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3/2003<br />

BRAK<br />

15. 6. 2003 34. Jahrgang<br />

Mitteilungen<br />

Herausgeber<br />

BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER<br />

Aus <strong>de</strong>m Inhalt<br />

Beirat<br />

RAuN Dr. Eberhard Haas, Bremen<br />

RA Dr. Christian Kirchberg, Karlsruhe<br />

RA Heinz Weil, Paris<br />

Akzente<br />

Reform, Beschleunigung und Mo<strong>de</strong>rnisierung (RAuN Dr. Bernhard Dombek) 97<br />

Aufsätze<br />

Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt Thierse eröffnete Ausstellung „Anwalt ohne Recht“:<br />

„Signal gegen Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung“<br />

(Wolfgang Thierse) 98<br />

Gebrochene Karrieren und Lebenswege. Zum Schicksal jüdischer<br />

Anwälte nach 1933 (Dr. Simone Ladwig-Winters) 102<br />

Die Auswirkungen <strong>de</strong>r EuGH-Urteile auf das nationale Berufsrecht in<br />

Deutschland (RA Prof. Dr. jur. K. Peter Mailän<strong>de</strong>r) 114<br />

Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts<br />

Das aktuelle Urteil (RAin Antje Jungk)<br />

Haftung <strong>de</strong>s Rechtsanwalts für Fehler <strong>de</strong>s Gerichts (BGH v. 13.3.2003) 120<br />

Zusammenschluss von Anwälten (RA Holger Grams)<br />

Die Partnerschaftsgesellschaft 123<br />

Amtliche Bekanntmachung<br />

Beschlüsse <strong>de</strong>r 6. Sitzung <strong>de</strong>r 2. Satzungsversammlung bei <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer am 20.3.2003 in Berlin 125<br />

Berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Zulassung – Vereinbarkeit <strong>de</strong>r ärztlichen Tätigkeit mit <strong>de</strong>m Beruf<br />

<strong>de</strong>s Rechtsanwalts (BGH v. 17.3.2003) 129<br />

Rechtsanwaltgesellschaft – zur Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>s § 59i<br />

Abs. 2 BRAO (mit Anm. RA Hartmut Scharmer) (BGH v. 13.1.2003) 131<br />

<strong>Schwerpunkt</strong>:<br />

Anwalt ohne Recht


3/2003<br />

Inhalt<br />

BRAK<br />

Mitteilungen<br />

Akzente<br />

Reform, Beschleunigung und Mo<strong>de</strong>rnisierung<br />

(B. Dombek) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />

Aufsätze<br />

Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt Thierse eröffnete Ausstellung<br />

„Anwalt ohne Recht“: „Signal gegen Entrechtung,<br />

Ausgrenzung und Verfolgung“ (W. Thierse) . . . . . . . . . . . . 98<br />

Begrüßungsworte Dr. Bernard Dombek zur Ausstellungseröffnung<br />

„Anwalt ohne Recht“ im Paul-Löbe-Haus<br />

(B. Dombek) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />

Begrüßungsworte Andreas Schmidt zur Ausstellungseröffnung<br />

„Anwalt ohne Recht“ im Paul-Löbe-Haus<br />

(A. Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />

Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933<br />

(P. Kirchhof) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />

Gebrochene Karrieren und Lebenswege. Zum Schicksal<br />

jüdischer Anwälte nach 1933 (S. Ladwig-Winters) . . . . . . 102<br />

Die Vertreibung <strong>de</strong>s Rechts aus Deutschland (I. Müller) . . 107<br />

Justiz und Rechtsanwaltschaft in <strong>de</strong>r nationalsozialistischen<br />

Diktatur (P. Landau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />

„Der Führer wünscht keine beson<strong>de</strong>ren Maßnahmen.“<br />

Das En<strong>de</strong> eines <strong>de</strong>utschen Rechtsanwalts (H. Lang) . . . . . 113<br />

Die Auswirkungen <strong>de</strong>r EuGH-Urteile auf das nationale<br />

Berufsrecht in Deutschland (K. P. Mailän<strong>de</strong>r) . . . . . . . . . . 114<br />

Rechtsprechungsleitsätze (B. Chab/H. Grams)<br />

Haftung<br />

Keine Haftung für Unternehmenserfolg<br />

(BGH v. 13.2.2003 – IX ZR 62/02) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121<br />

Scha<strong>de</strong>n im Rechtssinne<br />

(BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 384/99) . . . . . . . . . . . . . . . . . 121<br />

Hypothetische Spekulationsgewinne<br />

(Pfälzisches OLG Zweibrücken v. 10.2.2003 – 7 U 99/02) 121<br />

Kanzleigemeinschaft, Bürogemeinschaft, Scheinsozietät,<br />

Einzelvollmacht<br />

(OLG Köln v. 17.12.2002 – 22 U 168/02) . . . . . . . . . . . . 121<br />

Grundsatz <strong>de</strong>s „sicheren Weges“<br />

(OLG Koblenz v. 10.10.2002 – 5 U 238/02) . . . . . . . . . . 122<br />

Fristen<br />

Fristüberwachung durch <strong>de</strong>n Anwalt bei Vorlage <strong>de</strong>r Akte<br />

(BGH v. 5.2.2003 – VIII ZB 115/02) . . . . . . . . . . . . . . . . . 122<br />

Fristwahrung per Telefax<br />

(BGH v. 20.2.2003 – V ZB 60/02) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122<br />

Zusammenschluss von Anwälten (H. Grams)<br />

Die Partnerschaftsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />

Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK<br />

Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern zum 1.1.2003 . . . 124<br />

Aufruf – Die Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer grün<strong>de</strong>t ein<br />

Museum <strong>de</strong>r Deutschen Anwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . 125<br />

Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125<br />

Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts<br />

Überblick (A. Jungk)<br />

Anwaltsfehler als Spekulationsgarantie . . . . . . . . . . . . . . 119<br />

Amtliche Bekanntmachung<br />

Beschlüsse <strong>de</strong>r 6. Sitzung <strong>de</strong>r 2. Satzungsversammlung<br />

bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer am 20.3.2003<br />

in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125<br />

Das aktuelle Urteil (A. Jungk)<br />

Haftung <strong>de</strong>s Rechtsanwalts für Fehler <strong>de</strong>s Gerichts<br />

(BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 181/99) . . . . . . . . . . . . . . . . . 120<br />

Personalien<br />

Personalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126


IV Inhalt BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht2<br />

BVerfG 28.2.2003 1 BvR 189/03 Anwaltliche Werbung – Werbeaussage eines Rechtsanwalts auf einer<br />

Internetseite 127<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung2<br />

BGH 17.3.2003 AnwZ (B) 26/02 Zulassung – Versagung <strong>de</strong>r Zulassung wegen einer Tätigkeit als informeller<br />

Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit 128<br />

BGH 17.3.2003 AnwZ (B) 3/02 Zulassung – Vereinbarkeit <strong>de</strong>r ärztlichen Tätigkeit mit <strong>de</strong>m Beruf <strong>de</strong>s<br />

Rechtsanwalts 129<br />

BGH 13.1.2003 AnwZ (B) 12/02 Rechtsanwaltgesellschaft – zur Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>s § 59i Abs. 2<br />

BRAO (mit Anm. H. Scharmer) 131<br />

AGH Ba<strong>de</strong>n- 5.4.2003 AGH 46/2002 (II) Fachanwalt – Nichtbeschei<strong>de</strong>n eines Antrags auf Gestattung <strong>de</strong>s Führens<br />

Württemberg einer Fachanwaltsbezeichnung 134<br />

AGH Nordrhein- 21.3.2003 1 ZU 70/02 Fachanwalt – Wi<strong>de</strong>rruf einer Fachanwaltbezeichnung wegen fehlen<strong>de</strong>m<br />

Westfalen Fortbildungsnachweises (LS) 135<br />

AGH Rheinland-Pfalz 4.3.2003 1 AGH 1/03 Zulassung – vorzeitige Zulassung zum OLG 135<br />

AGH Ba<strong>de</strong>n- 24.2.2003 AGH 33/2001 (I) Fachanwalt – zum Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen (LS) 137<br />

Württemberg<br />

Nie<strong>de</strong>rsächsischer 26.2.2003 AGH 31/02 Zulassung – zur Wartefrist für die Zulassung zum Oberlan<strong>de</strong>sgericht (LS) 137<br />

AGH<br />

Thüringer AGH 4.2.2003 AGH 8/01 Fachanwalt – zum Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen im<br />

Fachgebiet Strafrecht (LS) 137<br />

Thüringer AGH 20.12.2002 AGH 6/01 Fachanwalt – Antrag auf gerichtliche Entscheidung wegen Untätigkeit (LS) 137<br />

Bayerischer AGH 6.11.2002 BayAGH I – 14/02 Fachanwalt – zum Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen im<br />

Fachgebiet Steuerrecht 138<br />

Bayerischer AGH 10.7.2002 BayAGH I – 20/01 Zulassungsversagung – zu <strong>de</strong>n Voraussetzungen einer Aussetzung <strong>de</strong>s<br />

(n.r.) Zulassungsverfahrens (LS) 139<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung2<br />

BGH 15.1.2003 5 StR 251/02 Rechtsfehlerhafte Bestellung <strong>de</strong>s Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger (LS) 139<br />

BGH 12.12.2002 V ZB 23/02 Gebühren – zur Anwendung <strong>de</strong>s Gebührenabschlags auf eine überörtliche<br />

Sozietät (LS) 139<br />

BGH 5.12.2002 I ZR 115/00 Zu einer Imagewerbung enthaltenen Stellenanzeige (LS) 140<br />

BFH 7.10.2002 VIII R 41/02 Zum Vertretungszwang vor <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sfinanzhof 140<br />

OLG Düsseldorf 5.11.2002 20 U 105/02 Anwaltliche Werbung – zur Verteilung eines Rundschreibens und <strong>de</strong>r<br />

Angabe einer „Service-Nummer“ 140<br />

OLG Köln 17.7.2002 6 U 28/02 Rechtsberatungsgesetz – unerlaubte Rechtsberatung durch ein<br />

Inkassounternehmen 142<br />

BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER<br />

Berufliche Vertretung aller Rechtsanwälte in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland; 28 Mitgliedskammern<br />

(27 regionale Rechtsanwaltskammern und Rechtsanwaltskammer beim<br />

Bun<strong>de</strong>sgerichtshof). Körperschaft <strong>de</strong>s öffentlichen Rechts. Die Rechtsanwaltskammern<br />

und die Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer als Dachorganisation sind die Selbstverwaltungsorgane<br />

<strong>de</strong>r Anwaltschaft.<br />

GESETZLICHE GRUNDLAGE: Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959,<br />

BGBl. I S. 565, in <strong>de</strong>r Fassung vom 2. 9. 1994, BGBl. I S. 2278.<br />

ORGANE: Hauptversammlung bestehend aus <strong>de</strong>n 28 gewählten Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern;<br />

Präsidium, gewählt aus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r Hauptversammlung; Präsi<strong>de</strong>nt:<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Bernhard Dombek, Berlin. Vorbereitung <strong>de</strong>r Organentscheidungen<br />

durch Fachausschüsse.<br />

AUFGABEN: Befassung mit allen Angelegenheiten, die für die Anwaltschaft von allgemeiner<br />

Be<strong>de</strong>utung sind; Vertretung <strong>de</strong>r Anwaltschaft gegenüber Gesetzgeber, Gerichten,<br />

Behör<strong>de</strong>n; För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Fortbildung; Berufsrecht; Satzungsversammlung; Koordinierung<br />

<strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern, z. B. Zulassungswesen, Berufsaufsicht,<br />

Juristenausbildung (Mitwirkung), Ausbildungswesen, Gutachtenerstattung, Mitwirkung<br />

in <strong>de</strong>r Berufsgerichtsbarkeit.<br />

BRAK-MITTEILUNGEN<br />

Informationen zu Berufsrecht und Berufspolitik<br />

HERAUSGEBER: Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer (Littenstr. 9, 10179 Berlin, Tel. 0 30/<br />

28 49 39-0, Telefax 0 30/28 49 39-11).<br />

E-Mail: zentrale@<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>, Internet: http://www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>.<br />

Schriftleitung: Rechtsanwalt Stephan Göcken (Geschäftsführer <strong>de</strong>r BRAK)<br />

Redaktion: Rechtsanwalt Anton Braun (Hauptgeschäftsführer <strong>de</strong>r BRAK), Rechtsanwalt<br />

Frank Johnigk, Rechtsanwältin Dr. Heike Lörcher (bei<strong>de</strong> Geschäftsführer <strong>de</strong>r BRAK).<br />

Ständiger Mitarbeiter: Rechtsanwalt Christian Dahns, Berlin (Rubrik: Rechtsprechung)<br />

VERLAG: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Unter <strong>de</strong>n Ulmen 96–98, 50968 Köln (Marienburg),<br />

Tel. (02 21) 9 37 38-01; Telefax 02 21/ 9 37 38-9 21.<br />

E-Mail: info@otto-schmidt.<strong>de</strong><br />

Konten: Stadtsparkasse Köln (BLZ 37050198) 30602155; Postgiroamt Köln (BLZ<br />

37010050) 53950-508.<br />

ERSCHEINUNGSWEISE: Zweimonatlich jeweils zum 15. 2., 15. 4., 15. 6., 15. 8.,<br />

15. 10., 15. 12.<br />

BEZUGSPREISE: Den Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern wer<strong>de</strong>n die BRAK-Mitteilungen<br />

im Rahmen <strong>de</strong>r Mitgliedschaft ohne Erhebung einer beson<strong>de</strong>ren Bezugsgebühr<br />

zugestellt. Jahresabonnement 72 € (zzgl. Zustellgebühr); Einzelheft 18 € (zzgl. Versandkosten).<br />

In diesen Preisen ist die Mehrwertsteuer mit 6,54% (Steuersatz 7%) enthalten.<br />

ANZEIGEN: an <strong>de</strong>n Verlag.<br />

Anzeigenleitung: Renate Becker (verantwortlich).<br />

Gültig ist Preisliste Nr. 18 vom 1. 1. 2003<br />

DRUCKAUFLAGE dieser Ausgabe: 125 300 Exemplare (Verlagsausgabe).<br />

DRUCK: Westholsteinische Verlagsdruckerei Boyens & Co., Hei<strong>de</strong>/Holstein. Hergestellt<br />

auf chlorfrei gebleichtem Papier.<br />

URHEBER- UND VERLAGSRECHTE: Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge<br />

sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbeson<strong>de</strong>re das <strong>de</strong>r Übersetzung in<br />

frem<strong>de</strong> Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung<br />

<strong>de</strong>s Verlages in irgen<strong>de</strong>iner Form durch Fotokopie, Mikrofilm o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Verfahren<br />

reproduziert o<strong>de</strong>r in eine von Maschinen, insbeson<strong>de</strong>re von Datenverarbeitungsanlagen<br />

verwendbare Sprache übertragen wer<strong>de</strong>n. Das gilt auch für die veröffentlichten<br />

Entscheidungen und <strong>de</strong>ren Leitsätze, wenn und soweit sie von <strong>de</strong>r Schriftleitung<br />

bearbeitet sind. Fotokopien für <strong>de</strong>n persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen<br />

nur von einzelnen Beiträgen o<strong>de</strong>r Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

IVW-Druckauflage 1. Quartal 2003: 123 900 Exemplare.<br />

ISSN 0722-6934


BRAK-Mitt. 3/2003 Aktuelle Hinweise V<br />

Aktuelle Hinweise<br />

Buchbesprechungen<br />

Offermann-Burckart, Anwalts-Praxis,<br />

Fachanwalt wer<strong>de</strong>n und bleiben, Verlag<br />

Dr. Otto Schmidt, 2003, 195 S., 34,80<br />

Euro, ISBN 3-504-18010-2<br />

<strong>de</strong>n für aufstreben<strong>de</strong> Anwälte zur Fachanwaltschaft<br />

dar. Hier erfährt man aus<br />

<strong>de</strong>m reichen Erfahrungsschatz <strong>de</strong>r Autorin,<br />

die selbst Mitglied <strong>de</strong>r Satzungsversammlung<br />

ist, Informationen und Antworten<br />

aus erster Hand rund um die<br />

Fachanwaltschaft, vom geschichtlichen<br />

Überblick über die Formalia bis hin zum<br />

Ausblick auf mögliche zukünftige Fachanwaltstitel.<br />

Das Buch bleibt seinem Titel treu und<br />

beschränkt sich auf die wesentlichen<br />

Punkte, die für einen Fachanwaltsaspiranten<br />

bzw. Titelträger von Interesse<br />

sind. Die Autorin setzt sich mit <strong>de</strong>r Fachanwaltsordnung<br />

und <strong>de</strong>r Rspr. auseinan<strong>de</strong>r<br />

und kommentiert sehr praxisnah.<br />

Das Werk gehört <strong>de</strong>nnoch nicht in die<br />

Kategorie „Ratgeber mit wissenschaftlichem<br />

Anstrich“. Die Einarbeitung von<br />

gängigen Fragen und Antworten ermög-<br />

Die Entwicklung zeigt, dass die Fachanwaltsbezeichnung<br />

zu einem wichtigen<br />

Marketing-Instrument für die Anwaltschaft<br />

gewor<strong>de</strong>n ist. Das sich diesbezüglich<br />

über die Jahre viele Fragen angesammelt<br />

haben, kann daher nicht verwun<strong>de</strong>rn.<br />

Wann gilt ein „Fall“ in <strong>de</strong>m von mir<br />

angestrebten Fachgebiet als selbstständig<br />

bearbeitet Wann muss mit <strong>de</strong>r Fortbildung<br />

begonnen wer<strong>de</strong>n Antworten zu<br />

Fragen wie diesen fin<strong>de</strong>t man in <strong>de</strong>m<br />

Werk von RAin Dr. Offermann-Burckart<br />

„Fachanwalt wer<strong>de</strong>n und bleiben“. Es<br />

stellt damit einen längst fälligen Leitfalichen<br />

<strong>de</strong>m Leser einen schnellen<br />

Überblick über Voraussetzungen und<br />

Entscheidungsverfahren zur Fachanwaltschaft.<br />

Daran anschließend wer<strong>de</strong>n<br />

vom Antrag bis hin zur Fortbildung in<br />

<strong>de</strong>m Buch ausgewiesene „Praxis-Tipps“<br />

gegeben, die <strong>de</strong>m Leser helfen,<br />

unnötige und zeitrauben<strong>de</strong> Fehler auf<br />

ihrem Weg zum „dritten Staatsexamen“<br />

zu vermei<strong>de</strong>n. Die übersichtliche, systematische<br />

Darstellung macht das Buch<br />

insgesamt zu einem i<strong>de</strong>alen Nachschlagewerk<br />

für gezielte Fragen zum Thema<br />

Fachanwalt. Wer sich entschließt Fachanwalt<br />

zu wer<strong>de</strong>n bzw. zu bleiben,<br />

sollte auf je<strong>de</strong>n Fall mehr als einen Blick<br />

in dieses Buch werfen.<br />

Rechtsreferendar Erk Wiemer, Berlin<br />

RA Stephan Göcken, Berlin<br />

(Fortsetzung Seite VI)


VI Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 3/2003<br />

(Fortsetzung von Seite V)<br />

Dr. Hubert W. van Bühnen (Herausgeber)<br />

Anwalts-Handbuch Verkehrsrecht,<br />

Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 2002,<br />

900 S., 98,80 Euro, ISBN 3-504-18025-0<br />

Am Handbuch Verkehrsrecht fallen zunächst<br />

die renommierten Autoren auf.<br />

Dies beginnt mit <strong>de</strong>n Ausführungen <strong>de</strong>s<br />

Herausgebers van Bühren zur Unfallregulierung<br />

über die für <strong>de</strong>n Praktiker so<br />

wichtigen Beiträge von Lemcke und<br />

Jahnke bis hin zu <strong>de</strong>n versicherungsrechtlichen<br />

Beiträgen von Römer und<br />

Brieske sowie <strong>de</strong>m Bußgeld- und Strafrechtsteil<br />

von Lessing. So gesehen hat <strong>de</strong>r<br />

Herausgeber <strong>de</strong>n Bogen gespannt von<br />

<strong>de</strong>r Unfallregulierung über die Rechtsschutzversicherung<br />

bis hin zum Bußgeldbescheid<br />

und <strong>de</strong>r vorläufigen Entziehung<br />

<strong>de</strong>r Fahrerlaubnis.<br />

Erfreulich sind die Beiträge auch <strong>de</strong>shalb,<br />

weil insbeson<strong>de</strong>re das Zweite<br />

Scha<strong>de</strong>nsrechtsän<strong>de</strong>rungsgesetz eine<br />

Vielzahl von Neuregelungen gebracht<br />

hat, die allesamt berücksichtigt wor<strong>de</strong>n<br />

sind. So gesehen ist dieses Handbuch<br />

eine wahre Fundgrube für <strong>de</strong>n Praktiker.<br />

Deshalb ist es auch gut, dass beispielsweise<br />

Brieske die einzelnen Kriterien<br />

<strong>de</strong>s § 12 BRAGO enumerativ aufführt<br />

und van Bühnen im Beitrag zum zivilrechtlichen<br />

Verfahren Muster für die<br />

schriftsätzliche Bearbeitung eines Scha<strong>de</strong>nersatzprozesses<br />

gegeben hat. Nicht<br />

min<strong>de</strong>r wichtig sind die Checkliste zur<br />

Feststellung <strong>de</strong>r Einwilligung beim gestellten<br />

Unfall von Lemcke und die Tabelle<br />

von Jahnke zum Drittleistungsträger<br />

und kongruenten Leistungen.<br />

Der Beitrag von Römer ist gera<strong>de</strong>zu unentbehrlich<br />

in diesem Handbuch und in<br />

<strong>de</strong>r Klarheit <strong>de</strong>r Darlegung schwieriger<br />

Zusammenhänge beispielhaft; wer in<br />

Bußgeld – und Verkehrsstrafsachen tätig<br />

ist, wird gerne zu <strong>de</strong>n Beiträgen von Lessing<br />

greifen.<br />

Um es kurz zu machen: Auch hier hat<br />

van Bühren ein gelungenes Werk herausgegeben,<br />

welches nicht nur die Handbibliothek<br />

schmückt, son<strong>de</strong>rn gleichfalls<br />

zum täglichen juristischen Handwerkszeug<br />

wird. Ein Lob <strong>de</strong>m Herausgeber<br />

und allen Autoren.<br />

RAuN Dr. Dieter Finzel, Hamm<br />

Veranstaltungshinweise<br />

Institut für Anwaltsrecht<br />

an <strong>de</strong>r Universität zu Köln,<br />

Ringvorlesung „Einführung<br />

in <strong>de</strong>n Anwaltsberuf“<br />

Im Sommersemester 2003 fin<strong>de</strong>n im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r von Prof. Dr. Barbara Grunewald<br />

und Prof. Dr. Martin Henssler,<br />

Direktoren <strong>de</strong>s Instituts für Anwaltsrecht<br />

an <strong>de</strong>r Universität zu Köln, seit<br />

1999 angebotenen Ringvorlesung<br />

„Einführung in <strong>de</strong>n Anwaltsberuf“ Vortragsveranstaltungen<br />

zu <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />

Themen statt:<br />

– 24.6.2003: „Zukunftsmärkte für<br />

Rechtsanwälte: Internet, Hotlines,<br />

Franchising“ – HS XII, Hauptgebäu<strong>de</strong>,<br />

RA Dr. Michael Zahrt, Sulzbach<br />

– 1.7.2003: „Die Rechtsabteilung einer<br />

internationalen Bank: Aufgaben und<br />

Tätigkeiten“ – Neuer Senatssaal,<br />

Hauptgebäu<strong>de</strong>, RA Dr. Michael Berghaus,<br />

Düsseldorf<br />

(Fortsetzung Seite VIII)


VIII Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 3/2003<br />

(Fortsetzung von Seite VI)<br />

– 8.7.2003: „Anwaltliche Tätigkeit in<br />

<strong>de</strong>r Medienbranche“ – Neuer Senatssaal,<br />

Hauptgebäu<strong>de</strong>, RA Helmut G.<br />

Bauer, Düsseldorf<br />

Die Veranstaltungen fin<strong>de</strong>n von 17–19<br />

Uhr in <strong>de</strong>r Universität zu Köln, Hauptgebäu<strong>de</strong>,<br />

Albertus-Magnus-Platz,<br />

50923 Köln, statt. Die Teilnahme ist<br />

kostenlos, eine Anmeldung nicht erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Die Vortragsreihe wird im Wintersemester<br />

2003/2004 fortgesetzt.<br />

Aus Anlass <strong>de</strong>r 50. Veranstaltung wird<br />

am 20. Januar 2004 ein halbtägiges<br />

Symposium mit haftungsrechtlichem<br />

<strong>Schwerpunkt</strong> stattfin<strong>de</strong>n: „Die Haftung<br />

vergesellschafteter Rechtsanwälte im<br />

Licht <strong>de</strong>r neuesten Rechtsprechung <strong>de</strong>s<br />

BGB“ (Prof. Dr. Dieter Medicus, München),<br />

„Haftung und Haftpflichtversicherung<br />

<strong>de</strong>s Rechtsanwalts“, (N.N.,<br />

Gerling-Konzern, Köln).<br />

Weitere geplante Veranstaltungen:<br />

„Fachanwalt wer<strong>de</strong>n und bleiben“,<br />

(RAin Dr. Susanne Offermann-Burckart,<br />

RAK Köln), „Die Tätigkeit als Anwalt<br />

in <strong>de</strong>r Kleinstadt“, (N.N.).<br />

Nähere Informationen zu <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Veranstaltungen: www.anwaltsrecht.org<br />

(Veranstaltungen) o<strong>de</strong>r unter<br />

Tel. 02 21-4 70 57 11.<br />

Institut für Anwaltsrecht,<br />

München<br />

Im Sommersemester 2003 bietet das Institut<br />

für Anwaltsrecht an <strong>de</strong>r Universität<br />

München Vortragsveranstaltungen zu<br />

<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Themen an:<br />

Ringvorlesung „Anwaltliche Berufsbil<strong>de</strong>r“<br />

jeweils Donnerstags, 18.00 Uhr – Universität,<br />

Hörsaal 109<br />

• 26.6.2003: „Der Wirtschaftsanwalt<br />

und Mediation“, RA Dr. Christian<br />

Duve, Freschfields Buckhaus Deringer,<br />

Frankfurt am Main<br />

• 3.7.2003: „Aufbau einer Kanzlei“, RA<br />

Michael Du<strong>de</strong>k, Rosa Du<strong>de</strong>k Löber,<br />

München<br />

• 10.7.2003: „Strafverteidigung in <strong>de</strong>r<br />

Praxis“, RA Dr. Robert Jofer, Wannemacher<br />

& Partner, München<br />

Anmeldung nicht erfor<strong>de</strong>rlich, keine Teilnehmergebühr.<br />

Bayerischer Anwaltskurs für Rechtsreferendare<br />

Vom 15.9. bis 10.10.2003: „Der Anwalt<br />

in <strong>de</strong>r Praxis“, Praxisorientierte Kanzleiführung<br />

und Mandatsbearbeitung, in<br />

<strong>de</strong>r Ludwig-Maximilians-Universität. Anmeldung<br />

erfor<strong>de</strong>rlich: beim OLG München,<br />

Frau Loschan-Irber (Tel.: 0 89/<br />

55 97-33 37), Teilnehmergebühr: keine.<br />

Der Anwaltskurs soll Rechtsreferendaren<br />

die Möglichkeit geben, bereits während<br />

<strong>de</strong>r Referendarausbildung aktuelles anwaltliches<br />

Basiswissen zu erwerben und<br />

Verständnis für die praxisbezogene Anwaltstätigkeit<br />

zu entwickeln. Dadurch<br />

sollen die Berufschancen als RA, aber<br />

auch als Mitarbeiter in <strong>de</strong>r Wirtschaft verbessert<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Teilnehmer erhalten<br />

eine Bescheinigung über die Teilnahme.<br />

Teilnehmen können Rechtsreferendare<br />

aller <strong>Schwerpunkt</strong>bereiche im Pflichtwahlpraktikum.<br />

Son<strong>de</strong>rveranstaltung „Die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Regeln für Aufstieg und Karriere,<br />

auch für Rechtsanwälte“ im Institut<br />

2.7.2003, 18 Uhr bis 20 Uhr s.t., „Die<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Regeln für Aufstieg und<br />

Karriere, auch für Rechtsanwälte“, Referent:<br />

Mathias H. Markert, Anmeldung erfor<strong>de</strong>rlich,<br />

Zielgruppe: Referendare und<br />

Stu<strong>de</strong>nten, Teilnehmergebühr: 5 Euro.<br />

Seminar mit Workshop<br />

Die ARGE Kanzleimanagement im DAV,<br />

Referat 2 (Organisation und Haftung),<br />

Referatsleitung RAin Dr. Brigitte Borgmann<br />

bietet an:<br />

„Effektive Fristenorganisation unter<br />

Berücksichtigung neuester Rechtsprechung<br />

und <strong>de</strong>r organisatorischen Belange<br />

<strong>de</strong>r einzelnen Anwaltskanzlei“,<br />

Samstag, 5.7.2003, von 14 Uhr bis 17.15<br />

Uhr s.t., Anmeldung erfor<strong>de</strong>rlich, Zielgruppe:<br />

Rechtsanwälte, Teilnehmergebühr:<br />

50 Euro, dazugehörige Angestellte<br />

keine Gebühr.<br />

Vortrags- und Diskussionsreihe<br />

• 1.7.2003, 18 Uhr c.t.: „Der elan<strong>de</strong>stine<br />

Strafprozess – nachrichtendienstliche Ermittlungsmetho<strong>de</strong>n<br />

und ihre rechtsstaatlichen<br />

Schranken“, Bibliothek Institut für<br />

Rechtsphilosophie, Ludwigstr. 29/I, kostenlose<br />

Veranstaltung, keine Anmeldung<br />

erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Nähere Informationen: Institut für<br />

Anwaltsrecht, Ainmillerstr. 11, 80801<br />

München, Tel.: 0 89/34 02 94-76, Fax:<br />

0 89/ 34 02 94-78, E-Mail: info@anwaltsrecht.<strong>de</strong>,<br />

Internet: www.anwaltsrecht.<strong>de</strong>.<br />

Intensivkurs „Schweizerisches<br />

Recht“ v. 11. bis 13.<br />

September 2003 in Basel<br />

Die Deutsch-Schweizerische Juristenvereinigung<br />

(DSJV) führt in Kooperation mit<br />

<strong>de</strong>r DeutschenAnwaltAka<strong>de</strong>mie (DAA) v.<br />

11. bis 13. September 2003 in Basel <strong>de</strong>n<br />

„Intensivkurs Schweizerisches Recht“<br />

durch. Die Veranstaltung richtet sich insbeson<strong>de</strong>re<br />

an Juristen aus <strong>de</strong>r Praxis, die<br />

Interesse am <strong>de</strong>utsch-schweizerischen<br />

Rechtsverkehr haben. Themenschwerpunkte<br />

sind praxisrelevante Fragen aus<br />

<strong>de</strong>n Bereichen Vertrags-, Prozess-,<br />

Grundstücks-, Bank-, Nie<strong>de</strong>rlassungsund<br />

Erbrecht. Weitere Informationen<br />

zum Intensivkurs auf <strong>de</strong>r Homepage <strong>de</strong>r<br />

Deutsch-Schweizerischen Juristenvereinigung<br />

unter www.dsjv.ch.<br />

Pressemitteilung <strong>de</strong>r DSJV<br />

Vermischtes<br />

Deutscher Finanzgerichtstag<br />

e.V. gegrün<strong>de</strong>t – Neues<br />

Forum für Steuerrechtschutz<br />

und Steuergesetzgebung<br />

Der neugegrün<strong>de</strong>te Finanzgerichtstag<br />

e. V. mit Sitz in Köln nimmt in diesen<br />

Tagen unter seinem Präsi<strong>de</strong>nten Jürgen<br />

Brandt, Richter am BFH, seine Arbeit<br />

auf. Zu <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r neuen Vereinigung<br />

gehören u. a. <strong>de</strong>r Bund Deutscher<br />

Finanzrichterinnen und Finanzrichter<br />

und <strong>de</strong>r Verein <strong>de</strong>r Richterinnen<br />

und Richter am BFH, die jeweiligen<br />

Vorstandsmitglie<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>r Vereine mit<br />

ihren Vorsitzen<strong>de</strong>n Freiherr von<br />

Twickel und Dr. Weber-Grellet, die<br />

Präsi<strong>de</strong>ntin <strong>de</strong>s BFH Frau Dr. Ebling,<br />

die Arbeitsgemeinschaft <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nten<br />

<strong>de</strong>r FG, vertreten durch ihren Sprecher,<br />

<strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s FG Köln Dr.<br />

Schmidt-Troje und <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s<br />

FG Hamburg Dr. Grotheer. Zweck <strong>de</strong>s<br />

Vereins ist die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Steuerrechtschutzes<br />

und die Entwicklung <strong>de</strong>s<br />

Steuerrechts unter beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>s europäischen Einigungsprozesses.<br />

Diesem Ziel dient insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>de</strong>r Deutsche Finanzgerichtstag,<br />

<strong>de</strong>r erstmalig am 26. Januar<br />

2004 in Köln stattfin<strong>de</strong>n wird. Als wissenschaftliches<br />

Diskussionsforum zwischen<br />

Politik, Justiz, Verwaltung, Anwaltschaft<br />

und Steuerberaterschaft sollen<br />

mittel- und langfristige Konzepte in<br />

(Fortsetzung Seite XVI)


XVI Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 3/2003<br />

(Fortsetzung von Seite VIII)<br />

<strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>r Steuerjustiz und <strong>de</strong>r<br />

Gesetzgebung entwickelt und vorgestellt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Arbeitsergebnisse<br />

<strong>de</strong>r Tagung wer<strong>de</strong>n in Empfehlungen<br />

an Verwaltung und Gesetzgeber umgesetzt.<br />

<strong>Schwerpunkt</strong>themen <strong>de</strong>s ersten<br />

Steuergerichtstags sind u.a. die aktuelle<br />

Problematik <strong>de</strong>r Abgeltungssteuer<br />

und die Amnestie und das Thema Steuerrechtskultur,<br />

wobei insbeson<strong>de</strong>re die<br />

Themen Nichtanwendungserlasse und<br />

-gesetze und Bindung <strong>de</strong>r Verwaltung<br />

an Recht und Gesetz angesprochen<br />

wer<strong>de</strong>n sollen.<br />

Presseerklärung vom Bund Deutscher<br />

Finanzrichterinnen und Finanzrichter<br />

Competence Center<br />

E-Commerce – Freie Berufe<br />

Projekt<br />

Comecom ist eine fachspezifische und<br />

unabhängige Informationsstelle für alle<br />

Freiberufler, die sich über die Möglichkeiten<br />

<strong>de</strong>r Nutzung <strong>de</strong>r elektronischen<br />

Medien in ihrem jeweiligen Berufsfeld<br />

informieren, beraten und schulen lassen<br />

wollen. Durch <strong>de</strong>n Einsatz <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

lassen sich neue Märkte erschließen<br />

und Geschäftsprozesse optimieren.<br />

Comecom trägt <strong>de</strong>m Umstand<br />

Rechnung, dass Freiberufler beson<strong>de</strong>re<br />

berufsrechtliche Vorgaben bei <strong>de</strong>r Nutzung<br />

<strong>de</strong>r neuen Medien zu beachten haben.<br />

Durch die Beteiligung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverban<strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>r Freien Berufe als i<strong>de</strong>ellem<br />

Träger <strong>de</strong>s Projekts verfügt comecom<br />

über spezifisches Know-how im Bereich<br />

<strong>de</strong>r Freien Berufe.<br />

Angebot<br />

In Kooperation und Abstimmung mit <strong>de</strong>n<br />

jeweiligen Berufsorganisationen bietet<br />

comecom Informationsveranstaltungen,<br />

Seminare und Fachvorträge zu folgen<strong>de</strong>n<br />

Themen an:<br />

• Allgemeine Informationen über die<br />

Einsatzmöglichkeiten <strong>de</strong>r neuen Informations-<br />

und Kommunikationsmöglichkeiten<br />

und die Umsetzung in <strong>de</strong>r<br />

Praxis,<br />

• Kosten <strong>de</strong>r Einführung und Unterhaltung,<br />

verständliche Darstellung <strong>de</strong>r<br />

technischen Inhalte,<br />

• Informationen über Datensicherheit<br />

und -schutz,<br />

• Aktuelle Rechtslage unter beson<strong>de</strong>rer<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>r berufsrechtlichen<br />

Vorgaben.<br />

Aufgrund <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung durch das<br />

BMWA können die Veranstaltungen<br />

zu äußerst günstigen Konditionen angeboten<br />

wer<strong>de</strong>n. Weitere Informationen<br />

sind unter www.<strong>de</strong>r-freie-beruf.<strong>de</strong> abrufbar<br />

Kontakt<br />

„<strong>de</strong>r freie beruf“ Dienstleistungs- und<br />

Verlags GmbH, Herbert-Lewin-Str. 3,<br />

50931 Köln, Tel.: 02 21/82 04 24-0, Fax:<br />

02 21/8 20 42 44, comecom@<strong>de</strong>r-freieberuf.<strong>de</strong>


3/2003<br />

15. 6. 2003 34. Jahrgang<br />

Informationen<br />

zu Berufsrecht und<br />

Berufspolitik<br />

BRAK<br />

Mitteilungen<br />

Herausgeber<br />

BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER<br />

Akzente<br />

Reform, Beschleunigung und Mo<strong>de</strong>rnisierung<br />

Alles wird gut, alles wird besser. Je<strong>de</strong>nfalls in <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Justiz. Wir müssen nur unseren Justizpolitikern<br />

glauben.<br />

Die vergangene Legislaturperio<strong>de</strong> war die Zeit <strong>de</strong>r<br />

Reformen im Justizbereich. Je<strong>de</strong>nfalls hatte sich unsere<br />

frühere Bun<strong>de</strong>sjustizministerin das Wort „Reform“<br />

ganz groß auf ihre Fahnen geschrieben. Jetzt<br />

hören wir nicht mehr so viel von Reformen. Der<br />

Koalitionsvertrag sieht im Justizbereich nur eine<br />

Anpassung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsgesetzes an die verän<strong>de</strong>rten<br />

gesellschaftlichen Verhältnisse vor.<br />

Ohne neue Gesetze wird eine Justizministerin jedoch<br />

nicht wahrgenommen. Nur die Notarin <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>sregierung zu sein, wie es Prantl (Süd<strong>de</strong>utsche<br />

Zeitung vom 8.5.2003) befürchtet, reicht nicht.<br />

Wenn also schon nicht Reform, dann Mo<strong>de</strong>rnisierung.<br />

Und daher wer<strong>de</strong>n wir bald in <strong>de</strong>n Genuss<br />

eines (1.) Justizmo<strong>de</strong>rnisierungsgesetzes kommen.<br />

Mo<strong>de</strong>rnisierung ist gut. Aber was steht drin Vor<br />

allem Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Zivilprozeß-„Reform“ <strong>de</strong>r<br />

vergangenen Legislaturperio<strong>de</strong>. Sollte also wohl<br />

besser „Zivilprozessreformreparaturgesetz“ heißen.<br />

Das hört sich nur nicht gut an. Daher Mo<strong>de</strong>rnisierung.<br />

Das klingt viel schöner.<br />

Der schöne Klang ließ die CDU-Rechtspolitiker neidisch<br />

wer<strong>de</strong>n und sie beschlossen, die Regierung zu<br />

überholen mit einem (1.) Justizbeschleunigungsgesetz.<br />

Beschleunigung hört sich auch gut an. Sie darf<br />

nur nicht zu stark sein. Dann trägt sie einen aus <strong>de</strong>r<br />

Kurve. So wie hier: Auch die CDU ist mit <strong>de</strong>r Zivilprozessreform<br />

nicht einverstan<strong>de</strong>n. Sie will sie aber<br />

ausgerechnet dort zurücknehmen, wo die Anwaltschaft<br />

sie begrüßt hat, bei <strong>de</strong>r Dokumentationspflicht<br />

<strong>de</strong>s § 139 ZPO.<br />

Viel vertane Mühe also bei Mo<strong>de</strong>rnisierung und Beschleunigung.<br />

Der Eifer wäre besser angelegt gewesen<br />

bei <strong>de</strong>r Strukturreform <strong>de</strong>r Anwaltsvergütung.<br />

Diese liegt bekanntlich schon seit <strong>de</strong>r vergangenen<br />

Legislaturperio<strong>de</strong> – daher heißt sie auch Reform und<br />

nicht Mo<strong>de</strong>rnisierung – auf Hal<strong>de</strong>. Wie wäre es,<br />

wenn die Politiker hier <strong>de</strong>n Turbo zu ihrer Beschleunigung<br />

einschalten wür<strong>de</strong>n<br />

Wird wirklich alles gut, wird wirklich alles besser<br />

Bernhard Dombek<br />

Anmerkung <strong>de</strong>r Redaktion: weitere Informationen<br />

zum Justizmo<strong>de</strong>rnisierungsgesetz (BMJ) und zum<br />

Justizbeschleunigungsgesetz (CDU/CSU) sind unter<br />

www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong> zu fin<strong>de</strong>n.


98 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt Thierse eröffnete Ausstellung „Anwalt ohne Recht“<br />

Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt Thierse eröffnete Ausstellung „Anwalt ohne Recht –<br />

Schicksal jüdischer Rechtsanwälte nach 1933“:<br />

„Signal gegen Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung“<br />

Der Titel dieser Ausstellung klingt zunächst wie ein Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

in sich. „Anwalt ohne Recht“ – wie kann <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

zu ihrem Recht verhelfen, sie vor Willkür schützen soll, selbst<br />

rechtlos sein Dennoch hat es sie gegeben, die Anwälte ohne<br />

Recht – zu einer Zeit, als in unserem Lan<strong>de</strong> die Menschenrechte<br />

und die Menschenwür<strong>de</strong> mit Füßen getreten wur<strong>de</strong>n. Diese<br />

Ausstellung erinnert an eine Berufsgruppe, <strong>de</strong>ren Schicksal<br />

unter <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Gewaltherrschaft lange Zeit<br />

kaum Beachtung gefun<strong>de</strong>n hat: die jüdischen Rechtsanwälte.<br />

Schon im Kaiserreich waren es die freien Berufe gewesen, die<br />

von Deutschen jüdischen Glaubens bevorzugt ergriffen wur<strong>de</strong>n.<br />

Diese Entwicklung setzte sich auch in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Weimarer Republik<br />

fort. So war Anfang 1933 unter <strong>de</strong>n fast 20 000 Rechtsanwälten<br />

in Deutschland ein beträchtlicher Anteil jüdischer Juristen<br />

vertreten. Hier in Berlin waren es fast 60 %. Diese Rechtsanwälte<br />

gehörten zu <strong>de</strong>n ersten, die die Auswirkungen <strong>de</strong>s<br />

nationalsozialistischen Rassenwahns zu spüren bekamen. Am<br />

7. April 1933 erließen die neuen Machthaber das „Gesetz zur<br />

Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>s Berufsbeamtentums“ und das „Gesetz<br />

über die Zulassung jüdischer Rechtsanwälte“. Bei<strong>de</strong> Unrechts-<br />

Gesetze stellten <strong>de</strong>n formalrechtlichen Rahmen für alle Maßnahmen<br />

dar, mit <strong>de</strong>nen in <strong>de</strong>r Folge die jüdischen Juristen aus<br />

ihren Berufen verdrängt, <strong>de</strong>s Lebensunterhaltes für sich und ihre<br />

Familien beraubt wur<strong>de</strong>n.<br />

Doch zeichnete sich bereits im Frühjahr 1933 noch Schlimmeres<br />

ab. In verschie<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>utschen Städten wur<strong>de</strong>n jüdische Juristen<br />

bedroht, drangsaliert und öffentlich ge<strong>de</strong>mütigt. So kam es<br />

bereits am 11. März in Breslau zu physischer Gewalt durch die<br />

SA gegen Richter und Rechtsanwälte. In Oels, Gleiwitz, Görlitz<br />

und Königsberg wur<strong>de</strong>n Gerichtsgebäu<strong>de</strong> besetzt. In Köln – man<br />

muss sich das einmal bildhaft vorstellen – wur<strong>de</strong>n am 31. März<br />

jüdische Rechtsanwälte in Müllwagen durch die Stadt gefahren.<br />

Ein bedrücken<strong>de</strong>s Foto aus diesen Tagen zeigt einen Münchener<br />

Anwalt, <strong>de</strong>r sich über die unrechtmäßige Inhaftierung eines<br />

Mandanten beschwert hatte. Er wur<strong>de</strong> barfuß und mit abgeschnittenen<br />

Hosen durch die Straßen geführt, um <strong>de</strong>n Hals ein<br />

Schild gehängt, auf <strong>de</strong>m zu lesen war: „Ich wer<strong>de</strong> mich nie mehr<br />

bei <strong>de</strong>r Polizei beschweren.“ Anwälte ohne Recht – in <strong>de</strong>r Tat!<br />

Was sagten die Anwaltskammern, immerhin die Stan<strong>de</strong>sorganisationen<br />

<strong>de</strong>s Berufes, zu diesen entwürdigen<strong>de</strong>n Vorfällen Sie<br />

sagten – nichts. Es gab kaum Proteste und Wi<strong>de</strong>rspruch von <strong>de</strong>n<br />

nicht-jüdischen Kollegen. Nicht wenige von ihnen haben sogar<br />

von <strong>de</strong>r Verdrängung <strong>de</strong>r Konkurrenten profitiert. Und wenn<br />

sich die Kammern nicht freiwillig „gleichschalten“ ließen, wur<strong>de</strong>n<br />

sie unter Androhung von Gewalt dazu gebracht. Die nunmehr<br />

von <strong>de</strong>n Nationalsozialisten kontrollierten Anwaltskammern<br />

erließen sogleich neue Stan<strong>de</strong>sregeln wie das Sozietätsverbot<br />

von jüdischen und nicht-jüdischen Rechtsanwälten, das<br />

Verbot, jüdische Rechtsanwälte, die ihre eigenständige Zulassung<br />

verloren hatten, als Angestellte zu beschäftigen sowie das<br />

Verbot, jüdische Kanzleien zu kaufen bzw. zu verkaufen. In <strong>de</strong>n<br />

neu herausgegebenen Rechtsanwaltsverzeichnissen tauchten<br />

die Namen <strong>de</strong>r jüdischen Rechtsanwälte gar nicht mehr auf.<br />

Auch alle Rechtskandidaten und Rechtsreferendare durften ihre<br />

Ausbildung nicht been<strong>de</strong>n.<br />

Im September 1938 wur<strong>de</strong> dann <strong>de</strong>n letzten jüdischen Rechtsanwälten,<br />

insgesamt nur noch 1753, die Zulassung entzogen.<br />

Lediglich 173 Personen erhielten eine neue Zulassung – nicht<br />

mehr als Rechtsanwalt, son<strong>de</strong>rn als so genannter „Konsulent“.<br />

Aber die Lingua Tertii Imperii hat einen noch entlarven<strong>de</strong>ren<br />

Ausdruck hervorgebracht. Das Reichsgericht stellte in einem<br />

Urteil einen jüdischen Deutschen rechtlos, in<strong>de</strong>m es ihm die<br />

Eigenschaften eines eigenständigen Rechtssubjektes absprach<br />

und dies mit einer Rechtsfigur <strong>de</strong>s angeblich eingetretenen „bürgerlichen<br />

To<strong>de</strong>s“ begrün<strong>de</strong>te – ein ungewollt verräterischer Ausdruck.<br />

Schließlich folgte <strong>de</strong>r völligen Entrechtung, <strong>de</strong>m aktenmäßig<br />

vollzogenen „bürgerlichen Tod“ in vielen Fällen <strong>de</strong>r physische<br />

Tod, die Ermordung. Theresienstadt, Auschwitz und<br />

an<strong>de</strong>re Vernichtungslager sind mit dieser furchtbaren Unrechts-<br />

Justiz untrennbar verbun<strong>de</strong>n.<br />

Es hat über fünfzig Jahre gedauert – viel zu lange –, bis die Stan<strong>de</strong>svertretung<br />

<strong>de</strong>r Rechtsanwälte das Schicksal ihrer jüdischen<br />

Kolleginnen und Kollegen in <strong>de</strong>r NS-Zeit in <strong>de</strong>n Blick gerückt,<br />

ihrer Entrechtung, Verfolgung, ihres Lei<strong>de</strong>s gedacht hat. Sie,<br />

Herr Dombek, haben offen von <strong>de</strong>r „Scham über das (...) Versagen“<br />

Ihrer Stan<strong>de</strong>sorganisation gesprochen – und sich für die<br />

Aufarbeitung <strong>de</strong>s Geschehenen eingesetzt. Aus historischen Untersuchungen<br />

und einer ersten Ausstellung über jüdische Anwälte<br />

in Berlin ist diese Wan<strong>de</strong>rausstellung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

und <strong>de</strong>s Deutschen Juristentages über das<br />

Schicksal jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933 hervorgegangen.<br />

Seit September 2000 ist sie in zahlreichen <strong>de</strong>utschen<br />

Städten zu sehen und hat viel Interesse gefun<strong>de</strong>n. Die umsichtig<br />

ausgewählten Bild- und Wortdokumente lassen das Grauen<br />

<strong>de</strong>s Rassenwahns konkret wer<strong>de</strong>n. Die sorgfältig rekonstruierten<br />

Biographien machen das Schicksal einzelner Anwältinnen und<br />

Anwälte sichtbar. Diese Ausstellung will <strong>de</strong>n vertriebenen und<br />

ermor<strong>de</strong>ten jüdischen Anwälten wenigstens posthum einen Teil<br />

ihrer Wür<strong>de</strong> zurückgeben, die ihnen ein menschenverachten<strong>de</strong>s<br />

Regime mit allen Mitteln zu nehmen versuchte.<br />

Ich bin froh darüber, dass diese Wan<strong>de</strong>rausstellung nun im<br />

Deutschen Bun<strong>de</strong>stag zu sehen ist, an einem zentralen Ort unserer<br />

parlamentarischen Demokratie, die sich in Artikel 1 Abs. 1<br />

unseres Grundgesetzes <strong>de</strong>r Unantastbarkeit <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong>s<br />

Menschen verpflichtet hat. Diese unveräußerliche Wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong>s<br />

Menschen muss immer wie<strong>de</strong>r aufs Neue geschützt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratische<br />

Rechtsstaat heute und morgen gegen seine Fein<strong>de</strong> verteidigt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die historische Ausstellung „Anwalt ohne<br />

Recht“ setzt <strong>de</strong>shalb zugleich ein Signal gegen je<strong>de</strong> Form <strong>de</strong>r<br />

Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen – bei<br />

uns und an<strong>de</strong>rswo. Die Lebens- und Lei<strong>de</strong>nsgeschichten, die<br />

diese Exponate erzählen, rütteln auf, erinnern eindringlich an<br />

die Verantwortung je<strong>de</strong>s Einzelnen von uns.<br />

Berufs- und Stan<strong>de</strong>sorganisationen dürfen nicht schweigen,<br />

wenn ihre Mitglie<strong>de</strong>r diskriminiert wer<strong>de</strong>n. Aufgabe von Justiz<br />

und Politik ist es, zu verhin<strong>de</strong>rn, dass unser Rechtssystem jemals<br />

wie<strong>de</strong>r zu Unrecht pervertiert wer<strong>de</strong>n kann. Und natürlich for<strong>de</strong>rt<br />

die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m dunkelsten Kapitel unserer<br />

Geschichte alle Demokraten auf, schon <strong>de</strong>n Anfängen von<br />

Ausgrenzungen und Stigmatisierungen in unserer Gesellschaft<br />

entgegenzuwirken – wo immer sie sich zeigen und gegen wen<br />

auch immer sie gerichtet sind: An<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>, An<strong>de</strong>rsgläubige,<br />

An<strong>de</strong>rsleben<strong>de</strong>. Wachsam zu sein und bereits <strong>de</strong>n Anfängen<br />

zu wehren – dazu vor allem ruft diese Ausstellung auf. Ich<br />

wünsche ihr viele Besucherinnen und Besucher.


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 99<br />

Dombek, Begrüßungsworte zur Ausstellungseröffnung „Anwalt ohne Recht“<br />

Begrüßungsworte Dr. Bernard Dombek zur Ausstellungseröffnung<br />

„Anwalt ohne Recht“ im Paul-Löbe-Haus<br />

Sehr geehrter Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt,<br />

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,<br />

sehr geehrte Frau Bun<strong>de</strong>sjustizministerin,<br />

meine Damen und Herren,<br />

liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

nur eine Liste sollte es sein. Das wünschte ein israelischer Kollege<br />

bei einem Besuch <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Tel Aviv bei<br />

<strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Berlin im Jahre 1995.<br />

Nur eine Liste, eine Liste <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Anwaltschaft ausgeschlossenen<br />

Anwälte, mit ihren Namen, vielleicht, wenn bekannt,<br />

ihren letzten Anschriften, einigen Hinweisen auf ihr individuelles<br />

Schicksal.<br />

Eine Liste als Zeichen, dass die vertriebenen jüdischen Rechtsanwälte<br />

nicht vergessen wer<strong>de</strong>n und nicht das vergessen wird,<br />

was sie erlitten haben.<br />

Diese Liste zu erstellen, sei unmöglich, sagten uns die, die sich<br />

mit <strong>de</strong>m Thema bereits wissenschaftlich beschäftigt hatten. Die<br />

Akten <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Berlin seien verbrannt. Die<br />

Liste wer<strong>de</strong> zu große Lücken aufweisen. Nur einzelnen Schicksalen<br />

könne man nachgehen und das sei bereits geschehen.<br />

Damit wollten wir uns nicht abfin<strong>de</strong>n. Wir fan<strong>de</strong>n Simone Ladwig-Winters.<br />

Wir beauftragten sie, die Liste zu versuchen. Zu<br />

unserer Überraschung gelang es ihr, die Liste <strong>de</strong>r nach 1933 verfolgten<br />

Rechtsanwälte nahezu vollständig zu erstellen. Es ist<br />

nicht bei <strong>de</strong>r Liste geblieben. Sie wur<strong>de</strong> begleitet von einer umfangreichen<br />

Dokumentation darüber, wie es zu <strong>de</strong>r Vertreibung<br />

kam. Die Rechtsanwaltskammer Berlin hat Liste und Dokumentation<br />

als ein Buch „Anwalt ohne Recht“, verfasst von Simone<br />

Ladwig-Winters, herausgegeben. Folge <strong>de</strong>s Buches war eine<br />

Ausstellung, die am 30.11.1998 durch die Rechtsanwaltskammer<br />

Berlin im Centrum Judaicum in Berlin eröffnet wur<strong>de</strong>. Als<br />

ich Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer wur<strong>de</strong>, wollte<br />

ich, dass sich nicht nur die Berliner Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte ihrer nach 1933 ausgestoßenen und getöteten<br />

jüdischen Kollegen erinnerten. Ich wollte, dass man sich möglichst<br />

überall in Deutschland an die Anwälte ohne Recht erinnert.<br />

Viele <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Rechtsanwaltskammern sind unserer Anregung<br />

gern gefolgt. Entschei<strong>de</strong>nd aber war, dass wir mit <strong>de</strong>m<br />

Deutschen Juristentag <strong>de</strong>n Partner gefun<strong>de</strong>n haben, <strong>de</strong>r uns half,<br />

<strong>de</strong>r Ausstellung die Beachtung zu verschaffen, die sie verdient.<br />

Sie wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r jetzigen Form erstmals auf <strong>de</strong>m 63. Deutschen<br />

Juristentag in Leipzig vor etwas mehr als zwei Jahren gezeigt.<br />

Was ist das Beson<strong>de</strong>re an dieser Ausstellung<br />

Ich glaube, es sind die Einzelschicksale, die in ihr enthalten<br />

sind, die uns beeindrucken. Sie stehen auch im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>r<br />

Ausstellung. Wenn wir erfahren, dass etwa ein Viertel <strong>de</strong>r Berliner<br />

Anwälte jüdischer Herkunft umgebracht wor<strong>de</strong>n ist, so nehmen<br />

wir diese Zahl nur zur Kenntnis. Einen moralischen Schock<br />

verschafft sie uns nicht. Dieser Schock kommt nur aus je<strong>de</strong>m individuellen<br />

Schicksal. Der einzelne Tod berührt uns, und <strong>de</strong>swegen<br />

ist es wichtig, dass wir von vielen Einzelschicksalen erfahren,<br />

nicht nur von berühmten Rechtsanwälten, <strong>de</strong>ren Namen<br />

in <strong>de</strong>r Juristenwelt noch heute je<strong>de</strong>rmann kennt. Wir erfahren<br />

auch vom Schicksal <strong>de</strong>s einfachen, normalen, nicht berühmten<br />

Rechtsanwalts. Auch er soll nicht vergessen wer<strong>de</strong>n.<br />

Es bleiben Fragen offen, auch nach dieser Ausstellung. Eine dieser<br />

offenen Fragen ist:<br />

Wie war die Reaktion <strong>de</strong>r nichtjüdischen Anwälte auf die willkürliche<br />

Ausgrenzung eines Teils ihrer Kollegen Von solidarischem<br />

Vorgehen gegen die Berufsverbote ist nichts bekannt. Einzelne<br />

gab es, die sich, wie Adolf Arndt es nannte, „anständig“<br />

verhielten. Von einem wissen wir genau, dass er sich „anständig“<br />

verhielt. Es war kein Anwalt, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r so genannte „Anwaltsbeamte“<br />

am Landgericht Willi Naatz. Er bewahrte <strong>de</strong>n<br />

Kontakt zu <strong>de</strong>n beruflich und gesellschaftlich Ausgegrenzten. Er<br />

legte ein Fotoalbum mit Passfotos von ihm bekannten jüdischen<br />

Anwälten an. Er wollte ein An<strong>de</strong>nken bewahren. Das ist ihm gelungen.<br />

Sein Fotoalbum ist einer <strong>de</strong>r Mittelpunkte <strong>de</strong>r Ausstellung.<br />

Eine Seite aus diesem Fotoalbum ist auch in <strong>de</strong>r Einladung<br />

zur Ausstellung abgebil<strong>de</strong>t.<br />

Auch das Verhalten <strong>de</strong>r nichtjüdischen Rechtsanwälte und die<br />

Rolle <strong>de</strong>r Anwaltsorganisationen wur<strong>de</strong> jetzt untersucht. Diese<br />

Untersuchung hat gezeigt, dass die meisten <strong>de</strong>r nichtjüdischen<br />

Rechtsanwälte nur allzu bereit waren, bei <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>r<br />

bürgerlichen Existenz ihrer Kollegen (das Wort Kollege kann<br />

man in diesem Zusammenhang kaum in <strong>de</strong>n Mund nehmen)<br />

mitzumachen o<strong>de</strong>r diese Vernichtung wenigstens wohlwollend<br />

zu billigen. Und das waren keine Jugendlichen mit kurzgeschorenen<br />

Haaren und Springerstiefeln, son<strong>de</strong>rn gebil<strong>de</strong>te, gut situierte<br />

Menschen wie wir hier.<br />

Eine weitere offene Frage:<br />

Wie konnte es kommen, dass diese Ausstellung erst über 60<br />

Jahre nach <strong>de</strong>m Geschehen stattfin<strong>de</strong>t, zu einer Zeit, wo es praktisch<br />

keine Zeitzeugen mehr gibt<br />

Diese Frage muss beschämend offen bleiben. Erklärungen und<br />

Rechtfertigungsversuche mag es geben. Es erschiene mir jedoch<br />

peinlich, diese hier vorzutragen.<br />

Dennoch sind wir zufrie<strong>de</strong>n darüber, dass es uns gemeinsam mit<br />

<strong>de</strong>m Deutschen Juristentag gelungen ist, heute diese Ausstellung<br />

auch im Paul-Löbe-Haus <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages präsentieren<br />

zu können. Ihnen, sehr geehrter Herr Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt,<br />

darf ich dafür sehr herzlich danken. Ganz beson<strong>de</strong>rs danken wir<br />

auch dafür, dass Sie diese Ausstellung mit eröffnen.<br />

Keiner von <strong>de</strong>nen, die dabei waren, als unser israelischer Anwaltskollege<br />

<strong>de</strong>n Wunsch nach <strong>de</strong>r Liste äußerte, hätte sich vorstellen<br />

können, was aus diesem Wunsch gewor<strong>de</strong>n ist.<br />

Nicht nur eine Liste: ein Buch.<br />

Nicht nur ein Buch. Neben <strong>de</strong>n Berlinern haben auch die Potsdamer<br />

und die Bochumer Juristen sich ihrer jüdischen Kollegen<br />

erinnert und Bücher herausgegeben.<br />

Aus <strong>de</strong>r Liste wur<strong>de</strong>n aber nicht nur Bücher, son<strong>de</strong>rn Ausstellungen.<br />

Niemand hätte gedacht, dass die Ausstellung einmal auch im<br />

Deutschen Bun<strong>de</strong>stag gezeigt wür<strong>de</strong>. Mir scheint es an <strong>de</strong>r Zeit,<br />

auch <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s israelischen Anwalts zu sagen, <strong>de</strong>r die<br />

Liste wünschte.<br />

Lieber Joel Levi, Du warst es, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer<br />

Berlin die Liste wünschte. Ich <strong>de</strong>nke, auch Du kannst zufrie<strong>de</strong>n<br />

sein mit <strong>de</strong>m, was aus Deinem Wunsch gewor<strong>de</strong>n ist. Es bedurfte<br />

aber dieses Wunsches. Dafür danken wir Dir sehr.


100 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Kirchhof, Anwalt ohne Recht – Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933<br />

Eine Frau hat erst die Berliner, dann die <strong>de</strong>utschen Rechtsanwälte<br />

bei <strong>de</strong>m Projekt „Anwalt ohne Recht“ von Anfang an<br />

begleitet. Von <strong>de</strong>r Liste über das Buch über die ersten Ausstellungen<br />

bis heute.<br />

Simone Ladwig-Winters.<br />

Ohne sie, die Nicht-Anwältin, hätten wir das alles nicht geschafft.<br />

Ohne uns bei Ihnen dafür zu bedanken, dürfte ich nicht<br />

von diesem Pult weggehen. Wir hoffen, dass Sie uns weiterhin<br />

helfen. Die Reaktionen auf das Buch und die Ausstellungen sind<br />

groß und vielfältig. Wir haben viel Neues erfahren, was bisher<br />

noch nicht aufgeschrieben ist. Das wollen wir tun. Mit Ihrer<br />

Hilfe, Frau Ladwig-Winters.<br />

Begrüßungsworte Andreas Schmidt zur Ausstellungseröffnung<br />

„Anwalt ohne Recht“ im Paul-Löbe-Haus<br />

Herr Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt,<br />

Herr Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer Dr. Dombek,<br />

meine sehr verehrten Damen und Herren!<br />

Ich will zunächst ein Wort <strong>de</strong>s Dankes sagen an die Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

und an <strong>de</strong>n Deutschen Juristentag für die<br />

Durchführung dieser Ausstellung: „Anwalt ohne Recht. Schicksale<br />

jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933“ hier im Paul-<br />

Löbe-Haus <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages.<br />

Ich bedanke mich auch sehr dafür, dass Sie mich als Vorsitzen<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>s Rechtsausschusses eingela<strong>de</strong>n haben, ein Wort <strong>de</strong>r Begrüßung<br />

zu dieser Ausstellungseröffnung zu sagen.<br />

Die Menschenverachtung <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Barbarei<br />

war so abgrundtief, dass es immer wie<strong>de</strong>r ein moralisches<br />

Gebot sein wird, entgegen einer latenten Stimmung <strong>de</strong>s Verdrängens<br />

und <strong>de</strong>s Vergessens, menschliche Schicksale dieser<br />

Zeit zu dokumentieren und zu zeigen, um sie als Erinnerung<br />

und Mahnung auch für kommen<strong>de</strong> Generationen wachzuhalten.<br />

In diesem Sinne ist die Ausstellung als Erinnerung und Mahnung<br />

ein wichtiger Beitrag. Gera<strong>de</strong> das Schicksal <strong>de</strong>r jüdischen Anwälte<br />

nach 1933 fokussiert die Pervertierung rechtsstaatlicher<br />

Prinzipien innerhalb <strong>de</strong>s nationalsozialistischen Unrechtssystems.<br />

Rechtschaffene Advokaten, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte,<br />

die in <strong>de</strong>r Berufung stan<strong>de</strong>n, an<strong>de</strong>ren Menschen zu ihrem<br />

Recht zu verhelfen, sind vollständig entrechtet wor<strong>de</strong>n, nur weil<br />

sie jüdischer Abstammung waren.<br />

Das gegen sie verhängte Berufsverbot war nur <strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>s<br />

Schreckens. Fast alle verloren ihre Heimat, viele Kolleginnen<br />

und Kollegen verloren ihr Leben.<br />

1933 stürmten in vielen <strong>de</strong>utschen Städten SA- und SS-Schergen<br />

Gerichts- und Justizgebäu<strong>de</strong> und trieben jüdische Rechtsanwälte<br />

und Richter aus Beratungszimmern und Sitzungssälen.<br />

Ich erinnere an einen beson<strong>de</strong>rs menschenverachten<strong>de</strong>n Vorgang,<br />

<strong>de</strong>r sich 1933 in Köln ereignet hat. Dort wur<strong>de</strong>n jüdische<br />

Juristen aus einem Justizgebäu<strong>de</strong> heraus auf einen offenen Müllwagen<br />

gezwungen und zur öffentlichen Schaustellung durch die<br />

Stadt gefahren.<br />

Wenn man sich dieses Unvorstellbare, aber Geschehene, das<br />

Unglaubliche, aber doch Realität Gewesene immer wie<strong>de</strong>r vor<br />

Augen führt, ist es für uns unvorstellbar und unglaublich, dass –<br />

wie es diese Ausstellung im Negativen dokumentiert – kein Wort<br />

<strong>de</strong>s Protestes <strong>de</strong>r Kollegen nichtjüdischer Abstammung überliefert<br />

ist. Niemand hat sie offensichtlich verteidigt, niemand hat<br />

sich öffentlich empört, kein Anwaltskollege hat sich gegen das<br />

offen zur Schau gestellte Unrecht gestellt.<br />

Viele mögen sich eingeschüchtert und machtlos gefühlt haben<br />

– aber wirklich alle aus <strong>de</strong>r so genannten Justizelite; wirklich<br />

alle Kollegen <strong>de</strong>r jüdischen Anwälte<br />

Unter <strong>de</strong>n hier dokumentierten menschlichen Schicksalen aus<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Anwaltschaft befin<strong>de</strong>n sich auch einige bekannte<br />

Reichstags- und Landtagsabgeordnete. Deshalb ist es nicht nur<br />

gut und wichtig, dass es diese Dokumentation und Ausstellung<br />

gibt: es ist <strong>de</strong>shalb auch gut und angemessen, dass diese Ausstellung<br />

hier im Paul-Löbe-Haus, also in einem Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Deutschen Bun<strong>de</strong>stages, stattfin<strong>de</strong>t.<br />

Anwalt ohne Recht<br />

Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933<br />

Professor Dr. Paul Kirchhof<br />

Wenn wir die Frage nach <strong>de</strong>r Gerechtigkeit stellen, wird uns<br />

sehr bald bewusst, dass wir das Unrecht im Konkreten meist verlässlich<br />

bestimmen können, die Frage <strong>de</strong>r Gerechtigkeit aber oft<br />

ohne präzise Antwort bleibt. Dem Juristen geht es bei diesem<br />

Bemühen ähnlich wie <strong>de</strong>m Arzt bei <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>r Gesundheit:<br />

Dieser weiß, was eine Krankheit ist und wie diese therapiert<br />

wer<strong>de</strong>n muss, wird aber eine allgemeine Definition <strong>de</strong>r<br />

Gesundheit allenfalls im Prinzipiellen an<strong>de</strong>uten.<br />

Deshalb rufen wir uns das historisch erlebte Unrecht ins<br />

Bewusstsein und tragen dadurch zur Rechtskultur <strong>de</strong>r Gegenwart<br />

bei. Die Ausstellung „Anwalt ohne Recht“, die uns das<br />

Schicksal jüdischer Rechtsanwälte nach 1933 gegenwärtig<br />

macht, erfüllt eine weitergreifen<strong>de</strong> Aufgabe: Die <strong>de</strong>s Erinnerns<br />

an die betroffenen Menschen; das Bewusstmachen <strong>de</strong>s Verlustes<br />

von Menschen und ihren juristischen Kapazitäten, <strong>de</strong>r<br />

noch nach Jahrzehnten nachwirkt; <strong>de</strong>r Versuch eines Ver-


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 101<br />

Kirchhof, Anwalt ohne Recht – Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933<br />

stehens und die stets erfor<strong>de</strong>rliche Vergewisserung über unsere<br />

Gegenwart.<br />

1. Erinnern<br />

Wenn wir uns heute aller damals ausgegrenzten jüdischen Anwälte<br />

erinnern und ihr weiteres Schicksal – das Bedrohen, das<br />

Verächtlichmachen, das Vertreiben und die Ermordung – vor Augen<br />

führen, so ist dieses Erinnern zunächst Ausdruck einer Verbun<strong>de</strong>nheit.<br />

Wir alle haben kaum noch einen <strong>de</strong>r vor fast sechzig<br />

und siebzig Jahren Betroffenen persönlich gekannt, können<br />

uns aber gera<strong>de</strong> als Juristen lebhaft in die Lage <strong>de</strong>rer versetzen,<br />

die ihren Beruf <strong>de</strong>r Pflege <strong>de</strong>s Rechts in Deutschland gewidmet<br />

haben, nun aber erfahren müssen, dass <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Staat o<strong>de</strong>r<br />

diejenigen, die sich dieses Staates bemächtigt haben, Recht und<br />

Hoheitsgewalt einsetzen, um extremes Unrecht zuzufügen.<br />

Wenn wir sehen, wie ein Anwalt, <strong>de</strong>r lediglich von einem Rechtsbehelf<br />

Gebrauch gemacht hat, <strong>de</strong>swegen öffentlich entblößt und<br />

bloßgestellt wird; wie ein Strafverteidiger, <strong>de</strong>r einem Angeklagten<br />

sein Recht auf Verteidigung gibt, <strong>de</strong>shalb die Zulassung verliert;<br />

wie ein Mensch, allein weil er eine persönlichkeitsbestimmen<strong>de</strong><br />

Eigenart hat, vernichtet wird; wie ein von <strong>de</strong>r Weimarer<br />

Verfassung auf Menschenwür<strong>de</strong> und rechtstaatliche Demokratie<br />

ausgerichteter Staat seine Gewalt zu einem Instrument <strong>de</strong>r Vernichtung<br />

wer<strong>de</strong>n lässt, so erlebt <strong>de</strong>r Jurist von heute noch mehr<br />

ein Stück Mitbetroffenheit, weil er in einer vergleichbaren – Menschenwür<strong>de</strong>,<br />

freiheitliche Demokratie, Rechts- und Gerichtsschutz<br />

– verheißen<strong>de</strong>n Rechtsordnung arbeitet und dieses in <strong>de</strong>r<br />

Gewissheit zu tun glaubt, dass die verfassungsrechtliche Unabän<strong>de</strong>rlichkeitsgarantie<br />

diese Offenheit <strong>de</strong>r Rechtsordnung für<br />

die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s einzelnen Menschen wie für das Humanum unserer<br />

Rechtskultur auf Dauer verlässlich sichert.<br />

Kernanliegen dieser Ausstellung ist es aber, die Mitbetroffenheit<br />

mit je<strong>de</strong>m Schicksal <strong>de</strong>s einzelnen Menschen zu vermitteln. Wir<br />

wissen nicht, ob und wie dieses rückschauen<strong>de</strong> Miterleben persönlicher<br />

Schicksale die damals Betroffenen erreicht und ihren<br />

Verwandten und Nachkommen noch Trost zu spen<strong>de</strong>n vermag.<br />

Es gehört aber zu unserer Rechtskultur, dass wir <strong>de</strong>n Betroffenen<br />

im Gedächtnis nahe, in <strong>de</strong>r Erinnerung verbun<strong>de</strong>n und in <strong>de</strong>n<br />

Rechtsi<strong>de</strong>alen zugehörig bleiben.<br />

2. Verlust<br />

Sodann erfahren wir in <strong>de</strong>r Ausstellung, welch großen Verlust<br />

das Recht und seine Entwicklung durch die damalige Verfolgung<br />

erlitten hat. Recht lebt in seinen Werten und Normen, erzielt<br />

aber seine konkreten Wirkungen durch die Menschen, die diesem<br />

Recht dienen.<br />

Wir lesen die Namen <strong>de</strong>r Anwälte, die damals getötet und vertrieben<br />

wor<strong>de</strong>n sind, und treffen auf herausragen<strong>de</strong> Kapazitäten<br />

<strong>de</strong>r Rechtspolitik, <strong>de</strong>r Rechtswissenschaft und <strong>de</strong>r anwaltschaftlichen<br />

Rechtspflege, aber auch auf die Schicksale jener Anwälte,<br />

die mit ihrer Aufmerksamkeit für <strong>de</strong>n alltäglichen Fall – <strong>de</strong>n kleinen<br />

Diebstahl, das Mietrechtsverhältnis o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Familienstreit –<br />

<strong>de</strong>n Humus <strong>de</strong>s Rechts immer wie<strong>de</strong>r gelockert, gepflegt und erneuert<br />

haben. Zu <strong>de</strong>n hochangesehenen Juristen darf ich zwei<br />

Beispiele nennen: Ich habe über das Leben und das Werk von Albert<br />

Hensel, <strong>de</strong>m großen Steuerjuristen, publiziert und dabei intensiv<br />

erfahren, dass wir in diesem großen Gelehrten und nach<strong>de</strong>nklichen<br />

Menschen eine be<strong>de</strong>utsame Stimme verloren haben,<br />

die für die Entwicklung dieses Rechtes weiterhin von richtunggeben<strong>de</strong>r<br />

Be<strong>de</strong>utung hätte sein können. Die Deutsche Steuerjuristische<br />

Gesellschaft benennt ihren wissenschaftlichen Nachwuchspreis<br />

noch heute nach Albert Hensel. Vor wenigen Jahren<br />

habe ich ein Buch von Siegfried Moses, 1944 in Tel Aviv erstmals<br />

publiziert, in <strong>de</strong>utscher und in englischer Sprache erneut mitherausgegeben<br />

und dabei erfahren, dass dieser weitsichtige Beobachter<br />

<strong>de</strong>s Zeitgeschehens die zukünftige Entwicklung<br />

Deutschlands <strong>de</strong>utlich vorausgesehen, daraus rechtliche Folgerungen<br />

gezogen und so schon damals – 1944 – in <strong>de</strong>r extremen<br />

Krise Überlegungen zur nachherigen Erneuerung angestellt hat.<br />

Wenn eine Rechtsgemeinschaft gera<strong>de</strong> im Unrecht auf diese<br />

Kulturträger angewiesen ist und sie diese <strong>de</strong>nnoch abrupt verliert,<br />

dieser Verlust dann auch bei <strong>de</strong>m letztlich gelungenen<br />

Neuaufbau <strong>de</strong>s Rechtsstaates wirksam bleibt, so bedrängt uns<br />

beklommen die Frage nach <strong>de</strong>r Vermeidbarkeit dieses Verlustes,<br />

damit nach <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsfunktion <strong>de</strong>s Rechts, ein Begriff, in <strong>de</strong>m<br />

einerseits die Umfriedung <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>s Einzelnen, <strong>de</strong>r Sicherung<br />

seiner Wür<strong>de</strong> und Freiheit mitklingt, an<strong>de</strong>rerseits aber auch<br />

die Freu<strong>de</strong> angesprochen ist, in <strong>de</strong>r sich die Rechtsgemeinschaft<br />

im Selbstbewusstsein ihrer rechtlichen I<strong>de</strong>ale zusammenfin<strong>de</strong>t<br />

und als <strong>de</strong>mokratische Gemeinschaft vertieft. Das Verlorene ist<br />

unwie<strong>de</strong>rbringlich, enthält aber <strong>de</strong>n Auftrag, <strong>de</strong>n Beitrag für<br />

das Recht, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Verfolgten zu erwarten gewesen wäre,<br />

durch Doppelanstrengung <strong>de</strong>r jetzt Rechtsverantwortlichen annähernd<br />

zu ersetzen und die Vorkehrungen für eine nunmehr<br />

verlässliche Bewährungskraft <strong>de</strong>s Rechts für Gegenwart und Zukunft<br />

zu verstärken.<br />

3. Versuch <strong>de</strong>s Verstehens<br />

Die Ausstellung dokumentiert die Schicksale <strong>de</strong>r Betroffenen, und<br />

dieses in <strong>de</strong>r Sachlichkeit <strong>de</strong>r Namen, <strong>de</strong>r Porträts, <strong>de</strong>r Daten,<br />

auch in zeithistorischen Dokumenten und Bil<strong>de</strong>rn, die uns jeweils<br />

die Biographie eines Menschen und seine Tragik an<strong>de</strong>uten.<br />

Wir belassen es bei dieser Form <strong>de</strong>r Darstellung, machen nicht<br />

<strong>de</strong>n Versuch, das Unsägliche zu sagen, das Nichtbegreifbare in<br />

Begriffe zu fassen. All das wären Wege, die ein Verstehen verhin<strong>de</strong>rn.<br />

Die gesamte Ausstellung aber bedrängt uns in <strong>de</strong>r Frage<br />

nach <strong>de</strong>m Warum.<br />

Der Historiker Thomas Nipper<strong>de</strong>y lehrt uns, die Ju<strong>de</strong>nverfolgung<br />

nicht vom Ergebnis – von Auschwitz her – zu verstehen,<br />

sie vielmehr in ihren Anfängen 1932/1933 zu würdigen, als eine<br />

Massenvernichtung – wie er sagt – noch un<strong>de</strong>nkbar schien. Deswegen<br />

richten wir unseren Blick auf die damalige Armut, die politische<br />

Enttäuschung, die persönliche Bitterkeit, oft auch Überlebenskampf<br />

und Sinnzweifel. Alles das erklärt aber nicht,<br />

warum eine Kultur mit <strong>de</strong>r Sprache von Goethe und Schiller, mit<br />

<strong>de</strong>r Musik von Bach und Mozart, mit <strong>de</strong>m I<strong>de</strong>alismus eines Kant<br />

und Schelling so elementar ihre Handlungsmaßstäbe verlieren<br />

konnte.<br />

Die damalige Kunst zeigt oft das Ausweglose, <strong>de</strong>n verzehrten<br />

Menschen, scheint eher in dieser Problemsicht verharren und<br />

weniger Lösungen an<strong>de</strong>uten zu wollen, scheint vielfach auch zu<br />

zögern, sich das Schöne, das Zeitlose, historische I<strong>de</strong>ale zu erschließen.<br />

Eine Unsicherheit in eigenen Werten, eine Ungewissheit<br />

über die eigene Person und <strong>de</strong>n Staat dürften <strong>de</strong>n Schritt für<br />

eine Ausgrenzung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren, <strong>de</strong>s Frem<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>s persönlich<br />

nicht so Vertrauten för<strong>de</strong>rn. Wenn wir die Verzweiflungsrufe<br />

über <strong>de</strong>n damaligen Nie<strong>de</strong>rgang <strong>de</strong>s Staates, <strong>de</strong>r Relativierung<br />

<strong>de</strong>r Werte heute lesen, beobachten wir eine geistige Ausgangssituation,<br />

die das Unbegreifliche nicht erklärt, uns aber die Anfälligkeit<br />

auch einer freiheitlichen Grundordnung <strong>de</strong>utlich zeigt.<br />

Unsere Ausstellung bleibt <strong>de</strong>shalb eine Frage, die keinen mit<br />

wohlfeilen Antworten entlässt. Diese Ausstellung ist beunruhigend,<br />

drängt aus ruhiger Gewissheit.<br />

4. Folgerungen für die Gegenwart<br />

Wenn wir nach <strong>de</strong>n historischen Lehren aus <strong>de</strong>r Zeit von 1933<br />

bis 1945 fragen, so sage ich meinen Stu<strong>de</strong>nten zunächst immer


102 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Ladwig-Winters, Gebrochene Karrieren und Lebenswege. Zum Schicksal jüdischer Anwälte nach 1933<br />

mit Nachdruck, die Tatsache, dass sie in Deutschland geboren<br />

seien, mache sie selbstverständlich nicht eher zu Verbrechern<br />

als einen in an<strong>de</strong>ren Regionen <strong>de</strong>r Welt geborenen Menschen.<br />

Die Lehre von <strong>de</strong>n universalen Menschenrechten bün<strong>de</strong>lt die<br />

Kulturerfahrung, dass je<strong>de</strong>r Mensch in prinzipiell gleichen Begabungen<br />

und Fähigkeiten sich gleich entfalten kann. Unser<br />

Grundgesetz als Gedächtnis unserer Demokratie bestätigt dieses<br />

ausdrücklich. Je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re Lehre wäre falsch und nähme<br />

<strong>de</strong>m jungen Menschen auch das Vertrauen in diese unsere freiheitliche<br />

Demokratie, das er nur gewinnen kann, wenn er sich<br />

selbst, <strong>de</strong>m freien Menschen, und damit <strong>de</strong>r Rechtsgemeinschaft,<br />

vertrauen darf.<br />

Zu<strong>de</strong>m gibt die Entwicklung unserer Rechtsgemeinschaft in <strong>de</strong>n<br />

vergangenen fünfzig Jahren auch Anlass zur Dankbarkeit – gegenüber<br />

unseren Eltern, die uns eine Familienkultur geschenkt,<br />

diesen Verfassungsstaat aufgebaut, unser Wirtschaftssystem erfolgreich<br />

entwickelt haben; gegenüber <strong>de</strong>n politischen Akteuren,<br />

die entschei<strong>de</strong>nd dazu beigetragen haben, dass Deutschland<br />

wie<strong>de</strong>r ein gleichberechtigtes Mitglied <strong>de</strong>r Völkerrechtsgemeinschaft<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>rvereinigungsauftrag vollen<strong>de</strong>n,<br />

die europäische Integration auf anspruchsvolle Ziele ausrichten<br />

konnte; gegenüber Völkern und Staaten, die diese Entwicklung<br />

mitgetragen und beför<strong>de</strong>rt haben; auch für eine Kultur <strong>de</strong>r Musik,<br />

<strong>de</strong>r Literatur, <strong>de</strong>r Wissenschaft, <strong>de</strong>r Religion, von <strong>de</strong>r wir<br />

hoffen, dass sie ein kraftvoller Humus unserer Verfassungswirklichkeit<br />

bleiben wer<strong>de</strong>. So dürfen wir in <strong>de</strong>r Beunruhigung dieser<br />

unserer Ausstellung behaupten, dass sich die Unrechtslage<br />

eines „Anwalts ohne Recht“ in Deutschland nicht wie<strong>de</strong>rholen<br />

wird.<br />

Dennoch veranlasst diese Ausstellung alles an<strong>de</strong>re als eine<br />

Selbstgerechtigkeit <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r sich über vergangenes Unrecht<br />

empört und sich <strong>de</strong>s eigenen, gegenwärtigen Rechts rühmt.<br />

Zwar ist die Geschichte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Verfassungsstaats seit<br />

1949 eine Erfolgsgeschichte, an <strong>de</strong>r viele Juristen – Anwälte,<br />

Richter, Gesetzgeber, Verwaltungsbeamte, Wirtschaftsjuristen –<br />

mitgewirkt haben. Dennoch beobachten wir heute Krisenzeichen<br />

<strong>de</strong>s Rechts, die zwar nicht die Gefahr eines Unrechts im<br />

Elementaren heraufbeschwören, wohl aber an<strong>de</strong>rsartige Verwerfungen<br />

unseres Rechtssystems zur Folge haben können.<br />

In <strong>de</strong>m Glück <strong>de</strong>r weltoffenen Märkte müssen wir darum kämpfen,<br />

dass <strong>de</strong>r Mensch nicht nur nach Kaufkraft, son<strong>de</strong>rn in seiner<br />

Wür<strong>de</strong> bedacht wird. In unserem Wirtschaftssystem mit <strong>de</strong>m<br />

Prinzip <strong>de</strong>r Gewinnmaximierung müssen wir um die rechtliche<br />

Kultur <strong>de</strong>s Maßes ringen, die nie das Optimum erreichen kann<br />

und das Grenzenlose nicht erlaubt. Internationale Kapitalmärkte<br />

drängen das Gel<strong>de</strong>igentum in eine Anonymität, in <strong>de</strong>r<br />

das Verantwortungseigentum verloren gehen kann, wenn das<br />

Kapital in Sekun<strong>de</strong>nschnelle <strong>de</strong>n Erdball umkreist, sich an <strong>de</strong>m<br />

Ort platziert, in <strong>de</strong>m die größte Rendite erwartet wird, dabei<br />

aber nicht eine Verantwortung für das Ergebnis trägt, das durch<br />

Einsatz <strong>de</strong>s Kapitals erreicht wird. Unsere Familienkultur und<br />

damit unsere Zukunft in einer freiheitsfähigen Jugend ist gefähr<strong>de</strong>t;<br />

in <strong>de</strong>r Armutsstatistik, die vom Kin<strong>de</strong>rreichtum, nicht vom<br />

Kapitalreichtum han<strong>de</strong>lt, steht Deutschland unter 191 Staaten<br />

an 181. Stelle. Den Schutz von persönlicher Ehre, insbeson<strong>de</strong>re<br />

für <strong>de</strong>n An<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n politisch Oppositionellen müssen<br />

wir immer wie<strong>de</strong>r bestätigen und vertiefen. Die Überdifferenzierung<br />

und Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit <strong>de</strong>s Rechts, vor allem <strong>de</strong>s<br />

Wirtschafts-, Sozial- und Steuerrechts schwächt das Rechtsvertrauen.<br />

Der unverzichtbare Gerechtigkeitsgedanke <strong>de</strong>s Sozialen<br />

droht von einer Verpflichtung gegenüber <strong>de</strong>r kleinen Zahl <strong>de</strong>r<br />

Schwachen zu einem Anspruch <strong>de</strong>r großen Zahl <strong>de</strong>r Starken zu<br />

wer<strong>de</strong>n, die sich unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip eine<br />

komfortablere Normalität zu erstreiten hoffen und damit <strong>de</strong>m<br />

Prinzip <strong>de</strong>s Sozialen seine Funktion nehmen.<br />

Bei diesem Befund stellt sich die Frage nach <strong>de</strong>m Menschen<br />

ohne Recht heute ganz an<strong>de</strong>rs: Sie bietet die Chance <strong>de</strong>s Erinnerns,<br />

veranlasst die Trauer über <strong>de</strong>n Verlust, drängt in <strong>de</strong>n letztlich<br />

wohl nie erfolgreichen Versuch <strong>de</strong>s Verstehens, mag das<br />

Glück und die Sicherheit <strong>de</strong>r rechtsstaatlich-<strong>de</strong>mokratischen<br />

Gegenwart bewusst machen, vermittelt aber auch eine heilsame<br />

Beunruhigung über Gegenwartserscheinungen <strong>de</strong>r Rechtsgefährdung<br />

und Rechtsverfremdung. Unsere Hoffnung, unser<br />

rechtliches Selbstbewusstsein stützen sich auf eine freiheitliche<br />

Gegenwart, in <strong>de</strong>r sich eine solche Ausstellung „Anwalt ohne<br />

Recht“ ereignet, in <strong>de</strong>r Menschen in freiwilliger Gemeinnützigkeit<br />

diese Ausstellung ermöglichen, in <strong>de</strong>r eine immer größer<br />

wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Öffentlichkeit sich nach<strong>de</strong>nklich dieser Ausstellung<br />

widmet. Ich wünsche dieser Ausstellung im Namen <strong>de</strong>s Deutschen<br />

Juristentages und auch persönlich eine in <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />

wurzeln<strong>de</strong> Nach<strong>de</strong>nklichkeit, die uns unsere Gegenwart<br />

und Zukunft gerecht zu gestalten hilft.<br />

Gebrochene Karrieren und Lebenswege. Zum Schicksal jüdischer Anwälte nach 1933<br />

Dr. Simone Ladwig-Winters, Berlin<br />

„Wir hatten noch nicht unseren Rhythmus gefun<strong>de</strong>n“... diesen<br />

schlichten Satz formuliert Paula Sinzheimer zwei Tage nach <strong>de</strong>m<br />

Tod ihres Mannes Hugo Sinzheimer im September 1945. Das<br />

Ehepaar hatte die Verfolgung überlebt, weil es von Freun<strong>de</strong>n in<br />

<strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n versteckt wor<strong>de</strong>n war. Sinzheimer, einer <strong>de</strong>r<br />

Großen <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Arbeitsrechts, Professor und Anwalt, Mitglied<br />

<strong>de</strong>r Ständigen Deputation <strong>de</strong>s Deutschen Juristentages,<br />

war gleich nach seinem Berufsverbot 1933 nach Holland gegangen.<br />

Er lehrte noch einige Zeit und schrieb dort auch sein<br />

Buch über „Jüdische Klassiker <strong>de</strong>r Rechtswissenschaft“. In diesem<br />

Buch wies er nach, dass es zwar große Persönlichkeiten in<br />

<strong>de</strong>r Jurispru<strong>de</strong>nz gegeben hat, die Ju<strong>de</strong>n waren, jedoch keine<br />

eigenständige jüdische Prägung <strong>de</strong>r juristischen Wissenschaft.<br />

„Wir hatten noch nicht unseren Rhythmus gefun<strong>de</strong>n“... diese<br />

Aussage wur<strong>de</strong> erst kürzlich in einem Brief im Leo Baeck Institute<br />

in New York ent<strong>de</strong>ckt. Sie beleuchtet auf ganz ungewöhnliche<br />

Weise, wie einzelne die Verfolgung überstan<strong>de</strong>n haben,<br />

z.B. durch einen ganz geregelten Rhythmus. An<strong>de</strong>re – wie die<br />

junge Berliner Anwältin Anita Eisner, die während <strong>de</strong>r Bombenangriffe<br />

auf Dres<strong>de</strong>n durch die menschenleeren Wäl<strong>de</strong>r<br />

streifte, weil sie als Jüdin nicht in die Luftschutzkeller durfte –<br />

suchten mentale Unterstützung in hinduistischen Texten. Wie<strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re hatten einfach eine robuste Natur, wie <strong>de</strong>r Bonner<br />

Anwalt Dr. Alfred Maier nach jahrelangem Aufenthalt in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Lagern und KZs mit erstauntem Unterton berichtete.


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 103<br />

Ladwig-Winters, Gebrochene Karrieren und Lebenswege. Zum Schicksal jüdischer Anwälte nach 1933<br />

Doch die Frage, wie die einzelnen die Verfolgung überlebt haben,<br />

ist schon ein Schritt zu weit. Kurz zur Ausgangslage:<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zwanziger Jahre existiert in Deutschland eine komplexe,<br />

hoch arbeitsteilige Industriegesellschaft, die in enormen<br />

wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt. Der verlorene Krieg<br />

und die sich hieraus ergeben<strong>de</strong>n finanziellen Verpflichtungen<br />

stellen eine enorme Belastung für die junge <strong>de</strong>utsche Republik<br />

dar. In dieser Phase muss zugleich eine <strong>de</strong>r Republik adäquate<br />

Rechtskultur entwickelt wer<strong>de</strong>n. Gesellschaftliche Wi<strong>de</strong>rsprüche<br />

spiegeln sich in <strong>de</strong>n Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen hierum wi<strong>de</strong>r:<br />

Auf <strong>de</strong>r einen Seite besitzen Angehörige <strong>de</strong>r politischen<br />

Rechten so viel Einfluss, dass sie verhin<strong>de</strong>rn können, dass Mitglie<strong>de</strong>r<br />

von Mordkommandos, wie z.B. <strong>de</strong>r Briga<strong>de</strong> Erhardt,<br />

strafverfolgt wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r wenigstens, dass sie lange in Haft bleiben<br />

müssen. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite ringen politisch eher <strong>de</strong>r Linken<br />

Zugehörige, wie <strong>de</strong>r junge Anwalt Litten, für eine angemessene<br />

juristische Unterstützung von politischen Angeklagten, u.a.<br />

durch die „Rote Hilfe“. Es gab alles: Deutsch-Nationale neben<br />

Kommunisten, Liberale neben Monarchisten.<br />

Das religiöse Bekenntnis spielte in <strong>de</strong>r Regel keine große Rolle.<br />

Dennoch muss angesichts <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n Entwicklungen<br />

bemerkt wer<strong>de</strong>n, dass innerhalb <strong>de</strong>r Anwaltschaft <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>rjenigen<br />

jüdischer Herkunft sehr hoch war – <strong>de</strong>utlich höher als<br />

<strong>de</strong>m prozentualen Anteil an <strong>de</strong>r Bevölkerung entsprochen hätte.<br />

In einzelnen Städten wie Berlin machte er mehr als 50 % aus.<br />

Wie lässt sich dieser hohe Prozentsatz jüdischer Anwälte erklären<br />

Der freie Beruf <strong>de</strong>s Anwalts bewahrte vor einer möglicherweise<br />

antisemitischen Diskriminierung im öffentlichen Dienst, wie es<br />

sie auch in <strong>de</strong>n 20er Jahren – wenn auch auf informeller Ebene<br />

– immer noch gegeben hat. Zugleich lag für Ju<strong>de</strong>n die Hinwendung<br />

zum Recht nahe, <strong>de</strong>nn aus <strong>de</strong>r religiösen Tradition war die<br />

dogmatische Erörterung und Interpretation von Gesetzen durchaus<br />

vertraut. Hinzu kam, dass man sich als Angehöriger einer<br />

Min<strong>de</strong>rheit bis zur rechtlichen Gleichstellung im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

notwendigerweise mit <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r Umgebung hatte<br />

befassen müssen. Außer<strong>de</strong>m hatte die Übergabe <strong>de</strong>r Kanzleien<br />

an die nächste Generation <strong>de</strong>n Anteil <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Anwaltschaft<br />

immer mehr erhöht, obwohl sich nach und nach immer<br />

mehr Anwälte vom jüdischen Glauben lösten. Letztlich hatten<br />

Diskriminierung und Tradition dazu geführt, dass Ju<strong>de</strong>n unter<br />

<strong>de</strong>n Anwälten vergleichsweise stark vertreten waren.<br />

Fachlicher <strong>Schwerpunkt</strong><br />

Wollte man danach differenzieren, in welchen juristischen Bereichen<br />

Ju<strong>de</strong>n vorwiegend arbeiteten, lässt sich keine ein<strong>de</strong>utige<br />

Ausrichtung feststellen. Fachlich gab es in je<strong>de</strong>m Bereich herausragen<strong>de</strong><br />

Persönlichkeiten, sei es im Han<strong>de</strong>lsrecht, hier sei<br />

nur <strong>de</strong>r Name Hachenburg genannt, sei es im Strafrecht, sei es<br />

im Arbeitsrecht, einer Disziplin, die maßgeblich von <strong>de</strong>m bereits<br />

erwähnten Hugo Sinzheimer etabliert wor<strong>de</strong>n war und mit<br />

<strong>de</strong>r erstmals das kollektive Arbeitsrecht Eingang in die I<strong>de</strong>enwelt<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Jurispru<strong>de</strong>nz gefun<strong>de</strong>n hat. Doch es gab nicht nur<br />

herausragen<strong>de</strong> Personen, es gab natürlich auch jüdische Juristen,<br />

die das Alltagsgeschäft, mal besser, mal schlechter bewältigten.<br />

Politische Einstellung<br />

Politisch waren die Einstellungen <strong>de</strong>r Einzelnen ebenso vielfältig.<br />

Es gab stramm <strong>de</strong>utsch-national Orientierte, während an<strong>de</strong>re<br />

kommunistisch organisiert waren. Insgesamt wird man an<br />

Verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m höchstens sagen können, dass <strong>de</strong>r größte Teil <strong>de</strong>r<br />

jüdischen Anwälte Befürworter <strong>de</strong>r Republik war. Hier gab es<br />

auch keine auffälligen Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>njenigen, die<br />

in <strong>de</strong>n Großstädten lebten, und <strong>de</strong>nen, die in <strong>de</strong>r Provinz ihren<br />

Wohnsitz hatten.<br />

Religiöse Orientierung<br />

An<strong>de</strong>rs war es in <strong>de</strong>r religiösen Ausrichtung, da schwankten die<br />

Ansichten unter <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n von reformorientiert bis hin zu orthodox.<br />

Zionisten, wie Siegfried Moses, <strong>de</strong>r sich viele Jahre später<br />

in Palästina Gedanken zum Scha<strong>de</strong>nsausgleich machen<br />

sollte, o<strong>de</strong>r Hermann Jalowicz waren eher die Ausnahme.<br />

Beson<strong>de</strong>rs hervorzuheben ist <strong>de</strong>r Umstand, dass sich ein nicht<br />

unerheblicher Teil von jeglichem religiösen Bekenntnis gelöst<br />

hatte und nun als „Dissi<strong>de</strong>nt“ bezeichnete. Wie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re hatten<br />

sich <strong>de</strong>m christlichen Glauben zugewandt, waren getauft<br />

und somit aus diesem Grund keine Ju<strong>de</strong>n mehr.<br />

Soziale Heterogenität<br />

Auch sozial gab es gravieren<strong>de</strong> Unterschie<strong>de</strong>, einige Anwälte –<br />

insbeson<strong>de</strong>rs in Berlin – avancierten zu richtigen „Staranwälten“.<br />

So organisierte z.B. Erich Frey ein mo<strong>de</strong>rnes Büro, in <strong>de</strong>m<br />

arbeitsteilig die Fälle bearbeitet wur<strong>de</strong>n, und in <strong>de</strong>m sämtliche<br />

technischen Bürogerätschaften, die damals existierten, bereitstan<strong>de</strong>n.<br />

Frey, ebenso wie Max Alsberg und die an<strong>de</strong>ren prominenten<br />

Anwälte hatten durch viele lukrative Mandate außergewöhnlich<br />

hohe Einnahmen zu verzeichnen. An<strong>de</strong>re dagegen<br />

hatten Probleme ihre Kosten zu <strong>de</strong>cken.<br />

Gemeinsames in <strong>de</strong>r Heterogenität<br />

Geeint wur<strong>de</strong>n alle diese im Grun<strong>de</strong> sehr unterschiedlichen Anwaltspersönlichkeiten<br />

vor allem durch die starke I<strong>de</strong>ntifizierung<br />

mit Deutschland. Selbst diejenigen, die <strong>de</strong>r zionistischen I<strong>de</strong>e<br />

nicht ablehnend gegenüberstan<strong>de</strong>n, waren nicht davon überzeugt,<br />

dass es sinnvoll wäre, selbst nach Palästina zu gehen.<br />

Schon die breite Teilnahme am Ersten Weltkrieg in vor<strong>de</strong>rster<br />

Front belegt unbestreitbar, dass sich unter <strong>de</strong>n Juristen auch die<br />

Anwälte vor allem als Deutsche empfan<strong>de</strong>n und erst danach ihr<br />

religiöses Bekenntnis, wenn überhaupt, eine Rolle spielte.<br />

Nach <strong>de</strong>r Machtübernahme<br />

Nach<strong>de</strong>m 1933 die Nationalsozialisten an die Macht gekommen<br />

waren, war dieses einzig einigen<strong>de</strong> Moment, die ansonsten<br />

vorhan<strong>de</strong>ne Heterogenität jedoch ein Handikap für ein organisiertes<br />

Vorgehen. Nun wur<strong>de</strong> je<strong>de</strong> und je<strong>de</strong>r, die o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r nach<br />

<strong>de</strong>n nationalsozialistischen Kriterien als Ju<strong>de</strong> galt, als „un<strong>de</strong>utsch“<br />

angesehen. Das betraf auch diejenigen, die Christen,<br />

<strong>de</strong>ren Großeltern aber noch Ju<strong>de</strong>n gewesen waren.<br />

Anwälte waren dabei ein beson<strong>de</strong>res Ziel <strong>de</strong>r nationalsozialistischen<br />

Politik. In <strong>de</strong>n Monaten nach <strong>de</strong>r Machtübernahme kam<br />

es zu terroristischen Übergriffen gegen einzelne Persönlichkeiten,<br />

das war die erste Stufe <strong>de</strong>r Ausgrenzung. Hier wur<strong>de</strong> z.B.<br />

<strong>de</strong>r Münchener Anwalt Dr. Michael Siegel mit abgeschnittenen<br />

Hosenbeinen durch die Stadt gejagt, weil er sich bei <strong>de</strong>r Polizei<br />

über die Behandlung eines Mandanten beschwert hatte. Die<br />

Berliner Anwälte Alfred Apfel, Ludwig Barbasch und Hans Litten<br />

waren in <strong>de</strong>r Folge <strong>de</strong>s Reichstagsbran<strong>de</strong>s verhaftet wor<strong>de</strong>n.<br />

Der Vorstand <strong>de</strong>r Kammer, <strong>de</strong>r zu diesem Zeitpunkt noch nicht<br />

„gleichgeschaltet“ war, setzte sich für die Freilassung <strong>de</strong>r Kollegen<br />

ein. Apfel kam nach 11 Tagen frei, Barbasch nach einem<br />

halben Jahr, Litten überhaupt nicht mehr. Er wan<strong>de</strong>rte durch verschie<strong>de</strong>ne<br />

Lager und beging letztendlich 1938 im KZ Dachau<br />

Suizid.<br />

Im April 1933, unmittelbar nach <strong>de</strong>m sog. Boykott-Tag am<br />

1. April, setzte die zweite Stufe <strong>de</strong>r Ausgrenzung ein: die <strong>de</strong>r gesetzlich<br />

gestützten bürokratischen.<br />

In dieser Phase waren beson<strong>de</strong>rs starre Antisemiten wie in<br />

Preußen Hanns Kerrl o<strong>de</strong>r in Bayern Hans Frank aktiv. Politischer<br />

Wille wur<strong>de</strong> in Gesetze und Verordnungen gegossen.


104 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Ladwig-Winters, Gebrochene Karrieren und Lebenswege. Zum Schicksal jüdischer Anwälte nach 1933<br />

So wur<strong>de</strong> per Gesetz Anfang April 1933 allen Anwälten, die<br />

nach <strong>de</strong>n NS-Kriterien jüdischer Herkunft waren, die Zulassung<br />

entzogen. Unter bestimmten Bedingungen konnten die Betreffen<strong>de</strong>n<br />

Ausnahmen von diesem Berufsverbot erhalten: Sie mussten<br />

entwe<strong>de</strong>r bereits vor 1914 zugelassen wor<strong>de</strong>n sein, also so<br />

genannte Altanwälte sein, o<strong>de</strong>r sie mussten als Frontsoldaten am<br />

Ersten Weltkrieg teilgenommen haben o<strong>de</strong>r Väter von Gefallenen<br />

sein.<br />

Wer jemals in eine Personalakte <strong>de</strong>s Reichsjustizministeriums<br />

aus dieser Zeit geblickt hat, weiß in welch verzweifelter Situation<br />

sich die einzelnen befan<strong>de</strong>n. Von einem Tag auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

war eine jahrelange Ausbildung, <strong>de</strong>r Aufbau einer Kanzlei,<br />

das ganze Bemühen um eine geordnete Lebensstruktur hinfällig:<br />

viele hatten Angehörige zu unterstützen, hatten Familie.<br />

Man kann <strong>de</strong>n Anträgen auf Wie<strong>de</strong>rzulassung entnehmen, wie<br />

sehr <strong>de</strong>n Antragstellern an einer Fortsetzung <strong>de</strong>r Tätigkeit gelegen<br />

war. Das Antragsverfahren, das übrigens maßgeblich mit<br />

Hilfe <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern durchgeführt wur<strong>de</strong>, war ein<br />

hochkompliziertes und recht undurchsichtiges. Anhand <strong>de</strong>r Militärpässe<br />

wur<strong>de</strong> nachvollzogen, an welchen Kampfhandlungen<br />

die einzelnen teilgenommen hatten. Wenn sie „nur“ in <strong>de</strong>r Reserve<br />

gedient hatten, selbst, wenn sie dabei verletzt wor<strong>de</strong>n waren,<br />

nutzte das alles nichts. Solang die formalen Voraussetzungen<br />

nicht erfüllt waren, wur<strong>de</strong>n die Betreffen<strong>de</strong>n nicht weiter<br />

zugelassen.<br />

Für jüdische Rechtsanwältinnen be<strong>de</strong>utete dies das generelle<br />

Berufsverbot. Die männlichen Kollegen konnten zumin<strong>de</strong>st,<br />

wenn für sie die Ausnahmeregelungen galten, noch weiterarbeiten.<br />

Für Berlin kann man überschlägig sagen, dass rund zwei<br />

Drittel eine Ausnahmeregelung für sich in Anspruch nehmen<br />

konnten. Für verschie<strong>de</strong>ne Städte lassen sich ähnliche Erkenntnisse<br />

festhalten, in an<strong>de</strong>ren Gegen<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen beson<strong>de</strong>rs aktive<br />

NS-Glie<strong>de</strong>rungen ansässig waren, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n jüdischen<br />

Kollegen innerhalb von kürzester Zeit die Berufsausübung unmöglich<br />

gemacht.<br />

Damit setzte die nächste Stufe <strong>de</strong>r Ausgrenzung ein: die ökonomische<br />

– o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs gesagt: <strong>de</strong>r wirtschaftliche Nie<strong>de</strong>rgang.<br />

Gutachten <strong>de</strong>r Gerichte wur<strong>de</strong>n nicht mehr jüdischen Anwälten<br />

übertragen, ebenso keine Armenrechtsmandate, Sozietäten von<br />

jüdischen und nicht jüdischen Partnern mussten sich trennen;<br />

daneben gab es so genannte „schwarze“ und „weiße“ Listen.<br />

Neubesetzte Vorstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern taten ihr<br />

möglichstes um die jüdischen Kollegen zu verunglimpfen, so<br />

geschehen z.B. in Potsdam. In <strong>de</strong>n Regionen Deutschlands, in<br />

<strong>de</strong>nen es Anwaltsnotare gab, wur<strong>de</strong> zusätzlich <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n spätestens<br />

ab 1935 die Notariatszulassung entzogen. Das be<strong>de</strong>utete<br />

meist erhebliche Einschnitte für die betroffenen Kanzleien.<br />

Diese ökonomische Ausgrenzung ließ viele Anwälte aufgeben,<br />

die formal hätten weiterpraktizieren können.<br />

Die vierte und letzte Stufe, das generelle Berufsverbot von 1938,<br />

be<strong>de</strong>utete dann das En<strong>de</strong> je<strong>de</strong>r anwaltlichen Tätigkeit, ausgeübt<br />

von einem Ju<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Nationalsozialisten. Zu diesem<br />

Zeitpunkt waren die jüdischen Kollegen verzichtbar gewor<strong>de</strong>n.<br />

Ein großer Teil <strong>de</strong>r ver<strong>de</strong>ckten „Arisierung“ von jüdischem Eigentum<br />

und Vermögen war bereits abgewickelt. Bei <strong>de</strong>m restlichen<br />

Teil, <strong>de</strong>r an jüdischem Besitz noch interessant war, verzichtete<br />

man weitgehend auf juristische Beschränkungen. Entsprechend<br />

war <strong>de</strong>r rechtliche Beistand in diesen Fällen<br />

verzichtbar. Dennoch gab es immer noch jüdische Kollegen, die<br />

ihre ganze Kraft darauf verwandten, jüdische Mandanten durch<br />

Beratung und Vertretung zu unterstützen. Doch diese wenigen<br />

hatten einen min<strong>de</strong>ren Status, durften das Anwaltszimmer im<br />

Gericht nicht betreten, keine Robe tragen und mussten sich<br />

„Konsulent“ nennen. In manchen Städten waren diese „Konsulenten“<br />

bis zu ihrer Deportation tätig.<br />

Vergegenwärtigt man sich die verschie<strong>de</strong>nen Stufen <strong>de</strong>r Ausgrenzung,<br />

so ist es nicht erstaunlich festzustellen, dass gera<strong>de</strong><br />

die jüngeren, die gleich 1933 mit Berufsverbot belegt wor<strong>de</strong>n<br />

waren und die keine Perspektive mehr in Deutschland sahen,<br />

das Land verlassen und woan<strong>de</strong>rs einen Neuanfang versucht<br />

hatten. Die Älteren, die immer noch hofften, dass es nicht mehr<br />

schlimmer kommen könne, blieben. Blieben so lange, bis es zu<br />

spät war. Sie waren vereinzelt wor<strong>de</strong>n, sie hatten immer mehr<br />

die Erfahrung <strong>de</strong>r Rechtlosigkeit gemacht. Wie Ernst Fraenkel in<br />

seinem bemerkenswerten Buch „The Dual State – Der Doppelstaat“,<br />

das als einzigem analytischen Buch auf Recherchen in<br />

Deutschland beruht, schrieb: Als Ju<strong>de</strong> hatte man <strong>de</strong>n „bürgerlichen<br />

Tod“ erlitten. Die Betroffenen schätzten diese Situation<br />

ähnlich ein und entschie<strong>de</strong>n sich teilweise <strong>de</strong>nnoch bewusst für<br />

ein Leben in Deutschland – im Gegensatz zu einem Leben in<br />

<strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>. Sie konnten sich keinen an<strong>de</strong>ren Ort zum Leben<br />

vorstellen. Sie hatten meist eine humanistische Schulbildung genossen,<br />

beherrschten keine mo<strong>de</strong>rne Sprache, kannten sich allein<br />

im <strong>de</strong>utschen Rechtssystem aus. Sie waren bis 1933 sozial<br />

anerkannt gewesen. Welche Alternative hätte sich ihnen geboten<br />

Sie waren, trotz aller Versuche <strong>de</strong>r Nationalsozialisten,<br />

ihrem Gefühl nach immer noch nicht zu „Frem<strong>de</strong>n“ im eigenen<br />

Land gewor<strong>de</strong>n. Sie wollten sich von <strong>de</strong>n Nazis nicht ihre Heimat<br />

nehmen lassen – und so blieben sie. Oftmals war es aber<br />

auch ein Verharren in einer Situation, in <strong>de</strong>r man jeglicher<br />

Handlungsmöglichkeit beraubt wor<strong>de</strong>n war, die keinen Gestaltungsspielraum<br />

mehr für das eigene Leben zuließ. Wer sich auf<br />

diese Weise vereinzelt, aus <strong>de</strong>m beruflichen Gefüge und <strong>de</strong>r<br />

sonstigen Sozialgemeinschaft ausgegrenzt sah, konnte nicht<br />

mehr han<strong>de</strong>ln, ganz abgesehen davon, dass spätestens nach<br />

Kriegsbeginn kaum mehr Fluchtmöglichkeiten existierten.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r Folgen mag es überraschen, dass die Nationalsozialisten<br />

keinen fertigen Plan gehabt haben, als sie angetreten<br />

waren, dass sich aber in einem unsäglichen Gemisch von Willkür,<br />

Ränkespielen und kaltem Machtstreben <strong>de</strong>nnoch eine Politik<br />

entfalten konnte, die anfänglich noch ver<strong>de</strong>ckt mit einer gewissen<br />

Rechtsförmlichkeit auf Ausgrenzung hinwirkte. In <strong>de</strong>n<br />

späteren Jahren wur<strong>de</strong> auf jegliche Kaschierung verzichtet und<br />

die physische Zerstörung menschlicher Existenzen angestrebt.<br />

Das wur<strong>de</strong> schon vor In-Kraft-Treten <strong>de</strong>s allgemeinen Berufsverbots<br />

für Anwälte <strong>de</strong>utlich, als es zu <strong>de</strong>m reichsweiten Pogrom<br />

vom 9./10. November 1938 kam. Auch in Anwaltskanzleien<br />

wur<strong>de</strong> gebrandschatzt und geplün<strong>de</strong>rt. Als das allgemeine Berufsverbot<br />

für jüdische Anwälte erging, lief die Vorbereitung <strong>de</strong>s<br />

Krieges bereits auf vollen Touren. Ab 1937 waren die organisatorischen<br />

Rahmenbedingungen für eine vollständige „Entjudung“<br />

aller Lebensbereiche geschaffen wor<strong>de</strong>n. 1938 war die<br />

„Ausson<strong>de</strong>rung“ so weit fortgeschritten, dass auf Ju<strong>de</strong>n als Wirtschaftssubjekte<br />

verzichtet wer<strong>de</strong>n konnte. Als dann im Rahmen<br />

<strong>de</strong>s Pogroms lan<strong>de</strong>sweit erwachsene Männer verhaftet wur<strong>de</strong>n,<br />

die erst freikamen, wenn sie eine Verpflichtungserklärung unterschrieben<br />

hatten, dass sie Deutschland verlassen wür<strong>de</strong>n,<br />

war das für viele <strong>de</strong>r Anstoß doch wegzugehen. Einzeln sahen<br />

sie keine Chance gegen <strong>de</strong>n Zivilisationsbruch anzukämpfen. Es<br />

gab keine homogene Struktur <strong>de</strong>r jüdischen Min<strong>de</strong>rheit, die<br />

Derartiges hätte bewirken können. Diese Macht hätte nur in politischen<br />

o<strong>de</strong>r gesellschaftlichen Gruppen o<strong>de</strong>r Berufsstän<strong>de</strong>n<br />

entwickelt wer<strong>de</strong>n können. Das ist nicht geschehen. So mussten<br />

die Einzelnen gehen.<br />

Ihnen war klar, dass die freie Anwaltschaft ein Grundpfeiler <strong>de</strong>r<br />

Demokratie ist und ihre Be<strong>de</strong>utung anzeigt, wie es um die<br />

grundsätzlichen Werte von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit bestellt<br />

ist. Im totalitären System <strong>de</strong>s Nationalsozialismus hatte die<br />

freie Anwaltschaft insgesamt keinen Platz, <strong>de</strong>nn als scheinbar<br />

nur die jüdischen Anwälte ausgegrenzt wur<strong>de</strong>n, war in Wirklichkeit<br />

<strong>de</strong>r gesamte Stand angegriffen. Das wollten die weiter-


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 105<br />

Ladwig-Winters, Gebrochene Karrieren und Lebenswege. Zum Schicksal jüdischer Anwälte nach 1933<br />

hin tätigen Anwälte oftmals nicht wahrhaben. Sie machten sich<br />

freiwillig – und zum Teil voller Elan – zum Werkzeug <strong>de</strong>s nationalsozialistischen<br />

Systems. Und je mehr sie in dieses System<br />

verstrickt waren, umso mehr blen<strong>de</strong>ten sie die ausgegrenzten<br />

Kollegen, <strong>de</strong>ren Wegfall durchaus positive pekuniäre Folgen für<br />

ihre eigenen Kanzleien hatte, aus.<br />

Schicksal <strong>de</strong>r jüdischen Anwälte<br />

Untersucht man das Schicksal <strong>de</strong>r jüdischen Kollegen, so war<br />

bis zum allgemeinen Berufsverbot 1938 schon ein nicht exakt<br />

zu beziffern<strong>de</strong>r Teil eines „natürlichen To<strong>de</strong>s“ gestorben. Doch<br />

was ist ein „natürlicher Tod“ unter „unnatürlichen“ Umstän<strong>de</strong>n<br />

In verschie<strong>de</strong>nen Fällen wur<strong>de</strong> gesagt: „<strong>de</strong>r ist an gebrochenem<br />

Herzen“ gestorben, weil er die verän<strong>de</strong>rten Verhältnisse in<br />

Deutschland nicht mehr hatte ertragen können. In <strong>de</strong>r Regel<br />

stand dann „Herzversagen“ auf <strong>de</strong>m Totenschein.<br />

An<strong>de</strong>re entschlossen sich zum Suizid, in einigen Fällen ganz<br />

konkret, wie das Ehepaar Galliner, als sie die Auffor<strong>de</strong>rung in<br />

<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n hielten, sich in einem Sammellager einzufin<strong>de</strong>n,<br />

um anschließend <strong>de</strong>portiert zu wer<strong>de</strong>n.<br />

In Berlin war es rund ein Viertel <strong>de</strong>r Anwälte jüdischer Herkunft,<br />

die ermor<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n. Das setzte nach einer Anweisung von Sicherheitsdienst-Chef<br />

Heydrich an Adolf Eichmann, seines Zeichens<br />

Leiter <strong>de</strong>s „Ju<strong>de</strong>nreferats“ im Reichssicherheitshauptamt,<br />

im August 1941 ein. Der Krieg war in eine neue Phase getreten,<br />

insgesamt hatte sich die Politik <strong>de</strong>r Nationalsozialisten radikalisiert.<br />

In Berlin war die Eifrigkeit <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen entscheidungsbefugten<br />

Beteiligten zu erkennen: ohne standardisiertes Verfahren<br />

wur<strong>de</strong>n Deportationen vorgenommen. An einem Samstag, am<br />

18.10.1941, also noch vor <strong>de</strong>r Wannsee-Konferenz, ging <strong>de</strong>r<br />

erste Transport mit <strong>de</strong>r Reichsbahn vom Bahnhof Grunewald<br />

gen Osten, Richtung Litzmannstadt, wie es einge<strong>de</strong>utscht hieß,<br />

o<strong>de</strong>r Lodz ab. In <strong>de</strong>r Regel hatten die Betreffen<strong>de</strong>n vier/fünf Tage<br />

vorher, also am Montag o<strong>de</strong>r Dienstag, ihre Vermögenserklärung<br />

unterschrieben. Die Ausplün<strong>de</strong>rung sollte vollständig<br />

sein. Nach<strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>n schon keinen Schmuck, kein Radio und<br />

kein Telefon mehr besitzen, nur noch einzelne Zimmer in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Ju<strong>de</strong>nhäusern bewohnen durften, somit fast ihres<br />

gesamten mobilen und immobilen Besitzes beraubt wor<strong>de</strong>n waren,<br />

sollten sie auch noch das letzte bisschen verlieren – und das<br />

wur<strong>de</strong> sorgsam in <strong>de</strong>r „Vermögenserklärung“ dokumentiert.<br />

Darin war alles aufgeführt, was sie zurückließen – vom Ärmelschoner<br />

über <strong>de</strong>n Schuhlöffel bis zur Zuckerzange. In vielen Fällen<br />

hatten die Betreffen<strong>de</strong>n noch einen Frack, aber gleichzeitig<br />

keinen Wintermantel mehr. Bis 1941 hatten sie alles eingetauscht<br />

o<strong>de</strong>r verkauft, was einen Käufer fand. Fräcke waren zu<br />

dieser Zeit weniger gefragt, Wintermäntel dagegen sehr. Nach<br />

Ausfertigung <strong>de</strong>r Vermögenserklärung mussten sich die Betreffen<strong>de</strong>n<br />

im Sammellager einfin<strong>de</strong>n. In Berlin war es das Haus <strong>de</strong>r<br />

früheren liberalen Synagoge in <strong>de</strong>r Levetzowstraße, die nach<br />

<strong>de</strong>m Pogrom von 1938 nicht mehr genutzt wer<strong>de</strong>n konnte. Am<br />

Bahnhof stiegen rund 1000 Menschen pro Transport in <strong>de</strong>n Zug.<br />

Im ersten Transport befan<strong>de</strong>n sich auch Ernst Beuthner, Max<br />

Goldstücker, Julius Grau und Felix Wolff, vier Berliner Anwälte.<br />

Ob sie sich gekannt und getroffen haben – man weiß es nicht.<br />

In Eisenach wur<strong>de</strong>n sogar Fotos gemacht, mit <strong>de</strong>nen die Deportation<br />

dokumentiert wur<strong>de</strong>. Dort kann man in <strong>de</strong>r Menge <strong>de</strong>r<br />

Menschen gera<strong>de</strong> noch einen <strong>de</strong>r betroffenen Anwälte erkennen,<br />

bevor er in <strong>de</strong>n Zug steigt. Die meisten <strong>de</strong>r Deportierten<br />

kamen ums Leben: sie verhungerten z.B. in <strong>de</strong>n Ghettos von<br />

Kowno o<strong>de</strong>r Riga, starben an Flecktyphus o<strong>de</strong>r Ruhr o<strong>de</strong>r durch<br />

„Tod durch Arbeit“, wur<strong>de</strong>n erschossen o<strong>de</strong>r starben im Gas.<br />

Manche hatten auch verschie<strong>de</strong>ne Stationen passiert, bevor die<br />

Gaskammer das En<strong>de</strong> war.<br />

Einer, <strong>de</strong>r das überlebte, wur<strong>de</strong> bereits erwähnt, Dr. Alfred<br />

Maier, Rechtsanwalt aus Bonn. Seine Schil<strong>de</strong>rung, die in einem<br />

recht lockeren Ton geschrieben ist, liest man mit Beklemmung<br />

und nicht nur angesichts <strong>de</strong>s erschrecken<strong>de</strong>n Untergewichts (Alfred<br />

Maier wog am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tortur nur noch 42 kg, bei einem<br />

Normalgewicht von 68 kg). Hier wird <strong>de</strong>utlich, dass solch eine<br />

„Behandlung“ Folgen haben musste, Folgen weit über das<br />

Kriegsen<strong>de</strong> hinaus.<br />

Emigration, Bedingungen, Ziele<br />

Der größte Teil <strong>de</strong>r Betroffenen überlebte, weil er rechtzeitig ins<br />

Ausland gelangen konnte. Von <strong>de</strong>n Berliner Anwälten war es<br />

rund die Hälfte. Während einige möglichst nur in Län<strong>de</strong>r wollten,<br />

die an Deutschland grenzten, wollten an<strong>de</strong>re so weit weg<br />

wie möglich. Für die meisten waren die USA das Land <strong>de</strong>r<br />

Träume. Doch die Einwan<strong>de</strong>rungsbeschränkungen ließen es für<br />

viele ein Traum bleiben. Insgesamt lässt sich eine starke Orientierung<br />

in die anglo-amerikanische Richtung erkennen.<br />

Wem die Einreise in die USA gelang, <strong>de</strong>r musste dann oftmals<br />

ernüchtert feststellen, dass schlecht englisch sprechen<strong>de</strong>, nicht<br />

mehr ganz junge, im <strong>de</strong>utschen Recht geschulte Menschen<br />

nicht beson<strong>de</strong>rs begehrt waren. So arbeiteten die Emigranten in<br />

allen möglichen Jobs: als Türsteher, Fabrikarbeiter, Schuhverkäufer.<br />

Es gibt die Anträge einer Institution – <strong>de</strong>s „Comittee for<br />

the Guidance of Personel Professionel“ – in <strong>de</strong>n USA, in <strong>de</strong>nen<br />

sich entsprechend vorgebil<strong>de</strong>te Flüchtlinge um ein Stipendium<br />

an einer <strong>de</strong>r amerikanischen Law Schools bewerben konnten. Es<br />

ist bitter zu sehen, wie <strong>de</strong>moralisiert die Antragsteller teilweise<br />

waren. Einer, <strong>de</strong>r sich selbst nicht als herausragen<strong>de</strong>n Juristen<br />

bezeichnete, zu<strong>de</strong>m erheblich körperlich eingeschränkt war, da<br />

er im Ersten Weltkrieg einen Arm verloren hatte, für <strong>de</strong>n das Stipendium<br />

eine ganz wichtige Chance für einen Einstieg in die<br />

amerikanische Gesellschaft hätte sein können, erwartet im<br />

Grun<strong>de</strong> schon die Absage, bewirbt sich aber <strong>de</strong>nnoch, mit<br />

Rücksicht auf seine mehrköpfige Familie. Er wird nicht ausgewählt.<br />

An<strong>de</strong>ren wird eine Chance gegeben. So z.B. <strong>de</strong>m früheren<br />

Berliner Anwalt Wilhelm Dickmann, später William Dickman,<br />

er durfte einen juristischen Abschluss in <strong>de</strong>n USA machen<br />

und arbeitete später im Stab von General Clay. Mit ihm kommt<br />

er mit <strong>de</strong>n amerikanischen Truppen nach Deutschland und verfasst<br />

hier das Gesetz über die Auflösung Preußens.<br />

Auch an<strong>de</strong>re kamen zurück, so z.B. Ernst Fraenkel, Otto Kirchheimer<br />

und Franz L. Neumann – aber sie waren keine Juristen<br />

mehr, die Zeitläufe hatte ihren Arbeitsschwerpunkt in die Politologie<br />

verlagern lassen. Die Karrieren dieser drei können als<br />

vergleichsweise erfolgreich bewertet wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>nnoch<br />

bleibt ein Unterton <strong>de</strong>s Gescheiterten o<strong>de</strong>r Gebrochenen. Denn<br />

sie hatten ihren beruflichen <strong>Schwerpunkt</strong> und teilweise ihre politische<br />

Ausrichtung verän<strong>de</strong>rt, sahen nun die vorrangige Aufgabe<br />

in <strong>de</strong>r Definition und Schaffung von <strong>de</strong>mokratischen und<br />

rechtsstaatlichen Strukturen – nicht in <strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>s<br />

Rechts selbst o<strong>de</strong>r in seiner Weiterentwicklung.<br />

Auch an<strong>de</strong>ren gelang es in <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong> zu reussieren. Der<br />

größere Teil <strong>de</strong>r Ausgestoßenen wandte sich ebenfalls an<strong>de</strong>ren<br />

Arbeitsbereichen zu, wie z.B. Ernst Nathan o<strong>de</strong>r Ernest Nash,<br />

wie er sich später nannte. Nathan hatte bereits in Potsdam neben<br />

seiner anwaltlichen Tätigkeit begonnen, historische Bauwerke<br />

zu fotografieren. Hierauf baute er im Ausland seine Existenz<br />

auf: er betätigte sich als Fotograf in Italien, machte Hochzeits-<br />

und Babyfotos, dokumentierte aber zugleich antike<br />

Stätten. Später in <strong>de</strong>n USA arbeitete er weiter als Fotograf und<br />

bearbeitete gleichzeitig sein Archiv historisch be<strong>de</strong>utsamer Orte<br />

und Gebäu<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>m Nachlass von Nash fand sich sein Antwortschreiben<br />

auf die Anfrage eines früheren nichtjüdischen<br />

Kollegen, <strong>de</strong>r ihn um einen „Persilschein“ bat. Nash, <strong>de</strong>r ansonsten<br />

einen äußerst sanften Stil pflegte, wur<strong>de</strong> sehr <strong>de</strong>utlich:


106 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Ladwig-Winters, Gebrochene Karrieren und Lebenswege. Zum Schicksal jüdischer Anwälte nach 1933<br />

„Lieber Herr Heinicke! Der Ton ihres Briefes hat mich ebenso<br />

befrem<strong>de</strong>t wie sein Inhalt. We<strong>de</strong>r in Ihrer persönlichen Lage<br />

noch in <strong>de</strong>r Deutschlands kann ich irgen<strong>de</strong>twas fin<strong>de</strong>n, das zu<br />

einer humorvollen Behandlung Anlass geben könnte. Ich habe<br />

mir überlegt, ob ich Ihren Brief unbeantwortet lassen solle, habe<br />

dann aber entschie<strong>de</strong>n, Ihnen darzulegen, weshalb ich Ihnen in<br />

Ihrem Entnazifizierungsverfahren nicht behilflich sein wer<strong>de</strong>.<br />

Sie haben sich, wie ich mich gut erinnere, mit Enthusiasmus und<br />

großem Eifer einer Gruppe von Mör<strong>de</strong>rn angeschlossen. Sie haben<br />

nicht die Entschuldigung mangeln<strong>de</strong>r Intelligenz o<strong>de</strong>r politischer<br />

Ahnungslosigkeit für sich, zumal Sie in früherer Zeit einmal<br />

<strong>de</strong>r sozialistischen Jugend nahe stan<strong>de</strong>n; auch waren Sie<br />

kein gezwungener Mör<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn ein eifriger För<strong>de</strong>rer. Diese<br />

Gruppe von Mör<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>r Sie angehörten, hat alles ausgerottet,<br />

was mir familiär nahe stand. Meine Mutter und meine Schwester<br />

sind freiwillig aus <strong>de</strong>m Leben geschie<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>m Tage, an<br />

<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n Deportationsbefehl erhielten. Meine Schwiegermutter<br />

hat in irgen<strong>de</strong>iner Gaskammer ihr Leben verloren. Wo<br />

mein Bru<strong>de</strong>r mit seiner Frau ermor<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n ist, habe ich bisher<br />

nicht ermitteln können. Es ist nicht mein persönliches Verdienst,<br />

son<strong>de</strong>rn reiner Zufall, dass ich <strong>de</strong>m gleichen Schicksal<br />

entgangen bin.“ Das sagt er, nach eigenen Angaben, ohne Bitterkeit<br />

und persönlichen Groll, sieht sich jedoch zur weitergehen<strong>de</strong>n<br />

Unterstützung außer Stan<strong>de</strong>.<br />

Nash war Fotograf gewor<strong>de</strong>n. Einer von <strong>de</strong>njenigen, die Jurist<br />

geblieben waren, war Hermann Hahlo, vorher Potsdamer Anwalt.<br />

Er avancierte zum Professor für Recht an <strong>de</strong>r Universität<br />

von Johannesburg in Südafrika, im Ruhestand ging er erst nach<br />

Kanada, später nach Großbritannien, wo er auch gestorben ist.<br />

Derartige Wan<strong>de</strong>rungen hat es öfter gegeben.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re in Palästina, später Israel, sind einige Emigranten<br />

nicht dauerhaft geblieben – zu anstrengend und an<strong>de</strong>rs war das<br />

Land mit seinem Klima, seiner äußerst gemischten, teilweise<br />

traumatisierten Bevölkerung bei gleichzeitig unsicherer politischer<br />

Lage. Letztlich zogen die Betreffen<strong>de</strong>n dann meist dorthin,<br />

wo ihre erwachsenen Kin<strong>de</strong>r lebten. Denn das war das einzige<br />

gewesen, was über die Jahre und die Erfahrungen hinweg als<br />

Konstante Bestand gehabt hat: die Familie. Aber es gab natürlich<br />

auch sehr be<strong>de</strong>utsame Politiker in Palästina und später Israel, die<br />

<strong>de</strong>utsche Flüchtlinge waren und geblieben sind. Womöglich<br />

spielten dabei heimische Kontakte und Verbindungen eine<br />

Rolle. So lässt sich z.B. feststellen, das von <strong>de</strong>n Bonner jüdischen<br />

Anwälten drei in Israel tätig waren. Es mag also ausschlaggebend<br />

gewesen sein, ob man sich noch aus Deutschland<br />

kannte und dann in <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong> unterstützte.<br />

An<strong>de</strong>re wählten eine Mischform, sie arbeiteten für eine internationale<br />

Organisation, die sie aufgrund <strong>de</strong>r Sprachkenntnisse<br />

nach Deutschland versetzte. So ist es einem <strong>de</strong>r wenigen heute<br />

noch Leben<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m früheren Berliner Anwalt Werner Wolf ergangen.<br />

Er wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r URO (United Restitution Office erst,<br />

dann Organization) nach Köln geschickt – und blieb.<br />

Allgemein lässt sich sagen, dass die Flüchtlinge schwerpunktmäßig<br />

auf Dauer in <strong>de</strong>n angelsächsischen Raum und nach Palästina/Israel<br />

gegangen sind. In Frankreich o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n<br />

waren die Flüchtlinge oft von ihren Verfolgern eingeholt wor<strong>de</strong>n.<br />

Einige wenige überlebten in Portugal. Shanghai, einer <strong>de</strong>r<br />

wenigen Orte, die man noch spät ohne Visum erreichen konnte,<br />

war lediglich ein erzwungener Zwischenstop auf <strong>de</strong>m Weg aus<br />

Deutschland. An<strong>de</strong>re, von Deutschland aus gesehen, entlegene<br />

Regionen <strong>de</strong>r Welt, Südamerika und Australien, wur<strong>de</strong>n seltener<br />

als Fluchtort gewählt – wobei die meisten keine Wahl hatten,<br />

son<strong>de</strong>rn dorthin gegangen sind, wo sie einreisen durften.<br />

Ein geringer Teil, <strong>de</strong>r ins Moskauer Exil gegangen war, kehrte<br />

zurück, um nun am Aufbau eines neuen Deutschlands mitzuwirken.<br />

Wie ernüchtert und verbittert einige dann die folgen<strong>de</strong><br />

Entwicklung beurteilten, belegt das Schicksal Fritz Loewenthal,<br />

<strong>de</strong>r mit Einfluss von Walter Ulbricht auf einen hohen Posten im<br />

Justizministerium gelangte, schon bald aber wie<strong>de</strong>r fliehen<br />

musste, weil er die Auswirkungen von nicht rechtmäßigem Vorgehen<br />

in <strong>de</strong>n Institutionen <strong>de</strong>r Justiz nicht mittragen wollte.<br />

Seine Abrechnung gibt es heute noch unter <strong>de</strong>m Titel <strong>de</strong>r „Neue<br />

Geist von Potsdam“. Er schwieg nicht zu <strong>de</strong>n aktuellen Entwicklungen,<br />

aber er schwieg fast völlig zu seinen Erfahrungen<br />

im Exil. Und so taten es fast alle. – Aber sie wur<strong>de</strong>n auch nicht<br />

gefragt, wie es ihnen ergangen sei.<br />

Das galt auch für die rund 150 Anwälte jüdischer Herkunft <strong>de</strong>r<br />

Berliner Kammer, die nach Kriegsen<strong>de</strong> ihren Beruf in Deutschland<br />

wie<strong>de</strong>r aufnahmen. Auch in an<strong>de</strong>ren Städten gab es vereinzelte<br />

Fälle, in <strong>de</strong>nen die Leute zurückkehrten. Was war das<br />

für ein Schritt für die Betreffen<strong>de</strong>n Sie entschlossen sich wie<strong>de</strong>r<br />

in genau <strong>de</strong>m Bereich zu arbeiten, in <strong>de</strong>m sie noch wenige Jahre<br />

zuvor ausgegrenzt wor<strong>de</strong>n waren.<br />

Welches waren die Motive nach Deutschland zurückzukehren<br />

Keiner suchte nach „Abrechnung“, keiner nach Vergeltung,<br />

nach Rache. Das lässt sich durch <strong>de</strong>n Umstand belegen, dass<br />

kaum jemand, <strong>de</strong>r aus rassistischen Grün<strong>de</strong>n die Zulassung verloren<br />

hatte, nun bereit gewesen wäre, als Richter beim Aufbau<br />

<strong>de</strong>r Justiz mitzuwirken. Man wollte nicht in die Rolle <strong>de</strong>s Richters<br />

schlüpfen, wäre doch das Risiko parteiisch zu sein – o<strong>de</strong>r<br />

zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>n Vorwurf zu hören zu bekommen – zu groß gewesen.<br />

Alle die ihren Beruf als Anwalt verloren hatten – sei es<br />

gleich 1933, sei es aus wirtschaftlichen Grün<strong>de</strong>n, sei es im Rahmen<br />

<strong>de</strong>s allgemeinen Berufsverbots 1938 – wollten wie<strong>de</strong>r als<br />

Anwalt arbeiten. Dabei wollten sie keine Almosen, son<strong>de</strong>rn sie<br />

wollten, dass das Unrecht, das individuell zugefügt wor<strong>de</strong>n war,<br />

aus <strong>de</strong>r Welt geschafft wird. Und hierzu wollten sie ihren Beitrag<br />

leisten. Sie wollten zeigen, dass sie noch da waren – als Personen<br />

und als Vertreter von I<strong>de</strong>en. Die Betreffen<strong>de</strong>n entschie<strong>de</strong>n<br />

für sich, dass noch nicht alle Wurzeln herausgerissen waren.<br />

Dass die Wun<strong>de</strong>n, die ihnen zugefügt wor<strong>de</strong>n waren, in<br />

Deutschland leichter zu ertragen waren als in <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>. Sie<br />

spürten die Verankerung im <strong>de</strong>utschen Rechtssystem, vertrauten<br />

auf einen Wan<strong>de</strong>l zur Demokratie, wollten aber auch die Sprache<br />

hören, <strong>de</strong>n Wechsel <strong>de</strong>r Jahreszeiten erleben. Sie bemühten<br />

sich, die Wun<strong>de</strong>n in ihr Leben zu integrieren. Und was fan<strong>de</strong>n<br />

sie hier vor Es waren <strong>de</strong>mokratische Strukturen geschaffen wor<strong>de</strong>n.<br />

Ein Rechtsstaat war zumin<strong>de</strong>st im westlichen Teil Deutschlands<br />

errichtet wor<strong>de</strong>n. Doch die totalitäre Prägung war noch<br />

<strong>de</strong>utlich spürbar. Oftmals wur<strong>de</strong>n sie, gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Verfolgung<br />

entkommen, als die reichen Amerikaner o<strong>de</strong>r Kanadier o<strong>de</strong>r<br />

Australier angesehen – als Frem<strong>de</strong> halt. In vielen Fällen wur<strong>de</strong><br />

auch materielle Unterstützung von <strong>de</strong>n Betreffen<strong>de</strong>n erwartet.<br />

Dabei hatte mancher das Gefühl, dass antisemitische Ressentiments<br />

nur „eingefroren“ waren.<br />

Wie wur<strong>de</strong> ihnen sonst begegnet<br />

Im Einzelfall wäre etwas Interesse an <strong>de</strong>m persönlichen Schicksal<br />

in <strong>de</strong>r Zeit nach 1933 und beson<strong>de</strong>rs nach 1938 positiv gewesen;<br />

hätte das doch von einer Überwindung <strong>de</strong>r Mauern<br />

gezeugt. Diejenigen, die Ju<strong>de</strong>n waren o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Nazis zu<br />

solchen gemacht wor<strong>de</strong>n waren, befan<strong>de</strong>n sich in gesellschaftlicher<br />

Hinsicht weiterhin hinter Mauern. Es existierte immer<br />

noch dieses „Ihr“ und „Wir“ als Differenzierung <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheit<br />

von <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Bevölkerung. Den Ju<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> unterstellt,<br />

dass sie mit „ihren Leuten“ zusammenwirken sollten, während<br />

die Nicht-Ju<strong>de</strong>n durchaus mit wachsen<strong>de</strong>m Selbstbewusstsein<br />

die Schä<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Krieges beseitigen und sich <strong>de</strong>m Neu-Aufbau<br />

widmen wollten.<br />

Ju<strong>de</strong>n und insbeson<strong>de</strong>re „Mischlinge“ hatten keine kollektiven<br />

Institutionen, die neben ihren rechtlichen Ansprüchen auch mo-


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 107<br />

Müller, Die Vertreibung <strong>de</strong>s Rechts aus Deutschland<br />

ralische und gefühlsmäßige Gerechtigkeit hätten durchsetzen<br />

können. Die jüdischen Gemein<strong>de</strong>n waren in <strong>de</strong>r Regel völlig<br />

absorbiert mit <strong>de</strong>r Unterstützung <strong>de</strong>r Opfer schlimmster Verfolgung,<br />

mit <strong>de</strong>r Organisation von Pflegestellen für Waisen, <strong>de</strong>r<br />

Hilfe für <strong>de</strong>sorientierte Personen, die jeglichen sozialen Halt<br />

verloren hatten. Dort musste man darauf hoffen und vertrauen,<br />

dass alle diejenigen, die halbwegs in <strong>de</strong>r Lage waren ihr Leben<br />

selbst zu organisieren, das auch ohne Unterstützung taten.<br />

Die so genannten Mischlinge o<strong>de</strong>r diejenigen, die in privilegierten<br />

Mischehen überlebt hatten, sie wollten oftmals kaum<br />

wahrhaben, dass sie überhaupt verfolgt o<strong>de</strong>r bedroht gewesen<br />

waren. In <strong>de</strong>r Regel schwiegen sie beson<strong>de</strong>rs intensiv. Nicht allen<br />

gelang es, in so offensiver Weise aufzutreten, wie z.B. Dr.<br />

Horst Berkowitz aus Hannover. Viele lebten zurückgezogen und<br />

mie<strong>de</strong>n bei gesellschaftlichen Kontakten das Thema. Denn für<br />

sie war die Verfolgung kaum in ihr Leben zu integrieren.<br />

Dieses Schweigen mag heute fast wie ein stiller „Gesellschaftsvertrag“<br />

erscheinen, <strong>de</strong>r vor allem natürlich die Täterseite schützen<br />

und entlasten, zugleich aber die Opferseite vor allzu<br />

schmerzlicher und bitterer Erinnerung bewahren sollte. In diesem<br />

Sinne wur<strong>de</strong>n alle stören<strong>de</strong>n, vorlauten Personen, wie z.B.<br />

Botho Laserstein, mundtot gemacht. Er entschloss sich dann<br />

letztlich in <strong>de</strong>n 50er Jahren zum Suizid. An<strong>de</strong>re, die forschten,<br />

sprachen nie über ihre eigenen Erfahrungen. Wie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

machten eine politische Karriere, versuchten aber die Zeit <strong>de</strong>r<br />

Verfolgung individuell zu bewältigen, wie z.B. Adolf Arndt o<strong>de</strong>r<br />

auch Gerhard Jahn (erst kürzlich wur<strong>de</strong> die erschüttern<strong>de</strong> Korrespon<strong>de</strong>nz<br />

zwischen <strong>de</strong>r Mutter Lilli Jahn und ihren Kin<strong>de</strong>rn<br />

unter <strong>de</strong>m Titel „Mein verwun<strong>de</strong>tes Herz“ veröffentlicht).<br />

Doch dieser überspitzt genannte „Gesellschaftsvertrag“ hätte<br />

nur eine Übergangsphase Gültigkeit besitzen dürfen – und in<br />

dieser Art hatten es sicherlich auch die Opfer erwartet. Spätestens<br />

mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Konsolidierungsphase <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

hätte eine tiefere Nach<strong>de</strong>nklichkeit einsetzen müssen. Zumal<br />

die rechtliche und moralische Verfolgung <strong>de</strong>r Täter in dieser<br />

Zeit weiter und schärfer hätte voran getrieben wer<strong>de</strong>n<br />

müssen. Es hätte eine Besinnung auf die Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Verfolgten<br />

einsetzen müssen, im Hinblick auf eine klare Analyse von Tätern,<br />

Taten und Folgen dieser Taten für die Opfer. Das ist nur<br />

teilweise bzw. wenn, dann erst spät geschehen. Und so war ich<br />

nicht beson<strong>de</strong>rs erstaunt, als mich <strong>de</strong>r Sohn eines betroffenen<br />

Anwalts bei meinen Recherchen für das Buch „Anwalt ohne<br />

Recht“ 1998 gefragt hat: „Warum erst jetzt“ Ich konnte nur erwi<strong>de</strong>rn:<br />

„Besser spät als nie.“ Denn bis zu diesem Zeitpunkt waren<br />

zwar die Mechanismen <strong>de</strong>r Ausgrenzung sowie – ansatzweise<br />

– die Zahlen bekannt, doch welches Schicksal sich hinter<br />

je<strong>de</strong>r Zahl versteckte, blieb Angelegenheit <strong>de</strong>r Betroffenen. Insofern<br />

war die immer wie<strong>de</strong>r aufgebrachte Formulierung vom<br />

„Schlussstrich“ ein klarer Affront gegen die immer noch unter<br />

<strong>de</strong>n Folgen Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n – und sei es für diejenigen <strong>de</strong>r nächsten<br />

Generation, <strong>de</strong>nn viele sollten nie <strong>de</strong>n eingangs erhofften<br />

„Rhythmus“ gefun<strong>de</strong>n haben, <strong>de</strong>n Hugo Sinzheimer sich nach<br />

<strong>de</strong>r Befreiung erhofft hatte.<br />

Die Vertreibung <strong>de</strong>s Rechts aus Deutschland<br />

Prof. Dr. Ingo Müller, Bremen<br />

„Anwalt ohne Recht“ heißt die Dokumentation über das Schicksal<br />

jüdischer Rechtsanwälte aus <strong>de</strong>m Kammergerichtsbezirk.<br />

Die hier Vorgestellten waren rechtlos gestellt, bis man ihnen neben<br />

allen an<strong>de</strong>ren Rechten sogar das Recht auf Leben bestritt.<br />

Der Ausstellungstitel ist aber doppel<strong>de</strong>utig. Anwälte ohne Recht<br />

waren nämlich auch die im Beruf Verbliebenen, die sich nach<br />

Vertreibung <strong>de</strong>r jüdischen Stan<strong>de</strong>skollegen stolz „<strong>de</strong>utsche<br />

Rechtswahrer“ nannten. Der 1933 eingetretene Verlust <strong>de</strong>s<br />

Rechtsgedankens und <strong>de</strong>r Rechtskultur in Deutschland ist Gegenstand<br />

meiner Ausführungen, ein Verlust, von <strong>de</strong>m wir uns bis<br />

heute nicht gänzlich erholt haben.<br />

Die Gleichberechtigung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n vollzog sich im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />

wie auch die <strong>de</strong>mokratische Entwicklung – und bei<strong>de</strong>s hat<br />

viel miteinan<strong>de</strong>r zu tun – nach <strong>de</strong>m Muster <strong>de</strong>r Echternacher<br />

Springprozession: drei Schritte vorwärts, zwei zurück. In <strong>de</strong>r Regel<br />

kamen Ju<strong>de</strong>n, allen Verfassungen und Bun<strong>de</strong>sakten zum<br />

Trotz, nur in Juristenberufe, wenn sie sich <strong>de</strong>r Karrieretaufe unterzogen.<br />

Das galt für Eduard von Simson, <strong>de</strong>n ersten Reichsgerichtspräsi<strong>de</strong>nten,<br />

ebenso wie für <strong>de</strong>n Trierischen Advokaten<br />

Heinrich Marx – Vater von Karl – <strong>de</strong>r, nach<strong>de</strong>m sein Wohnsitz<br />

preußisch wur<strong>de</strong>, seine Zulassung nur durch die Taufe rettete.<br />

Erst die 1879 in Kraft getretene Reichsrechtsanwaltsordnung ermöglichte<br />

Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n ungehin<strong>de</strong>rten Zugang zu <strong>de</strong>m bis dahin<br />

öffentlichen Amt, fortan freien Beruf <strong>de</strong>s Anwalts. Im Kaiserreich<br />

stellten Ju<strong>de</strong>n mehr als 10 % <strong>de</strong>r Jurastu<strong>de</strong>nten bei einem Bevölkerungsanteil<br />

von 1 %. Vorwiegend strebten sie in <strong>de</strong>n Anwaltsberuf,<br />

teils aus Neigung, teils weil man ihnen <strong>de</strong>n Zugang<br />

zu an<strong>de</strong>ren Juristenberufen nach wie vor erschwerte.<br />

Es waren vor allem neu sich entwickeln<strong>de</strong> Rechtsgebiete, die<br />

von jüdischen Wissenschaftlern, sehr oft Rechtsanwälten, dominiert<br />

wur<strong>de</strong>n. Sie waren es, die die Rechtsmaterien begrün<strong>de</strong>ten<br />

und entwickelten.<br />

Zum Beispiel das Wirtschafts- und Han<strong>de</strong>lsrecht, als <strong>de</strong>ssen Begrün<strong>de</strong>r<br />

Levin Goldschmidt gilt, 1860 einer <strong>de</strong>r ersten jüdischen<br />

Professoren, und das in <strong>de</strong>r Folgezeit von jüdischen Anwälten<br />

zur Blüte gebracht wur<strong>de</strong>, von Hermann Staub, Max Hachenburg<br />

und Julius Magnus, sämtlich Wirtschaftsanwälte und Verfasser<br />

grundlegen<strong>de</strong>r Kommentare zum Han<strong>de</strong>lsrecht, Gesellschaftsrecht,<br />

Wettbewerbsrecht und gewerblichen Rechtsschutz.<br />

Das gilt auch für das Arbeitsrecht, <strong>de</strong>ssen Begrün<strong>de</strong>r Philipp Lotmar<br />

und <strong>de</strong>ssen Nestor Hugo Sinzheimer ist, Frankfurter Anwalt<br />

und Honorarprofessor.<br />

Das Prozessrecht (Straf- und Zivilprozess) war ebenfalls eine<br />

Domäne jüdischer Juristen: Adolf Wach und Leo Rosenberg als<br />

Zivilprozessualisten sind hier zu nennen, und Ewald Löwes und<br />

Werner Rosenbergs Großkommentar zum Strafprozessrecht erlebte<br />

im Jahr 2000 seine 25. Auflage. Der Prozessualist schlechthin,<br />

James Goldschmidt, Strafrechtslehrer in Berlin, Verfasser eines<br />

Lehrbuchs zum Zivilprozess, legte schon vor <strong>de</strong>m Ersten<br />

Weltkrieg <strong>de</strong>n bis heute mo<strong>de</strong>rnsten Entwurf einer Strafprozessordnung<br />

vor. Die Rechtssoziologie, von Max Weber und Eugen<br />

Ehrlich begrün<strong>de</strong>t, wur<strong>de</strong> von Hermann Kantorowicz, Professor<br />

in Kiel – sein Lehrstuhl wur<strong>de</strong> 1933 mit Georg Dahm besetzt –<br />

sowie <strong>de</strong>n Rechtsanwälten Martin Beradt, Ludwig Bendix, Erich


108 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Müller, Die Vertreibung <strong>de</strong>s Rechts aus Deutschland<br />

Eyck, Ernst Fraenkel, Friedrich Großhut und Hugo Sinzheimer<br />

entwickelt.<br />

Führend waren jüdische Rechtsanwälte auch in <strong>de</strong>r juristischen<br />

Publizistik. Horst Göppinger stellt in seiner Dokumentation<br />

über „Juristen jüdischer Abstammung im ,Dritten Reich’“ 1 allein<br />

38 juristische Zeitschriften vor, die von ihnen gegrün<strong>de</strong>t, geleitet<br />

und herausgegeben wur<strong>de</strong>n, vom Archiv für Civilistische Praxis<br />

bis zum Zentralblatt für Han<strong>de</strong>lsrecht. Die be<strong>de</strong>utendsten<br />

waren sicher die von Paul Laband, Hermann Staub und Otto<br />

Liebmann gegrün<strong>de</strong>te Deutsche Juristenzeitung (DJZ) sowie die<br />

seit ihrem Beginn von jüdischen Juristen geleitete und seit 1918<br />

von <strong>de</strong>m schon erwähnten Max Hachenburg, <strong>de</strong>m Erfin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Urteilsanmerkung, und Julius Magnus herausgegebene Juristische<br />

Wochenschrift (JW). 1933 übergab „Reichsrechtsführer“<br />

Hans Frank die Schriftleitung <strong>de</strong>r DJZ an Carl Schmitt , die Juristische<br />

Wochenschrift übernahm er selbst 2 . Die juristischen Fachverlage<br />

J. Heß Stuttgart, Bensheimer-Verlag, Dr. Walther Rothschild<br />

Verlag und Verlag Otto Liebmann teilten sich bei <strong>de</strong>ren<br />

Arisierung die Verlage Franz Vahlen und C.H. Beck. Vor allem<br />

<strong>de</strong>r juristische Verlag Otto Liebmanns, <strong>de</strong>s Erfin<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r beliebten<br />

Kurz-Kommentare, legte <strong>de</strong>n Grundstein für <strong>de</strong>n beispiellosen<br />

Aufstieg einer Münchner Verlagsbuchhandlung zum juristischen<br />

Monopolverlag.<br />

Und auf das Recht <strong>de</strong>r freien Berufe, speziell <strong>de</strong>r Anwaltschaft,<br />

schienen jüdische Juristen ein regelrechtes Monopol zu haben.<br />

Adolf Weißlers „Geschichte <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft“ 3 , Louis Levins<br />

Studie über „Die rechtliche und wirtschaftliche Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>s Anwaltszwangs“ 4 , Siegbert Feuchtwangers Grundlagenwerk<br />

über „Die freien Berufe“ 5 , <strong>de</strong>r Kommentar <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>r Max und<br />

Adolf Friedlaen<strong>de</strong>r zur Rechtsanwaltsordnung 6 und Julius Magnus’<br />

Darstellung „Die Rechtsanwaltschaft“ 7 beschrieben und<br />

normierten die freie Advokatur und verteidigten sie gegen Angriffe,<br />

an <strong>de</strong>nen es seit 1879 nie gefehlt hatte.<br />

Jüdische Anwälte fand man im Vorstand <strong>de</strong>r Liga für Menschenrechte,<br />

wo sie Kampagnen gegen die To<strong>de</strong>sstrafe führten 8 , als<br />

Publizisten <strong>de</strong>r linksliberalen Presse – Erich Eyck bei <strong>de</strong>r Vossischen<br />

Zeitung und Rudolf Ol<strong>de</strong>n beim Berliner Tageblatt – und<br />

als Autoren kleinerer Intellektuellenblätter wie Das Tagebuch,<br />

Das an<strong>de</strong>re Deutschland, Die Weltbühne sowie Die Justiz, Zeitschrift<br />

zur Erneuerung <strong>de</strong>s Rechtswesens. In <strong>de</strong>n vierzehn Weimarer<br />

Jahren führten insbeson<strong>de</strong>re Alfred Apfel, Max Hirschberg,<br />

Philipp Loewenfeld, Paul Levi, Hans Litten, Rudolf Ol<strong>de</strong>n<br />

und Kurt Rosenfeld <strong>de</strong>n oft vergeblichen Kampf um die Republik;<br />

gegen die ausufern<strong>de</strong> politische Justiz, gegen das Militär<br />

und diverse rechtsradikale Terrororganisationen, von <strong>de</strong>nen die<br />

SA nur eine war. Zwei <strong>de</strong>r Genannten haben sich dabei <strong>de</strong>n ewigen<br />

Hass Hitlers zugezogen. Rosenfeld, Reichstagsabgeordneter<br />

und mehrfach Ossietzky-Verteidiger, hatte im Meineidsprozess<br />

Abel <strong>de</strong>n als Zeugen gela<strong>de</strong>nen Adolf Hitler zu cholerischen<br />

Ausfällen provoziert, die <strong>de</strong>m Führer Ungebührstrafen<br />

von immerhin 1000 Reichsmark einbrachten 9 . Litten hatte im<br />

„E<strong>de</strong>n-Palast-Prozess“ als Nebenklagevertreter Wi<strong>de</strong>rsprüche in<br />

<strong>de</strong>n Aussagen <strong>de</strong>s Zeugen Hitler aufge<strong>de</strong>ckt, was diesem sogar<br />

ein Meineidsverfahren eintrug. Während Rosenfeld nach <strong>de</strong>m<br />

1 2. Aufl., München 1990, S. 374 ff.<br />

2 Siehe dazu: B. Rüthers und M. Schmitt, Die juristische Fachpresse<br />

nach <strong>de</strong>r Machtergreifung <strong>de</strong>r Nationalsozialisten, JZ 1988, 369.<br />

3 Leipzig 1905, unverän<strong>de</strong>rter Nachdruck Ffm 1967.<br />

4 Berlin 1916.<br />

5 Die freien Berufe. Im beson<strong>de</strong>ren: Die Anwaltschaft. Versuch einer<br />

allgemeinen Kulturwirtschaftslehre, München, Leipzig 1922.<br />

6 3. Aufl., München, Berlin, Leipzig 1930.<br />

7 Leipzig 1929.<br />

8 Vgl. R. Ol<strong>de</strong>n, J. Bornstein, Der Justizmord an Jakubowski, Berlin o.J.<br />

(1929).<br />

9 Vgl. dazu T. Krach, a.a.O. (Fn. 10), S. 138 ff.<br />

Reichstagsbrand die Flucht nach Paris gelang, wur<strong>de</strong> Litten verhaftet<br />

und 1938 in Dachau in <strong>de</strong>n Tod getrieben 10 .<br />

Die hier Beschriebenen waren zwar nur eine Min<strong>de</strong>rheit im<br />

<strong>de</strong>utschen Rechtsleben, aber sie prägten das Anwaltsbild in <strong>de</strong>r<br />

Reichshauptstadt. Hier stellten jüdische Anwälte rund 60 % <strong>de</strong>r<br />

Rechtsanwaltschaft.<br />

Als <strong>de</strong>ren Galionsfigur könnte man Max Alsberg bezeichnen.<br />

Der 1877 in Bonn Geborene war einer <strong>de</strong>r erfolgreichsten Anwälte<br />

<strong>de</strong>r Weimarer Republik, Honorarprofessor <strong>de</strong>r Berliner<br />

Universität und be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Fachautor 11 . Er galt als glänzen<strong>de</strong>r<br />

Redner, seine Plädoyers waren berühmt für die Einbeziehung<br />

sozialer und psychologischer Hintergrün<strong>de</strong>. Bis heute unübertroffen<br />

sind seine drei Miniaturen „Das Weltbild <strong>de</strong>s Strafrichters“,<br />

„Die Philosophie <strong>de</strong>r Verteidigung“ und „Das Plaidoyer“ 12 .<br />

Sein Theaterstück „Voruntersuchung“ wur<strong>de</strong> 1931 von Robert<br />

Siodmak verfilmt und sein Schauspiel „Konflikt“ hatte noch am<br />

9. März 1933 mit Albert Bassermann und Tilla Durieux in <strong>de</strong>n<br />

Hauptrollen Premiere am Deutschen Schauspielhaus. Bernt Engelmann<br />

nennt Alsberg ein Musterbeispiel für die enge Verbindung<br />

von freiem Beruf, Wissenschaft, Kunst und Literatur 13 .<br />

Auch Alfred Apfel, Martin Beradt, Erich Eyck, Rudolf Ol<strong>de</strong>n und<br />

Kurt Tucholsky – Juristen und außer<strong>de</strong>m Schriftsteller, Publizisten<br />

und Journalisten – stan<strong>de</strong>n für eine nie wie<strong>de</strong>r erreichte Verbindung<br />

von Recht und Geist. In <strong>de</strong>r „durch und durch verju<strong>de</strong>ten<br />

Gesellschaft“, gegen die Dr. Goebbels, <strong>de</strong>r wohl gern dazugehört<br />

hätte, so hasserfüllt geiferte, herrschte laut Engelmann<br />

„eine Atmosphäre voller Geist und Witz, Toleranz, Humanität<br />

und – bei aller Geschäftstüchtigkeit – auch voller Noblesse“.<br />

Zu keiner Zeit hatte es eine <strong>de</strong>rart lebhafte Diskussion über die<br />

Rechtspolitik gegeben wie in <strong>de</strong>n vierzehn Weimarer Jahren.<br />

Die Zulassung von Frauen zum Richteramt, die Bestrafung <strong>de</strong>s<br />

„publizistischen“ Lan<strong>de</strong>sverrats, die politische Justiz gegen<br />

rechts- und linksorientierte Täter, die so genannten Fememordprozesse<br />

und neue Strafrechtsentwürfe, insbeson<strong>de</strong>re das<br />

rechtspolitische Programm <strong>de</strong>r SPD mit <strong>de</strong>r geplanten Sicherungsverwahrung,<br />

all dies war Gegenstand nicht nur <strong>de</strong>r juristischen<br />

Publizistik, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r öffentlichen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung.<br />

Schlagartig waren diese Kontroversen been<strong>de</strong>t mit <strong>de</strong>n Zeitungsverboten<br />

und Massenverhaftungen nach <strong>de</strong>m Reichstagsbrand,<br />

<strong>de</strong>r Entlassung jüdischer und republikanisch engagierter<br />

Richter und Hochschullehrer sowie <strong>de</strong>m Ausschluss jüdischer<br />

Rechtsanwälte nach <strong>de</strong>n Gesetzen „zur Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>s<br />

Berufsbeamtentums“ und „über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“<br />

vom 7. April 1933 14 sowie mit <strong>de</strong>r Gleichschaltung<br />

<strong>de</strong>r Presse – auch <strong>de</strong>r juristischen Fachpresse – und <strong>de</strong>m Verbot<br />

<strong>de</strong>r juristischen Stan<strong>de</strong>sorganisationen. Nach <strong>de</strong>m Hinausdrängen<br />

<strong>de</strong>s jüdischen und <strong>de</strong>mokratischen Elements aus Rechtswissenschaft,<br />

Anwaltschaft und Publizistik herrschte eine gera<strong>de</strong>zu<br />

gespenstische Einigkeit in juristischen Fragen.<br />

Die Nationalsozialisten und vor allem <strong>de</strong>ren Führer hatten nie<br />

etwas für das Juristische übrig, und die zahlreichen Prozesse sei-<br />

10 Vgl. H. Düx, H. Litten. Anwalt gegen Nazi-Terror, in: Redaktion Krit.<br />

Justiz (Hrg.), a.a.O. (Fn. 23), S. 193 ff. sowie M. Fürst, Gefilte Fisch.<br />

Eine Jugend in Königsberg, München 1973; W. Benz, Von <strong>de</strong>r Entrechtung<br />

zur Verfolgung und Vernichtung, in: H. Heinrichs u.a.<br />

(Hrg.), a.a.O. (Fn. 7), S. 841 f. sowie H. Litten zum 50. To<strong>de</strong>stag. Eine<br />

Dokumentation, AnwBl. 1988, S. 213.<br />

11 Vgl. Justizirrtum und Wie<strong>de</strong>raufnahme 1913; Der Beweisantrag im<br />

Strafprozess 1930; Gutachten zum 34. und 35. Deutschen Juristentag<br />

sowie rund 200 Aufsätze und Urteilsanmerkungen in <strong>de</strong>r JW.<br />

12 Das Weltbild <strong>de</strong>s Strafrichters sowie Die Philosophie <strong>de</strong>r Verteidigung,<br />

Mannheim, Berlin, Leipzig 1930; Das Plaidoyer, in: Martin<br />

Drucker zum 65. Geburtstag, Privatdruck 1934, nachgedruckt in:<br />

AnwBl. 1978, 1 f.<br />

13 Deutschland ohne Ju<strong>de</strong>n, Köln 1988, S. 399.<br />

14 RGBl. I, 175 sowie 188.


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 109<br />

Müller, Die Vertreibung <strong>de</strong>s Rechts aus Deutschland<br />

15 H. Picker, Hitlers Tischgespräche, Bonn 1951, S. 211, 213.<br />

16 Mein Kampf, a.a.O. (Fn. 60), S. 571.<br />

17 E. Finke, Liberalismus im Strafverfahrensrecht, 1936, S. 18.<br />

18 H. Henkel, Strafrichter und Gesetz im neuen Staat, Hamburg 1934,<br />

S. 68.<br />

19 O. Koellreutter, DJZ 1934, 626.<br />

20 Der Metho<strong>de</strong>nstreit in <strong>de</strong>r Rechtswissenschaft, ZStW 57 (1938),<br />

S. 248.<br />

ner „Kampfzeit“, in <strong>de</strong>nen er häufig Zeuge, nicht selten Angeklagter<br />

war, haben sein Verständnis für Rechtsregeln nicht geför<strong>de</strong>rt.<br />

„Kein vernünftiger Mensch verstehe überhaupt die<br />

Rechtslehren, die die Juristen sich – nicht zuletzt aufgrund <strong>de</strong>s<br />

Einflusses von Ju<strong>de</strong>n – zurechtgedacht hätten“, verriet Hitler in<br />

vertraulicher Run<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>r Juristenausbildung müsse je<strong>de</strong>r vernünftige<br />

Mensch „ein vollen<strong>de</strong>ter Trottel“ wer<strong>de</strong>n, er wolle<br />

„alles tun, um das Rechtsstudium ... so verächtlich zu machen<br />

wie nur irgend möglich“ 15 . Von Verträgen, Rechtsvorschriften,<br />

gar einer Verfassung hielt <strong>de</strong>r Führer nichts; nicht einmal von<br />

selbst erlassenen Gesetzen wollte er sich einengen lassen. Vor<br />

allem fehlte ihm je<strong>de</strong>s Verständnis für Humanität, Zivilisation<br />

und Rechtskultur. Gegen alles ihm Missliebige for<strong>de</strong>rte er „brutale<br />

Gewalt“ und „barbarische Rücksichtslosigkeit“. Die „sogenannte<br />

Humanität“ war für ihn nur „Ausdruck einer Mischung<br />

von Dummheit, Feigheit und eingebil<strong>de</strong>tem Besserwissen“ 16 .<br />

„Der mystische Vorgang, dass <strong>de</strong>r Staat sich selbst Fesseln anlegt“,<br />

beschrieb Ol<strong>de</strong>n das Rechtsempfin<strong>de</strong>n Hitlers, „sich<br />

durch Geschriebenes bin<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>m Schwachen eine Waffe gibt<br />

und sich ihr unterwirft – <strong>de</strong>r Inbegriff <strong>de</strong>r Zivilisation – ist ihm<br />

wi<strong>de</strong>rlich, erscheint ihm pervers, <strong>de</strong>r Ordnung, die allein ihm<br />

verständlich ist, in einer ärgerlichen Weise zuwi<strong>de</strong>r“.<br />

Dieses Unverständnis fürs Juristische wur<strong>de</strong> von weiten Kreisen<br />

<strong>de</strong>r Justiz und <strong>de</strong>r Rechtswissenschaft geteilt. Natürlich konnte<br />

die Rechtslehre auch damals nicht Brutalität, Einseitigkeit, Willkür<br />

und Rechtlosigkeit zu Prinzipien <strong>de</strong>s neuen Rechts erklären.<br />

Damit hätte sie nicht nur <strong>de</strong>m System je<strong>de</strong> rechtliche Legitimität<br />

abgesprochen, son<strong>de</strong>rn auch sich selbst für überflüssig erklärt.<br />

Aber nach<strong>de</strong>m alles, was sich an abendländischer Rechtskultur<br />

entwickelt hatte, nicht mehr galt, da dieses „unserer eigenen<br />

<strong>de</strong>utschen Art, die Welt anzuschauen, entgegengesetzt und wi<strong>de</strong>rwärtig“<br />

war (E. Finke) 17 , konstruierte die Jurispru<strong>de</strong>nz „einen<br />

tiefergreifen<strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r Rechtmäßigkeit“ (Heinrich Henkel)<br />

18 , nämlich die „völkische Sinneinheit von Staat und Recht“<br />

(Otto Koellreutter) 19 .<br />

Um die I<strong>de</strong>enwelt <strong>de</strong>s Dritten Reichs zu verstehen, muss man<br />

sich klar machen, dass Begriffe, die für uns positiv besetzt sind,<br />

damals als Schimpfwörter galten und umgekehrt. „Autoritär“<br />

galt als hohes Lob, „rücksichtslose und fanatisch-einseitige Einstellung“<br />

als Tugend, „Gleichschaltung“ als erstrebenswertes<br />

Ziel. „Individualistisch“, „liberal“ und „pluralistisch“ waren Vernichtungsurteile,<br />

und „Aufklärung“, „Humanität“ und „Demokratie“<br />

galten als entartete I<strong>de</strong>en.<br />

Auch alles, was wir heute als juristische Tugen<strong>de</strong>n betrachten:<br />

Genauigkeit im Begrifflichen, Beachtung von Formalien, Rationalität,<br />

nüchterne Distanz und Vorurteilsfreiheit galt als Unart<br />

jüdischer Rechtsverdreher, als „Ausdruck einer Hilflosigkeit, einer<br />

Entwurzelung und Verweichlichung“ (Wolfgang Siebert).<br />

Die Richter sollten eben „nicht durch ein formalistisch-abstraktes<br />

Rechtssicherheitsprinzip beengt (sein, son<strong>de</strong>rn) durch ... die<br />

vom Führer verkörperte Rechtsanschauung <strong>de</strong>s Volkes feste Linie<br />

und ... wo nötig, ihre Schranken fin<strong>de</strong>n“ (Erik Wolf), „mit gesun<strong>de</strong>m<br />

Vorurteil“ <strong>de</strong>n Fall betrachten und „Werturteile fällen,<br />

die ... <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>r politischen Führung entsprechen“ (Georg<br />

Dahm).<br />

Juristischen Scharfsinn und vorurteilslose Betrachtung <strong>de</strong>s Falles<br />

lehnte man als „rationalistische Zerglie<strong>de</strong>rung“ als „Entwesung“<br />

(Georg Dahm 20 ) ab, an <strong>de</strong>ren Stelle sollte eine „emotional-wertfühlen<strong>de</strong>,<br />

ganzheitliche Betrachtungsweise“ (Hans Welzel 21 )<br />

treten. Der gewaltige Aufwand an i<strong>de</strong>ologischen Floskeln, die<br />

uns mit 70 Jahren Abstand am Verstand einer ganzen Juristengeneration<br />

zweifeln lassen, diente dazu, <strong>de</strong>n Brutalitäten <strong>de</strong>s<br />

Nazi-Regimes eine scheinrechtliche Legitimität zu verleihen.<br />

Die Arbeit am Gesetzeswortlaut mit <strong>de</strong>m Ziel, <strong>de</strong>ssen Anwendungsbereich<br />

zu bestimmen, also klassische Juristentätigkeit,<br />

diffamierte die Jurispru<strong>de</strong>nz als „Normativismus“, wie auch wissenschaftliche<br />

Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gesetzesauslegung als „positivistisch“<br />

o<strong>de</strong>r „jüdisch-liberalistisch“ abqualifiziert wur<strong>de</strong>n. Erklärtes<br />

Ziel dieser „Rechtswissenschaftler“ war gera<strong>de</strong>, „die Erkennbarkeit<br />

<strong>de</strong>s Gesetzes und die Berechenbarkeit <strong>de</strong>r<br />

Rechtsfolgen“ aufzuheben (Heinrich Henkel) 22 .<br />

So wenig die beflissene Legitimationsbeschaffung für das System<br />

<strong>de</strong>r Rechtlosigkeit <strong>de</strong>n Namen Rechtswissenschaft verdiente,<br />

so wenig waren die Strafrechtsverordnungen Gesetze.<br />

Im formellen Sinn waren sie es nicht, son<strong>de</strong>rn bloße Verwaltungs<strong>de</strong>krete.<br />

Auch materiell waren sie es nicht, <strong>de</strong>nn sie ließen,<br />

z.B. im Strafrecht, die Grenze zwischen straflos und strafbar<br />

meist bewusst im Unklaren. Sie waren im Grun<strong>de</strong> „antinormative<br />

Normen“, die <strong>de</strong>n Gerichten eine nur ungefähre Richtung<br />

geben und ihren Urteilen <strong>de</strong>n Schein <strong>de</strong>r Legitimation verleihen<br />

sollten, selbst wenn diese sich mit <strong>de</strong>m Wortlaut <strong>de</strong>r „Gesetze“<br />

längst nicht mehr vereinbaren ließen.<br />

Wer in <strong>de</strong>n zigtausen<strong>de</strong>n von To<strong>de</strong>surteilen <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlichen<br />

Justiz und <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rgerichte, <strong>de</strong>r Feldgerichte und Standgerichte,<br />

<strong>de</strong>s Volksgerichtshofs und Reichskriegsgerichts nach Gesetzesverstößen<br />

und Rechtsbeugungen sucht (von <strong>de</strong>nen es<br />

natürlich unzählige gab), bewertet sie nach rechtlichen Maßstäben,<br />

welche man damals als „normativistisch“ ablehnte. Die<br />

dort zitierten Gesetze waren nicht dazu gemacht, restriktiv ausgelegt<br />

zu wer<strong>de</strong>n und nicht von <strong>de</strong>r Vorschrift erfasste Personen<br />

zu verschonen. Ihrem Sinn entsprach es, die Angeklagten –<br />

meist aus Abschreckungsgrün<strong>de</strong>n – umzubringen. Das bei diesem<br />

Anlass Gesetze zitiert wur<strong>de</strong>n, geschah mehr zur Bemäntelung<br />

dieses Vorgangs.<br />

Im Gerichtsverfahren sollte auch nicht mehr um das Ergebnis gestritten<br />

wer<strong>de</strong>n. An die Stelle <strong>de</strong>s einst von Rudolf von Ihering<br />

propagierten Kampfes um das Recht, <strong>de</strong>r nun angeblich „als Parteienstreit<br />

die Wahrheitsfindung gefähr<strong>de</strong>te“, wur<strong>de</strong> die<br />

„Gleichrichtung <strong>de</strong>r Verfahrenskräfte“ (Heinrich Henkel) gesetzt,<br />

o<strong>de</strong>r volkstümlicher ausgedrückt: „Richter, Staatsanwälte<br />

und Verteidiger müssen „Kamera<strong>de</strong>n einer Rechtsfront, ... gemeinsame<br />

Kämpfer um die Erhaltung <strong>de</strong>s Rechts sein ... Die<br />

Gleichschaltung ihrer Aufgaben muss ihre praktische Zusammenarbeit<br />

und Kameradschaft verbürgen“ 23 .<br />

Nach<strong>de</strong>m 1945 alle an<strong>de</strong>ren Fronten zusammengebrochen waren,<br />

hat die Rechtsfront als einzige gehalten. Die jüdischen Juristenkollegen<br />

waren zum großen Teil tot. Viele – wie Max Alsberg<br />

– hatten sich das Leben genommen, noch mehr waren ermor<strong>de</strong>t<br />

wor<strong>de</strong>n, ein Großteil <strong>de</strong>r Vertriebenen blieb im Exil, nur<br />

wenige kamen zurück. Was auch nicht zurückkehrte waren<br />

Geist und Rechtskultur, <strong>de</strong>nn mit <strong>de</strong>n Menschen waren ihre<br />

Theorien und I<strong>de</strong>en, ihre wissenschaftlichen Programme und<br />

Pläne vertrieben und vernichtet wor<strong>de</strong>n. Die Lehrstühle <strong>de</strong>r jüdischen<br />

Professoren blieben mit ihren Nachfolgern besetzt, ihre<br />

Bücher hatte man aus <strong>de</strong>n Bibliotheken geworfen und großenteils<br />

verbrannt, ihre intellektuelle Hinterlassenschaft wur<strong>de</strong> ignoriert<br />

o<strong>de</strong>r, wenn auch subtiler, weiterhin diffamiert, wie die<br />

Hermann Kantorowicz’ und Hans Kelsens 24 . Karl Larenz hat in<br />

21 Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935, S. 73.<br />

22 H. Henkel, Strafrichter und Gesetz im neuen Staat, 1934, S. 37.<br />

23 A. Sack, Der Strafverteidiger und <strong>de</strong>r neue Staat, Berlin 1935, S. 106.<br />

24 Vgl. G. Kraus, Die Verfassung Deutschlands 1945-1954, DÖV 1954,<br />

580.


110 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Landau, Justiz und Rechtsanwaltschaft in <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Diktatur<br />

25 Metho<strong>de</strong>nlehre <strong>de</strong>r Rechtswissenschaft, 1. Aufl., Berlin, Göttingen,<br />

Hei<strong>de</strong>lberg 1960, S. 39 ff.<br />

26 Festschrift für H. F. Pfenninger, Zürich 1956, S. 7.<br />

seinen Nachkriegspublikationen die Polemiken gegen „Normativismus,<br />

Soziologismus und Psychologismus“ als „die drei<br />

Spielarten <strong>de</strong>s Positivismus“ wie<strong>de</strong>rholt, ohne sie allerdings wie<br />

früher üblich als „typisch jüdisch“ zu kennzeichnen 25 . Max Alsbergs<br />

Standardwerk, Der Beweisantrag im Strafverfahren, ein<br />

lei<strong>de</strong>nschaftliches Plädoyer für das Beweisrecht <strong>de</strong>s Strafverteidigers<br />

als <strong>de</strong>ssen einzige Waffe, war nach Carl Schmitts Aufruf<br />

zur Entfernung „jüdischer Literatur“ aus <strong>de</strong>n Bibliotheken aussortiert,<br />

und, was fast noch schlimmer ist, in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

einem Staatsanwalt (Karl-Heinz Nüse) zur Überarbeitung gegeben<br />

wor<strong>de</strong>n. 1983 erschien die 5. Auflage, nun von einem konservativen<br />

Strafrichter fortgeführt, verstümmelt und mit entgegengesetzter<br />

Ten<strong>de</strong>nz.<br />

Die Bemühungen <strong>de</strong>r Besatzungsmächte, nach <strong>de</strong>m Krieg die<br />

<strong>de</strong>utsche Rechtsordnung zu entnazifizieren, hatte die Juristenschaft<br />

regelrecht sabotiert. Zehn Jahre später kommentierte <strong>de</strong>r<br />

badische Generalstaatsanwalt Karl S. Ba<strong>de</strong>r – beileibe kein alter<br />

Nazi –: „Nach 1945 mit großer Vehemenz auftauchen<strong>de</strong>n Versuchen,<br />

englische und amerikanische Rechtsgrundsätze einzuführen,<br />

musste aus Grün<strong>de</strong>n einer sinnvollen Rechtskontinuität<br />

entgegengetreten wer<strong>de</strong>n“ 26 . Dabei hatten James Goldschmidt,<br />

Max Hirschberg und Max Alsberg bereits ähnliche Gedanken<br />

entwickelt, die allerdings schon von 1933 bis 1945 als liberalistisch<br />

und „un<strong>de</strong>utsch“ diffamiert wor<strong>de</strong>n waren.<br />

In grotesker Verdrehung <strong>de</strong>r Tatsachen schob man nach <strong>de</strong>m<br />

Krieg die Schuld am Nie<strong>de</strong>rgang <strong>de</strong>s Rechts <strong>de</strong>n „Rechtspositivisten“<br />

zu. Für je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r die rechtstheoretische Debatte <strong>de</strong>s<br />

Dritten Reichs kannte, hieß das: <strong>de</strong>n jüdischen Juristen. Hervorgetan<br />

hat sich bei diesen Schuldzuweisungen Hermann Weinkauff,<br />

erster Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sgerichtshofs, <strong>de</strong>r noch 1968<br />

die „pluralistische Gesellschaft“ und <strong>de</strong>n „Pluralismus <strong>de</strong>r Weltanschauungen“<br />

Dinge nannte, „bei <strong>de</strong>nen die Sache ebenso bedrohlich<br />

wie die Bezeichnung wi<strong>de</strong>rwärtig ist“ 27 . Dagegen<br />

schwärmte er von einem „geschlossenen Richterstand, ja einem<br />

wirklichen Rechtsstand“ 28 . Und Anfang <strong>de</strong>r Siebziger stellte Fritz<br />

Hartung – wie Weinkauff Reichsgerichtsrat a.D. – befriedigt fest,<br />

„auf juristischem, insbeson<strong>de</strong>re strafrechtlichen Gebiet (hat) das<br />

nationalsozialistische Regime Fortschritte von grundlegen<strong>de</strong>r<br />

Be<strong>de</strong>utung gebracht ..., die bis heute Bestand haben und aus<br />

<strong>de</strong>m Strafrecht nicht wegzu<strong>de</strong>nken sind“ 29 .<br />

Er glaube, schrieb Rudolf Ol<strong>de</strong>n 1940 im Geleitwort zum Ge<strong>de</strong>nkbuch<br />

Irmgard Littens für ihren Sohn, er glaube, „dass man<br />

bis heute nicht verstan<strong>de</strong>n hat, was <strong>de</strong>r Opfergang Hans Littens<br />

für uns, die Juristen, be<strong>de</strong>utet“. Das gilt wohl auch heute noch,<br />

und nicht allein auf Hans Littens Martyrium bezogen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch das aller an<strong>de</strong>ren, die für <strong>de</strong>n Rechtsgedanken gestritten<br />

und gelebt haben, allzu oft auch gestorben sind, die daran festhielten,<br />

dass – so Ol<strong>de</strong>n weiter – „unser Beruf mehr sei, als eine<br />

bestimmte Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r logischen Argumentation und als ein<br />

Gewerbe, nämlich <strong>de</strong>r breite und feste Qua<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Grundlage<br />

abendländischer christlicher Zivilisation“ 30 . Die geringe Rolle,<br />

die diese Erkenntnis heute in <strong>de</strong>r Juristenausbildung spielt, zeigt<br />

die Größe und die Nachhaltigkeit <strong>de</strong>s Verlustes, <strong>de</strong>n das <strong>de</strong>utsche<br />

Rechtssystem durch die Auslöschung <strong>de</strong>s jüdischen Elements<br />

erlitten hat.<br />

27 Die <strong>de</strong>utsche Justiz und <strong>de</strong>r Nationalsozialismus, Stuttgart 1968,<br />

S. 180.<br />

28 A.a.O., S. 188.<br />

29 Jurist unter vier Reichen, Köln, Berlin, Bonn, München 1971, S. 123.<br />

30 R. Ol<strong>de</strong>n, Hans Litten, in: I. Litten, Eine Mutter kämpft gegen Hitler,<br />

Neudruck Ffm. 1984, S. 16.<br />

Justiz und Rechtsanwaltschaft in <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Diktatur<br />

Prof. Dr. Dr. hc. mult. Peter Landau, München<br />

Je<strong>de</strong> Beschäftigung mit Verhalten und Schicksal <strong>de</strong>utscher Anwälte<br />

in <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Diktatur muss zunächst<br />

berücksichtigen, dass <strong>de</strong>r hohe Bestand von Anwälten jüdischer<br />

Herkunft von Anfang an einen erheblichen Anteil von Angehörigen<br />

dieses Berufs Verfolgungen aussetzte, die für einige<br />

relativ prominente RAe bereits vier Wochen nach <strong>de</strong>r sog.<br />

Machtübernahme <strong>de</strong>s 30.1.1933 einsetzen. Ich möchte drei<br />

Schicksale früh Verfolgter hervorheben, die sowohl politisch als<br />

auch rassisch Verfolgte waren.<br />

Ich beginne mit <strong>de</strong>m Berliner Anwalt Hans Litten, <strong>de</strong>r sich durch<br />

Strafverteidigungen von Kommunisten bei <strong>de</strong>n Nazis verhasst<br />

gemacht hatte. Er stammte aus einer Professorenfamilie, sein Vater<br />

war Ordinarius für Römisches Recht in Königsberg mit konservativ-bürgerlicher<br />

Einstellung; <strong>de</strong>r Sohn linker Demokrat,<br />

aber keineswegs Kommunist. Litten war Hitler selbst beson<strong>de</strong>rs<br />

verhasst, da er <strong>de</strong>n Naziführer 1931 in einem Prozess als Zeugen<br />

hatte vorla<strong>de</strong>n lassen und ihm bei <strong>de</strong>r Vernehmung nachweisen<br />

konnte, dass er entgegen seinen Beteuerungen zu illegalen<br />

Handlungen aufgerufen hatte. In <strong>de</strong>r Nacht nach <strong>de</strong>m<br />

Reichstagsbrand wur<strong>de</strong> Litten morgens vier Uhr verhaftet und in<br />

sog. Schutzhaft genommen. Es begann ein langer Lei<strong>de</strong>nsweg<br />

durch Konzentrationslager, obwohl seine Mutter sich intensiv<br />

um seine Freilassung bemühte und zahlreiche Fürsprecher bis in<br />

die Reihen <strong>de</strong>r Nazis fand. Hans Litten wur<strong>de</strong> über fünf Jahre<br />

ohne je<strong>de</strong>s or<strong>de</strong>ntliche Verfahren so gequält, dass er 1938 in<br />

Dachau durch Freitod aus <strong>de</strong>m Leben schied.<br />

Ein zweiter Fall betrifft <strong>de</strong>n hochangesehenen, damals 75jährigen<br />

Breslauer RA Adolf Heilberg. Heilberg war Vizepräsi<strong>de</strong>nt<br />

<strong>de</strong>s DAV und Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schlesischen Anwaltskammer.<br />

Politisch war er bei <strong>de</strong>n liberalen Deutschen Demokraten engagiert,<br />

außer<strong>de</strong>m ein Führer <strong>de</strong>r Schlesischen Frie<strong>de</strong>nsbewegung<br />

und <strong>de</strong>shalb natürlich <strong>de</strong>n völkischen Nationalisten beson<strong>de</strong>rs<br />

verdächtig, außer<strong>de</strong>m wie über 16 % <strong>de</strong>r Anwälte 1933 jüdischer<br />

Konfession. Schon am 11.3.1933 wur<strong>de</strong> Heilberg durch<br />

eine Terroraktion <strong>de</strong>s berüchtigten Breslauer SA-Führers Heines<br />

das Betreten <strong>de</strong>s Breslauer LG unmöglich gemacht. Beschwer<strong>de</strong>n<br />

bei Behör<strong>de</strong>n führten nicht etwa zur Aussetzung <strong>de</strong>s Terrors,<br />

son<strong>de</strong>rn nur zur Empfehlung, sich zurückzuhalten, und zu <strong>de</strong>r<br />

Erwägung, ob man Heilberg nicht zur eigenen Sicherheit in<br />

Schutzhaft nehmen solle. Am 31.3.1933, einen Tag vor <strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>nboykott<br />

am 1. April, schied Heilberg „freiwillig“ aus <strong>de</strong>r Anwaltschaft<br />

aus. Seine diesbezügliche Erklärung enthält <strong>de</strong>n Satz:<br />

„Die Behandlung als Staatsbürger und Anwalt zweiter Klasse erschien<br />

mir nicht würdig.“ Heilberg blieb in Schlesien – weitere


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 111<br />

Landau, Justiz und Rechtsanwaltschaft in <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Diktatur<br />

Verfolgung wur<strong>de</strong> ihm erspart, da er schon 1936 durch einen<br />

Autounfall starb.<br />

Ein dritter Fall betrifft <strong>de</strong>n Münchner Anwalt Philipp Loewenfeld,<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokrat und berühmter Strafverteidiger,<br />

<strong>de</strong>ssen Vater Theodor Loewenfeld bereits Professor an <strong>de</strong>r<br />

Münchner Universität und Vorstand <strong>de</strong>r Münchner jüdischen<br />

Gemein<strong>de</strong> gewesen war. Philipp Loewenfeld, <strong>de</strong>r übrigens unter<br />

Kurt Eisner Bayerns ersten <strong>de</strong>mokratischen Verfassungstext<br />

ausgearbeitet hat, war bei <strong>de</strong>n Nazis so verhasst, dass sie ihn bereits<br />

bei ihrem Putsch 1923 in <strong>de</strong>r Nacht vom 8. zum 9. November<br />

verhaften wollten. Nach<strong>de</strong>m im März 1933 die Nazis<br />

auch in Bayern an die Macht gelangt waren, konnte Loewenfeld<br />

im letzten Moment am Tage <strong>de</strong>r geplanten Verhaftung in die<br />

Schweiz fliehen; später arbeitete er in New York bis zu seinem<br />

Tod 1963. Seine Erinnerungen, die von <strong>de</strong>r Kindheit bis zur<br />

Flucht 1933 reichen, sind eine <strong>de</strong>r wichtigsten Quellen zur<br />

bayerischen und <strong>de</strong>utschen Geschichte bis 1933; die Publikation<br />

wird von mir vorbereitet. Loewenfeld gehörte vor 1933 zu<br />

<strong>de</strong>n politisch klarsichtigsten Sozial<strong>de</strong>mokraten; er erlebte Hitlers<br />

Auftritte in München und sah schon frühzeitig das aufziehen<strong>de</strong><br />

Verhängnis voraus.<br />

Nach <strong>de</strong>n ersten individuellen Terrorakten kam schon am<br />

1.4.1933 <strong>de</strong>r Start zur Beseitigung einer unabhängigen Anwaltschaft.<br />

Es war <strong>de</strong>r Boykott-Tag <strong>de</strong>s neuen Regimes gegen jüdische<br />

Geschäfte, <strong>de</strong>r aber auch jüdische Ärzte und Anwälte betraf.<br />

An diesem Tag wur<strong>de</strong>n überall, vor allem in Berlin, jüdische<br />

Anwälte am Betreten <strong>de</strong>r Gerichtsgebäu<strong>de</strong> gehin<strong>de</strong>rt. Vor <strong>de</strong>n<br />

Gebäu<strong>de</strong>n stan<strong>de</strong>n SA-Wachen, die <strong>de</strong>n Zugang kontrollierten.<br />

Die Anwaltskammern, in <strong>de</strong>nen noch Anfang 1933 zahlreiche<br />

jüdische Kollegen zu <strong>de</strong>n geachtetsten Repräsentanten gehörten,<br />

vermie<strong>de</strong>n nicht nur je<strong>de</strong>n Protest gegen die Diskriminierung<br />

ihrer Kollegen, son<strong>de</strong>rn kollaborierten mit <strong>de</strong>n Nazis, in<strong>de</strong>m<br />

sie zur Ermöglichung <strong>de</strong>s Betretens <strong>de</strong>r Gerichtsgebäu<strong>de</strong><br />

Bescheinigungen mit „Ariernachweisen“ ausstellten. Hinter<br />

<strong>de</strong>m Boykott stand <strong>de</strong>r nationalsozialistische Justizpolitiker<br />

Hans Kerrl, <strong>de</strong>r geschäftsführen<strong>de</strong>r preußischer Justizminister<br />

war und bereits am 31. März <strong>de</strong>n sog. Kerrl-Erlass herausgegeben<br />

hatte, wonach Ju<strong>de</strong>n als Anwälte nur noch entsprechend<br />

ihrem Anteil an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bevölkerung zugelassen sein sollten.<br />

In Berlin gab es im März 1933 1879 „nichtarische“ Anwälte<br />

– von ihnen hätten nach Kerrls Plan nur etwa 35 übrig bleiben<br />

können. Kerrl gehörte 1933 zu <strong>de</strong>n radikalsten Antisemiten unter<br />

<strong>de</strong>n Nazis. Als Justizpolitiker wur<strong>de</strong> er 1936 wegen <strong>de</strong>s<br />

Übergangs <strong>de</strong>r Justiz in die Kompetenz <strong>de</strong>s Reiches entmachtet<br />

und verlor <strong>de</strong>n Posten <strong>de</strong>s preußischen Justizministers unter<br />

Göring – er blieb aber Reichskirchenminister und hat in dieser<br />

Eigenschaft Hitler bis zu seinem To<strong>de</strong> 1941 gedient. Kurz vor<br />

<strong>de</strong>m Boykott hielt Kerrl am 29.3.1933 eine Rundfunkre<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>r<br />

er unter an<strong>de</strong>rem folgen<strong>de</strong>s sagte: „Die Ju<strong>de</strong>n sind Ungeziefer,<br />

Wanzen, die man ausräuchern, zerknacken und vertilgen<br />

muss.“ Das war die Sprache <strong>de</strong>s Justizministers schon zwei Monate<br />

nach <strong>de</strong>m 30. Januar 1933. Kerrl konnte sich jedoch 1933<br />

mit seiner I<strong>de</strong>e eines proportionalen Anteils jüdischer Anwälte<br />

nicht durchsetzen, die schon damals zum Berufsverbot für mehr<br />

als 90 % jüdischer Anwälte geführt hätte. Er hatte in <strong>de</strong>m von<br />

Hitler übernommenen <strong>de</strong>utschnationalen Reichsjustizminister<br />

Franz Gürtner einen Gegner, <strong>de</strong>r eine reichsgesetzliche Regelung<br />

für Anwälte durch das Gesetz über die Zulassung zur<br />

Rechtsanwaltschaft v. 7.4.1933 erreichte. Dieses Gesetz lehnte<br />

sich an das gleichzeitige Gesetz über die Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>s<br />

Berufsbeamtentums an, war aber weniger einschnei<strong>de</strong>nd, da jüdische<br />

RAe nicht automatisch ihre Zulassung verloren, son<strong>de</strong>rn<br />

nur <strong>de</strong>ren Rücknahme bis zum 30.9.1933 vorgesehen war. Die<br />

entlassenen „nichtarischen“ Beamten konnten unter Umstän<strong>de</strong>n<br />

eine Zulassung als Anwälte erhalten – <strong>de</strong>r Anwaltsstand<br />

diente zunächst als Auffangbecken für entlassene jüdische Richter<br />

und Beamte. Darunter befand sich <strong>de</strong>r junge Richter Adolf<br />

Arndt, <strong>de</strong>r in Berlin als Anwalt weiterarbeiten konnte und nach<br />

1945 <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendste sozial<strong>de</strong>mokratische Rechtspolitiker <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik wur<strong>de</strong>, schließlich auch Senator in Berlin.<br />

Das Gesetz v. 7.4. legte auch fest, dass drei Kategorien von<br />

Nichtariern als RAe verbleiben durften. Es waren Frontkämpfer<br />

<strong>de</strong>s Ersten Weltkriegs, Väter und Söhne Gefallener und schließlich<br />

die bereits am 1.8.1914 zugelassenen Anwälte, die sog. Altanwälte.<br />

An<strong>de</strong>rerseits sollte allen RAen, die sich im kommunistischen<br />

Sinne betätigt hatten, die Zulassung entzogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Dadurch wur<strong>de</strong> es möglich, mit <strong>de</strong>r Verdächtigung als Kommunisten<br />

sozial<strong>de</strong>mokratische Anwälte auszuschalten, was allerdings<br />

nicht immer gelang. Der sozial<strong>de</strong>mokratische Anwalt<br />

Ernst Fraenkel, vor 1933 Syndikus beim Deutschen Metallarbeiterverband,<br />

hätte als Frontkämpfer trotz nichtarischer Abstammung<br />

zugelassen wer<strong>de</strong>n müssen. Er wur<strong>de</strong> im preußischen Justizministerium<br />

kommunistischer Tätigkeit beschuldigt, wehrte<br />

sich aber energisch und erreichte schließlich, dass ihm das Justizministerium<br />

die Zulassung nicht entzog.<br />

Obwohl Kerrl bemüht war, in Preußen möglichst viele Nichtarier<br />

zum Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Anwaltsberuf zu zwingen und<br />

die Ausnahmen <strong>de</strong>s Gesetzes eng auszulegen, in<strong>de</strong>m z.B. nicht<br />

etwa je<strong>de</strong>r Soldat <strong>de</strong>s Weltkriegs als „Frontkämpfer“ gelten<br />

sollte, verblieben En<strong>de</strong> 1933 immer noch 1220 nichtarische<br />

Anwälte, also etwa 2 / 3 <strong>de</strong>r Zahl von Anfang 1933. Da seit April<br />

1933 Nichtarier nicht mehr zum Referendardienst zugelassen<br />

wur<strong>de</strong>n und bereits eingestellte Referendare aus <strong>de</strong>m Dienst<br />

entfernt wur<strong>de</strong>n, musste sich <strong>de</strong>r Anteil jüdischer Anwälte<br />

zwangsläufig allmählich vermin<strong>de</strong>rn. Die verbliebenen Nichtarier<br />

als RAe waren vielen Diskriminierungen ausgesetzt – so<br />

sollten sie nicht mehr als Armenanwälte beigeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />

Trotz<strong>de</strong>m haben viele ausgeharrt, obwohl sie seit <strong>de</strong>n Nürnberger<br />

Gesetzen von 1935 nicht mehr Reichsbürger waren und dadurch<br />

vor allem vom Notariat ausgeschlossen wur<strong>de</strong>n. Trotz<br />

schlechter Finanzlage <strong>de</strong>r Praxen gab es aber Anfang 1938 in<br />

Preußen immer noch 1647 RAe jüdischer Herkunft, etwa 15 %,<br />

in Berlin waren es 28 %, in Frankfurt 23 %, in Breslau 16,4 %.<br />

Der Anschluss Österreichs 1938 be<strong>de</strong>utete zunächst nochmals<br />

eine erhebliche Vermehrung <strong>de</strong>r Zahl nichtarischer Anwälte.<br />

Man übertrug zunächst die <strong>de</strong>utsche Regelung von 1933 – also<br />

Zulassung <strong>de</strong>r Frontkämpfer etc. –, was aber immer noch viele<br />

jüdische Anwälte vor allem in Wien übrig ließ: es waren dort<br />

936, 2 / 3 <strong>de</strong>r Gesamtzahl <strong>de</strong>r Anwälte. Man entschloss sich daher<br />

im Reichsjustizministerium schon im April 1938, die Ju<strong>de</strong>n<br />

gänzlich vom Anwaltsberuf auszuschließen. Sie sollten nur<br />

noch als „jüdische Konsulenten“ die Möglichkeit haben, Ju<strong>de</strong>n<br />

rechtlich zu beraten und zu vertreten, mussten aber zu dieser<br />

Tätigkeit auch ausdrücklich, nach Bedürfnis, zugelassen wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Ausschluss aus <strong>de</strong>r Anwaltschaft erfolgte durch die 5.<br />

Verfügungsverordnung zum Reichsbürgergesetz v. 14.10.1938,<br />

drei Wochen vor <strong>de</strong>r Reichspogromnacht. Diesen Ausschluss<br />

feierte Erwin Noack, zweiter Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Reichsrechtsanwaltskammer<br />

seit 1933, mit einem Artikel „Die Entjudung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Anwaltschaft“ in <strong>de</strong>r JW mit folgen<strong>de</strong>n Worten: „Die vom<br />

Gesetzgeber gewählte Lösung ist ein würdiger weltanschaulich<br />

bedingter Ausgleich. Dem <strong>de</strong>utschen Volksgenossen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche<br />

Rechtswahrer! Dem Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r jüdische Konsulent! Mit<br />

Stolz kann <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Anwalt sich wie<strong>de</strong>r Rechtsanwalt nennen.“<br />

In <strong>de</strong>r Anwaltschaft konnten auch nach 1938 die sog. jüdischen<br />

Mischlinge verbleiben. Sie wur<strong>de</strong>n aber durch beson<strong>de</strong>re<br />

Listen bei <strong>de</strong>n Gerichten erfasst und konnten nur Mischlinge<br />

o<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>rs darum nachsuchen<strong>de</strong> arische Parteien<br />

vertreten, also we<strong>de</strong>r Armenanwälte noch Pflichtverteidiger<br />

sein.<br />

Die Zahl <strong>de</strong>r zugelassenen Konsulenten war sehr gering, so z.B.<br />

in Berlin nur 49 gegenüber 671 jüdischen Anwälten noch En<strong>de</strong><br />

1938. Sie mussten bei Vertretungen eine „Ju<strong>de</strong>nkarte“ vorlegen<br />

und waren seit 1941 natürlich durch Tragen <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>nsterns ge-


112 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Landau, Justiz und Rechtsanwaltschaft in <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Diktatur<br />

brandmarkt. Einige dieser Konsulenten konnten noch emigrieren;<br />

viele wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>portiert und ermor<strong>de</strong>t. Von <strong>de</strong>n 49 Berliner<br />

Konsulenten waren hier im April 1945 noch vier tätig, wahrscheinlich<br />

durch nichtjüdische Ehefrauen (privilegierte Mischehen)<br />

vor <strong>de</strong>r Deportation geschützt. Man vergegenwärtige sich,<br />

dass von <strong>de</strong>n 1879 jüdischen RAen in Berlin Anfang 1933 zwölf<br />

Jahre später nur vier Konsulenten übrig waren.<br />

Die Rolle <strong>de</strong>r RAKn gegenüber dieser Zerstörung ihres Berufs ist<br />

teils passiv o<strong>de</strong>r zustimmend gewesen – neben <strong>de</strong>m stellvertreten<strong>de</strong>n<br />

Präsi<strong>de</strong>nten Erwin Noack hat hier Reinhard Neubert,<br />

Berliner Anwalt und Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Reichsrechtsanwaltskammer,<br />

eine unrühmliche Rolle gespielt. Neubert hatte schon im April<br />

1933 eine Liste <strong>de</strong>r 35 jüdischen Anwälte veröffentlicht, die<br />

künftig noch zugelassen wer<strong>de</strong>n sollten. Neubert war bereits vor<br />

1933 Nationalsozialist, wur<strong>de</strong> 1933 Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Reichsrechtsanwaltskammer<br />

– in einer Erklärung zum Neuen Jahre 1939<br />

schrieb er: „Durch das Ausschei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r jüdischen Rechtsanwälte<br />

ist die Anwaltschaft endlich von artfrem<strong>de</strong>m Einfluss ganz<br />

befreit und damit für die Erfüllung ihrer Aufgaben im nationalsozialistischen<br />

Staat bereit gemacht.“<br />

Neben <strong>de</strong>r staatlichen Diskriminierung stand die Diskriminierung<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Stan<strong>de</strong>sorganisationen. Bereits im November<br />

1933 schloss <strong>de</strong>r Deutsche Anwaltsverein die „nichtarischen“<br />

Mitglie<strong>de</strong>r aus. Sozietäten zwischen arischen und<br />

nichtarischen RAen wur<strong>de</strong>n schon durch Beschluss <strong>de</strong>r Reichsrechtsanwaltskammer<br />

v. 12.7.1933 für unzulässig erklärt. Die<br />

berufsständischen Interessen <strong>de</strong>r jüdischen Anwälte sollten<br />

nach Richtlinien <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s nationalsozialistischer <strong>de</strong>utscher<br />

Juristen (BNSDJ) vom Fachgruppenleiter RAe in diesem Bund<br />

wahrgenommen wer<strong>de</strong>n. Natürlich konnten Ju<strong>de</strong>n in diesem<br />

Bund, <strong>de</strong>r sich seit 1936 Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund<br />

(NSRB) nannte, nicht etwa Mitglie<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n. Der Begriff<br />

„Rechtswahrer“ sollte <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Juristen ersetzen. Die „Rechtswahrer“<br />

sollten ständisch zusammengefasst sein, was ihnen<br />

einen Einflussbereich in <strong>de</strong>r Volksgemeinschaft sichern sollte.<br />

Doch blieb dies letztlich ein Trugbild, da eine selbstständige Interessenvertretung<br />

nicht möglich war und Juristen innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Diktatur stets mit Misstrauen betrachtet wur<strong>de</strong>n, da letztlich die<br />

Nazis ihr Klischeebild vom volksfrem<strong>de</strong>n Juristen behielten, das<br />

sie meist in Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit jüdischen RAen in <strong>de</strong>r sog.<br />

Kampfzeit entwickelt hatten. Vor allem war auch Hitlers Juristenbild<br />

zunächst von seinen Erfahrungen mit RAen – für ihn stets<br />

„Advokaten“ – in Bayern geprägt, während seine Erfahrungen<br />

mit ihm gegenüber mil<strong>de</strong>n Richtern aus seiner Sicht weit positiver<br />

waren. So konnte er in <strong>de</strong>n ,Tischgesprächen‘ sagen: „Der<br />

ganze Beruf <strong>de</strong>s Rechtsanwalts ist ein schmutziger Beruf“. Als<br />

„Rechtswahrer“ sollte <strong>de</strong>r Anwalt nicht etwa primär die optimale<br />

Vertretung seines Mandanten erstreben; seine alleinige<br />

Aufgabe sei es, <strong>de</strong>m Gericht bei <strong>de</strong>r Erforschung <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

zu helfen. Die I<strong>de</strong>ologie <strong>de</strong>s NS-Regimes schloss eine unabhängige<br />

Anwaltschaft aus; <strong>de</strong>r RA sollte eine „Staatsperson“<br />

wer<strong>de</strong>n, wie Hitler selbst noch 1942 in seinen Tischgesprächen<br />

ausführte.<br />

Weshalb haben unter <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Juristen auch die <strong>de</strong>utschen<br />

Anwälte schon 1933 das nationalsozialistische Regime<br />

mit seiner Justizpolitik ohne je<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand akzeptiert, <strong>de</strong>n<br />

Ausschluss vieler Kollegen unterstützend begleitet und die Ersetzung<br />

<strong>de</strong>r freien Advokatur durch eine diffuse ständische Einordnung<br />

als Rechtswahrer hingenommen Will man die Interessenlage<br />

und Mentalität <strong>de</strong>r sog. arischen RAe in dieser Zeit erklären,<br />

so muss man außer verbreiteter konservativer Einstellung<br />

und anti<strong>de</strong>mokratischem Ressentiment auch unter <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />

Rechtsanwälten wie in <strong>de</strong>r übrigen Bevölkerung die<br />

Überfüllung <strong>de</strong>s Anwaltsberufs berücksichtigen, die beson<strong>de</strong>rs<br />

in <strong>de</strong>n letzten Jahren vor 1933 zugenommen hatte. Die freie Zulassung<br />

zur Advokatur war im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt von <strong>de</strong>n Liberalen<br />

erkämpft und in <strong>de</strong>r Rechtsanwaltsordnung von 1879 verankert<br />

wor<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>r jüdische Anwalt Moritz Benedikt hatte ihr<br />

ein klassisches Werk gewidmet. Aber die Anwaltsvereine selbst<br />

rückten seit 1928 vom Prinzip <strong>de</strong>r freien Advokatur ab; <strong>de</strong>r DAV<br />

befürwortete damals in seiner Abgeordnetenversammlung<br />

grundsätzlich einen Numerus clausus. Auf <strong>de</strong>r 29. Abgeordnetenversammlung<br />

<strong>de</strong>s DAV am 4.12.1932 wur<strong>de</strong> für eine Zulassungssperre<br />

mit 127 gegen 19 Stimmen votiert. Gegen diesen<br />

Beschluss waren einige <strong>de</strong>r prominentesten jüdischen Anwälte,<br />

Max Hachenburg, <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong> Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s DAV, Julius<br />

Magnus, Schriftleiter <strong>de</strong>r JW, Martin Drucker, Ehrenpräsi<strong>de</strong>nt<br />

<strong>de</strong>s DAV, Max Friedlaen<strong>de</strong>r, Verfasser <strong>de</strong>s Kommentars zur<br />

Rechtsanwaltsordnung. Alle vier genannten Opponenten wur<strong>de</strong>n<br />

nach 1933 drangsaliert und mit Ausnahme Druckers, <strong>de</strong>r zu<br />

<strong>de</strong>n „Mischlingen“ gehörte, 1938 mit Berufsverbot belegt. Man<br />

kann nicht leugnen, dass die Zustimmung <strong>de</strong>r nichtjüdischen<br />

Anwälte zur Ausschaltung ihrer jüdischen Kollegen seit 1933<br />

ganz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> wirtschaftliche Grün<strong>de</strong> hatte – man erhoffte<br />

sich durch die Eliminierung jüdischer Kollegen Einkommensverbesserungen,<br />

die allerdings nach 1933 kaum eintraten. Das<br />

endgültige En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r freien Advokatur brachte 1936 <strong>de</strong>r § 15<br />

Abs. 2 <strong>de</strong>r Reichsrechtsanwaltsordnung: „Bei einem Gericht sollen<br />

nicht mehr Rechtsanwälte zugelassen wer<strong>de</strong>n, als einer geordneten<br />

Rechtspflege dienlich ist.“ Über die Zulassung entschied<br />

<strong>de</strong>r Reichsjustizminister.<br />

Zwar blieb auch nach 1936 RA im Deutschen Reich ein freier<br />

Beruf; aber das Endziel Hitlers und seines Regimes blieb die Verbeamtung<br />

<strong>de</strong>r Anwaltschaft, die das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s bisherigen Status<br />

be<strong>de</strong>utet hätte. Dieses Ziel fand auch unter nationalsozialistisch<br />

eingestellten Anwälten keine mehrheitliche Zustimmung, lag<br />

aber in <strong>de</strong>r Logik <strong>de</strong>r totalitären I<strong>de</strong>ologie. In <strong>de</strong>r Diktatur Hitlers<br />

konnte es we<strong>de</strong>r einen Rechtsstaat noch <strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>s RA<br />

geben, und es bleibt bedrückend, dass die Warnungen vor dieser<br />

Entwicklung in <strong>de</strong>r Anwaltschaft 1933 ganz selten waren.<br />

Die historische Entwicklung seit 1933 lässt sich folgen<strong>de</strong>rmaßen<br />

resümieren:<br />

1.) Die Verfolgung und Eliminierung <strong>de</strong>r jüdischen Anwälte war<br />

ein beispielloser Verlust für die <strong>de</strong>utsche Rechtskultur, ein Teil<br />

<strong>de</strong>r großen Katastrophe <strong>de</strong>r Eliminierung <strong>de</strong>r jüdischen Deutschen<br />

aus <strong>de</strong>r allgemeinen <strong>de</strong>utschen Kultur.<br />

2.) Es fehlte eine Solidarität <strong>de</strong>r nichtjüdischen Anwälte mit <strong>de</strong>njenigen<br />

Kollegen, die sie noch bis Anfang 1933 ganz selbstverständlich<br />

zu ihren Repräsentanten gewählt hatten.<br />

3.) Die Befürwortung von Numerus clausus und Zulassungssperre<br />

schon vor 1933 unter <strong>de</strong>n Anwälten zeigt an, dass es<br />

außer <strong>de</strong>m Verfall <strong>de</strong>s Rechtsbewusstseins unter <strong>de</strong>n Juristen<br />

auch <strong>de</strong>n Verfall eines spezifischen Anwaltsethos gab. Dass dieser<br />

Verfall möglich war, hängt wohl auch mit Unsicherheiten im<br />

Selbstverständnis <strong>de</strong>r Anwaltschaft zusammen. Im klassisch<br />

liberalen Selbstverständnis sahen die Anwälte ihren Beruf als<br />

notwendigen Berufsstand bei <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s Rechts im<br />

„Kampf ums Recht“, um die berühmte Formel Jherings von 1872<br />

aufzugreifen. Demgegenüber entsprach es <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Nazis<br />

kultivierten I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Volksgemeinschaft, dass <strong>de</strong>r Anwalt eine<br />

„Völkische Treuepflicht“ habe. Die Volksgemeinschaft fin<strong>de</strong> im<br />

Volksbo<strong>de</strong>n, Volksschicksal und Blut ihre Einheit, die gegen <strong>de</strong>n<br />

Angriff von Verbrechern auch durch die RAe zu schützen sei.<br />

Der Verteidiger befand sich in einer einheitlichen Rechtsfront<br />

<strong>de</strong>r Rechtswahrer als Kamerad von Staatsanwälten und Richtern.<br />

Das be<strong>de</strong>utete zunächst i<strong>de</strong>ologisch eine soziale Aufwertung<br />

<strong>de</strong>s Anwaltstan<strong>de</strong>s innerhalb <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r Juristen. Eine erhebliche<br />

Zahl <strong>de</strong>utscher Anwälte war bereit, für die Gleichheit<br />

im Bun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Rechtswahrer <strong>de</strong>n hohen Preis <strong>de</strong>r Verabschiedung<br />

von Grundsätzen <strong>de</strong>r freien Advokatur zu zahlen, obwohl<br />

auch unter <strong>de</strong>m Nationalsozialismus zahlreiche Anwälte nicht<br />

<strong>de</strong>m NS-Rechtswahrerbund beitraten und auch die Anwälte im


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 113<br />

Lang, „Der Führer wünscht keine beson<strong>de</strong>ren Maßnahmen“. Das En<strong>de</strong> eines <strong>de</strong>utschen Rechtsanwalts<br />

Rechtswahrerbund mehrheitlich <strong>de</strong>n Anwaltsberuf als freien Beruf<br />

erhalten wollten. An<strong>de</strong>rerseits wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r damaligen juristischen<br />

Literatur behauptet, Anwaltstätigkeit sei nicht Privatbetrieb,<br />

son<strong>de</strong>rn ein öffentlicher Arbeitsauftrag, wie es in einer juristischen<br />

Dissertation 1937 hieß. Ein solches Verständnis <strong>de</strong>s<br />

Anwaltsberufs hätte zur Verbeamtung <strong>de</strong>r Anwälte führen können,<br />

wie sie bis in die Jahre <strong>de</strong>s Zweiten Weltkriegs hinein von<br />

manchen Nationalsozialisten angestrebt wur<strong>de</strong>.<br />

Das konnte allerdings die geistigen Vorbehalte bei führen<strong>de</strong>n<br />

Nazis gegenüber <strong>de</strong>m Beruf <strong>de</strong>s RA keineswegs ausräumen, da<br />

in <strong>de</strong>r Praxis etwa <strong>de</strong>r Strafverteidigung Anwälte doch für die Interessen<br />

ihrer Mandanten eintraten und <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>r ganze Berufsstand<br />

wie<strong>de</strong>rholt in beleidigen<strong>de</strong>r Form angegriffen wur<strong>de</strong>,<br />

etwa in <strong>de</strong>r SS-Zeitschrift „Das Schwarze Korps“ während <strong>de</strong>s<br />

Krieges. In <strong>de</strong>r totalitären Diktatur hätte <strong>de</strong>r Beruf <strong>de</strong>s RA auf<br />

Dauer nicht überleben können.<br />

„Der Führer wünscht keine beson<strong>de</strong>ren Maßnahmen.“<br />

Das En<strong>de</strong> eines <strong>de</strong>utschen Rechtsanwalts<br />

Rechtsanwalt Hubert Lang, Leipzig<br />

„Der Führer wünscht keine beson<strong>de</strong>ren Maßnahmen.“ So lautet<br />

die Aktennotiz <strong>de</strong>s Reichsjustizministers Gürtner nach einem<br />

Gespräch mit Hitler am 8. April1938 in Linz über <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>s<br />

Leipziger Rechtsanwalts Max Hellmann.<br />

Max Hellmann wur<strong>de</strong> am 27. Mai 1884 in Leipzig als einziges<br />

Kind jüdischer Eltern geboren. Sein Vater, <strong>de</strong>r Kaufmann Otto<br />

Hellmann, starb erst 61jährig 1916 in Leipzig. Die Mutter Hedwig<br />

geborene Werner wur<strong>de</strong> 81 Jahre alt und starb 1942 im jüdischen<br />

Pflegeheim in <strong>de</strong>r Leipziger Färberstraße.<br />

Der Sohn Max besuchte die renommierteste Bildungseinrichtung<br />

Leipzigs, die Thomasschule, wo er im Jahr 1903 das Abitur<br />

ablegte. In <strong>de</strong>n Jahren von 1904 bis 1908 studierte Hellmann<br />

Jura und war anschließend bis 1912 als Referendar tätig. Im gleichen<br />

Jahr legte er erfolgreich die zweite juristische Staatsprüfung<br />

ab und wur<strong>de</strong> am 1. April 1913 als Rechtsanwalt beim<br />

Amts- und Landgericht Leipzig zugelassen.<br />

Max Hellmann war seit<strong>de</strong>m als Einzelanwalt tätig. Seine Praxis,<br />

wie auch seine Wohnung, befand sich im eigenen Haus in <strong>de</strong>r<br />

Nathalienstraße 6. Die <strong>Schwerpunkt</strong>e seiner anwaltlichen Tätigkeit<br />

lagen im zivil- und strafrechtlichen Bereich. Es ist nicht ersichtlich,<br />

dass Max Hellmann vor 1933 als Anwalt einmal beson<strong>de</strong>rs<br />

hervorgetreten ist. Irgendwelche Beanstandungen seiner<br />

Tätigkeit hat es aber offensichtlich ebenfalls nicht gegeben.<br />

Rechtsanwalt Hellmann gehörte keiner politischen Partei an und<br />

bezeichnete sich selbst als <strong>de</strong>utschnational eingestellt.<br />

Im Jahr 1937 soll sein monatliches Einkommen nur noch 100,00<br />

RM – später nur noch 60,00 RM – betragen haben.<br />

Im Jahr 1924 war Max Hellmann zum evangelisch-lutherischen<br />

Glauben übergetreten. Er heiratete die nichtjüdische Elsa Haferkorn,<br />

die früh und unerwartet am 14. Mai 1936 in Leipzig verstarb.<br />

Aus <strong>de</strong>r Ehe waren keine Kin<strong>de</strong>r hervorgegangen.<br />

So blieb Max Hellmann in tiefer Trauer und ohne <strong>de</strong>n relativen<br />

Schutz einer so genannten „Mischehe“ zurück. Da er nicht gewohnt<br />

war, sich selbst zu versorgen, benötigte er Unterstützung<br />

bei <strong>de</strong>r Haushaltsführung. Ihm stand eine 53jährige nichtjüdische<br />

Aufwartefrau zur Seite. Sein Essen wur<strong>de</strong> jedoch von einer<br />

34jährigen ebenfalls nichtjüdischen Hilfe zubereitet.<br />

Deshalb sollte Max Hellmann gegen das Blutschutzgesetz verstoßen<br />

haben.<br />

Hieraus entwickelte sich <strong>de</strong>r „Fall Hellmann“, über welchen im<br />

April 1938 schließlich Hitler und Gürtner sprachen.<br />

Die in <strong>de</strong>n Akten geschil<strong>de</strong>rten Vorgänge, aus welchen sich allerdings<br />

die Gefühlslage und Motivation <strong>de</strong>s Angeklagten nicht<br />

zweifelsfrei feststellen lassen, nehmen sowohl hochdramatische,<br />

wie auch schwejkische Züge an.<br />

Im November 1937 war Max Hellmann die Anklageschrift <strong>de</strong>s<br />

Oberstaatsanwalts beim Landgericht Leipzig v. 30. Oktober<br />

1937 zugestellt wor<strong>de</strong>n. Hiernach wur<strong>de</strong> ihm vorgeworfen, „im<br />

Jahre 1937 in Leipzig als Ju<strong>de</strong> eine weibliche Staatsangehörige<br />

<strong>de</strong>utschen Blutes unter 45 Jahren in seinem Haushalt beschäftigt<br />

zu haben.<br />

Vergehen nach §§ 3, 5 Abs. 3 <strong>de</strong>s Blutschutzgesetzes vom<br />

15.9.1935“<br />

Es kann nur gemutmaßt wer<strong>de</strong>n, warum Max Hellmann auf<br />

diese Anklageschrift in einer Weise reagierte, die die Nationalsozialisten<br />

als Provokation empfin<strong>de</strong>n mussten. Sein Vorgehen<br />

gleicht teilweise <strong>de</strong>m eines Amokläufers, <strong>de</strong>r nichts mehr zu verlieren<br />

hat. Es kann eigentlich nicht angenommen wer<strong>de</strong>n, dass<br />

<strong>de</strong>r hochgebil<strong>de</strong>te Rechtsanwalt tatsächlich an <strong>de</strong>n „Erfolg“ seines<br />

Vorgehens glaubte. An<strong>de</strong>rerseits muss ihm die akute Gefahr,<br />

in die er sich brachte, wohl bewusst gewesen sein.<br />

Je<strong>de</strong>nfalls hat Max Hellmann, sich selbst verteidigend, in seiner<br />

Erwi<strong>de</strong>rungsschrift auf die Anklage v. 13. November 1937 beantragt,<br />

<strong>de</strong>n Führer zur Hauptverhandlung als Zeugen mit folgen<strong>de</strong>r<br />

Begründung zu la<strong>de</strong>n: „Das Beweisthema wür<strong>de</strong> lauten:<br />

Der Führer soll auf meinen Vorhalt in <strong>de</strong>r Hauptverhandlung als<br />

Zeuge <strong>de</strong>n Inhalt seiner Re<strong>de</strong>n bekun<strong>de</strong>n, dass sein Wille einzig<br />

und allein in <strong>de</strong>n Gesetzen und Verordnungen verankert sei.<br />

Der Wortlaut sei so einfach klar <strong>de</strong>m kleinen Mann verständlich,<br />

dass daran nichts zu <strong>de</strong>uteln sei. Deutelungen seien lediglich<br />

Wunschgedanken einzelner, die nun Märtyrer schaffen, nicht<br />

aber seinem Willen folgen.“<br />

Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Antrag umgehend und erwartungsgemäß abgelehnt<br />

wor<strong>de</strong>n war, hat Max Hellmann am 17. Dezember 1937<br />

<strong>de</strong>n Gerichtsvollzieher beauftragt, <strong>de</strong>m „Führer und Reichskanzler“<br />

eine Zeugenladung gemäß § 220 StPO zuzustellen.<br />

Mit <strong>de</strong>r Begründung, dass Hitler gemäß § 49 StPO nicht gela<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n könne, hat <strong>de</strong>r Gerichtsvollzieher auf entsprechen<strong>de</strong><br />

Anweisung <strong>de</strong>s OLG-Präsi<strong>de</strong>nten die Zustellung abgelehnt.<br />

Daraufhin hat Hellmann am 29. Dezember eine briefliche Ladung<br />

unmittelbar zugestellt. Zur Begründung <strong>de</strong>r Zeugenladung<br />

führt er aus, dass die 34jährige Frau in seiner Wohnung „für sich,<br />

für ihren eigenen Haushalt“ Kartoffeln gekocht habe. Dies sei<br />

nach <strong>de</strong>m klaren Gesetzeswortlaut jedoch nicht strafbar.<br />

Hitler wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Ladung aufgefor<strong>de</strong>rt, die Zimmernummer<br />

<strong>de</strong>s Verhandlungssaales beim Wachtmeister zu erfragen. Er<br />

wur<strong>de</strong> gleichzeitig bereits darauf hingewiesen, dass seine Ent-


114 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Mailän<strong>de</strong>r, Die Auswirkungen <strong>de</strong>r EuGH-Urteile auf das nationale Berufsrecht in Deutschland<br />

lassung nach <strong>de</strong>r Vernehmung nicht erfolgen könne, da Fragen<br />

an <strong>de</strong>n Zeugen noch bis direkt vor Verkündung <strong>de</strong>s Strafurteils<br />

möglich wer<strong>de</strong>n. Diese Formulierungen wur<strong>de</strong>n als Verhöhnung<br />

Hitlers später in <strong>de</strong>r Nazi-Presse beson<strong>de</strong>rs scharf angegriffen.<br />

Max Hellmann wur<strong>de</strong> bereits am 6. Januar 1938 vorläufig festgenommen<br />

und kam schließlich am 31. Januar 1938 in Untersuchungshaft.<br />

Am 15. Januar 1938 hatte die Hauptverhandlung vor <strong>de</strong>m Schöffengericht<br />

Leipzig in <strong>de</strong>r Elisenstraße stattgefun<strong>de</strong>n. Dem Angeklagten<br />

wur<strong>de</strong> seitens <strong>de</strong>s Staatsanwaltes die persönliche Ladung<br />

Hitlers wie<strong>de</strong>rholt vorgehalten. Er soll hierauf zu seiner Verteidigung<br />

erwi<strong>de</strong>rt haben: „Es habe ihm vollkommen fern gelegen,<br />

<strong>de</strong>n Führer und Reichskanzler zu kränken o<strong>de</strong>r etwa mit <strong>de</strong>r Absicht<br />

zu han<strong>de</strong>ln, ihn in seiner Ehre zu kränken. Er habe im Gegenteil<br />

seine Hochachtung zum Ausdruck bringen wollen.“<br />

Max Hellmann wur<strong>de</strong> wegen Verstoßes gegen das Blutschutzgesetz<br />

zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.<br />

Als bei <strong>de</strong>r vorangegangenen Durchsuchung seiner Wohnung<br />

ein Schreiben an Hitler v. 24.2.1936 vorgefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n war,<br />

kamen nach Aktenlage erstmals Zweifel an <strong>de</strong>r Zurechnungsfähigkeit<br />

<strong>de</strong>s Leipziger Rechtsanwalts auf.<br />

Der Inhalt dieses Briefes ist tatsächlich Ausdruck einer verzweifelten<br />

Selbstkasteiung eines <strong>de</strong>utschen Rechtsanwaltes, <strong>de</strong>r sich<br />

zu Unrecht als Ju<strong>de</strong> diffamiert fühlt.<br />

Sein verstorbener Vater sei ein Fanatiker gegen das Ostju<strong>de</strong>ntum<br />

gewesen.<br />

Er soll gesagt haben: „Die Ostju<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, wenn wir sie weiter<br />

so in Deutschland einziehen lassen, unser Deutschland verju<strong>de</strong>n<br />

und die <strong>de</strong>utschen Ju<strong>de</strong>n langsam ent<strong>de</strong>utschen.“<br />

Der Vater habe seine <strong>de</strong>utsche Gesinnung an ihm ausgelassen.<br />

Deshalb erhielt er privaten Religionsunterricht in rein <strong>de</strong>utscher<br />

Sprache.<br />

Im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt hätten zahlreiche Arier, um das Hebräische<br />

besser studieren zu können, die jüdische Religion angenommen.<br />

Das geriet dann jedoch in Vergessenheit. Zu diesen Menschen<br />

hätten die Vorfahren seines Vaters gehört. An<strong>de</strong>rs sei <strong>de</strong>ssen arisches<br />

Herz und seine <strong>de</strong>utsche Gesinnung nicht zu erklären. Max<br />

Hellmann bat Hitler, ihn „aus <strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>ntum herauszunehmen“!<br />

Und weiter schreibt er wörtlich: „Und wenn ich – infolge Fehlens<br />

je<strong>de</strong>r Beweismittel – einen ablehnen<strong>de</strong>n Bescheid erhalte,<br />

dann kann ich nur wünschen, dass es <strong>de</strong>r medizinischen Wissenschaft<br />

bald gelingen möge, am leben<strong>de</strong>n Menschen die Herzen<br />

auszutauschen, so mein nur <strong>de</strong>utsch empfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Herz irgend<br />

einem Manne einzupflanzen, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Straße feste ‚Heil<br />

Hitler!’ brüllt und so wenig <strong>de</strong>utsch empfin<strong>de</strong>t, dass er als arischer<br />

Deutsch-Germane erst noch geschult wer<strong>de</strong>n muss.“<br />

Ein medizinisches Gutachten stellte „angeborene Anomalien,<br />

die sich vorwiegend auf <strong>de</strong>m Gebiete <strong>de</strong>s Gemüts- und Willenslebens<br />

zeigen,“ fest. Warum sich <strong>de</strong>rartige „angeborene<br />

Anomalien“ bei <strong>de</strong>m 54jährigen vor 1933 in keiner Weise gezeigt<br />

haben, wird aber nicht ausgeführt.<br />

Am 28. Januar 1938 wur<strong>de</strong> Max Hellmann <strong>de</strong>m Oberstaatsanwalt<br />

auf Anordnung <strong>de</strong>r Gestapo Dres<strong>de</strong>n zugeführt. Auf <strong>de</strong>ssen Antrag<br />

erging am 1. Februar wegen <strong>de</strong>r Zeugenladung Hitlers ein Haftbefehl<br />

wegen Vergehens nach § 2 Abs. 1 und 2 Heimtückegesetz.<br />

Auch gegen diesen Haftbefehl legte <strong>de</strong>r Leipziger Rechtsanwalt<br />

Beschwer<strong>de</strong> ein, die natürlich vom zuständigen Son<strong>de</strong>rgericht<br />

Freiberg zurückgewiesen wur<strong>de</strong>.<br />

In <strong>de</strong>r Klageschrift stellt <strong>de</strong>r zuständige Oberstaatsanwalt beim<br />

Son<strong>de</strong>rgericht für das Land Sachsen fest: „Im Übrigen erheischen<br />

die selbst für einen Ju<strong>de</strong>n unerhörte Unverschämtheit und<br />

die kaum zu überbieten<strong>de</strong> Dreistigkeit <strong>de</strong>s Beschuldigten eine<br />

strenge Bestrafung.“<br />

Der „Stürmer“ benutzte im März 1938 diese Vorgänge, um ein<br />

weiteres Mal unter <strong>de</strong>r Überschrift „Jüdische Herausfor<strong>de</strong>rung“<br />

ganzseitig gegen Ju<strong>de</strong>n seine infame Hetze zu betreiben.<br />

Am 15. September 1938 – genau drei Jahre nach Verkündung<br />

<strong>de</strong>r Nürnberger Gesetze – erging gegen Max Hellmann das Urteil<br />

<strong>de</strong>s Son<strong>de</strong>rgerichts. Unter <strong>de</strong>m Vorsitz von Landgerichtsdirektor<br />

Friesicke wur<strong>de</strong> er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Zur<br />

Verbüßung <strong>de</strong>r Strafe wur<strong>de</strong> Max Hellmann in die Strafanstalt<br />

Bautzen verbracht.<br />

Am 4. April 1938 erhob <strong>de</strong>r Generalstaatsanwalt beim Ehrengericht<br />

<strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Anklage wegen <strong>de</strong>r gleichen<br />

Beschuldigungen. Am 28. Mai 1938 wur<strong>de</strong> ein Vertretungsverbot<br />

nach § 95 RRAO gegen Max Hellmann ausgesprochen. Mit<br />

Beschluss v. 12. Dezember 1938 wur<strong>de</strong> dieses Verfahren eingestellt,<br />

weil <strong>de</strong>r Reichsjustizminister zwischenzeitlich die Zulassung<br />

aller jüdischen Rechtsanwälte zum 30.11.1938 zurückgenommen<br />

hatte.<br />

Nach Verbüßung <strong>de</strong>r Gefängnisstrafe wur<strong>de</strong> Max Hellmann in<br />

das Konzentrationslager Buchenwald verbracht, wo er am<br />

13.10.1939 unter nicht bekannten Umstän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Tod fand. Als<br />

To<strong>de</strong>sursache ist vermerkt: „Lungenö<strong>de</strong>m, Degeneration <strong>de</strong>s<br />

Herzmuskels“. Die Urne wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m alten jüdischen Friedhof<br />

in <strong>de</strong>r Berliner Straße beigesetzt.<br />

Der im April 1938 geäußerte Wunsch Hitlers war damit wohl in<br />

zynischer Weise erfüllt. Max Hellmann war keine „beson<strong>de</strong>re“<br />

Behandlung zuteil gewor<strong>de</strong>n. Er teilte vielmehr das Schicksal<br />

Millionen an<strong>de</strong>rer, die keine Deutschen mehr sein durften.<br />

Die Auswirkungen <strong>de</strong>r EuGH-Urteile auf das nationale Berufsrecht in Deutschland<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. jur. K. Peter Mailän<strong>de</strong>r, Stuttgart, M.C.J. (New York)*<br />

* Vortrag bei <strong>de</strong>r Europäischen Konferenz <strong>de</strong>r BRAK am 21.3.2003 in<br />

Berlin.<br />

1 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-309/99, NJW 2002, 877.<br />

Es liegt gera<strong>de</strong> ein Jahr zurück, dass die <strong>de</strong>utschen Anwälte mit<br />

gewisser sie von Sorgen befreien<strong>de</strong>r Erleichterung von <strong>de</strong>n Vorlageentscheidungen<br />

<strong>de</strong>s EuGH in <strong>de</strong>n auch ihr Anwaltsrecht betreffen<strong>de</strong>n<br />

Sachen NOVA/Wouters 1 und Arduino 2 Kenntnis genommen<br />

haben. Wie so oft bei Vorlageentscheidungen blieb<br />

Raum für Befragung und Interpretation <strong>de</strong>s Luxemburger Orakels.<br />

Die Diskussion hält bis heute an. 3<br />

2 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-35/99, NJW 2002, 882.<br />

3 Aus <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Literatur und aus Anmerkungen zu <strong>de</strong>n Urteilen:<br />

Andresen, DVBl. 2002, 685; Deckenbrock, BB 2002, 2453; Eich,<br />

WPK-Mitt. 2002, 153; Eichele, EuZW 2002, 182; Fleischauer, DNotZ


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 115<br />

Mailän<strong>de</strong>r, Die Auswirkungen <strong>de</strong>r EuGH-Urteile auf das nationale Berufsrecht in Deutschland<br />

2002, 325; Hartung, EWS 2002, 133; Hund, DStR 2002, 519 und<br />

652; Kilian, WRP 2002, 802; H. Lörcher, NJW 2002, 1092; Löcher/<br />

Eichele, BRAK-Mitt. 2001, 218; Mailän<strong>de</strong>r, Der Syndikus 2001, 15;<br />

Mörschel, RIW 2002, 4; Römermann/Wellige, BB 2002, 633; Sagawe,<br />

Zeitschrift für Rechtspolitik 2002, 281; Schlosser, JZ 2002,<br />

454; Weil, BRAK-Mitt. 2002, 50.<br />

4 Vertrag zur Gründung <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaft (nachfolgend<br />

„EGV“) v. 25.3.19578 (BGBl. II S. 766, zuletzt geän<strong>de</strong>rt durch <strong>de</strong>n<br />

Amsterdamer Vertrag v. 2.10.1997 (BGBl. II 1998, 387 u. II 1999,<br />

416).<br />

5 Rspr. EuGH 1974, 631 – Reyners; Rspr. EuGH 1974, 1299 – von<br />

Binsbergen; Rspr. EuGH 1984, 2971 – Klopp; Rspr. EuGH 1995, I-<br />

4165 – Gebhard.<br />

6 Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung v. 1.8.1959 (BGBl. I, 565); zuletzt<br />

geän<strong>de</strong>rt durch Gesetz v. 13.12.2001 (BGBl. I, 574).<br />

I. Einleitung<br />

Von <strong>de</strong>r Zugangsöffnung zur wettbewerblichen Marktkontrolle<br />

1. Primärziel <strong>de</strong>s Integrationsrechtes aus <strong>de</strong>m EG-Vertrag 4 war,<br />

mit <strong>de</strong>r Zugangsöffnung zu <strong>de</strong>n nationalen Märkten auch <strong>de</strong>n<br />

mit <strong>de</strong>r Rechtsberatung in <strong>de</strong>r Gemeinschaft befassten Personen<br />

die Vorteile <strong>de</strong>r Freizügigkeit (Art. 39–42 EGV), <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit<br />

(Art. 43–48 EGV) und <strong>de</strong>r Dienstleistungsfreiheit<br />

(Art. 49–55 EGV) zugänglich zu machen. Als treiben<strong>de</strong> Kraft <strong>de</strong>r<br />

gemeinschaftsrechtlichen Integration hat <strong>de</strong>r Gerichtshof auch<br />

insoweit Breschen geschlagen und mit seiner Rspr., die etwa<br />

durch die Urteile Reyners, Klopp, van Binsbergern o<strong>de</strong>r Gebhard<br />

5 versinnbildlicht wird, zwischenstaatliche Dimensionen<br />

erschlossen und <strong>de</strong>m Gemeinschaftsrecht <strong>de</strong>n Anwendungsbereich<br />

in einem Rechtsgebiet gesichert, das versucht war, sich als<br />

Teil <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt o<strong>de</strong>r als Funktionsrecht für Organe<br />

<strong>de</strong>r staatlichen Rechtspflege dieser Aufsicht zu entziehen.<br />

2. Mit <strong>de</strong>n neueren Entscheidungen <strong>de</strong>s Gerichtshofs, die Geltung<br />

und Grenzen <strong>de</strong>s Wettbewerbsregimes <strong>de</strong>r Art. 81 ff. EGV<br />

für das nationale anwaltliche Berufsrecht aufzeigen, wird eine<br />

zweite und höhere Stufe <strong>de</strong>r Integration erreicht. Es geht nicht<br />

länger um die Marktzugangsöffnung zu einem mitgliedstaatlichen<br />

Berufsrecht, son<strong>de</strong>rn um die <strong>de</strong>m Gemeinschaftsrecht zu<br />

entnehmen<strong>de</strong>n Leitlinien für das nationale Berufsrecht schlechthin.<br />

Dabei darf es nicht überraschen, dass an <strong>de</strong>n Schnittstellen<br />

zwischen einem von Zünften, Stän<strong>de</strong>n, Berufsordnungen o<strong>de</strong>r<br />

Handwerksverfassungen u.a. reglementierten Berufsrecht und<br />

<strong>de</strong>n Vorgaben für freiheitliche wirtschaftliche Betätigung nach<br />

<strong>de</strong>n Wettbewerbsregeln Verpuffungen zu erwarten sind. Das ist<br />

noch beson<strong>de</strong>rs akzentuiert bei <strong>de</strong>n freien Berufen, die sich<br />

nach ihrem Selbstverständnis frei und gefeit gegen je<strong>de</strong> staatliche<br />

Kontrolle wähnen, sich in freier, unreglementierter Selbstbestimmung<br />

bewähren wollen und dazu neigen, sich über die<br />

Nie<strong>de</strong>rungen gewerblicher Tätigkeit zu erheben. Dieses Selbstverständnis<br />

<strong>de</strong>r Freiheit, Unabhängigkeit, Eigenverantwortung<br />

und Allgemeinverpflichtung wird in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik noch<br />

untermauert durch die plakativen Bestimmungen <strong>de</strong>r BRAO 6 , in<br />

<strong>de</strong>nen es heißt:<br />

§ 1 Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ <strong>de</strong>r<br />

Rechtspflege.<br />

§ 2 Der Rechtsanwalt übt einen freien Beruf aus. Seine Tätigkeit<br />

ist kein Gewerbe.<br />

§ 3 Der Rechtsanwalt ist <strong>de</strong>r berufene, unabhängige Berater<br />

und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten.<br />

Basierend auf diesem kulturhistorisch gewachsenen Grund- und<br />

Selbstverständnis ist es ein eher anspruchsvolles Vorhaben,<br />

Dienste und Leistungen in <strong>de</strong>r Rechtspflege eines Mitgliedstaates<br />

nach <strong>de</strong>n Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung im zwischenstaatlichen<br />

Wettbewerb <strong>de</strong>r Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />

auszurichten. Aus gutem Grund hat sich die Kommission<br />

und <strong>de</strong>ren Generaldirektion Wettbewerb insoweit lange<br />

Zurückhaltung auferlegt. Es blieb <strong>de</strong>m Europäischen Gerichtshof<br />

selbst vorbehalten, mit <strong>de</strong>r seinen Vorlageentscheidungen eigenen<br />

vorrangigen Präjudizwirkung Recht zu setzen und einem<br />

sonst allenfalls rechtspolitischen Streit aus <strong>de</strong>m Weg zu gehen.<br />

II. Die EuGH-Entscheidungspraxis<br />

Der EuGH erhielt durch Vorlageentscheidungen nationaler Gerichte<br />

wie<strong>de</strong>rholt Gelegenheit, sich mit <strong>de</strong>r Vereinbarkeit von<br />

nationalem Recht <strong>de</strong>r freien Berufe mit <strong>de</strong>n Wettbewerbsregeln<br />

<strong>de</strong>s EGV zu befassen. Berufsrechte <strong>de</strong>r Zollspediteure 7 , <strong>de</strong>r Patentanwälte<br />

8 , <strong>de</strong>r Architekten und Ingenieure 9 und <strong>de</strong>r Ärzte 10<br />

wur<strong>de</strong>n zum Prüfungsgegenstand. Zuletzt und für das anwaltliche<br />

Berufsrecht vorgreiflich waren die bei<strong>de</strong>n Entscheidungen<br />

NOVA/Wouters und Arduino. In allen diesen Verfahren hatte<br />

sich <strong>de</strong>r Gerichtshof mit <strong>de</strong>r immer wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>n Fragestellung<br />

auseinan<strong>de</strong>r zu setzen, inwieweit die von nationalen Eigenarten<br />

geprägten Berufsordnungen <strong>de</strong>r freien Berufe mit <strong>de</strong>n<br />

Vorstellungen eines <strong>de</strong>n Wirtschaftsverkehr in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

prägen<strong>de</strong>n wettbewerblichen Leitbil<strong>de</strong>s zu vereinbaren sind.<br />

Die sich dabei abzeichnen<strong>de</strong>n Spannungsverhältnisse sind gera<strong>de</strong><br />

beim Berufsbild <strong>de</strong>s Rechtsanwalts (Avocat, Advokat, Advocaat,<br />

Advocate, Avvocato, Advogado, Abogado) beson<strong>de</strong>rs<br />

akzentuiert, weil sich ein Teil seiner <strong>de</strong>m eigenen Lebensunterhalt<br />

gewidmeten Dienstleistungstätigkeit mit <strong>de</strong>n dabei <strong>de</strong>r Gesamtrechtsordnung<br />

geschul<strong>de</strong>ten Rücksichten auch als Gemeindienst<br />

an <strong>de</strong>r Ordnung durch das Recht verstehen lässt.<br />

III. Der Wan<strong>de</strong>l im freien Beruf <strong>de</strong>s Rechtsanwalts<br />

Auch bei <strong>de</strong>m in seinem Berufsverständnis eher konservativ<br />

<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Anwalt hat sich die anfängliche Vorstellung verflüchtigt,<br />

wonach es einem Verrat an seinem freien Beruf gleichkäme,<br />

sich etwa freiwillig einem vom Wettbewerb gelenkten<br />

Austausch von Dienstleistungen zu stellen.<br />

1. Insoweit gilt es nur, an <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>r Anwaltschaft selbst<br />

und an die Verän<strong>de</strong>rungen ihres Berufsbilds zu erinnern, ohne<br />

diese Ausprägungen an dieser Stelle vertiefen zu müssen. Das<br />

angestammte Bild <strong>de</strong>s Einzel- o<strong>de</strong>r Sozietätsanwalts mit Lokalisation<br />

und gerichtlicher Einzelzulassung am Sitz seiner Kanzlei<br />

ohne Zweignie<strong>de</strong>rlassung o<strong>de</strong>r überörtliche Verbindung ist verdrängt<br />

von nationalen o<strong>de</strong>r internationalen Anwaltszusammenschlüssen,<br />

von beson<strong>de</strong>ren Gesellschaftsformen jenseits <strong>de</strong>r honorigen<br />

und haftungsintensiven BGB-Gesellschaft mit fliegen<strong>de</strong>r<br />

Postulationsfähigkeit, mit Organisations- und Budgetverantwortungen<br />

<strong>de</strong>s einzelnen Anwalts, mit Vorgaben für erfolgreiches<br />

Gebaren auf <strong>de</strong>m Rechtsberatungsmarkt, mit Ausprägungen<br />

aggressiver Werbung und häufig auch kollegiale<br />

Rücksichtnahme verdrängen<strong>de</strong>r Abwerbung. Bewerbungen<br />

ums Mandat, Abgebote auf Stun<strong>de</strong>nsätze, Pauschalhonorarvereinbarungen,<br />

Haftungszusicherungen u.Ä.m. wecken Zweifel<br />

an <strong>de</strong>r Aussage <strong>de</strong>s § 2 Abs. 2 BRAO „seine Tätigkeit ist kein Gewerbe“:<br />

Programmsatz o<strong>de</strong>r heuristische Leerformel<br />

2. Je<strong>de</strong>nfalls ist angesichts solchen eklatanten Wan<strong>de</strong>ls <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand<br />

<strong>de</strong>s Anwalts, sich in seinem werben<strong>de</strong>n Bemühen um<br />

das Mandat von Vorgaben <strong>de</strong>s Wettbewerbsrecht leiten zu lassen,<br />

überwun<strong>de</strong>n. Die Fragestellung hat sich aber nicht völlig<br />

verflüchtigt, son<strong>de</strong>rn nur verengt. Sie bleibt immer noch virulent<br />

für jenen Bereich <strong>de</strong>s anwaltlichen Berufsrechtes, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r inhärente<br />

Auftrag und Beitrag als Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege öffentliche<br />

Verantwortung voraussetzt, <strong>de</strong>r zu genügen eine Absicherung<br />

gegen wettbewerbliche Zwänge verlangt.<br />

7 Rspr. EuGH 1998 I – 3851 – CNSD.<br />

8 Entscheidung <strong>de</strong>r Kommission v. 30.1.1995, ABl. L 122/37 – COAPI.<br />

9 EuGH, Urt. v. 29.11.2001 – C 221/99 – Conte ./. Rossi.<br />

10 Rspr. EuGH 2000 I – 6451 – Pavlov.


116 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Mailän<strong>de</strong>r, Die Auswirkungen <strong>de</strong>r EuGH-Urteile auf das nationale Berufsrecht in Deutschland<br />

3. Es bleibt von daher die Aufgabe, jenen Bereich staatsferner,<br />

aber rechtsstaats-mitgestalten<strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r Anwälte im Rahmen<br />

eines Systems <strong>de</strong>r Rule of Law abzugrenzen und abzusichern<br />

gegen die Einflüsse <strong>de</strong>r ausschließlich von erfolgsorientierter<br />

wirtschaftlicher Tätigkeit bestimmten beruflichen Veranlassung.<br />

Zu solcher Grenzziehung bieten sich für das Wettbewerbsrecht<br />

gleich eine ganze Reihe konstruktiver Ansätze an:<br />

‣ Generelle Bereichsausnahme für Aufgaben <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Rechtspflege<br />

‣ Persönlichkeitsspaltung <strong>de</strong>s Anwalts als Unternehmer und als<br />

Rechtspflegeorgan<br />

‣ Organverhalten außerhalb <strong>de</strong>r Verbots- und Gebotsvorschriften<br />

<strong>de</strong>r Wettbewerbsregeln<br />

‣ Freistellung organtypischer Verhaltensweisen nach Art. 81<br />

Abs. 3 EGV<br />

‣ Inanspruchnahme <strong>de</strong>r Ausnahmeregelung für betraute<br />

Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse<br />

(Art. 86 Abs. 2 EGV)<br />

IV. Die Vorgaben <strong>de</strong>r EuGH-Leitentscheidung Wouters<br />

Die Vielgestaltigkeit konzeptioneller Ansätze mit <strong>de</strong>m Ziel, <strong>de</strong>m<br />

Phänomen zu entsprechen, dass Dienstleistung in ihrem Beitrag<br />

zur Ordnung und Pflege <strong>de</strong>s Rechts jeweils einen inhärenten<br />

und schutzbedürftigen Effekt hat, ist durch die Leitentscheidung<br />

<strong>de</strong>s EuGH im Falle NOVA/Wouters gekappt. Der EuGH hat mit<br />

dieser Vorlageentscheidung teilweise recht kompromisslos –<br />

was nicht gleichzusetzen ist mit rücksichtslos gegenüber <strong>de</strong>n<br />

Belangen <strong>de</strong>r Anwaltschaft – die Grundzüge seiner Anwendungspraxis<br />

zu Art. 81 EGV durchgehalten.<br />

Ich darf in diesem Kreis die Kenntnis <strong>de</strong>s Sachverhalts voraussetzen<br />

und nur erinnernd festhalten, dass es um die Verbindlichkeit<br />

einer von <strong>de</strong>r Delegiertenversammlung <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen<br />

RAK erlassenen Zusammenarbeitsverordnung ging,<br />

<strong>de</strong>rzufolge die Verbindung von Anwälten mit Angehörigen an<strong>de</strong>rer<br />

Berufsgruppen, wie etwa <strong>de</strong>r StB o<strong>de</strong>r WP <strong>de</strong>r Anerkennung<br />

durch die RAK bedurfte. Diese Anerkennung hatte die<br />

NOVA <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn ihrer RAK Amsterdam Wouters und Savelbergh<br />

für die von diesen gewünschte Zusammenarbeit mit<br />

<strong>de</strong>n Prüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften Arthur An<strong>de</strong>rsen<br />

und Price Waterhouse versagt. Die Überprüfung dieser<br />

Kammerentscheidungen im zunächst nie<strong>de</strong>rländischen Instanzenzug<br />

hat dann zur Vorlageentscheidung <strong>de</strong>s Hooge Rad an<br />

<strong>de</strong>n EuGH geführt, die im Ergebnis die Regelungsbefugnis <strong>de</strong>r<br />

Nie<strong>de</strong>rländischen RAK und <strong>de</strong>ren restriktive Ausübung gegen<br />

eine interdisziplinäre Berufsausübung bestätigte.<br />

Es können hier nur die Schritte <strong>de</strong>r Entscheidungsfindung <strong>de</strong>s<br />

Gerichtshofs nachvollzogen wer<strong>de</strong>n, soweit sich daraus weitere<br />

Auswirkungen absehen lassen:<br />

1. Nicht länger problematisiert wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r selbstständige Anwalt<br />

als Unternehmen i.S.d. § 81 Abs. 1 EGV. Inwieweit dieser Unternehmensbegriff<br />

auch angestellte Anwälte mit einschließt und<br />

inwieweit <strong>de</strong>r Einzelanwalt durch Sozietät o<strong>de</strong>r Anwaltsgesellschaft<br />

als Organisationsform seines Unternehmens in seiner Unternehmerrolle<br />

verdrängt wird, kann dahingestellt bleiben.<br />

2. Dass überörtliche Sozietäten dann unter <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Vereinigung<br />

von Unternehmen fallen, ist eher unproblematisch.<br />

Dagegen war vor <strong>de</strong>m EuGH heftig umstritten, inwieweit auch<br />

die beruflichen Stan<strong>de</strong>sorganisationen <strong>de</strong>r Anwälte als Vereinigungen<br />

von Unternehmen zu qualifizieren seien. Der Versuch<br />

einer funktionalen Unterscheidung das Wort zu re<strong>de</strong>n, wonach<br />

öffentliche Körperschaften mit überragend o<strong>de</strong>r gar ausschließlich<br />

öffentlichen Aufgaben als Vereinigung von Unternehmen zu<br />

disqualifizieren seien, ist gescheitert. Der EuGH hat insoweit<br />

formalstreng nur dahin gehend unterschie<strong>de</strong>n, ob die berufsständische<br />

Vertretung als „Unternehmensvereinigung“ o<strong>de</strong>r als<br />

„Organ <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt“ han<strong>de</strong>lt. Er hat die Ausübung<br />

typischerweise hoheitlicher Befugnisse, wie sie etwa noch für<br />

die <strong>de</strong>m Solidaritätsgrundsatz <strong>de</strong>r Sozialversicherung verpflichtete<br />

Einrichtungen 11 angenommen wur<strong>de</strong>, abgelehnt und <strong>de</strong>r<br />

Kammer <strong>de</strong>n Erlass von Berufsausübungsregeln zur Einflussnahme<br />

auf eine wirtschaftliche Tätigkeit zugerechnet. In<strong>de</strong>m<br />

die Kammer das Ziel verfolgt, die Angehörigen ihres Berufsstan<strong>de</strong>s<br />

bei ihrer Wirtschaftstätigkeit zu einem bestimmten Verhalten<br />

zu veranlassen, han<strong>de</strong>lt sie als Vereinigung von Unternehmen,<br />

wobei ohne Ausschlag bleibt, ob eine <strong>de</strong>rartige Vereinigung als<br />

private o<strong>de</strong>r öffentlich-rechtliche Vereinigung organisiert ist. Mit<br />

dieser Deduktion lässt sich dann gleichermaßen festhalten, dass<br />

auch die BRAK, die an<strong>de</strong>rs als die NOVA nur die Mitgliedschaft<br />

ihrer Kammern und nicht <strong>de</strong>r einzelnen Anwälte selbst kennt,<br />

ebenfalls Unternehmensvereinigung ist, weil sie sich ebenso für<br />

die Wirtschaftstätigkeit <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r ihres Berufsstan<strong>de</strong>s einzusetzen<br />

gehalten ist.<br />

3. Vereinbarungen o<strong>de</strong>r Beschlüsse solcher anwaltlicher Unternehmen<br />

o<strong>de</strong>r Unternehmensvereinigungen geraten dann in <strong>de</strong>n<br />

Verbotsbereich <strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV, wenn sie einen Bezug<br />

zum Wettbewerb haben, also entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ssen Einschränkung<br />

bezwecken o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>nfalls wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong> Wirkungen<br />

entfalten. Das trifft natürlich nicht auf die bloße Umsetzung<br />

vorgegebener hoheitlicher Gesetzesregelungen zu, wie sie<br />

etwa durch die Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung o<strong>de</strong>r die Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsgebührenordnung<br />

vorliegen. Für sie zeichnet die<br />

Berufskammer nicht verantwortlich, sie geraten <strong>de</strong>shalb auch<br />

nicht in <strong>de</strong>n unmittelbaren Verbotsbereich <strong>de</strong>s Art. 81 EGV.<br />

Hierunter fallen vielmehr die in die Selbstorganschaft <strong>de</strong>r Kammern<br />

<strong>de</strong>legierten Regelungsbefugnisse, die die wirtschaftliche<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>r Unternehmen berühren. Die dafür geschaffenen<br />

Gremien agieren im Beschlussweg. Soweit es dabei um die Ausübung<br />

hoheitlicher Befugnisse kraft Delegation geht und festzustellen<br />

ist, dass <strong>de</strong>r Träger <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt sich letztlich<br />

die Entscheidungskontrolle vorbehält, haben wir es mit staatlicher<br />

Normsetzung zu tun; soweit es dagegen um die an <strong>de</strong>n Berufsverband<br />

<strong>de</strong>legierten Regelungsbefugnisse für die Angehörigen<br />

in eigener Verantwortung geht, han<strong>de</strong>lt es sich um kontrollbedürftige<br />

Veranlassungen zur wirtschaftlichen Betätigung.<br />

4. Dass die Beschränkung <strong>de</strong>r Koalitionsfreiheit mit Vertretern<br />

an<strong>de</strong>rer Berufe einen wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong>n Bezug haben<br />

kann, stand nicht in Zweifel.<br />

5. Eine Regelung, die für <strong>de</strong>n gesamten Markt eines Mitgliedsstaates<br />

gilt, ist ihrerseits auch geeignet, <strong>de</strong>n zwischenstaatlichen<br />

Han<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>r Gemeinschaft zu beeinträchtigen.<br />

6. Nach <strong>de</strong>n Schlussanträgen <strong>de</strong>s Generalanwalts Leger 12 war<br />

danach die Erwartung an eine Auseinan<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>s Gerichtshofs<br />

mit einer Rule of Reason-Beschränkung <strong>de</strong>s Verbotsbereichs<br />

<strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV begrün<strong>de</strong>t. Möglicherweise hat<br />

sich <strong>de</strong>r Gerichtshof aber durch seinen Generalanwalt dahin gehend<br />

warnen lassen, dass <strong>de</strong>rartige Vernünftigkeitsabwägungen<br />

lediglich unter Bezug auf <strong>de</strong>n Wettbewerb als allein maßgebliche<br />

Zielvorgabe statthaft seien und dass je<strong>de</strong>nfalls in eine <strong>de</strong>rartige<br />

Rule of Reason-Betrachtung keine an<strong>de</strong>ren wettbewerbsfrem<strong>de</strong>n<br />

Abwägungen mit einbezogen wer<strong>de</strong>n dürfen.<br />

7. Deshalb ist anstelle dieser Prüfung dann eine an<strong>de</strong>re Selbstbeschränkung<br />

<strong>de</strong>s Anwendungsbereichs <strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV<br />

getreten, die von <strong>de</strong>m Immanenzgedanken geprägt ist; danach<br />

soll die Anwendung <strong>de</strong>r Verbotsvorschrift im Gesamtzusammenhang<br />

ihres Zustan<strong>de</strong>kommens und ihres Wirkungsbereichs,<br />

11 Rspr. EuGH 1993 – I 637 – Poucet und Pistre.<br />

12 Schlussanträge v. 10.7.2001 in <strong>de</strong>r Sache C-309/99 – Wouters.


BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 117<br />

Mailän<strong>de</strong>r, Die Auswirkungen <strong>de</strong>r EuGH-Urteile auf das nationale Berufsrecht in Deutschland<br />

insbeson<strong>de</strong>re aber auf <strong>de</strong>m Hintergrund ihrer Zielsetzung zu<br />

würdigen sein. Dabei hat <strong>de</strong>r Gerichtshof die Notwendigkeit <strong>de</strong>r<br />

Schaffung von Vorschriften über Organisation, Befähigung,<br />

Stan<strong>de</strong>spflichten, Kontrolle und Verantwortlichkeit zur Sicherung<br />

erfor<strong>de</strong>rlicher Gewähr für Integrität und Erfahrung bei <strong>de</strong>r<br />

Erbringung anwaltlicher Dienstleistungen in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund<br />

gestellt (Tz. 97). Die Aufstellung von Stan<strong>de</strong>spflichten zur Wahrung<br />

<strong>de</strong>r Unabhängigkeit, zur Vermeidung von Interessenkonflikten<br />

und zur Wahrung von strengen Berufsgeheimnissen wird<br />

<strong>de</strong>shalb vom Gerichtshof als vorrangig bewertet und auch bei<br />

verbleiben<strong>de</strong>m Einschlag für die wirtschaftliche Tätigkeit <strong>de</strong>r davon<br />

Betroffenen als immanente Wettbewerbsbeschränkung aus<br />

<strong>de</strong>m Anwendungsbereich <strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV freigehalten.<br />

8. Damit hat sich <strong>de</strong>r Gerichtshof <strong>de</strong>n ihm vom Generalanwalt<br />

vorgezeichneten Weg verbaut, im Rahmen <strong>de</strong>s Art. 86 Abs. 2<br />

EGV zu prüfen, ob nicht RAe als Unternehmen zu betrachten<br />

sind, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen<br />

Interesse betraut sind und <strong>de</strong>shalb die Anwendung <strong>de</strong>r<br />

Wettbewerbsregeln ausschließen, weil diese sonst die Erfüllung<br />

<strong>de</strong>r übertragenen beson<strong>de</strong>ren Aufgaben verhin<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong>,<br />

ohne dass eine gemeinschaftswidrige Interessenbeeinträchtigung<br />

zu befürchten wäre.<br />

So sehr sich eine Reihe von Feststellungen <strong>de</strong>s Gerichtshofs zum<br />

immanenten Ausnahmetatbestand nach Art. 81 Abs. 1 auch <strong>de</strong>r<br />

Prüfung <strong>de</strong>r Tatbestandsmerkmale <strong>de</strong>s Art. 86 Abs. 2 zuordnen<br />

lassen, ist doch <strong>de</strong>r vom Gerichtshof mit Sicherheit nicht übersehene<br />

Anwendungsunterschied beachtlich. Zum einen erkennt<br />

<strong>de</strong>r Gerichtshof, dass je<strong>de</strong>nfalls die NOVA selbst im Geltungsbereich<br />

<strong>de</strong>s Art. 86 Abs. 2 EGV ebenso wie bei Art. 82 EGV nicht<br />

als Unternehmen angesehen wer<strong>de</strong>n kann und <strong>de</strong>shalb die von<br />

<strong>de</strong>r NOVA ausgehen<strong>de</strong> Zusammenarbeitsverordnung keine<br />

Rücken<strong>de</strong>ckung über Art. 86 Abs. 2 wür<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n können. Zum<br />

an<strong>de</strong>ren konnte <strong>de</strong>r Gerichtshof nicht übersehen, dass die Kommission<br />

bei <strong>de</strong>n Ausnahmetatbestän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Art. 86 Abs. 2 je<strong>de</strong>nfalls<br />

die Anwendungsaufsicht und die Kompetenz zur Einflussnahme<br />

durch Richtlinien o<strong>de</strong>r Entscheidungen an die Mitgliedsstaaten<br />

behält. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Gerichtshof dagegen Beschlüsse<br />

von Stan<strong>de</strong>svertretungen vom Verbot <strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV<br />

freihält, solange sie von ihm als notwendig angesehen wer<strong>de</strong>n,<br />

um die ordnungsgemäße Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs sicherzustellen,<br />

bleiben die Stan<strong>de</strong>svertretungen insoweit auch<br />

gegen jegliche Interventionen <strong>de</strong>r Kommission immun. Der eher<br />

ungewöhnlichen Kappung <strong>de</strong>s Anwendungsbereichs <strong>de</strong>s Abs. 1<br />

<strong>de</strong>s Art. 81 EGV liegt daher ein offenbar wohlbedachtes rechtspolitisches<br />

Kalkül <strong>de</strong>s Gerichtshofs zugrun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r so <strong>de</strong>n berufsständischen<br />

Organisationen <strong>de</strong>n weitestmöglichen Freiraum<br />

außerhalb <strong>de</strong>r Verbotsregel <strong>de</strong>s Wettbewerbsrechts sichern<br />

konnte.<br />

9. Der Vollständigkeit halber sei schließlich noch angefügt, dass<br />

erst dann, wenn alle Son<strong>de</strong>rvorbehalte nicht greifen, wenn also<br />

sowohl <strong>de</strong>r unmittelbare Bezug zur Sicherstellung <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />

Berufsausübung nicht herzustellen ist und dann auch ein<br />

allgemeines wirtschaftliches Interesse zur Zugangssicherung für<br />

das Recht nicht genügen sollte, immer noch die Freistellung<br />

vom Beschränkungsverbot unter <strong>de</strong>n Voraussetzungen <strong>de</strong>s<br />

Art. 81 Abs. 3 letzter Ausweg bleibt. Eine solche Freistellung hat<br />

bislang mangels <strong>de</strong>r Bereitschaft <strong>de</strong>r Berufsverbän<strong>de</strong>, sich überhaupt<br />

<strong>de</strong>r Wettbewerbskontrolle zu stellen und Vereinbarungen<br />

o<strong>de</strong>r Beschlüsse zur Anmeldung zu bringen – bis auf einen Ausnahmefall<br />

<strong>de</strong>r Notifizierung durch Patentvertreter 13 – keine praktische<br />

Rolle gespielt. Sie ist aber in <strong>de</strong>r Vorstufe sorgenvoller Erwartung<br />

<strong>de</strong>s EuGH-Urteils wie<strong>de</strong>rholt als Sicherungsoption geprüft<br />

wor<strong>de</strong>n.<br />

Auf die an<strong>de</strong>rsartige Be<strong>de</strong>utung, die <strong>de</strong>n Freistellungstatbestän<strong>de</strong>n<br />

im künftigen System einer Legalausnahme zufallen wird,<br />

wer<strong>de</strong> ich noch zurückkommen.<br />

V. Das Vorlageurteil Arduino<br />

Zeitgleich mit <strong>de</strong>r NOVA/Wouters-Entscheidung wur<strong>de</strong> im Fall<br />

Arduino noch über die weiterreichen<strong>de</strong> Frage entschie<strong>de</strong>n, inwieweit<br />

ein Gebührenbeschluss einer Berufskammer mit Min<strong>de</strong>st-<br />

und Höchstsätzen für bestimmte Dienstleistungen am Verbot<br />

<strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV scheitern könnte. Der Gerichtshof<br />

hat dies im Ergebnis verneint, weil er <strong>de</strong>n Nationalen Rat <strong>de</strong>r<br />

RAe Italiens nicht in eigener Verantwortung, son<strong>de</strong>rn lediglich<br />

unter <strong>de</strong>r Letztaufsicht <strong>de</strong>s italienischen Staates zur Gebührenanordnung<br />

betraut fand und <strong>de</strong>shalb nicht zur Feststellung einer<br />

wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong>n Auswirkung <strong>de</strong>s Feststellungsbeschlusses<br />

durch <strong>de</strong>n Nationalen Rat <strong>de</strong>r RAe gelangt ist.<br />

Konsequenterweise kam <strong>de</strong>r EuGH jedoch nicht an <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rsartigen<br />

Prüfung vorbei, ob nicht <strong>de</strong>m Gesetzgeber selbst mit<br />

<strong>de</strong>m Erlass <strong>de</strong>s Ermächtigungsgesetzes vorzuhalten sei, gegen<br />

seine gemeinschaftsloyalen Pflichten aus Art. 10 Abs. 2 i.V.m.<br />

Art. 81 Abs. 1 EGV zu verstoßen. Der Gerichtshof hat einen solchen<br />

Verstoß verneint, ohne allerdings in Abwägungen über die<br />

Vorrangigkeit einer solchen Gebührenregelung im Allgemeininteresse<br />

<strong>de</strong>r Sicherung eines hohen Qualitätsniveaus bei <strong>de</strong>n anwaltlichen<br />

Dienstleistungen einzutreten. Nähere Anhaltspunkte<br />

fin<strong>de</strong>n sich dazu eher in <strong>de</strong>n Schlussanträgen <strong>de</strong>s Generalanwalts<br />

(vgl. Tz. 119).<br />

VI. Auswirkungen auf das <strong>de</strong>utsche anwaltliche Berufsrecht<br />

Der Versuch, die Systematik <strong>de</strong>s Gerichtshofs bei <strong>de</strong>r Anwendung<br />

<strong>de</strong>r Wettbewerbsregeln auf anwaltliches Berufsrecht umzusetzen<br />

und die tatbestandlichen Prüfungen nachzuvollziehen,<br />

führt zu <strong>de</strong>m nachfolgend skizzierten Befund für einzelne<br />

berufsrechtsrelevante Regelungsbereiche:<br />

1. Gesetzliche Regelungen mit berufsspezifischem Inhalt für die<br />

Anwaltschaft fin<strong>de</strong>n sich schon im Grundgesetz, 14 ebenso in Allgemeingesetzen,<br />

wie <strong>de</strong>m StGB 15 . In diesen Gesetzen steht ein<strong>de</strong>utig<br />

die öffentliche Ordnung im Vor<strong>de</strong>rgrund und je<strong>de</strong> Auswirkung<br />

auf einen Wettbewerb unter Anwälten zurück. Sie bleiben<br />

von <strong>de</strong>n Wettbewerbsregeln unbetroffen und von <strong>de</strong>ren<br />

Vorrangwirkung ungefähr<strong>de</strong>t.<br />

2. Soweit die BRAO eigene Berufspflichten aufgibt (vgl. §§ 43 ff.<br />

BRAO) berühren diese ebenfalls die wirtschaftliche Tätigkeit <strong>de</strong>r<br />

Kammermitglie<strong>de</strong>r. Sie sind jedoch so ein<strong>de</strong>utig durch Allgemeininteressen<br />

an <strong>de</strong>r Aufrechterhaltung ordnungsgemäßer<br />

Rechtspflege bestimmt, dass daraus keine Verletzung <strong>de</strong>s Loyalitätsgebots<br />

nach Art. 10 i.V. m. Art. 81 Abs. 1 droht.<br />

Dies gilt auch für die Bestimmung in § 49b) BRAO, wonach es<br />

unzulässig ist, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren<br />

o<strong>de</strong>r zu for<strong>de</strong>rn, als die Bun<strong>de</strong>sgebührenordnung für Rechtsanwälte<br />

vorsieht. Das ist die direkte gesetzliche Min<strong>de</strong>stgebühr,<br />

wie sie im Fall Arduino unbeanstan<strong>de</strong>t geblieben ist.<br />

Zu <strong>de</strong>n gemeinschaftskonformen Regelungen zählt auch die in<br />

§ 60 BRAO vorgesehene Pflichtmitgliedschaft in <strong>de</strong>r Kammer.<br />

Sie bil<strong>de</strong>t eine für Bewältigung und Kontrolle <strong>de</strong>r Berufsaufsicht<br />

unerlässliche Voraussetzung und erlaubt nur so die <strong>de</strong>n Anwaltskammern<br />

übertragene mittelbare Staatsverwaltung. Der<br />

Umstand <strong>de</strong>r Pflichtmitgliedschaft auferlegt <strong>de</strong>n RAKn hohe<br />

Verantwortung im Umgang mit ihren Mitglie<strong>de</strong>rn, verlangt <strong>de</strong>shalb<br />

aber keine Abstriche bei <strong>de</strong>r Bewältigung ihrer Aufgaben,<br />

13 Vgl. Entscheidung <strong>de</strong>r Kommission in ABl. Nr. L 106 v. 23.4.1999,<br />

14.<br />

14 Art. 12 GG; dazu BVerfG, NJW 1973, 696; 1975, 103; 1983, 1535.<br />

15 § 356 StGB – Parteiverrat.


118 Aufsätze BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Mailän<strong>de</strong>r, Die Auswirkungen <strong>de</strong>r EuGH-Urteile auf das nationale Berufsrecht in Deutschland<br />

16 Rechtsberatungsgesetz v. 13.12.1935 (RGBl. I, 1481), zuletzt geän<strong>de</strong>rt<br />

durch Gesetz v. 19.12.1998 (BGBl. I, 3836).<br />

17 Vgl. dazu auch BVerfG v. 20.2.2002, 1 BvR 423/99.<br />

18 Bun<strong>de</strong>sgebührenordnung für Rechtsanwälte v. 26.7.1957 (BGBl. I,<br />

907) zuletzt geän<strong>de</strong>rt durch Gesetz v. 21.8.2002 (BGBl. I, 3344).<br />

19 EuGH, Urt. v. 29.11.2001 – C 221/99.<br />

20 BVerfGE 76, 171 und 196.<br />

21 Berufsordnung, BRAK-Mitt. 2001, 177.<br />

und zwar we<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>utschem Verfassungsrecht noch aus <strong>de</strong>m<br />

Gemeinschaftsrecht.<br />

3. Nie<strong>de</strong>rlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

haben <strong>de</strong>n zwischenstaatlichen Wettbewerb auf <strong>de</strong>m<br />

Rechtsanwaltsmarkt eröffnet. Ein eigenes Beratungs- und Vertretungsmonopol<br />

für <strong>de</strong>utsche Anwälte besteht längst nicht mehr.<br />

Gleichwohl hält das Rechtsberatungsgesetz 16 daran fest, dass<br />

die Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten nur <strong>de</strong>n Erlaubnisträgern<br />

vorbehalten ist. Es bietet insoweit einen niedrigen<br />

Schutzwall für die Berufsausübungsberechtigten und lässt<br />

Dienstleistern mit Rechtskun<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>n Mitgliedsstaaten <strong>de</strong>r EU<br />

freien Zugang 17 .<br />

4. Die BRAGO 18 schreibt durch <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>sgesetzgeber Regelungen<br />

für Gebühren und Auslagen im Rahmen <strong>de</strong>r Berufstätigkeit<br />

<strong>de</strong>s RA vor. Sie lässt abweichen<strong>de</strong> höhere Vergütungsvereinbarungen<br />

zu. Die BRAGO ist Teil <strong>de</strong>s Gebühren-, Kostenund<br />

Kostenerstattungsrechts, das das <strong>de</strong>utsche Rechts- und Gerichtssystem<br />

trägt. Sie enthält Vorschriften i.S. einer Min<strong>de</strong>stregelung,<br />

die nach <strong>de</strong>n Vorgaben <strong>de</strong>s Falles Arduino (im Einklang<br />

mit <strong>de</strong>r Bestätigung im Fall „Conte“ 19 ) fortdauern<strong>de</strong>n gemeinschaftsrechtlichen<br />

Be<strong>de</strong>nken entzogen bleibt.<br />

5. Zufolge verfassungsgerichtlicher Intervention 20 war <strong>de</strong>r Gesetzgeber<br />

<strong>de</strong>r BRAO gehalten, die Generalklausel zur Konkretisierung<br />

<strong>de</strong>r anwaltlichen Stan<strong>de</strong>spflichten umzusetzen und eine<br />

Ermächtigung zur Umsetzung vorzusehen. Damit im Einklang<br />

wur<strong>de</strong> nach § 191a) BRAO die Einrichtung einer Satzungsversammlung<br />

verabschie<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>ren Mitglie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Kreis <strong>de</strong>r<br />

RAKn gewählt wer<strong>de</strong>n. Diese Satzungsversammlung hat nun<br />

eine Berufsordnung, zuletzt in <strong>de</strong>r Fassung v. 1.11.2001 21 erlassen,<br />

in <strong>de</strong>r allgemeine und beson<strong>de</strong>re Berufsausübungspflichten<br />

nie<strong>de</strong>rgelegt sind. In <strong>de</strong>r Normenhierarchie entspricht diese<br />

BORA <strong>de</strong>r vom EuGH geprüften Zusammenarbeitsverordnung<br />

<strong>de</strong>r NOVA. Es ist im Ausgangspunkt zumin<strong>de</strong>st zweifelhaft, ob<br />

alle 35 Bestimmungen dieser BORA <strong>de</strong>n Immanenzkriterien i.S.<br />

notwendiger Vorschriften für Organisation, Befähigung, Stan<strong>de</strong>spflichten,<br />

Kontrolle und Verantwortlichkeit für die Gewähr<br />

von Integrität und Erfahrung <strong>de</strong>r Rechtspflege genügen. Eine abschnittsweise<br />

Überprüfung ergibt folgen<strong>de</strong> Kategorisierungen:<br />

Die allgemeinen Berufs- und Grundpflichten zur Verschwiegenheit,<br />

zum Tätigkeitsverbot bei Interessenkollision o<strong>de</strong>r zur getrennten<br />

Betreuung von Mandantengel<strong>de</strong>rn gehört zu <strong>de</strong>n unumstößlichen<br />

Grundpflichten.<br />

Zweifel entstehen schon bei <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Berufspflichten im<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Werbung. Soweit dort unmittelbare<br />

o<strong>de</strong>r mittelbare Verbote aufgeführt sind, könnten Be<strong>de</strong>nken aufkommen,<br />

ob alle diese Detailvorschriften noch „<strong>de</strong>r Rechtspflege<br />

immanent“ sind. Beson<strong>de</strong>re Pflichten gegenüber Gerichten,<br />

Behör<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n RAKn selbst haben dagegen keinen unmittelbaren<br />

Bezug zur wirtschaftlichen Tätigkeit und erscheinen<br />

<strong>de</strong>shalb wettbewerbsneutral. Dagegen sind wie<strong>de</strong>r die Vorschriften<br />

über die berufliche Zusammenarbeit in <strong>de</strong>n §§ 30–33<br />

BORA einschlägig. Sie bleiben auf <strong>de</strong>r Linie <strong>de</strong>s NOVA-Urteils<br />

und dienen <strong>de</strong>r Einhaltung <strong>de</strong>s maßgeblichen Stan<strong>de</strong>srechts im<br />

Interesse unabhängiger und streng <strong>de</strong>m Berufsgeheimnis verpflichteter<br />

Beratung.<br />

Soweit dann beson<strong>de</strong>re Berufspflichten wie etwa diejenigen zur<br />

Gestaltung <strong>de</strong>r Werbung nach § 6 BORA im Anwendungsbereich<br />

<strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV bleiben, erscheinen sie dann auch<br />

für eine Freistellung aus Erwägungen <strong>de</strong>s Allgemeininteresses<br />

nach Art. 86 Abs. 2 EGV nicht geeignet. Für sie bleibt dann nur<br />

<strong>de</strong>r Weg über die behördliche Einzelfreistellung nach Art. 81<br />

Abs. 3, <strong>de</strong>rzeit noch i.V.m. Art. 6 VO 17/62 22 und künftig ab<br />

1.4.2004 unter Selbsteinschätzung <strong>de</strong>r Betroffenen nach<br />

VO 01/2003 23 .<br />

6. Dieselben Leitlinien wer<strong>de</strong>n für die Prüfung <strong>de</strong>r Berufsregeln<br />

<strong>de</strong>r Rechtsanwälte <strong>de</strong>r Europäischen Union (CCBE-Regeln) 24<br />

Anwendung fin<strong>de</strong>n müssen. Auch dort fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>r Form<br />

von gleichwohl spürbaren Empfehlungen Vorgaben für Verhaltensweisen<br />

bei <strong>de</strong>r anwaltlichen Tätigkeit, die nicht länger <strong>de</strong>m<br />

Kernbereich <strong>de</strong>r Rechtspflege-Gewährleistung zuzurechnen<br />

sind. So etwa Regeln gegen eine quota litis-Vereinbarung (Ziffer<br />

3.3) o<strong>de</strong>r gegen Honoraraufteilungsabsprachen mit an<strong>de</strong>ren<br />

als Rechtsanwälte (Ziffer 3.6) o<strong>de</strong>r auch die Verbotsempfehlung<br />

gegen das Verlangen o<strong>de</strong>r die Annahme eines Vermittlungshonorars.<br />

Da bezüglich dieser Regeln die Herleitung aus einer<br />

einzelstaatlichen o<strong>de</strong>r gemeinschaftsrechtlichen gesetzlichen<br />

Ermächtigung fehlt und daher <strong>de</strong>r öffentliche Bezug ferngerückt<br />

ist, sind solche wettbewerbsrelevanten Berufsregeln nur dann<br />

zu halten, wenn sie <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Abs. 3 <strong>de</strong>s Art. 81<br />

EGV genügen und für die dort verfolgten Zwecke unentbehrlich<br />

sind.<br />

7. Dem <strong>de</strong>utschen Berufsrecht ist ferner die Fachanwaltsordnung<br />

25 zuzuordnen, <strong>de</strong>r zufolge durch Verleihung von Fachanwaltschaftsbezeichnungen<br />

Heraushebungen für <strong>de</strong>n Dienstleistungswettbewerb<br />

möglich sind. Es wer<strong>de</strong>n danach insbeson<strong>de</strong>re<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Nachweis beson<strong>de</strong>rer Kenntnisse gestellt,<br />

die i.S. einer Qualitätssicherung und <strong>de</strong>ren Transparenz<br />

<strong>de</strong>n Wettbewerb eher anregen als beschränken. Ihnen kommt<br />

eine vernünftig praktizierte Rule of Reason entgegen.<br />

8. Das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in<br />

Deutschland (EuRAG) 26 dient <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>r europäischen<br />

Nie<strong>de</strong>rlassungs- und Dienstleistungsfreiheiten und enthält keine<br />

<strong>de</strong>n Wettbewerb beschränken<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn ihn öffnen<strong>de</strong> Vorschriften.<br />

9. Bestandteile <strong>de</strong>s materiellen Berufsrechts <strong>de</strong>r Anwaltschaft<br />

sind auch die Beschlüsse <strong>de</strong>r Organe <strong>de</strong>r BRAK 27 und <strong>de</strong>r<br />

RAKn 28 . Bei <strong>de</strong>n Letzteren wird es regelmäßig an <strong>de</strong>r Eignung<br />

zur Beeinträchtigung <strong>de</strong>s zwischenstaatlichen Dienstleistungsverkehrs<br />

fehlen, soweit sie sich ohne präjudizielle Wirkung etwa<br />

auf Beanstandungen von Einzelverhalten beschränken. Bei <strong>de</strong>r<br />

BRAK dagegen sind Beschlüsse zu Fragen, welche die Gesamtheit<br />

<strong>de</strong>r RAKn angehen, auch einer Kontrolle in Bezug auf ihren<br />

wettbewerblichen Gehalt zugänglich.<br />

Soweit nach vorstehend kursorischer Übersicht Bedarf o<strong>de</strong>r<br />

Risiko bleibt, Vereinbarungen o<strong>de</strong>r Beschlüsse, die die wirtschaftliche<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>r RAe betreffen, von <strong>de</strong>m außerhalb <strong>de</strong>s<br />

Immanenzschutzes o<strong>de</strong>r einer Rule of Reason maßgeblichen<br />

Verbot <strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV freizustellen o<strong>de</strong>r soweit auch<br />

nur Klärungsbedarf bleibt, bieten sich an: nach Art. 3 <strong>de</strong>r<br />

VO 17 <strong>de</strong>r Antrag auf Erteilung eines Negativattestes, <strong>de</strong>r regelmäßig<br />

und vorsorglich verbun<strong>de</strong>n wird mit <strong>de</strong>r Anmeldung<br />

22 Verordnung (EWG) Nr. 17/62 <strong>de</strong>s Rats v. 6.2.1962, Abl. S. 204, zuletzt<br />

geän<strong>de</strong>rt durch VO v. 10.6.1999 (ABl. Nr. L 148, S. 4).<br />

23 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 <strong>de</strong>s Rates v. 16.12.2002 – Abl. L 2003<br />

1/1.<br />

24 Berufsregeln <strong>de</strong>r Rechtsanwälte <strong>de</strong>r Europäischen Union in <strong>de</strong>r Fassung<br />

v. 28.10.1988, geän<strong>de</strong>rt durch CCBE-Vollversammlung am<br />

28.11.1998.<br />

25 Fachanwaltsordnung v. 22.3.1999, BRAK-Mitt. 1999, 131.<br />

26 Gesetz über die Tätigkeit europäischer Anwälte in Deutschland v.<br />

9.3.2000 (BGBl. I, 182).<br />

27 Z.B. nach § 190 BRAO durch die Hauptversammlung.<br />

28 §§ 72, 79, 88 BRAO.


BRAK-Mitt. 3/2003 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 119<br />

Überblick<br />

eines nicht zweifelsfreien Beschlusses in Kombination mit<br />

einem darauf nach Art. 6 VO 17 gerichteten Freistellungsverlangen.<br />

VII. Anwaltliches Berufsrecht unter <strong>de</strong>m künftigen Regime<br />

<strong>de</strong>r Wettbewerbsregeln<br />

Zum 1.5.2004 tritt die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 <strong>de</strong>s Rats zur<br />

Durchführung <strong>de</strong>r EG-Wettbewerbsregeln 29 in Kraft. Diese Verordnung<br />

löst die althergebrachte und vertraute VO 17 ab und<br />

führt zu einem System- und Paradigmenwechsel im Wettbewerbsrecht<br />

<strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaft. Das gewohnte und<br />

nach parallelen Anwendungsgrundsätzen <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen GWB<br />

vertraute Verbotsrecht mit <strong>de</strong>m Freistellungsvorbehalt für angemel<strong>de</strong>te<br />

Vereinbarungen und Beschlüsse wird ersetzt durch eine<br />

Regelung, bei <strong>de</strong>r sich die Kommission <strong>de</strong>s Privilegs <strong>de</strong>r Alleinzuständigkeit<br />

für die Einzelfreistellung begibt und es sich selbst<br />

ebenso wie <strong>de</strong>n nationalen Behör<strong>de</strong>n und Gerichten vorbehält,<br />

am einzelnen Sachverhalt und zum jeweiligen einzelnen Prüfungsfall<br />

darüber zu befin<strong>de</strong>n, ob Verbotstatbestän<strong>de</strong> eingreifen<br />

und durch die Legalausnahmen gelten<strong>de</strong>r Freistellungstatbestän<strong>de</strong><br />

entschärft wer<strong>de</strong>n. Ein solches System for<strong>de</strong>rt je<strong>de</strong>nfalls<br />

in <strong>de</strong>r Anlaufzeit von <strong>de</strong>n Beteiligten ein erhöhtes Maß an Sorgfalt<br />

und Vorsicht für die Selbsteinschätzung, da we<strong>de</strong>r vorübergehen<strong>de</strong><br />

(im Wege vorläufiger Anmeldung) noch endgültige administrative<br />

Klärung (comfort letter, Negativattest, Freistellungsentscheidung)<br />

länger zu erlangen sein wer<strong>de</strong>n.<br />

Für die Tätigkeit <strong>de</strong>r Wirtschaftsunternehmen gibt es für diese ab<br />

dann notwendige Selbsteinschätzung wenigstens <strong>de</strong>n Reichtum<br />

einer umfänglichen Anwendungspraxis seit <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>r<br />

VO 17 im Jahre 1962. Für die erst jüngst in das Spannungsfeld<br />

<strong>de</strong>r Wettbewerbsregeln gerückte Anwaltschaft fehlt es aber an<br />

29 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 <strong>de</strong>s Rates v. 16.12.202 – Abl. L 2003 1/1.<br />

je<strong>de</strong>r die Strukturentscheidungen <strong>de</strong>s EuGH ausfüllen<strong>de</strong>n Fallpraxis,<br />

so dass auch im Hinblick auf die komplexen Beurteilungen<br />

im o<strong>de</strong>r außerhalb <strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV<br />

Rechtsunsicherheit verbleiben wird.<br />

Die Kommission hat in Aussicht gestellt, dieses Defizit an<br />

Rechtsklarheit durch Leitlinien zu überbrücken, mit <strong>de</strong>nen sie<br />

ihre wettbewerbs- und rechtspolitischen Vorstellungen kundtun<br />

will. Dabei wird es gelten, <strong>de</strong>n Einklang zwischen Gestaltungswillen<br />

und Gestaltungsspielraum sorgfältig auszuloten. Es ist bekannt,<br />

dass die Kommission mit Hilfe <strong>de</strong>r Wettbewerbsregeln<br />

strengere Interventionen gegenüber <strong>de</strong>m anwaltlichen Berufsrecht<br />

geplant hatte, sich in diesem Vorhaben aber durch die Vorlageentscheidungen<br />

<strong>de</strong>s EuGH zurückzunehmen gehalten sieht.<br />

VIII. Fazit<br />

Die anwaltliche Unabhängigkeit bleibt Garant <strong>de</strong>r Rechtsgewährleistung<br />

im <strong>de</strong>mokratischen Staat. Sie verlangt nach <strong>de</strong>legierter<br />

Selbstverwaltung und Freiheit von staatlicher Einflussnahme<br />

und Kontrolle. Dabei können Verhaltensweisen in <strong>de</strong>n<br />

Formen von Vereinbarungen o<strong>de</strong>r Beschlüssen veranlasst sein,<br />

die dienstleisten<strong>de</strong> wirtschaftliche Betätigung <strong>de</strong>r Berufsangehörigen<br />

betreffen o<strong>de</strong>r berühren. Eine nur nach diesen Kriterien<br />

angestellte und auf das Wettbewerbsrecht verengte Prüfung<br />

bleibt vor<strong>de</strong>rgründig. Sie übersieht, dass anwaltliches Tun von<br />

berufsethischen Vorgaben nicht weniger geprägt ist als von unternehmerischen<br />

Zielsetzungen. Diese zweite Handlungskomponente<br />

droht bei einer rein wettbewerbsrechtlichen Betrachtungsweise<br />

zu kurz zu kommen. Daher ist es sehr zu begrüßen,<br />

dass <strong>de</strong>r EuGH einen Grundbestand an Normen zugesteht, die<br />

notwendig sind, um die ordnungsgemäße Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs<br />

in <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n Mitgliedsstaaten sicherzustellen,<br />

und die <strong>de</strong>shalb aus <strong>de</strong>m Verbot <strong>de</strong>s Art. 81 Abs. 1 EGV<br />

und entsprechend aus <strong>de</strong>r Interventionskompetenz <strong>de</strong>r Kommission<br />

herausgehalten wer<strong>de</strong>n.<br />

Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts<br />

Rechtsanwälte Bertin Chab und Holger Grams<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

Überblick<br />

Anwaltsfehler als Spekulationsgarantie<br />

Aus <strong>de</strong>r Sicht eines Berufshaftpflichtversicherers kann man sich<br />

zuweilen <strong>de</strong>s Eindrucks nicht erwehren, dass mancher Mandant<br />

die Beauftragung eines Rechtsberaters als allumfassen<strong>de</strong> Garantie<br />

für <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Erfolg <strong>de</strong>s von diesem betreuten Geschäfts<br />

ansieht. Wird ein Vertragspartner insolvent, lastet man<br />

<strong>de</strong>n wirtschaftlichen Verlust kurzerhand <strong>de</strong>m Rechtsberater an<br />

mit <strong>de</strong>m Vorwurf, dass dieser nicht dafür gesorgt habe, <strong>de</strong>n<br />

Scha<strong>de</strong>n zu verhin<strong>de</strong>rn. Im Einzelfall mag ein solcher Vorwurf<br />

ja durchaus seine Berechtigung haben, so beispielsweise bei<br />

fehlen<strong>de</strong>r Beratung eines Notars o<strong>de</strong>r RA über das Risiko einer<br />

ungesicherten Vorleistung o<strong>de</strong>r einer entsprechend ungünstigen<br />

Vertragsgestaltung. Viele verkennen dabei aber, dass <strong>de</strong>r Berater<br />

kein Garant für <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Erfolg eines Geschäfts sein<br />

kann und will. Die Rspr. zur Prospekthaftung bzw. allgemein zur<br />

Dritthaftung von Rechts- und Wirtschaftsberatern zeigt aber,<br />

dass allein schon das Auftreten eines Notars o<strong>de</strong>r RA in bestimmten<br />

Fällen die Gefahr einer Garantenstellung birgt.<br />

Eine ähnliche Anschauung haben Mandanten zuweilen auch<br />

im Hinblick auf die Folgen eines Fehlers ihres Rechtsberaters.<br />

Eine Pflichtverletzung scheint dann ein willkommener Anlass<br />

zu sein, sich aus einem ungünstig verlaufenen Geschäft schadlos<br />

zu verabschie<strong>de</strong>n. So geschehen bei einem StB, <strong>de</strong>r unzutreffend<br />

zu <strong>de</strong>n steuerlichen Vorteilen einer stillen Einlage beraten<br />

hatte. Die angestrebten steuerlichen Verluste wur<strong>de</strong>n nur<br />

zu einem geringen Teil erreicht. Unangenehmer für <strong>de</strong>n Mandanten<br />

war es, dass sich auch die kaufmännischen Ziele nicht<br />

erfüllten: Die GmbH fiel in Konkurs. Der Mandant for<strong>de</strong>rte im<br />

Steuerberaterregress Rückzahlung seiner Einlagebeträge. Ohne


120 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Das aktuelle Urteil<br />

Aussicht auf die versprochenen Steuervorteile wäre es zu <strong>de</strong>r<br />

stillen Gesellschaft gar nicht gekommen. Hier weist <strong>de</strong>r BGH<br />

mit Urt. v. 13.2.2003 (s.u. Rechtsprechungsleitsätze) darauf<br />

hin, dass nur ein Scha<strong>de</strong>n ersetzt verlangt wer<strong>de</strong>n kann, <strong>de</strong>r<br />

vom Schutzzweck <strong>de</strong>r verletzten Beraterpflicht umfasst ist. Für<br />

Kapitalanlagegeschäfte be<strong>de</strong>utet dies, dass <strong>de</strong>r Berater im Fall<br />

eines Fehlers nur für die Risiken einzustehen braucht, für <strong>de</strong>ren<br />

Einschätzung die geschul<strong>de</strong>te Aufklärung maßgeblich war. Das<br />

war hier lediglich <strong>de</strong>r Steuervorteil, nicht <strong>de</strong>r wirtschaftliche<br />

Anlageerfolg.<br />

Die Scha<strong>de</strong>nsersatzpflicht setzt darüber hinaus voraus, dass<br />

<strong>de</strong>m Mandanten ein Scha<strong>de</strong>n im Rechtssinne entstan<strong>de</strong>n ist.<br />

Wür<strong>de</strong> beispielsweise nach <strong>de</strong>r materiellen Rechtslage auch<br />

bei ordnungsgemäßer Handhabung kein Steuervorteil gewährt,<br />

ist <strong>de</strong>r Haftpflichtanspruch unbegrün<strong>de</strong>t (so BGH, Urt. v.<br />

20.2.2003, s.u. Rechtsprechungsleitsätze). Den Mandanten<br />

trifft die Beweislast für Art und Höhe <strong>de</strong>s Anspruchs gem. § 287<br />

ZPO. Insbeson<strong>de</strong>re wenn <strong>de</strong>r Geschädigte aufgrund <strong>de</strong>s Beratungsfehlers<br />

Gel<strong>de</strong>r verspätet erhalten hat, kann die Scha<strong>de</strong>nsberechnung<br />

schwierig wer<strong>de</strong>n. Bisweilen macht <strong>de</strong>r Geschädigte<br />

utopische Berechnungen auf, mit welchen Anlagegeschäften<br />

er welchen Gewinn erzielt hätte. Dies lässt sich ex<br />

post und in Kenntnis <strong>de</strong>r tatsächlichen Entwicklung bestimmter<br />

Wertpapiere trefflich konstruieren. Es muss aber nach <strong>de</strong>r Rspr.<br />

(BGH, NJW 2002, 2553) erhebliche Anhaltspunkte für <strong>de</strong>n<br />

Kausalverlauf geben. Die Durchführung <strong>de</strong>r beabsichtigten Geschäfte<br />

mit Hilfe eines Spekulationskredits kann <strong>de</strong>m Geschädigten<br />

allerdings nicht abverlangt wer<strong>de</strong>n (OLG Zweibrücken,<br />

Urt. v. 10.2.2003, s.u. Rechtsprechungsleitsätze). Es kann ausreichen,<br />

dass <strong>de</strong>r Geschädigte tatsächlich erhaltene Gel<strong>de</strong>r auf<br />

bestimmte Weise angelegt hat. Problematisch wird es, wenn –<br />

wie häufig – im Laufe <strong>de</strong>r Zeit Umschichtungen <strong>de</strong>r Anlagen erfolgen.<br />

Eine Beweisführung ist <strong>de</strong>m Geschädigten dann kaum<br />

noch möglich. Zur Klärung dieser Frage hat das OLG Zweibrücken<br />

im geschil<strong>de</strong>rten Fall die Revision zugelassen. Die hypothetische<br />

Kausalität im Bereich von Anlageschä<strong>de</strong>n bleibt<br />

damit weitgehend ungeklärt.<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Das aktuelle Urteil<br />

Haftung <strong>de</strong>s Rechtsanwalts für Fehler <strong>de</strong>s Gerichts<br />

1. ...<br />

2. Den Grundsatz, dass Ehen in Deutschland regelmäßig nur<br />

unter Mitwirkung eines Stan<strong>de</strong>sbeamten geschlossen wer<strong>de</strong>n<br />

können, muss je<strong>de</strong>r RA beachten, <strong>de</strong>r einen Mandanten in<br />

einer eherechtlichen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung berät.<br />

3. Betreibt ein RA eine Ehescheidungsklage für einen Mandanten,<br />

obwohl dieser erkennbar keine wirksame Ehe geschlossen<br />

hatte, so wird die Haftung <strong>de</strong>s Anwalts für Schä<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m<br />

Mandanten aus <strong>de</strong>r Scheidung erwachsen, regelmäßig nicht allein<br />

dadurch ausgeschlossen, dass auch das Familiengericht das<br />

Vorliegen einer Nichtehe hätte erkennen und <strong>de</strong>swegen die<br />

Scheidungsklage hätte abweisen müssen.<br />

BGH, Urt. v. 13.3.2003 – IX ZR 181/99<br />

Besprechung:<br />

In einem Beschl. v. 12.8.2002 (NJW 2002, 2937 = BRAK-Mitt.<br />

2002, 224 m. Anm. Grams) hatte das BVerfG einen Anwaltshaftungsfall<br />

zum Anlass genommen, <strong>de</strong>n Zivilgerichten, insbes.<br />

<strong>de</strong>m BGH, die Grenzen <strong>de</strong>r Haftungszurechnung aufzuzeigen.<br />

Obwohl im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich, fin<strong>de</strong>n<br />

sich in <strong>de</strong>r Begründung einige Kernaussagen, die die Verfassungsmäßigkeit<br />

<strong>de</strong>r Rspr. zur Haftung <strong>de</strong>s Anwalts für <strong>de</strong>n Fall,<br />

dass (auch) das Gericht einen Fehler gemacht hat, stark in Zweifel<br />

ziehen. Im Urt. v. 13.3.2003 hatte <strong>de</strong>r BGH erstmals Gelegenheit,<br />

sich mit diesen Be<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>s BVerfG auseinan<strong>de</strong>r zu<br />

setzen.<br />

Der bekl. RA hatte sich auf das – haftungsmäßig nicht ungefährliche<br />

– Terrain einer Eherechtsstreitigkeit zwischen zwei<br />

Ehegatten ausländischer Staatsangehörigkeit gewagt. Ein Grieche<br />

und eine Griechin hatten im Jahr 1962 (nur) vor einem griechisch-orthodoxen<br />

Geistlichen in Deutschland die Ehe geschlossen.<br />

Die Wirksamkeit dieser Ehe hätte es erfor<strong>de</strong>rt, dass<br />

gem. § 15a EheG a. F. (entspricht Art. 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB)<br />

<strong>de</strong>r Geistliche eine Ermächtigung <strong>de</strong>r griechischen Regierung<br />

gehabt hätte. Diese wur<strong>de</strong> jedoch erst 1964 erteilt. Fast 30 Jahre<br />

später wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m bekl. RA vom (vermeintlichen) Ehemann ein<br />

Scheidungsmandat erteilt. Die Problematik einer evtl. Unwirksamkeit<br />

<strong>de</strong>r Eheschließung erkannte <strong>de</strong>r betroffene RA nicht,<br />

ebenso wenig aber das befasste Gericht: 1992 erging ein Scheidungsurteil<br />

mit Anordnung <strong>de</strong>s Versorgungsausgleichs. Zu<strong>de</strong>m<br />

wur<strong>de</strong> eine Unterhaltsvereinbarung zu Lasten <strong>de</strong>s Mannes geschlossen.<br />

Erst später, im Rahmen einer Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

über <strong>de</strong>n Zugewinnausgleich, wur<strong>de</strong> erkannt, dass die Eheschließung<br />

im Jahr 1962 nicht mit § 15a EheG a. F. im Einklang<br />

gestan<strong>de</strong>n hatte. Dennoch wur<strong>de</strong> die Wirksamkeit <strong>de</strong>r getroffenen<br />

Regelungen über Versorgungsausgleich und Unterhaltszahlungen<br />

in einem weiteren Vergleich, bei <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kl. an<strong>de</strong>rweitig<br />

anwaltlich vertreten war, bestätigt. Der Schein-Ehemann verklagte<br />

sodann <strong>de</strong>n ersten Anwalt auf Ersatz aller von ihm<br />

geleisteten und künftig zu erbringen<strong>de</strong>n Leistungen für Unterhalt,<br />

Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich.<br />

Der BGH hatte im Haftpflichtprozess zunächst die Vorfrage zu<br />

klären, ob die streitgegenständliche Ehe tatsächlich unwirksam<br />

war, da nur in diesem Fall das Vorgehen <strong>de</strong>s Anwalts überhaupt<br />

pflichtwidrig sein konnte. Auf die Ausführungen <strong>de</strong>s BGH zur<br />

Ehewirksamkeit soll an dieser Stelle nicht eingegangen wer<strong>de</strong>n.<br />

Im Ergebnis hält <strong>de</strong>r IX. ZS die Ehe für unheilbar unwirksam. Unter<br />

dieser Prämisse hätte <strong>de</strong>r bekl. RA dazu raten müssen, je<strong>de</strong>nfalls<br />

vorrangig auf Feststellung <strong>de</strong>s Nichtbestehens <strong>de</strong>r Ehe<br />

zu klagen.<br />

Interessant – beson<strong>de</strong>rs im Lichte <strong>de</strong>s erwähnten Beschlusses<br />

<strong>de</strong>s BVerfG – wird <strong>de</strong>r Fall dadurch, dass nicht nur <strong>de</strong>r Anwalt<br />

die Unwirksamkeit <strong>de</strong>r Ehe nicht erkannt hatte, son<strong>de</strong>rn offensichtlich<br />

auch das Gericht nicht, <strong>de</strong>nn es erging ja bekanntlich<br />

ein Scheidungsurteil. Hätte das Gericht fehlerfrei gehan<strong>de</strong>lt,<br />

wäre es zu einer Klageabweisung gekommen, die finanziellen<br />

Verpflichtungen wären nicht – je<strong>de</strong>nfalls nicht in <strong>de</strong>m Maße –<br />

entstan<strong>de</strong>n. Die Praxis <strong>de</strong>r Zivilgerichte, in solchen Fällen im<br />

Zweifel <strong>de</strong>n Anwalt haften zu lassen (Beispielsfälle aus <strong>de</strong>r<br />

Rspr. s. Jungk, AnwBl. 2003, 104 ff.), hat das BVerfG ausdrücklich<br />

kritisiert. Es darf keine Haftungsverschiebung zu Lasten <strong>de</strong>r<br />

Anwälte erfolgen, wenn dadurch das Grundrecht <strong>de</strong>r Berufsausübungsfreiheit<br />

berührt wird. Dabei weist das BVerfG insbeson<strong>de</strong>re<br />

auf die unterschiedlichen Aufgaben von RA und Gericht<br />

hin.<br />

Der BGH han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>n Beschluss <strong>de</strong>s BVerfG unter <strong>de</strong>m Thema<br />

„Zurechnungszusammenhang“ ab. Da es regelmäßig um Fälle<br />

geht, in <strong>de</strong>nen sowohl Anwalt als auch Gericht Mitverursachungsbeiträge<br />

geleistet haben, liegt das nahe. Eine Zurechnung<br />

<strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>ns wür<strong>de</strong> nach Ansicht <strong>de</strong>s Senats „nach allgemeinen<br />

zivilrechtlichen Abwägungsgrundsätzen“ nur dann entfallen,<br />

wenn <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsbeitrag <strong>de</strong>s Gerichts <strong>de</strong>njenigen <strong>de</strong>s anwaltlichen<br />

Parteivertreters so weit überwiegt, dass dieser daneben<br />

ganz zurücktritt. Wie schon in <strong>de</strong>r früheren Rspr. stellt <strong>de</strong>r<br />

Senat darauf ab, dass <strong>de</strong>r RA durch seinen „fehlgestalteten Pro-


BRAK-Mitt. 3/2003 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 121<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

zess“ erst die Gefahrenlage geschaffen habe, in welcher sich <strong>de</strong>r<br />

Fehler <strong>de</strong>s Gerichts auswirken konnte.<br />

An dieser Stelle vermisst man die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>n<br />

Vorgaben <strong>de</strong>s BVerfG: Das BVerfG weist ausdrücklich auf die<br />

unterschiedlichen Aufgaben von Anwalt und Gericht hin.<br />

Während <strong>de</strong>r Anwalt <strong>de</strong>n Sachverhalt unterbreiten und die richtigen<br />

Anträge stellen muss, obliegt <strong>de</strong>n Gerichten die Rechtskenntnis<br />

und –anwendung. Sie müssen entsprechend hinweisen<br />

und belehren. Die Abwägung, wer im konkreten Fall <strong>de</strong>n wesentlichen<br />

Verursachungsbeitrag geleistet hat, hätte unter<br />

Berücksichtigung dieser Aufgabenverteilung erfolgen müssen.<br />

Eine „Gefahrenlage“ wird durch fast je<strong>de</strong>s Fehlverhalten <strong>de</strong>s Anwalts,<br />

z.B. durch falsche Antragstellung, geschaffen. Dies reicht<br />

aber nicht aus. Entschei<strong>de</strong>nd muss vielmehr sein, wo <strong>de</strong>r Fehler<br />

im Kern liegt. Hier war es das Nichterkennen <strong>de</strong>r Unwirksamkeit<br />

<strong>de</strong>r Ehe aufgrund <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Ermächtigung <strong>de</strong>s Geistlichen.<br />

Ist dies nun vornehmlich eine Frage <strong>de</strong>s Parteivorbringens<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Rechtsanwendung Die Prüfung <strong>de</strong>r Tatbestandsvoraussetzungen<br />

für die beantragte Ehescheidung war die vornehmliche<br />

Aufgabe <strong>de</strong>s Gerichts. Allerdings hat das Gericht bei solchen<br />

Punkten, die von <strong>de</strong>n Parteien nicht streitig gestellt wer<strong>de</strong>n, sicherlich<br />

weniger Anlass, die tatsächlichen Voraussetzungen zu<br />

überprüfen. Soweit hier die fehlen<strong>de</strong> Ermächtigung <strong>de</strong>s Geistlichen<br />

aus <strong>de</strong>m Parteivorbringen nicht ersichtlich wur<strong>de</strong>, wird man<br />

das Nichterkennen dieses Problems durch das Gericht wohl<br />

tatsächlich als weniger erheblich ansehen können. Das Abwägungsergebnis<br />

<strong>de</strong>s Senats – Bejahung <strong>de</strong>s Zurechnungszusammenhangs<br />

– erscheint dann auch im Lichte <strong>de</strong>r BVerfG-Entscheidung<br />

vertretbar. Dennoch bedauerlich, dass <strong>de</strong>r BGH sich die<br />

Mahnung <strong>de</strong>s BVerfG offenbar nicht zu Herzen genommen und<br />

nicht die Gelegenheit genutzt hat, die verfassungsrechtlichen<br />

Vorgaben wirklich in seine Rspr. einzuarbeiten.<br />

Nur ergänzend sei noch erwähnt, dass die Frage <strong>de</strong>s Zurechnungszusammenhangs<br />

im vorliegen<strong>de</strong>n Fall noch ein zweites<br />

Mal relevant wur<strong>de</strong>: Der Mandant schloss ja nach Beratung<br />

durch einen neuen Anwalt einen weiteren Vergleich, in <strong>de</strong>m er<br />

trotz zwischenzeitlich erkannter Ehenichtigkeit auf Einwendungen<br />

gegen die ursprüngliche Vereinbarung verzichtete. Eine<br />

Ehenichtigkeitsfeststellungsklage wäre zu diesem Zeitpunkt<br />

noch immer möglich gewesen. Dem neuen RA war insoweit<br />

<strong>de</strong>r gleiche Beratungsfehler wie <strong>de</strong>m bekl. Anwalt vorzuwerfen.<br />

Im Einklang mit <strong>de</strong>r bisherigen Rspr. bleibt es aber bei <strong>de</strong>r<br />

Scha<strong>de</strong>nszurechung, da <strong>de</strong>r Vergleichsschluss keine „ungewöhnliche<br />

Beeinflussung <strong>de</strong>s Geschehensablaufs“ darstellte. Es<br />

bleibt somit bei <strong>de</strong>r Haftung <strong>de</strong>s ersten RA im Außenverhältnis.<br />

Im Innenverhältnis kommt evtl. ein Ausgleichsanspruch in Betracht.<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Haftung<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

Keine Haftung für Unternehmenserfolg<br />

a) Wer einen an<strong>de</strong>ren allein auf steuerliche Vorteile einer gesellschaftsrechtlichen<br />

Beteiligung hinweist, haftet ihm bei einem<br />

Fehler grundsätzlich nur für <strong>de</strong>n ausgebliebenen Steuervorteil<br />

und nicht für einen ausgebliebenen Unternehmenserfolg.<br />

b) In <strong>de</strong>n Schutzbereich von (vor-)vertraglichen Pflichten zur<br />

richtigen Darstellung <strong>de</strong>r Vorteile und Risiken einer Gesellschaftsbeteiligung<br />

wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel nachträglich auch<br />

Dritte einbezogen, sobald <strong>de</strong>r Hinweisgeber erfährt, dass sie in<br />

Abstimmung mit <strong>de</strong>m Erstinteressenten möglicherweise an seiner<br />

Stelle in das Anlagevorhaben eintreten wer<strong>de</strong>n. Solchen<br />

Dritten gegenüber kann <strong>de</strong>r Hinweisgeber auch für Fehler und<br />

Versäumnisse aus <strong>de</strong>r Unterrichtung <strong>de</strong>s Erstinteressenten haften,<br />

die für die Entschlussbildung <strong>de</strong>r Dritten fortwirken.<br />

BGH, Urt. v. 13.2.2003 – IX ZR 62/02, BB 2003, 924 = ZIP<br />

2003, 806<br />

Anmerkung: S. o. Überblick.<br />

Scha<strong>de</strong>n im Rechtssinne<br />

Belehrt <strong>de</strong>r steuerliche Berater über die Anfor<strong>de</strong>rungen, die an<br />

Barquittungen zu stellen sind, falsch und führt dies dazu, dass<br />

die Finanzbehör<strong>de</strong> die quittierten Beträge nicht als Betriebsausgaben<br />

anerkennt, kann die Haftung <strong>de</strong>s steuerlichen Beraters<br />

entfallen, wenn <strong>de</strong>r Mandant die ihm möglichen und zumutbaren<br />

Angaben vor Erlass <strong>de</strong>r nachteiligen Än<strong>de</strong>rungsbeschei<strong>de</strong><br />

nicht nachholt.<br />

BGH, Urt. v. 20.2.2003 – IX ZR 384/99, ZIP 2003, 803<br />

Anmerkung: S. o. Überblick.<br />

Hypothetische Spekulationsgewinne<br />

Es besteht keine Pflicht zur Durchführung geplanter Spekulationsgeschäfte<br />

mit Hilfe eines Spekulationskredits zum Zwecke<br />

<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsmin<strong>de</strong>rung.<br />

Pfälzisches OLG Zweibrücken, Urt. v. 10.2.2003 – 7 U 99/02<br />

Anmerkung: S. o. Überblick.<br />

Kanzleigemeinschaft, Bürogemeinschaft, Scheinsozietät,<br />

Einzelvollmacht<br />

Die Grundsätze <strong>de</strong>r gesamtschuldnerischen Rechtsscheinshaftung<br />

bei Scheinsozietäten gelten auch dann, wenn auf <strong>de</strong>m gemeinsamen<br />

Briefkopf <strong>de</strong>r Zusatz „In Kanzleigemeinschaft“ angebracht<br />

ist.<br />

OLG Köln, Urt. v. 17.12.2002 – 22 U 168/02<br />

Die beklagten Anwälte hatten auf <strong>de</strong>m gemeinsamen Briefkopf<br />

<strong>de</strong>n Zusatz „In Kanzleigemeinschaft“ angebracht. Das Mandat<br />

wur<strong>de</strong> nur von einem <strong>de</strong>r Anwälte bearbeitet; auch die Vollmacht<br />

lautete nur auf diesen Anwalt. Im Haftpflichtprozess erhob<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Anwalt vergeblich die Einre<strong>de</strong> <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n<br />

Passivlegitimation. Das OLG ging trotz <strong>de</strong>s Zusatzes von einer<br />

gesamtschuldnerischen Rechtsscheinshaftung bei<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m<br />

Briefkopf genannten Anwälte nach <strong>de</strong>n vom BGH entwickelten<br />

Grundsätzen zur sog. Scheinsozietät (BGH, NJW 1978, 996;<br />

1991, 1225; 1999, 3040; vgl. auch Grams, BRAK-Mitt. 2002,<br />

119) im Außenverhältnis aus. Auch die nur auf einen <strong>de</strong>r Anwälte<br />

lauten<strong>de</strong> Vollmacht half nichts. Nach st. BGH-Rspr. ist nur<br />

bei Vorliegen beson<strong>de</strong>rer Umstän<strong>de</strong> von einem Einzelmandat<br />

auszugehen; eine Einzelvollmacht hat allenfalls Indizwirkung,<br />

reicht aber für sich allein nicht aus (BGH, NJW 1991, 1225;<br />

1999, 3040).<br />

Nicht zu entschei<strong>de</strong>n war, ob <strong>de</strong>r zu einem späteren Zeitpunkt<br />

in „In Bürogemeinschaft“ verän<strong>de</strong>rte Zusatz an<strong>de</strong>rs zu würdigen<br />

ist. Gleichwohl merkte das OLG an, dass <strong>de</strong>r Rechtsverkehr<br />

auch <strong>de</strong>m Begriff „Bürogemeinschaft“ i. d. R. eine über <strong>de</strong>n rein<br />

organisatorischen Inhalt <strong>de</strong>s Wortes hinausgehen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung<br />

beimessen und kaum zwischen „Kanzleigemeinschaft“ und


122 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

„Bürogemeinschaft“ unterschei<strong>de</strong>n dürfte. Damit ließ <strong>de</strong>r Senat<br />

die Ten<strong>de</strong>nz erkennen, auch bei einem Zusatz „Bürogemeinschaft“<br />

eine gesamtschuldnerische Rechtsscheinshaftung anzunehmen.<br />

Höchstrichterliche Rspr. zu dieser Frage liegt bislang nicht vor.<br />

Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass <strong>de</strong>r BGH diese Frage an<strong>de</strong>rs<br />

beurteilen wür<strong>de</strong>, da auch <strong>de</strong>r IX. ZS bei <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r<br />

Rechtsscheinshaftung auf die Verkehrsauffassung <strong>de</strong>s rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />

Publikums abstellt. Es muss bezweifelt wer<strong>de</strong>n, dass<br />

<strong>de</strong>r durchschnittliche Mandant <strong>de</strong>n Begriff Bürogemeinschaft in<br />

<strong>de</strong>m intendierten Sinne richtig werten kann, dass keine „echte“<br />

Sozietät besteht und damit keine gesamtschuldnerische Haftung<br />

gegeben sein soll. Auch ein Hinweis auf <strong>de</strong>m Briefkopf „Konten<br />

nur RA XYZ” reicht nicht aus, um eine gesamtschuldnerische<br />

Haftung zu vermei<strong>de</strong>n (BGH, NJW 1978, 996).<br />

In versicherungsvertraglicher Hinsicht fin<strong>de</strong>t bei <strong>de</strong>rartigen<br />

„Außen-Bürogemeinschaften“ § 12 AVB Anwendung, wonach<br />

<strong>de</strong>r Versicherungsfall eines Sozius als Versicherungsfall aller Sozien<br />

gilt. Diese Regelung gilt für alle Formen <strong>de</strong>r gemeinschaftlichen<br />

Berufsausübung nach außen unabhängig vom Innenverhältnis,<br />

also auch für Scheinsozietäten. Im Regulierungsfall tritt<br />

<strong>de</strong>r Versicherer mit einer sog. Durchschnittsleistung ein. Unterschiedlich<br />

hohe Versicherungssummen können zu Deckungslücken<br />

führen, wenn <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n die gesetzliche Pflichtversicherungssumme<br />

übersteigt (Einzelheiten s. Grams, BRAK-Mitt.<br />

2002, 67). Sind (Schein-) Sozien bei verschie<strong>de</strong>nen Versicherern<br />

versichert, wird eine Versicherungsleistung unter <strong>de</strong>n Versicherern<br />

im Verhältnis <strong>de</strong>r versicherten Anwälte aufgeteilt.<br />

Rechtsanwalt Holger Grams<br />

Grundsatz <strong>de</strong>s „sicheren Weges“<br />

Der „Grundsatz <strong>de</strong>s sicheren Weges“ verpflichtet <strong>de</strong>n Anwalt,<br />

bei zweifelhafter Rechtslage so vorzugehen, dass <strong>de</strong>r Mandant<br />

mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Erfolg kommt.<br />

OLG Koblenz, Urt. v. 10.10.2002 – 5 U 238/02<br />

Anmerkung: Der Anwalt war mit <strong>de</strong>r Führung eines Räumungsrechtsstreits<br />

für die Vermieter beauftragt. Partei <strong>de</strong>s Mietvertrages<br />

auf Mieterseite war allein <strong>de</strong>r Ehemann, <strong>de</strong>r jedoch mit seiner<br />

Ehefrau zusammen die Wohnung bewohnte. Das ging auch<br />

aus <strong>de</strong>m Mietvertrag hervor. Bei Vollstreckung <strong>de</strong>s Titels gegen<br />

<strong>de</strong>n Ehemann weigerte sich <strong>de</strong>r Gerichtsvollzieher, die Räumung<br />

gegen die Ehefrau zu betreiben. Nach <strong>de</strong>r erfolgreichen<br />

Erinnerung schloss sich das LG wie<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s<br />

Gerichtsvollziehers an. Das OLG warf <strong>de</strong>m Anwalt im Ergebnis<br />

vor, er habe nicht <strong>de</strong>n sichereren Weg gewählt, nämlich auch<br />

die Ehefrau zu verklagen. Es sei zwar umstritten, ob ein Räumungsrechtsstreit<br />

auch auf <strong>de</strong>n Ehegatten zu erstrecken sei, <strong>de</strong>r<br />

nicht Partei <strong>de</strong>s Mietvertrages ist. Gera<strong>de</strong> wenn die Fachgerichte<br />

aber keine einhellige Auffassung vertreten, habe <strong>de</strong>r RA diejenige<br />

Alternative zu wählen, die für <strong>de</strong>n Mandanten mit höherer<br />

Wahrscheinlichkeit zielführend ist.<br />

Der sicherere Weg ist also immer dann zu beachten, wenn ein<br />

alternatives Vorgehen mit höherer Wahrscheinlichkeit die Ziele<br />

<strong>de</strong>s Mandanten erreichen lässt, ohne dass dagegen an<strong>de</strong>re gewichtige<br />

Nachteile stehen. Vorliegend wären das lediglich eventuelle<br />

Kostennachteile gewesen. Die Vor- und Nachteile <strong>de</strong>s jeweiligen<br />

Vorgehens sollte <strong>de</strong>r Anwalt mit <strong>de</strong>m Mandanten stets<br />

besprechen. Er hat <strong>de</strong>n sichersten Weg als solchen aufzuzeigen.<br />

Die Entscheidung darüber, wie tatsächlich vorzugehen ist, obliegt<br />

dann <strong>de</strong>m Mandanten.<br />

Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Fristen<br />

Fristüberwachung durch <strong>de</strong>n Anwalt bei Vorlage <strong>de</strong>r Akte<br />

Bei <strong>de</strong>r Organisation <strong>de</strong>s Fristenwesens in seiner Kanzlei hat<br />

<strong>de</strong>r Anwalt durch geeignete Anweisungen sicherzustellen, dass<br />

die Berechnung einer Frist, ihre Notierung in <strong>de</strong>n Handakten,<br />

die Eintragung im Fristenkalen<strong>de</strong>r sowie die Quittierung <strong>de</strong>r<br />

Kalen<strong>de</strong>reintragung durch einen Erledigungsvermerk auf <strong>de</strong>n<br />

Handakten von <strong>de</strong>r zuständigen Bürokraft zum frühestmöglichen<br />

Zeitpunkt und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang<br />

vorgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />

BGH, Beschl. v. 5.2.2003 – VIII ZB 115/02<br />

Anmerkung: Das Berufungsgericht hatte <strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>reinsetzungsantrag<br />

schon <strong>de</strong>shalb als unbegrün<strong>de</strong>t zurückgewiesen,<br />

weil <strong>de</strong>r Anwalt bereits bei Vorlage <strong>de</strong>r Berufungsunterlagen am<br />

7.8.2002 selbst zur Kontrolle und Einhaltung <strong>de</strong>r am 16.8.2003<br />

en<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Berufungsbegründungsfrist verpflichtet gewesen<br />

wäre. Dem stimmt <strong>de</strong>r BGH nicht zu, son<strong>de</strong>rn stellt im Anschluss<br />

an seine st. Rspr. nochmals klar, dass <strong>de</strong>r Fristenlauf<br />

nicht bei je<strong>de</strong>r Vorlage <strong>de</strong>r Handakten zu überprüfen sei, son<strong>de</strong>rn<br />

nur dann, wenn ihm die Akte im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r<br />

Erledigung einer fristgebun<strong>de</strong>nen Handlung vorgelegt wird, und<br />

auch dann lediglich für diese konkrete Frist.<br />

Die Wie<strong>de</strong>reinsetzung scheiterte aber dann doch an einem Organisationsmangel.<br />

In <strong>de</strong>r Kanzlei <strong>de</strong>s betroffenen Anwalts war<br />

es nämlich lt. Vortrag offenbar üblich, auf die eingehen<strong>de</strong>n<br />

Schriftstücke zunächst einen Stempel mit <strong>de</strong>n einzutragen<strong>de</strong>n<br />

Fristen zu setzen, die Schriftstücke dann zur Bearbeitung <strong>de</strong>m<br />

Anwalt vorzulegen und erst anschließend die Fristen in <strong>de</strong>n Kalen<strong>de</strong>r<br />

einzutragen. Diese Organisationsform missbilligt <strong>de</strong>r<br />

BGH. Der einheitliche Vorgang <strong>de</strong>r Fristberechnung und -erfassung<br />

sei vielmehr sogleich nach Eingang <strong>de</strong>s Schriftstücks vorzunehmen;<br />

<strong>de</strong>r Erledigungsvermerk sei dann <strong>de</strong>r letzte Schritt<br />

dieses Vorgangs, anhand <strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>r Anwalt bei Vorlage <strong>de</strong>s<br />

Schriftstücks mit Akte kontrollieren kann, ob die Frist auch wirklich<br />

eingetragen ist.<br />

Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Fristwahrung per Telefax<br />

Erkennt <strong>de</strong>r Bevollmächtigte einer Partei, dass er einen Schriftsatz<br />

per Telefax nicht mehr fristgerecht an das zuständige Gericht<br />

übermitteln kann, steht es <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>reinsetzung in <strong>de</strong>n<br />

vorigen Stand grundsätzlich nicht entgegen, dass er <strong>de</strong>n<br />

Schriftsatz in an<strong>de</strong>rer Weise noch rechtzeitig hätte übermitteln<br />

können, sofern die Unmöglichkeit <strong>de</strong>r rechtzeitigen Übermittlung<br />

per Telefax ihren Grund in <strong>de</strong>r Sphäre <strong>de</strong>s Gerichts fin<strong>de</strong>t.<br />

BGH, Beschl. v. 20.2.2003 – V ZB 60/02<br />

Anmerkung: Der Anwalt selbst hatte versucht, einen (ersten)<br />

Fristverlängerungsantrag am letzten Tag <strong>de</strong>r Frist ab 19.44 Uhr<br />

per Fax von Chemnitz aus an das OLG nach Dres<strong>de</strong>n zu sen<strong>de</strong>n.<br />

Wie sich später herausstellte, waren bei<strong>de</strong> Faxgeräte <strong>de</strong>s<br />

OLG nicht mit genügend Papier ausgestattet, so dass die Übertragung<br />

nicht funktionierte. Das OLG Dres<strong>de</strong>n meinte, <strong>de</strong>r Anwalt<br />

hätte – nach<strong>de</strong>m er sich mehr als eine Stun<strong>de</strong> lang vergeblich<br />

um eine Übertragung bemüht hatte – an<strong>de</strong>re Möglichkeiten<br />

<strong>de</strong>r rechtzeitigen Antragsanbringung nutzen müssen, etwa die<br />

Aufgabe eines Blitztelegramms, die Beauftragung eines Kurierdienstes<br />

o<strong>de</strong>r die Inanspruchnahme einer in Dres<strong>de</strong>n ansässigen<br />

Kanzlei. Notfalls hätte er selbst mit <strong>de</strong>m Auto nach Dres<strong>de</strong>n fahren<br />

müssen.


BRAK-Mitt. 3/2003 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 123<br />

Zusammenschluss von Anwälten<br />

Dem tritt <strong>de</strong>r BGH mit erfreulicher Klarheit entgegen. Die Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s Berufungsgerichts verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip<br />

und verletze <strong>de</strong>n Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen<br />

Rechtsschutzes. Wenn es in <strong>de</strong>r Sphäre <strong>de</strong>s Gerichts<br />

begrün<strong>de</strong>t ist, dass keines <strong>de</strong>r angegebenen Faxgeräte benutzt<br />

wer<strong>de</strong>n kann, muss <strong>de</strong>r Anwalt die aufgezählten Möglichkeiten<br />

nicht unbedingt in Betracht ziehen (vgl. dazu auch BVerfG, NJW<br />

2001, 3473 mit Anm. Jungk, BRAK-Mitt. 2002, 25).<br />

Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Zusammenschluss von Anwälten<br />

Die Partnerschaftsgesellschaft<br />

Gem. § 8 Abs. 1 PartGG haften die Partner für Verbindlichkeiten<br />

<strong>de</strong>r Partnerschaft neben <strong>de</strong>m Vermögen <strong>de</strong>r Partnerschaft akzessorisch<br />

mit ihrem Privatvermögen als Gesamtschuldner. Die<br />

§§ 129 und 130 HGB sind entsprechend anzuwen<strong>de</strong>n. Damit<br />

haften neu eintreten<strong>de</strong> Partner im Außenverhältnis auch für vor<br />

ihrem Eintritt in die Partnerschaft begrün<strong>de</strong>te Altverbindlichkeiten<br />

<strong>de</strong>r Partnerschaft mit. Für Verbindlichkeiten aufgrund von<br />

Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüchen wegen fehlerhafter Berufsausübung<br />

gibt es jedoch eine ganz wesentliche Son<strong>de</strong>rregelung:<br />

Waren nur einzelne Partner mit <strong>de</strong>r Bearbeitung <strong>de</strong>s Mandats<br />

befasst, ist die persönliche Haftung für anwaltliche Pflichtverletzungen<br />

gem. § 8 Abs. 2 PartGG n.F. (Gesetz zur Än<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r BRAO und an<strong>de</strong>rer Gesetze vom 22.7.1998) gesetzlich auf<br />

diesen bzw. diese Partner beschränkt (also nicht zwingend nur<br />

auf <strong>de</strong>n Partner, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r haftungsbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Fehler unterläuft).<br />

Die Haftung <strong>de</strong>s Vermögens <strong>de</strong>r Partnerschaft bleibt davon<br />

unberührt. Bearbeitungsbeiträge von nur untergeordneter<br />

Be<strong>de</strong>utung sind von <strong>de</strong>r Haftung ausgenommen; hierunter fallen<br />

z.B. Urlaubsvertretungen ohne eigene inhaltliche Bearbeitung<br />

o<strong>de</strong>r eine rein interne konsiliarische Beratung. Dies gilt<br />

aber nicht, wenn ein – noch so minimaler – Bearbeitungsbeitrag<br />

o<strong>de</strong>r ein Unterlassen selbst <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n (mit-)verursacht (RegE,<br />

BT-Drucks. 13/9820, 21). Gegenüber § 51a Abs. 2 BRAO stellt<br />

§ 8 Abs. 2 PartGG n.F. die speziellere Regelung dar (vgl. Michalski/Römermann,<br />

PartGG, 2. Aufl., § 8 Rdnr. 49).<br />

Die Haftungskonzentration umfasst sowohl „normale“ Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche<br />

aus pVV (§§ 241 Abs. 2, 280 BGB n.F.) wie<br />

auch Ansprüche aus c.i.c. (§ 311 Abs. 2 BGB n.F.), aus Delikt<br />

und Ansprüche Dritter aus Mandaten mit Schutzwirkung zu <strong>de</strong>ren<br />

Gunsten. Sie dürfte jedoch keinen Schutz <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Partner<br />

z.B. bei Veruntreuung von Fremdgel<strong>de</strong>rn durch einen Partner<br />

bieten, weil hier ein Erfüllungsanspruch <strong>de</strong>s Mandanten aus<br />

§ 667 BGB besteht; hierfür gilt m.E. § 8 Abs. 1 PartGG. Die Möglichkeit,<br />

die Haftung daneben gem. § 51a Abs. 1 BRAO auf<br />

Höchstbeträge zu beschränken, ist gem. § 8 Abs. 3 PartGG ausdrücklich<br />

ebenfalls gegeben.<br />

Die Haftungskonzentration ist auch dann wirksam, wenn neben<br />

<strong>de</strong>n echten Partnern Anwälte wie Partner auf <strong>de</strong>m Briefkopf in<br />

Erscheinung treten, ohne tatsächlich Partner zu sein (Scheinpartner).<br />

Wur<strong>de</strong> das Mandat nur durch einen Scheinpartner bearbeitet,<br />

haftet im Außenverhältnis nur dieser mit seinem Privatvermögen<br />

neben <strong>de</strong>m Vermögen <strong>de</strong>r Partnerschaft (OLG München,<br />

BB 2001, 592). Nach <strong>de</strong>r Gegenansicht hätte es bei <strong>de</strong>r<br />

persönlichen Haftung sämtlicher Partner verbleiben müssen (Jawansky,<br />

DB 2001, 2281).<br />

Wird ein Mandat intern einem angestellten Anwalt o<strong>de</strong>r freien<br />

Mitarbeiter zur Bearbeitung übertragen, <strong>de</strong>r nicht als Scheinpartner<br />

nach außen in Erscheinung tritt, soll (nur) <strong>de</strong>r Partner persönlich<br />

haften, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Mitarbeiter zu überwachen hatte (RegE<br />

a.a.O., 21). Wird ein Mandat nicht o<strong>de</strong>r nicht rechtzeitig bearbeitet,<br />

soll nach <strong>de</strong>r Gesetzesbegründung <strong>de</strong>r Partner persönlich<br />

haften, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r internen Zuständigkeitsverteilung für die Bearbeitung<br />

zuständig gewesen wäre. Gleiches dürfte bei Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüchen<br />

aus § 44 BRAO (Verletzung <strong>de</strong>r Pflicht zur<br />

unverzüglichen Mandatsablehnung) gelten. In diesen Fällen han<strong>de</strong>lt<br />

es sich jedoch um rein interne Regelungen, die vom geschädigten<br />

Mandanten ggf. nur durch Geltendmachung eines<br />

Auskunftsanspruchs in Erfahrung gebracht wer<strong>de</strong>n können.<br />

Ein Teil <strong>de</strong>r Literatur hält dies mit beachtlichen Grün<strong>de</strong>n für unzutreffend<br />

(Michalski/Römermann, a.a.O., § 8 Rdnr. 29; a.A. Jawansky,<br />

a.a.O.). Selbst unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r Darlegungsund<br />

Beweislast <strong>de</strong>r Partner ist fraglich, ob es zumutbar ist, <strong>de</strong>n<br />

Mandanten zunächst auf die Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs<br />

zu verweisen, damit er Klarheit erhält, gegen welchen<br />

Partner er persönlich vorgehen kann. Je<strong>de</strong>nfalls wenn <strong>de</strong>r Auskunftsanspruch<br />

nicht erfüllt wird, bleibt es bei <strong>de</strong>r persönlichen<br />

Haftung aller Partner. Gleiches gilt, wenn tatsächlich keiner <strong>de</strong>r<br />

Partner mit <strong>de</strong>r Angelegenheit befasst war und auch keine Zuordnung<br />

durch eine interne Zuständigkeitsverteilung möglich ist.<br />

Hemmung und Neubeginn <strong>de</strong>r Verjährung gegenüber <strong>de</strong>r Partnerschaft<br />

wirken auch gegenüber <strong>de</strong>n persönlich haften<strong>de</strong>n<br />

Partnern.<br />

Vertreten wird teilweise die analoge Anwendbarkeit <strong>de</strong>s § 28<br />

HGB, also die Haftung <strong>de</strong>r Partnerschaft für Verbindlichkeiten<br />

eines Anwalts, <strong>de</strong>r seine Kanzlei in eine neu gegrün<strong>de</strong>te Partnerschaft<br />

einbringt (Sieg in: Zugehör, Rdnr. 399 m.w.N.). Deliktisches<br />

Verhalten eines Partners wird <strong>de</strong>r Partnerschaft analog<br />

§ 31 BGB zugerechnet (vgl. Sieg in: Zugehör, Rdnr. 389, 393<br />

m.w.N.).<br />

Bei Ausschei<strong>de</strong>n eines Partners richtet sich <strong>de</strong>ssen Nachhaftung<br />

gem. § 10 Abs. 2 PartGG nach § 160 HGB, d.h. er haftet für bis<br />

zu seinem Ausschei<strong>de</strong>n begrün<strong>de</strong>te Verbindlichkeiten für einen<br />

Zeitraum von fünf Jahren ab Eintragung seines Ausschei<strong>de</strong>ns im<br />

Partnerschaftsregister. § 160 HGB normiert keine Verjährungs-,<br />

son<strong>de</strong>rn eine Ausschlussfrist. Die berufsrechtliche Verjährungsnorm<br />

<strong>de</strong>s § 51b BRAO (drei Jahre ab Scha<strong>de</strong>nsentstehung, ggf.<br />

zzgl. Sekundärverjährung, spätestens drei Jahre ab Mandatsen<strong>de</strong>)<br />

bleibt hiervon unberührt.<br />

Ungeachtet <strong>de</strong>r Rechtsfähigkeit <strong>de</strong>r Partnerschaftsgesellschaft<br />

sehen die gesetzlichen Regelungen über die Berufshaftpflichtversicherung<br />

(§ 51 BRAO) keine eigene Versicherung <strong>de</strong>r Partnerschaftsgesellschaft<br />

vor (an<strong>de</strong>rs als etwa in § 59j BRAO für die<br />

RA-GmbH; bei dieser han<strong>de</strong>lt es sich allerdings um eine juristische<br />

Person). Wie in einer GbR sind daher die einzelnen Partner<br />

Versicherungsnehmer (vgl. Kopp in: Henssler/Streck, Handbuch<br />

<strong>de</strong>s Sozietätsrechts, Rdnr. C 236). Üblich sind jedoch Zusätze in<br />

<strong>de</strong>n Versicherungsbedingungen <strong>de</strong>r Verträge <strong>de</strong>r einzelnen Partner,<br />

wonach Ansprüche, die gegen die Partnerschaftsgesellschaft<br />

unmittelbar erhoben wer<strong>de</strong>n, in bedingungsgemäßem Umfang<br />

mitversichert sind.<br />

Auch bei <strong>de</strong>r Partnerschaftsgesellschaft ist in versicherungsvertraglicher<br />

Hinsicht die Regelung <strong>de</strong>s § 12 AVB zu beachten, wonach<br />

<strong>de</strong>r Versicherungsfall eines Sozius (hier = Partner) als Versicherungsfall<br />

aller Sozien gilt. Diese Regelung greift unabhängig<br />

von <strong>de</strong>r personellen Haftungskonzentration nach § 8 Abs. 2<br />

PartGG und gilt auch für Scheinpartner. Im Regulierungsfall tritt<br />

<strong>de</strong>r Versicherer mit einer sog. Durchschnittsleistung ein. Sind<br />

Sozien bei verschie<strong>de</strong>nen Versicherern versichert, wird eine Versicherungsleistung<br />

unter <strong>de</strong>n Versicherern im Verhältnis <strong>de</strong>r versicherten<br />

Anwälte aufgeteilt. Unterschiedlich hohe Versicherungssummen<br />

können ebenso zu Deckungslücken führen (Einzelheiten<br />

s. Grams, BRAK-Mitt. 2002, 67) wie die Versicherung<br />

von Scheinpartnern lediglich als freie Mitarbeiter o<strong>de</strong>r angestellte<br />

Anwälte (vgl. Grams, BRAK-Mitt. 2003, 12 und 61).<br />

Rechtsanwalt Holger Grams


124 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK<br />

Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern<br />

zum 1.1.2003<br />

Die Rechtsanwaltskammer mit <strong>de</strong>n meisten Mitglie<strong>de</strong>rn ist<br />

wie<strong>de</strong>rum die Rechtsanwaltskammer München (14 640), gefolgt<br />

von <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Frankfurt mit 13 048 Mitglie<strong>de</strong>rn,<br />

<strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Hamm mit 11 052 Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

und <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer Köln mit 9632 Mitglie<strong>de</strong>rn.<br />

Die Rechtsanwaltskammer mit <strong>de</strong>n wenigsten Mitglie<strong>de</strong>rn ist<br />

die Rechtsanwaltskammer Saarbrücken mit 1149 Mitglie<strong>de</strong>rn.<br />

Die Anzahl <strong>de</strong>rjenigen Rechtsanwälte, die neben ihrem Beruf<br />

als Rechtsanwalt zugleich als Wirtschaftsprüfer und/o<strong>de</strong>r Steuerberater<br />

und/o<strong>de</strong>r vereidigter Buchprüfer tätig sind, entstammt<br />

<strong>de</strong>n Meldungen bei <strong>de</strong>n regionalen Rechtsanwaltskammern.<br />

Zum 1.1.2003 waren 537 Rechtsanwälte auch als Wirtschaftsprüfer<br />

(Steigerung zum Vorjahr: 11,64 %), 1408 als Steuerberater<br />

(Steigerung: 10,00 %) und 484 als vereidigte Buchprüfer<br />

(Steigerung: 7,32 %) tätig.<br />

Die Anzahl <strong>de</strong>r Rechtsanwältinnen ist um 7,12 % angestiegen<br />

(32 595). Zu bemerken ist, dass <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Frauen an <strong>de</strong>n<br />

Fachanwälten weiter wächst. Im Familienrecht sind über die<br />

Hälfte <strong>de</strong>r Fachanwälte Rechtsanwältinnen (51,74 %). Die Zahl<br />

<strong>de</strong>r Fachanwältinnen für Insolvenzrecht ist um 58,82 % auf 17<br />

angestiegen, für Steuerrecht um 21,48 %, für Verwaltungsrecht<br />

um 17,59 %, für Strafrecht um 21,30 %, für Familienrecht um<br />

14,90 %, für Sozialrecht um 11,25 % und für Arbeitsrecht um<br />

17,55 %. Damit liegt <strong>de</strong>r prozentuale Anstieg bei <strong>de</strong>n Fachanwältinnen<br />

höher als <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Fachanwälten.<br />

Ein erheblicher Zuwachs konnte insgesamt bei <strong>de</strong>n Fachanwälten<br />

verzeichnet wer<strong>de</strong>n. Dies zeigt, dass sowohl auf Seiten <strong>de</strong>r<br />

Rechtsuchen<strong>de</strong>n ein erhöhtes Bedürfnis nach spezialisierten<br />

Anwälten besteht als auch bei <strong>de</strong>n Rechtsanwälten nach höherer<br />

Qualifizierung und Spezialisierung. Die größte prozentuale<br />

Steigerung ist bei <strong>de</strong>n Fachanwälten für Insolvenzrecht, <strong>de</strong>r<br />

zuletzt eingeführten Fachanwaltschaft, zu verzeichnen mit<br />

39,18 % auf insgesamt 373. Die geringste Steigerung ist bei <strong>de</strong>n<br />

RAK Mit- Rechtsglie<strong>de</strong>r<br />

anwälte Anwaltsnotare<br />

insges. insg. w insg. w<br />

BGH 31 31 4 0 0 0 0 0 0<br />

Bamberg 2192 2180 513 0 0 53 4 19 2<br />

Berlin 9268 9254 2650 1153 157 155 14 72 11<br />

Bran<strong>de</strong>nburg 1919 1916 565 0 0 14 2 9 1<br />

Braunschweig 1387 1383 330 334 38 26 2 6 1<br />

Bremen 1481 1475 349 303 32 42 3 22 3<br />

Celle 4594 4566 1090 1057 113 204 12 62 10<br />

Düsseldorf 8642 8605 2188 212 16 255 27 48 2<br />

Frankfurt 13048 13013 3810 1230 107 439 49 69 12<br />

Freiburg 2812 2801 725 0 0 104 7 30 1<br />

Hamburg 6719 6663 1762 0 0 207 19 32 3<br />

Hamm 11052 11029 2659 2173 127 430 36 173 21<br />

Karlsruhe 3596 3584 942 0 0 126 11 21 1<br />

Kassel 1416 1412 337 277 17 27 6 18 4<br />

Koblenz 2626 2619 674 0 0 110 14 31 2<br />

Köln 9632 9609 2640 0 0 231 23 70 6<br />

Meckl.-Vorp. 1392 1387 377 0 0 19 1 17 5<br />

München 14640 14525 4302 0 0 396 39 86 12<br />

Nürnberg 3458 3433 975 0 0 88 12 27 2<br />

Ol<strong>de</strong>nburg 2218 2203 539 602 52 71 7 33 4<br />

Saarbrücken 1149 1146 294 0 0 28 4 5 1<br />

Sachsen 3928 3886 1222 0 0 54 4 33 5<br />

Sachsen-Anh. 1653 1648 514 0 0 14 2 13 1<br />

Schleswig 3066 3055 658 933 88 74 14 61 5<br />

Stuttgart 5382 5358 1307 77 2 105 7 42 7<br />

Thüringen 1729 1724 492 0 0 32 2 12 2<br />

Tübingen 1674 1666 374 14 0 47 5 22 3<br />

Zweibrücken 1257 1249 303 0 0 40 2 11 0<br />

darunter<br />

Fachanwälte<br />

SteuerR VerwR StrafR FamR ArbR SozR InsR<br />

insg. w insg. w insg. w insg. w insg. w insg. w insg. w<br />

Rechts- RAbeistän<strong>de</strong><br />

aus- WP StB vereid.<br />

GmbH PartG<br />

länd.<br />

Buch-<br />

RAe prüfer insg. w<br />

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0<br />

23 1 142 72 86 20 13 4 11 0 1 9 35 11 8 1 4 25<br />

84 23 150 102 248 60 33 12 4 1 81 36 135 15 3 0 11 64<br />

24 7 59 37 90 25 6 0 5 1 2 1 14 2 0 0 3 25<br />

26 4 80 37 99 15 14 4 7 0 0 4 3 3 3 1 1 0<br />

21 2 60 42 75 11 15 7 14 2 3 3 4 7 4 1 2 23<br />

56 8 325 173 306 49 34 8 22 4 8 20 63 20 26 1 2 37<br />

95 16 300 136 310 46 34 3 13 0 10 14 103 32 23 1 14 73<br />

110 21 368 202 484 108 43 16 28 1 130 67 75 40 27 2 8 61<br />

35 3 159 67 108 15 13 1 6 0 5 26 36 29 7 0 4 17<br />

45 14 127 73 206 41 34 6 18 0 13 95 174 51 53 0 3 51<br />

166 19 718 351 690 83 126 33 30 0 4 35 41 25 19 0 4 90<br />

30 7 109 65 122 17 12 5 11 0 11 21 58 24 10 1 2 44<br />

19 1 104 47 83 11 7 3 15 2 0 3 9 3 4 0 0 13<br />

42 9 186 82 139 24 23 6 17 1 2 13 32 19 7 0 0 27<br />

107 22 293 135 326 53 60 14 20 2 16 28 81 43 15 0 8 53<br />

19 2 63 35 66 11 6 0 15 1 0 1 9 2 0 0 5 15<br />

127 12 515 268 407 85 40 9 37 5 53 42 199 50 97 10 18 110<br />

46 3 223 120 134 31 19 7 16 1 6 24 56 28 19 1 6 33<br />

41 7 187 100 172 17 26 9 11 0 1 11 40 6 11 0 4 13<br />

16 1 60 30 48 10 10 2 2 0 4 8 9 9 2 1 1 5<br />

44 7 113 80 160 51 16 4 23 1 6 8 25 11 2 0 40 50<br />

22 2 66 42 63 13 9 0 5 0 0 3 0 3 0 0 5 12<br />

28 4 220 103 149 25 29 9 9 1 2 5 34 6 9 0 2 20<br />

48 5 239 125 211 33 20 7 12 2 12 40 97 27 19 3 5 58<br />

20 3 65 40 89 17 5 3 10 1 0 2 21 3 0 0 5 23<br />

15 0 103 48 65 5 14 3 6 0 0 14 41 7 7 0 1 6<br />

17 2 92 40 64 8 12 3 6 1 1 4 14 8 7 0 1 5<br />

Bun<strong>de</strong>sgebiet 121961 121420 32595 8365 749 3391 328 1044 127<br />

Vorjahr 116820 116304 30428 8763 767 3151 270 966 108<br />

1326 205 5126 2652 5000 884 673 178 373 27 371 537 1408 484 382 23 159 953<br />

1129 169 4502 2308 4414 752 612 160 268 17 293 481 1280 451 389 25 122 746<br />

Verän<strong>de</strong>rung<br />

in % 4,40 4,40 7,12 -4,54 -2,35 7,62 21,48 8,07 17,59<br />

17,45 21,30 13,86 14,90 13,28 17,55 9,97 11,25 39,18 58,82 26,62 11,64 10,00 7,32 -1,80 -8,00 30,33 27,75


BRAK-Mitt. 3/2003 Amtliche Bekanntmachung 125<br />

Fachanwälten für Steuerrecht mit 7,62 % auf 3391Fachanwälte<br />

zu verzeichnen. Fachanwälte für Verwaltungsrecht gab es zum<br />

1.1.2003 1044, Fachanwälte für Strafrecht 1326, Fachanwälte<br />

für Sozialrecht 673. Weiterhin die stärkste Fachanwaltschaft ist<br />

Familienrecht mit 5126, gefolgt von <strong>de</strong>r Fachanwaltschaft für<br />

Arbeitsrecht mit 5000 Fachanwälten.<br />

Der Anteil <strong>de</strong>r Fachanwälte an <strong>de</strong>r Gesamtzahl <strong>de</strong>r zugelassenen<br />

Rechtsanwälte steigt weiter. Mit einem Anteil von <strong>de</strong>rzeit<br />

13,95 % hat sich etwa je<strong>de</strong>r siebente Rechtsanwalt zum Fachanwalt<br />

qualifiziert.<br />

Die Zahl <strong>de</strong>r ausländischen Rechtsanwälte, die Mitglied einer<br />

Rechtsanwaltskammer sind, ist um 26,62 % auf 371 gestiegen.<br />

Eine weitere Steigerung ist bei <strong>de</strong>n Rechtsanwaltsgesellschaften<br />

mit beschränkter Haftung zu verzeichnen. Die Zahl stieg um<br />

30,33 % auf 159. Die Anzahl <strong>de</strong>r Partnerschaftsgesellschaften<br />

ist auf 953 und damit um 27,75 % gegenüber <strong>de</strong>m Vorjahr angestiegen.<br />

Aufruf<br />

Die Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer grün<strong>de</strong>t ein<br />

Museum <strong>de</strong>r Deutschen Anwaltschaft.<br />

Wir bitten hierzu alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

sowie <strong>de</strong>ren Angehörige um Anregungen, wo geeignete Objekte<br />

vorhan<strong>de</strong>n sind, z.B. private Portraits von bekannten<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, Portraits in Anwaltszimmern<br />

o<strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern und Anwaltsvereinen,<br />

ggf. bereits durch Übersendung von Fotos o<strong>de</strong>r Abzügen. Auch<br />

Fotos von Gebäu<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen Rechtsanwaltskammern o<strong>de</strong>r<br />

Anwaltsvereine untergebracht waren o<strong>de</strong>r sind, nehmen wir<br />

gerne entgegen.<br />

Wir bitten um Hinweise auf veröffentlichte und nicht veröffentlichte<br />

Anwaltsbiographien. Wo sind Straßen nach Anwälten benannt,<br />

wo befin<strong>de</strong>n sich Ge<strong>de</strong>nktafeln für Anwältinnen und Anwälte<br />

Im Museum wird auch eine Bibliographie <strong>de</strong>r Anwaltsgeschichte<br />

sowie ein Nachweis von Anwaltsbiographien gesammelt. Auch<br />

Festschriften von früheren Anwaltstagen, Bild und Zeitschriftenmaterial<br />

über solche Anwaltstage o<strong>de</strong>r über die Gründung von<br />

Rechtsanwaltskammern und Anwaltsvereinen sind willkommen.<br />

I<strong>de</strong>en aller Art, die zum Aufbau und zur Gestaltung <strong>de</strong>s Museums<br />

beitragen, sind herzlich willkommen.<br />

Hinweise aller Art bitten wir an <strong>de</strong>n Beauftragten <strong>de</strong>r BRAK,<br />

Rechtsanwalt Gerhard Jungfer, Kissinger Str. 57, 14119 Berlin,<br />

Tel.: (0 30) 8 23 10 31, Fax: (0 30) 8 24 65 11, zu richten.<br />

Stellungnahmen<br />

Die nachfolgen<strong>de</strong>n Stellungnahmen <strong>de</strong>r BRAK können im Internet<br />

unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>/ „BRAK-Intern“ „Ausschüsse“ abgerufen<br />

wer<strong>de</strong>n:<br />

IPR-Ausschuss<br />

– Stellungnahme <strong>de</strong>r BRAK zum Entwurf eines Gesetzes zur<br />

Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die<br />

grenzüberschreiten<strong>de</strong> Beweisaufnahme in Zivil- o<strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lssachen<br />

in <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten (EG-Beweisaufnahmedurchführungsgesetz)<br />

Ausschuss Familienrecht<br />

– Stellungnahme <strong>de</strong>r BRAK zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung<br />

einer Übergangsregelung zum Kindschaftsreformgesetz<br />

für nicht verheiratete Eltern<br />

Amtliche Bekanntmachung<br />

1. Beschlüsse <strong>de</strong>r 6. Sitzung <strong>de</strong>r 2. Satzungsversammlung bei<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer am 20.3.2003 in Berlin<br />

Fachanwaltsordnung<br />

1. § 1 Satz 2 wird wie folgt gefasst:<br />

„... Weitere Fachanwaltsbezeichnungen können für das Familienrecht,<br />

das Strafrecht, das Insolvenzrecht und das Versicherungsrecht<br />

verliehen wer<strong>de</strong>n.“<br />

2. In § 5 wird vor <strong>de</strong>m letzten Satz folgen<strong>de</strong>r Satz angefügt:<br />

„h) Versicherungsrecht: 80 Fälle, davon min<strong>de</strong>stens 10 gerichtliche<br />

Verfahren. Die Fälle müssen sich auf min<strong>de</strong>stens<br />

drei verschie<strong>de</strong>ne Bereiche <strong>de</strong>s § 14a beziehen.“<br />

3. In § 6 Abs. 2b) wird die Zahl „14“ durch die Zahl „14a“<br />

ersetzt.<br />

4. § 12 Ziff. 1 wird wie folgt gefasst:<br />

„1. materielles Ehe-, Familien- und Kindschaftsrecht unter<br />

Einschluss familienrechtlicher Bezüge zum Erb-, Gesellschafts-,<br />

Sozial- und Steuerrecht und zum öffentlichen<br />

Recht, Recht <strong>de</strong>r nichtehelichen Lebensgemeinschaft und<br />

<strong>de</strong>r Lebenspartnerschaft.“<br />

5. Nach § 14 wird folgen<strong>de</strong>r § 14a eingefügt:<br />

㤠14a Nachzuweisen<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>re Kenntnisse im Versicherungsrecht<br />

Für das Fachgebiet Versicherungsrecht sind beson<strong>de</strong>re<br />

Kenntnisse nachzuweisen in <strong>de</strong>n Bereichen:<br />

1. Allgemeines Versicherungsvertragsrecht und Beson<strong>de</strong>rheiten<br />

<strong>de</strong>r Prozessführung,<br />

2. Recht <strong>de</strong>r Versicherungsaufsicht,<br />

3. Grundzüge <strong>de</strong>s internationalen Versicherungsrechts,<br />

4. Transport- und Speditionsversicherungsrecht,


126 Personalien BRAK-Mitt. 3/2003<br />

5. Sachversicherungsrecht (insbeson<strong>de</strong>re das Recht <strong>de</strong>r<br />

Fahrzeug-, Gebäu<strong>de</strong>-, Hausrat-, Reisegepäck-, Feuer-, Einbruchdiebstahl-<br />

und Bauwesenversicherung),<br />

6. Recht <strong>de</strong>r privaten Personenversicherung (insbeson<strong>de</strong>re<br />

das Recht <strong>de</strong>r Lebens-, Kranken-, Reiserücktritts-, Unfallund<br />

Berufsunfähigkeitsversicherung),<br />

7. Haftpflichtversicherungsrecht (insbeson<strong>de</strong>re das Recht<br />

<strong>de</strong>r Pflichtversicherung, privaten Haftpflicht-, betrieblichen<br />

Haftpflicht-, Haftpflichtversicherung <strong>de</strong>r freien<br />

Berufe, Umwelt- und Produkthaftpflicht, Bauwesenversicherung),<br />

8. Rechtsschutzversicherungsrecht,<br />

9. Grundzüge <strong>de</strong>s Vertrauensscha<strong>de</strong>n- und Kreditversicherungsrechts.“<br />

Die vorstehen<strong>de</strong>n Beschlüsse wer<strong>de</strong>n hiermit ausgefertigt.<br />

Berlin, <strong>de</strong>n 28. März 2003 Bamberg, <strong>de</strong>n 31. März 2003<br />

(Dr. Dombek)<br />

(Böhnlein)<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />

Schriftführer<br />

2. Bescheid <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministeriums <strong>de</strong>r Justiz vom 9.5.2003,<br />

eingegangen bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer am<br />

12.5.2003.<br />

An <strong>de</strong>n<br />

Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

Herrn Rechtsanwalt und Notar<br />

Dr. Bernhard Dombek<br />

Littenstraße 9<br />

10179 Berlin<br />

9. Mai 2003<br />

Sehr geehrter Herr Dr. Dombek,<br />

die Beschlüsse <strong>de</strong>r Satzungsversammlung bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

vom 20. März 2003 zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

Fachanwaltsordnung, die Sie mit Schreiben vom 4. April<br />

2003 übermittelt haben, sind gemäß § 191e BRAO geprüft<br />

wor<strong>de</strong>n. Ich habe keine Be<strong>de</strong>nken gegen die Rechtmäßigkeit<br />

<strong>de</strong>r Satzungsbeschlüsse.<br />

Mit <strong>de</strong>n Beschlüssen vom März 2003 hat die zweite Satzungsversammlung<br />

bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

ihre Arbeit been<strong>de</strong>t. Ich danke Ihnen und allen an<strong>de</strong>ren<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten in <strong>de</strong>r Satzungsversammlung<br />

für die engagierte ehrenamtliche Tätigkeit, die Sie<br />

alle in <strong>de</strong>n vergangenen vier Jahren im „Anwaltsparlament“<br />

geleistet haben. Die Rechtsanwaltschaft hat nicht zuletzt mit<br />

<strong>de</strong>m jetzigen Beschluss, mit <strong>de</strong>m nach langen und intensiven<br />

Erörterungen ein von mir begrüßter Schritt zur Erweiterung<br />

<strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnungen gegangen wor<strong>de</strong>n ist, gezeigt,<br />

dass sie die <strong>de</strong>m Berufsstand übertragene Aufgabe,<br />

seine Angelegenheiten eigenverantwortlich zu regeln, erfolgreich<br />

erfüllen kann.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Ihre Brigitte Zypries<br />

3. In-Kraft-Treten<br />

Die Än<strong>de</strong>rungen treten am 1.9.2003 in Kraft.<br />

Personalien<br />

Mitbegrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schleswig-Holsteinischen<br />

Versorgungswerkes gestorben<br />

Der ehemalige Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r „Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte“<br />

und Mitbegrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schleswig-Holsteinischen Versorgungswerkes<br />

für Rechtsanwälte, RA Wolfgang Jensen, ist am<br />

9. März im Alter von 77 Jahren in Schleswig verstorben.<br />

Der gebürtige Flensburger begann seine berufliche Laufbahn in<br />

Schleswig, wo er auch bis zuletzt erfolgreich als Rechtsanwalt<br />

tätig war.<br />

1966 wur<strong>de</strong> RA Wolfgang Jensen in <strong>de</strong>n Vorstand <strong>de</strong>r Schleswig-<br />

Holsteinischen Rechtsanwaltskammer und <strong>de</strong>r Notarkammer<br />

gewählt. 11 Jahre später nahm er das Amt <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r<br />

Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer an. Während<br />

seiner Präsi<strong>de</strong>ntschaft bis 1991 trat RA Jensen sowohl auf Bun<strong>de</strong>sebene<br />

als auch auf Lan<strong>de</strong>sebene nachdrücklich und wirkungsvoll<br />

für die Interessen <strong>de</strong>s anwaltlichen Berufsstan<strong>de</strong>s ein.<br />

Er war ein Mann mit außergewöhnlicher Arbeitsdisziplin, <strong>de</strong>r<br />

sich aber ebenso durch eine beson<strong>de</strong>re kollegiale Hilfsbereitschaft<br />

auszeichnete.<br />

Er hat maßgeblich an <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>s Schleswig-Holsteinischen<br />

Versorgungswerkes mitgewirkt und sich dadurch bis<br />

heute und für die Zukunft um alle nachfolgen<strong>de</strong>n Generationen<br />

<strong>de</strong>r Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltschaft verdient gemacht.<br />

Als ausgewiesener Gebührenrechtler war RA Jensen auch auf<br />

Bun<strong>de</strong>sebene aktiv. Seit <strong>de</strong>r 5. Tagung <strong>de</strong>r Gebührenreferenten<br />

am 30.10.1980 bis noch zur letzten Tagung in Mag<strong>de</strong>burg am<br />

16.11.2002 unterstützte er <strong>de</strong>n Berufsstand mit seinem profun<strong>de</strong>n<br />

Wissen.<br />

RAK Schleswig-Holstein<br />

Präsi<strong>de</strong>ntenwechsel RAK Braunschweig<br />

Der Vorstand <strong>de</strong>r RAK Braunschweig hat am 29.3.2003 RAuN<br />

Michael Schlüter aus Braunschweig zum neuen Präsi<strong>de</strong>nten<br />

gewählt. Er tritt damit die Nachfolge von RAuN Jörg Trittermann<br />

aus Braunschweig an, <strong>de</strong>r seit November 2000 Präsi<strong>de</strong>nt<br />

<strong>de</strong>r RAK war. RAuN Schlüter war seit November 2000<br />

Schatzmeister <strong>de</strong>r RAK. Vizepräsi<strong>de</strong>nten sind RAuN Dr. Geert-<br />

Wilhelm Schultze, RAuN Jens Vollmer, Schatzmeister ist RA<br />

Günther Meyerhof und Schriftführer ist RAuN Friedrich-W.<br />

Wichers.


BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 127<br />

Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

Berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

*Leitsatz <strong>de</strong>r Redaktion (Orientierungssatz)<br />

Anwaltliche Werbung – Werbeaussage eines Rechtsanwalts<br />

auf einer Internetseite; BRAO § 43b; GG<br />

Art. 12<br />

* 1. Einzeläußerungen eines RA wie die Wortkombination „optimale<br />

Interessenwahrung“ müssen grundsätzlich im Kontext<br />

<strong>de</strong>s gesamten Werbeinhalts grundrechtsfreundlich ausgelegt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

* 2. Ein Rechtsuchen<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r ein durchschnittliches Leseverständnis<br />

aufbringt, vermag sehr wohl zwischen optimaler<br />

Mühewaltung und optimaler Interessenvertretung zu differenzieren.<br />

* 3. Gleichermaßen verfassungsrechtlich be<strong>de</strong>nklich ist die<br />

Auffassung, dass jegliche Werbung mit beruflicher Motivation<br />

von vornherein berufswidrig sei. Diese Auffassung unterschei<strong>de</strong>t<br />

nicht in <strong>de</strong>r gebotenen Weise zwischen Pflichten o<strong>de</strong>r wünschenswerten<br />

Eigenschaften und <strong>de</strong>r Zusicherung <strong>de</strong>s RA, diesen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen auch zu genügen.<br />

BVerfG, Beschl. v. 28.2.2003 – 1 BvR 189/03<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Der Bf. wen<strong>de</strong>t sich gegen eine wettbewerbsrechtliche Verurteilung<br />

wegen unzulässiger Werbung.<br />

1. Der Bf. ist als RA tätig. Im Juli 2000 – und gleich lautend je<strong>de</strong>nfalls<br />

bis En<strong>de</strong> Oktober 2001 – warb er im Internet unter an<strong>de</strong>rem<br />

wie folgt:<br />

„S. Rechtsanwalt hat es zu seiner wichtigsten Aufgabe gemacht,<br />

die wirtschaftlichen Interessen seiner Mandanten optimal zu<br />

wahren und durchzusetzen.“<br />

Drei mit ihm konkurrieren<strong>de</strong> RAe (im Folgen<strong>de</strong>n Kl.) erhoben<br />

beim LG gegen <strong>de</strong>n Bf. Klage mit <strong>de</strong>m Ziel, ihn zur Unterlassung<br />

dieser Werbung zu verurteilen. Das LG wies die Klage wegen<br />

Fehlens <strong>de</strong>r örtlichen Zuständigkeit als unzulässig ab.<br />

Gegen dieses Urteil legten die Kl. Berufung beim OLG ein. Das<br />

OLG gab unter Aufhebung <strong>de</strong>s erstinstanzlichen Urteils ihrer<br />

Klage statt und verurteilte <strong>de</strong>n Bf. zur Unterlassung <strong>de</strong>r beanstan<strong>de</strong>ten<br />

Werbung. Die Klage sei zulässig und auch begrün<strong>de</strong>t.<br />

Die Werbung <strong>de</strong>s Bf. verstoße gegen § 43b BRAO, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m RA<br />

Werbung nur in Gestalt von sachbezogenen und im Einzelnen<br />

nachvollziehbaren Informationen erlaube. Während auf <strong>de</strong>n<br />

Beruf bezogene Tatsachenbehauptungen grundsätzlich diesen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen entsprächen, seien Werturteile, die weitgehend<br />

von subjektiven Einschätzungen abhingen, regelmäßig nicht mit<br />

§ 43b BRAO vereinbar (unter Hinweis auf BGH, NJW 2001,<br />

2087, 2088).<br />

Vorliegend habe <strong>de</strong>r Bf. zwar nicht direkt mit einem Werturteil<br />

geworben. Insbeson<strong>de</strong>re habe er nicht ausdrücklich erklärt, er<br />

wahre die Interessen seiner Mandanten „optimal“. Jedoch habe<br />

er damit geworben, dass er sich eine solche Leistung zur wichtigsten<br />

Aufgabe mache. Dies erwecke auch bei verständigen Lesern<br />

<strong>de</strong>n Eindruck, dass er das angestrebte Ziel stets erreiche. Im<br />

Ergebnis behaupte <strong>de</strong>r Bf. also, durchgängig Spitzenleistungen<br />

zu erbringen. Ob diese Behauptung <strong>de</strong>r Wahrheit entspreche,<br />

entziehe sich jedoch verlässlicher Beurteilung und verstoße daher<br />

– als bloßes Werturteil – gegen § 43b BRAO.<br />

Weiter sei zu beanstan<strong>de</strong>n, dass <strong>de</strong>r Bf. eine optimale Mandantenbetreuung<br />

zu „seiner wichtigsten Aufgabe“ machen wolle.<br />

Eine solche Angabe betreffe die innere Einstellung <strong>de</strong>s Werben<strong>de</strong>n;<br />

es han<strong>de</strong>le sich also um Motivationswerbung, die mangels<br />

Überprüfbarkeit ebenfalls gegen das Sachlichkeitsgebot verstoße.<br />

Der Bf. hat mittlerweile – noch während <strong>de</strong>s Klageverfahrens –<br />

seine Internethomepage aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Aktualisierung vollständig<br />

umgestaltet. In diesem Rahmen hat er auch einen neuen<br />

Werbetext geschaffen, <strong>de</strong>r die beanstan<strong>de</strong>te Formulierung nicht<br />

aufgreift.<br />

2. Mit seiner Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> rügt <strong>de</strong>r Bf. eine Verletzung<br />

seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG durch die Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s OLG. Die beanstan<strong>de</strong>te Werbung sei nicht als<br />

berufswidrig zu qualifizieren. Die Werbung enthalte zwar Werturteile;<br />

diese verstießen jedoch nicht gegen das Sachlichkeitsgebot.<br />

II. Die Voraussetzungen für die Annahme <strong>de</strong>r Verfassungsbeschwer<strong>de</strong><br />

(§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.<br />

1. Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche<br />

Be<strong>de</strong>utung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG).<br />

Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum anwaltlichen<br />

Werberecht hat das BVerfG bereits wie<strong>de</strong>rholt entschie<strong>de</strong>n<br />

(vgl. BVerfGE 57, 121, 133 f.; 76, 196, 205 ff.; 82, 18, 28<br />

m.w.N.). Dem Anwalt ist nicht je<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn nur die berufswidrige<br />

Werbung untersagt (vgl. nur BVerfGE 76, 196, 208). Für interessengerechte<br />

und sachangemessene Information, die keinen<br />

Irrtum erregt, muss im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr<br />

Raum bleiben (vgl. BVerfGE 82, 18, 28).<br />

2. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung <strong>de</strong>s Grundrechts<br />

<strong>de</strong>s Bf. aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2<br />

Buchstabe b BVerfGG).<br />

a) Das angegriffene Urteil begegnet allerdings verfassungsrechtlichen<br />

Be<strong>de</strong>nken. Gemessen an <strong>de</strong>n vom BVerfG entwickelten<br />

Grundsätzen zur Überprüfbarkeit fachgerichtlicher Entscheidungen<br />

(vgl. BVerfGE 85, 248, 257 f.) wird das OLG bei Auslegung<br />

und Anwendung von § 43b BRAO <strong>de</strong>m Maßstab <strong>de</strong>s<br />

Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht. Die Argumentation <strong>de</strong>s Gerichts,<br />

dass die Werbung <strong>de</strong>s Bf. sich <strong>de</strong>m Rechtsuchen<strong>de</strong>n als<br />

Werbung für Spitzenleistungen darstelle und daher gegen § 43b<br />

BRAO verstoße, weil sie als bloßes Werturteil irreführend sei,<br />

beruht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von <strong>de</strong>r<br />

Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Berufsfreiheit.<br />

Einzeläußerungen wie die hier beanstan<strong>de</strong>te Wortkombination<br />

<strong>de</strong>r „optimalen Interessenwahrung“ müssen im Kontext <strong>de</strong>s gesamten<br />

Werbeinhalts grundrechtsfreundlich ausgelegt wer<strong>de</strong>n<br />

(vgl. BVerfG, Beschl. d. 2. Kammer <strong>de</strong>s Ersten Senats, NJW<br />

2001, 3324 f.). Diesem Auslegungskriterium wird die beanstan<strong>de</strong>te<br />

Entscheidung nicht gerecht. Es hat die Ausdrucksweise <strong>de</strong>r<br />

„optimalen Interessenwahrung“ isoliert vom Satzbau und restlichen<br />

Satzinhalt betrachtet und dadurch <strong>de</strong>n Aussagegehalt zu<br />

Lasten <strong>de</strong>s Werben<strong>de</strong>n verän<strong>de</strong>rt.


128 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Optimale Mühewaltung<br />

≠ optimale Interessenvertretung<br />

Der Rechtsuchen<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r ein<br />

durchschnittliches Leseverständnis<br />

aufbringt, vermag<br />

sehr wohl zwischen optimaler<br />

Mühewaltung und optimaler<br />

Interessenvertretung zu differenzieren. Eine Gefahr <strong>de</strong>r Irreführung<br />

von Rechtsuchen<strong>de</strong>n ergibt sich nicht.<br />

Gleichermaßen verfassungsrechtlich<br />

be<strong>de</strong>nklich ist die Auffassung,<br />

dass jegliche Werbung<br />

mit beruflicher Motivation von<br />

vornherein berufswidrig sei.<br />

Werbung mit beruflicher<br />

Motivation<br />

möglich<br />

Diese Auffassung unterschei<strong>de</strong>t nicht in <strong>de</strong>r gebotenen Weise<br />

zwischen Pflichten o<strong>de</strong>r wünschenswerten Eigenschaften und<br />

<strong>de</strong>r Zusicherung <strong>de</strong>s RA, diesen Anfor<strong>de</strong>rungen auch zu genügen<br />

(vgl. BVerfG, Beschl. d. 2. Kammer <strong>de</strong>s Ersten Senats,<br />

a.a.O.).<br />

b) Trotz dieser Be<strong>de</strong>nken ist die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> nicht<br />

zur Entscheidung anzunehmen, weil sich aus <strong>de</strong>r wettbewerbsrechtlichen<br />

Verurteilung für <strong>de</strong>n Bf. kein beson<strong>de</strong>rs schwerer<br />

Nachteil ergibt. Mit <strong>de</strong>r angegriffenen Verurteilung wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m<br />

Bf. aufgegeben, eine Werbung zu unterlassen, die er aus Grün<strong>de</strong>n,<br />

die nach seinen eigenen Angaben nicht in <strong>de</strong>r Durchführung<br />

<strong>de</strong>s Klageverfahrens begrün<strong>de</strong>t liegen, längst umformuliert<br />

hat. Die Verurteilung betrifft damit eine Unterlassung, <strong>de</strong>ren<br />

Erzwingung nicht mehr in Betracht kommt.<br />

3. Von einer weiteren Begründung wird gem. § 93d Abs. 1<br />

Satz 3 BVerfGG abgesehen.<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Orientierungssätze/*Leitsätze <strong>de</strong>r Redaktion<br />

Zulassung – Versagung <strong>de</strong>r Zulassung wegen einer<br />

Tätigkeit als informeller Mitarbeiter für das Ministerium<br />

für Staatssicherheit; BRAO § 7 Nr. 5<br />

* 1. Es stellt einen beson<strong>de</strong>ren Fall <strong>de</strong>r Unwürdigkeit i.S.d. § 7<br />

Nr. 5 BRAO dar, wenn ein Bewerber in <strong>de</strong>r früheren DDR Verstöße<br />

gegen Grundsätze <strong>de</strong>r Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit<br />

begangen hat, die <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf o<strong>de</strong>r die Zurücknahme<br />

einer durch <strong>de</strong>n Minister <strong>de</strong>r Justiz <strong>de</strong>r DDR ausgesprochenen<br />

Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtfertigen konnten.<br />

* 2. Ist das Fehlverhalten, welches einem Ast. im Zusammenhang<br />

mit seiner IM-Tätigkeit anzulasten ist, als beson<strong>de</strong>rs<br />

schwerwiegend eingestuft wor<strong>de</strong>n, folgt daraus, dass in <strong>de</strong>r Regel<br />

erst nach einem Zeitraum von 15 bis 20 Jahren nach Beendigung<br />

seiner Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m MfS <strong>de</strong>r Unwürdigkeitsvorwurf<br />

entfallen kann.<br />

BGH, Beschl. v. 17.3.2003 – AnwZ (B) 26/02<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Der Ast. übte nach seinem juristischen Hochschulstudium an<br />

<strong>de</strong>r ... Universität in ..., das er 1963 mit <strong>de</strong>m Staatsexamen abgeschlossen<br />

hatte, verschie<strong>de</strong>ne juristische Berufe aus. Unter<br />

an<strong>de</strong>rem war er von April 1966 bis September 1969 als Vertragsrichter<br />

am Vertragsgericht in ..., von Oktober 1980 bis Februar<br />

1984 als RA, und zwar als Mitglied <strong>de</strong>s Kollegiums <strong>de</strong>r<br />

RAe in ..., und von April 1987 bis März 1990 als Jurist im Ministerium<br />

für ... <strong>de</strong>r DDR, Abteilung ..., tätig. Mit Wirkung v.<br />

1.4.1990 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ast. durch <strong>de</strong>n Minister <strong>de</strong>r Justiz <strong>de</strong>r DDR<br />

als RA zugelassen.<br />

Mit Bescheid v. 25.8.1993 nahm die damals zuständige Senatsverwaltung<br />

für Justiz Berlin die Zulassung <strong>de</strong>s Ast. zur Rechtsanwaltschaft<br />

zurück, weil er von 1957 bis 1965 als „Geheimer<br />

Informator“ und von 1976 bis Dezember 1989 als informeller<br />

Mitarbeiter (IM) für das Ministerium für Staatssicherheit <strong>de</strong>r<br />

DDR (MfS) tätig gewesen war. Die Rücknahmeverfügung wur<strong>de</strong><br />

aufgrund <strong>de</strong>s Beschl. <strong>de</strong>s Anwaltssenats <strong>de</strong>s BGH v. 24.10.1994<br />

– AnwZ (B) 22/94 – bestandskräftig.<br />

Am 15.10.1996 beantragte <strong>de</strong>r Ast. bei <strong>de</strong>r damals noch zuständigen<br />

Senatsverwaltung für Justiz Berlin erstmals, ihn wie<strong>de</strong>r<br />

zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen. In ihrer gutachterlichen<br />

Stellungnahme zu diesem Antrag v. 10.9.1997 gelangte die<br />

Agin. zu <strong>de</strong>m Ergebnis, dass einer Zulassung <strong>de</strong>s Ast. zur Rechtsanwaltschaft<br />

nach wie vor <strong>de</strong>r Versagungsgrund <strong>de</strong>s § 7 Nr. 5<br />

BRAO entgegenstehe. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche<br />

Entscheidung wies <strong>de</strong>r AGH mit rechtskräftig gewor<strong>de</strong>nem<br />

Beschl. v. 22.6.1998 zurück.<br />

Mit Schreiben v. 12.12.2000 hat <strong>de</strong>r Ast. erneut die Wie<strong>de</strong>rzulassung<br />

zur Rechtsanwaltschaft beantragt. Gegen <strong>de</strong>n ablehnen<strong>de</strong>n<br />

Bescheid <strong>de</strong>r Agin. v. 7.5.2001 hat er Antrag auf gerichtliche<br />

Entscheidung gestellt. Diesen Antrag hat <strong>de</strong>r AGH mit<br />

Beschl. v. 16.1.2002 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die<br />

sofortige Beschwer<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ast.<br />

II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO),<br />

bleibt jedoch in <strong>de</strong>r Sache ohne Erfolg.<br />

1. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />

zu versagen, wenn sich <strong>de</strong>r Bewerber eines Verhaltens<br />

schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, <strong>de</strong>n<br />

Beruf eines RA auszuüben. Dieser Versagungsgrund ist nach <strong>de</strong>r<br />

st. Senats-Rspr. gegeben, wenn <strong>de</strong>r Bewerber im Zeitpunkt <strong>de</strong>r<br />

gerichtlichen Entscheidung über die Zulassung bei Abwägung<br />

seines schuldhaften Verhaltens und aller erheblicher Umstän<strong>de</strong><br />

– wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung – nach seiner<br />

Gesamtpersönlichkeit für <strong>de</strong>n Anwaltsberuf nicht mehr o<strong>de</strong>r<br />

noch nicht wie<strong>de</strong>r tragbar ist (Senatsbeschl. v. 21.11.1994 –<br />

AnwZ (B) 54/94, BRAK-Mitt. 1995, 71; v. 18.11.1996 – AnwZ<br />

(B) 19/96, BRAK-Mitt. 1997, 122; v. 5.10.1998 – AnwZ (B)<br />

19/98, BRAK-Mitt. 1999, 144 und v. 14.2.2000 – AnwZ (B)<br />

12/99; LM BRAO § 6 Nr. 4 Bl. 2). Dabei stellt es einen beson<strong>de</strong>ren<br />

Fall <strong>de</strong>r Unwürdigkeit i.S.d. § 7 Nr. 5 BRAO dar, wenn <strong>de</strong>r<br />

Bewerber in <strong>de</strong>r früheren DDR Verstöße gegen Grundsätze <strong>de</strong>r<br />

Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit begangen hat, die nach<br />

§ 1 o<strong>de</strong>r § 2 <strong>de</strong>s Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen,<br />

Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher<br />

Richter v. 24.6.1992 (BGBl. I, 1386) <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf o<strong>de</strong>r die<br />

Rücknahme einer durch <strong>de</strong>n Minister <strong>de</strong>r Justiz <strong>de</strong>r DDR ausgesprochenen<br />

Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtfertigen<br />

konnten (Senatsbeschlüsse, a.a.O.).<br />

2. a) Sind – wie hier – <strong>de</strong>r Stellung <strong>de</strong>s Zulassungsantrags durch<br />

gerichtliche Entscheidungen abgeschlossene Verfahren vorausgegangen,<br />

die <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Zulassung, die Ablehnung


BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 129<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

eines Zulassungsantrags o<strong>de</strong>r das einen Versagungsgrund bejahen<strong>de</strong><br />

Gutachten <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s einer RAK zum Gegenstand<br />

hatten, so ist bei <strong>de</strong>r Prüfung <strong>de</strong>s Zulassungsantrags die Rechtskraft<br />

dieser Entscheidungen zu beachten. Diese versperrt <strong>de</strong>n<br />

Weg für eine sachliche Prüfung <strong>de</strong>s Antrags, solange sich die<br />

Sachlage gegenüber <strong>de</strong>m zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r getroffenen Entscheidung<br />

gegebenen Sachverhalt nicht wesentlich geän<strong>de</strong>rt hat<br />

(Senatsbeschl., BGHZ 102, 252, 256). Dabei kann das Verhalten<br />

<strong>de</strong>s Bewerbers, das zu einem Ausschluss aus <strong>de</strong>r Anwaltschaft<br />

geführt hat, nach einigen Jahren durch Wohlverhalten<br />

o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Umstän<strong>de</strong> so an Be<strong>de</strong>utung verlieren, dass es einer<br />

Zulassung nicht mehr entgegensteht. Trägt <strong>de</strong>r Bewerber neue<br />

Tatsachen vor, die in dieser Hinsicht rechtlich erheblich sein<br />

können, ist trotz <strong>de</strong>r Rechtskraft <strong>de</strong>r zu seinen Ungunsten ergangenen<br />

gerichtlichen Entscheidungen nunmehr über das Zulassungsgesuch<br />

neu in <strong>de</strong>r Sache zu befin<strong>de</strong>n (Senatsbeschl. v.<br />

14.2.2000, a.a.O., Bl. 1 R).<br />

b) Betrifft – wie hier – das Verhalten, das zunächst <strong>de</strong>n Vorwurf<br />

gerechtfertigt hat, <strong>de</strong>r Bewerber sei unwürdig, <strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>s RA<br />

auszuüben, <strong>de</strong>ssen Tätigkeit für das DDR-Regime, so kann es<br />

schon mit <strong>de</strong>m zunehmen<strong>de</strong>n zeitlichen Abstand zum Zusammenbruch<br />

<strong>de</strong>r DDR so sehr an Gewicht verlieren, dass nach einer<br />

gewissen Zeit allein auf das frühere Verhalten die Versagung<br />

<strong>de</strong>r Ausübung <strong>de</strong>s RA-Berufs im Hinblick auf Art. 12 GG nicht<br />

mehr gestützt wer<strong>de</strong>n kann (Senatsbeschl. v. 5.10.1998, a.a.O.,<br />

146).<br />

Zeitlicher Abstand<br />

von 3 Jahren als<br />

neue Tatsache<br />

In diesen Fällen ist in <strong>de</strong>r Regel<br />

ein zeitlicher Abstand von min<strong>de</strong>stens<br />

drei Jahren zur Beendigung<br />

<strong>de</strong>s vorausgegangenen Verfahrens<br />

als wesentliche neue Tatsache<br />

anzusehen, sofern sich aus <strong>de</strong>r Vorentscheidung nicht<br />

unmittelbar ergibt, dass <strong>de</strong>r Betroffene eine längere Wartezeit<br />

einhalten muss, bevor er, lediglich gestützt auf <strong>de</strong>n weiteren<br />

Zeitablauf und die Fortsetzung seines Wohlverhaltens, eine<br />

neue Sachprüfung verlangen kann (Senatsbeschl. v. 14.2.2000,<br />

a.a.O., Bl. 1 R und v. 29.5.2000 – AnwZ (B) 43/99, BRAK-Mitt.<br />

2000, 309, 310).<br />

Ist diese zeitliche Grenze überschritten und eine erneute Sachprüfung<br />

vorzunehmen, so liefert eine Tätigkeit als IM <strong>de</strong>s MfS,<br />

welche nicht nachweisbar einzelne davon betroffene Personen<br />

schwer geschädigt hat, nach Ablauf von zehn Jahren in <strong>de</strong>r Regel<br />

für die Wertung, <strong>de</strong>r ehemalige IM sei unwürdig, <strong>de</strong>n Beruf<br />

<strong>de</strong>s RA auszuüben, keine tragfähige Grundlage mehr (Senatsbeschl.<br />

v. 5.10.1998, a.a.O., 146 und v. 14.2.2000, a.a.O., Bl. 2).<br />

Dabei ist weiter zu beachten, dass <strong>de</strong>m Unrechts- und Schuldgehalt<br />

einer Tätigkeit als IM im Allgemeinen durch einen mehr<br />

als fünf Jahre andauern<strong>de</strong>n Ausschluss aus <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft<br />

angemessen Rechnung getragen wird (Senatsbeschl. v.<br />

14.2.2000, a.a.O., Bl. 2 R).<br />

3. Nach Maßgabe dieser vom Senat aufgestellten Rechtsprechungsgrundsätze<br />

ist <strong>de</strong>r erneut gestellte Antrag auf Zulassung<br />

zur Rechtsanwaltschaft bereits als unzulässig zu erachten.<br />

a) Der Beschl. <strong>de</strong>s AGH v. 22.6.1998, in <strong>de</strong>m nach eingehen<strong>de</strong>r<br />

sachlicher Prüfung <strong>de</strong>s Begehrens <strong>de</strong>s Ast. <strong>de</strong>r Rechtsstandpunkt<br />

<strong>de</strong>r Agin., wonach eine (Wie<strong>de</strong>r-)Zulassung <strong>de</strong>s Ast. zur Rechtsanwaltschaft<br />

<strong>de</strong>r Versagungsgrund <strong>de</strong>s § 7 Nr. 5 BRAO entgegenstehe,<br />

bestätigt wur<strong>de</strong>, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Ast. am 2.11.1998 durch<br />

förmliche Zustellung bekannt gemacht (vgl. § 16 Abs. 2 FGG).<br />

Dass <strong>de</strong>r nunmehr zu beurteilen<strong>de</strong> zweite Antrag bereits im Dezember<br />

2000 gestellt wor<strong>de</strong>n ist, also geraume Zeit vor Ablauf<br />

<strong>de</strong>r Regelfrist von drei Jahren, stün<strong>de</strong> zwar einer erneuten sachlichen<br />

Prüfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts mehr entgegen<br />

(vgl. Senatsbeschl. v. 29.5.2000, a.a.O.).<br />

Beson<strong>de</strong>rs<br />

schwerwiegen<strong>de</strong>s<br />

Fehlverhalten<br />

Jedoch fällt vorliegend entschei<strong>de</strong>nd<br />

ins Gewicht, dass in <strong>de</strong>m<br />

Beschl. v. 22.6.1998 in Übereinstimmung<br />

mit <strong>de</strong>r Senatsentscheidung<br />

v. 24.10.1994 das Fehlverhalten,<br />

das <strong>de</strong>m Ast. im Zusammenhang mit seiner IM-Tätigkeit<br />

anzulasten ist, als beson<strong>de</strong>rs schwerwiegend eingestuft wor<strong>de</strong>n<br />

ist. Daraus folgt, dass in <strong>de</strong>r Regel erst nach einem Zeitraum von<br />

15 bis 20 Jahren nach Beendigung seiner Zusammenarbeit mit<br />

<strong>de</strong>m MfS <strong>de</strong>r Unwürdigkeitsvorwurf entfallen kann.<br />

b) Neue Tatsachen, die es schon jetzt erlauben wür<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n<br />

zweiten Zulassungsantrag v. 12.12.2000 positiv zu verbeschei<strong>de</strong>n,<br />

sind auch unter Berücksichtigung <strong>de</strong>s Vorbringens <strong>de</strong>s Ast.<br />

in <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung vor <strong>de</strong>m Senat nicht ersichtlich.<br />

Zulassung – Vereinbarkeit <strong>de</strong>r ärztlichen Tätigkeit<br />

mit <strong>de</strong>m Beruf <strong>de</strong>s Rechtsanwalts; BRAO § 14 Abs. 2<br />

Nr. 6, 8; GG Art. 12<br />

* 1. Ein RA muss neben seinem an<strong>de</strong>ren Beruf in <strong>de</strong>r Lage sein,<br />

<strong>de</strong>n Anwaltsberuf in einem wenn auch beschränkten, so doch<br />

nennenswerten Umfang und je<strong>de</strong>nfalls mehr als nur gelegentlich<br />

auszuüben; eine bloß geringfügige Möglichkeit, sich als RA<br />

zu betätigen, reicht nicht aus.<br />

* 2. Ein leiten<strong>de</strong>r Arzt in einem Krankenhaus hat neben seiner<br />

Tätigkeit als Arzt die rechtliche und auch tatsächliche Möglichkeit<br />

zur Ausübung <strong>de</strong>s Anwaltsberufs, wenn das Krankenhaus<br />

ihm unwi<strong>de</strong>rruflich die Ausübung <strong>de</strong>s Anwaltsberufs gestattet<br />

und ihn für eilbedürftige und fristgebun<strong>de</strong>ne anwaltliche<br />

Tätigkeiten auch während <strong>de</strong>r Dienstzeit freistellt.<br />

* 3. Mögliche Ausnahmesituationen, in <strong>de</strong>nen gleichermaßen<br />

dringliche Aufgaben als Arzt und als RA miteinan<strong>de</strong>r kollidieren<br />

und eine Entscheidung zugunsten <strong>de</strong>r ärztlichen o<strong>de</strong>r anwaltlichen<br />

Tätigkeit erfor<strong>de</strong>rn, rechtfertigen es nicht, die Ausübung<br />

<strong>de</strong>s Anwaltsberufs zu untersagen.<br />

* 4. Auch <strong>de</strong>r Umstand, dass das Krankenhaus, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r RA<br />

als Arzt tätig ist, etwa 280 km von seiner Kanzlei entfernt liegt,<br />

rechtfertigt keine an<strong>de</strong>re Beurteilung, sofern die RA-Kanzlei<br />

mit einem Sozius besetzt ist.<br />

BGH, Beschl. v. 17.3.2003 – AnwZ (B) 3/02<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Der Ast. ist seit <strong>de</strong>m 22.6.1983 als RA bei <strong>de</strong>m AG ... und <strong>de</strong>m<br />

LG ... zugelassen. Er betreibt die Kanzlei an seinem ersten<br />

Wohnsitz in ... gemeinsam mit einem Sozius. Zugleich übt <strong>de</strong>r<br />

in Medizin promovierte Ast. <strong>de</strong>n Arztberuf aus. Seit <strong>de</strong>m<br />

6.8.1997 ist er als Leiten<strong>de</strong>r Arzt in <strong>de</strong>r Anästhesie im ...krankenhaus<br />

in ... tätig.<br />

Mit Verfügung v. 5.2.2001 wi<strong>de</strong>rrief die Agin. die Zulassung <strong>de</strong>s<br />

Ast. zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO wegen<br />

Unvereinbarkeit <strong>de</strong>r ärztlichen und <strong>de</strong>r anwaltlichen Tätigkeit<br />

<strong>de</strong>s Ast. Während <strong>de</strong>s Verfahrens über <strong>de</strong>n hiergegen gestellten<br />

Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestattete die Agin.<br />

<strong>de</strong>m Ast. mit Bescheid v. 8.12.2001, die Bezeichnung „Fachanwalt<br />

für das Sozialrecht“ zu führen.<br />

Der AGH hat <strong>de</strong>n Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.<br />

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwer<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Ast.<br />

II. Die sofortige Beschwer<strong>de</strong> ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3,<br />

Abs. 4 BRAO) und hat in <strong>de</strong>r Sache Erfolg. Der Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Zulassung<br />

<strong>de</strong>s Ast. zur Rechtsanwaltschaft hat keinen Bestand. Die<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>s Ast. als Arzt ist mit seinem Beruf als RA unter <strong>de</strong>n<br />

beson<strong>de</strong>ren Umstän<strong>de</strong>n dieses Falls nicht unvereinbar.


130 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

1. Der Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Anwaltszulassung wegen Ausübung einer<br />

mit <strong>de</strong>m Anwaltsberuf nicht vereinbaren Tätigkeit (§ 14 Abs. 2<br />

Nr. 8 BRAO) greift in die Freiheit <strong>de</strong>r Berufswahl (Art. 12 Abs. 1<br />

GG) ein. Dieses Grundrecht umfasst die Freiheit, mehrere Berufe<br />

zu wählen und nebeneinan<strong>de</strong>r auszuüben (BVerfGE 21,<br />

173, 179; 87, 287 unter C I 1).<br />

Gegen die gesetzlichen Beschränkungen <strong>de</strong>r Berufsfreiheit<br />

durch § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO bestehen von Verfassungs wegen<br />

keine Be<strong>de</strong>nken. Das Ziel <strong>de</strong>r Regelung besteht darin, die fachliche<br />

Kompetenz und Integrität sowie <strong>de</strong>n ausreichen<strong>de</strong>n Handlungsspielraum<br />

<strong>de</strong>r RAe zu sichern und die notwendige Vertrauensgrundlage<br />

<strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft zu schützen; damit<br />

dient die Regelung <strong>de</strong>r Funktionsfähigkeit <strong>de</strong>r Rechtspflege, einem<br />

Gemeinwohlbelang von großer Be<strong>de</strong>utung (BVerfGE 87,<br />

287, a.a.O.). Dem Betroffenen ist die Einschränkung seiner Berufswahlfreiheit<br />

durch die als Generalklausel ausgestaltete Unvereinbarkeitsvorschrift<br />

<strong>de</strong>s § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO jedoch nur<br />

dann zumutbar, wenn bei <strong>de</strong>r Anwendung und Konkretisierung<br />

<strong>de</strong>r Generalklausel durch die Rspr. <strong>de</strong>r Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />

beachtet wird, <strong>de</strong>r vor allem Zurückhaltung bei <strong>de</strong>r<br />

Entwicklung typisieren<strong>de</strong>r Unvereinbarkeitsregeln gebietet<br />

(BVerfGE, a.a.O.).<br />

2. Auf dieser Grundlage geht <strong>de</strong>r angefochtene Beschl. zutreffend<br />

davon aus, dass <strong>de</strong>r Anwaltsberuf mit <strong>de</strong>m Arztberuf nicht<br />

von vornherein unvereinbar ist, son<strong>de</strong>rn dies davon abhängt, ob<br />

eine anwaltliche Tätigkeit neben <strong>de</strong>r Tätigkeit als Arzt tatsächlich<br />

ausgeübt wer<strong>de</strong>n kann. Denn <strong>de</strong>r RA-Beruf darf neben einem<br />

an<strong>de</strong>ren Beruf nur gewählt wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>m RA <strong>de</strong>r für<br />

eine Anwaltstätigkeit unentbehrliche rechtliche und tatsächliche<br />

Handlungsspielraum verbleibt (BVerfGE 87, 287, 323;<br />

Senatsbeschl. v. 16.11.1998 – AnwZ (B) 44/98, NJW-RR 1999,<br />

570 unter II 1 c).<br />

Ausübung in<br />

nennenswertem<br />

Umfang möglich<br />

Maßgebend dafür ist nach st. Rspr.<br />

<strong>de</strong>s BGH, ob <strong>de</strong>r RA neben seinem<br />

an<strong>de</strong>ren Beruf in <strong>de</strong>r Lage ist,<br />

<strong>de</strong>n Anwaltsberuf in einem wenn<br />

auch beschränkten, so doch nennenswerten<br />

Umfang und je<strong>de</strong>nfalls mehr als nur gelegentlich<br />

auszuüben; eine bloß geringfügige Möglichkeit, sich als RA zu<br />

bestätigen, reicht nicht aus (BGHZ 33, 266, 268; Senatsbeschl.<br />

v. 16.11.1998, a.a.O.). Dieser Grundsatz, <strong>de</strong>r ein Min<strong>de</strong>stmaß<br />

an Unabhängigkeit und Professionalität <strong>de</strong>s RA sichern soll, ist<br />

vom BVerfG gebilligt und auch für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten wor<strong>de</strong>n,<br />

um <strong>de</strong>n reinen „Feierabend-Anwalt“ auszuschließen und<br />

die Berufsbezeichnung <strong>de</strong>s RA nicht zu einem bloßen Titel wer<strong>de</strong>n<br />

zu lassen (BVerfGE, a.a.O., 323).<br />

3. Die Anwendung dieser Kriterien auf <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Fall ergibt,<br />

dass die Wi<strong>de</strong>rrufsverfügung und <strong>de</strong>r angefochtene Beschl.<br />

bei umfassen<strong>de</strong>r Würdigung <strong>de</strong>s Sachverhalts, wie er sich in <strong>de</strong>r<br />

Beschwer<strong>de</strong>instanz darstellt, keinen Bestand haben kann.<br />

a) Der Ast. hat im Beschwer<strong>de</strong>verfahren dargetan, dass er neben<br />

seiner Tätigkeit als Arzt die rechtliche und auch die tatsächliche<br />

Möglichkeit zur Ausübung <strong>de</strong>s Anwaltsberufs hat. Der Rechtsträger<br />

<strong>de</strong>s ...krankenhauses hat <strong>de</strong>m Ast. unwi<strong>de</strong>rruflich die<br />

Ausübung <strong>de</strong>s Anwaltsberufs gestattet und ihn für eilbedürftige<br />

und fristgebun<strong>de</strong>ne anwaltliche Tätigkeiten auch während <strong>de</strong>r<br />

Dienstzeit freigestellt. Aufgrund dieser Erklärung seines<br />

Dienstherren ist <strong>de</strong>r Ast. befugt, seine ärztliche und seine anwaltliche<br />

Tätigkeit nach <strong>de</strong>n Erfor<strong>de</strong>rnissen dieser bei<strong>de</strong>n Berufe<br />

eigenverantwortlich zu organisieren und aufeinan<strong>de</strong>r abzustimmen.<br />

Mögliche Ausnahmesituationen, in <strong>de</strong>nen gleichermaßen dringliche<br />

Aufgaben <strong>de</strong>s Ast. als Arzt und als RA miteinan<strong>de</strong>r kollidieren<br />

und eine Entscheidung zugunsten <strong>de</strong>r ärztlichen o<strong>de</strong>r anwaltlichen<br />

Tätigkeit erfor<strong>de</strong>rn, rechtfertigen es nicht, <strong>de</strong>m Ast.<br />

die Ausübung <strong>de</strong>s Anwaltsberufs zu untersagen. Aufgrund <strong>de</strong>r<br />

Freistellungserklärung <strong>de</strong>s Krankenhausträgers ist <strong>de</strong>r Ast. seinem<br />

Dienstherren gegenüber berechtigt, <strong>de</strong>r anwaltlichen Tätigkeit<br />

– soweit erfor<strong>de</strong>rlich – auch während seiner Dienstzeit als<br />

Arzt <strong>de</strong>n Vorrang einzuräumen und sich in seinen ärztlichen<br />

Aufgaben durch einen <strong>de</strong>r vier ihm nachgeordneten Fachärzte<br />

für Anästhesie vertreten zu lassen.<br />

Kollisionen auch<br />

bei „Nur“-Anwälten<br />

möglich<br />

Im Übrigen ist auch ein RA, <strong>de</strong>r<br />

keinen Zweitberuf ausübt, Kollisionen<br />

zwischen verschie<strong>de</strong>nen<br />

(anwaltlichen) Aufgaben, die<br />

nicht zugleich erledigt wer<strong>de</strong>n<br />

können, ausgesetzt. Auch <strong>de</strong>r RA muss dann <strong>de</strong>r einen Aufgabe<br />

Vorrang einräumen und hinsichtlich <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren für eine Vertretung<br />

sorgen. Beim Ast. verhält es sich nicht an<strong>de</strong>rs. Für Vertretungen<br />

kann <strong>de</strong>r Ast. sowohl in seinem Arztberuf sorgen, in<br />

<strong>de</strong>m er dazu aufgrund <strong>de</strong>r Freistellung durch seinen Dienstherren<br />

und aufgrund seiner Weisungsbefugnis als Leiten<strong>de</strong>r Arzt berechtigt<br />

ist, als auch in seinem Anwaltsberuf, in <strong>de</strong>m er die Kanzlei<br />

gemeinsam mit einem Sozius betreibt.<br />

b) Der Umstand, dass das Krankenhaus,<br />

in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Ast. als Arzt<br />

tätig ist, etwa 280 Kilometer von<br />

seiner Kanzlei entfernt liegt,<br />

rechtfertigt im vorliegen<strong>de</strong>n Fall<br />

Entfernung <strong>de</strong>s<br />

Arbeitsplatzes zur<br />

Kanzlei: 280 km<br />

keine an<strong>de</strong>re Beurteilung. Die RA-Kanzlei <strong>de</strong>s Ast. ist mit <strong>de</strong>ssen<br />

Sozius besetzt und arbeitet somit auch in <strong>de</strong>r Zeit, in welcher<br />

<strong>de</strong>r Ast. sich nicht in ..., son<strong>de</strong>rn in ... aufhält. Der Ast. verfügt<br />

aufgrund seiner Weisungsbefugnis als Leiten<strong>de</strong>r Arzt und<br />

aufgrund <strong>de</strong>r Freistellung durch seinen Dienstherren über die erfor<strong>de</strong>rliche<br />

Flexibilität in seiner ärztlichen Tätigkeit, um diese so<br />

einzurichten, dass er in <strong>de</strong>r Lage ist, Gerichtstermine wahrzunehmen<br />

und Gespräche mit Mandanten in seiner Kanzlei in ...<br />

zu führen. Mandantengespräche sind aber auch im Dienstbüro<br />

<strong>de</strong>s Ast. in ... möglich, wenn ein persönliches Gespräch keinen<br />

Aufschub bis zur Rückkehr <strong>de</strong>s Ast. nach ... dul<strong>de</strong>t. Im Übrigen<br />

ist die Erreichbarkeit <strong>de</strong>s Ast. für Mandanten und gegnerische<br />

Anwälte sowie Behör<strong>de</strong>n und Gerichte mit Hilfe <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen<br />

Telekommunikationsmittel in ... und ... gleichermaßen gewährleistet.<br />

c) Der Ast. hat belegt, dass er eine anwaltliche Tätigkeit mit <strong>de</strong>m<br />

von ihm gewählten <strong>Schwerpunkt</strong> im Sozialrecht trotz <strong>de</strong>r Entfernung<br />

zwischen seinen Arbeitsplätzen in <strong>de</strong>r Kanzlei und im<br />

Krankenhaus mehr als nur geringfügig auszuüben imstan<strong>de</strong> ist<br />

und auch tatsächlich ausübt. Ihm ist während <strong>de</strong>s laufen<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rrufsverfahrens<br />

mit Bescheid <strong>de</strong>r Agin. v. 8.12.2001 die Befugnis<br />

verliehen wor<strong>de</strong>n, die Fachanwaltsbezeichnung für das<br />

Sozialrecht zu führen. Dafür hat <strong>de</strong>r Ast., wovon sich die Agin.<br />

selbst überzeugt hat, nachgewiesen, dass er innerhalb <strong>de</strong>r letzten<br />

drei Jahre vor Antragstellung 165 Fälle im Sozialrecht mit <strong>de</strong>r<br />

erfor<strong>de</strong>rlichen Anzahl gerichtlicher Verfahren vor verschie<strong>de</strong>nen<br />

Sozialgerichten bis hin zum BGH selbständig bearbeitet<br />

hat.<br />

d) Beanstandungen <strong>de</strong>r anwaltlichen Tätigkeit <strong>de</strong>s Ast. hat es<br />

vonseiten seiner Mandanten, wie die Agin nicht bestreitet, in<br />

<strong>de</strong>n annähernd 20 Jahren, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Ast. seinen Beruf als RA<br />

ausübt, und auch in <strong>de</strong>n vergangenen 6 Jahren, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

Ast. als Leiten<strong>de</strong>r Arzt am ...krankenhaus tätig ist, nicht gegeben.<br />

Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre ein Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r<br />

Zulassung <strong>de</strong>s Ast. zur Rechtsanwaltschaft wegen <strong>de</strong>ssen ärztlicher<br />

Tätigkeit ein für <strong>de</strong>n Ast. unzumutbarer, mit <strong>de</strong>m Grundsatz<br />

<strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit nicht vereinbaren<strong>de</strong>r Eingriff in<br />

<strong>de</strong>ssen verfassungsmäßig geschütztes Recht auf freie Berufswahl.


BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 131<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

e) Unerheblich für <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rrufsgrund nach § 14 Abs. 2 Nr. 8<br />

BRAO ist das Vorbringen <strong>de</strong>r Agin., dass <strong>de</strong>r Ast. <strong>de</strong>n wesentlichen<br />

Teil seiner anwaltlichen Tätigkeit von ... aus verrichte und<br />

seinen Kanzleisitz in ... aufgrund <strong>de</strong>r großen Entfernung von ...<br />

nur pro forma aufrechterhalte. Im Fall einer Verletzung <strong>de</strong>r<br />

Kanzleipflicht <strong>de</strong>s Ast. wäre <strong>de</strong>ssen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />

nach § 14 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BRAO<br />

zu wi<strong>de</strong>rrufen. Darauf hat die Agin. <strong>de</strong>n angefochtenen Bescheid<br />

aber nicht gestützt.<br />

Rechtsanwaltgesellschaft – zur Verfassungsmäßigkeit<br />

<strong>de</strong>s § 59i Abs. 2 BRAO; BRAO §§ 59f, i; BORA § 33<br />

Abs. 2; GmbHG § 6; GG Art. 3, 12<br />

* 1. Das <strong>de</strong>m § 59i Abs. 2 BRAO zu entnehmen<strong>de</strong> Gebot, dass<br />

in <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung einer RA-GmbH min<strong>de</strong>stens ein geschäftsführen<strong>de</strong>r<br />

RA tätig sein muss, könnte gegen Art. 3 GG<br />

verstoßen. Ob sich die für die RA-GmbH gefun<strong>de</strong>ne Regelung<br />

damit rechtfertigen lässt, dass <strong>de</strong>r „Gleichlauf“ mit <strong>de</strong>n<br />

überörtlichen Sozietäten nicht an<strong>de</strong>rs hergestellt wer<strong>de</strong>n kann<br />

als durch das Erfor<strong>de</strong>rnis eines an je<strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassung<br />

tätigen Geschäftsführers, ist zweifelhaft.<br />

* 2. Auch erscheint fraglich, ob nur durch die Publizität <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>lsregisters „<strong>de</strong>r vor Ort verantwortliche Berufsträger<br />

und <strong>de</strong>ssen Befugnisse“ in ein<strong>de</strong>utiger Weise für Mandanten,<br />

Gerichte und an<strong>de</strong>re Organe <strong>de</strong>r Rechtspflege gekennzeichnet<br />

ist.<br />

* 3. Die Regelung <strong>de</strong>r Vertretungsbefugnis für die Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

einer RA-GmbH könnte zu<strong>de</strong>m eine ungerechtfertigte<br />

Ungleichbehandlung gegenüber Steuerberatungs- und<br />

Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bewirken.<br />

* 4. Schließlich könnte das Gebot <strong>de</strong>s § 59i Abs. 2 BRAO gegen<br />

Art. 12 GG verstoßen. Es erscheint nicht als ausgeschlossen,<br />

dass am Ort <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung eine Kanzlei auch dann<br />

geführt wer<strong>de</strong>n kann, wenn sie von einem sonstigen Bevollmächtigten<br />

(„Standortleiter“) geleitet wird.<br />

BGH, Beschl. v. 13.1.2003 – AnwZ (B) 12/02<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Der Ast. ist für die Zweignie<strong>de</strong>rlassung in H. <strong>de</strong>r P...W...C... V<br />

RA-Gesellschaft mbH als angestellter RA tätig. Diese RA-Gesellschaft<br />

hat ihren Sitz in F. und ist im Han<strong>de</strong>lsregister <strong>de</strong>s dortigen<br />

AG eingetragen. Sie unterhält noch an weiteren fünf Standorten<br />

im Inland Zweignie<strong>de</strong>rlassungen. Die Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

in H. ist im Han<strong>de</strong>lsregister <strong>de</strong>s AG H. eingetragen. Die<br />

RA-Gesellschaft hat <strong>de</strong>r RAK F. mitgeteilt, dass <strong>de</strong>r Ast. für die<br />

Zweignie<strong>de</strong>rlassung in H. „geschäftsführen<strong>de</strong>r RA“ sei. Ein Geschäftsführer<br />

i.S.v. § 6 GmbHG ist nicht bestellt.<br />

Die Agin. hat mit Verfügung v. 10.7.2001 <strong>de</strong>m Ast. in <strong>de</strong>r Rechtsform<br />

eines förmlichen Verwaltungsakts aufgegeben,<br />

„... ein Auftreten im Rechtsverkehr unter <strong>de</strong>r Firma <strong>de</strong>r ... Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

<strong>de</strong>r P...W...C... V RA-Gesellschaft mbH ab sofort<br />

und solange zu unterlassen, wie für die ... Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

kein RA i.S.v. § 59i BRAO in das Han<strong>de</strong>lsregister eingetragen<br />

ist.“<br />

Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

hat <strong>de</strong>r AGH zurückgewiesen. Dagegen wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Ast. mit<br />

seiner – vom AGH zugelassenen – sofortigen Beschwer<strong>de</strong>.<br />

II. Die sofortige Beschwer<strong>de</strong> ist gem. § 223 Abs. 3 BRAO statthaft<br />

sowie form- und fristgerecht eingelegt wor<strong>de</strong>n. Sie hat auch<br />

Erfolg.<br />

A. Die Unterlassungsverfügung ist schon <strong>de</strong>shalb aufzuheben,<br />

weil die BRAO <strong>de</strong>m Vorstand einer RAK nicht das Recht verleiht,<br />

festgestellten Verstößen gegen berufsrechtliche Bestimmungen<br />

mit einer Unterlassungsverfügung zu begegnen (vgl. BGH,<br />

Beschl. v. 25.11.2002 – AnwZ (B) 8/02, NJW 2003, 504 und<br />

AnwZ (B) 41/02, NJW 2003, 662).<br />

B. Im Übrigen wäre, was jedoch keiner abschließen<strong>de</strong>n Beurteilung<br />

bedarf, die angefochtene Verfügung möglicherweise<br />

auch in <strong>de</strong>r Sache nicht haltbar.<br />

1.<br />

Allerdings trifft die Ansicht <strong>de</strong>s AGH zu, dass nach § 59i Abs. 2<br />

BRAO in <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung einer RA-Gesellschaft ein Geschäftsführer<br />

i.S.d. § 6 GmbHG tätig sein muss (so bereits BGH,<br />

Urt. v. 25.10.2001 – I ZR 29/99, NJW 2002, 2039, 2040).<br />

a)<br />

Nach Wortlaut <strong>de</strong>s<br />

§ 59i Abs. 2 BRAO Geschäftsführer<br />

i.S.d. § 6<br />

GmbHG notwendig<br />

Dafür spricht zunächst <strong>de</strong>r ein<strong>de</strong>utige<br />

Wortlaut. Entgegen <strong>de</strong>r<br />

Ansicht <strong>de</strong>s Ast. lässt die Verwendung<br />

<strong>de</strong>r unterschiedlichen<br />

Begriffe „Geschäftsführer“ in §<br />

59f BRAO und „geschäftsführen<strong>de</strong>r<br />

RA“ in § 59i BRAO nicht <strong>de</strong>n Schluss zu, <strong>de</strong>r geschäftsführen<strong>de</strong><br />

RA brauche kein Geschäftsführer i.S.d. § 59f<br />

BRAO, §§ 6, 35 GmbHG zu sein. Nach § 59i Abs. 1 Satz 1<br />

BRAO muss die RA-Gesellschaft an ihrem Sitz eine Kanzlei unterhalten,<br />

in <strong>de</strong>r verantwortlich zumin<strong>de</strong>st ein geschäftsführen<strong>de</strong>r<br />

RA tätig ist, für <strong>de</strong>n die Kanzlei <strong>de</strong>n Mittelpunkt seiner beruflichen<br />

Tätigkeit bil<strong>de</strong>t. Nach Abs. 2 ist auf Zweignie<strong>de</strong>rlassungen<br />

<strong>de</strong>r Abs. 1 entsprechend anzuwen<strong>de</strong>n. Demgemäß muss<br />

sowohl am Sitz <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft als auch an einer je<strong>de</strong>n<br />

Zweignie<strong>de</strong>rlassung min<strong>de</strong>stens ein geschäftsführen<strong>de</strong>r RA tätig<br />

sein. Der geschäftsführen<strong>de</strong> RA am Sitz <strong>de</strong>r Gesellschaft ist <strong>de</strong>r<br />

organschaftliche Vertreter i.S.v. § 59f Abs. 1 Satz 2 BRAO, §§ 6,<br />

35 GmbHG. Er ist folglich zur Eintragung in das Han<strong>de</strong>lsregister<br />

anzumel<strong>de</strong>n (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 GmbHG). Das gilt in gleicher<br />

Weise für <strong>de</strong>n geschäftsführen<strong>de</strong>n RA am Ort <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung,<br />

weil § 59i BRAO insoweit nicht differenziert, son<strong>de</strong>rn<br />

die Regelung für <strong>de</strong>n Gesellschaftssitz ohne Einschränkung auf<br />

die Zweignie<strong>de</strong>rlassung überträgt.<br />

b) Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte <strong>de</strong>r<br />

Norm bestätigt. Im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung<br />

<strong>de</strong>r Anwalts-GmbH (abgedruckt in ZIP 1997, 1518 ff.,<br />

1521) lautete die Regelung (damals noch § 59m) wie folgt:<br />

„Die RA-Gesellschaft muss an <strong>de</strong>m Ort, an <strong>de</strong>m sie ihren Sitz<br />

hat, eine Kanzlei unterhalten, die für die dort tätigen Geschäftsführer<br />

<strong>de</strong>n Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit bil<strong>de</strong>t. Für<br />

Zweignie<strong>de</strong>rlassungen gilt Satz 1 sinngemäß mit <strong>de</strong>r Maßgabe,<br />

dass die Zweignie<strong>de</strong>rlassung von einem anwaltlichen Geschäftsführer<br />

zu leiten ist.“<br />

Zur Begründung wur<strong>de</strong> aufgeführt (a.a.O.):<br />

„Da im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft die anwaltliche<br />

Berufsausübung steht und <strong>de</strong>ren Verantwortlichkeit<br />

sichergestellt sein soll, sind auch Zweignie<strong>de</strong>rlassungen von<br />

einem anwaltlichen Geschäftsführer zu leiten. Für diesen muss<br />

die Zweignie<strong>de</strong>rlassung <strong>de</strong>n Mittelpunkt seiner beruflichen<br />

Tätigkeit bil<strong>de</strong>n. Damit folgt die Bestimmung <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Regelung zur überörtlichen Sozietät.“<br />

Der Gesetzentwurf <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung v. 29.12.1997 (BT-<br />

Drucks. 13/9820) enthielt dann bereits die schließlich Gesetz<br />

gewor<strong>de</strong>ne Fassung <strong>de</strong>s § 59i. Die Begründung dazu lautete<br />

(S. 17 rechte Spalte):<br />

„Im Hinblick auf die Be<strong>de</strong>utung von Zweignie<strong>de</strong>rlassungen, die<br />

RA-Gesellschaften eine <strong>de</strong>n überörtlichen Sozietäten entsprechen<strong>de</strong><br />

Ausbreitung erlauben, ist eine organschaftliche Vertretung<br />

<strong>de</strong>r RA-Gesellschaft angemessen.“


132 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Diese Vorstellung hat sich <strong>de</strong>r Gesetzgeber zu Eigen gemacht<br />

(Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 59i Rdnr. 6; Römermann,<br />

in Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., § 59i<br />

Rdnr. 2 ff.; <strong>de</strong>rs., GmbHR 1999, 526, 529; Kempter/Kopp,<br />

BRAK-Mitt. 1998, 254, 255; Henssler, NJW 1999, 241, 243).<br />

Denn <strong>de</strong>r Entwurf ist, obwohl die vorgeschlagene Regelung im<br />

Schrifttum angegriffen wur<strong>de</strong> (vgl. Henssler, ZIP 1997, 1481,<br />

1485; <strong>de</strong>rs., ZHR 161 (1997), 305, 320 f.; Gerlt, MDR 1998,<br />

259, 261; Zuck, MDR 1998, 1317, 1320), unverän<strong>de</strong>rt Gesetz<br />

gewor<strong>de</strong>n. Dass das Gesetz nicht mehr, wie noch <strong>de</strong>r Referentenentwurf,<br />

vom „anwaltlichen Geschäftsführer“, son<strong>de</strong>rn vom<br />

„geschäftsführen<strong>de</strong>n RA“ spricht, ist wegen <strong>de</strong>r undifferenzierten<br />

Verwendung dieses Begriffs sowohl für <strong>de</strong>n Gesellschaftssitz<br />

als auch die Zweignie<strong>de</strong>rlassung unerheblich.<br />

2. In<strong>de</strong>s bestehen Be<strong>de</strong>nken, ob das <strong>de</strong>m § 59i Abs. 2 BRAO zu<br />

entnehmen<strong>de</strong> Gebot mit <strong>de</strong>m GG zu vereinbaren ist (vgl. auch<br />

Römermann, in Hartung/Holl, a.a.O., § 59i BRAO Rdnr. 4;<br />

Kraus/Senft, in: Sozietätsrecht, § 15 Rdnr. 95; Henssler, NJW<br />

1999, 241, 243).<br />

a)<br />

Verstoß gegen Art. 3<br />

Abs. 1 GG möglich<br />

Dieses Gebot könnte <strong>de</strong>n bei einer<br />

RA-Gesellschaft beschäftigten<br />

RA in seinem Grundrecht aus<br />

Art. 3 Abs. 1 GG verletzen.<br />

aa) Die Vertretungsbefugnis für die Zweignie<strong>de</strong>rlassung einer<br />

RA-Gesellschaft ist an<strong>de</strong>rs geregelt als bei überörtlichen Anwaltssozietäten.<br />

Darin könnte eine unzulässige Ungleichbehandlung<br />

<strong>de</strong>r RA-Gesellschaft und <strong>de</strong>r bei ihr beschäftigten RAe<br />

(vgl. § 33 BORA) gegenüber überörtlichen Anwaltssozietäten<br />

und <strong>de</strong>ren Sozien zu sehen sein.<br />

Nach <strong>de</strong>r Begründung <strong>de</strong>s Regierungsentwurfs (oben 1 b) hat<br />

man sich bei <strong>de</strong>r Regelung für die Zweignie<strong>de</strong>rlassung einer RA-<br />

Gesellschaft an <strong>de</strong>r überörtlichen Sozietät orientiert, weil die<br />

Einrichtung von Zweignie<strong>de</strong>rlassungen <strong>de</strong>n RA-Gesellschaften<br />

eine <strong>de</strong>n überörtlichen Sozietäten entsprechen<strong>de</strong> Ausbreitung<br />

erlaube (ebenso Römermann, in: Hartung/Holl, § 59i BRAO<br />

Rdnr. 3; Henssler, ZIP 1997, 1481, 1485; Zuck, MDR 1998,<br />

1317, 1320). Bei einer überörtlichen Sozietät müssen aber an<br />

<strong>de</strong>m jeweiligen Kanzleiort keine in das Han<strong>de</strong>lsregister einzutragen<strong>de</strong><br />

Geschäftsführer bestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ob sich die für die RA-Gesellschaften gefun<strong>de</strong>ne Regelung damit<br />

rechtfertigen lässt, dass <strong>de</strong>r „Gleichlauf“ mit <strong>de</strong>n überörtlichen<br />

Sozietäten nicht an<strong>de</strong>rs hergestellt wer<strong>de</strong>n kann als durch<br />

das Erfor<strong>de</strong>rnis eines an je<strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassung tätigen<br />

Geschäftsführers, ist zweifelhaft. Allerdings liegt eine überörtliche<br />

Sozietät nur vor, wenn an einem je<strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlassungsort<br />

ein Sozius (also ein Gesellschafter) tätig ist, <strong>de</strong>r dort – und<br />

nur dort – <strong>de</strong>n Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit hat. Damit<br />

sollen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 BRAO verbotene Zweigstellen<br />

verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n (Schumann, NJW 1990, 2089, 2095;<br />

O<strong>de</strong>rsky, Festschrift für Franz Merz, 1992, 439, 443). Demgegenüber<br />

verlangt § 59i BRAO nicht, dass an <strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

einer RA-Gesellschaft ein Gesellschafter tätig ist.<br />

Dass im ersten Fall an einem je<strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlassungsort ein Gesellschafter<br />

tätig sein muss, im zweiten nicht, lässt es vielleicht<br />

nicht zwingend geboten erscheinen, im zweiten Fall einen Ausgleich<br />

auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Geschäftsführer zu verlangen. Dem Erfor<strong>de</strong>rnis,<br />

dass (auch) am Ort <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung einer RA-<br />

Gesellschaft eine Kanzlei unterhalten wird und dass dort für die<br />

Gesellschaft min<strong>de</strong>stens ein RA tätig ist, <strong>de</strong>r dort <strong>de</strong>n Mittelpunkt<br />

seiner beruflichen Tätigkeit hat, könnte auch genügt sein,<br />

wenn einem ausschließlich o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>utlich überwiegend<br />

(O<strong>de</strong>rsky, a.a.O., 443) am Ort <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung tätigen<br />

RA von <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft umfassend Vollmacht erteilt<br />

wird.<br />

Des Weiteren erscheint fraglich, ob – wie die Agin. und, ihr folgend,<br />

<strong>de</strong>r AGH meinen – nur durch die Publizität <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lsregisters<br />

„<strong>de</strong>r vor Ort verantwortliche Berufsträger und <strong>de</strong>ssen<br />

Befugnisse“ in ein<strong>de</strong>utiger Weise für Mandanten, Gerichte und<br />

an<strong>de</strong>re Organe <strong>de</strong>r Rechtspflege gekennzeichnet ist. Sind am<br />

Ort <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung mehrere in <strong>de</strong>r vorbezeichneten Art<br />

bevollmächtigte RAe tätig, kann die fachlich und berufsrechtlich<br />

für <strong>de</strong>n Standort verantwortliche Person für die interessierten<br />

Kreise erkennbar auch durch die Anzeige eines „geschäftsführen<strong>de</strong>n<br />

RA“ bei <strong>de</strong>r RAK benannt wer<strong>de</strong>n. Es dürfe nicht <strong>de</strong>m<br />

Erfahrungswissen <strong>de</strong>r Mandanten entsprechen, wegen <strong>de</strong>r für<br />

einen Standort verantwortlichen Person das Han<strong>de</strong>lsregister einzusehen.<br />

Vielmehr wird eine Anfrage bei <strong>de</strong>r RAK näher liegen.<br />

In<strong>de</strong>m das Gesetz <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft gebietet, für je<strong>de</strong> Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

einen jeweils eigenen Geschäftsführer zu bestellen,<br />

wird <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>r Gesellschafter vorgegriffen, wie<br />

viel Geschäftsführer sie bestellen wollen. Dadurch wer<strong>de</strong>n<br />

schutzwürdige Belange <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft beeinträchtigt, und<br />

zwar in stärkerem Maße als bei <strong>de</strong>r überörtlichen Sozietät. So<br />

wie <strong>de</strong>ren Sozien nicht unmittelbar über <strong>de</strong>n Kanzleibetrieb <strong>de</strong>r<br />

jeweils an<strong>de</strong>ren Sozien zu bestimmen haben, könnten die Gesellschafter<br />

<strong>de</strong>r RA-Gesellschaft ein Interesse daran haben, <strong>de</strong>n<br />

Einfluss <strong>de</strong>s für die Zweignie<strong>de</strong>rlassung Verantwortlichen auf die<br />

Zweignie<strong>de</strong>rlassung zu beschränken. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2<br />

GmbHG kann in<strong>de</strong>s die Vertretungsmacht <strong>de</strong>s Geschäftsführers<br />

einer GmbH nicht mit Wirkung gegen Dritte auf <strong>de</strong>n Wirkungskreis<br />

einer Zweignie<strong>de</strong>rlassung beschränkt wer<strong>de</strong>n (Rowed<strong>de</strong>r/Schmidt-Leithoff,<br />

GmbHG, 4. Aufl., § 12 Rdnr. 26; Lutter/<br />

Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl., § 12 Rdnr. 4; Baumbach/Hopt,<br />

HGB, 30. Aufl., § 13 Rdnr. 9). Der Zwang, eine <strong>de</strong>r Anzahl <strong>de</strong>r<br />

Nie<strong>de</strong>rlassungen entsprechen<strong>de</strong> Zahl von Geschäftsführern zu<br />

bestellen, erschwert die Führung <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft. Zu<strong>de</strong>m ist<br />

zweifelhaft, ob die Regelung geeignet ist, das damit verfolgte<br />

Ziel zu erreichen. Aus <strong>de</strong>m Han<strong>de</strong>lsregister lässt sich nur feststellen,<br />

dass eine RA-Gesellschaft ebenso viele Geschäftsführer<br />

wie Nie<strong>de</strong>rlassungen hat; nicht feststellen lässt sich – was <strong>de</strong>m<br />

Gesetzgeber aber offenbar vorgeschwebt hat –, dass ein bestimmter<br />

Geschäftsführer für eine bestimmte Nie<strong>de</strong>rlassung verantwortlich<br />

ist.<br />

bb)<br />

Ungleichbehandlung<br />

gegenüber StB- und<br />

WP-Gesellschaften<br />

Fraglich erscheint ferner, ob nicht<br />

durch die Regelung <strong>de</strong>r Vertretungsbefugnis<br />

für die Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

einer RA-Gesellschaft<br />

eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung<br />

gegenüber Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

bewirkt wird. Obwohl die Berufsordnungen<br />

<strong>de</strong>r StB und WP die überörtliche Organisation von Kapitalgesellschaften<br />

zulassen, müssen we<strong>de</strong>r nach §§ 32, 34, 50, 72<br />

StBerG noch nach § 47 WPO für die Zweignie<strong>de</strong>rlassungen Geschäftsführer<br />

bestellt wer<strong>de</strong>n (vgl. Kuhls, in: Kuhls/Meurers/<br />

Maxl/Schäfer/Goez, StBerG § 34 Rdnr. 14; Meurers, ebd. § 50<br />

Rdnr. 47 ff.). Dadurch wer<strong>de</strong>n RA-Gesellschaften gegenüber<br />

Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfergesellschaften, mit <strong>de</strong>nen<br />

sie häufig im Wettbewerb stehen, benachteiligt. Auch insoweit<br />

könnte es an einem sachlichen Grund fehlen.<br />

Nach Ansicht <strong>de</strong>s AGH ist die Tätigkeit eines RA stärker personenbezogen<br />

als diejenige eines StB o<strong>de</strong>r WP und in geringerem<br />

Umfang als bei diesen einer Vervielfältigung durch Beiziehung<br />

von Hilfspersonen zugänglich. Ob die Leitung einer Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

durch einen Anwalt, <strong>de</strong>r zum Geschäftsführer<br />

bestellt ist, zur persönlichen Erbringung <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

verfügbaren anwaltlichen Dienstleistungen mehr<br />

beiträgt als die Leitung durch einen umfassend bevollmächtigten<br />

RA, ist offen.


BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 133<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

b)<br />

Möglicher Verstoß gegen<br />

Art. 12 Abs. 1 GG<br />

Das Gebot <strong>de</strong>s § 59i Abs. 2<br />

BRAO könnte außer<strong>de</strong>m das<br />

Grundrecht <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft<br />

(Art. 19 Abs. 3 GG) sowie <strong>de</strong>r<br />

bei einer solchen beschäftigten RAe (vgl. § 33 Abs. 2 BORA) auf<br />

freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzen.<br />

Die Vorschrift, dass Zweignie<strong>de</strong>rlassungen von RA-Gesellschaften<br />

durch Geschäftsführer zu leiten sind, stellt eine Berufsausübungsregelung<br />

dar, welche die Berufsfreiheit beeinträchtigt.<br />

Dies gilt für die Berufsfreiheit <strong>de</strong>r Gesellschaft, <strong>de</strong>r Gesellschafter<br />

und <strong>de</strong>rjenigen RAe, die für die Gesellschaft tätig sind, ohne<br />

Gesellschafter zu sein. Für die zuletzt genannten ist <strong>de</strong>r Eingriff<br />

beson<strong>de</strong>rs gravierend, weil sie für die Nichtbestellung von Geschäftsführern<br />

unabhängig davon einstehen müssen, ob sie Gesellschafter<br />

sind o<strong>de</strong>r nicht. Im zuletzt genannten Fall haben sie<br />

auf die Bestellung <strong>de</strong>r Geschäftsführer keinen Einfluss.<br />

Solche Eingriffe müssen durch ausreichen<strong>de</strong> Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

gerechtfertigt wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>m Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />

entsprechen. Das gewählte Mittel muss also<br />

geeignet und erfor<strong>de</strong>rlich sein, <strong>de</strong>n Gemeinwohlbelang zu wahren.<br />

Außer<strong>de</strong>m darf bei einer Gesamtabwägung zwischen <strong>de</strong>r<br />

Schwere <strong>de</strong>s Eingriffs und <strong>de</strong>m Gewicht <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>, die ihn<br />

rechtfertigen sollen, die Grenze <strong>de</strong>r Zumutbarkeit nicht überschritten<br />

sein (BVerfGE 76, 176, 207; 83, 1, 16; 85, 248, 259;<br />

94, 373, 389 f.).<br />

Die Bestimmung <strong>de</strong>s § 59i Abs. 2 BRAO soll sicherstellen, dass<br />

die RA-Gesellschaft sowohl an ihrem Sitz als auch an je<strong>de</strong>r<br />

Zweignie<strong>de</strong>rlassung eine Kanzlei führt. Das Ziel, die ordnungsgemäße<br />

Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung mit anwaltlichen<br />

Dienstleistungen zu gewährleisten, ist ein gewichtiger Gemeinwohlbelang.<br />

Das Gebot, die Zweignie<strong>de</strong>rlassungen durch<br />

GmbH-Geschäftsführer leiten zu lassen, ist geeignet, diesen<br />

Gemeinwohlbelang zu wahren. Fraglich ist jedoch, ob es erfor<strong>de</strong>rlich<br />

ist. Wie bereits dargelegt (oben 2 a aa), erscheint es<br />

nicht als ausgeschlossen, dass am Ort <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

eine Kanzlei auch dann geführt wer<strong>de</strong>n kann, wenn sie von<br />

einem sonstigen Bevollmächtigten („Standortleiter“) geleitet<br />

wird.<br />

Erfor<strong>de</strong>rlich wäre das Gebot, wenn durch die Vorschrift erreicht<br />

wer<strong>de</strong>n sollte, dass an je<strong>de</strong>m einzelnen Standort <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft<br />

eine Person tätig ist, die über die Leitung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

insgesamt maßgeblich mitbestimmen kann. Ob dies<br />

Zweck <strong>de</strong>r Vorschrift ist, erscheint fraglich.<br />

Anmerkung<br />

Der vorstehend abgedruckte Beschluss <strong>de</strong>s BGH zu verfassungsrechtlichen<br />

Be<strong>de</strong>nken gibt Veranlassung zu verfassungsrechtlichen<br />

Gedanken.<br />

Der Beschluss ist <strong>de</strong>r Hanseatischen RAK am 25. April 2003<br />

zugestellt wor<strong>de</strong>n. Das Deckblatt enthält die üblichen Hinweise<br />

zur geplanten Art <strong>de</strong>r Veröffentlichung sowie die<br />

Bezugnahme <strong>de</strong>r betroffenen Norm. Es enthält auch einen<br />

Hinweis zur Materie: „Zur Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>s § 59i<br />

Abs. 2 BRAO“.<br />

Dies überrascht, <strong>de</strong>nn die tragen<strong>de</strong>n Entscheidungsgrün<strong>de</strong><br />

betreffen § 59i BRAO nicht. Sie sind vielmehr in prägnanter<br />

Kürze unter II. A. <strong>de</strong>s Beschlusses wie<strong>de</strong>rgegeben.<br />

Auf weiteren 8 Seiten setzt sich <strong>de</strong>r BGH sodann mit § 59i<br />

BRAO auseinan<strong>de</strong>r, obwohl es hierauf nicht mehr ankommt.<br />

Was will <strong>de</strong>r BGH uns hiermit sagen<br />

Er bestätigt zunächst unter B. 1., dass § 59i BRAO nicht nur<br />

von <strong>de</strong>r RAK formal korrekt angewandt, son<strong>de</strong>rn auch von<br />

<strong>de</strong>m Gesetzgeber in <strong>de</strong>m angewandten Sinne gemeint ist.<br />

Damit müsste für zukünftige Anwendungsfälle geklärt sein,<br />

dass Anwaltsgesellschaften auch an <strong>de</strong>n Orten ihrer Nie<strong>de</strong>rlassung<br />

einen eingetragenen Geschäftsführer haben müssen.<br />

An <strong>de</strong>r Klärung genau dieser Rechtsfrage lag <strong>de</strong>m Vorstand<br />

<strong>de</strong>r Hanseatischen RAK, als er die nunmehr aufgehobene<br />

Verfügung beschloss.<br />

Wer allerdings hoffte, dass diese Rechtsfrage durch <strong>de</strong>n BGH<br />

geklärt wird, sieht sich enttäuscht.<br />

Der BGH erörtert vielmehr umfangreich verfassungsrechtliche<br />

Be<strong>de</strong>nken gegen ein wirksam zustan<strong>de</strong> gekommenes,<br />

gelten<strong>de</strong>s und damit anzuwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Gesetz.<br />

Dies ist sein gutes Recht, man fragt sich aber: cui bono<br />

Die vom BGH dargestellten Überlegungen sind sämtlichst<br />

respektabel und ernst zu nehmen.<br />

Verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken gegenüber einem gelten<strong>de</strong>n<br />

Gesetz entbin<strong>de</strong>n jedoch grundsätzlich die Gerichte nicht<br />

von ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht, dieses Gesetz <strong>de</strong>nnoch<br />

anzuwen<strong>de</strong>n. Die Bindung <strong>de</strong>r Rspr. an Gesetz und<br />

Recht aus Art. 20 Abs. 3 GG gilt auch dann, wenn ein Gericht<br />

gegenüber einem Gesetz „verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken“<br />

hat.<br />

Für diesen Fall sieht Art. 100 Abs. 1 GG die Aussetzung <strong>de</strong>s<br />

Verfahrens und die Vorlage <strong>de</strong>r Sache an das BVerfG vor.<br />

Warum <strong>de</strong>r BGH diesen Weg nicht gegangen ist, lässt sich<br />

<strong>de</strong>n Entscheidungsgrün<strong>de</strong>n nicht explizit entnehmen. Der<br />

wahrscheinliche Grund ist aber, dass er seinen Beschluss<br />

nicht auf die Verfassungswidrigkeit von § 59i BRAO gestützt<br />

hat und damit eine Vorlagepflicht nicht besteht.<br />

Allerdings hätte es in diesem Fall auch keiner Erörterung <strong>de</strong>r<br />

Verfassungsmäßigkeit von § 59i BRAO mehr bedurft.<br />

Das Prozessziel, <strong>de</strong>n Inhalt (und die Verfassungsmäßigkeit)<br />

von § 59i BRAO zu klären, konnte also nicht mehr erreicht<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Dass <strong>de</strong>r BGH seine verfassungsrechtlichen Be<strong>de</strong>nken in <strong>de</strong>r<br />

geschehenen Ausführlichkeit erörtert, ist <strong>de</strong>swegen zur Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s Rechtsstreits nicht erfor<strong>de</strong>rlich gewesen und<br />

leistet einer für die Verfassungswirklichkeit unguten Ten<strong>de</strong>nz<br />

Vorschub: es ist mo<strong>de</strong>rn gewor<strong>de</strong>n, gegenüber gelten<strong>de</strong>n,<br />

aber als unbequem empfun<strong>de</strong>nen berufsrechtlichen Regeln<br />

„verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken“ in <strong>de</strong>n Raum zu stellen<br />

und die Legitimität <strong>de</strong>r Norm damit unausgesprochen in<br />

Frage zu stellen.<br />

Klarer wäre es:<br />

Wenn ein Gericht solche verfassungsrechtlichen Be<strong>de</strong>nken<br />

hat, mag es <strong>de</strong>n in Art. 100 Abs. 1 GG vorgesehenen Weg zur<br />

Überprüfung dieser Be<strong>de</strong>nken gehen.<br />

Wenn eine Verwaltungsbehör<strong>de</strong> verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken<br />

hat, sollte sie <strong>de</strong>ren Klärung über <strong>de</strong>n Rechtsweg herbeiführen.<br />

Wenn die Legislative selbst verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken<br />

hat, kann sie die von ihr beschlossene Rechtsnorm än<strong>de</strong>rn.<br />

Für gefährlich halte ich allerdings die Ten<strong>de</strong>nz, aufgrund von<br />

verfassungsrechtlichen Be<strong>de</strong>nken eine Rechtsnorm zu miss-


134 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

achten o<strong>de</strong>r nur ungleichmäßig o<strong>de</strong>r gar nicht anzuwen<strong>de</strong>n.<br />

Dieser Zustand ist verfassungsrechtlich außeror<strong>de</strong>ntlich be<strong>de</strong>nklich,<br />

weil er nicht alle Rechtsunterworfenen in gleicher<br />

Weise trifft. Diese Form von Vollzugs<strong>de</strong>fizit ist ein erheblicher<br />

Verlust an Rechtskultur. Dies kann als faktische Konsequenz<br />

verfassungsrechtlicher Be<strong>de</strong>nken auch vom BGH<br />

nicht gewollt sein.<br />

Rechtsanwalt Hartmut Scharmer<br />

Geschäftsführer <strong>de</strong>r Hanseatischen RAK Hamburg<br />

Fachanwalt – Nichtbeschei<strong>de</strong>n eines Antrags auf Gestattung<br />

<strong>de</strong>s Führens einer Fachanwaltsbezeichnung;<br />

BRAO § 223 Abs. 2<br />

* 1. Zur Ermöglichung einer raschen Verbescheidung <strong>de</strong>r Fachanwaltsanträge<br />

muss eine RAK insbeson<strong>de</strong>re die notwendigen<br />

organisatorischen Voraussetzungen, die eine rasche Bearbeitung<br />

gewährleisten, schaffen, um <strong>de</strong>n ihr übertragenen Aufgaben<br />

in <strong>de</strong>r gesetzlichen Art und Weise nachkommen zu können.<br />

* 2. Eine RAK hat für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Erkrankung von Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>s Prüfungsausschusses geeignete Vertretungsregelungen zu<br />

schaffen und hat für <strong>de</strong>n Fall, dass Anträge auf Verleihung <strong>de</strong>r<br />

Fachanwaltsbezeichnung nicht innerhalb zumutbarer Zeiträume<br />

verbeschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n können, durch geeignete Maßnahmen<br />

– ggf. auch durch Bildung eines weiteren Prüfungsausschusses<br />

– die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu<br />

schaffen, dass die Anträge zeitnah verbeschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

* 3. Der Hinweis einer RAK auf die Vielzahl eingehen<strong>de</strong>r Anträge<br />

erfor<strong>de</strong>rt zur Wahrung <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>r Ast. eine eingehen<strong>de</strong><br />

Überprüfung, ob die Zahl <strong>de</strong>r eingesetzten Prüfungsausschüsse<br />

ausreichend ist und ob im Falle einer je<strong>de</strong>rzeit<br />

<strong>de</strong>nkbaren Erkrankung von Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Prüfungsausschüsse<br />

hinreichen<strong>de</strong> Vertretungsregelungen vorgesehen sind.<br />

* 4. Der Umstand, dass die Prüfungsgremien <strong>de</strong>r RAKn ehrenamtlich<br />

tätig sind, vermag am Rechtsanspruch <strong>de</strong>r Ast. auf zügige<br />

Entscheidung über Anträge auf Gestattung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung<br />

nichts zu än<strong>de</strong>rn.<br />

AGH Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Beschl. v. 5.4.2003 – AGH 46/2002<br />

(II)<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I.<br />

1. Der Ast. beantragte am 26.5.2002 bei <strong>de</strong>r Agin. die Gestattung<br />

<strong>de</strong>r Bezeichnung „Fachanwalt für Arbeitsrecht“ unter<br />

Beifügung von Unterlagen zum Nachweis für das Vorliegen <strong>de</strong>r<br />

theoretischen und praktischen Voraussetzungen. Mit Schreiben<br />

v. 5.6.2002 bestätigte <strong>de</strong>r Berichterstatter <strong>de</strong>s gemeinsamen Prüfungsausschusses<br />

<strong>de</strong>n Eingang <strong>de</strong>s Antrags und teilte mit, er bereite<br />

<strong>de</strong>n Antrag für die Entscheidung im Ausschuss vor. Mit<br />

Schreiben v. 30.10.2002 teilte <strong>de</strong>r Berichterstatter <strong>de</strong>m Ast. auf<br />

<strong>de</strong>ssen Nachfrage mit, dass <strong>de</strong>r Antrag noch nicht Gegenstand<br />

<strong>de</strong>r mündlichen Beratung <strong>de</strong>s Prüfungsausschusses gewesen sei,<br />

die Akten wür<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Reihenfolge ihres Eingangs abgearbeitet,<br />

die nächste Ausschusssitzung fin<strong>de</strong> am 29.11.2002 statt. Im<br />

Schreiben v. 30.10.2002 bat <strong>de</strong>r Ast. <strong>de</strong>n Berichterstatter <strong>de</strong>s gemeinsamen<br />

Prüfungsausschusses um genauere Mitteilung, wie<br />

oft <strong>de</strong>r Prüfungsausschuss tage, wie viele Anträge pro Tagung bearbeitet<br />

wer<strong>de</strong>n und wie viele Anträge vor seinem Antrag auf Bearbeitung<br />

warten, eine Antwort hierauf erfolgte nicht.<br />

2. Mit Schriftsatz v. 3.12.2002 hat <strong>de</strong>r Ast. beim AGH Antrag auf<br />

gerichtliche Entscheidung gestellt. Er trägt vor, die Agin. habe<br />

seinen Antrag auf Gestattung <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r Berufsbezeichnung<br />

innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung ohne zureichen<strong>de</strong>n<br />

Grund nicht beschie<strong>de</strong>n. Nach<strong>de</strong>m die Agin. es innerhalb<br />

eines Zeitraums von einem halben Jahr nicht vermocht<br />

habe, die von ihm vollständig vorgelegten Unterlagen zu prüfen<br />

und Grün<strong>de</strong> für eine Verzögerung <strong>de</strong>r Sache nicht erkennbar<br />

seien, beantrage er die Verpflichtung <strong>de</strong>r Agin. zur Gestattung<br />

<strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>r Bezeichnung „Fachanwalt für Arbeitsrecht“,<br />

hilfsweise die Verbescheidung <strong>de</strong>r Agin. wegen Untätigkeit nach<br />

§ 223 Abs. 2 BRAO.<br />

Die Agin. hat die eingetretene Verzögerung im Verfahren auf Gestattung<br />

<strong>de</strong>r Berufsbezeichnung damit begrün<strong>de</strong>t, dass ein Mitglied<br />

<strong>de</strong>s gemeinsamen Prüfungsausschusses im März 2002<br />

schwer erkrankt sei und aus <strong>de</strong>m Prüfungsausschuss ausschei<strong>de</strong>n<br />

musste, ein im Mai 2002 bestellter Nachfolger habe sich<br />

erst in die Materie einarbeiten müssen. Der Berichterstatter<br />

selbst habe zusätzlich zu <strong>de</strong>n von ihm im Rahmen <strong>de</strong>r laufen<strong>de</strong>n<br />

Aktenverteilung bereits zugewiesenen Verfahren sämtliche<br />

Verfahren <strong>de</strong>s erkrankten Ausschussmitglie<strong>de</strong>s übernehmen<br />

müssen. Der Vorgang habe entgegen ursprünglicher Absicht<br />

auch nicht in <strong>de</strong>r Sitzung <strong>de</strong>s gemeinsamen Prüfungsausschusses<br />

am 29.11.2002 behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n können, <strong>de</strong>r Berichterstatter<br />

habe wegen starker Arbeitsbelastung und einem vorgängigen<br />

aufwendigen Prüfungsverfahren das für <strong>de</strong>n Ast. vorbereitete<br />

Votum nicht fertig stellen können. Der Antrag <strong>de</strong>s Ast. sei für<br />

die Sitzung <strong>de</strong>s Prüfungsausschusses am 7.2.2003 zur Beratung<br />

vorgesehen, mit einer Entscheidung könne allerdings auch in jenem<br />

Termin noch nicht gerechnet wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Der Senat hat am 1.2.2003 über die Sache mündlich verhan<strong>de</strong>lt.<br />

Der Agin. ist hierbei aufgegeben wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Senat bis<br />

längstens 1.3.2003 darüber zu informieren, welche Prüfungsausschüsse<br />

für die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen<br />

die Agin. eingerichtet hat, wie <strong>de</strong>r Stand <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Ausschüssen<br />

anhängigen und noch nicht erledigten Anträge ist und wie die<br />

Vertretungsregelungen <strong>de</strong>s Prüfungsgremiums beschaffen sind.<br />

Die Agin. hat mit Schriftsatz v. 17.2.2003 mitgeteilt, dass <strong>de</strong>r gemeinsame<br />

Prüfungsausschuss <strong>de</strong>m Ast. zwischenzeitlich die beantragte<br />

Gestattung <strong>de</strong>r Bezeichnung „Fachanwalt für Arbeitsrecht“<br />

erteilt habe, so dass die Hauptsache als erledigt angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n könne.<br />

Der Ast. beantragte mit Schriftsatz v. 24.2.2003 die Feststellung<br />

<strong>de</strong>r Erledigung <strong>de</strong>r Hauptsache und beantragte, <strong>de</strong>r Agin. die<br />

Kosten <strong>de</strong>s Verfahrens aufzuerlegen.<br />

II. Nach<strong>de</strong>m die Parteien <strong>de</strong>s Rechtsstreits die Hauptsache übereinstimmend<br />

für erledigt erklärt haben, hat <strong>de</strong>r Senat in entsprechen<strong>de</strong>r<br />

Anwendung von §§ 91a ZPO, 13a FGG über die<br />

Kosten zu befin<strong>de</strong>n.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>de</strong>s bisherigen Sach- und Streitstan<strong>de</strong>s<br />

entsprach es billigem Ermessen, die Verfahrenskosten <strong>de</strong>r Agin.<br />

aufzuerlegen. Mit seinem Hauptantrag auf Verpflichtung <strong>de</strong>r<br />

Agin. zur Gestattung <strong>de</strong>r Berufsbezeichnung wäre <strong>de</strong>r Ast. zwar<br />

nicht durchgedrungen, da die Agin. bis zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r<br />

mündlichen Verhandlung vor <strong>de</strong>m Senat noch keine Entscheidung<br />

getroffen hatte und <strong>de</strong>r staatlichen Kompetenzordnung<br />

nicht in die <strong>de</strong>r Agin. zugewiesene eigenständige Prüfungs- und<br />

Entscheidungskompetenz eingreifen kann (vgl. Feuerich/Braun,<br />

Kommentar zur BRAO, 5. Aufl., § 223 Rdnr. 44 u. 45 sowie § 41<br />

BRAO Rdnr. 10 m.w.N.). Der Ast. wäre allerdings mit seinem<br />

Hilfsantrag auf Verpflichtung <strong>de</strong>r Agin. zur Bescheidung durchgedrungen.<br />

Nach § 223 Abs. 2 BRAO ist <strong>de</strong>r Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

zulässig, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes<br />

ohne zureichen<strong>de</strong>n Grund innerhalb von drei<br />

Monaten nicht beschie<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n ist. Ob im konkreten Falle<br />

zureichen<strong>de</strong> Grün<strong>de</strong> für eine über drei Monate hinausgehen<strong>de</strong>


BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 135<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Bearbeitungsdauer vorgelegen haben, mag dahinstehen. Je<strong>de</strong>nfalls<br />

hat die Agin. keine Grün<strong>de</strong> vorgetragen, die es rechtfertigen<br />

könnten, <strong>de</strong>n Antrag <strong>de</strong>s Ast. bis zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Klageerhebung<br />

o<strong>de</strong>r bis zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung,<br />

mithin über einen Zeitraum von 6 bzw. 9 Monaten, nicht einer<br />

Entscheidung zuzuführen.<br />

Die Verleihung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung hat Be<strong>de</strong>utung für<br />

die verfassungsrechtlich gewährleistete Berufsausübung <strong>de</strong>r Bewerber<br />

(vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.2.1998, BRAK-Mitt. 1998,<br />

145), so dass unter Beachtung <strong>de</strong>r aus Art. 12 Abs. 1 GG sich ergeben<strong>de</strong>n<br />

verfahrensrechtlichen Anfor<strong>de</strong>rungen ein berechtigtes<br />

Interesse <strong>de</strong>s Ast. an einer möglichst raschen Entscheidung<br />

seines Antrags gesehen wer<strong>de</strong>n muss (AGH Ba-Wü, Beschl. v.<br />

12.2.2001 – 49/00 [I]). In gleicher Weise ist zu sehen, dass <strong>de</strong>r<br />

Verfahrensablauf zur Verleihung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung<br />

Prüfungs- und Bewertungsvorgänge beinhaltet, bei <strong>de</strong>nen zur<br />

Gewährleistung einer sorgfältigen und möglichst richtigen Entscheidung<br />

ein angemessener Zeitraum zur Verfügung stehen<br />

muss.<br />

Zur Ermöglichung einer raschen Verbescheidung <strong>de</strong>r Fachanwaltsanträge<br />

muss die Agin. insbeson<strong>de</strong>re die notwendigen organisatorischen<br />

Voraussetzungen, die eine rasche Bearbeitung<br />

gewährleisten, schaffen, um <strong>de</strong>n ihr übertragenen Aufgaben in<br />

<strong>de</strong>r gesetzlichen Art und Weise nachkommen zu können.<br />

So hat die Agin. für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Erkrankung<br />

von Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Geeignete Vertretungsregelungen<br />

für<br />

Prüfungsausschusses geeignete<br />

Vertretungsregelungen zu schaffen<br />

und hat für <strong>de</strong>n Fall, dass An-<br />

Erkrankungsfälle<br />

träge auf Verleihung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung nicht innerhalb<br />

zumutbarer Zeiträume verbeschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n können,<br />

durch geeignete Maßnahmen, ggf. auch die Bildung eines weiteren<br />

Prüfungsausschusses, die organisatorischen Voraussetzungen<br />

dafür zu schaffen, dass die Anträge zeitnah verbeschie<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n. Die §§ 17 ff. FAO sehen entsprechen<strong>de</strong> Möglichkeiten<br />

ausdrücklich vor. Die erfor<strong>de</strong>rlichen organisatorischen Vorkehrungen<br />

sind dann zu treffen, wenn eine langandauern<strong>de</strong> Bearbeitungszeit<br />

<strong>de</strong>r Anträge für die Agin. absehbar ist, spätestens<br />

dann, wenn eine solche zur Regel zu wer<strong>de</strong>n droht.<br />

Ob und in welchem Umfang <strong>de</strong>rartige organisatorische Vorkehrungen<br />

bei <strong>de</strong>r Agin. getroffen waren, lässt sich aus <strong>de</strong>ren Einlassung<br />

nicht ersehen. Insbeson<strong>de</strong>re wird nicht <strong>de</strong>utlich, weshalb<br />

nach <strong>de</strong>r schweren Erkrankung eines Prüfungsmitglieds <strong>de</strong>s<br />

Prüfungsausschusses im März 2002 keine Vertretung <strong>de</strong>s erkrankten<br />

Mitglieds erfolgen konnte und statt<strong>de</strong>ssen die Bestellung<br />

eines Nachfolgers für das erkrankte Mitglied abgewartet<br />

wer<strong>de</strong>n musste. Auch ist für <strong>de</strong>n Senat nicht erkennbar, wie <strong>de</strong>r<br />

Prüfungsausschuss seine interne Aufgabenverteilung im Regelfalle<br />

vornimmt. Aus diesem Grun<strong>de</strong> leuchtet es auch nicht ein,<br />

weshalb ausschließlich <strong>de</strong>m Berichterstatter <strong>de</strong>s Prüfungsausschusses<br />

die Bearbeitung sämtlicher Verfahren <strong>de</strong>s erkrankten<br />

Mitglieds übertragen wer<strong>de</strong>n mussten. Es lässt sich <strong>de</strong>shalb für<br />

<strong>de</strong>n Senat nicht ersehen, ob und ggf. in welcher Weise hinreichen<strong>de</strong><br />

organisatorische Vorkehrungen getroffen wur<strong>de</strong>n, um<br />

vermeidbaren Verzögerungen bei <strong>de</strong>r Bearbeitung <strong>de</strong>r Anträge<br />

vorzubeugen. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Hinweis <strong>de</strong>r Agin. auf die Vielzahl eingehen<strong>de</strong>r<br />

Anträge erfor<strong>de</strong>rt zur Wahrung <strong>de</strong>r Rechte jener Ast.<br />

eine eingehen<strong>de</strong> Überprüfung, ob die Zahl <strong>de</strong>r eingesetzten Prüfungsausschüsse<br />

ausreichend ist und ob im Falle einer je<strong>de</strong>rzeit<br />

<strong>de</strong>nkbaren Erkrankung von Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Prüfungsausschüsse<br />

hinreichen<strong>de</strong> Vertretungsregelungen vorgesehen sind.<br />

Der Senat verkennt nicht, dass die Prüfungsausschüsse <strong>de</strong>r Agin.<br />

ehrenamtlich besetzt sind und die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Prüfungsausschüsse<br />

erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand in jene ehrenamtliche<br />

Tätigkeit investieren müssen.<br />

Ehrenamtliche Tätigkeit<br />

kein Entschuldigungsgrund<br />

Der Umstand, dass die Prüfungsgremien<br />

<strong>de</strong>r Agin. ehrenamtlich<br />

tätig sind, vermag allerdings am<br />

Rechtsanspruch <strong>de</strong>r Ast. auf zügige<br />

Entscheidung über Anträge<br />

auf Gestattung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung nichts zu än<strong>de</strong>rn.<br />

Vielmehr ist ggf. durch Veranlassung geeigneter organisatorischer<br />

Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass <strong>de</strong>r Belastung <strong>de</strong>r<br />

ehrenamtlichen Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Ausschüsse hinreichend Rechnung<br />

getragen wird (ebenso AGH Ba-Wü, wie vor).<br />

Die Agin. ist in <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen<br />

wor<strong>de</strong>n, dass zum Nachweis hinreichen<strong>de</strong>r organisatorischer<br />

Voraussetzungen ergänzend vorzutragen ist. Innerhalb gesetzter<br />

Frist und einer nach beidseitiger Erledigterklärung gesetzten<br />

weiteren Nachfrist ist eine Stellungnahme <strong>de</strong>r Agin.<br />

nicht erfolgt. Die Agin. ist damit <strong>de</strong>n ihr obliegen<strong>de</strong>n Pflichten<br />

zur Mitwirkung an <strong>de</strong>r Sachverhaltsaufklärung nicht nachgekommen,<br />

die hieraus resultieren<strong>de</strong>n Unklarheiten gehen zu<br />

ihren Lasten (Feuerich/Braun, Rdnr. 27 zu § 40 BRAO m.w.N.).<br />

Von <strong>de</strong>m Grundsatz, dass je<strong>de</strong>r Beteiligte im anwaltsgerichtlichen<br />

Verfahren seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, war<br />

aus <strong>de</strong>n vorgenannten Gegebenheiten abzuweisen. Eine lediglich<br />

teilweise Überlagerung <strong>de</strong>r außergerichtlichen Auslagen<br />

auf die Agin. war <strong>de</strong>shalb auszusprechen, weil <strong>de</strong>r Ast. mit seinem<br />

Hilfsantrag zwar durchgedrungen, mit seinem Hauptantrag<br />

aber unterlegen wäre.<br />

Fachanwalt – Wi<strong>de</strong>rruf einer Fachanwaltbezeichnung<br />

wegen fehlen<strong>de</strong>m Fortbildungsnachweises; FAO § 15<br />

* Die Fortbildungspflicht gem. § 15 FAO betrifft grundsätzlich<br />

alle Fachanwälte ohne Unterschied, wann die Fachanwaltsbezeichnung<br />

verliehen wor<strong>de</strong>n ist.<br />

AGH Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 21.3.2003 – 1 ZU 70/02<br />

AGH Hamm<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Zulassung – vorzeitige Zulassung zum OLG; BRAO<br />

§§ 20 Abs. 1 Nr. 2, 226 Abs. 2<br />

* 1. Nur dort, wo vor <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG das Prinzip<br />

<strong>de</strong>r Singularzulassung galt, konnte die Lan<strong>de</strong>sjustizverwaltung/RAK<br />

nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 BRAO a.F. nach pflichtgemäßem<br />

Ermessen ohne vorherige 5-jährige Tätigkeit eines<br />

RA diesen beim OLG zulassen. Diese Ausnahmeregelung sollte<br />

<strong>de</strong>m Bedürfnis nach einer flexiblen Regelung Rechnung tragen,<br />

um <strong>de</strong>n singular bei <strong>de</strong>m OLG tätigen RA die Möglichkeit zu<br />

eröffnen, auch auf Bewerber zurückgreifen zu können, die<br />

noch nicht so lange als RAe tätig waren.<br />

* 2. Zwar ist § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO als Soll-Vorschrift beibehalten<br />

wor<strong>de</strong>n, jedoch gewährt diese Bestimmung <strong>de</strong>r RAK nur<br />

einen eng begrenzten Ermessensspielraum. Ausnahmsweise<br />

kann die vorzeitige Zulassung nur erteilt wer<strong>de</strong>n, wenn beson<strong>de</strong>re<br />

Umstän<strong>de</strong> vorliegen, die geeignet sind, die Versagung <strong>de</strong>r<br />

Zulassung als <strong>de</strong>m Ast. unzumutbar erscheinen zu lassen.<br />

AGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 4.3.2003 – 1 AGH 1/03<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

1. Der Ast. ist seit <strong>de</strong>m 12.1.1999 als RA beim AG K. und zugleich<br />

beim LG L. zugelassen. Mit einem nicht datierten Antrag,<br />

möglicherweise als Anlage zu seinem Schreiben v. 20.11.2002,<br />

begehrte <strong>de</strong>r Ast. von <strong>de</strong>r Agin. die weitere Zulassung als RA bei<br />

<strong>de</strong>m OLG Z. und führte zur Begründung dieses Antrags im Wesentlichen<br />

aus:


136 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Seit <strong>de</strong>m 30.12.1998 sei er beim AG K. und zugleich beim LG<br />

L. als RA zugelassen. Bereits während <strong>de</strong>s Studiums und seines<br />

Referendariats habe er regelmäßig in <strong>de</strong>r Kanzlei seines Vaters<br />

mitgearbeitet. Seit seiner Zulassung als RA sei er anfangs in allen<br />

Rechtsgebieten tätig gewesen und habe sich nach kurzer<br />

Zeit auf das Zivilrecht beschränkt. Dort habe er sich insbeson<strong>de</strong>re<br />

auf Familienrecht und Arbeitsrecht spezialisiert. Am<br />

31.10.2002 habe ihm die RAK gestattet, die Bezeichnung<br />

„Fachanwalt für Arbeitsrecht“ zu führen. Zwischenzeitlich sei<br />

ihm zusätzlich gestattet, die Bezeichnung „Fachanwalt für Familienrecht“<br />

ebenfalls zu führen.<br />

Zum 1.1.2003 wolle er die Anwaltskanzlei seines Vaters übernehmen.<br />

Der <strong>Schwerpunkt</strong> seiner Tätigkeit liege im Familienrecht,<br />

Erbrecht und Arbeitsrecht. In <strong>de</strong>n letzten drei Jahren habe<br />

er pro Jahr zwischen 300–400 neue Angelegenheiten eigenständig<br />

und selbständig, teilweise auch in Berufungsverfahren<br />

vor <strong>de</strong>m LG, bearbeitet. Im Hinblick auf die Vielzahl <strong>de</strong>r von<br />

ihm bearbeiteten Fälle, die weit über <strong>de</strong>m Durchschnitt gleichaltriger<br />

Kollegen lägen, die ebenfalls vier Jahre als Anwalt zugelassen<br />

sind, gehe er davon aus, dass er in <strong>de</strong>n zurückliegen<strong>de</strong>n<br />

vier Jahren und <strong>de</strong>n davor liegen<strong>de</strong>n weiteren Jahren, in <strong>de</strong>nen<br />

er immer wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Kanzlei seines Vaters diverse Mandanten<br />

betreut habe, ausreichend Erfahrung gesammelt habe, um<br />

zum OLG zugelassen zu wer<strong>de</strong>n. Dies gelte insbeson<strong>de</strong>re im<br />

Hinblick darauf, dass in Familiensachen sämtliche Berufungen<br />

ausschließlich vor <strong>de</strong>m OLG geführt wer<strong>de</strong>n müssten. Er sei <strong>de</strong>r<br />

Meinung, dass ausreichend Tatsachen vorlägen, um von <strong>de</strong>r Regel,<br />

wonach die Zulassung beim OLG versagt wer<strong>de</strong>n solle,<br />

wenn <strong>de</strong>r Ast. nicht fünf Jahre bei einem AG o<strong>de</strong>r LG zugelassen<br />

war, abzuweichen und keine Grün<strong>de</strong> entgegenstehen, ihn<br />

bereits nach vier Jahren als RA bei <strong>de</strong>m OLG zuzulassen.<br />

Die Agin. hat durch Bescheid v. 20.12.2002, <strong>de</strong>m Ast. am<br />

23.12.2002 zugestellt, diesen Antrag zurückgewiesen, weil die<br />

Voraussetzungen für eine OLG-Zulassung nach § 20 Abs. 1 Nr.<br />

2 BRAO (noch) nicht gegeben seien. Der Ast. sei erst seit <strong>de</strong>m<br />

12.1.1999 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, die Fünf-Jahres-<br />

Frist mithin noch nicht erfüllt.<br />

Es gelte auch keine Ausnahmeregelung. § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO<br />

sei auf die Singularzulassung zugeschnitten. Das BVerfG hat in<br />

seiner Entscheidung v. 13.12.2000 die Singularzulassung für<br />

nicht (mehr) verfassungsgemäß erklärt. Seit <strong>de</strong>m 1.7.2002 könnten<br />

mithin alle RAinnen und RAe, die seit min<strong>de</strong>stens fünf Jahren<br />

zur Rechtsanwaltschaft zugelassen seien, die Zulassung an<br />

einem OLG erhalten. Die Regelung <strong>de</strong>s § 20 Abs. 2 BRAO als<br />

Regel-Ausnahme-Verhältnis sei geschaffen wor<strong>de</strong>n, um es singular<br />

beim OLG tätigen Sozietäten zu erleichtern, überdurchschnittlich<br />

geeignete Kollegen für die Tätigkeit als Berufungsanwalt<br />

zu fin<strong>de</strong>n. Es seien daher in Bezirken mit Singularzulassung,<br />

auch im Interesse <strong>de</strong>r Rechtspflege, für beson<strong>de</strong>re<br />

qualifizierte Anwälte Ausnahmen von <strong>de</strong>r Regel <strong>de</strong>s § 20 Abs. 1<br />

Nr. 4 a.F. BRAO in Betracht gekommen. Bezirke mit Singularzulassung<br />

gebe es jedoch nicht mehr. In <strong>de</strong>njenigen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn,<br />

in <strong>de</strong>nen bereits vor <strong>de</strong>m Urt. <strong>de</strong>s BVerfG die Simultanzulassung<br />

möglich war, galt § 20 Abs. 1 Nr. 4 a.F. BRAO nicht. Entsprechend<br />

sei auch heute diese Regelung als absolute Regelung<br />

anzusehen.<br />

Gegen diesen Bescheid hat <strong>de</strong>r Ast. mit Schriftsatz v.<br />

27.12.2002, eingegangen bei AGH Rheinland-Pfalz am<br />

2.1.2003, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und beantragt,<br />

<strong>de</strong>n Beschl. <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r RAK ... aufzuheben und<br />

die RAK ... anzuweisen, über seinen Antrag auf Zulassung zum<br />

OLG ... positiv zu entschei<strong>de</strong>n.<br />

Zur Begründung seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung<br />

bezog sich <strong>de</strong>r Ast. im Wesentlichen auf sein schriftliches Vorbringen<br />

gegenüber <strong>de</strong>r RAK ... . Ergänzend wies er darauf hin,<br />

nach seiner Auffassung han<strong>de</strong>le es sich bei <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>s<br />

§ 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO um eine Ermessensnorm, die ausdrücklich<br />

Ausnahmen zulasse. Von <strong>de</strong>r Regel seien vielmehr auch<br />

dann Ausnahmen zu machen, wenn sachliche Grün<strong>de</strong> dafür<br />

vorlägen. Mit einem nachgereichten Schriftsatz v. 6.2.2003<br />

legte <strong>de</strong>r Ast. die Kopie einer Teilnahmebestätigung v. 1.2.2003<br />

an einer Fortbildungsmaßnahme zum Thema „Berufung und Beschwer<strong>de</strong><br />

in Zivilsachen nach <strong>de</strong>r ZPO-Reform“ vor. In seiner<br />

Person seien daher sachliche Grün<strong>de</strong> gegeben, die seine Zulassung<br />

am OLG gebieten.<br />

Die Agin. ist <strong>de</strong>m Antrag <strong>de</strong>s Ast. entgegengetreten und hat <strong>de</strong>ssen<br />

Zurückweisung beantragt. Sie verwies inhaltlich auf ihren<br />

Bescheid vom 20.12.2002. Ergänzend teilte die Agin. mit, die<br />

Frage, inwieweit § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO auch nach <strong>de</strong>m Wegfall<br />

<strong>de</strong>r Singularzulassung noch Anwendung fin<strong>de</strong> bzw. fin<strong>de</strong>n<br />

könne, sei zurzeit auch Gegenstand einer Rundfrage unter <strong>de</strong>n<br />

RAKn. Dabei hätten alle Kammern, die sich bislang zu dieser<br />

Thematik geäußert hätten, die gleiche Auffassung wie die Agin.<br />

vertreten.<br />

2. Auf mündliche Verhandlung haben bei<strong>de</strong> Beteiligten verzichtet<br />

(§ 40 Abs. 2 Satz 2 BRAO), <strong>de</strong>r Ast. mit Schreiben v.<br />

14.1.2003, die Agin. mit Schreiben v. 17.1.2003. Der Antrag auf<br />

gerichtliche Entscheidung ist zulässig (§ 21 Abs. 2 BRAO). Er ist<br />

auch fristgerecht bei <strong>de</strong>m zur Entscheidung angerufenen AGH<br />

eingelegt wor<strong>de</strong>n (§ 21 Abs. 2 Satz 2 BRAO). Der Antrag ist jedoch<br />

unbegrün<strong>de</strong>t.<br />

Worauf die RAK in ihrem zur gerichtlichen Überprüfung gestellten<br />

Bescheid bereits zutreffend hingewiesen hat, ist die Vorschrift<br />

<strong>de</strong>s § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO, die <strong>de</strong>r Justizverwaltung ein<br />

Ermessen einräumt, im Bereich <strong>de</strong>s § 226 Abs. 2 BRAO unanwendbar<br />

(BGHZ 82, 333; BGH, BRAK-Mitt. 1990, 51; EGH<br />

München, BRAK-Mitt. 1982, 33).<br />

Nur dort, wo das Prinzip <strong>de</strong>r Singularzulassung galt, konnte<br />

nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 a.F. BRAO die Lan<strong>de</strong>sjustizverwaltung<br />

nach pflichtgemäßem Ermessen ohne vorherige fünfjährige<br />

Tätigkeit bei einem LG o<strong>de</strong>r AG einen RA beim OLG zulassen.<br />

Maßgeblich war nämlich, dass die Zulassung bei <strong>de</strong>m OLG in<br />

Folge <strong>de</strong>s bis zur Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG v. 13.12.2000 – 1<br />

BvR 335/97 (BGBl. I 2001, 891) zwangsläufig <strong>de</strong>n Verlust <strong>de</strong>r<br />

Zulassung beim LG und AG gemäß <strong>de</strong>r bis dahin gelten<strong>de</strong>n Vorschrift<br />

<strong>de</strong>s § 25 BRAO nach sich zog.<br />

§ 20 Abs. 1 Nr. 4 a.F.<br />

BRAO als Ausnahmevorschrift<br />

für Singularanwälte<br />

Diese Ausnahmeregelung in § 20<br />

Abs. 1 Nr. 4 a.F. BRAO sollte daher<br />

<strong>de</strong>m Bedürfnis nach einer<br />

flexiblen Regelung Rechnung<br />

tragen, um <strong>de</strong>n singular bei <strong>de</strong>m<br />

OLG tätigen RAen die Möglichkeit<br />

zu eröffnen, auch auf Bewerber zurückgreifen zu können,<br />

die noch nicht so lange als RA tätig waren (BGHZ 56, 381 =<br />

NJW 1971, 1990 = EGE X 50) und mithin nicht durch die Zulassung<br />

als RA bei <strong>de</strong>m OLG auf die Früchte ihrer bisherigen<br />

Tätigkeit als RA mit einer amts- und landgerichtlichen Praxis<br />

verzichten mussten.<br />

Dieses Bedürfnis, <strong>de</strong>m die Ausnahmeregelung <strong>de</strong>s § 20 Abs. 1<br />

Nr. 4 a.F. BRAO Rechnung tragen wollte, konnte aber naturgemäß<br />

dort überhaupt nicht auftreten, wo die Anwälte ihre bisherige<br />

Praxis beim LG und AG auch nach einer Zulassung bei<br />

<strong>de</strong>m OLG weiter führen durften als in <strong>de</strong>n Bezirken mit Simultanzulassung.<br />

Nach<strong>de</strong>m durch die Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG v.<br />

13.12.2000 die Bestimmung <strong>de</strong>s § 25 BRAO als verfassungswidrig<br />

aufgehoben wur<strong>de</strong>, wür<strong>de</strong> mithin eine auf § 20 Abs. 1 Nr.<br />

2 BRAO gestützte vorzeitige Zulassung die Sperrfrist <strong>de</strong>s § 226<br />

Abs. 2 BRAO unterlaufen und damit zu einer Aushöhlung dieser<br />

Vorschrift führen.


BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 137<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Nach <strong>de</strong>r Vorstellung <strong>de</strong>s Gesetzgebers, die <strong>de</strong>m § 226 Abs. 2<br />

BRAO zugrun<strong>de</strong> liegt, sollen beim OLG nur Anwälte tätig wer<strong>de</strong>n,<br />

die durch eine min<strong>de</strong>stens fünfjährige anwaltliche Berufsausübung<br />

bereits eine gewisse Erfahrung gesammelt haben<br />

(BGHZ 56, 381 = NJW 1971, 1990).<br />

Durch die Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG v. 13.12.2000 wur<strong>de</strong> auch<br />

§ 226 Abs. 2 BRAO insoweit betroffen, als die dort erfolgten Beschränkungen<br />

auf die genannten Län<strong>de</strong>r mit bereits vorhan<strong>de</strong>ner<br />

Simultanzulassung ab 1.7.2002 gegenstandslos wur<strong>de</strong>n.<br />

§ 226 Abs. 2 BRAO besagt also nunmehr, dass die bei <strong>de</strong>n LG<br />

zugelassenen RAe auf Antrag zugleich bei <strong>de</strong>m übergeordneten<br />

OLG zugelassen wer<strong>de</strong>n können, wenn sie fünf Jahre lang bei<br />

einem Gericht <strong>de</strong>s 1. Rechtszuges zugelassen waren.<br />

Diese Voraussetzung ist in <strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s Ast. unstreitig nicht gegeben.<br />

Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft besitzt <strong>de</strong>r Ast.<br />

noch keine fünf Jahre. § 226 Abs. 2 BRAO in seiner ab <strong>de</strong>m<br />

1.7.2002 maßgeblichen Fassung stellt heute die gesetzliche<br />

Grundlage dar, wonach die (weitere) Zulassung bei <strong>de</strong>m OLG<br />

beantragt wer<strong>de</strong>n kann, sofern <strong>de</strong>r Ast. bereits fünf Jahre lang bei<br />

einem LG <strong>de</strong>s 1. Rechtszuges zugelassen war.<br />

Der Gesetzgeber hat die Anwendung <strong>de</strong>s § 20 Abs. 1 Nr. 4 a.F.<br />

BRAO seinerzeit in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn mit Simultanzulassung bewusst<br />

ausschließen wollen, wie aus <strong>de</strong>r ursprünglich unterschiedlichen<br />

Fassung <strong>de</strong>r Absätze 2 und 3 <strong>de</strong>s § 226 BRAO abzuleiten<br />

ist. Denn während <strong>de</strong>r durch Art. 1 Nr. 2 <strong>de</strong>s Gesetzes v.<br />

24.10.1972 (BGBl. I, 2013) aufgehobene Abs. 3 die Ermessensvorschrift<br />

<strong>de</strong>s § 20 Abs. 2 Nr. 4 a.F. BRAO ausdrücklich für entsprechend<br />

anwendbar erklärte, fehlte und fehlt eine solche Verweisung<br />

in § 226 Abs. 2 BRAO (vgl. hierzu BHZ in NJW 1982,<br />

1399).<br />

Bereits in seiner Entscheidung v. 12.7.1971 (BGH, NJW 1971,<br />

1990) hatte <strong>de</strong>r BGH die Regelung in § 226 Abs. 2 BRAO als mit<br />

<strong>de</strong>m GG vereinbar ausdrücklich bestätigt. § 226 Abs. 2 BRAO<br />

verletzt nicht das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Der sachlich<br />

vertretbare Sinn <strong>de</strong>r in § 226 Abs. 2 BRAO getroffenen gesetzlichen<br />

Regelung liegt darin, dass nach <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Gesetzgebers<br />

beim OLG nur Anwälte tätig wer<strong>de</strong>n sollen, die bereits<br />

eine gewisse Berufungserfahrung gesammelt haben (BGHZ<br />

37, 247 = NJW 62, 1821). Dabei durfte <strong>de</strong>r Gesetzgeber auch<br />

davon absehen, bei <strong>de</strong>r Beurteilung ausreichen<strong>de</strong>r Berufungserfahrung<br />

auf <strong>de</strong>n Einzelfall abzustellen, son<strong>de</strong>rn durfte mit <strong>de</strong>r<br />

fünfjährigen Wartefrist für alle Bewerber eine pauschale Regelung<br />

einführen, welche die Streitigkeiten und Unzuträglichkeiten<br />

einer Prüfung im Einzelfall erspart (BGH, Beschl. v.<br />

12.7.1971, NJW 1971, 1990, 1991 linke Spalte).<br />

Nur eng begrenzter<br />

Ermessensspielraum<br />

für RAK<br />

Die Sollvorschrift <strong>de</strong>s § 20 Abs. 1<br />

Nr. 2 BRAO ist zwar auch nach<br />

<strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s § 20 Abs. 1<br />

durch Art. 3 § 14 <strong>de</strong>s Gesetzes v.<br />

16.2.2001 (BGBl. I, 266) beibehalten<br />

wor<strong>de</strong>n, jedoch gewährt diese Bestimmung <strong>de</strong>r Justizverwaltung<br />

und damit <strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Zulassungsantrag zu entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

RAK nur einen eng begrenzten Ermessenspielraum.<br />

Ausnahmsweise kann daher die Zulassung nur erteilt<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn beson<strong>de</strong>re Umstän<strong>de</strong> vorliegen, die geeignet<br />

sind, die Versagung <strong>de</strong>r Zulassung als <strong>de</strong>m Ast. unzumutbar erscheinen<br />

zu lassen (BGH, NJW-RR 1999, 572). Ohne <strong>de</strong>rartige<br />

Umstän<strong>de</strong> wäre daher je<strong>de</strong> – ausnahmsweise – Zulassung ermessensfehlerhaft<br />

und auch nur dann, wenn <strong>de</strong>rartige Umstän<strong>de</strong><br />

vorliegen, gewährt das Gesetz überhaupt Raum für<br />

eine Ermessensentscheidung. In <strong>de</strong>n typischen Fällen <strong>de</strong>s § 20<br />

Abs. 1 BRAO be<strong>de</strong>utet daher das „Soll“ ein „Muss“.<br />

Die berufliche Qualifikation <strong>de</strong>s Ast. und auch sein Wunsch, die<br />

Kanzlei seines Vaters zum 1.1.2003 zu übernehmen – an<strong>de</strong>re<br />

Tatsachen sind nicht vorgetragen – rechtfertigen daher nicht die<br />

Annahme eines atypischen Falles, bei <strong>de</strong>m die Versagung <strong>de</strong>r<br />

Zulassung als <strong>de</strong>m Ast. unzumutbar erscheinen könnte. Der<br />

Agin. war es daher versagt, überhaupt in eine Prüfung einzutreten,<br />

ob in <strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s Ast. beson<strong>de</strong>re Umstän<strong>de</strong> vorliegen,<br />

die eine Entscheidung im Rahmen <strong>de</strong>s § 20 Abs. 1 BRAO erfor<strong>de</strong>rlich<br />

machen.<br />

Fachanwalt – zum Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer<br />

Erfahrungen; FAO §§ 5e, 6<br />

* 1. Als Anknüpfungstatsache für <strong>de</strong>n formalisierten Nachweis<br />

<strong>de</strong>r praktischen Erfahrungen ist <strong>de</strong>r Umstand wesentlich, dass<br />

<strong>de</strong>r Bewerber <strong>de</strong>n von ihm benannten Fall als <strong>de</strong>r maßgebliche,<br />

für <strong>de</strong>n Gang <strong>de</strong>s Verfahrens verantwortliche Sachbearbeiter<br />

selbständig geführt hat.<br />

* 2. Ergeben sich an dieser Zurechnung ernsthafte und nachhaltige<br />

Zweifel, die sich auch durch Einsicht in das Aktenmaterial<br />

o<strong>de</strong>r durch Erklärungen <strong>de</strong>s Bewerbers nicht ausräumen<br />

lassen, so muss <strong>de</strong>r Bewerber nach <strong>de</strong>m Rechtsgedanken <strong>de</strong>s<br />

§ 6 FAO hinnehmen, dass die zweifelhaften Fälle bei <strong>de</strong>r Zählung<br />

nicht in Betracht kommen.<br />

AGH Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, Beschl. v. 24.2.2003 – AGH<br />

33/2001 (I)<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Zulassung – zur Wartefrist für die Zulassung zum<br />

Oberlan<strong>de</strong>sgericht; BRAO § 20 Abs. 1 Nr. 2<br />

* 1. Die fünfjährige Wartefrist, die <strong>de</strong>r Gesetzgeber vor einer<br />

Zulassung von RAen bei einem OLG for<strong>de</strong>rt, ist durch vernünftige<br />

Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls gerechtfertigt.<br />

* 2. In Berufungsverfahren von <strong>de</strong>m OLG erscheint es vernünftig,<br />

wenn durch die Wartefrist als Zulassungserfor<strong>de</strong>rnis<br />

sichergestellt wird, dass nur solche Anwälte die Parteiinteressen<br />

vor <strong>de</strong>m OLG auch in zweiter Instanz selbständig vertreten<br />

können, die bereits über eine gewisse Berufserfahrung verfügen.<br />

Nie<strong>de</strong>rsächsischer AGH, Beschl. v. 26.2.2003 – AGH 31/02<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Fachanwalt – zum Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer<br />

Erfahrungen im Fachgebiet Strafrecht; FAO §§ 5f, 6<br />

Abs. 3, 7 a.F.<br />

* § 5f FAO ist nicht dahin auszulegen, dass grundsätzlich nur<br />

solche Fälle zu zählen sind, die vollständig – also von Beginn<br />

bis zum En<strong>de</strong> – in <strong>de</strong>m entsprechen<strong>de</strong>n Zeitraum bearbeitet<br />

wur<strong>de</strong>n. Eine solche For<strong>de</strong>rung wäre we<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Wortlaut<br />

noch mit Sinn und Zweck <strong>de</strong>r Vorschrift in Einklang zu bringen.<br />

Thüringer AGH, Beschl. v. 4.2.2003 – AGH 8/01<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Fachanwalt – Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

wegen Untätigkeit; BRAO § 223 Abs. 2<br />

* Die erstmalige Reaktion eines Prüfungsausschusses einer RAK<br />

rund 5 1/2 Monate nach Eingang eines Antrags auf Gestattung<br />

<strong>de</strong>s Führens einer Fachanwaltsbezeichnung stellt einen unvertretbar<br />

langen Zeitraum dar, selbst wenn man in Erwägung<br />

zieht, dass ein solcher Ausschuss nicht wöchentlich o<strong>de</strong>r monatlich<br />

zusammentreten kann.<br />

Thüringer AGH, Beschl. v. 20.12.2002 – AGH 6/01<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>


138 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Fachanwalt – zum Nachweis beson<strong>de</strong>rer praktischer<br />

Erfahrungen im Fachgebiet Steuerrecht; FAO §§ 5b, 6<br />

* 1. Der Gegenstand einer Angelegenheit in einer Fallliste bedarf<br />

einer aussagefähigen Bezeichnung, die sich im Interesse<br />

einer ordnungsgemäßen Überprüfbarkeit im Regelfall nicht auf<br />

ein bloßes Schlagwort beschränken darf. Darüber hinaus muss<br />

auch Art und Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit näher dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

* 2. Lässt <strong>de</strong>r Ast. es vielfach offen, ob er überhaupt für einzelne<br />

Rechtsbehelfe mehr als floskelhafte Begründungen gefertigt<br />

hat, lässt dies keinesfalls ausreichend erkennen, dass er<br />

über ausreichen<strong>de</strong> praktische Erfahrungen im Steuerrecht verfügt,<br />

die über bloße allein steuertechnische Fähigkeiten einer<br />

Hilfskraft hinausgehen und damit als ausreichend gewichtig gewertet<br />

wer<strong>de</strong>n können.<br />

Bayerischer AGH, Beschl. v. 6.11.2002 – BayAGH I – 14/02<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Der Ast. ist seit März 1996 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.<br />

Mit Schreiben v. 2.7.1999, eingegangen am selben Tage, hat <strong>de</strong>r<br />

Ast. beantragt, ihm die Führung <strong>de</strong>r Berufsbezeichnung „Fachanwalt<br />

für Steuerrecht“ zu gestatten. Zum Nachweis <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren<br />

theoretischen Kenntnisse legte er ein Teilnahmezertifikat<br />

betreffend einen 6-wöchigen Fachlehrgang <strong>de</strong>s DAI vom November<br />

1995 vor. Danach sei er von April bis September 1996<br />

freier Mitarbeiter einer Steuerberaterin gewesen.<br />

Zum Nachweis <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren praktischen Erfahrungen reichte<br />

<strong>de</strong>r Ast. eine Liste ein, in <strong>de</strong>r 101 Fälle aufgeführt sind (Anlage<br />

A 3). Als Bearbeitungszeitraum ist eine Zeitspanne von März<br />

1996 bis Juni 1999 angegeben.<br />

Mit Schreiben v. 4.10.1999 teilte <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Prüfungsausschusses<br />

„Fachanwalt für Steuerrecht“ <strong>de</strong>m Ast. mit, dass die<br />

vorgelegte Fallliste die gem. § 6 Abs. 3 FAO nachzuweisen<strong>de</strong>n<br />

beson<strong>de</strong>ren praktischen Erfahrungen nicht ausreichend dokumentiere.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re wur<strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>nken geäußert, dass Art<br />

und Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit nicht ausreichend angegeben seien.<br />

Der Ast. wur<strong>de</strong> zu ergänzen<strong>de</strong>n Angaben gebeten.<br />

Nach<strong>de</strong>m trotz weiterer Schreiben v. 1.12.1999 und 4.7.2000<br />

keine <strong>de</strong>rartigen sachlichen Ergänzungen erfolgten, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Ast. mit Schreiben v. 11.10.2000 zu einem Fachgespräch vorgela<strong>de</strong>n.<br />

Mit Schreiben v. 24.10.2000 legte <strong>de</strong>r Ast. daraufhin eine ergänzte<br />

Fallliste (Anlage A 6) vor, die insgesamt 100 Fälle aus<br />

<strong>de</strong>mselben Bearbeitungszeitraum umfasst.<br />

Mit Schreiben v. 31.5.2001 wur<strong>de</strong> erneut zu einem Fachgespräch<br />

für 3.7.2001 eingela<strong>de</strong>n. Auf Nachfrage erklärte <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Prüfungsausschusses mit Schreiben v. 21.6.2001,<br />

auch die neue Liste enthalte überwiegend offensichtlich einfach<br />

gelagerte Steuerklärungsfragen. Das Fachgespräch sei daher erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Ast. hierzu wie<strong>de</strong>r nicht erschien, wur<strong>de</strong> ihm mit<br />

Schreiben v. 16.7.2001 eröffnet, dass nunmehr über seinen Antrag<br />

nach Aktenlage entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>. Es wäre aber hilfreich,<br />

wenn er Fälle aus jüngster Tätigkeit benennen und dabei vor allem<br />

<strong>de</strong>n „Gegenstand <strong>de</strong>r steuerlichen Beratung sowie auch Art<br />

und Umfang“ seiner Tätigkeit hinreichend präzisieren könne,<br />

damit diese für die Kammer nachvollziehbar wer<strong>de</strong>.<br />

Der Ast. erwi<strong>de</strong>rte mit Schreiben v. 14.9.2001, er vermöge nicht<br />

zu erkennen, in welcher Hinsicht die nunmehr eingereichte<br />

Fallliste unzureichend sei. Er habe sich dabei an die im Jahre<br />

1995/1996 von <strong>de</strong>r Kammer herausgegebenen Hinweise zur<br />

Antragstellung gehalten.<br />

Mit Bescheid v. 27.3.2002 (Anlage A 12) wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Antrag auf<br />

Erteilung <strong>de</strong>r Erlaubnis zur Führung <strong>de</strong>r Bezeichnung „Fachanwalt<br />

für Steuerrecht“ zurückgewiesen. In <strong>de</strong>r Begründung ist<br />

ausgeführt, <strong>de</strong>r Ast. habe <strong>de</strong>n Nachweis <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren praktischen<br />

Erfahrungen auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s Steuerrechts nicht erbracht.<br />

Trotz mehrfacher Hinweise auf § 6 Abs. 3 FAO habe er<br />

keine Fallliste eingereicht, die es erlauben wür<strong>de</strong>, die hiernach<br />

erfor<strong>de</strong>rlichen Tätigkeitsnachweise ausreichend nachzuvollziehen.<br />

Gegen diesen am 18.4.2002 zugestellten Bescheid wen<strong>de</strong>t sich<br />

<strong>de</strong>r Ast. mit seinem am 21.5.2002 eingegangenen Antrag auf gerichtliche<br />

Entscheidung. Er trägt vor, er habe sich bei Abfassung<br />

an das von <strong>de</strong>r Kammer herausgegebene Muster (Anlage A 2) gehalten.<br />

Er erachte je<strong>de</strong>nfalls die zuletzt eingereichte Zusammenstellung<br />

für ausreichend. Dort sei auch vielfach <strong>de</strong>r Beratungsgegenstand<br />

genannt. Weshalb seine Angaben unzureichend<br />

sein sollten, sei für ihn nicht nachvollziehbar, da er „Art<br />

und Umfang, Zeitraum und Gegenstand“ seiner Tätigkeit hinreichend<br />

dargestellt habe. Eine beispielhafte Darstellung in <strong>de</strong>r<br />

gewünschten Form sei ihm niemals übermittelt wor<strong>de</strong>n.<br />

Die Agin. beantragt, <strong>de</strong>n Antrag zurückzuweisen. Auch die<br />

überarbeitete Fallliste genüge nicht <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s § 6<br />

Abs. 3 FAO, <strong>de</strong>r in dieser Fassung bereits seit 11.3.1997 gelte.<br />

Früher habe es allerdings genügt, Allgemeinbescheinigungen<br />

o<strong>de</strong>r geeignete Unterlagen vorzulegen. Die 1995 herausgegebenen<br />

Muster, auf die sich <strong>de</strong>r Ast. bezieht, seien daher überholt.<br />

Derzeit wer<strong>de</strong> als Muster die in Anlage 6 zur Antragserwi<strong>de</strong>rung<br />

beigefügte Fassung verwen<strong>de</strong>t. Im Einzelnen wird auf<br />

die Antragserwi<strong>de</strong>rung v. 19.8.2002 samt Anlagen verwiesen.<br />

II. Der gem. § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO statthafte und im Übrigen<br />

zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist in <strong>de</strong>r Sache<br />

unbegrün<strong>de</strong>t.<br />

Die Agin. hat sich zu Recht nicht in <strong>de</strong>r Lage gesehen, aus <strong>de</strong>n<br />

eingereichten Unterlagen ausreichen<strong>de</strong> praktische Erfahrungen<br />

<strong>de</strong>s Ast. als dargetan erachten zu können.<br />

1. Nach § 5 FAO ist <strong>de</strong>r Erwerb beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen<br />

in <strong>de</strong>r Regel nachgewiesen, wenn <strong>de</strong>r Bewerber innerhalb<br />

<strong>de</strong>r letzten drei Jahre vor Antragstellung im Fachgebiet<br />

Steuerrecht (§ 5b FAO) 50 Fälle selbständig bearbeitet hat. Dabei<br />

müssen min<strong>de</strong>stens 10 Fälle rechtsförmige Verfahren sein.<br />

Nach § 6 Abs. 3 FAO sind zum Nachweis dafür Falllisten vorzulegen,<br />

die neben <strong>de</strong>r Bezeichnung <strong>de</strong>r Vorgänge insbeson<strong>de</strong>re<br />

Angaben zu Gegenstand, Art und Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

enthalten müssen.<br />

Der Gegenstand <strong>de</strong>r Angelegenheit bedarf dabei einer aussagefähigen<br />

Bezeichnung, die im Interesse einer ordnungsgemäßen<br />

Überprüfbarkeit im Regelfall sich nicht auf ein bloßes Schlagwort<br />

beschränken darf.<br />

Auch Art und Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

muss näher dargestellt wer<strong>de</strong>n<br />

(Hartung/Holl, Anwaltliche<br />

Berufsordnung, 2. Aufl., § 6 FAO<br />

Rdnr. 42 u. 44).<br />

Darstellung von Art<br />

und Umfang <strong>de</strong>r<br />

Tätigkeit<br />

2. Der Ast. hat diese Anfor<strong>de</strong>rungen bei <strong>de</strong>r Abfassung seiner<br />

Fallliste weitgehend nicht ausreichend beachtet.<br />

Sie enthält auch in <strong>de</strong>r nachgebesserten Fassung keine aussagefähigen<br />

Angaben zum Gegenstand und sieht nicht einmal eine<br />

eigene Rubrik für Art und Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit vor. Dies wird<br />

allenfalls unter <strong>de</strong>r Überschrift „Gegenstand“ in einzelnen Fällen<br />

mit einem einzigen Schlagwort, wie „Beratung“ o<strong>de</strong>r „Einspruch“<br />

bezeichnet, ohne dass dies auch nur annähernd erkennen<br />

ließe, welches Maß an geistiger Auseinan<strong>de</strong>rsetzung bzw.<br />

Durchdringung fachbezogener Fragen im Einzelfall zu leisten<br />

war.<br />

Damit fehlt bereits eine ausreichen<strong>de</strong> Behauptung bzw. Darstellung<br />

fachbezogener praktischer Erfahrungen, mit <strong>de</strong>ren an-


BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 139<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

genommener Glaubhaftigkeit die Kammer von einem Nachweis<br />

ausgehen könnte. Vielmehr lässt <strong>de</strong>r Ast. es vielfach offen,<br />

ob er überhaupt für einzelne Rechtsbehelfe mehr als floskelhafte<br />

Begründungen gefertigt hat (z.B. 63, 66, 69, 84, 89,<br />

91, 94, 97 und 100). In <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong>n Zahl <strong>de</strong>r Fälle han<strong>de</strong>lt<br />

es sich lediglich um die Fertigung von Steuererklärungen<br />

ohne weitere Angaben (44 Fälle) o<strong>de</strong>r mit kurz bezeichneter<br />

Darstellung zu einem einzelnen Problem im Zusammenhang<br />

damit (20 Fälle). Damit kann im Ergebnis nicht zweifelhaft<br />

sein, dass diese Aufstellung, auch wenn sie insgesamt mit 100<br />

Fällen das vorgeschriebene Min<strong>de</strong>stmaß übertrifft, keinesfalls<br />

ausreichend erkennen lässt, dass <strong>de</strong>r Ast. über ausreichen<strong>de</strong><br />

praktische Erfahrungen im Steuerrecht verfügt, die über bloße<br />

allein steuertechnische Fähigkeiten einer Hilfskraft hinausgehen<br />

und damit als ausreichend gewichtig gewertet wer<strong>de</strong>n<br />

kann.<br />

Zwar durfte die Agin. die vom Ast. vorgelegte Fallliste nicht ohne<br />

weiteres als unzureichend behan<strong>de</strong>ln und ein Fachgespräch anbieten.<br />

Vielmehr obliegt ihr im Rahmen ihrer Prüfungspflicht<br />

gem. § 43c Abs. 2 BRAO auch die Verpflichtung, alle Tatsachen<br />

aufzuklären, die für ihre Entscheidung rechtlich be<strong>de</strong>utsam sein<br />

könnten. Im Rahmen ihrer Pflicht, rechtliches Gehör zu gewähren,<br />

war sie daher auch gehalten, einen nicht ausreichend<br />

substantiierten Sachvortrag erst dann zurückzuweisen, wenn sie<br />

vorher auf eine Ergänzung <strong>de</strong>s Sachvortrags hingewirkt hatte.<br />

Sie war daher verpflichtet, <strong>de</strong>n Ast. durch konkrete Auflagen zur<br />

Ergänzung seiner Antragsbegründung anzuhalten und ihm dazu<br />

angemessene Ausschlussfristen zu setzen. Diese Grundsätze <strong>de</strong>s<br />

Senats (vgl. Beschl. v. 16.12.1999 – I-6/98) hat die Kammer jedoch<br />

mit ihrem Schreiben v. 4.10.1999 ausreichend beachtet.<br />

Sie hat zu<strong>de</strong>m mit Schreiben v. 16.7.2001 erneut angeregt, doch<br />

die Falllisten umfangreicher zu gestalten, damit Art und Umfang<br />

<strong>de</strong>r Tätigkeit in ihrem Aussagegehalt nachvollzogen wer<strong>de</strong>n<br />

könnten.<br />

Auch soweit sich <strong>de</strong>r Ast. auf ein Muster <strong>de</strong>r Kammer beruft,<br />

berücksichtigt er nicht ausreichend, dass dieses vor <strong>de</strong>r Geltung<br />

<strong>de</strong>s § 6 Abs. 3 FAO in seiner jetzigen Form abgefasst wur<strong>de</strong> und<br />

damit bei Antragstellung offensichtlich überholt war. Es war ihm<br />

auch zumutbar, falls er dies für notwendig erachten sollte, insoweit<br />

ein neues Muster bei <strong>de</strong>r Kammer anzufor<strong>de</strong>rn.<br />

3. Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Antrag auf gerichtliche Entscheidung aus <strong>de</strong>n<br />

vorgenannten Grün<strong>de</strong>n ohne Erfolg blieb, war er zurückzuweisen.<br />

Zulassungsversagung – zu <strong>de</strong>n Voraussetzungen einer<br />

Aussetzung <strong>de</strong>s Zulassungsverfahrens; BRAO §§ 7<br />

Nr. 5, 10<br />

* 1. Die Entscheidung über <strong>de</strong>n Antrag auf Zulassung zur<br />

Rechtsanwaltschaft kann gem. § 10 Abs. 1 BRAO ausgesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn gegen <strong>de</strong>n Bewerber wegen <strong>de</strong>s Verdachts einer<br />

Straftat ein Ermittlungsverfahren o<strong>de</strong>r ein strafgerichtliches<br />

Verfahren schwebt.<br />

* 2. Eine Aussetzung kommt dann in Betracht, wenn <strong>de</strong>r Vorwurf,<br />

<strong>de</strong>r Gegenstand <strong>de</strong>s Straf- o<strong>de</strong>r Ermittlungsverfahrens ist,<br />

unterstellt, er wür<strong>de</strong> sich als begrün<strong>de</strong>t herausstellen, allein<br />

o<strong>de</strong>r i.V.m. an<strong>de</strong>ren Tatsachen einen Versagungsgrund nach § 7<br />

Nr. 5 BRAO abgeben wür<strong>de</strong>.<br />

* 3. Liegt die <strong>de</strong>m Ast. zur Last gelegte Tat schon einige Zeit<br />

zurück, muss <strong>de</strong>r Zeitablauf auch unter Beachtung <strong>de</strong>s Grundsatzes<br />

<strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit nicht zwangsläufig dazu führen,<br />

dass die Entscheidung <strong>de</strong>s Ag. aufzuheben wäre. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re,<br />

wenn es sich bei <strong>de</strong>r Tat um einen nicht unerheblichen<br />

Angriff auf die Rechtspflege han<strong>de</strong>lt.<br />

Bayerischer AGH, Beschl. v. 10.7.2002 – BayAGH I – 20/01 (n.r.)<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Orientierungssätze/*Leitsätze <strong>de</strong>r Redaktion<br />

Rechtsfehlerhafte Bestellung <strong>de</strong>s Rechtsanwalts zum<br />

Pflichtverteidiger; StPO §§ 142, 146<br />

* 1. Die Bestellung eines vom Beschuldigten bezeichneten RA<br />

zum Pflichtverteidiger darf nicht allein mit Rücksicht auf die<br />

abstrakte Gefahr einer Interessenkollision abgelehnt wer<strong>de</strong>n,<br />

da diese sich für einen Verteidiger schon daraus ergeben kann,<br />

dass er die Verteidigung eines Beschuldigten übernimmt, obgleich<br />

er zuvor schon einen an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>rselben Tat Beschuldigten<br />

verteidigt hat.<br />

* 2. Dies hin<strong>de</strong>rt jedoch auch in einem Fall sukzessiver Mehrfachverteidigung<br />

nicht schlechthin die Ablehnung <strong>de</strong>r Beiordnung<br />

<strong>de</strong>s gewünschten RA zum Pflichtverteidiger aus <strong>de</strong>m<br />

wichtigen Grund <strong>de</strong>r konkreten Gefahr eines Interessenkonflikts.<br />

* 3. Bei <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>s wichtigen Grunds <strong>de</strong>r konkreten Gefahr<br />

einer Interessenkollision, welcher die Ablehnung <strong>de</strong>r Bestellung<br />

gem. § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO rechtfertigt, steht <strong>de</strong>m<br />

zuständigen Gerichtsvorsitzen<strong>de</strong>n ein Beurteilungsspielraum<br />

zu, <strong>de</strong>r nicht <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n Nachprüfung durch das Revisionsgericht<br />

unterliegt.<br />

BGH, Beschl. v. 15.1.2003 – 5 StR 251/02<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Gebühren – zur Anwendung <strong>de</strong>s Gebührenabschlags<br />

auf eine überörtliche Sozietät; Einigungsvertrag<br />

Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt I Nr. 26 a;<br />

ZPO § 18<br />

1. Der Gebührenabschlag nach Satz 1 <strong>de</strong>r Einigungsvertragsmaßgabe<br />

zur BRAGO ist auch auf eine überörtliche Sozietät<br />

anzuwen<strong>de</strong>n, wenn ein Mitglied dieser Sozietät, das seine<br />

Kanzlei im Beitrittsgebiet eingerichtet hat, die mandatsbezogenen<br />

Handlungen vorgenommen hat, welche die Gebührentatbestän<strong>de</strong><br />

ausgelöst haben.<br />

2. Das Land Berlin ist nicht als Beteiligter mit Sitz o<strong>de</strong>r Wohnsitz<br />

im Beitrittgebiet i.S.v. Satz 2 <strong>de</strong>r Einigungsvertragsmaßgabe<br />

zur BRAGO anzusehen.<br />

BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – V ZB 23/02<br />

(Zur Verfassungswidrigkeit einer Ermäßigung <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r<br />

BRAGO zu berechnen<strong>de</strong>n Gebühren für die Tätigkeit von RAen<br />

mit Kanzleisitz in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn vgl. BVerfG, Beschl.<br />

v. 28.1.2003 – 1 BvR 487/01, BRAK-Mitt. 2003, 74 m.<br />

Anm. Kirchberg)<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>


140 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Zu einer Imagewerbung enthaltenen Stellenanzeige;<br />

RBerG Art. 1 § 1; UWG §§ 1, 3<br />

Eine Stellenanzeige kann zugleich eine werbemäßige Selbstdarstellung<br />

<strong>de</strong>s inserieren<strong>de</strong>n Unternehmens enthalten. Eine<br />

solche Imagewerbung, die nicht hinter <strong>de</strong>r Suche nach Arbeitskräften<br />

zurücktritt, muss wegen ihrer Werbewirkung mit<br />

<strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>s lauteren Wettbewerbs vereinbar sein.<br />

BGH, Urt. v. 5.12.2002 – I ZR 115/00<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Zum Vertretungszwang vor <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sfinanzhof;<br />

ZPO § 78b; FGO §§ 62a, 115<br />

* 1. Die Regelung über <strong>de</strong>n Vertretungszwang vor <strong>de</strong>m BFH ist<br />

verfassungsgemäß.<br />

* 2. Der Antrag auf Beiordnung eines gem. § 62a FGO zur Vertretung<br />

vor <strong>de</strong>m BFH berechtigten Prozessbevollmächtigten<br />

hat keinen Erfolg, wenn eine nicht zugelassene Revision eingelegt<br />

wer<strong>de</strong>n soll, da eine <strong>de</strong>rartige Rechtsverfolgung aussichtslos<br />

ist.<br />

BFH, Beschl. v. 7.10.2002 – VIII R 41/02<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

Die Revision <strong>de</strong>r Kl. und Revisionskl. (Kl.) ist unzulässig.<br />

1. Vor <strong>de</strong>m BFH muss sich je<strong>de</strong>r Beteiligte, sofern es sich nicht<br />

um eine juristische Person <strong>de</strong>s öffentlichen Rechts o<strong>de</strong>r um eine<br />

Behör<strong>de</strong> han<strong>de</strong>lt, durch einen StB, Steuerbevollmächtigten, RA,<br />

nie<strong>de</strong>rgelassenen europäischen RA, WP o<strong>de</strong>r vereidigten Buchprüfer<br />

als Bevollmächtigten vertreten lassen; zur Vertretung berechtigt<br />

sind ferner Steuerberatungsgesellschaften, RA-Gesellschaften,<br />

Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften<br />

sowie zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in<br />

Steuersachen befugte Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen<br />

<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m vorherigen Halbs. aufgeführten Berufsangehörigen<br />

tätig wer<strong>de</strong>n (§ 62a FGO).<br />

§ 62a FGO ist<br />

verfassungsgemäß<br />

Die Regelung über <strong>de</strong>n Vertretungszwang<br />

vor <strong>de</strong>m BFH ist verfassungsgemäß<br />

(vgl. Beschl. <strong>de</strong>s<br />

BVerfG v. 11.10.1976 – 1 BvR<br />

373/76, Höchstrichterliche Finanzrspr. 1977, 33; v. 23.12.1977<br />

– 1 BvR 322/75, – 1 BvR 393/77, Steuerrspr. in Karteiform, Gesetz<br />

zur Entlastung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sfinanzhofs, Rechtsspruch 38;<br />

BFH-Beschl. v. 24.2.1986 – VIII E 9/85, BFH/NV 1989, 40; v.<br />

8.3.1994 – VII B 21/94, BFH/NV 1994, 812; v. 21.6.1999 – VII<br />

B 116/99, BFH/NV 1999, 1612).<br />

Im Streitfall ist die Revision nicht von einer Person o<strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

mit <strong>de</strong>r o. bez. Berufszugehörigkeit eingelegt wor<strong>de</strong>n. Es<br />

ist unstreitig, dass <strong>de</strong>r Bevollmächtigte <strong>de</strong>r Kl. nicht Angehöriger<br />

einer <strong>de</strong>r o.g. Berufe ist. Die Einlegung <strong>de</strong>r Revision ist daher<br />

unwirksam.<br />

2. Die Revision ist außer<strong>de</strong>m auch <strong>de</strong>shalb unzulässig, weil we<strong>de</strong>r<br />

das FG noch <strong>de</strong>r BFH sie zugelassen hat. Gemäß § 115 Abs.<br />

1 FGO steht <strong>de</strong>n Beteiligten die Revision an <strong>de</strong>n BFH nur zu,<br />

wenn das FG o<strong>de</strong>r auf Beschwer<strong>de</strong> gegen die Nichtzulassung<br />

<strong>de</strong>r BFH sie zugelassen hat. Hierdurch hat das FG in <strong>de</strong>r Rechtsmittelbelehrung<br />

ausdrücklich hingewiesen. Der erkennen<strong>de</strong><br />

Senat hat mit Beschl. VIII B 122/02 vom heutigen Tage die Beschwer<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Kl. als unzulässig verworfen.<br />

3. Sollte sich <strong>de</strong>r hilfsweise gestellte Antrag in <strong>de</strong>m Schreiben<br />

<strong>de</strong>s Bevollmächtigten v. 19.6.2002 auf Beiordnung eines gem.<br />

§ 62a FGO zur Vertretung vor <strong>de</strong>m BFH berechtigten Prozessbevollmächtigten<br />

auch auf das vorliegen<strong>de</strong> Verfahren beziehen,<br />

hätte er keinen Erfolg. Denn gem. § 155 FGO i.V.m. § 78b Abs. 1<br />

ZPO ist Voraussetzung für die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten<br />

u.a., dass die Rechtsverfolgung o<strong>de</strong>r Rechtsverteidigung<br />

nicht mutwillig o<strong>de</strong>r aussichtslos erscheint. Im Streitfall ist<br />

die Rechtsverfolgung aber aussichtslos, weil die Einlegung einer<br />

nicht zugelassenen Revision keinen Erfolg haben kann.<br />

4. Dem Antrag auf Ruhen <strong>de</strong>s Verfahrens gem. § 155 FGO i.V.m.<br />

§ 251 ZPO war schon <strong>de</strong>shalb nicht stattzugeben, weil er nicht<br />

– wie in § 251 Satz 1 ZPO gefor<strong>de</strong>rt – von bei<strong>de</strong>n Beteiligten gestellt<br />

wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Anwaltliche Werbung – zur Verteilung eines Rundschreibens<br />

und <strong>de</strong>r Angabe einer „Service-Nummer“;<br />

BRAO § 43b; UWG § 1<br />

* 1. Sowohl die Verteilung eines in Hausbriefkästen eingesteckten<br />

Rundschreibens an eine größere Zahl von Mietern<br />

eines bestimmten Vermieters („Mieterinformation“) durch<br />

einen RA mit <strong>de</strong>m Hinweis auf ein von ihm erstrittenes Urteil,<br />

in <strong>de</strong>m das Gericht bestimmte Renovierungsklauseln <strong>de</strong>s Vermieters<br />

für unwirksam erklärt hatte, als auch die Angabe einer<br />

„Service-Nummer“, unter <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Interessenten das Urteil gegen<br />

Zahlung einer Kostenpauschale angeboten wird bzw. die<br />

Bereitschaft <strong>de</strong>s RA erklärt wird, er wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>n jeweiligen Mietvertrag<br />

<strong>de</strong>s Anrufers im Hinblick auf die betreffen<strong>de</strong> Klausel gegen<br />

Zahlung von Kosten überprüfen o<strong>de</strong>r bei „bereits aktuellen<br />

Differenzen“ mit <strong>de</strong>m Vermieter auch sofort tätig wer<strong>de</strong>n, ist<br />

berufs- und wettbewerbsrechtlich zulässig.<br />

* 2. Insbeson<strong>de</strong>re han<strong>de</strong>lt es sich bei einer <strong>de</strong>rartigen Werbemaßnahme<br />

nicht um eine gem. § 43b BRAO verbotene auf die<br />

Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichtete Werbung.<br />

OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.11.2002 – 20 U 105/02<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

Der Ast. ist zugelassener RA und Partner <strong>de</strong>r „M. & Partner Steuerberater<br />

– Rechtsanwalt“ Partnergesellschaft in ... . Die Ag. sind<br />

RAe in ... . Sie verteilten „Handzettel“ an Wohnraummieter <strong>de</strong>r<br />

L... Lan<strong>de</strong>sentwicklungsgesellschaft NRW GmbH, nach<strong>de</strong>m sie<br />

ein noch nicht rechtskräftiges Urt. <strong>de</strong>s AG ... erstritten hatten, in<br />

<strong>de</strong>m es bestimmte Renovierungsklauseln für unwirksam erklärt<br />

hatte. In diesem „Handzettel“ wiesen sie auf eine „Service-<br />

Nummer“ hin. Die „Service-Nummer“ ist auch in einem Presseartikel<br />

<strong>de</strong>s „Express“ enthalten. Bei Anwahl <strong>de</strong>r Service-Nummer<br />

war folgen<strong>de</strong>r Text zu hören:<br />

Guten Tag,<br />

Sie sind mit <strong>de</strong>r Service-Leitung <strong>de</strong>r RAe L., J. und Partner in ...<br />

verbun<strong>de</strong>n. Wir können Ihnen das Urt. <strong>de</strong>s AG ... v. 18.1.2002<br />

in seinem vollen Wortlaut gegen eine Kostenpauschale von<br />

10,00 Euro zusen<strong>de</strong>n. Sen<strong>de</strong>n Sie in diesem Falle Ihre Anfor<strong>de</strong>rung<br />

unter Angabe Ihres vollständigen Namens und Ihrer vollständigen<br />

Anschrift an ... (es folgt Namen und Adresse <strong>de</strong>r Ag.).<br />

Fügen Sie bitte Ihrer Anfor<strong>de</strong>rung einen 10-Euro-Schein bei.<br />

Selbstverständlich können Sie das Urt. auch bei <strong>de</strong>m AG ... (es<br />

folgt Adr. u. AZ) anfor<strong>de</strong>rn. Wenn wir prüfen sollen, ob Ihr Mietvertrag<br />

die vom AG ... für unwirksam angesehenen Klauseln enthält<br />

und danach für Sie je<strong>de</strong> Renovierungspflicht entfällt, so ist<br />

es zunächst einmal erfor<strong>de</strong>rlich, dass Sie uns hierzu schriftlich<br />

beauftragen, da wir aus berufsrechtlichen Grün<strong>de</strong>n nur aufgrund<br />

eines konkreten Auftrages für Sie tätig wer<strong>de</strong>n können.<br />

Übersen<strong>de</strong>n Sie uns in diesem Fall eine Fotokopie Ihres vollständigen<br />

Mietvertrages und fügen Sie auch etwa zu einem späteren<br />

Zeitpunkt getroffene Zusatzvereinbarung bei. Sen<strong>de</strong>n Sie<br />

diese Unterlagen ebenfalls an ... (es folgt Namen und Adr. <strong>de</strong>r<br />

Ag.). Wir wer<strong>de</strong>n Ihren Vertrag sodann sorgfältig prüfen und Ihnen<br />

das Ergebnis schriftlich übermitteln. Rechnen Sie aufgrund<br />

<strong>de</strong>r erwarteten starken Nachfrage mit einer Bearbeitungszeit von<br />

mind. zwei Wochen. Die Kosten unserer Tätigkeit wer<strong>de</strong>n nach<br />

<strong>de</strong>r BRAGO berechnet und bewegen sich, je nach Wohnungs-


BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 141<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

größe, zwischen ca. 70,00 Euro und 230,00 Euro inkl. Mehrwertsteuer.<br />

Wenn Sie rechtsschutzversichert sind und eine entsprechen<strong>de</strong><br />

Beratung mitversichert ist, so können wir auch unmittelbar<br />

mit Ihrer Rechtsschutzversicherung abrechnen. In diesem<br />

Fall fügen Sie bitte eine Fotokopie Ihrer letzten<br />

Versicherungsrechnung bei. Sollten bereits aktuelle Differenzen<br />

zwischen Ihnen und <strong>de</strong>r L... wegen Ihrer Renovierungsverpflichtung<br />

bestehen, so können Sie sich auch unmittelbar mit einem<br />

unserer RAe unter <strong>de</strong>r Telefon-Nummer ... wegen <strong>de</strong>s Besprechungstermins<br />

in Verbindung setzen. Wir danken für Ihren<br />

Anruf.<br />

Der Ast. hält dies für eine unzulässige Werbung, die i.S.d. § 43b<br />

BRAO auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.<br />

Das LG ist dieser Auffassung gefolgt und hat <strong>de</strong>n Agn. antragsgemäß<br />

unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, sog.<br />

„Mieterinformationen“ an die Mieter <strong>de</strong>r L... zu verteilen, ohne<br />

von diesen Personen zuvor kontaktiert wor<strong>de</strong>n zu sein, sowie<br />

alle Handlungen zu unterlassen, die auf die Erteilung eines Auftrags<br />

im Einzelfall gerichtet sind, insbeson<strong>de</strong>re eine Telefon-Service-Nummer<br />

über Handzettel o<strong>de</strong>r Presse bekannt zu geben.<br />

Die Berufung <strong>de</strong>r Ag. hat Erfolg.<br />

1.<br />

a) Der gestellte Antrag ist teilweise nicht hinreichend bestimmt,<br />

§ 253 Abs. 2 ZPO.<br />

Danach sollen die Ag. es unterlassen, „Mieterinformationen“ an<br />

alle Mieter <strong>de</strong>r L... zu verteilen (ohne von diesen Personen zuvor<br />

kontaktiert wor<strong>de</strong>n zu sein) „sowie“ alle Handlungen zu unterlassen,<br />

die auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichtet<br />

sind. Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Wortes „sowie“ ist nicht klar: Einerseits<br />

lässt es sich als „o<strong>de</strong>r“ verstehen; an<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>utet die<br />

Antragsbegründung eher auf ein Verständnis als „und“ hin, weil<br />

<strong>de</strong>r Ast. die „Mieterinformationen“ als Erteilung eines Auftrages<br />

im Einzelfall gerichtet beanstan<strong>de</strong>t und dies u.a. aus <strong>de</strong>r als Beispielsfall<br />

aufgeführten Angabe einer Telefon-Service-Nummer<br />

herleitet. Bereits dies ist aber nicht ganz klar.<br />

Die Formulierung „die auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall<br />

gerichtet sind“ wie<strong>de</strong>rholt lediglich <strong>de</strong>n Gesetzestext <strong>de</strong>s<br />

§ 43b BRAO: Die Parteien streiten gera<strong>de</strong> darüber, ob die Voraussetzungen<br />

dieser Vorschrift vorliegen. Danach ist diese Formulierung<br />

unzureichend.<br />

Darauf kommt es jedoch letztlich ebenso wenig an wie auf die<br />

Tatsache, dass <strong>de</strong>r Antrag <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>s für wettbewerbswidrig<br />

gehaltenen Verhaltens <strong>de</strong>r Ag. im Antrag nur unzureichend wie<strong>de</strong>rgibt.<br />

Aus <strong>de</strong>m Vorbringen <strong>de</strong>s Ast. ergibt sich hinreichend<br />

<strong>de</strong>utlich, dass er die Verteilung von „Handzetteln“ mit <strong>de</strong>m beanstan<strong>de</strong>ten<br />

– o<strong>de</strong>r im Kern gleichen – Inhalt und die Angabe<br />

<strong>de</strong>r „Service-Nummer“ in Handzetteln und in <strong>de</strong>r Presse angreift,<br />

wobei die Service-Nummer <strong>de</strong>n mitgeteilten Inhalt hat.<br />

Dies wird als berufs- und wettbewerbswidrig beanstan<strong>de</strong>t, weil<br />

es auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichtet sowie<br />

– so das LG – als gezielte Massenwerbung an private Dritte anzusehen<br />

sei.<br />

b) Gegenstand <strong>de</strong>s Antrages ist damit nicht<br />

• das angebliche Verhalten <strong>de</strong>r Ag. gegenüber <strong>de</strong>r L...,<br />

• die Richtigkeit <strong>de</strong>r Auskünfte in <strong>de</strong>m „Handzettel“,<br />

• die Höhe <strong>de</strong>r für die Versendung einer Ablichtung <strong>de</strong>s Urt.<br />

<strong>de</strong>s AG ... verlangten Kosten.<br />

2. Ast. ist <strong>de</strong>m Rubrum <strong>de</strong>r Antragsschrift sowie <strong>de</strong>r Begründung<br />

zufolge allein RA U. Ausweislich <strong>de</strong>r Angaben auf <strong>de</strong>r ersten<br />

Seite <strong>de</strong>r Antragsschrift ist er jedoch nicht als Einzelanwalt, son<strong>de</strong>rn<br />

als Partner <strong>de</strong>r „M. & Partner Steuerberater – Rechtsanwalt“<br />

Partnerschaftsgesellschaft – eingetragen im Partnerschaftsregister<br />

– tätig. Letztere kann als solche klagen (§ 7 Abs. 2 PartGG<br />

i.V.m. § 124 Abs. 1 HGB). Sie kann auch als solche Prozess- und<br />

Verfahrensbevollmächtigte sein (§ 7 Abs. 4 PartGG). Damit wäre<br />

allein ihr „Unternehmen“ von <strong>de</strong>n beanstan<strong>de</strong>ten Maßnahmen<br />

betroffen. Dass <strong>de</strong>r Ast. auch als Einzelanwalt tätig ist – was<br />

unter bestimmten Umstän<strong>de</strong>n möglich ist, § 6 Abs. 3 Satz 2<br />

PartGG i.V.m. § 112 HGB) –, ist bisher nicht dargetan.<br />

Aber auch dieser Gesichtspunkt ist letztlich aus <strong>de</strong>n unter 4. genannten<br />

Gesichtspunkten nicht entscheidungserheblich.<br />

3. In welcher Form die Ag. zusammenarbeiten, ist bisher gleichfalls<br />

nicht vorgetragen, aber unerheblich. Ob es sich um eine<br />

Partnerschaft (worauf die Bezeichnung „& Partner“ hin<strong>de</strong>utet,<br />

vgl. §§ 2, 11 Abs. 1 PartGG, wobei jedoch die zwingen<strong>de</strong>n Angaben<br />

gem. § 7 Abs. 5 PartGG i.V.m. § 125a Abs. 1 Satz 1 HGB<br />

fehlen), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts o<strong>de</strong>r um eine<br />

bloße Bürogemeinschaft han<strong>de</strong>lt, spielt für <strong>de</strong>n geltend gemachten<br />

Anspruch keine Rolle. Es ist unstreitig, dass die Ag. persönlich<br />

für die beanstan<strong>de</strong>ten Handlungen verantwortlich sind.<br />

4. Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s Ast. han<strong>de</strong>lte es sich bei <strong>de</strong>r Verteilung<br />

<strong>de</strong>r „Handzettel“ (d.h.: in Hausbriefkästen eingesteckte<br />

Rundschreiben) an Mieter <strong>de</strong>r L... nicht um berufswidrige Werbung<br />

i.S.d. § 43b BRAO.<br />

a) Der Senat hat allerdings (MDR 1999, 258) die Verteilung von<br />

Rundschreiben als auf die Erteilung eines einzelnen Auftrages gerichtet<br />

angesehen, wenn dieser sich mit einem speziellen Thema<br />

befasste und an einen bestimmten Personenkreis verteilt wur<strong>de</strong>,<br />

von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r RA annahm, dieser Personenkreis wer<strong>de</strong> sich für<br />

dieses Thema interessieren. Er hat damals die Auffassung vertreten,<br />

es komme nicht darauf an, ob <strong>de</strong>r Verteilung ein <strong>de</strong>m RA zuvor<br />

bekannt gewor<strong>de</strong>ner akuter Beratungsbedarf <strong>de</strong>s angesprochenen<br />

Adressaten zugrun<strong>de</strong> lag o<strong>de</strong>r ob er einen Beratungsbedarf<br />

nur angenommen hatte o<strong>de</strong>r diesen gar erst wecken wolle.<br />

b) Dem ist <strong>de</strong>r BGH (NJW 2001, 2886 – Anwaltsrundschreiben;<br />

s. auch BGH, NJW 2002, 2642 – Vanity-Nummer) jedoch entgegen<br />

getreten. Danach ist es grundsätzlich zulässig, Rundschreiben<br />

auch an Personen zu richten, mit <strong>de</strong>nen noch keine<br />

Mandatsbeziehung <strong>de</strong>s werben<strong>de</strong>n RA bestand.<br />

Allein <strong>de</strong>r Hinweis auf einen<br />

möglicherweise vorhan<strong>de</strong>nen<br />

Beratungsbedarf in einer bestimmten<br />

Frage sowie <strong>de</strong>r Hinweis<br />

auf die Möglichkeit, einen<br />

Hinweis auf ggf.<br />

vorhan<strong>de</strong>nen<br />

Beratungsbedarf<br />

Beratungsbedarf zu <strong>de</strong>cken, macht die Verteilung <strong>de</strong>r Rundschreiben<br />

noch nicht unzulässig. Die Werbung um einzelne<br />

Mandanten, die darauf gerichtet ist, die Umworbenen dafür zu<br />

gewinnen, die Leistungen <strong>de</strong>s Werben<strong>de</strong>n in Anspruch zu nehmen,<br />

ist grundsätzlich erlaubt. Als auf die Erteilung eines Auftrages<br />

im Einzelfall gerichtet ist die Werbemaßnahme eines RA<br />

erst dann anzusehen, wenn „<strong>de</strong>r Umworbene in einem konkreten<br />

Einzelfall <strong>de</strong>r Beratung o<strong>de</strong>r Vertretung bedarf und <strong>de</strong>r Werben<strong>de</strong><br />

dies in Kenntnis <strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong> zum Anlass für seine Werbung<br />

nimmt“, wenn „die Adressaten <strong>de</strong>s Rundschreibens Anlass<br />

hatten, das ... Rundschreiben als eine gezielte persönlich und<br />

daher ggf. als aufdringlich zu empfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kontaktaufnahme zu<br />

verstehen“. Er hat daher die Versendung eines persönlich adressierten<br />

Rundschreibens an einen engen Personenkreis – auch an<br />

Nichtmandanten – zu einer bestimmten steuerrechtlichen Frage,<br />

verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Ablichtung eines Aufsatzes mit Gestaltungsvorschlägen<br />

und <strong>de</strong>m Hinweis auf die Möglichkeit einer Beratung<br />

durch <strong>de</strong>n RA, gebilligt.<br />

c) Danach kann die Versendung <strong>de</strong>r konkret beanstan<strong>de</strong>ten<br />

„Mieterinformation“ an Mieter <strong>de</strong>r L... in Form eines in <strong>de</strong>n<br />

Briefkasten eingeworfenen Handzettels nicht beanstan<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Dass die „Mieterinformation“ sich mit einem bestimmten<br />

Rechtsproblem befasste, welches nur einen bestimmten Personenkreis<br />

interessierte, ist unerheblich. Gleichfalls ist <strong>de</strong>r Hinweis<br />

auf ein erstrittenes Urt., einen möglicherweise sich daraus<br />

ergeben<strong>de</strong>n Beratungsbedarf und die Möglichkeit einer Inanspruchnahme<br />

<strong>de</strong>r Dienste <strong>de</strong>r Ag. unschädlich.


142 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Gezielte Werbung<br />

um Mandate zulässig<br />

Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s LG,<br />

die letztlich seiner Entscheidung<br />

zugrun<strong>de</strong> liegt, ist durch § 43b<br />

BRAO nicht die gezielte Werbung<br />

um Mandate (so noch Senat, MDR 1999, 258), son<strong>de</strong>rn<br />

nur die auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichtete<br />

Werbung verboten (vgl. auch BGH, NJW 2002, 2642 – Vanity-<br />

Nummer).<br />

Allerdings war das Rechtsverhältnis, über das eine Beratung<br />

möglicherweise stattfin<strong>de</strong>n sollte, bereits konkretisiert. Die Ag.<br />

wandten sich gezielt an Mieter eines großen Wohnungsunternehmens,<br />

weil bestimmte Vertragsklauseln zu einem speziellen<br />

Thema möglicherweise unwirksam waren. Das kann in diesem<br />

Falle entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s LG nicht mit <strong>de</strong>r Fallgestaltung<br />

verglichen wer<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r Anwalt an eine Vielzahl<br />

von Personen wen<strong>de</strong>t, von <strong>de</strong>nen er annimmt, dass sie in<br />

gleicher Weise beeinträchtigt waren. Nach <strong>de</strong>r Rspr. <strong>de</strong>s BGH<br />

kommt es darauf an, ob <strong>de</strong>r Adressat einen konkreten Beratungsbedarf<br />

hatte (vgl. auch Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl.,<br />

§ 43b Rdnr. 29). Das kann zwar auch bei einer Vielzahl von Personen<br />

<strong>de</strong>r Fall gewesen sein. Bei <strong>de</strong>r Gesetzesberatung ist auf<br />

<strong>de</strong>n „Bhopal-Fall“ verwiesen wor<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m bei Opfern <strong>de</strong>r<br />

Giftgaskatastrophe gezielt um Mandate geworben wur<strong>de</strong> (vgl.<br />

Römermann in Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2.<br />

Aufl., § 43b BRAO Rdnr. 7). Dies trifft aber auf <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Fall nicht zu. Die Ag. konnten zwar vermuten, dass bei einer<br />

bestimmten Anzahl <strong>de</strong>r Adressaten ähnliche Klauseln wie in<br />

<strong>de</strong>m von ihnen erstritten Urt. im Wohnraummietvertrag verwen<strong>de</strong>t<br />

wur<strong>de</strong>n. Wie hoch <strong>de</strong>r Anteil war, konnte nur geschätzt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Möglichkeit, dass <strong>de</strong>r Adressat bereits wegen einer<br />

Renovierung von <strong>de</strong>r L... angeschrieben wor<strong>de</strong>n und damit <strong>de</strong>r<br />

konkrete Beratungsbedarf bereits entstan<strong>de</strong>n war, war noch geringer.<br />

Ob und ggf. bei welchen Mietern<br />

bereits ein konkreter Streitfall bestand,<br />

wussten die Ag. nicht. Der<br />

BGH hat es entgegen <strong>de</strong>r damaligen<br />

Senatsauffassung nicht ausreichen<br />

lassen, dass <strong>de</strong>r RA einen Beratungsbedarf durch <strong>de</strong>n<br />

Rundbrief „erst erweckt“ hat. We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>s Rechtsuchen<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r ohne eine Information von <strong>de</strong>r Verfolgung seiner<br />

– möglicherweise bestehen<strong>de</strong>n – Rechte Abstand genommen<br />

hätte noch <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>r Funktionsfähigkeit <strong>de</strong>r Rechtspflege<br />

erfor<strong>de</strong>rn ein Verbot <strong>de</strong>r Verteilung eines <strong>de</strong>rartigen Handzettels<br />

(vgl. in an<strong>de</strong>rem Zusammenhang BVerfG, NJW 2002, 1190).<br />

Den Agn. konnte es nicht angesonnen wer<strong>de</strong>n, das Rundschreiben<br />

– unnötigerweise – in einem breiteren Kreis zu streuen (vgl.<br />

auch Römermann, a.a.O., § 6 BerufsO, Rdnr. 121 ff.).<br />

Hinzu kommt noch Folgen<strong>de</strong>s:<br />

Die Adressaten hatten keinen Anlass, das Rundschreiben als<br />

„eine gezielte persönliche und daher ggf. als aufdringlich zu<br />

empfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kontaktaufnahme zu verstehen“ (BGH, a.a.O.).<br />

Rundschreiben nicht<br />

individuell adressiert<br />

Kein konkreter<br />

Beratungsbedarf<br />

ersichtlich<br />

Das Rundschreiben war – im Gegensatz<br />

zur vom BGH entschie<strong>de</strong>nen<br />

und nicht beanstan<strong>de</strong>ten<br />

Fallgestaltung – nicht individuell<br />

adressiert, son<strong>de</strong>rn „An die Mieter <strong>de</strong>r L...“ adressiert und über<br />

die Briefkästen verteilt wor<strong>de</strong>n. Die Mieter erkannten daher,<br />

dass sie nicht individuell angeschrieben, son<strong>de</strong>rn nur allgemein<br />

angesprochen wor<strong>de</strong>n waren (vgl. auch OLG München, NJW<br />

2002, 760). Von daher bestand von vornherein keine Gefahr,<br />

dass sich die Mieter mit einem ihnen unliebsamen Vertragsangebot<br />

näher auseinan<strong>de</strong>rsetzen mussten, etwa weil sie Nachfragen<br />

<strong>de</strong>s RA befürchten mussten. Insofern war die Versendung<br />

<strong>de</strong>r Handzettel <strong>de</strong>nkbar anonym. Wenn sie die Dienstleistungen<br />

<strong>de</strong>r Ag. in Anspruch nehmen wollten, mussten die Mieter selbst<br />

tätig wer<strong>de</strong>n.<br />

d) Das LG hat bereits die massenhafte Verteilung von „Handzetteln“<br />

als solches als unsachliche berufswidrige Werbung<br />

i.S.d. § 43b BRAO angesehen.<br />

Dies trifft nicht zu. Abgesehen davon, dass nicht nur gewerbliche<br />

Unternehmen, son<strong>de</strong>rn auch Vereine und karitative Organisationen<br />

Handzettel – sei es an Passanten, sei es durch Einlegen<br />

in <strong>de</strong>n Briefkasten – „massenhaft“ verteilen, kann nach <strong>de</strong>r Rspr.<br />

<strong>de</strong>s BVerfG (BVerfGE 94, 372, 393; NJW 2002, 3091 – Tierarztwerbung<br />

– zur Zulässigkeit u.a. von Radiowerbung; Beschl. v.<br />

19.12.2001 – 1 BvR 1050/01, auszugsweise abgedruckt in Anm.<br />

NJW-RR 2002, 1354 – Stadtplanorientierungsanlage) aus <strong>de</strong>r<br />

Benutzung einer in <strong>de</strong>r gewerblichen Wirtschaft üblichen Werbeform<br />

nicht darauf geschlossen wer<strong>de</strong>n, sie dürfe von Angehörigen<br />

freier Berufe nicht benutzt wer<strong>de</strong>n (s. auch Römermann,<br />

a.a.O., Berufsrechts- und Werbe-ABC, Stichwort: Handzettel).<br />

Freie Wahl <strong>de</strong>s<br />

Werbeträgers<br />

Auch nach <strong>de</strong>r Rspr. <strong>de</strong>s BGH<br />

(NJW 2002, 2642 unter II. 2. b)<br />

cc) (2) – Vanity-Nummer) ist <strong>de</strong>r<br />

RA in <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>s Werbeträgers<br />

frei (s. jetzt auch AnwG Hamm, NJW-RR 2002, 1065 zur Zulässigkeit<br />

von Ban<strong>de</strong>nwerbung durch RAe).<br />

5. Die Angabe einer Telefon-Nummer (auch einer Son<strong>de</strong>rnummer)<br />

ist nicht zu beanstan<strong>de</strong>n (vgl. BGH, NJW 2002, 2642 – Vanity-Nummer).<br />

Auch insoweit han<strong>de</strong>lt es sich nicht um auf die<br />

Erteilung eines einzelnen Auftrages gerichtete Werbung.<br />

Das Gleiche gilt von <strong>de</strong>m Text <strong>de</strong>r Telefonansage. Insoweit<br />

kommt zwar hinzu, dass er beson<strong>de</strong>rs die Mieter anspricht, die<br />

bereits Differenzen mit <strong>de</strong>r L... wegen ihrer Renovierungsverpflichtung<br />

haben. Der Text ist jedoch an die Allgemeinheit gerichtet,<br />

bei <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r potentielle Mandant tätig wer<strong>de</strong>n muss (vgl.<br />

OLG München, NJW 2002, 760). Im Übrigen gelten die unter<br />

4. genannten Grundsätze auch für <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>r Ansage.<br />

Rechtsberatungsgesetz – unerlaubte Rechtsberatung<br />

durch ein Inkassounternehmen; RBerG Art. 1 § 1;<br />

UWG § 1<br />

* 1. Wen<strong>de</strong>t sich ein Inkassounternehmen in einem anhängigen<br />

Mahnverfahren mit einem Schreiben substantiiert gegen die<br />

Auffassung <strong>de</strong>s gegnerischen Prozessbevollmächtigten, eine<br />

bestimmte For<strong>de</strong>rung sei verjährt, und regt eine außergerichtliche<br />

Einigung an, stellt diese Verhaltensweise keine – im Einzelfall<br />

ggf. erlaubte – außergerichtliche Beratung eines Auftraggebers<br />

dar.<br />

* 2. Unabhängig davon, dass es nach einhelliger Auffassung von<br />

Rspr. und Schrifttum <strong>de</strong>m Inhaber einer Inkassoerlaubnis je<br />

nach <strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Einzelfalls auch untersagt sein kann,<br />

seine Kun<strong>de</strong>n darüber zu beraten, ob und nach welchen rechtlichen<br />

Gesichtspunkten und in welcher Höhe ihnen überhaupt<br />

eine For<strong>de</strong>rung zusteht, ist es grundsätzlich vertretbar, dass ein<br />

Inkassounternehmen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens<br />

bestimmte Dinge prüfen und das Ergebnis seiner Prüfung <strong>de</strong>m<br />

Auftraggeber und möglicherweise auch <strong>de</strong>m Gegner mitteilen<br />

darf.<br />

OLG Köln, Urt. v. 17.7.2002 – 6 U 28/02<br />

Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

Die zulässige Berufung <strong>de</strong>r Bekl. hat in <strong>de</strong>r Sache keinen Erfolg.<br />

Vielmehr hat das LG die Bekl. zu Recht verurteilt es zu unterlassen,<br />

wie aus <strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>n Folgeseiten wie<strong>de</strong>rgegebenen<br />

Schreiben v. 21.6. und 12.7.2001 ersichtlich, rechtsberatend<br />

tätig zu wer<strong>de</strong>n und sich von ihren Auftraggebern eine Vollmacht<br />

ausstellen zu lassen, die sie ohne Einschränkung zum Abschluss<br />

von Vergleichen und dazu berechtigt, alle zivilrecht-


BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 143<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

lichen Maßnahmen, die <strong>de</strong>r sachgerechten Beitreibung dienen,<br />

durchzuführen und rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben.<br />

Auch die Begründung <strong>de</strong>s LG überzeugt. Der Senat nimmt sie<br />

gem. § 543 Abs. 1 ZPO a.F. ausdrücklich als richtig in Bezug und<br />

fasst nachfolgend zusammen, warum ihm namentlich das Berufungsvorbringen<br />

<strong>de</strong>r Bekl. keine Veranlassung gibt, <strong>de</strong>n zur Entscheidung<br />

stehen<strong>de</strong>n Lebenssachverhalt an<strong>de</strong>rs zu beurteilen,<br />

als das LG es getan hat:<br />

Inhalt <strong>de</strong>s Schreibens <strong>de</strong>r Bekl. an RAe P. & Kollegen v.<br />

21.6.2001:<br />

„For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Fiat Leasing GmbH & Co. OHG gegen ...<br />

aus Leasingvertrag mit <strong>de</strong>r Nummer ...<br />

Ihr Zeichen: ...<br />

Sehr geehrter Herr H.,<br />

in <strong>de</strong>r vorstehen<strong>de</strong>n Angelegenheit liegt uns zwischenzeitlich<br />

Ihr Wi<strong>de</strong>rspruch, bei Gericht eingegangen am 6.6.2001, vor. Sie<br />

vertreten hier die Auffassung, dass <strong>de</strong>r Anspruch <strong>de</strong>r Mandantin<br />

gegen Herrn K. auf je<strong>de</strong>n Fall verjährt ist. Diese Auffassung ist<br />

nicht zutreffend. Nach <strong>de</strong>r neuen Rspr., insbeson<strong>de</strong>re verweisen<br />

wir hier auf das Urteil <strong>de</strong>s BGH v. 1.3.2000 – VIII ZR 177/99,<br />

abgedruckt in ZIP 2000, Seite 797 ff. Darin stellt <strong>de</strong>r BGH ein<strong>de</strong>utig<br />

fest, dass die Verjährungsfrist auch für Ansprüche aus Kilometerverträgen<br />

2 Jahre beträgt. Da die Verjährungseinre<strong>de</strong><br />

also nicht greift, stellt sich die Frage, ob hier das streitige Verfahren<br />

noch durchgeführt wer<strong>de</strong>n muss. Sollte Ihr Mandant<br />

noch die Möglichkeit für eine außergerichtliche Regulierung sehen,<br />

können Sie uns dies bis zum 20.7.2001 wissen lassen.<br />

Mit freundlichen Grüßen, Assessor jur. E.“<br />

Inhalt <strong>de</strong>s Schreibens <strong>de</strong>r Bekl. an RAe P., H. & Kollegen, v.<br />

12.7.2001:<br />

„For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Fiat Leasing GmbH & Co. OHG gegen ... geb.<br />

am ... aus Leasingvertrag mit <strong>de</strong>r Nummer ...<br />

Ihr Schreiben an die Mandantin v. 28.6.2001 – .....<br />

Sehr geehrter Herr H.,<br />

in <strong>de</strong>r vorstehen<strong>de</strong>n Angelegenheit zeigen wir mittels <strong>de</strong>r beigefügten<br />

Vollmacht an, dass wir von <strong>de</strong>r Fiat Leasing GmbH Co.<br />

OHG beauftragt wor<strong>de</strong>n sind, die oben genannte For<strong>de</strong>rungssache<br />

zu bearbeiten. Die Mandantin hat uns daher zuständigkeitshalber<br />

Ihr Schreiben v. 28.6.2001 übersandt. Wir dürfen Sie<br />

bitten, Schriftwechsel in dieser Angelegenheit ausschließlich<br />

mit uns zu führen. Ansonsten müssten wir ebenfalls unmittelbar<br />

mit Ihrer Mandantschaft korrespondieren. Zu Ihrem Schreiben<br />

v. 28.6.2001 erhalten Sie als Anlage eine Ablichtung <strong>de</strong>s vom<br />

TÜV Euroservice erstellten Gutachtens, <strong>de</strong>m Sie entnehmen<br />

wollen, dass das Fahrzeug keinesfalls mängelfrei zurückgegeben<br />

wur<strong>de</strong>. Ferner erhalten Sie eine Kopie <strong>de</strong>s Rückgabeprotokolls<br />

v. 19.4.2001 nebst <strong>de</strong>r dazugehörigen Aufstellung über die<br />

am Fahrzeug vorhan<strong>de</strong>nen Schä<strong>de</strong>n. Der im Vertrag festgelegte<br />

Restwert ist eine rein kalkulatorische Größe und sagt nichts über<br />

<strong>de</strong>n Fahrzeugzustand nach Ablauf <strong>de</strong>s Vertrages aus. Er ist lediglich<br />

eine rechnerische Position, die dazu dient, das Finanzierungsvolumen<br />

zu run<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Grundsatz: Geringe<br />

Rate, hoher Restwert, hoher Restwert, geringe Rate. Dass das<br />

Fahrzeug einen geringeren Wert als <strong>de</strong>n vertraglich kalkulierten<br />

Restwert hat, <strong>de</strong>n Ihre Mandantschaft im Übrigen im Vertrag garantiert<br />

hat, liegt an <strong>de</strong>n Beschädigungen, die das Fahrzeug<br />

hatte. Sofern Sie noch Möglichkeiten für eine außergerichtliche<br />

Regulierung sehen, sind wir gerne bereit, darüber zu verhan<strong>de</strong>ln.<br />

Wir haben uns für <strong>de</strong>n Erhalt eines entsprechen<strong>de</strong>n Vorschlages<br />

eine Frist auf <strong>de</strong>n 28.7.2001 gesetzt.<br />

Mit freundlichen Grüßen, Assessor jur. E.“<br />

Inhalt <strong>de</strong>r Vollmacht:<br />

„Die Fiat Leasing GmbH & Co. OHG erteilt … (Bekl.) in allen<br />

zur Bearbeitung übertragenen For<strong>de</strong>rungen Vollmacht, alle zivilrechtlichen<br />

Maßnahmen, die <strong>de</strong>r sachgerechten Beitreibung<br />

dienen, durchzuführen und rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben;<br />

<strong>de</strong>n Ermittlungsbehör<strong>de</strong>n wie Staatsanwaltschaft, Polizei<br />

etc. bei Anfragen die erfor<strong>de</strong>rlichen Auskünfte zu erteilen<br />

und Akteneinsicht zu gewähren; Untervollmacht zu erteilen,<br />

Verkäufe von For<strong>de</strong>rungen vorzunehmen o<strong>de</strong>r Vergleiche abzuschließen;<br />

Gel<strong>de</strong>r in Empfang zu nehmen; sie in anhängigen<br />

Konkurs, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs-, Versteigerungs-,<br />

Hinterlegungs-, Verteilungs- und Insolvenzverfahren zu vertreten<br />

und auch in diesen Verfahren Gel<strong>de</strong>r in Empfang zu nehmen.“<br />

Zunächst hat das LG zutreffend darauf hingewiesen, dass we<strong>de</strong>r<br />

die Prozessführungsbefugnis noch die Aktivlegitimation <strong>de</strong>r Kl.<br />

i.S.d. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG in Zweifel gezogen wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Nach ganz herrschen<strong>de</strong>r und richtiger Auffassung sind die Kammern<br />

freier Berufe unter <strong>de</strong>n im Streitfall unstrittigen Voraussetzungen<br />

<strong>de</strong>s § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG zur Prozessführung berechtigte<br />

Verbän<strong>de</strong> (vgl. dazu die Nachweise bei Baumbach/Hefermehl,<br />

Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 13 UWG Rdnr. 30a<br />

und 30b sowie Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., 2001, § 13 UWG<br />

Rdnr. 19). Sie sind klagebefugt und aktivlegitimiert, weil sie ungeachtet<br />

ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung und <strong>de</strong>r<br />

Möglichkeit berufsrechtlichen Vorgehens gegen ihre Mitglie<strong>de</strong>r<br />

auch die beruflichen Belange ihrer Mitglie<strong>de</strong>r zu wahren und zu<br />

för<strong>de</strong>rn haben. Die Kammern können <strong>de</strong>shalb Wettbewerbsverstöße<br />

verfolgen, soweit dadurch <strong>de</strong>r (Dienstleistungs-)Wettbewerb<br />

von Mitglie<strong>de</strong>rn berührt ist, und zwar auch gegenüber<br />

Nichtmitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Kammer, gleichgültig, ob sie<br />

<strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Berufsstand angehören o<strong>de</strong>r nicht (BGH,<br />

GRUR 1998, 835, 836 „Zweigstellenverbot“). Namentlich entspricht<br />

es <strong>de</strong>r st. Rspr. <strong>de</strong>s BGH und auch <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r OLG, dass eine<br />

RAK i.S.d. § 13 Abs. 2 Nr. 2 befugt ist, Verstöße gegen das RBerG<br />

zu verfolgen (vgl. dazu etwa: BGH, MDR 1997, 1144 = WRP<br />

1997, 1051 = GRUR 1997, 914 „Die Besten II“; OLG Braunschweig,<br />

OLGR 1999, 63; KG, KGR 2000, 164, 165).<br />

Von dieser Rspr. <strong>de</strong>s BGH und an<strong>de</strong>rer OLG abzuweichen sieht<br />

<strong>de</strong>r Senat umso weniger Anlass, als namentlich das BVerfG in<br />

seiner Rspr. insbeson<strong>de</strong>re zu Art. 12 GG die Rechte <strong>de</strong>r RAe gestärkt<br />

und ihre Rechtsposition immer mehr <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Gewerbetreiben<strong>de</strong>n<br />

im klassischen Sinne angenähert hat, in<strong>de</strong>m es<br />

z.B. das grundsätzliche Werbeverbot verfassungskonform dahin<br />

ausgelegt hat, dass <strong>de</strong>n Anwälten nur eine berufswidrige Werbung<br />

untersagt ist (vgl. z.B. BVerfG, NJW 2000, 1635 f. = MDR<br />

2000, 358), in<strong>de</strong>m es z.B. das Gebot <strong>de</strong>r Singularzulassung<br />

nach § 25 BRAO als verfassungswidrig erachtet (BVerfG, NJW<br />

2001, 353 ff. = WRP 2001, 137 ff.) o<strong>de</strong>r in<strong>de</strong>m es <strong>de</strong>n Anwaltsnotaren<br />

z.B. gestattet hat, Sozietäten mit WP zu grün<strong>de</strong>n und zu<br />

betreiben (BVerfG, NJW 1998, 2269 ff.). Diese Entwicklung in<br />

<strong>de</strong>r auch vom BGH und <strong>de</strong>n Instanzgerichten mitgetragenen<br />

Rspr. belegt, dass RAe trotz <strong>de</strong>s für sie gelten<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Berufsrechts<br />

und namentlich <strong>de</strong>s Stan<strong>de</strong>srechts in vielerlei Hinsicht<br />

nicht an<strong>de</strong>rs behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n können und dürfen als<br />

klassische Gewerbetreiben<strong>de</strong>. Umso weniger besteht in dieser<br />

Situation Anlass, nunmehr entgegen <strong>de</strong>r bisherigen Rspr. und<br />

<strong>de</strong>r ganz herrschen<strong>de</strong>n Meinung im juristischen Schrifttum <strong>de</strong>n<br />

RAKn die Klagebefugnis aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG mit <strong>de</strong>r Begründung<br />

zu nehmen, RAe betrieben kein Gewerbe im Sinne<br />

dieser Vorschrift.<br />

Der in diesem Zusammenhang getätigten Anregung <strong>de</strong>r Bekl.,<br />

<strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Rechtsstreit bis zur Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG<br />

über die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m Verfahren 1 BvR<br />

981/00 auszusetzen, ist nicht nachzugehen. Denn <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Beschwer<strong>de</strong>verfahren<br />

zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Lebenssachverhalt betrifft<br />

die Frage, ob es <strong>de</strong>r dortigen Bfin. (eine StBin) gestattet sein<br />

kann, mit <strong>de</strong>m sich auf einem Straßenbahnwagen befindlichen<br />

Slogan: „Ihr Partner in Sachen Steuer- und Wirtschaftsberatung


144 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 3/2003<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

im Scharlottenviertel“ zu werben. Der Umstand, dass nach <strong>de</strong>m<br />

Sachvortrag <strong>de</strong>r Bekl. in diesem Beschwer<strong>de</strong>verfahren auch die<br />

Klagebefugnis <strong>de</strong>r klagen<strong>de</strong>n StBerK ... gerügt ist, rechtfertigt<br />

keine Aussetzung <strong>de</strong>s Rechtsstreits. Denn für <strong>de</strong>n Fall, dass das<br />

BVerfG das vom OLG ... ausgesprochene Verbot als Verstoß gegen<br />

Art. 12 GG bewertet und <strong>de</strong>r Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> stattgegeben<br />

wür<strong>de</strong>, kommt es auf die Klagebefugnis <strong>de</strong>r an diesem<br />

Verfahren beteiligten StBerK nicht an. Umgekehrt kann es niemals<br />

einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12<br />

GG be<strong>de</strong>uten, wenn die konkrete Werbung berufs- und wettbewerbswidrig<br />

ist, <strong>de</strong>r Wettbewerbsverstoß aber von einer natürlichen<br />

o<strong>de</strong>r juristischen Person geltend gemacht wor<strong>de</strong>n ist, <strong>de</strong>ren<br />

Klagebefugnis im Einzelfall an <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Voraussetzungen<br />

<strong>de</strong>s § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG scheitert.<br />

In <strong>de</strong>r Sache selbst hat das LG im Ergebnis zu Recht ausgeführt,<br />

dass die mit <strong>de</strong>r Klage angegriffene Tätigkeit <strong>de</strong>r Bekl. eine unerlaubte<br />

Rechtsberatung nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG darstellt,<br />

die gem. § 1 UWG wettbewerbswidrig und folglich zu unterlassen<br />

ist. Nach gefestigter Rspr. <strong>de</strong>s Senats wie auch <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer<br />

OLG (vgl. z.B. KG, KGR 2000, 164, 166) verstößt die Ausübung<br />

einer rechtsbesorgen<strong>de</strong>n Tätigkeit ohne die nach Art. 1<br />

§ 1 Abs. 1 RBerG erfor<strong>de</strong>rliche Erlaubnis nämlich grundsätzlich<br />

gegen § 1 UWG, ohne dass weitere Unlauterkeitsmomente hinzutreten<br />

müssen, wenn nicht einer <strong>de</strong>r im RBerG zugelassenen<br />

Ausnahmefälle vorliegt. Nach übereinstimmen<strong>de</strong>r Ansicht in<br />

<strong>de</strong>r Rspr. und Literatur ist unter <strong>de</strong>m Tatbestandsmerkmal „Besorgung<br />

einer frem<strong>de</strong>n Rechtsangelegenheit“ je<strong>de</strong> auf die unmittelbare/individuelle<br />

För<strong>de</strong>rung konkreter frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten<br />

gerichtete Tätigkeit zu verstehen (vgl. u.a.: BGH,<br />

NJW 1989, 2125 „Erbensucher“; Senat, Urt. v. 6.8.1999, Scha<strong>de</strong>n-Praxis<br />

1999, 343, 344; Rennen/Caliebe, Rechtsberatungsgesetz,<br />

30. Aufl., 2001, Art. 1 § 1 Rdnr. 24; Altenhoff/<br />

Busch/Chemnitz, Rechtsberatungsgesetz, 10. Aufl., 1993, Art. 1<br />

§ 1 Rdnr. 61, jeweils m.w.N.; BGH, WRP 2000, 727 ff. = GRUR<br />

2000, 729 ff. = NJW 2000, 2108 f. „Sachverständigenbeauftragung“;<br />

BGH, WRP 1998, 976 = GRUR 1998, 956, 957 „Titelschutzanzeigen<br />

für Dritte“). Zur Abgrenzung erlaubnisfreier Geschäftsbesorgung<br />

von erlaubnispflichtiger Rechtsbesorgung ist<br />

auf <strong>de</strong>n Kern und <strong>de</strong>n <strong>Schwerpunkt</strong> <strong>de</strong>r Tätigkeit abzustellen,<br />

d.h. darauf, ob sie überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet<br />

liegt, o<strong>de</strong>r ob die rechtliche Angelegenheit <strong>de</strong>r Sache im Vor<strong>de</strong>rgrund<br />

steht und es wesentlich um die Klärung rechtlicher<br />

Verhältnisse geht (BGH, NJW 2000, 2108 „Sachverständigenbeauftragung“).<br />

Das ist <strong>de</strong>shalb notwendig, weil eine Besorgung<br />

frem<strong>de</strong>r Geschäfte außer mit wirtschaftlichen Belangen vielfach<br />

auch mit rechtlichen Vorgängen verknüpft ist.<br />

Auf <strong>de</strong>r Basis dieser Kriterien stellt die mit <strong>de</strong>r Klage angegriffene<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>r Bekl. keine <strong>de</strong>n Inkassounternehmen nach Art.<br />

1 § 1 Abs. 1 Nr. 5 RBerG erlaubte außergerichtliche Einziehung<br />

von For<strong>de</strong>rungen, son<strong>de</strong>rn unerlaubte Rechtsberatung dar.<br />

Beraten<strong>de</strong> Tätigkeit in<br />

anhängigem Verfahren<br />

Von entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung<br />

ist dabei, dass es sich bei <strong>de</strong>m<br />

mit <strong>de</strong>r Klage angegriffenen Verhalten<br />

<strong>de</strong>r Bekl. nicht um eine<br />

von einem Inkassounternehmen vorgenommene außergerichtliche<br />

Beratung eines Auftraggebers han<strong>de</strong>lt, die je nach <strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>s Einzelfalls erlaubt sein kann (vgl. dazu Rennen/Caliebe,<br />

a.a.O., Art. 1 § 1 Rdnr. 113), son<strong>de</strong>rn um eine beraten<strong>de</strong><br />

Tätigkeit in einem anhängigen Gerichtsverfahren. Mit Schreiben<br />

v. 21.6.2001 hat sich die Bekl. in einem anhängigen Mahnverfahren<br />

gegen die Auffassung <strong>de</strong>s gegnerischen Prozessbevollmächtigten<br />

gewandt, eine bestimmte For<strong>de</strong>rung sei verjährt. Sie<br />

hat auf neuere Rspr. <strong>de</strong>s BGH verwiesen, subsumiert, dass die<br />

erhobene Verjährungseinre<strong>de</strong> nicht greife und alsdann eine<br />

außergerichtliche Einigung angeregt. Nach<strong>de</strong>m die von ihr angeschriebenen<br />

RAe P. u.a. auf dieses Schreiben erwi<strong>de</strong>rt und<br />

nunmehr die Mangelhaftigkeit <strong>de</strong>s zurückgegebenen Fahrzeugs<br />

bestritten hatten, hat die Bekl. mit ihrem oben wie<strong>de</strong>rgegebenen<br />

Schreiben v. 12.7.2001 mit <strong>de</strong>r beigefügten, ebenfalls streitgegenständlichen<br />

Vollmacht die (weitere) Vertretung <strong>de</strong>r Firma Fiat<br />

Leasing GmbH & Co. OHG angezeigt und darum gebeten, künftigen<br />

Schriftwechsel nur noch mit ihr zu führen. Alsdann hat sie<br />

<strong>de</strong>n Sachvortrag <strong>de</strong>r gegnerischen Prozessbevollmächtigten mittels<br />

eines beigefügten TÜV-Gutachtens zu wi<strong>de</strong>rlegen versucht.<br />

Außer<strong>de</strong>m hat sie <strong>de</strong>m Einwand <strong>de</strong>r Gegenseite, <strong>de</strong>r im Leasingvertrag<br />

festgelegte Restwert schließe einen Ausgleichsanspruch<br />

aus, entgegengehalten, es han<strong>de</strong>le sich bei <strong>de</strong>m Restwert<br />

um eine rechnerische Größe, die Ansprüche aus <strong>de</strong>m Leasingvertrag<br />

wegen <strong>de</strong>r Mangelhaftigkeit <strong>de</strong>s Fahrzeuges nicht ausschließe.<br />

Die ihr unter <strong>de</strong>m 11.4.2001 von <strong>de</strong>r Firma Fiat Leasing<br />

GmbH & Co. OHG erteilte Vollmacht versteht die Bekl.<br />

nach ihrem eigenen Sachvortrag dahin, dass diese Vollmacht sie<br />

auch berechtigt, <strong>de</strong>n Vollmachtgeber im Zuge von Gerichtsverfahren<br />

vertreten zu dürfen. Diese unzweifelhaft nicht allein o<strong>de</strong>r<br />

auch nur vornehmlich geschäftsbesorgen<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn rechtsberaten<strong>de</strong><br />

Tätigkeit durchzuführen ist <strong>de</strong>r Bekl. gem. Art. 1 § 1<br />

RBerG verboten.<br />

Soweit sich die Bekl. in diesem Zusammenhang auf die Kommentierung<br />

bei Rennen/Caliebe, a.a.O., Art. 1 § 1 Rdnr. 113 berufen<br />

und die Auffassung vertreten hat, aus dieser Kommentierung<br />

ergebe sich die Zulässigkeit ihres mit <strong>de</strong>r Klage angegriffenen<br />

Verhaltens, vermag sich <strong>de</strong>r Senat <strong>de</strong>m nicht anzuschließen.<br />

Beratung vor Einleitung<br />

eines Verfahrens<br />

ggf. zulässig<br />

Die genannte Kommentarstelle<br />

bezieht sich ausschließlich auf<br />

eine möglicherweise zulässige<br />

Beratertätigkeit eines Inkassounternehmens<br />

vor Einleitung eines<br />

gerichtlichen Verfahrens. Das ist kein Zufall, son<strong>de</strong>rn macht<br />

Sinn. Denn unabhängig davon, dass es nach einhelliger Auffassung<br />

<strong>de</strong>r Rspr. und <strong>de</strong>m juristischen Schrifttum <strong>de</strong>m Inhaber einer<br />

Inkassoerlaubnis je nach <strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Einzelfalls<br />

auch untersagt sein kann, seine Kun<strong>de</strong>n darüber zu beraten, ob<br />

und nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten und in welcher<br />

Höhe ihnen überhaupt eine For<strong>de</strong>rung zusteht (statt aller: BGH,<br />

MDR 2001, 143 m.w.N.), mag es nämlich noch angehen, dass<br />

ein Inkassounternehmen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens<br />

bestimmte Dinge prüfen und das Ergebnis seiner Prüfung<br />

<strong>de</strong>m Auftraggeber und möglicherweise auch <strong>de</strong>m Gegner mitteilen<br />

darf. Auf eine Tätigkeit in gerichtlichen Verfahren bezieht<br />

sich die Kommentierung von Rennen/Caliebe in <strong>de</strong>r Rdnr. 113<br />

in<strong>de</strong>s nicht.<br />

Entgegen <strong>de</strong>r von ihr geäußerten Rechtsauffassung hat die Bekl.<br />

auch keine Erlaubnis zu <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Klage beanstan<strong>de</strong>ten konkreten<br />

Rechtsberatung. Die Erlaubnisurkun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s LG-Präsi<strong>de</strong>nten<br />

v. 14.10.1964, wonach die Erlaubnis zur außergerichtlichen<br />

Einziehung von For<strong>de</strong>rungen und die beraten<strong>de</strong> Tätigkeit bei <strong>de</strong>r<br />

Einziehung erteilt wor<strong>de</strong>n ist, erstreckt sich nach Abs. 2 Satz 1<br />

dieser Erlaubnis nämlich gera<strong>de</strong> nicht auf die Vertretung und<br />

„Beratung <strong>de</strong>r Gläubiger in gerichtlichen und vor sonstigen<br />

Behör<strong>de</strong>n anhängigen Verfahren“. Auch kann kein durchgreifen<strong>de</strong>r<br />

Zweifel daran bestehen, dass das hiernach gegen das<br />

RBerG und auch § 1 UWG verstoßen<strong>de</strong> Verhalten <strong>de</strong>r Bekl. geeignet<br />

ist, <strong>de</strong>n Wettbewerb auf <strong>de</strong>m einschlägigen Markt i.S.d.<br />

§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG wesentlich zu beeinträchtigen: Die von<br />

ihr missachtete Vorschrift <strong>de</strong>s Art. 1 § 1 RBerG dient <strong>de</strong>m Schutz<br />

<strong>de</strong>s Vertrauens <strong>de</strong>r Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit <strong>de</strong>r<br />

Rechtspflege und soll gewährleisten, dass – soweit das RBerG<br />

nicht Ausnahmen zulässt – die geschäftsmäßige Rechtsberatung<br />

<strong>de</strong>n Angehörigen <strong>de</strong>r rechtsberaten<strong>de</strong>n Berufe vorbehalten<br />

bleibt. Allein wegen <strong>de</strong>r als hoch einzustufen<strong>de</strong>n Nachahmungsgefahr<br />

kann von einem geringfügigen, als Bagatelle einzustufen<strong>de</strong>n<br />

und <strong>de</strong>shalb wettbewerbsrechtlich irrelevanten<br />

Gesetzesverstoß <strong>de</strong>r Bekl. keine Re<strong>de</strong> sein.

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