [II],<br />

BRAK-Mitt. 2003, 179).<br />

c. Die Astin. kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie aufgrund<br />

beson<strong>de</strong>rer Umstän<strong>de</strong> gehin<strong>de</strong>rt sei, auf die erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Informationen zuzugreifen und die ihrem Antrag beigefügte<br />

Fallliste ordnungsgemäß aufzustellen.<br />

Dabei kann offen bleiben, ob überhaupt Fälle <strong>de</strong>nkbar sind,<br />

bei <strong>de</strong>nen ein Ast. <strong>de</strong>n Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen<br />

unter erleichterten Bedingungen führen kann, weil ihm<br />

<strong>de</strong>r Zugriff auf die notwendigen Informationen unmöglich ist.<br />

In <strong>de</strong>r Praxis wer<strong>de</strong>n sich diese Probleme schon dann n icht<br />

stellen, wenn <strong>de</strong>r Bewerber seine praktischen Arbeiten im Hinblick<br />

auf eine spätere Auflistung zeitnah selbst dokumentiert<br />

und sammelt.<br />

Die Astin. hat je<strong>de</strong>nfalls nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare<br />

unternommen, um <strong>de</strong>r ihr obliegen<strong>de</strong>n Informationspflicht<br />

nachzukommen. Nach Auffassung <strong>de</strong>s Senats wäre es<br />

<strong>de</strong>r Astin. durchaus zumutbar gewesen, sich ggf. über <strong>de</strong>n Weg<br />

einer Klage Einsicht indas von ihr früher bearbeitete Arbeitsmaterial<br />

zu verschaffen. Schwer nachvollziehbar ist für <strong>de</strong>n<br />

Senat die Entscheidung <strong>de</strong>r Astin., sogar auf das nahe liegen<strong>de</strong><br />

und mil<strong>de</strong>re Instrument einer Einschaltung <strong>de</strong>r RAK zu verzichten,<br />

zumal dann die Möglichkeit bestan<strong>de</strong>n hätte, die Agin.<br />

von Anfang an in die beson<strong>de</strong>ren Schwierigkeiten <strong>de</strong>r Informationsbeschaffung<br />

einzubin<strong>de</strong>n.<br />

Die Astin. hat damit im Ergebnis die ihr obliegen<strong>de</strong> Darlegungslast<br />

nicht erfüllt. Die <strong>de</strong>r Astin. mit Schreiben <strong>de</strong>r Agin. v.<br />

10.6.2002 erteilte Auflage war somit hinreichend veranlasst<br />

und ermessensfehlerfrei erteilt. Nach<strong>de</strong>m die Astin. die ihr zur<br />

Ergänzung ihrer Angaben gesetzte Ausschlussfrist hat verstreichen<br />

lassen, konnte die Agin. gem. §24 Abs. 4 Satz 2 FAO<br />

nach Aktenlage entschei<strong>de</strong>n. Die insoweit getroffene Entscheidung<br />

fin<strong>de</strong>t keine Beanstandung.<br />

Zulassung – Versagung wegen unwürdigen Verhaltens<br />

BRAO § 7Nr. 5<br />

*1. Tritt ein zur griechischen Anwaltschaft zugelassener RA über<br />

Jahre hinweg unter <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bezeichnung „RA, zugelassen<br />

bei <strong>de</strong>n LG ...“ unter Verwendung eines entsprechen<strong>de</strong>n Briefkopfes<br />

auf, obwohl eine Zulassung als <strong>de</strong>utscher RA nicht bestan<strong>de</strong>n<br />

hat und dieser Anwalt wissen musste, dass er eine solche benötigt,<br />

ist ihm die Zulassung zur <strong>de</strong>utschen Anwaltschaft wegen<br />

unwürdigen Verhaltens zu versagen.<br />

*2. Der griechische Anwalt kann sich auch nicht erfolgreich darauf<br />

berufen, dass er durch eine in <strong>de</strong>r Zwischenzeit erfolgreich<br />

abgelegte Eignungsprüfung nach § 16EuRAG Kenntnisse im <strong>de</strong>utschen<br />

Recht nachgewiesen hat und <strong>de</strong>shalb einem <strong>de</strong>utschen RA<br />

gleichsteht. In je<strong>de</strong>m Fall hätte es einer förmlichen Zulassung<br />

durch die RAK bedurft.<br />

AGH Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Beschl. v. 25.5.2004 – AGH37/2002 (I)<br />

(n.r.)<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Fachanwalt – zum Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen<br />

– Serienfälle<br />

FAO § 5,§6 a.F.<br />

*1. Da sich we<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r FAO noch aus <strong>de</strong>m Gesetz eine Definition<br />

<strong>de</strong>s Begriffs „Fall“ herleiten lässt, die vor <strong>de</strong>m Grundrecht<br />

<strong>de</strong>r Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG Bestand<br />

haben könnte, sind auch so genannte „Serienfälle“, die insbeson<strong>de</strong>re<br />

im Öffentlichen Dienstrecht, Erschließungsbeitragsrecht<br />

sowie im Abwassergebührenrecht anzutreffen sind, als selbständige<br />

Fälle zu werten.<br />

*2. Auch bei diesen „Serienfällen“ muss ein RA stets individ uell<br />

prüfen, wer inwieweit beschwert ist, was das Ziel eines Rechtsbehelfs-<br />

o<strong>de</strong>r Klageverfahrens sein kann o<strong>de</strong>r muss, welche Fristen<br />

zu beachten sind und welche Beson<strong>de</strong>rheiten bzw. Abweichungen<br />

vom Kernsachverhalt berücksichtigt wer<strong>de</strong>n müssen. Solange<br />

<strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s „Falles“ nicht durch eine ausreichen<strong>de</strong> gesetzliche<br />

Grundlage enger <strong>de</strong>finiert ist, erscheint es sachgerecht, je<strong>de</strong>n einzelnen<br />

Fall einer Serie auch einzeln zu werten.<br />

AGH Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23.1.2004 – 1 AGH 19/03<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Der Ast. ist seit <strong>de</strong>m 21.1.1999 zur Anwaltschaft zugelassen<br />

und seither ununterbrochen als RA in verschie<strong>de</strong>nen Kanzleien<br />

in M. tätig. Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Ast. – bestätigt durch Zertifikate v.<br />

13.2.2002 – an 18 Fortbildungstagen in insgesamt 120 Stun<strong>de</strong>n<br />

im Zeitraum von September bis Dezember 2001 einen Fachlehrgang<br />

„Verwaltungsrecht“ <strong>de</strong>r DAA besucht und im Rahmen<br />

dieses Fachlehrgangs drei Klausuren im Allgemeinen Verwaltungsrecht,<br />

Subventionsrecht sowie Umweltrecht mit 1 x „gut“<br />

und 2 x „bestan<strong>de</strong>n“ erfolgreich absolviert hatte, beantragte er<br />

unter <strong>de</strong>m 22.4.2002 gegenüber <strong>de</strong>r Agin., ihm zu gestatten,<br />

die Bezeichnung „Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ zu führen.<br />

Dem Antrag waren zugleich das Klausurenzertifikat <strong>de</strong>r DAA v.<br />

13.2.2002, das Zertifikat über die Teilnahme am Fachanwaltslehrgang,<br />

die drei unter Aufsicht gefertigten Klausuren sowie<br />

eine erste Fallliste (Fallliste I.: 1–80) zum Nachweis <strong>de</strong>r be son<strong>de</strong>ren<br />

theoretischen Kenntnisse und <strong>de</strong>r praktischen Erfahrungen<br />

beigefügt.<br />

Die bereits einen Tag später – am 23.4.2002 – seitens <strong>de</strong>r Agin.<br />

gem. §24 Abs. 9 FAO a.F. angefor<strong>de</strong>rte Verwaltungsgebühr<br />

i.H.v. 255,65 Euro beglich <strong>de</strong>r Ast. zum 8.5.2002.<br />

Drei Monate danach bat die Agin. <strong>de</strong>n Ast. mit Schreiben v.<br />

6.8.2002, anonymisierte Arbeitsproben zu <strong>de</strong>n lfd. Nummern<br />

<strong>de</strong>r Fallliste 6 bis 23 sowie 47, 51, 52, 55, 56, 63, 68 bis 80<br />

vorzulegen und nachzuweisen, dass die Voraussetzungen <strong>de</strong>s<br />

§3 FAO a.F. erfüllt seien, bevor <strong>de</strong>r Fachausschuss eine<br />

abschließen<strong>de</strong> Stellungnahme zu <strong>de</strong>m Antrag abgeben könne.<br />

Dieser Bitte kam <strong>de</strong>r Ast. mit Schreiben v. 3.9.2002 nach. Darüber<br />

hinaus machte <strong>de</strong>r Ast. die Agin. bei dieser Gelegenheit<br />

darauf aufmerksam, dass es sich bei <strong>de</strong>n lfd. Nummern 11 und<br />

13, 19 und 8 sowie 20 und 9 um jeweils i<strong>de</strong>ntische Angelegenheiten<br />

han<strong>de</strong>le und von daher die lfd. Nummern 11, 19 und 20<br />

versehentlich doppelt aufgelistet wor<strong>de</strong>n seien. Weiterhin<br />

merkte <strong>de</strong>r Ast. an, dass die Verfahren zu <strong>de</strong>n lfd. Nummern 55<br />

und 56 von Beginn an von ihm selbständig bearbeitet wor<strong>de</strong>n<br />

seien, selbst wenn ein an<strong>de</strong>rer RA aus <strong>de</strong>r Sozietät die betreffen<strong>de</strong>n<br />

Schriftsätze anfänglich unterzeichnet habe. Diese Tatsache<br />

ergebe sich schon aus <strong>de</strong>m verwandten Diktatkürzel „E“<br />

bei <strong>de</strong>m Kanzleiaktenzeichen, welches ihn – <strong>de</strong>n Ast. – als<br />

alleinigen Sachbearbeiter kennzeichne. Im Übrigen seien diejenigen<br />

Fälle, die sich auf Verfahren im Abwassergebührenrecht<br />

bezogen, keineswegs – wie auf <strong>de</strong>n ersten Blick vermutet<br />

wer<strong>de</strong>n könne – i<strong>de</strong>ntisch, da teilweise von <strong>de</strong>r Entsorgungssituation<br />

her (<strong>de</strong>zentral mit o<strong>de</strong>r ohne Vorklärung) völlig unterschiedliche<br />

Sachverhalte hätten beachtet wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

Letzten En<strong>de</strong>s fügte <strong>de</strong>r Ast. seinem Schreiben v. 3.9.2002 im<br />

Hinblick auf die eingeräumten drei Doppelnennungen eine<br />

zweite Fallliste (Fallliste II.: 81–111) bei.<br />

Unter <strong>de</strong>m 1.11.2002 erinnerte <strong>de</strong>r Ast. die Agin. an die Bearbeitung<br />

seines Antrags v. 22.4.2002 und merkte zusätzlich an:<br />

„Sollte <strong>de</strong>r Fachausschuss möglicherweise hinsichtlich <strong>de</strong>r von<br />

mir gesammelten praktischen Erfahrungen Be<strong>de</strong>nken hegen,<br />

bitte ich umeinen Hinweis. In diesem Fall wäre ich bereit und


278 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

in <strong>de</strong>r Lage, meine Fallliste weiter zu ergänzen. Bei Bedarf können<br />

auch weitere Arbeitsproben <strong>de</strong>m Fachausschuss zu r Verfügung<br />

gestellt wer<strong>de</strong>n. ...“<br />

Auf die Anfragen <strong>de</strong>s Ast. v. 27.11. und 30.12.2002 nach <strong>de</strong>m<br />

Verfahrensstand erhielt er zwischenzeitlich lediglich die Mitteilung<br />

<strong>de</strong>r Agin., dass sich sein Antrag <strong>de</strong>rzeit im Fachausschuss<br />

befin<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Ast. <strong>de</strong>shalb zu gegebener Zeit beschie<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>.<br />

Mit Schreiben v. 4.2.2003 teilte die Agin. sodann <strong>de</strong>m Ast. mit,<br />

dass von <strong>de</strong>r Fallliste I. nach erster summarischer Prüfung 10<br />

Fälle nicht berücksichtigt wer<strong>de</strong>n könnten und in <strong>de</strong>r im September<br />

2002 nachgereichten Fallliste 19 Fälle mit i<strong>de</strong>ntischem<br />

Gegenstand im engen zeitlichen Zusammenhang und gleichem<br />

Tätigkeitsumfang angeführt seien. Es sei mithin nochmals erfor<strong>de</strong>rlich,<br />

Arbeitsproben zu<strong>de</strong>n Fällen mit <strong>de</strong>r lf d. Nummer 81,<br />

82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97,<br />

98 und 99 zu übersen<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m sei zu <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Falllisten<br />

genannten außergerichtlichen Beratungsfällen mit <strong>de</strong>r lfd.<br />

Nummer 1, 2, 3, 4, 25, 26, 27, 28, 29, 33, 38, 39, 102, 106,<br />

107 und 108 <strong>de</strong>r Beratungsgegenstand, das Beratungsergebnis<br />

sowie <strong>de</strong>r tatsächliche zeitliche Umfang bekannt zu geben.<br />

Der Ast. erläuterte <strong>de</strong>r Agin. mit Schreiben v. 27.3.2003 die<br />

angeführten außergerichtlichen Beratungsfälle, bezog erneut<br />

Stellung zu einzelnen kritisierten Punkten, versicherte auf S. 5<br />

(unter Ziff. 9., 2. Abs.), dass er die aufgelisteten Fälle vollumfänglich<br />

selbständig bearbeitet habe, und übersandte anbei <strong>de</strong>s<br />

Weiteren die von <strong>de</strong>r Agin. angefor<strong>de</strong>rten anonymisierten<br />

Arbeitsproben sowie –rein vorsorglich und hilfsweise – eine<br />

dritte Fallliste (Fallliste III.: 112–143).<br />

Nach einer Zwischennachricht <strong>de</strong>r Agin. v. 3.4.2003, sich zu<br />

gedul<strong>de</strong>n, ging <strong>de</strong>m Ast. mit Schreiben <strong>de</strong>r Agin. v. 20.6.2003<br />

die Ladung zu einem Fachgespräch gem. §7 FAO zum<br />

4.7.2003 zu, ohne dass die Grün<strong>de</strong> dafür offenbart wur<strong>de</strong>n.<br />

Auf diese Ladung reagierte <strong>de</strong>r Ast. unter <strong>de</strong>m 24.6.2003 und<br />

erklärte insoweit <strong>de</strong>r Agin., dass er das Fachgespräch für rechtswidrig<br />

erachte.<br />

Einen Tag zuvor, am 23.6.2003, hatte jedoch die Agin. <strong>de</strong>n Termin<br />

zum Fachgespräch am 4.7.2003 schon aufgehoben und<br />

<strong>de</strong>m Ast. eine neue Ladung in Kürze in Aussicht g estellt. Diese<br />

neue Ladung zum 22.8.2003 fertigte die Agin. mit Schreiben v.<br />

24.6.2003, das allerdings wie<strong>de</strong>rum keine Grün<strong>de</strong> für das<br />

Fachgespräch angab, aus. Nunmehr lehnte <strong>de</strong>r Ast. mit Schreiben<br />

v. 10.7.2003 eine Teilnahme an<strong>de</strong>m auf <strong>de</strong>n 22.8.2003<br />

anberaumten Fachgespräch <strong>de</strong>finitiv ab. Zu<strong>de</strong>m stellte <strong>de</strong>r Ast.<br />

durch Schriftsatz v. 12.8.2003 bei <strong>de</strong>m AGH <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Sachsen-Anhalt<br />

(Az.: 1 AGH 15/03) <strong>de</strong>n Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

mit <strong>de</strong>m Antrag, die Agin. zu verpflichten, <strong>de</strong>n<br />

Antrag <strong>de</strong>s Ast. v. 22.4.2002 auf Gestattung, die Bezeichnung<br />

„Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ zu führen, in Gestalt <strong>de</strong>r<br />

Ergänzung mit Schriftsatz v. 3.9.2002 unter Beachtung <strong>de</strong>r<br />

Rechtsauffassung <strong>de</strong>s Gerichts zu beschei<strong>de</strong>n.<br />

Durch Bescheid v.8.10.2003 wies schließlich die Agin. <strong>de</strong>n<br />

Antrag <strong>de</strong>s Ast. auf Verleihung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung<br />

„Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ als gegenwärtig unbegrün<strong>de</strong>t<br />

zurück und führte dazu im Wesentlichen aus, dass die Einladung<br />

zu <strong>de</strong>m Fachgespräch notwendig gewesen sei, weil <strong>de</strong>r<br />

Fachausschuss eine Stellungnahme gegenüber <strong>de</strong>m Vorstand<br />

<strong>de</strong>r Agin. nach <strong>de</strong>m Gesamteindruck <strong>de</strong>r vorgelegten Zeugnisse<br />

und schriftlichen Unterlagen nicht habe abgeben können,<br />

insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>swegen nicht, da die eingereichten Falllisten<br />

teilweise Doppelbenennungen und i<strong>de</strong>ntische Fälle enthielten<br />

und die Sichtung <strong>de</strong>r im September 2002 präsentierten Arbeitsproben<br />

zeige, dass nicht sämtliche Fälle von <strong>de</strong>m Ast. allein<br />

und selbständig bearbeitet w or<strong>de</strong>n seien. Die <strong>de</strong>m Bescheid v.<br />

8.10.2003 darüber hinaus beigefügte Anlage wies für die erste<br />

Fallliste 49 und für die zweite Fallliste 23 zu berücksichtigen<strong>de</strong><br />

Fälle auf. Unter Einbeziehung <strong>de</strong>r dritten Fallliste ergab sich<br />

letztlich eine Anzahl von 88 zu berücksichtigen<strong>de</strong>n Fällen.<br />

Angesichts <strong>de</strong>s Bescheids <strong>de</strong>r Agin. v. 8.10.2003 erklären die<br />

Beteiligten das Verfahren vor <strong>de</strong>m AGH <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Sachsen-<br />

Anhalt (Az.: 1 AGH 15/03) übereinstimmend für erledigt.<br />

Gleichzeitig aber wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Ast. in <strong>de</strong>m jetzigen Verfahren<br />

gegen <strong>de</strong>n ihm am 9.10.2003 zugestellten Bescheid <strong>de</strong>r<br />

Agin. v. 8.10.2003 und beantragt die gerichtliche Entscheidung.<br />

Zur Begründung seines Antrags weist <strong>de</strong>r Ast. unter an<strong>de</strong>rem<br />

darauf hin, dass er sowohl in Theorie als auch Praxis <strong>de</strong>n Nachweis<br />

dafür erbracht habe, dass er über beson<strong>de</strong>re Kenntnisse,<br />

die über diejenigen eines Anwalts in einer Allgemeinpraxis<br />

weit hinausgehen, verfüge. In diesem Sinne habe die Agin.<br />

zahlreiche Fälle – was von <strong>de</strong>m Ast. im Einzelnen <strong>de</strong>tailliert<br />

und umfassend geschil<strong>de</strong>rt wird – zu Unrecht nicht anerkannt.<br />

Von daher sei die Ladung zu <strong>de</strong>m Fachgespräch, zumal sein<br />

Antrag auf Verleihung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung auf <strong>de</strong>n<br />

22.4.2002 datierte und mithin die seinerzeit gültige Fassung<br />

<strong>de</strong>r FAO gelte, rechtswidrig.<br />

Der Ast. beantragt, <strong>de</strong>n Bescheid <strong>de</strong>r Agin. v. 8.10.2003 aufzuheben<br />

und die Agin. zu verpflichten, <strong>de</strong>m Ast. die Führung <strong>de</strong>r<br />

Bezeichnung „Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ zu gestatten.<br />

Die Agin. beantragt, <strong>de</strong>n Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

zurückzuweisen.<br />

Zur Begründung führt die Agin. an, dass <strong>de</strong>r Fachausschuss<br />

„Verwaltungsrecht“ <strong>de</strong>r Agin. und die Abteilung Fachanwaltschaften<br />

<strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s einstimmig zu <strong>de</strong>m Ergebnis gelangt<br />

seien, die nach <strong>de</strong>n Maßgaben <strong>de</strong>r FAO erfor<strong>de</strong>rliche Anzahl<br />

von Fällen sei von <strong>de</strong>m Ast. bislang nicht dargelegt wor<strong>de</strong>n.<br />

Die seitens <strong>de</strong>r Agin. ausgesprochene Ladung zum Fachgespräch,<br />

welches <strong>de</strong>r Ast. strikt verweigert habe, könne <strong>de</strong>shalb<br />

gera<strong>de</strong>zu nur als „wohlwollend“ bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Bei <strong>de</strong>n<br />

Fällen selbst könnten die lfd. Nummern 55 und 56 keine<br />

Berücksichtigung fin<strong>de</strong>n, weil sie einen i<strong>de</strong>ntischen Sachverhalt<br />

beinhalteten und von <strong>de</strong>m Ast. nicht durchgängig persönlich<br />

und eigenverantwortlich bearbeitet wor<strong>de</strong>n seien. Die lfd.<br />

Nummern 11, 19 und 20 wür<strong>de</strong>n i<strong>de</strong>ntische Fallkonstellationen<br />

aufweisen bzw. seien Doppelnennungen. Angesic hts i<strong>de</strong>ntischer<br />

Fallgestaltungen o<strong>de</strong>r Schriftsätze müssten weiterhin die<br />

Fälle unter <strong>de</strong>n lfd. Nummern 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 51,<br />

52, 79, 80, 39, 54, 64, 66, 82, 84, 85, 86, 89, 95, 97, 114,<br />

122, 125, 128, 138, 139, 140 und 142 unberücksichtigt bleiben.<br />

Wegen <strong>de</strong>s weiteren Vorbringens <strong>de</strong>r Beteiligten wird auf die<br />

gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf <strong>de</strong>n Vortrag<br />

in <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung v. 24.11.2003 Bezug genommen.<br />

Auch lagen zwei Beiakten, welche u.a. die von <strong>de</strong>m Ast.<br />

eingereichten Arbeitsproben zum Inhalt haben, sowie die Personalakte<br />

<strong>de</strong>m Senat bei <strong>de</strong>r Entscheidung vor.<br />

II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbeson<strong>de</strong>re<br />

fristgerecht gestellt.<br />

Er ist in <strong>de</strong>r Sache auch begrün<strong>de</strong>t. Der Ast. erfüllt die Voraussetzungen<br />

für die Verleihung <strong>de</strong>r Bezeichnung „Fachanwalt für<br />

Verwaltungsrecht“ nach Maßgabe <strong>de</strong>r FAO.<br />

Insofern hat die Agin. <strong>de</strong>m Ast. die Befugnis, die Fachanwaltsbezeichnung<br />

für das Verwaltungsrecht zuführen, zu Unrecht<br />

versagt; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Ast. hat nachgewiesen, dass er über die in<br />

§43c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. §§ 1, 2 Abs. 1 FAO gefor<strong>de</strong>r-


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 279<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechu ng<br />

ten beson<strong>de</strong>ren theoretischen Kenntnisse und praktischen<br />

Erfahrungen im Verwaltungsrecht verfügt, ohne dass es hierfür<br />

eines Fachgesprächs nach § 7 Abs. 1 FAO bedurfte.<br />

1. Auf <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n F all fin<strong>de</strong>n die rechtlichen Vorschriften<br />

<strong>de</strong>r am11.3.1997 in Kraft getretenen Fassung <strong>de</strong>r FAO Anwendung<br />

und nicht die durch Beschlüsse <strong>de</strong>r 4. Sitzung <strong>de</strong>r 2. Satzungsversammlung<br />

bei <strong>de</strong>r BRAK am 25./26.4.2002 in Berlin<br />

neu geregelte und am 1.1.2003 in Kraft getretene FAO, da<br />

maßgeblicher Zeitpunkt für das anzuwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Recht die tatsächliche<br />

Antragstellung – hier: 22.4.2002 – ist (vgl. dazu<br />

BGH, Beschl. v. 23.9.2002, NJ W 2003, 741 unter Ziff. 1; Dr.<br />

Christian Kirchberg, NJW 2003, 1833 unter I., 2. Abs.).<br />

2. Die §§ 4 bis 6 FAO a.F. bestimmen im Einzelnen, auf welche<br />

Weise beson<strong>de</strong>re theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen<br />

ineinem Fachgebiet zu erwerben und nachzuweisen<br />

sind. Diese Voraussetzungen hat <strong>de</strong>r Ast. nicht nur zweifelsfrei<br />

bei <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren theoretischen Kenntnissen erfüllt. Vielmehr<br />

hat <strong>de</strong>r Ast. die zum Nachweis <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren praktischen<br />

Erfahrungen gefor<strong>de</strong>rten Falllisten mit <strong>de</strong>n nach §6Abs. 3FAO<br />

a.F. erfor<strong>de</strong>rlichen Angaben vorgelegt, aus <strong>de</strong>nen sich ergibt,<br />

dass <strong>de</strong>r Ast., wie es § 5 FAO a.F. verlangt, innerhalb <strong>de</strong>r letzten<br />

drei Jahre vor <strong>de</strong>r Antragstellung über 80Fälle im Verwaltungsrecht<br />

als RA selbständig bearbeitet hat. Immerhin beziffert<br />

selbst die Agin. in <strong>de</strong>r Anlage zu <strong>de</strong>m Bescheid v. 8.10.2003<br />

und in ihren Ausführungen in diesem Verfahren die zugunsten<br />

<strong>de</strong>s Ast. anzurechnen<strong>de</strong>n Fälle auf über 80.<br />

Gleichwohl macht die Agin. geltend, eine <strong>de</strong>m Fachausschuss<br />

obliegen<strong>de</strong> fachliche Beurteilung habe ergeben, dass von <strong>de</strong>m<br />

Ast. speziell für <strong>de</strong>n Nachweis <strong>de</strong>r praktischen Erfahrungen im<br />

Verwaltungsrecht nicht die notwendige Anzahl von Fällen beigefügt<br />

wor<strong>de</strong>n sei und <strong>de</strong>shalb die Ladung zu einem Fachgespräch<br />

gem. §7 Abs. 1 FAO a.F. als gerechtfertigt angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n müsse.<br />

Dieser Ansicht kann allerdings nicht gefolgt wer<strong>de</strong>n. De r Ast.<br />

hatte nämlich auch nach <strong>de</strong>n eigenen Angaben <strong>de</strong>r Agin., die<br />

sich im Übrigen dabei auf die Durchführung eines reinen Zählverfahrens<br />

beschränkte, spätestens mit <strong>de</strong>r Einreichung <strong>de</strong>r dritten<br />

Fallliste im März 2003 seine beson<strong>de</strong>ren praktischen Erfahrungen<br />

imVerwaltungsrecht belegt. Für die Anordnung eines<br />

Fachgesprächs bestand <strong>de</strong>shalb keine Veranlassung (vgl. dazu<br />

BGH, NJW 2000, 3648).<br />

Nach §§ 2 bis 6 FAO a.F. kann <strong>de</strong>r RA die gesetzlich gefor<strong>de</strong>rten<br />

Kenntnisse und Erfahrungen in einem Rechtsgebiet in <strong>de</strong>r<br />

Regel bereits durch Vorlage schriftlicher Unterlagen nachweisen,<br />

wie es § 43c Abs. 2 BRAO vorsieht.<br />

Die Voraussetzungen für <strong>de</strong>n Erwerb <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren theoretischen<br />

Kenntnisse und praktischen Erfahrungen sind in §§ 4 und<br />

5 FAO a.F. geregelt und insoweit formalisiert, als für <strong>de</strong>n<br />

Erwerb beson<strong>de</strong>rer theoretischer Kenntnisse eine erfolgreiche<br />

Lehrgangsteilnahme (§4 Abs. 1 FAO a.F.) und für <strong>de</strong>n Erwerb<br />

beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen eine quantitativ genau<br />

bestimmte Anzahl selbständiger Fallbearbeitungen (§5 FAO<br />

a.F.) in <strong>de</strong>r Regel erfor<strong>de</strong>rlich, aber auch ausreichend ist (BGH,<br />

NJW 2000, 1645). In dieser Formalisierung kommt zum Ausdruck,<br />

dass nicht eine individuell ausgerichtete, <strong>de</strong>m Ausschuss<br />

obliegen<strong>de</strong> Ermittlung <strong>de</strong>s Wissens und <strong>de</strong>r praktischen Fähigkeiten<br />

<strong>de</strong>s einzelnen Bewerbers im Vor<strong>de</strong>rgrund steht, son<strong>de</strong>rn<br />

dass ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf die Verleihung<br />

<strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung – ohne vorheriges Fachgespräch –<br />

besteht, wenn die in §§ 4 und 5 FAO a.F. genannten Voraussetzungen<br />

durch schriftliche Unterlagen in <strong>de</strong>r bewussten Anzahl<br />

nachgewiesen sind (BGH, NJW 2003, 741, 742).<br />

Ein zusätzliches Erfor<strong>de</strong>rnis für die Verleihung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung<br />

über die Voraussetzungen nach §§ 4 bis 6 FAO<br />

a.F. hinaus ergibt sich auch nicht aus § 7 Abs. 1 FAO a.F. Wenn<br />

dort davon die Re<strong>de</strong> ist, dass <strong>de</strong>r Ausschuss zum Fachgespräch<br />

lädt, wenn es seine „Stellungnahme gegenüber <strong>de</strong>m Vorstand<br />

nach <strong>de</strong>m Gesamteindruck <strong>de</strong>r vorgelegten Zeugnisse und<br />

schriftlichen Unterlagen nicht abgeben“ kann, so hat dies nur<br />

Be<strong>de</strong>utung für die Fälle, in <strong>de</strong>nen die Voraussetzungen nach<br />

§§ 4 bis 6 FAO a.F. nicht bereits durch die schriftlichen Unterlagen<br />

dokumentiert sind, <strong>de</strong>r Nachweis beson<strong>de</strong>rer theoretischer<br />

Kenntnisse und praktischer Erfahrungen im Rahmen eines Fachgespräches<br />

aber noch aussichtsreich erscheint (BGH, NJW<br />

1997, 1307).<br />

Sind die beson<strong>de</strong>ren theoretischen Kenntnisse und praktischen<br />

Erfahrungen im Fachgebiet nach Maßgabe <strong>de</strong>r §§ 4bis 6 FAO<br />

a.F. – wie hier – schon durch die schriftlichen Unterlagen nachgewiesen,<br />

dann kann (und mu ss) <strong>de</strong>r Ausschuss seine befürworten<strong>de</strong><br />

Stellungnahme zu <strong>de</strong>m Antrag gegenüber <strong>de</strong>m Vorstand<br />

<strong>de</strong>r RAK auch nach <strong>de</strong>r Regelung <strong>de</strong>s § 7 Abs. 1 FAO a.F.<br />

abgeben, ohne Veranlassung zu haben, ein Fachgespräch<br />

anzuordnen (BGH, NJW 2000, 3648).<br />

Da es somit an einem rechtfertigen<strong>de</strong>n Grund für die Ladung<br />

<strong>de</strong>s Ast. zum Fachgespräch fehlte, hätte die Agin. <strong>de</strong>m Ast. die<br />

Fachanwaltsbezeichnung für das Verwaltungsrecht bereits aufgrund<br />

<strong>de</strong>r von ihm vorgelegten, für <strong>de</strong>n Nachweis beson<strong>de</strong>rer<br />

Kenntnisse und Erfahrungen nach §§4 bis 6 FAO a.F. ausreichen<strong>de</strong>n<br />

schriftlichen Unterlagen verleihen müssen.<br />

Die Agin. hat weiterhin nichts vorgetragen, was aus einem<br />

an<strong>de</strong>ren Grund eine weitere Sachaufklärung erfor<strong>de</strong>rlich<br />

machen könnte. Solche Umstän<strong>de</strong> sind auch für <strong>de</strong>n Senat<br />

nicht erkennbar. Daher ist die Agin. zu verpflichten, <strong>de</strong>m<br />

Begehren <strong>de</strong>s Ast. zu entsprechen (BGH, NJW 1997, 1307,<br />

1309).<br />

3. Zu keinem an<strong>de</strong>ren Ergebnis wür<strong>de</strong> man gelangen, wenn<br />

man bei <strong>de</strong>m Nachschieben von Fällen die letzte Nachmeldung<br />

als weitere Antragstellung werten wür<strong>de</strong>. Unabhängig<br />

davon, dass bis zu <strong>de</strong>r abschließen<strong>de</strong>n Behandlung <strong>de</strong>s<br />

„ursprünglichen“ Antrags im Vorprüfungs- bzw. Fachausschuss<br />

ohnehin Fälle wegen <strong>de</strong>s durch § 5 FAO gewährten Spielraums<br />

(vgl. dazu AGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 16.6.2000, BRAK-<br />

Mitt. 2001, 46) nachgeschoben wer<strong>de</strong>n können, hieße das<br />

gemäß <strong>de</strong>m oben unter Ziff. 1. Gesagten hier, dass die Antragstellung<br />

erst mit Einreichung <strong>de</strong>r dritten Fallliste durch <strong>de</strong>n Ast.<br />

im März 2003, mit <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>nfalls nach Auffassung <strong>de</strong>r Agin.<br />

überhaupt erstmals die Regelzahl von 80 Fällen erzielt wur<strong>de</strong>,<br />

erfolgt wäre. Dennoch dürfte auch bei einer solchen Betrachtung<br />

nicht die FAO in <strong>de</strong>r ab <strong>de</strong>m 1.1.2003 in Kraft getretenen<br />

Fassung herangezogen wer<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn schon mit <strong>de</strong>r zweiten<br />

Fallliste v. September 2002 war die Voraussetzung <strong>de</strong>r vorgeschriebenen<br />

Anzahl von Fällen erfüllt, was wie<strong>de</strong>rum die rechtliche<br />

Anwendung <strong>de</strong>r alten Fassung <strong>de</strong>r FAO bedingt.<br />

Möglicherweise han<strong>de</strong>lt es sich bei <strong>de</strong>n Fällen unter <strong>de</strong>n lfd.<br />

Nummern 55 und 56 – was <strong>de</strong>r Ast. allerdings mit nachvollziehbaren<br />

Argumenten (unterschiedliche Beschei<strong>de</strong> zu unterschiedlichen<br />

Veranlagungsjahren; differenzieren<strong>de</strong> Einleitungsmengen<br />

sowie Schadstoffkonzentrationen; Separation von<br />

Fremdwasseranteilen) bestreitet –um i<strong>de</strong>ntische Sachverhalte.<br />

Zumin<strong>de</strong>st ein Fall hätte jedoch angerechnet wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

Dass aus kanzleiinternen Grün<strong>de</strong>n Schriftsätze von einem<br />

an<strong>de</strong>ren RA, z.B. <strong>de</strong>m Seniorsozius, unterschrieben wur<strong>de</strong>n,<br />

spricht nicht zwingend gegen die selbständige Bearbeitung<br />

durch einen Ast. Der Bewerber kann statt<strong>de</strong>ssen seine Selbständigkeit<br />

in <strong>de</strong>r Bearbeitung z.B. durch sein Diktatzeichen im


280 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprec hung<br />

Kopf <strong>de</strong>r Schriftsätze nachweisen (Feuerich/Weyland, BRAO,<br />

6. Aufl., § 5 FAORdnr. 4). Eben dies ist konkret gesc hehen.<br />

Den Einwand <strong>de</strong>r Doppelnennungen <strong>de</strong>r Fälle mit <strong>de</strong>n lfd.<br />

Nummern 11, 19 und 20 hat <strong>de</strong>r Ast. bereits mit Schreiben v.<br />

3.9.2002, ohne dass die Agin. diese bis dahin moniert hätte,<br />

von sich aus „bereinigt“.<br />

Die Fälle unter <strong>de</strong>n lfd. Nummern 12, 13, 14, 15, 16, 17 und<br />

18, die aus <strong>de</strong>m Öffentlichen Dienstrecht stammen, sind entgegen<br />

<strong>de</strong>r Ansicht <strong>de</strong>r Agin. anrechnungsfähig.<br />

Keine Definition<br />

eines „Falles“ in<br />

§5 FAO<br />

In <strong>de</strong>r FAO selbst, namentlich in<br />

§5, ist nicht <strong>de</strong>finiert, was unter<br />

einem „Fall“ zu verstehen ist.<br />

Auch eine Orientierung durch<br />

<strong>de</strong>n BGH ist bislang nur dahin<br />

gegeben, dass eine Sache nur einfach zählt, die <strong>de</strong>r RA sowohl<br />

gerichtlich als auch außergerichtlich bearbeitet hat, selbst bei<br />

mehreren Instanzen (BGH, Beschl. v. 21.6.1999, AnwBl. 1999,<br />

563, 564). Es mangelt somit an einer aus <strong>de</strong>m Gesetz bzw. <strong>de</strong>r<br />

FAO abzuleiten<strong>de</strong>n Definition eines Falles, die vor <strong>de</strong>m Grundrecht<br />

<strong>de</strong>r Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG Bestand haben<br />

könnte.<br />

Dementsprechend sind auch<br />

„Serienfälle“ – wie sie insbeson<strong>de</strong>re<br />

im Öffentlichen Dienst-<br />

grundsätzlich als<br />

Serienfälle sind<br />

recht, Erschließungsbeitragsrecht<br />

sowie im Abwassergebüh-<br />

anzusehen<br />

selbständige Fälle<br />

renrecht wegen <strong>de</strong>s gleichen<br />

Kernsachverhalts nicht selten sind – als selbständige Fälle<br />

anzusehen, zumal <strong>de</strong>r RA bei ihnen im Einzelnen auch stets<br />

individuell prüfen muss, wer inwieweit beschwert ist, was das<br />

Ziel eines Rechtsbehelfs- o<strong>de</strong>r Klageverfahrens sein kann o<strong>de</strong>r<br />

muss, welche Fristen zu beachten sind und welche Beson<strong>de</strong>rheiten<br />

bzw. Abweichungen vom Kernsachverhalt viellei cht im<br />

Detail berücksichtigt wer<strong>de</strong>n müssen. Insofern erscheint es<br />

sachgerecht, je<strong>de</strong>n einzelnen Fall einer Serie auch einzeln zu<br />

werten, solange nicht durch ausreichen<strong>de</strong> gesetzliche Grundlagen<br />

<strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s „Falles“ enger <strong>de</strong>finiert wird (vgl. dazu Nie<strong>de</strong>rsächsischer<br />

AGH, Beschl. v. 19.3.2002, BRAK-Mitt. 2002,<br />

142, 144).<br />

Die weitere Argumentation <strong>de</strong>r Agin. zu diesen Fällen, es<br />

bestehe die nicht auszuschließen<strong>de</strong> Möglichkeit, dass sogar<br />

dieselben vom Gericht aktenmäßig bezeichneten Verfahren<br />

mehrfach durch <strong>de</strong>n Ast. eingereicht wur<strong>de</strong>n, erscheint unverständlich,<br />

insbeson<strong>de</strong>re, da sich bei näherer Betrachtung <strong>de</strong>r<br />

geschwärzten bzw. anonymisierten Arbeitsproben <strong>de</strong>r Vortrag<br />

<strong>de</strong>s Ast. dazu im Ganzen bestätigt.<br />

Zu <strong>de</strong>n Fällen unter <strong>de</strong>n lfd. Nummern 51, 52, 79, 80, 82, 84,<br />

85, 86, 89, 95 und 97 g ilt wie<strong>de</strong>rum das oben zu <strong>de</strong>n so<br />

genannten Serienfällen Gesagte.<br />

Die Frage, warum <strong>de</strong>r Fall unter <strong>de</strong>r lfd. Nummer 33 mit <strong>de</strong>mjenigen<br />

unter <strong>de</strong>r lfd. Nummer 39i<strong>de</strong>ntisch sein soll, erschließ t<br />

sich <strong>de</strong>m Senat nicht. Bei <strong>de</strong>n mit Schreiben v. 27.3.2003 gegebenen<br />

Erläuterungen zu <strong>de</strong>n außergerichtlichen Beratungsfällen<br />

hat <strong>de</strong>r Ast. unter <strong>de</strong>r lfd. Nummer 33 bekun<strong>de</strong>t: „Gebietsän<strong>de</strong>rungsvertrag<br />

für Kommune geprüft; Än<strong>de</strong>rungen empfohlen;<br />

2 x 3 h“. Demgegenüber ist unter <strong>de</strong>r lfd. Nummer 39 vermerkt:<br />

„Kommune im Vorfeld einer beabsichtigten Eingemeindung<br />

in haushaltsrechtlicher Hinsicht beraten; Möglichkeiten<br />

zur Entschuldung erörtert; 3 x 2,5 h“.<br />

Aufgrund nicht abgefor<strong>de</strong>rter Arbeitproben bzw. Erläuterungen<br />

zu <strong>de</strong>n Fällen unter <strong>de</strong>n lfd. Nummern 53, 54, 64, 65 und 66<br />

kann nicht nachvollzogen wer<strong>de</strong>n, warum die Agin. diesbezüglich<br />

im Ergebnis meint, es han<strong>de</strong>le sich um gleichartige Vorgänge.<br />

Zu<strong>de</strong>m hat <strong>de</strong>r Ast. mit Schriftsatz v. 5.11.2003 die seitens<br />

<strong>de</strong>r Agin. – offenkundig ohne jegliche Prüfung – angenommene<br />

Falli<strong>de</strong>ntität mit verständlichen Begründungen entschie<strong>de</strong>n<br />

in Abre<strong>de</strong> gestellt.<br />

Als Fazit ist mithin zu konstatieren, dass <strong>de</strong>r Agin. schon im<br />

September 2002 weit über 80 zuberücksichtigen<strong>de</strong> Fälle präsent<br />

waren, so dass bei einer sorgfältigen und gewissenhaften<br />

Auszählung bereits zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen<br />

<strong>de</strong>s § 5 FAO a.F. erfüllt gewesen wären und <strong>de</strong>r Ast. in <strong>de</strong>m von<br />

ihm angestrebten Sinne hätte ordnungsgemäß beschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

können.<br />

4. Letzten En<strong>de</strong>s rechtfertigt es auch die überaus lange Verfahrensdauer<br />

zwischen Antragstellung (22.4.2002) und Erlass <strong>de</strong>s<br />

– ablehnen<strong>de</strong>n – Beschei<strong>de</strong>s (8.10.2003) nicht, hier die neuen<br />

Vorschriften <strong>de</strong>r FAO anzuwen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn bei zügiger und vor<br />

allem richtiger Abarbeitung <strong>de</strong>s Antrags v. 22.4.2002 hätte<br />

unter Zugrun<strong>de</strong>legung <strong>de</strong>r im September 2002 vorhan<strong>de</strong>nen<br />

Falllisten I und II (1–111) noch im Jahre 2002 eine Entscheidung<br />

durch die Agin. zugunsten <strong>de</strong>s Ast. gefällt wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

Dass sich statt<strong>de</strong>ssen das Verfahren über <strong>de</strong>n 1.1.2003<br />

hinaus verzögert hat, kann letztlich nicht zu Lasten <strong>de</strong>s Ast.<br />

gehen.<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

*Leitsatz <strong>de</strong>r Redaktion (Orientierungssatz)<br />

Unwirksame anwaltliche Honorarvereinbarung<br />

BRAGO § 3Abs. 1 Satz 1, 2; RVG §4 Abs. 1Satz 2<br />

*1. Enthält ein Schriftstück, das sich nach seiner äußeren Aufmachung<br />

als Formular darstellt, außer <strong>de</strong>r Vereinbarung einer höheren<br />

als <strong>de</strong>r gesetzlichen Vergütung eine Abre<strong>de</strong> über die vom RA<br />

zu erbringen<strong>de</strong> Leistung, ist die Gebührenvereinbarung nicht<br />

wirksam begrün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n.<br />

*2. Die Frage, ob <strong>de</strong>r RA aufgrund einer Honorarvereinbarung<br />

eine höhere als die gesetzliche Vergütung for<strong>de</strong>rt, ist anhand<br />

eines Vergleichs <strong>de</strong>r für die geleistete Tätigkeit insgesamt verdienten<br />

gesetzlichen Vergütung mit <strong>de</strong>m vereinbarten Honorar zu<br />

beantworten. Ein solcher Vergleich ist erst dann möglich, wenn<br />

sich die Höhe <strong>de</strong>r gesetzlichen Vergütung ermitteln lässt, in <strong>de</strong>r<br />

Regel also erst nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s RA.<br />

*3. Der RA trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass <strong>de</strong>r<br />

Mandant freiwillig und ohne Vorbehalt geleistet hat.<br />

BGH, Urt. v.8.6.2004 – IX ZR 119/03<br />

Aus <strong>de</strong>m Tatbestand:<br />

Der Kl. begehrt Herabsetzung, hilfsweise Rückzahlung <strong>de</strong>r von<br />

ihm an <strong>de</strong>n beklagten RA in <strong>de</strong>n Jahren 1993 bis 1997 auf-


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 281<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

grund eines „Beratervertrags“ gezahlten Anwaltshonorare<br />

abzüglich <strong>de</strong>r für die Beratung entstan<strong>de</strong>nen gesetzlichen<br />

Gebühren. In <strong>de</strong>m zwischen <strong>de</strong>n Parteien abgeschlossenen,<br />

undatierten „Beratervertrag“ heißt es u.a.:<br />

„Das Baugeschäft P. betreibt ein Baugeschäft überwiegend in<br />

<strong>de</strong>r Umgebung von C. In allen Rechtsfragen, die diesen Betrieb<br />

betreffen, erteilt <strong>de</strong>r RA L. Rechtsberatung.<br />

Die monatliche Vergütung beträgt pauschal 3.000, 00 (von<br />

Hand eingefügt) DM zuzüglich gesetzlicher MwSt.<br />

...<br />

Vertragsbeginn ist <strong>de</strong>r 1.2.1993 (von Hand geän<strong>de</strong>rt).<br />

Der Vertrag wird zunächst auf die Dauer von 10 Jahren<br />

geschlossen.<br />

Die Haftung <strong>de</strong>s beraten<strong>de</strong>n RA für normale Fahrlässigkeit wird<br />

auf einen Betrag von 400.000,00 DM pro Scha<strong>de</strong>nbetrag festgesetzt.<br />

...“<br />

Das Honorar ist später wie<strong>de</strong>rholt herabgesetzt wor<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r<br />

Zeit von Februar 1993 bis Dezember 1997 zahlte <strong>de</strong>r Kl. insgesamt<br />

79.350,00 DM.<br />

Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung <strong>de</strong>s Kl. hat<br />

das OLG <strong>de</strong>n Bekl. auf <strong>de</strong>n Hilfsantrag verurteilt, an <strong>de</strong>n Kl.<br />

39.921,95 Euro (= 78.080,54 DM) nebst Zinsen zu zahlen.<br />

Gegen seine Verurteilung wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Bekl. mit seiner<br />

zugelassenen Revision.<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

Die Revision hat keinen Erfolg.<br />

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Herabsetzung <strong>de</strong>r vereinbarten<br />

Vergütung könne <strong>de</strong>r Kl. nicht verlangen. Die in <strong>de</strong>m<br />

„Beratervertrag“ enthaltene Vereinbarung <strong>de</strong>r Vergütung entspreche<br />

nicht <strong>de</strong>r Formvorschrift <strong>de</strong>s § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO.<br />

Jedoch stehe ihm <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Hilfsantrag geltend gemachte<br />

Zahlungsanspruch zu, weil er das Anwaltshonorar ohne rechtlichen<br />

Grund geleistet habe (§812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1BGB).<br />

Der Kl. habe auch nicht i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 2 BRAGO freiwillig<br />

und ohne Vorbehalt geleistet. Er habe die Zahlungen<br />

nicht in <strong>de</strong>m Bewusstsein vorgenommen, dass er nicht so viel<br />

schul<strong>de</strong>.<br />

II. Die Ausführungen <strong>de</strong>s Berufungsgerichts halten im Ergebnis<br />

einer rechtlichen Überprüfung stand.<br />

1. Der Kl. kann das von ihm – abzüglich <strong>de</strong>r zwischen <strong>de</strong>n Parteien<br />

nicht in Streit befindlichen gesetzlichen Vergütung für die<br />

Beratungstätigkeit <strong>de</strong>s Bekl. – gezahlte Anwaltshonorar gem.<br />

§812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB zurückfor<strong>de</strong>rn, weil er in diesem<br />

Umfang (vgl. BGH, Urt. v. 23.10.2003 – IX ZR 270/02,<br />

NJW 2004, 1169, 1171) das Honorar ohne rechtlichen Grund<br />

geleistet hat. Ein Rechtsgrund ergibt sich nicht aus <strong>de</strong>m mit<br />

Wirkung vom 1.2.1993 abgeschlossenen „Beratervertrag“.<br />

Denn die darin enthaltene Honorarabre<strong>de</strong> ist gem. § 3Abs. 1<br />

Satz 1 BRAGO unwirksam (§ 125 Satz 1 BGB).<br />

Vordruck umfasst<br />

auch an<strong>de</strong>re<br />

Erklärungen<br />

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO<br />

kann <strong>de</strong>r RA aus einer Vereinbarung<br />

eine höhere als die gesetzliche<br />

Vergütung nur for<strong>de</strong>rn, wenn<br />

die Erklärung <strong>de</strong>s Auftraggebers<br />

schriftlich abgegeben und nicht in einem Vordruck, <strong>de</strong>r auch<br />

an<strong>de</strong>re Erklärungen umfasst, enthalten ist. Zwar ist die Erklärung,<br />

die monatliche Vergütung betrage (zunächst) pauschal<br />

3.000,00 DMzzgl. gesetzlicher MwSt., in <strong>de</strong>m auch vom Kl.<br />

unterschriebenen „Beratervertrag“ schriftlich abgegeben.<br />

Jedoch ist sie in einem Vordruck enthalten, <strong>de</strong>r auch an<strong>de</strong>re<br />

Erklärungen umfasst:<br />

a) Ein Schriftstück, das sich nach seiner äußeren Aufmachung<br />

als Formblatt (Formular) darstellt, von <strong>de</strong>m man annehmen<br />

kann, dass es in gleicher Weise häufiger verwen<strong>de</strong>t wird, ist als<br />

Vordruck anzusehen, auf die Art <strong>de</strong>r Herstellung kommt es<br />

nicht an (Fraunholz , in: Rie<strong>de</strong>l/Sußbauer, BRAGO, 8. Aufl., § 3<br />

Rdnr. 17; Ma<strong>de</strong>rt, in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Ma<strong>de</strong>rt,<br />

BRAGO, 15. Aufl., § 3 Rdnr. 5; Hartmann, Kostengesetze, 33.<br />

Aufl., § 3 BRAGO Rdnr. 18). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen<br />

hat das Berufungsgericht festgestellt, daran is t das Revisionsgericht<br />

gebun<strong>de</strong>n (§ 559 Abs. 2ZPO). Hiergegen wen<strong>de</strong>t<br />

die Revision auch nichts ein.<br />

b) Entgegen ihrer Auffassung umfasst <strong>de</strong>r Vordruck „auch<br />

an<strong>de</strong>re Erklärungen“ i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO. Danach<br />

ist lediglich die Aufnahme solcher Nebenabre<strong>de</strong>n unbe<strong>de</strong>nklich,<br />

die sich ausschließlich und unmittelbar auf die Honorarabre<strong>de</strong><br />

beziehen, wie dies etwa bei Bestimmungen über Stundung,<br />

Ratenzahlung, Erfüllungsort und außer<strong>de</strong>m zu vergüten<strong>de</strong><br />

Nebenleistungen <strong>de</strong>r Fall ist (BGH, Urt. v. 12.1.1978 – III<br />

ZR 53/76, AnwBl. 1978, 227; OLG München, NJW 1993,<br />

3336; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 855; OLG Hamm, AGS<br />

1998, 98, 99; LG Aachen, NJW 1970, 571; N. Schnei<strong>de</strong>r, in:<br />

Gebauer/Schnei<strong>de</strong>r, BRAGO, §3 Rdnr. 61, 66; Fraunholz ,<br />

Ma<strong>de</strong>rt und Hartmann, jeweils a.a.O.). In <strong>de</strong>r mit „Beratervertrag“<br />

überschriebenen Vereinbarung haben die Parteien jedoch<br />

auch vereinbart, dass <strong>de</strong>r Kl. in allen Rechtsfragen, die <strong>de</strong>n<br />

Betrieb <strong>de</strong>s Bekl. betreffen, Rechtsberatung erteilt. Nach <strong>de</strong>m<br />

Tatbestand <strong>de</strong>s angefochtenen Urteils ist zwischen <strong>de</strong>n Parteien<br />

unstreitig, dass „die Honorarvereinbarung mit <strong>de</strong> m Beratungsvertrag<br />

in einer Urkun<strong>de</strong> zusammengefasst ist“. Mit <strong>de</strong>m Berufungsgericht<br />

ist <strong>de</strong>r Senat <strong>de</strong>r Auffassung, dass diese Bestimmung<br />

nicht als Nebenabre<strong>de</strong> hinsichtlich <strong>de</strong>s vereinbarten<br />

Honorars angesehen wer<strong>de</strong>n kann. Denn es han<strong>de</strong>lt sich um<br />

die Vereinbarung <strong>de</strong>r vom Bekl. für das Honorar geschul<strong>de</strong>ten,<br />

im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen<strong>de</strong>n Hauptleistung. Dem<br />

Rechnung tragend sind die Parteien, wie die Einh altung <strong>de</strong>r für<br />

Verträge gelten<strong>de</strong>n Schriftform (§126 Abs. 2 Satz 1, § 127<br />

BGB) ergibt, nicht lediglich von <strong>de</strong>r Formbedürftigkeit <strong>de</strong>r<br />

Erklärung <strong>de</strong>s Kl. gem. § 3Abs. 1 Satz 1 BRAGO ausgegangen.<br />

Darüber hinaus begrün<strong>de</strong>t auch<br />

die vereinbarte Haftungsbegrenzung<br />

die Formwidrigkeit <strong>de</strong>r<br />

Honorarabre<strong>de</strong> (vgl. Ma<strong>de</strong>rt,<br />

a.a.O.; N. Schnei<strong>de</strong>r, a.a.O., § 3<br />

Beinhaltete Haftungsbegrenzung<br />

begrün<strong>de</strong>t<br />

Formwidrigkeit<br />

Rdnr. 63). Der von <strong>de</strong>r Revision hiergegen vorgebrachte Einwand,<br />

die Haftungsbegrenzung sei separat vereinbart und auch<br />

geson<strong>de</strong>rt unterschrieben wor<strong>de</strong>n, geht fehl. Das Berufungsgericht<br />

ist von einem einheitlichen Vertrag ausgegangen. Dies<br />

allein entspricht <strong>de</strong>r äußeren Gestaltung <strong>de</strong>s Formulars, das aus<br />

zwei Seiten besteht. Mit <strong>de</strong>m Umstand, dass die Parteien auf<br />

Seite 1 eine nachträgliche handschriftliche Än<strong>de</strong>rung geson<strong>de</strong>rt<br />

unterzeichnet haben, brauchte sich das Berufungsgericht nach<br />

§286 ZPO nicht näher auseinan<strong>de</strong>r zu setzen.<br />

Somit kann dahingestellt bleiben, ob <strong>de</strong>r Umstand, dass die<br />

Honorarabre<strong>de</strong> in einer mit „Beratervertrag“ überschriebenen<br />

Vereinbarung enthalten ist, für sich allein bereits die Formwidrigkeit<br />

nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO begrün<strong>de</strong>t (vgl. nunmehr<br />

§4 Abs. 1 Satz 2 RVG).<br />

c) Die Honorarfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Bekl. betrifft schließlich eine<br />

höhere als die gesetzliche Vergütung. Um dies festzustellen,<br />

kommt es entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s Berufungsgerichts nicht


282 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprec hung<br />

darauf an, welche Gebührentatbestän<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>r BRAGO aus<br />

<strong>de</strong>r Sicht bei Vertragsschluss voraussichtlich währ end <strong>de</strong>r Laufzeit<br />

<strong>de</strong>s Vertrages anfielen. Ob die vereinbarte Vergütung<br />

höher ist als die gesetzliche, ergibt sich aus einem Vergleich<br />

<strong>de</strong>r gesamten gesetzlichen Vergütung mit <strong>de</strong>m vereinbarten<br />

Betrag. Ein solcher Vergleich ist erst dann möglich, wenn sich<br />

die Höhe <strong>de</strong>r gesetzlichen Vergütung ermitteln lässt, in <strong>de</strong>r<br />

Regel also erst nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s RA(Ma<strong>de</strong>rt ,<br />

a.a.O., § 3Rdnr. 2; Fraunholz , a.a.O., § 3 Rdnr. 12). Dies entspricht<br />

Wortlaut und Sinn <strong>de</strong>s §3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO. Denn<br />

die Vorschrift zielt nicht auf die Nichtigkeit <strong>de</strong>s Anwaltsvertrags<br />

von Anfang an, sie führt zum Schutz <strong>de</strong>s Auftraggebers und im<br />

Interesse einer klaren Sach- und Beweislage lediglich zur<br />

Unwirksamkeit <strong>de</strong>r Honorarvereinbarung zugunsten <strong>de</strong>r<br />

gesetzlichen Vergütung (BGHZ 57, 53, 58, 60; BGH, Urt. v.<br />

31.1.1991 – III ZR 150/88, NJW 1991, 3095, 3098; v.<br />

23.10.2003, a.a.O.; OLG Frankfurt a.M., JurBüro 1983, 1032;<br />

Fraunholz , a.a.O., § 3 Rdnr. 19; Ma<strong>de</strong>rt, a.a.O., § 3 Rdnr. 6).<br />

Die Revision wen<strong>de</strong>t sich nicht gegen die <strong>de</strong>m Berufungsurteil<br />

ersichtlich zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Annahme, <strong>de</strong>r Bekl. habe während<br />

<strong>de</strong>r Laufzeit <strong>de</strong>s „Beratervertrags“ eine gesetzliche Vergütung<br />

i.H.v. (höchstens) 1.269,46 DM verdient. Das vom Kl.<br />

gezahlte Anwaltshonorar ist höher.<br />

d) Aus <strong>de</strong>n später vereinbarten Herabsetzungen <strong>de</strong>r Vergütung<br />

ergibt sich keine formgerechte Bestätigung <strong>de</strong>r Honorarvereinbarung<br />

(§ 141 BGB).<br />

Keine freiwillige<br />

Leistung gem. § 3 I 2<br />

BRAGO<br />

2. Dem Rückfor<strong>de</strong>rungsanspruch<br />

<strong>de</strong>s Kl. steht §3 Abs. 1<br />

Satz 2 BRAGO nicht entgegen.<br />

Denn er hat nicht freiwillig<br />

geleistet. Freiwilligkeit i.S.d. § 3<br />

Abs. 1 Satz 2 BRAGO liegt vor, wenn <strong>de</strong>r Auftraggeber mehr<br />

zahlen will, als ernach <strong>de</strong>m Gesetz ohne die Vereinbarung zu<br />

zahlen hätte. Er muss also wissen, dass seine Zahlungen die<br />

gesetzliche Vergütung übersteigen (BGHZ 152, 153, 161;<br />

BGH, Urt. v. 13.12.1990 – III ZR 268/89, BGHR BRAGO, §3<br />

Abs. 1 Satz 2 Leistung 1; OLG Frankfurt a.M., AnwBl. 1998,<br />

661), dagegen braucht ihm nicht bekannt zu sein, dass <strong>de</strong>r RA<br />

auf die höhere Vergütung keinen klagbaren Anspruch hat<br />

(BGHZ, a.a.O., 162; OLG Frankfurt a.M., a.a.O.). Für das Vorliegen<br />

<strong>de</strong>r Voraussetzungen <strong>de</strong>s § 3 Abs. 1 Satz 2 BRAGO trägt<br />

<strong>de</strong>r Anwalt die Darlegungs- und Beweislast. Denn insoweit<br />

han<strong>de</strong>lt es sich nicht um eine Voraussetzung <strong>de</strong>s Bereicherungsanspruchs<br />

(a.A. Fraunholz , a.a.O., §3 Rdnr. 23). Vielmehr<br />

sieht das Gesetz in § 3 Abs. 1 Satz 2 BRAGO eine Ausnahme<br />

für <strong>de</strong>n Fall freiwilliger und vorbehaltloser Leistung vor<br />

(so auch OLG Köln, VersR 1993, 886, 887; OLG Frankfurt<br />

a.M., AnwBl. 1988, 250), die nach allgemeinen Grundsätzen<br />

<strong>de</strong>r in Anspruch Genommene – hier <strong>de</strong>r auf Rückzahlung<br />

bereits gezahlten Anwaltshonorars verklagte Anwalt – darzulegen<br />

und zu beweisen hat (LG Freiburg, AnwBl. 1983, 514,<br />

515, Ma<strong>de</strong>rt, a.a.O., § 3 Rdnr. 7; Hartmann, a.a.O.). So liegt es<br />

auch in <strong>de</strong>m vergleichbaren Fall <strong>de</strong>s § 814 BGB. Eine solche<br />

Verteilung <strong>de</strong>r Darlegungs- und Beweislast entspricht <strong>de</strong>r Billigkeit;<br />

es ist Sache <strong>de</strong>s Anwalts, <strong>de</strong>r eine Honorarvereinbarung<br />

abschließt, durch die Einhaltung <strong>de</strong>r in §3 Abs. 1 Satz 1<br />

BRAGO vorgesehenen Form von vornherein für eine tatsächlich<br />

und rechtlich ein<strong>de</strong>utige Vertragsgrundlage zu sorgen<br />

(BGHZ 18, 340, 347; BGH, Urt. v. 25.2.1965 – VII ZR 112/63,<br />

NJW 1965, 1023).<br />

Danach ist hier nicht davon auszugehen, dass <strong>de</strong>r Kl. das<br />

Anwaltshonorar freiwillig geleistet hat. Der Bekl. hat nicht vorgetragen,<br />

<strong>de</strong>r Kl. habe gewusst, dass er aufgrund <strong>de</strong>s „Beratervertrages“<br />

Zahlungen, die die gesetzliche Vergütung übersteigen,<br />

nicht zu leisten brauchte. Daher ist nach <strong>de</strong>r dargelegten<br />

Verteilung <strong>de</strong>r Darlegungs- und Beweislast davon auszugehen,<br />

dass <strong>de</strong>r Bekl. seinen Man danten in <strong>de</strong>m Glauben gelassen hat,<br />

er habe das vereinbarte Honorar zu zahlen. Hierdurch wer<strong>de</strong>n<br />

an <strong>de</strong>n Vortrag <strong>de</strong>s Anwalts, <strong>de</strong>r die Voraussetzungen <strong>de</strong>s § 3<br />

Abs. 1 Satz 2 BRAGO darlegen will, keine unzumutbaren<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen gestellt. Denn erkann durch einen dokumentierten<br />

Hinweis darauf, dass die vereinbarte Vergütung die<br />

gesetzlichen Gebühren übersteigt (vgl. OLG Frankfurt a.M.,<br />

AnwBl. 1988, 250), für die erfor<strong>de</strong>rliche Information <strong>de</strong>s Mandanten<br />

und zugleich für eine beweiskräftige Grundlage sorgen.<br />

Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Revision folgt aus <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rholten<br />

Herabsetzung <strong>de</strong>s Honorars nicht, dass <strong>de</strong>r Kl. freiwillig<br />

geleistet hätte.<br />

3. Zu Unrecht folgert die Revision<br />

aus <strong>de</strong>m Umstand <strong>de</strong>r mehrfachen<br />

Herabsetzung <strong>de</strong>s Honorars,<br />

dass <strong>de</strong>r Kl. sich treuwidrig<br />

verhalte, wenn er nunmehr das<br />

gezahlte Honorar zurückverlange. Die Einhaltung <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Formvorschriften ist im Interesse <strong>de</strong>r Rechtssicherheit<br />

grundsätzlich unerlässlich. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn<br />

es nach <strong>de</strong>n Beziehungen <strong>de</strong>r Beteiligten und nach <strong>de</strong>n gesamten<br />

Umstän<strong>de</strong>n mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, die<br />

vertragliche Vereinbarung wegen Formmangels unausgeführt<br />

zu lassen, das Ergebnis muss für die betroffene Partei nicht nur<br />

hart, son<strong>de</strong>rn schlechthin untragbar sein (BGH, Urt. v.<br />

31.1.1991 – III ZR 150/88, NJW 1991, 3095, 3098).<br />

So liegt es hier nicht. Von einem RA ist zu erwarten, dass er die<br />

Formvorschrift <strong>de</strong>s §3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO kennt und gegebenenfalls<br />

auf ihrer Einhaltung besteht. Der Kl. hat <strong>de</strong>n Bekl.<br />

nach <strong>de</strong>n Feststellungen <strong>de</strong>s Berufungsgerichts nicht daran<br />

gehin<strong>de</strong>rt, von ihm eine formgerechte schriftliche Gebührenvereinbarung<br />

zu for<strong>de</strong>rn. Der Bekl. hat die gesetzliche Vergütung<br />

für seine Tätigkeit erhalten. Der Umstand, dass die Parteien<br />

die Honorarabre<strong>de</strong> längere Zeit als gültig erachtet und<br />

behan<strong>de</strong>lt haben, begrün<strong>de</strong>t nicht die Einre<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Treuwidrigkeit<br />

(vgl. BGH, a.a.O.; Urt. v. 25.2.1965, a.a.O.; OLG Hamm,<br />

NJW 1966, 561). Das gilt auch im Blick auf die Tatsache, dass<br />

<strong>de</strong>r Kl. wie<strong>de</strong>rholt auf eine Herabsetzung <strong>de</strong>s Hon orars<br />

gedrängt hat, die Rückfor<strong>de</strong>rung ist nicht <strong>de</strong>swegen treuwidrig,<br />

weil <strong>de</strong>r Kl. zunächst versucht hat, die Folgen <strong>de</strong>s Verstoßes<br />

gegen die ihn schützen<strong>de</strong> Formvorschrift <strong>de</strong>s § 3 Abs. 1 Satz 1<br />

BRAGO in Grenzen zu halten. Insgesamt kann von einem<br />

schlechthin untragbaren Ergebnis nicht gesprochen wer<strong>de</strong>n.<br />

Anwaltliche Werbung – zur Bezeichnung „Notare, Fachanwälte,<br />

Rechtsanwälte“<br />

UWG § 3, § 5 Abs. 2 Nr. 3; BGB §823 Abs. 1<br />

Mehrfache Herabsetzung<br />

<strong>de</strong>s Honorars<br />

unmaßgeblich<br />

*1. Aus <strong>de</strong>r Bezeichnung einer überörtlichen Sozietät als „RAe,<br />

Fachanwälte, Notare“ o<strong>de</strong>r bei Verwendung dieser Begriffe in<br />

an<strong>de</strong>rer Reihenfolge wird ein durchschnittlich informierter und<br />

verständiger Verbraucher nicht <strong>de</strong>n Schluss ziehen, dass ein Fachanwalt<br />

einen Zusatzberuf ausübt o<strong>de</strong>r einen zusätzlichen Tätigkeitsbereich<br />

hat. Vielmehr wird er davon ausgehen, dass einige<br />

<strong>de</strong>r RAe <strong>de</strong>r Sozietät eine fachliche Spezialisierung für die jeweils<br />

angegebene Fachmaterie aufweisen.<br />

*2. Unzulässig wird ein <strong>de</strong>rartiges Auftreten imRechtsverkehr<br />

erst dann, wenn Angaben dazu fehlen, wer im Einzelnen an welchem<br />

Standort Fachanwalt für welches Fachgebiet ist. Dann fehlt<br />

es an einer hinreichen<strong>de</strong>n, eine Irreführung ausschließen<strong>de</strong>n Charakterisierung<br />

<strong>de</strong>r Befähigung, wie sie nunmehr § 5 Abs. 2 Nr. 3<br />

UWG für maßgeblich erklärt.


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 283<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

*3. Stellt sich eine überörtliche Sozietät mit einer <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r<br />

„Fachanwälte“ umfassen<strong>de</strong>n Samm elbezeichnung im Rechtsverkehr<br />

dar, darf an einem Standort, an <strong>de</strong>m kein Fachanwalt tätig<br />

ist, dort <strong>de</strong>r Begriff „Fachanwälte“ auf <strong>de</strong>m Kanzleischild nicht<br />

verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

OLG Bremen, Urt. v. 2.9.2004 – 2 U 50/04<br />

Vorinstanz: LG Bremen, Urt. v. 15.4.2004 – 12- O- 527/03, BRAK-<br />

Mitt. 2004, 195 f.<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und<br />

begrün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch<br />

überwiegend begrün<strong>de</strong>t.<br />

Die Kl., die als RAK gem. §8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in <strong>de</strong>r seit<br />

4.7.2004 (BGBl. I, S. 1414) gelten<strong>de</strong>n Neufassung für wettbewerbsrechtliche<br />

Unterlassungsansprüche klagebefugt ist (vgl.<br />

BGH, GRUR 1998, 835, 836 zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F.),<br />

hat gem. §8Abs. 1 UWG einen – eingeschränkten – Unterlassungsanspruch<br />

gegen die Bekl. als überörtliche Sozietät von<br />

RAen, Fachanwälten und Notaren in Br., B. und Be. wegen irreführen<strong>de</strong>r<br />

Verwendung <strong>de</strong>s Begriffs „Fachanwälte“.<br />

Horizont eines durchschnittlich<br />

informierten<br />

und verständigen<br />

Verbrauchers<br />

Wie das LG im angefochtenen<br />

Urteil zutreffend ausgeführt hat<br />

(LG Bremen, NJW 2004, 2027),<br />

ist allerdings bei <strong>de</strong>r Beurteilung<br />

<strong>de</strong>r Irreführungsgefahr nach §3<br />

UWG a.F. (nunmehr nach §5<br />

Abs. 1 i.V.m. § 3 UWG) <strong>de</strong>r Verständnishorizont eines durchschnittlich<br />

informierten und verständigen Verbrauchers zugrun<strong>de</strong><br />

zu legen, soweit es um anwaltliche Dienstleistungen<br />

zur Besorgung von Rechtsangelegenheiten geht. Wer sich für<br />

eine anwaltliche Beratung interessiert, wird in aller Regel nicht<br />

nur die Kopf- o<strong>de</strong>r Fußzeile eines Briefbogens o<strong>de</strong>r einer Broschüre<br />

o<strong>de</strong>r bloß die Startseite eines Internetauftritts zur Kenntnis<br />

nehmen, um auf dieser Basis ein Mandat zu erteilen o<strong>de</strong>r<br />

eine Auskunft einzuholen. Er wird sich nicht auf die flüchtige<br />

Betrachtung beschränken, son<strong>de</strong>rn je<strong>de</strong>nfalls mit normaler Aufmerksamkeit<br />

die Informationen über eine Anwaltskanzlei sammeln<br />

(vgl. BGH, GRUR 2002, 81, 82). Aus <strong>de</strong>r Bezeichnung<br />

einer überörtlichen Sozietät als „Rechtsanwälte, Fachanwälte,<br />

Notare“ o<strong>de</strong>r bei Verwendung dieser Begriffe in an<strong>de</strong>rer Reihenfolge<br />

wird er nicht, wie die Kl. meint, <strong>de</strong>n Schluss ziehen,<br />

dass ein Fachanwalt einen Zusatzberuf ausübt o<strong>de</strong>r einen<br />

zusätzlichen Tätigkeitsbereich hat. Vielmehr wird er davon ausgehen,<br />

dass einige <strong>de</strong>r RAe <strong>de</strong>r Sozietät eine fachliche Spezialisierung<br />

für die jeweils angegebene Fachmaterie aufweisen. Es<br />

ist daher nicht irreführend und unzulässig, wenn überörtliche<br />

Sozietäten im Rechtsverkehr, insbeson<strong>de</strong>re auf Briefbögen und<br />

Broschüren sowie bei Internetauftritten mit <strong>de</strong>r Kopf- o<strong>de</strong>r Fußzeile<br />

zusätzlich zu <strong>de</strong>m Begriff „Rechtsanwälte“ auch <strong>de</strong>n<br />

Begriff „Fachanwälte“ verwen<strong>de</strong>n.<br />

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass für je<strong>de</strong>s einzelne Mitglied<br />

<strong>de</strong>r Sozietät jeweils ausgewiesen ist, ob es zusätzlich Fachanwalt<br />

für ein bestimmtes Gebiet an einem <strong>de</strong>r Sozietätsstandorte<br />

ist. Dabei ist es ohne Belang, ob an je<strong>de</strong>m Standort <strong>de</strong>r Sozietät<br />

ein Fachanwalt tätig ist. Eine Sammelbezeichnung, die auch<br />

<strong>de</strong>n Begriff „Fachanwälte“ umfasst, ist erkennbar auf <strong>de</strong>n sachlichen<br />

und räumlichen Synergieeffekt gerichtet, <strong>de</strong>n eine ständige<br />

arbeitsteilige Kooperation im Rahmen einer überörtlichen<br />

Sozietät ermöglicht, so dass es nicht zu beanstan<strong>de</strong>n ist, wenn<br />

an einzelnen Standorten kein Fachanwalt tätig ist.<br />

Unzulässig wird ein solches Auftreten im Rechtsverkehr erst,<br />

wenn Angaben dazu fehlen, wer im Einzelnen anwelchem<br />

Standort Fachanwalt für welches Fachgebiet ist.<br />

Dann fehlt es an einer hinreichen<strong>de</strong>n,<br />

eine Irreführung vermei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Charakterisierung<br />

<strong>de</strong>r Befähigung, wie sie nunmehr<br />

§5 Abs. 2 Nr. 3 UWG für maßgeblich<br />

erklärt. Sonst könnte<br />

auch <strong>de</strong>r aufmerksame Interessent sich keine präzise Vorstellung<br />

darüber machen, wann erauf einen für ihn geeigneten<br />

Fachanwalt stoßen wird. Vielmehr wür<strong>de</strong> dann <strong>de</strong>r Schluss<br />

nahe gelegt, dass alle wesentlichen Fachanwaltsmaterien an<br />

sämtlichen Standorten betreut wür<strong>de</strong>n. Die Anfor<strong>de</strong>rungen an<br />

Briefbögen, Broschüren und Internetauftritte wer<strong>de</strong>n dabei<br />

we<strong>de</strong>r inhaltlich noch drucktechnisch überspannt, wenn eine<br />

solche Spezialisierung für je<strong>de</strong>s Sozietätsmitglied verlangt<br />

wird, sofern sich die Sozietät mit einer <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „Fachanwälte“<br />

umfassen<strong>de</strong>n Sammelbezeichnung im Rechtsverkehr<br />

darstellt. Bei einem Internetauftritt, bei <strong>de</strong>m auf <strong>de</strong>r Startseite<br />

<strong>de</strong>r Begriff „Fachanwälte“ benutzt wird, muss sich <strong>de</strong>mentsprechend<br />

auf einer mittels Link zu wählen<strong>de</strong>n Unterseite die erfor<strong>de</strong>rliche<br />

Spezialisierung für die einzelnen Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sozietät<br />

ergeben.<br />

Dagegen kann bei einem Schild einer Anwaltskanzlei an einem<br />

<strong>de</strong>r Standorte einer überörtlichen Sozietät nicht erwartet wer<strong>de</strong>n,<br />

dass auf ihm Angaben auch zu <strong>de</strong>n Sozietätsmitglie<strong>de</strong>rn<br />

an <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Standorten enthalten sind. Wenn hier <strong>de</strong>nnoch<br />

unter Hinweis auf die Überörtlichkeit <strong>de</strong>r Sozietät <strong>de</strong>r Begriff<br />

„Fachanwälte“ verwen<strong>de</strong>t wird, dann muss für je<strong>de</strong>s Sozietätsmitglied<br />

an <strong>de</strong>m Standort <strong>de</strong>s Schil<strong>de</strong>s das Fachgebiet <strong>de</strong>r fachanwaltschaftlichen<br />

Tätigkeit ausgewiesen wer<strong>de</strong>n. Is t an diesem<br />

Standort kein Fachanwalt tätig, darf hier <strong>de</strong>r Begriff „Fachanwälte“<br />

auf <strong>de</strong>m Praxisschild nicht verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

„Fachanwälte“ für<br />

Standort ohne Fachanwalt<br />

irreführend<br />

Konkrete Charakterisierung<br />

<strong>de</strong>r<br />

Befähigung für je<strong>de</strong>s<br />

Mitglied notwendig<br />

Es ist auch für <strong>de</strong>n aufmerksamen<br />

Betrachter eines Schil<strong>de</strong>s<br />

irreführend, wenn er trotz einer<br />

<strong>de</strong>n Begriff „Fachanwälte“<br />

umfassen<strong>de</strong>n Sammelbezeichnung<br />

auf <strong>de</strong>m Kanzleischild an <strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Standort keinen<br />

Fachanwalt antreffen kann und womöglich erst aus <strong>de</strong>r<br />

jeweiligen Angabe „Rechtsanwalt“ für die dort tätigen Mitglie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Umkehrschluss ziehen müsste, dass nur an an<strong>de</strong>ren<br />

Standorten <strong>de</strong>r Sozietät Fachanwälte tätig sind. Dass er über ein<br />

Mitglied <strong>de</strong>r Sozietät am Standort <strong>de</strong>s Kanzleischil<strong>de</strong>s nur<br />

einen Fachanwalt an einem an<strong>de</strong>ren Standort vermittelt<br />

bekommen kann, bleibt <strong>de</strong>m Interessenten verborgen.<br />

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze erweist sich die von<br />

<strong>de</strong>r Bekl. verwen<strong>de</strong>te Broschüre als unzureichend, weil darin<br />

die spezifizierten Angaben dazu fehlen, anwelchem Standort<br />

welches <strong>de</strong>r Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r als Fachanwalt für welches<br />

Fachgebiet tätig ist. Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sozietät sind zwar mit<br />

einem ansehnlichen Gruppenfoto abgebil<strong>de</strong>t, ohne dass<br />

jedoch eine entsprechen<strong>de</strong> Zuordnung ermöglicht wür<strong>de</strong>. Auf<br />

<strong>de</strong>r Homepage <strong>de</strong>r Bekl. kann ein Interessent allerdings die<br />

Information über die einzelnen Anwälte per Mausklick auf die<br />

Fotos <strong>de</strong>r Startseite abrufen. Auch wenn die Anknüpfung an das<br />

Foto einen Sachbezug vermissen lässt, wird <strong>de</strong>r Interessent<br />

hierdurch nicht irregeführt, da er sich die mangeln<strong>de</strong> Aussagekraft<br />

<strong>de</strong>s Aussehens für die Fachkompetenz klar machen kann.<br />

Die Bekl. ist jedoch <strong>de</strong>m von <strong>de</strong>r Kl. im zweiten Rechtszug<br />

weiterverfolgten Klageantrag zu 2, es zu unterlassen, im<br />

Rechtsverkehr <strong>de</strong>n Begriff „Fachanwälte“ zu verwen<strong>de</strong>n (statt<br />

die Fachanwaltsbezeichnung mit <strong>de</strong>m konkreten Gebiet, auf<br />

das es sich bezieht, ausschließlich <strong>de</strong>m konkreten Sozietätsmitglied<br />

zuzuordnen), mit einem in zweiter Instanz weiterverfolgten<br />

uneingeschränkten Klageabweisungsantrag entgegengetreten,<br />

so dass für <strong>de</strong>n Rechtsverkehr <strong>de</strong>r Bekl., also insbeson<strong>de</strong>re


284 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprec hung<br />

auf Briefbögen, in Broschüren und mit Internetauftritten für alle<br />

Außenbeziehungen auszuspr echen ist, dass die Bekl . als überörtliche<br />

Sozietät die Verwendung <strong>de</strong>s Begriffs „Fachanwälte“<br />

zu unterlassen hat, sofern nicht neben <strong>de</strong>n Angaben zu <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Sozietät zugleich für je<strong>de</strong>n ihrer Fachanwälte<br />

das fachanwaltschaftliche Tätigkeitsgebiet und <strong>de</strong>r<br />

zugehörige Standort ausgewiesen sind. Insoweit war auf die<br />

Berufung <strong>de</strong>r Klage stattzugeben. Dagegen ist die Berufung<br />

gegen das klageabweisen<strong>de</strong> Urteil zurückzuweisen, soweit sich<br />

die Kl. allgemein gegen eine Verwendung <strong>de</strong>s Begriffs „Fachanwälte“<br />

in überörtlichen Sozietäten wen<strong>de</strong>t.<br />

Das Kanzleischild <strong>de</strong>r Bekl. am Standort Br. entspricht insofern<br />

nicht <strong>de</strong>n sich aus §5 Abs. 1 i.V.m. §3 UWG ergeben<strong>de</strong>n<br />

Rechtsgrundsätzen, als unter einem <strong>de</strong>n Begriff „Fachanwälte“<br />

umfassen<strong>de</strong>n Kopf RAe und an<strong>de</strong>re Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r aufgeführt<br />

wer<strong>de</strong>n, die sämtlich nicht Fachanwälte sind. Die Unterzeile<br />

wie<strong>de</strong>rum verweist auf die drei Standorte und gibt die<br />

Fachgebiete an, für die an <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Standorten Fachanwälte<br />

tätig sind. Der Betrachter kann einem solchen Schild<br />

zwar entnehmen, wer von <strong>de</strong>n Sozietätsmitglie<strong>de</strong>rn dieses<br />

Standorts RA ist, wird aber vor allem durch die Unterzeile<br />

darüber getäuscht, dass die Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r dieses Standorts<br />

Fachanwälte <strong>de</strong>r angegebenen Fachmaterien sind. Daher ist<br />

<strong>de</strong>m mit <strong>de</strong>r Berufung <strong>de</strong>r Kl. weiterverfolgten Klageantrag zu 1<br />

auf Unterlassung <strong>de</strong>r Verwendung <strong>de</strong>s Begriffs „Fachanwälte“<br />

auf <strong>de</strong>m Kanzleischild und damit <strong>de</strong>r Berufung auch i nsoweit<br />

stattzugeben.<br />

Rechtsnachfolger für Treuhandkonto<br />

BRAO §55; ZPO § 727, §748 Abs. 2<br />

*Ein Kanzleiabwickler ist hinsichtlich <strong>de</strong>s von ihm verwalteten<br />

RA-An<strong>de</strong>rkontos Rechtsnachfolger i.S.d. § 727 ZPO. Die Vollstreckungsklausel<br />

eines gegen <strong>de</strong>n früheren RAerwi rkten Titels ist<br />

analog § 748 Abs. 2 ZPO gegenüber <strong>de</strong>m Abwickler umzuschreiben.<br />

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.8.2004 – 19 W 41/04<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Die Gläubiger betreiben aus <strong>de</strong>m rechtskräftigen Urteil <strong>de</strong>s<br />

LG Freiburg v. 22.3.1996 die Zwangsvollstreckung gegen RA K.<br />

Kanzleiabwickler von RA K. ist RA M. Auf Antrag <strong>de</strong>r Gläubiger<br />

unter Vorlage entsprechen<strong>de</strong>r Bestätigung <strong>de</strong>r RAK Freiburg<br />

vom 27.1.2004 (AS. 217) über die Kanzleiabwicklung durch<br />

RA M. hat das LG Freiburg am19.2.2004 <strong>de</strong>n Titel „zum Zwecke<br />

<strong>de</strong>r Zwangsvollstreckung gegen <strong>de</strong>n Rechtsnachfolger <strong>de</strong>s<br />

Bekl., in Bezug auf die Treuhandkonten <strong>de</strong>s Bekl., Herrn RA<br />

M.“ gem. § 727 ZPO umgeschrieben. Auf die von RA M.vorgebrachten<br />

Einwendungen hat das LGmit <strong>de</strong>m angefochtenen<br />

Beschluss die Zwangsvollstreckung aus <strong>de</strong>r am 19.2.2004<br />

erteilten Vollstreckungsklausel für unzulässig erklärt.<br />

II. Die als sofortige Beschwer<strong>de</strong> zu werten<strong>de</strong> Erinnerung <strong>de</strong>r<br />

Gläubiger ( Stöber in: Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 732 Rdnr. 16) ist<br />

zulässig und begrün<strong>de</strong>t.<br />

Das LG hat zwar mit zutreffen<strong>de</strong>r Begründung das Vorliegen<br />

einer Rechtsnachfolge im eigentlichen Sinne durch <strong>de</strong>n Kanzleiabwickler<br />

RA M. für <strong>de</strong>n Schuldner RA K. verneint, zu<br />

Unrecht jedoch daraus <strong>de</strong>n Schluss gezogen, damit entfalle<br />

gleichzeitig eine Rechtsnachfolge i.S.d. §727 ZPO.<br />

Abwickler als Partei<br />

kraft Amtes Rechtsnachfolger<br />

Anerkannt ist nämlich, dass<br />

neben <strong>de</strong>m materiell-rechtlichen<br />

Rechtsnachfolger auch die<br />

Partei kraft Amtes Rechtsnachfolger<br />

i.S.d. § 727 ZPO ist, obwohl<br />

sie nur durch die auf sie vom Schuldner übergegangene Verfügungsbefugnis<br />

an <strong>de</strong>ssen Stelle tritt (z.B. Zöller, ZPO, 24. Aufl.,<br />

§727 Rdnr. 18, m.w.N.). Dem ist <strong>de</strong>r Kanzleiabwickler i.S.d.<br />

§55 BRAO gleichzustellen (Zöller, a.a.O.). Zwar han<strong>de</strong>lt es<br />

sich dabei nicht wie beim Insolvenzverwalter um Gesamtnachfolge<br />

in <strong>de</strong>r Verfügungsbefugnis, son<strong>de</strong>rn um Einzelnachfolge,<br />

insbeson<strong>de</strong>re hinsichtlich <strong>de</strong>r Verwaltung und Ve rfügung <strong>de</strong>s<br />

Treugutes (§§ 55 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 10, Satz 1BRAO). Insoweit<br />

geht sogar nicht nur die Verfügungsbefugnis, son<strong>de</strong>rn kraft<br />

<strong>de</strong>r maßgeblichen Geschäftsbedingungen <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverban<strong>de</strong>s<br />

Deutscher Banken die Inhaberschaft an <strong>de</strong>n Rechten aus<br />

<strong>de</strong>m An<strong>de</strong>rkonto auf <strong>de</strong>n Abwickler über (Ziff. 13 <strong>de</strong>r<br />

Geschäftsbedingungen; AnwBl. 1979, 141).<br />

Die vorliegen<strong>de</strong> Einzelnachfolge<br />

in die Rechte aus <strong>de</strong>m An<strong>de</strong>rkonto<br />

steht einer Titelumschreibung<br />

im weitesten Sinne analog<br />

§727 ZPO nicht entgegen. Insbeson<strong>de</strong>re kommt es entgegen<br />

<strong>de</strong>r Ansicht <strong>de</strong>s Kanzleiabwicklers nicht darauf an, ob die zu<br />

vollstrecken<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rung mit <strong>de</strong>m verwalteten Treugut in<br />

Zusammenhang steht o<strong>de</strong>r das verwaltete Vermögen betrifft (s.<br />

hierzu: Zöller, a.a.O.). Dies wäre auch nicht Voraussetzung<br />

gewesen, hätte noch gegen <strong>de</strong>n Schuldner vollstreckt wer<strong>de</strong>n<br />

können.<br />

Das An<strong>de</strong>rkonto und die Rechte hieraus sind nämlich aufgrund<br />

eines gegen <strong>de</strong>n Treuhän<strong>de</strong>r gerichteten Titels pfändbar, wobei<br />

<strong>de</strong>n berechtigten Treugebern hiergegen die Drittwi<strong>de</strong>rspruchsklage<br />

gem. §771 ZPO zusteht ( Stöber, For<strong>de</strong>rungspfändung,<br />

13. Aufl., Rdnr. 402, 404–406). Die Pfändbarkeit ist im Übrigen<br />

ausdrücklich in Ziff. 14 <strong>de</strong>r Geschäftsbedingungen für<br />

An<strong>de</strong>rkonten geregelt. Liegen die Voraussetzungen für eine<br />

Titelumschreibung im Übrigen vor, wi<strong>de</strong>rspräche es <strong>de</strong>r Prozessökonomie,<br />

die Gläubiger auf <strong>de</strong>n Klageweg zu verweisen.<br />

Vollstreckungsklausel<br />

ist entsprechend zu<br />

ergänzen<br />

Titelumschreibung<br />

analog § 727 ZPO<br />

Da die Verfügungsbefugnis <strong>de</strong>s<br />

Kanzleiabwicklers allerdings nur<br />

einzelne Gegenstän<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m<br />

Vermögen <strong>de</strong>s Schuldners betrifft,<br />

ist die Vollstreckungsklausel<br />

analog §748 Abs. 2 ZPO zur Ermöglichung <strong>de</strong>r Vollstreckung<br />

in durch <strong>de</strong>n Kanzleiabwickler verwaltetes Vermögen<br />

dahin gehend zu ergänzen, dass dieser die Vollstreckung in das<br />

An<strong>de</strong>rkonto, das wegen Ziff. 14 <strong>de</strong>r Geschäftsbedingungen für<br />

An<strong>de</strong>rkonten bestimmt zu bezeichnen ist, zu dul<strong>de</strong>n hat. Die<br />

Sachlage ist mit <strong>de</strong>rjenigen <strong>de</strong>s nur bestimmte Gegenstän<strong>de</strong><br />

verwalten<strong>de</strong>n Testamentsvollstreckers vergleichbar.<br />

Dass RA M. Kanzleiabwickler <strong>de</strong>s Schuldners ist und dass<br />

lediglich ein An<strong>de</strong>rkonto noch abzuwickeln ist, also <strong>de</strong>r Verwaltung<br />

<strong>de</strong>s Abwicklers unterfällt, ist sowohl vom Schuldner<br />

als auch vom Abwickler ausdrücklich eingestan<strong>de</strong>n. Für diesen<br />

Fall bedarf es <strong>de</strong>s Nachweises durch öffentliche o<strong>de</strong>r öffentlich<br />

beglaubigte Urkun<strong>de</strong>n i.S.d. §727 ZPO nicht ( Zöller, a.a.O.,<br />

Rdnr. 20, m.w.N.). Nach<strong>de</strong>m auch die Bezeichnung <strong>de</strong>s Kontos<br />

durch <strong>de</strong>n Schuldner unbestritten geblieben ist, war auch insoweit<br />

kein weiterer Nachweis zu verlangen, zumal dieser Zusatz<br />

nicht <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>s Nachweises <strong>de</strong>s § 727 ZPO unterliegt, da<br />

das Erfor<strong>de</strong>rnis sich allein aus Ziff. 14 <strong>de</strong>r Geschäftsbedingungen<br />

für An<strong>de</strong>rkonten ergibt, im Rahmen <strong>de</strong>s § 727 ZPO jedoch<br />

auch eine allgemein umschreiben<strong>de</strong> Formulierung für das<br />

An<strong>de</strong>rkonto ausgereicht hätte, nach <strong>de</strong>r es sich hätte individualisieren<br />

lassen (z.B. ... An<strong>de</strong>rkonto <strong>de</strong>s früheren RA K. ...).<br />

Damit ist die Nachfolge als offenkundig i.S.d. § 727 ZPO zu<br />

behan<strong>de</strong>ln (Zöller, a.a.O.).<br />

Gemäß § 572 Abs. 3 ZPO war <strong>de</strong>m LG die Klauselerteilung zu<br />

übertragen.


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 285<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Anwaltliche Werbung mit pauschalen Gebührenbeispielen<br />

für die Erstberatung<br />

§49b Abs. 1BRAO; BRAGO § 3, § 20; RVG § 4; UWG § 3, § 4<br />

Nr. 11<br />

*1. Einem RA ist es grundsätzlich erlaubt, in außergerichtlichen<br />

Angelegenheiten Pauschalgebühren zu vereinbaren, die niedriger<br />

als die gesetzlichen Gebühren si nd. Eine solche Pauschalvergütung<br />

muss jedoch in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung,<br />

Verantwortung und Haftungsrisi ko <strong>de</strong>s RA stehen. Bei einem<br />

Gebührenrahmen zwischen 10 und 50 Euro lässt sich ein solches<br />

angemessenes Verhältnis nicht mehr verwirklichen.<br />

*2. Die Rechtslage hat sich hinsichtlich <strong>de</strong>r Möglichkeit von Pauschalvereinbarungen<br />

auch nach In-Kraft-Treten <strong>de</strong>s RVG nicht<br />

geän<strong>de</strong>rt. Gem. § 4 Abs. 4 RVG muss bei herabgesetzten Gebühren<br />

weiterhin die Angemessenheit <strong>de</strong>r Herabsetzung berücksichtigt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

*3. Ein Arbeitnehmer ist nicht als Verbraucher i.S.d. Nr. 2102<br />

VV RVG anzusehen.<br />

OLG Hamm, Urt. v. 3.8.2004 – 4 U 94/04<br />

Aus <strong>de</strong>m Tatbestand:<br />

Der Ast. betreibt in ... eine RA-Kanzlei. Erist Fachanwalt für<br />

Arbeitsrecht.<br />

Die Agin. eröffnete En<strong>de</strong> April/Anfang Mai 2004 ebenfalls in ...<br />

eine Kanzlei. Am 1.5.2004 schaltete die Agin. in <strong>de</strong>r ... in ...<br />

nachfolgen<strong>de</strong> Werbeanzeige mit <strong>de</strong>m Inhalt:<br />

„Anwalt geht auch an<strong>de</strong>rs. (Gebührenbeispiele Erstberatung)<br />

z.B. Familienrecht: Scheidung, Unterhalt, Sorgerecht – Euro<br />

15,00 bis 55,00; z.B. Arbeitsrecht: Verträge, Abmahnung usw.,<br />

Kündigung – Euro 10,00 bis 50,00; z.B. Sozialrecht: Pflegeversicherung,<br />

Krankenkassen, Renten- und Sozialversicherun g –<br />

Euro 10,00 bis 55,00. Kommen Sie einfach zu uns – auch samstags.<br />

Jetzt auch in ... ! ...“<br />

Der Ast. ist <strong>de</strong>r Ansicht, dass <strong>de</strong>r für das Arbeitsrecht angegebene<br />

Preisrahmen gegen §§49b Abs. 1 BRAO, 3 Abs. 5, 20<br />

BRAGO verstoße. Es sei nicht gewährleistet, dass die Vergütung<br />

<strong>de</strong>s RA in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung, zu seiner<br />

Verantwortung und zum Haftungsrisiko stehe. Der Gebührenrahmen<br />

sei <strong>de</strong>rart niedrig, dass von einem Honorar-Dumping<br />

gesprochen wer<strong>de</strong>n müsse. Die Beibehaltung <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r<br />

Werbung angegebenen Gebührenrahmens führe zu einem ruinösen<br />

Wettbewerb unter <strong>de</strong>n RAen. Als Verstoß gegen bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Entgeltregelungen sei das beanstan<strong>de</strong>te Werbeverhalten<br />

zugleich auch wettbewerbswidrig.<br />

Darüber hinaus stelle <strong>de</strong>r Slogan „Kommen Sie einfach zu uns<br />

– auch samstags“ eine aggressive und unzulässige Werbung um<br />

die Erteilung eines einzelnen Mandats dar.<br />

Das LG hat durch Beschlussverfügung v. 10.5.2004 <strong>de</strong>r Agin.<br />

antragsgemäß unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten,<br />

im geschäftlichen Verkehr, in Zeitschriften, Tageszeitungen,<br />

Zeitungen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Printmedien sowie Schaufensterbeschil<strong>de</strong>rungen<br />

zu werben und/o<strong>de</strong>r werben zu lassen wie in<br />

<strong>de</strong>r Anzeige <strong>de</strong>r ... v. 1.5.2004 und wie nachstehend wie<strong>de</strong>rgegeben:<br />

Gebührenbeispiele Erstberatung<br />

z.B. Arbeitsrecht<br />

Verträge, Abmahnung usw., Kündigung<br />

Euro 10,00 bis 50,00<br />

Kommen Sie einfach zu uns – auch samstags<br />

(Es schließt sich sodann die im Tatbestand wie<strong>de</strong>rgegebene<br />

Anzeige an.)<br />

Auf <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch <strong>de</strong>r Agin. hat das LG durch Urt. v.<br />

8.6.2004 wie folgt für Recht erkannt:<br />

Der Verfügungsbekl. wird im Wege <strong>de</strong>r einstweiligen Verfügung<br />

bei Meidung eines für je<strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Zuwi<strong>de</strong>rhandlung<br />

fälligen Ordnungsgel<strong>de</strong>s bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise<br />

Ordnungshaft, o<strong>de</strong>r Ordnungshaft bis zu 6 Monaten untersagt,<br />

im geschäftlichen Verkehr, in Zeitschriften, in Tageszeitungen,<br />

Zeitungen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Printmedien sowie Schaufensterbeschil<strong>de</strong>rungen<br />

mit <strong>de</strong>n Worten:<br />

Beispiele Erstberatung<br />

z.B. Arbeitsrecht<br />

Verträge, Abmahnung usw., Kündigung<br />

Euro 10,00 bis 50,00<br />

zu werben und/o<strong>de</strong>r werben zu lassen.<br />

Der weitergehen<strong>de</strong> Beschluss <strong>de</strong>s LG Essen v. 10.5.2004 wird<br />

aufgehoben.<br />

Der weitergehen<strong>de</strong> Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />

v. 7.5.2004 wird zurückgewiesen.<br />

Die Kosten <strong>de</strong>s Rechtsstreits tragen die Verfügungsbekl. zu<br />

9/10, <strong>de</strong>r Verfügungskl. zu 1/10.<br />

Gegen dieses Urteil hat die Agin. form- und fristgerecht Berufung<br />

eingelegt.<br />

Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages<br />

ist die Agin. <strong>de</strong>r Ansicht, dass <strong>de</strong>r Tenor <strong>de</strong>r angegriffenen<br />

Entscheidung in mehrfacher Hinsicht unklar sei und hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Ordnungsmittelandrohung über das Begehren <strong>de</strong>s Ast.<br />

hinausgehe. Das LG sei zu<strong>de</strong>m über <strong>de</strong>n allein maßgeblichen<br />

Streitgegenstand hinausgegangen, in<strong>de</strong>m es auch auf <strong>de</strong>n<br />

Gesichtspunkt eines angeblich „ruinösen Wettbewerbs“ abgestellt<br />

habe. Nach <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>s Ast. im Kammertermin habe<br />

aber nur erörtert wer<strong>de</strong>n dürfen, ob eine gegen die Bestimmung<br />

<strong>de</strong>r BRAGO verstoßen<strong>de</strong> Gebührenvereinbarung vorliege,<br />

wenn für die Erstberatung im Arbeitsrecht 10,00 Euro bis<br />

50,00 Euro vereinbart wer<strong>de</strong>n.<br />

Auch in <strong>de</strong>r Sache sei das Verfügungsbegehren unbegrün<strong>de</strong>t.<br />

Unzutreffend habe das LG gemeint, dass eine Pauschalgebührenvereinbarung<br />

unter <strong>de</strong>m Vorbehalt stün<strong>de</strong>, dass die vereinbarte<br />

Gebühr <strong>de</strong>m Leistungsumfang, <strong>de</strong>m Haftungsrisiko und<br />

<strong>de</strong>r Verantwortung im Einzelfall Rechnung trage. Es habe dabei<br />

nicht berücksichtigt, dass Gebührenvereinbarungen im Vorhinein<br />

abgeschlossen wür<strong>de</strong>n und zu <strong>de</strong>m Zeitpunkt Aufwand<br />

und Haftungsrisiko nicht abschätzbar seien. Fehl gehe <strong>de</strong>r Vorwurf<br />

<strong>de</strong>s LG, die Agin. lege willkürlich einen Gebührenrahmen<br />

fest und habe keine Standardisierung vorgenommen. Selbstverständlich<br />

orientiere sich die Bemessung <strong>de</strong>r Pauschalgebühr<br />

innerhalb <strong>de</strong>s Rahmens von 10,00 Euro bis 50,00 Euro an <strong>de</strong>r<br />

Schwierigkeit <strong>de</strong>r Erstberatung, <strong>de</strong>m Haftungsrisiko und <strong>de</strong>r<br />

Verantwortung. Nicht aufgezeigt habe das LG, wie es zu seiner<br />

nicht zu teilen<strong>de</strong>n Auffassung gelangt sei, die Pauschalgebühren<br />

könnten die Erstberatung im Arbeitsrecht nicht angemessen<br />

abgelten und führten zu einem ruinösen Wettbewerb. Auch aus<br />

<strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s BGH „Anwalts-Hotline“ (BGH, NJW<br />

2003, 819) lasse sich gleichsam mit einem Erst-Recht-Schluss<br />

ableiten, dass <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Agin. vorgegebene Gebührenrahmen<br />

nicht zu beanstan<strong>de</strong>n sei.<br />

Die Agin. beantragt, unter Abän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s angefochtenen<br />

Urteils die einstweiligen Verfügungen <strong>de</strong>s LG Essen v.<br />

10.5.2004 und 8.6.2004 aufzuheben und <strong>de</strong>n auf ihren Erlass<br />

gerichteten Antrag abzuweisen.<br />

Der Ast. beantragt unter Ergänzung und Vertiefung seines<br />

erstinstanzlichen Vortrages, die gegnerische Berufung zurückzuweisen.


286 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprec hung<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

Die Berufung <strong>de</strong>r Agin. ist unbegrün<strong>de</strong>t.<br />

Zu Unrecht wen<strong>de</strong>t sich die Agin. gegen die Fassung <strong>de</strong>s Verbotstenors.<br />

Der bereits in <strong>de</strong>r Antragsschrift gestellte Antrag<br />

und die Antragsbegründung machen hinreichend <strong>de</strong>utlich, dass<br />

sich <strong>de</strong>r Ast. nur insoweit gegen die Werbeanzeige <strong>de</strong>r Agin.<br />

hat wen<strong>de</strong>n wollen, als es um <strong>de</strong>n Gebührenrahmen für das<br />

Arbeitsrecht geht. Nur damit setzt sich die Antragsschrift auseinan<strong>de</strong>r.<br />

Dass nur dies <strong>de</strong>n Ast. interessiert, wird auch durch<br />

die Ausrichtung <strong>de</strong>s Ast. auf das Arbeitsrecht hin verständlich.<br />

Wenn das LG gleichwohl in <strong>de</strong>r Klarstellung <strong>de</strong>s begehrten Verbotsumfangs,<br />

die <strong>de</strong>r Ast. im Kammertermin vor <strong>de</strong>m LG v.<br />

26.5.2004 (Bl. 173 <strong>de</strong>r Akten) vorgenommen hat, eine teilweise<br />

Antragsrücknahme gesehen hat, ist dies für das Berufungsverfahren<br />

nicht mehr von Be<strong>de</strong>utung. Denn insoweit ist<br />

das Urteil vom Ast. nicht angegriffen wor<strong>de</strong>n.<br />

Der Ast. hat es ebenfalls hingenommen, dass das LG sein Verbotsbegehren,<br />

soweit es sich auf die Samstagswerbung <strong>de</strong>r<br />

Agin. bezogen hat, zurückgewiesen hat.<br />

Auch mit <strong>de</strong>r Rüge <strong>de</strong>r Agin. hinsichtlich <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>s Ordnungsgel<strong>de</strong>s<br />

braucht sich <strong>de</strong>r Senat nicht zubefassen. Auch<br />

wenn <strong>de</strong>r Ast. in seiner Antragsschrift nur ein Ordnungsgeld<br />

i.H.v. 6.000,00 Euro angedroht wissen wollte, so ist dies nunmehr<br />

unerheblich, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Ast. durch sein Begehren, die<br />

Berufung <strong>de</strong>r Agin. zurückzuweisen, sich die vom LG ausgeurteilte<br />

erhöhte Ordnungsgeldandrohung zu Eigen gemacht hat.<br />

Mithin geht es im vorliegen<strong>de</strong>n Berufungsverfahren nur um das<br />

ausgeurteilte Verfügungsverbot, für eine Erstberatung im<br />

Arbeitsrecht mit einer Pauschalgebühr von 10,00 Euro bis<br />

50,00 Euro zu werben.<br />

Dieses Werbeverbot scheitert nicht aneiner unzureichen<strong>de</strong>n<br />

Vollziehung.<br />

Wie im Senatstermin nachgewiesen, hat <strong>de</strong>r Ast. die Beschlussverfügung<br />

v. 10.5.2004 ordnungsgemäß durch Zustellung im<br />

Parteibetrieb vollzogen.<br />

Demgegenüber brauchte das auf <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch <strong>de</strong>r Agin.<br />

ergangene Urteil <strong>de</strong>s LG v. 8.6.2004 nicht erneut vollzogen zu<br />

wer<strong>de</strong>n, weil es gegenüber <strong>de</strong>r Beschlussverfügung lediglich<br />

ein Minus darstelle (vgl. Pastor/Ahrens, Der Wettbewerbsprozess,<br />

4. Aufl., Kapitel 61 Rdnr. 10, m.w.N.).<br />

Auch <strong>de</strong>r Umstand, dass das LG durch Beschl. v. 13.5. 2004 die<br />

Vollziehung <strong>de</strong>r Beschlussverfügung ausgesetzt hat, erfor<strong>de</strong>rte<br />

keine erneute Vollziehung, we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Beschlussverfügung<br />

noch <strong>de</strong>s Urteils. Mit <strong>de</strong>r Verkündung <strong>de</strong>s Urteils verlor <strong>de</strong>r<br />

Aussetzungsbeschluss seine Wirkung. Nach Erlass <strong>de</strong>s Urteils<br />

kam eine erneute Vollziehung <strong>de</strong>r Beschlussverfügung von<br />

vornherein nicht in Betracht. Denn diese Beschlussverfügung<br />

war nunmehr im Urteil aufgegangen. Die Frage <strong>de</strong>r Urteilsvollziehung<br />

beurteilt sich aber allein danach, ob im Hinblick auf<br />

die Verän<strong>de</strong>rungen gegenüber <strong>de</strong>r Beschlussverfügung eine<br />

erneute Vollziehung geboten ist. Wie dargelegt, war das hier<br />

aber gera<strong>de</strong> nicht <strong>de</strong>r Fall, weil sich das Urteil lediglich als bloßes<br />

Minus gegenüber <strong>de</strong>r Beschlussverfügung darstellt.<br />

Das LG hat zu Recht auch einen Verfügungsanspruch bejaht.<br />

Dieser Anspruch folgt vorliegend aus §4 Ziff. 11 UWG.<br />

Danach han<strong>de</strong>lt unlauter i.S.d. §3 UWG, wer einer gesetzlichen<br />

Vorschrift zuwi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lt, die auch dazu bestimmt ist, im<br />

Interesse <strong>de</strong>r Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Zu<br />

solchen marktbezogenen Regeln gehören auch die Normen,<br />

die das Honorar <strong>de</strong>r RAe festlegen. Denn sie regeln das Entgelt,<br />

zu <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r RA seine Tätigkeit auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Rechtsberatung<br />

und <strong>de</strong>r Rechtsbesorgung anbieten darf.<br />

Gegen diese Normen verstößt die beanstan<strong>de</strong>te Werbung, und<br />

zwar sowohl unter Zugrun<strong>de</strong>legung <strong>de</strong>s alten Gebührenrechts<br />

<strong>de</strong>r BRAGO wie auch <strong>de</strong>s neuen Gebührenrechts nach <strong>de</strong>m<br />

RVG.<br />

Nach § 49b Abs. 1BRAO ist es für das alte wie für das neue<br />

Gebührenrecht untersagt, geringere Gebühren zuvereinbaren<br />

o<strong>de</strong>r zu for<strong>de</strong>rn als nach <strong>de</strong>r Gebührenordnung vorgesehen.<br />

Eine solche unzulässige Gebührenunterschreitung wird hier<br />

von <strong>de</strong>r Agin. beworben, so dass die beanstan<strong>de</strong>te Werbung<br />

auch wettbewerbswidrig ist. Denn die Gebühren <strong>de</strong>s RArichten<br />

sich in erster Linie nach <strong>de</strong>m Gegenstandsw ert <strong>de</strong>r Rechtsangelegenheit<br />

(§ 7 BRAGO; § 2 RVG).<br />

Gebührensätze bis<br />

50 Euro wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m<br />

Gegenstandswert nur<br />

selten gerecht<br />

Es liegt auf <strong>de</strong>r Hand, dass angesichts<br />

<strong>de</strong>r beworbenen geringen<br />

Gebührensätze von 10,00 Euro<br />

bis 50,00 Euro diesem Gegenstandswert<br />

nur in wenigen Fällen<br />

Genüge getan wird. Die beanstan<strong>de</strong>te<br />

Werbung verheißt <strong>de</strong>m Rechtsuchen<strong>de</strong>n aber, dass er<br />

für eine arbeitsrechtliche Erstberatung auf keinen Fall mehr als<br />

50,00 Euro entrichten braucht.<br />

Die Agin. kann sich auch nicht darauf berufen, dass für die<br />

arbeitsrechtliche Erstberatung, um die es in <strong>de</strong>r beanstan<strong>de</strong>ten<br />

Werbung allein geht, es Ausnahmeregelungen gibt, die die<br />

beworbenen niedrigen Pauschalgebühren rechtfertigen könnten.<br />

Nach §3 Abs. 5 BRAGO a.F. konnte <strong>de</strong>r RA in außergerichtlichen<br />

Angelegenheiten Pauschalgebühren vereinbaren, die<br />

niedriger sein durften als die gesetzlichen Gebühren. Diese<br />

Möglichkeit war aber nicht schrankenlos ausgestaltet und<br />

gewährt wor<strong>de</strong>n. Nach § 3 Abs. 5 Satz 3 2. Alternative BRAGO<br />

a.F. musste eine solche Pauschalvergütung in einem angemessenen<br />

Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko<br />

<strong>de</strong>s RA stehen.<br />

Dieses angemessene Verhältnis<br />

lässt sich bei einem Gebührenrahmen<br />

zwischen nur 10,00 Euro<br />

bis 50,00 Euro nicht mehr verwirklichen.<br />

Denn nach § 20<br />

BRAGO a.F. stan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m RA bei<br />

Kein angemessenes<br />

Verhältnis zu Leistung,<br />

Verantwortung und<br />

Haftungsrisiko<br />

<strong>de</strong>r Erstberatung 1/10 bis 10/10 <strong>de</strong>r vollen Gebühr, höchstens<br />

aber 180,00 Euro zu. Nach §20 BRAGO a.F. i.V.m. §12<br />

BRAGO a.F. musste <strong>de</strong>r RA zunächst einmal <strong>de</strong>n Gebührenwert<br />

ermitteln und sodann die Gebührenhöhe im Rahmen von<br />

1/10 bis 10/10 <strong>de</strong>s Gebührenwertes festlegen. Nach § 12<br />

BRAGO a.F. spielte bei dieser Festlegung vor allem auch <strong>de</strong>r<br />

Schwierigkeitsgrad <strong>de</strong>r Sache eine Rolle. Lag <strong>de</strong>r so errechnete<br />

Betrag unter <strong>de</strong>r Kappungsgrenze von 180,00 Euro, war dieser<br />

Betrag zu erheben. An<strong>de</strong>rnfalls stand <strong>de</strong>m RA nur <strong>de</strong>r Höchstbetrag<br />

von 180,00 Euro zu.<br />

§3 Abs. 5 BRAGO a.F. eröffnete nun zusätzlich die Möglichkeit,<br />

im Wege <strong>de</strong>r Vereinbarung diese Höchstgrenze von<br />

180,00 Euro noch einmal zu unterschreiten. Dies war aber<br />

nicht beliebig möglich. Nach §3 Abs. 5 Satz 3 BRAGO a.F.<br />

musste die vereinbarte Vergütung vielmehr in einem angemessenen<br />

Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko<br />

<strong>de</strong>s Anwalts stehen. Eine solche noch angemessene Unterschreitung<br />

hat sich die Agin. durch <strong>de</strong>n extrem niedrigen Preisrahmen<br />

von vornherein abgeschnitten. Die höchste Gebühr<br />

nach <strong>de</strong>m beworbenen Preisrahmen beträgt lediglich 50,00<br />

Euro. Damit wird die Kappungsgrenze von 180,00 Euro so<br />

extrem herabgesetzt, dass nicht mehr angemessen auf <strong>de</strong>n<br />

Schwierigkeitsgrad <strong>de</strong>r Sache abgestellt wer<strong>de</strong>n kann. Denn für<br />

<strong>de</strong>n potentiellen Mandanten <strong>de</strong>r Agin. be<strong>de</strong>utet die beanstan-


BRAK-Mitt. 6/2004 Berufsrechtliche Rechtsprechung 287<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

<strong>de</strong>te Werbung, dass er inkeinem Fall mehr als 50,00 Euro entrichten<br />

muss, so schwierig sein Fall auch sein mag. Damit wird<br />

aber die Wertung <strong>de</strong>s Gesetzgebers in §20 Abs. 1 Satz 2<br />

BRAGO a.F. unterlaufen. Die Kappungsgrenze von 180,00<br />

Euro sollte nur unter <strong>de</strong>n Voraussetzungen <strong>de</strong>s §3 Abs. 5<br />

Satz 3 BRAGO ihrerseits noch einmal unterschritten wer<strong>de</strong>n<br />

können, also gera<strong>de</strong> nicht pauschal, son<strong>de</strong>rn nur unter Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>r Leistung, <strong>de</strong>r Verantwortung und <strong>de</strong>s Haftungsrisikos<br />

<strong>de</strong>s RA. Diese Angemessenheitsprüfung hat sich die Agin.<br />

aber von vornherein abgeschnitten, in<strong>de</strong>m sie, ohne etwa typisieren<strong>de</strong><br />

Fallgruppen zu bil<strong>de</strong>n, die Kappungsgrenze pauschal<br />

auf 50,00 Euro herabgesetzt hat. Auch wenn es durchaus Fälle<br />

geben mag, in <strong>de</strong>nen eine solche Gebühr von 50,00 Euro auch<br />

unter <strong>de</strong>n Kriterien <strong>de</strong>s § 3 Abs. 5 Satz 3BRAGO a.F. angemessen<br />

sein mag, so lässt sich dies eben nicht generell sagen.<br />

Damit wi<strong>de</strong>rspricht die Agin. aber <strong>de</strong>r gesetzlichen Wertung in<br />

§20 BRAGO a.F., wonach die dort festgelegte Kappungsgrenze<br />

eben nicht ihrerseits vom RA pauschal für je<strong>de</strong>n Fall herabgesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n kann, ohne die Bemessungskriterien <strong>de</strong>s §3<br />

Abs. 5 Satz 3 BRAGO a.F. noch angemessen berücksichtigen<br />

zu können.<br />

Die Entscheidung <strong>de</strong>s BGH „Anwalts-Hotline“ (NJW 2003, 81)<br />

ist nicht einschlägig, weil es dort nicht um ein Werbeverbot für<br />

die Preisgestaltung ging, son<strong>de</strong>rn um ein Tätigkeitsverbot, nämlich<br />

die telefonische Rechtsberatung.<br />

Keine Än<strong>de</strong>rung<br />

durch neues<br />

Gebührenrecht<br />

Auch mit <strong>de</strong>m neuen Gebührenrecht<br />

<strong>de</strong>s RVG ist die beanstan<strong>de</strong>te<br />

Werbung nicht zu vereinbaren.<br />

Da die Agin. für sich in<br />

Anspruch nimmt, die beanstan<strong>de</strong>te<br />

Werbung auch unter <strong>de</strong>r Geltung <strong>de</strong>s RVG weiterhin zu<br />

veröffentlichen, besteht auch die für einen Unterlassungsanspruch<br />

erfor<strong>de</strong>rliche Erstbegehungsgefahr.<br />

Hinsichtlich <strong>de</strong>r Möglichkeit von Pauschalvereinbarungen hat<br />

sich die Rechtslage nicht geän<strong>de</strong>rt. Nach § 4Abs. 2 RVG muss<br />

wie bei § 3Abs. 5 BRAGO a.F. bei herabgesetzten Gebühren<br />

weiterhin die Angemessenheit <strong>de</strong>r Herabsetzung berücksichtigt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Die gesetzliche Gebühr ist nun im Vergütungsve rzeichnis – VV<br />

– geregelt. Danach steht <strong>de</strong>m RA für einen Rat wie bisher eine<br />

1/10 bis 10/10 Gebühr zu. Dagegen gibt es die Kappungsgrenze<br />

<strong>de</strong>s § 20 Abs. 1Satz 2BRAGO a.F. i.H.v. 180,00 Euro<br />

so nicht mehr für alle Erstberatungen. Denn nach VV 2102 gibt<br />

es <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Erstberatung nur noch bei Tätigkeiten für<br />

einen Verbraucher. Wer als Verbraucher anzusehen ist, ist in<br />

§13 BGB <strong>de</strong>finiert.<br />

Arbeitnehmer ist<br />

kein Verbraucher<br />

i.S.d. Nr. 2102<br />

VV RVG<br />

Danach ist <strong>de</strong>r Arbeitnehmer, um<br />

<strong>de</strong>n es in <strong>de</strong>r beanstan<strong>de</strong>ten<br />

Werbung geht, gera<strong>de</strong> nicht als<br />

Verbraucher im Sinne dieser Vorschrift<br />

anzusehen ( Palandt, BGB,<br />

63. Aufl., §13 Rdnr. 3). Der<br />

beabsichtigte Verbraucherschutz schlägt also nicht auf <strong>de</strong>n<br />

Arbeitnehmer durch. Insoweit bleibt es nur bei <strong>de</strong>r Ermäßigungsmöglichkeit<br />

nach § 4 RVG, wonach zwar Pauschalvergütungen<br />

vereinbart wer<strong>de</strong>n können, die niedriger sind als die<br />

gesetzlichen Gebühren. Wie dargelegt muss dabei aber die<br />

Angemessenheit <strong>de</strong>r Herabsetzung berücksichtigt wer<strong>de</strong>n. Wie<br />

schon zur Rechtslage nach <strong>de</strong>r BRAGO a.F. dargelegt wor<strong>de</strong>n<br />

ist, schnei<strong>de</strong>t sich die Agin. diese gefor<strong>de</strong>rte Angemessenheitsprüfung<br />

aber von vornherein ab, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n extrem niedrigen<br />

Gebührenrahmen von 10,00 Euro bis 50,00 Euro gewählt<br />

hat. Ist nämlich grundsätzlich von <strong>de</strong>r gesetzlichen Gebühr von<br />

1/10 bis 10/10 auszugehen und gibt es lediglich die Herabset-<br />

zungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 2 RVG unter Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>r Angemessenheit <strong>de</strong>r Herabsetzung, wi<strong>de</strong>rspricht <strong>de</strong>r pauschale<br />

niedrige Gebührenrahmen mit <strong>de</strong>r extrem niedrigen<br />

Kappungsgrenze erst recht <strong>de</strong>m RVG.<br />

Darüber hinaus ist die beanstan<strong>de</strong>te Werbung auch schon <strong>de</strong>shalb<br />

gesetzwidrig, weil sie mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Erstberatung<br />

einen Gebührentatbestand anspricht, <strong>de</strong>n es sonach <strong>de</strong>m RVG<br />

nicht mehr gibt. Denn, wie dargelegt, gibt es bei <strong>de</strong>r arbeitsrechtlichen<br />

Beratung <strong>de</strong>n privilegierten Gebührentatbestand<br />

<strong>de</strong>r Erstberatung nicht mehr. Der Umstand, dass essich um<br />

eine Erstberatung han<strong>de</strong>lt, spielt gebührenrechtlich in <strong>de</strong>m<br />

beworbenen Beratungsrahmen keine Rolle mehr. Die angegriffene<br />

Werbung erweckt aber <strong>de</strong>n Eindruck <strong>de</strong>s Gegenteils, dass<br />

<strong>de</strong>r beworbene Gebührenrahmen an gesetzliche Vorgaben<br />

anknüpft. Es ist aber mit <strong>de</strong>r Bindung <strong>de</strong>s RA an die gesetzliche<br />

Gebührenregelung und damit auch an die Gebührentatbestän<strong>de</strong><br />

nicht zu vereinbaren, dass er in die Abrechnung mit<br />

<strong>de</strong>m Mandanten einen beson<strong>de</strong>ren Gebührentatbestand <strong>de</strong>r<br />

Erstberatung einführt, <strong>de</strong>n es nach <strong>de</strong>m Gesetz gar nicht mehr<br />

gibt.<br />

Anmerkung:<br />

Das vorstehen<strong>de</strong> Urteil <strong>de</strong>s OLG Hamm ist in doppelter<br />

Hinsicht für die Anwaltschaft positiv:<br />

1. Das OLG stellt ganz ausdrücklich klar, dass gem. § 49b<br />

Abs. 1 BRAO die gesetzlichen Gebühren nicht unterschritten<br />

wer<strong>de</strong>n dürfen, es sei <strong>de</strong>nn, dass etwas an<strong>de</strong>res geregelt<br />

ist. Für <strong>de</strong>n außergerichtlichen Bereich regelte §3 Abs. 5<br />

BRAGO und regelt § 4 Abs. 2 RVG, dass die gesetzlichen<br />

Vergütungen durch Vereinbarung unterschritten wer<strong>de</strong>n<br />

können. Das OLG stellt allerdings klar, dass dies nicht<br />

schrankenlos gilt, son<strong>de</strong>rn dass jeweils im Einzelfall eine<br />

Angemessenheitsprüfung vorzunehmen ist. In je<strong>de</strong>m Einzelfall<br />

müsse <strong>de</strong>r RA prüfen, ob die vereinbarte Pauschalvergütung<br />

in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung,<br />

Verantwortung und Haftungsrisiko <strong>de</strong>s RA steht. Die Möglichkeit<br />

<strong>de</strong>r Gebührenunterschreitung sei somit nicht<br />

schrankenlos ausgestaltet und gewährt wor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn<br />

nur unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r in § 3Abs. 5 BRAGO und<br />

§4 Abs. 2 RVG genannten Kriterien. Durch diese Klarstellung<br />

<strong>de</strong>r gesetzlichen Vorgaben erschwert das OLG <strong>de</strong>n<br />

Wettbewerb durch Dumpingpreise. Es ist nach <strong>de</strong>r Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s OLG Hamm nun nicht mehr möglich, pauschal<br />

für <strong>de</strong>n außergerichtlichen Bereich mit Gebührenfestbeträgen<br />

o<strong>de</strong>r Rahmen zu werben, die so erheblich unter<br />

<strong>de</strong>n gesetzlichen Gebühren liegen, dass die Angemessenheit<br />

im Einzelfall nicht mehr vorliegen kann. Dies führt<br />

einerseits dazu, dass <strong>de</strong>r Wettbewerb unter <strong>de</strong>n Anwälten<br />

kein reiner Preiswettbewerb wird, son<strong>de</strong>rn ein Qualitätswettbewerb<br />

bleibt. An<strong>de</strong>rerseits erleichtert es Verhandlungen<br />

mit <strong>de</strong>n Rechtsschutzversicherern, die nunmehr nach<br />

In-Kraft-Treten <strong>de</strong>s RVG durch so genannte Rationalisierungsabkommen<br />

<strong>de</strong>n RAinnen und RAen Pauschalvergütungen<br />

anbieten, die <strong>de</strong>utlich unter <strong>de</strong>n gesetzlichen<br />

Gebühren für <strong>de</strong>n außergerichtlichen Bereich liegen. Diesen<br />

Versicherungen kann und muss unter Berufung auf die<br />

Entscheidung <strong>de</strong>s OLG Hamm entgegengehalten wer<strong>de</strong>n,<br />

dass auch bei Pauschalvereinbarungen immer im Einzelfall<br />

die Angemessenheitsprüfung vorzunehmen ist. Denn nur<br />

dann ist es möglich, nach §49b Abs. 1 BRAO i.V.m. §4<br />

Abs. 2 RVG die gesetzlichen Gebühren im außergerichtlichen<br />

Bereich zu unterschreiten.


288 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 6/2004<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprec hung<br />

2. Über die Frage <strong>de</strong>r Angemessenheit einer Honorarvereinbarung<br />

hinaus hat das OLG klargestellt, dass <strong>de</strong>r Arbeitnehmer<br />

nicht als Verbraucher i.S.d. Nr. 2102 VV RVG i.V. m.<br />

§13 BGB anzusehen sei. Seit In-Kraft-Treten <strong>de</strong>s RVG ist die<br />

Gebührenkappung für die Erstberatung nur für ein Beratungsgespräch<br />

mit einem Verbraucher vorzunehmen. Verbraucher<br />

i.S.d. § 13 BGB sei allerdings nicht <strong>de</strong>r Arbeitn ehmer,<br />

sodass die Kappungsgrenze hier nicht gelte. Das OLG<br />

hat sich mit dieser Entscheidung klar dafür ausgesprochen,<br />

dass es die Gebührenkappung nicht für die Beratung <strong>de</strong>s<br />

Arbeitnehmers gelten lasse wolle, da es diesen nicht als Verbraucher<br />

ansehe.<br />

Die Entscheidung, dass dies auch für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s<br />

Gebührenrechts gelten soll, ist neu. Für die Anwaltschaft<br />

be<strong>de</strong>utet sie, dass die Gebührenkappung nicht automatisch<br />

eintritt. Durch das Urteil wird die Abrechnung <strong>de</strong>r Beratung<br />

eines Arbeitnehmers nach Nr. 2100 VV RVG ohne Kappung<br />

lei<strong>de</strong>r ohne weitere Begründung als einzig richtig angesehen.<br />

In <strong>de</strong>r Praxis erleichtert die Entscheidung aber auch die<br />

Möglichkeit, mit <strong>de</strong>m Arbeitnehmer für eine arbeitsrechtliche<br />

Beratung eine Gebührenvereinbarung zu treffen, ohne<br />

dass sich dieser gleich auf die Erstberatungsgebühr beruft.<br />

Ab <strong>de</strong>m 1.7.2006 sind die Gebühren auf je<strong>de</strong>n Fall zu vereinbaren.<br />

Den Einstieg in Verhandlungen bereits zum jetzigen<br />

Zeitpunkt erleichtert je<strong>de</strong>nfalls die Entscheidung <strong>de</strong>s<br />

OLG.<br />

Rechtsanwältin Julia von Seltmann, Berlin<br />

Zum Verbot <strong>de</strong>r Umgehung <strong>de</strong>s Gegenanwalts<br />

BORA § 12; UWG § 3, § 4 Nr. 11; BGB § 823 Abs. 1<br />

*1. Der gegen § 12 BORA verstoßen<strong>de</strong> unmittelbare Kontakt mit<br />

<strong>de</strong>r anwaltlich vertreten<strong>de</strong>n Gegenpartei löst keinen wettbewerbsrechtlichen<br />

Unterlassungsanspruch aus.<br />

*2. §12 BORA ist als wettbewerbsrechtlich neutrale Norm anzusehen,<br />

die grundsätzlich keinen Schutz vor anwaltlicher Konkurrenz<br />

bietet.<br />

*3. Ein Verstoß gegen das Umgehungsverbot begrün<strong>de</strong>t auch keinen<br />

unmittelbaren Eingriff in die Berufsausübung, son<strong>de</strong>rn führt<br />

allenfalls zu einer mittelbaren Beeinträchtigung. Eine solche wird<br />

nicht vom Schutzzweck <strong>de</strong>s § 823 Abs. 1 BGB erfasst.<br />

OLG Nürnberg, Urt. v. 27.7.2004 – 3 U2102/04<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Von <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s wird gem. <strong>de</strong>n §§313a<br />

Abs. 1, 540 ZPO abgesehen und insoweit auf das Ersturteil<br />

Bezug genommen.<br />

II. Die Berufung <strong>de</strong>r Agin. ist zulässig und auch begrün<strong>de</strong>t.<br />

Dem Ast. steht <strong>de</strong>r geltend gemachte Unterlassungsanspruch<br />

we<strong>de</strong>r nach §8 i.V.m. §§3, 4 Nr. 11 UWG n.F., das am<br />

8.7.2004 in Kraft getreten ist, noch nach §823 Abs. 1 BGB<br />

wegen Verletzung <strong>de</strong>s Rechts am eingerichteten und ausgeübten<br />

Gewerbebetrieb zu.<br />

1. Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Berufung ist – wie das Erstgericht<br />

zutreffend feststellte – <strong>de</strong>r Rechtsweg zu <strong>de</strong>n Zivilgerichten<br />

eröffnet.<br />

Es mag zwar ein Verstoß gegen Stan<strong>de</strong>srecht vorliegen, für <strong>de</strong>n<br />

auch das Berufungsgericht zuständig ist. Geltend gemacht wird<br />

aber ein Unterlassungsanspruch aus BGB bzw. UWG, für <strong>de</strong>n<br />

die Zivilgerichte zuständig sind. Der Ast. trägt einen Sachverhalt<br />

vor, <strong>de</strong>ssen Richtigkeit unterstellt, <strong>de</strong>n erhobenen<br />

Anspruch ergeben könnte. Ob dieser Anspruch zu Recht geltend<br />

gemacht wird, ist keine F rage <strong>de</strong>r Zuständigkeit, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>r Begrün<strong>de</strong>theit.<br />

2. Zutreffend geht das LG w eiter davon aus, dass die Agin.<br />

gegen § 12 BORA verstoßen hat. Auf die Ausführungen <strong>de</strong>s LG<br />

wird insoweit Bezug genommen. Dies gilt auch, wenn ein<br />

Sachverhalt zugrun<strong>de</strong> gelegt wird, w ie ihn die Agin. bzw. Frau<br />

... in ihren ei<strong>de</strong>sstattlichen Versicherungen behaupten. §12<br />

BORA verbietet je<strong>de</strong>n unmittelbaren Kontakt mit <strong>de</strong>r Gegenpartei.<br />

Hierbei kommt es nicht d arauf an, von wem die Initiative<br />

ausgeht, ob <strong>de</strong>r Kontakt von <strong>de</strong>m Mandanten selbst<br />

gewünscht wird. Solange <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Anwalt mandatiert ist, verstößt<br />

<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Gegenpartei angesprochene RA gegen das<br />

Umgehungsverbot, wenn er sich auf das Gespräch einlässt (vgl.<br />

Kleine-Cosack , BRAO, 4. Aufl., § 12 Rdnr. 4; Henssler/ Prütting ,<br />

BRAO, 2. Aufl., § 12 Rdnr. 3 f.).<br />

3. Ein Verstoß gegen § 12 BORA kann einen wettbewerbsrechtlichen<br />

Unterlassungsanspruch jedoch nicht stützen, da dieser<br />

Vorschrift <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rliche wettbewerbsbezogene Charakter<br />

fehlt.<br />

Zwar ist § 12 BORA wohl als wertbezogene Norm anzusehen.<br />

Sie schützt, worauf das Erstgericht zutreffend hinweist, das<br />

beson<strong>de</strong>rs wichtige Gemeinschaftsgut <strong>de</strong>r Funktionsfähigkeit<br />

<strong>de</strong>r Rechtspflege. Sie ist aber als wettbewerbsrechtlich neutrale<br />

Norm anzusehen, die keinen Schutz vor anwaltlicher Konkurrenz<br />

bietet (vgl. Henssler/Prütting , a.a.O., Einleitung Rdnr. 20<br />

bzw. § 12 Rdnr. 2; Kleine-Cosack , a.a.O., Vorbemerkung Rdnr.<br />

4 u. §12 Rdnr. 1; Hartung/ Holl, Anwaltliche Berufsordnung,<br />

2. Aufl., § 12 Rdnr. 2). Daher entfällt die Anwendung <strong>de</strong>s § 4<br />

Nr. 11 UWG n.F., <strong>de</strong>ssen Aufgabe es ist, das Marktverhalten zu<br />

regeln. Der Begriff <strong>de</strong>r Marktverhaltensregelung tritt damit an<br />

die Stelle <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Rspr. zu § 1 UWG a.F. geprägten Formel,<br />

wonach die Norm eine „zumin<strong>de</strong>st sekundäre Schutzfunktion<br />

zugunsten <strong>de</strong>s Wettbewerbs“ haben muss. Dagegen wur<strong>de</strong> die<br />

frühere Aussage <strong>de</strong>s BGH, ein Wettbewerbsverstoß durch<br />

Rechtsbruch könne auch dann vorliegen, wenn die verletzte<br />

Norm selbst keinen unmittelbar wettbewerbsbezogenen Zweck<br />

verfolge, sofern sie gewichtige Allgemeininteressen schütze,<br />

nicht übernommen. Eskann nicht Aufgabe <strong>de</strong>s Wettbewerbsrechts<br />

sein, alle nur <strong>de</strong>nkbaren Gesetzesverstöße im Zusammenhang<br />

mit Wettbewerbshandlungen auch wettbewerbsrechtlich<br />

zu sanktionieren (vgl. Köhler, Der Rechtsbruchtatbestand<br />

im neuen UWG, in: GRUR 2004, 381 ff.).<br />

Im Übrigen wäre entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s LG ein Unterlassungsanspruch<br />

auch nicht nach §1 UWG a.F. gegeben. Die<br />

Neufassung <strong>de</strong>s UWG brachte vorliegend keine Verän<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r gesetzlichen Situation mit sich. Sohat das OLG Köln für<br />

einen gleich liegen<strong>de</strong>n Fall einen wettbewerbsrechtlichen<br />

Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG a.F. bei einem Verstoß<br />

gegen das Umgehungsverbot <strong>de</strong>s §12 BORA zutreffend verneint<br />

(vgl. OLG Köln, Urt. v. 10.1.2003, NJW-RR 2003, 283 f.).<br />

Dieses Urteil entsprach entgegen <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>s LG <strong>de</strong>r<br />

inzwischen gefestigten Rspr. <strong>de</strong>s BGH, die nicht mehr darauf<br />

abstellt, ob eine wertbezogene bzw. wertneutrale Norm verletzt<br />

ist, son<strong>de</strong>rn prüft, ob <strong>de</strong>r verletzten Norm Wettbewerbsbezug<br />

beigemessen wer<strong>de</strong>n kann (vgl. GRUR 1999, 1128 – Hormonpräparate;<br />

GRUR 2000, 1076 –Abgasemissionen; GRUR<br />

2001, 354 – Vielfachabmahner; GRUR 2003, 825 – Elektroarbeiten;<br />

GRUR 2004, 247 – Krankenkassenzulassung).<br />

4. Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich auch nicht aus<br />

§§ 1004, 823 Abs. 1 BGB, da <strong>de</strong>r Verstoß gegen das Umgehungsverbot<br />

<strong>de</strong>s § 12 BORA durch die Bekl. keinen unmittelbaren<br />

Eingriff in die Berufsausübung <strong>de</strong>s Kl. begrün<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn<br />

allenfalls zu einer mittelbaren Beeinträchtigung führen<br />

könnte. Eine solche wird jedoch vom Schutzzweck <strong>de</strong>s § 823<br />

Abs. 1 BGB nicht erfasst.

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