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BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 111<br />

Landau, Justiz und Rechtsanwaltschaft in <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Diktatur<br />

Verfolgung wur<strong>de</strong> ihm erspart, da er schon 1936 durch einen<br />

Autounfall starb.<br />

Ein dritter Fall betrifft <strong>de</strong>n Münchner Anwalt Philipp Loewenfeld,<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokrat und berühmter Strafverteidiger,<br />

<strong>de</strong>ssen Vater Theodor Loewenfeld bereits Professor an <strong>de</strong>r<br />

Münchner Universität und Vorstand <strong>de</strong>r Münchner jüdischen<br />

Gemein<strong>de</strong> gewesen war. Philipp Loewenfeld, <strong>de</strong>r übrigens unter<br />

Kurt Eisner Bayerns ersten <strong>de</strong>mokratischen Verfassungstext<br />

ausgearbeitet hat, war bei <strong>de</strong>n Nazis so verhasst, dass sie ihn bereits<br />

bei ihrem Putsch 1923 in <strong>de</strong>r Nacht vom 8. zum 9. November<br />

verhaften wollten. Nach<strong>de</strong>m im März 1933 die Nazis<br />

auch in Bayern an die Macht gelangt waren, konnte Loewenfeld<br />

im letzten Moment am Tage <strong>de</strong>r geplanten Verhaftung in die<br />

Schweiz fliehen; später arbeitete er in New York bis zu seinem<br />

Tod 1963. Seine Erinnerungen, die von <strong>de</strong>r Kindheit bis zur<br />

Flucht 1933 reichen, sind eine <strong>de</strong>r wichtigsten Quellen zur<br />

bayerischen und <strong>de</strong>utschen Geschichte bis 1933; die Publikation<br />

wird von mir vorbereitet. Loewenfeld gehörte vor 1933 zu<br />

<strong>de</strong>n politisch klarsichtigsten Sozial<strong>de</strong>mokraten; er erlebte Hitlers<br />

Auftritte in München und sah schon frühzeitig das aufziehen<strong>de</strong><br />

Verhängnis voraus.<br />

Nach <strong>de</strong>n ersten individuellen Terrorakten kam schon am<br />

1.4.1933 <strong>de</strong>r Start zur Beseitigung einer unabhängigen Anwaltschaft.<br />

Es war <strong>de</strong>r Boykott-Tag <strong>de</strong>s neuen Regimes gegen jüdische<br />

Geschäfte, <strong>de</strong>r aber auch jüdische Ärzte und Anwälte betraf.<br />

An diesem Tag wur<strong>de</strong>n überall, vor allem in Berlin, jüdische<br />

Anwälte am Betreten <strong>de</strong>r Gerichtsgebäu<strong>de</strong> gehin<strong>de</strong>rt. Vor <strong>de</strong>n<br />

Gebäu<strong>de</strong>n stan<strong>de</strong>n SA-Wachen, die <strong>de</strong>n Zugang kontrollierten.<br />

Die Anwaltskammern, in <strong>de</strong>nen noch Anfang 1933 zahlreiche<br />

jüdische Kollegen zu <strong>de</strong>n geachtetsten Repräsentanten gehörten,<br />

vermie<strong>de</strong>n nicht nur je<strong>de</strong>n Protest gegen die Diskriminierung<br />

ihrer Kollegen, son<strong>de</strong>rn kollaborierten mit <strong>de</strong>n Nazis, in<strong>de</strong>m<br />

sie zur Ermöglichung <strong>de</strong>s Betretens <strong>de</strong>r Gerichtsgebäu<strong>de</strong><br />

Bescheinigungen mit „Ariernachweisen“ ausstellten. Hinter<br />

<strong>de</strong>m Boykott stand <strong>de</strong>r nationalsozialistische Justizpolitiker<br />

Hans Kerrl, <strong>de</strong>r geschäftsführen<strong>de</strong>r preußischer Justizminister<br />

war und bereits am 31. März <strong>de</strong>n sog. Kerrl-Erlass herausgegeben<br />

hatte, wonach Ju<strong>de</strong>n als Anwälte nur noch entsprechend<br />

ihrem Anteil an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bevölkerung zugelassen sein sollten.<br />

In Berlin gab es im März 1933 1879 „nichtarische“ Anwälte<br />

– von ihnen hätten nach Kerrls Plan nur etwa 35 übrig bleiben<br />

können. Kerrl gehörte 1933 zu <strong>de</strong>n radikalsten Antisemiten unter<br />

<strong>de</strong>n Nazis. Als Justizpolitiker wur<strong>de</strong> er 1936 wegen <strong>de</strong>s<br />

Übergangs <strong>de</strong>r Justiz in die Kompetenz <strong>de</strong>s Reiches entmachtet<br />

und verlor <strong>de</strong>n Posten <strong>de</strong>s preußischen Justizministers unter<br />

Göring – er blieb aber Reichskirchenminister und hat in dieser<br />

Eigenschaft Hitler bis zu seinem To<strong>de</strong> 1941 gedient. Kurz vor<br />

<strong>de</strong>m Boykott hielt Kerrl am 29.3.1933 eine Rundfunkre<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>r<br />

er unter an<strong>de</strong>rem folgen<strong>de</strong>s sagte: „Die Ju<strong>de</strong>n sind Ungeziefer,<br />

Wanzen, die man ausräuchern, zerknacken und vertilgen<br />

muss.“ Das war die Sprache <strong>de</strong>s Justizministers schon zwei Monate<br />

nach <strong>de</strong>m 30. Januar 1933. Kerrl konnte sich jedoch 1933<br />

mit seiner I<strong>de</strong>e eines proportionalen Anteils jüdischer Anwälte<br />

nicht durchsetzen, die schon damals zum Berufsverbot für mehr<br />

als 90 % jüdischer Anwälte geführt hätte. Er hatte in <strong>de</strong>m von<br />

Hitler übernommenen <strong>de</strong>utschnationalen Reichsjustizminister<br />

Franz Gürtner einen Gegner, <strong>de</strong>r eine reichsgesetzliche Regelung<br />

für Anwälte durch das Gesetz über die Zulassung zur<br />

Rechtsanwaltschaft v. 7.4.1933 erreichte. Dieses Gesetz lehnte<br />

sich an das gleichzeitige Gesetz über die Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>s<br />

Berufsbeamtentums an, war aber weniger einschnei<strong>de</strong>nd, da jüdische<br />

RAe nicht automatisch ihre Zulassung verloren, son<strong>de</strong>rn<br />

nur <strong>de</strong>ren Rücknahme bis zum 30.9.1933 vorgesehen war. Die<br />

entlassenen „nichtarischen“ Beamten konnten unter Umstän<strong>de</strong>n<br />

eine Zulassung als Anwälte erhalten – <strong>de</strong>r Anwaltsstand<br />

diente zunächst als Auffangbecken für entlassene jüdische Richter<br />

und Beamte. Darunter befand sich <strong>de</strong>r junge Richter Adolf<br />

Arndt, <strong>de</strong>r in Berlin als Anwalt weiterarbeiten konnte und nach<br />

1945 <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendste sozial<strong>de</strong>mokratische Rechtspolitiker <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik wur<strong>de</strong>, schließlich auch Senator in Berlin.<br />

Das Gesetz v. 7.4. legte auch fest, dass drei Kategorien von<br />

Nichtariern als RAe verbleiben durften. Es waren Frontkämpfer<br />

<strong>de</strong>s Ersten Weltkriegs, Väter und Söhne Gefallener und schließlich<br />

die bereits am 1.8.1914 zugelassenen Anwälte, die sog. Altanwälte.<br />

An<strong>de</strong>rerseits sollte allen RAen, die sich im kommunistischen<br />

Sinne betätigt hatten, die Zulassung entzogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Dadurch wur<strong>de</strong> es möglich, mit <strong>de</strong>r Verdächtigung als Kommunisten<br />

sozial<strong>de</strong>mokratische Anwälte auszuschalten, was allerdings<br />

nicht immer gelang. Der sozial<strong>de</strong>mokratische Anwalt<br />

Ernst Fraenkel, vor 1933 Syndikus beim Deutschen Metallarbeiterverband,<br />

hätte als Frontkämpfer trotz nichtarischer Abstammung<br />

zugelassen wer<strong>de</strong>n müssen. Er wur<strong>de</strong> im preußischen Justizministerium<br />

kommunistischer Tätigkeit beschuldigt, wehrte<br />

sich aber energisch und erreichte schließlich, dass ihm das Justizministerium<br />

die Zulassung nicht entzog.<br />

Obwohl Kerrl bemüht war, in Preußen möglichst viele Nichtarier<br />

zum Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Anwaltsberuf zu zwingen und<br />

die Ausnahmen <strong>de</strong>s Gesetzes eng auszulegen, in<strong>de</strong>m z.B. nicht<br />

etwa je<strong>de</strong>r Soldat <strong>de</strong>s Weltkriegs als „Frontkämpfer“ gelten<br />

sollte, verblieben En<strong>de</strong> 1933 immer noch 1220 nichtarische<br />

Anwälte, also etwa 2 / 3 <strong>de</strong>r Zahl von Anfang 1933. Da seit April<br />

1933 Nichtarier nicht mehr zum Referendardienst zugelassen<br />

wur<strong>de</strong>n und bereits eingestellte Referendare aus <strong>de</strong>m Dienst<br />

entfernt wur<strong>de</strong>n, musste sich <strong>de</strong>r Anteil jüdischer Anwälte<br />

zwangsläufig allmählich vermin<strong>de</strong>rn. Die verbliebenen Nichtarier<br />

als RAe waren vielen Diskriminierungen ausgesetzt – so<br />

sollten sie nicht mehr als Armenanwälte beigeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />

Trotz<strong>de</strong>m haben viele ausgeharrt, obwohl sie seit <strong>de</strong>n Nürnberger<br />

Gesetzen von 1935 nicht mehr Reichsbürger waren und dadurch<br />

vor allem vom Notariat ausgeschlossen wur<strong>de</strong>n. Trotz<br />

schlechter Finanzlage <strong>de</strong>r Praxen gab es aber Anfang 1938 in<br />

Preußen immer noch 1647 RAe jüdischer Herkunft, etwa 15 %,<br />

in Berlin waren es 28 %, in Frankfurt 23 %, in Breslau 16,4 %.<br />

Der Anschluss Österreichs 1938 be<strong>de</strong>utete zunächst nochmals<br />

eine erhebliche Vermehrung <strong>de</strong>r Zahl nichtarischer Anwälte.<br />

Man übertrug zunächst die <strong>de</strong>utsche Regelung von 1933 – also<br />

Zulassung <strong>de</strong>r Frontkämpfer etc. –, was aber immer noch viele<br />

jüdische Anwälte vor allem in Wien übrig ließ: es waren dort<br />

936, 2 / 3 <strong>de</strong>r Gesamtzahl <strong>de</strong>r Anwälte. Man entschloss sich daher<br />

im Reichsjustizministerium schon im April 1938, die Ju<strong>de</strong>n<br />

gänzlich vom Anwaltsberuf auszuschließen. Sie sollten nur<br />

noch als „jüdische Konsulenten“ die Möglichkeit haben, Ju<strong>de</strong>n<br />

rechtlich zu beraten und zu vertreten, mussten aber zu dieser<br />

Tätigkeit auch ausdrücklich, nach Bedürfnis, zugelassen wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Ausschluss aus <strong>de</strong>r Anwaltschaft erfolgte durch die 5.<br />

Verfügungsverordnung zum Reichsbürgergesetz v. 14.10.1938,<br />

drei Wochen vor <strong>de</strong>r Reichspogromnacht. Diesen Ausschluss<br />

feierte Erwin Noack, zweiter Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Reichsrechtsanwaltskammer<br />

seit 1933, mit einem Artikel „Die Entjudung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Anwaltschaft“ in <strong>de</strong>r JW mit folgen<strong>de</strong>n Worten: „Die vom<br />

Gesetzgeber gewählte Lösung ist ein würdiger weltanschaulich<br />

bedingter Ausgleich. Dem <strong>de</strong>utschen Volksgenossen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche<br />

Rechtswahrer! Dem Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r jüdische Konsulent! Mit<br />

Stolz kann <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Anwalt sich wie<strong>de</strong>r Rechtsanwalt nennen.“<br />

In <strong>de</strong>r Anwaltschaft konnten auch nach 1938 die sog. jüdischen<br />

Mischlinge verbleiben. Sie wur<strong>de</strong>n aber durch beson<strong>de</strong>re<br />

Listen bei <strong>de</strong>n Gerichten erfasst und konnten nur Mischlinge<br />

o<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>rs darum nachsuchen<strong>de</strong> arische Parteien<br />

vertreten, also we<strong>de</strong>r Armenanwälte noch Pflichtverteidiger<br />

sein.<br />

Die Zahl <strong>de</strong>r zugelassenen Konsulenten war sehr gering, so z.B.<br />

in Berlin nur 49 gegenüber 671 jüdischen Anwälten noch En<strong>de</strong><br />

1938. Sie mussten bei Vertretungen eine „Ju<strong>de</strong>nkarte“ vorlegen<br />

und waren seit 1941 natürlich durch Tragen <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>nsterns ge-

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