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BRAK-Mitt. 2/2002 Aktuelle Hinweise V<br />
Aktuelle Hinweise<br />
Buchbesprechung<br />
Bun<strong>de</strong>sDeutscheGesetze, CD-ROM, Aktualisierung<br />
3- bis 4-mal jährlich, im Einzelbezug<br />
o<strong>de</strong>r Abonnement je 15 Euro<br />
(ISBN 3-8240-0495-X)<br />
Mit Stand 8. Januar 2002 ist im Deutschen<br />
Anwaltverlag bereits die 4. Ausgabe<br />
einer umfassen<strong>de</strong>n und zuverlässigen<br />
Gesetzessammlung auf CD erschienen.<br />
Sie enthält im Volltext über 400<br />
Gesetze zum Arbeitsrecht, Familienrecht,<br />
Prozessrecht, Sozialrecht, Steuerrecht,<br />
Strafrecht, Verkehrsrecht, Versicherungsrecht,<br />
Verwaltungsrecht und Wirtschaftsrecht.<br />
Dank einfachster Handhabung sind die<br />
benötigten Gesetze bzw. Paragraphen<br />
schnell aufzufin<strong>de</strong>n, Querverweise auf<br />
Regelungen eines an<strong>de</strong>ren Gesetzes sind<br />
mit einem einfachen Doppelklick zu erreichen.<br />
Die Normen können bequem in<br />
die eigene Textverarbeitung übernommen<br />
wer<strong>de</strong>n, die Ausdrucke sind perfekt<br />
geeignet als Unterlagen für die Akten.<br />
Diese CD-ROM macht das mühsame<br />
Einordnen von Loseblattwerken überflüssig<br />
und hat einen <strong>de</strong>utlichen Aktualisierungsvorsprung.<br />
Interessant ist auch die<br />
Möglichkeit <strong>de</strong>r Verwendung als Netzwerkversion<br />
für Großkanzleien, Behör<strong>de</strong>n<br />
und Unternehmen – je<strong>de</strong>r Mitarbeiter<br />
hat im Nu Zugriff auf die benötigte<br />
Norm.<br />
Nähere Informationen erhalten Sie<br />
beim Deutschen Anwaltverlag, Wachsbleiche<br />
7, 53113 Bonn, Tel. 02 28/<br />
91 91 1 76, Fax: 02 28/91 91 1 23, E-Mail:<br />
kontakt@anwaltverlag.<strong>de</strong>.<br />
Veranstaltungshinweise<br />
Tag <strong>de</strong>r Freien Berufe 2002 am 24. April 2002 in Berlin<br />
Aufruf <strong>de</strong>s BFB<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Mitglie<strong>de</strong>r,<br />
im Namen <strong>de</strong>s Präsidiums <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverban<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Freien Berufe und <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten,<br />
Dr. Ulrich Oesingmann, aller Organe <strong>de</strong>s BFB sowie seiner Mitglie<strong>de</strong>r dürfen<br />
wir Sie sehr herzlich zum<br />
Tag <strong>de</strong>r Freien Berufe 2002<br />
am 24. April 2002,<br />
Haus <strong>de</strong>r Kulturen <strong>de</strong>r Welt<br />
(früher: Kongresshalle/Schwangere Auster),<br />
John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin-Tiergarten,<br />
Tel.: (0 30) 39 78 70,<br />
Fax: (0 30) 3 94 86 79<br />
einla<strong>de</strong>n.<br />
In unmittelbarer Nachbarschaft zum Bun<strong>de</strong>skanzleramt wollen wir nicht nur mit<br />
diesem über die Belange <strong>de</strong>r Freien Berufe re<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn Ihnen auch ein interessantes<br />
Tagesprogramm zur Information über die Belange <strong>de</strong>r Freien Berufe, ihre<br />
Wi<strong>de</strong>rspiegelung in Politik und Wirtschaft sowie ihre Ausbildungsleistung bieten.<br />
Wir dürfen Sie sehr herzlich bitten, alle Ihre Mitglie<strong>de</strong>r davon zu unterrichten, dass<br />
von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr das Haus <strong>de</strong>r Kulturen <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r Treffpunkt <strong>de</strong>r<br />
Freien Berufe sein wird!<br />
Wir freuen uns auf die Teilnahme aller Freiberufler, in Son<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>rjenigen aus<br />
Berlin und Bran<strong>de</strong>nburg!<br />
Der Politik, <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>skanzler soll auch zahlenmäßig auf eindrucksvolle Weise<br />
<strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n, dass er mit <strong>de</strong>n Freien Berufen rechnen muss und im Falle von<br />
Konsens und Übereinstimmung auch rechnen kann.<br />
Tausend leere Sitzplätze warten auf Sie und Ihre Mitglie<strong>de</strong>r.<br />
In unmittelbarer Nachbarschaft <strong>de</strong>r Kongresshalle sind für die Tagungsteilnehmer<br />
300 Parkplätze reserviert.<br />
Für ergänzen<strong>de</strong> Fragen und Informationen sowie Meldungen stehen wir zur Verfügung.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
RA Arno Metzler<br />
Hauptgeschäftsführer<br />
Bun<strong>de</strong>sverband <strong>de</strong>r Freien Berufe, Reinhardtstraße 34, 10117 Berlin, Postfach<br />
04 03 20, 10062 Berlin, Tel.: (0 30) 28 44 44-0, Fax: (0 30) 28 44 44-40, E-Mail:<br />
info- bfb@freie-berufe.<strong>de</strong>, Homepage: http://www.freie-berufe.<strong>de</strong><br />
Institut für Anwaltsrecht<br />
an <strong>de</strong>r Universität zu Köln,<br />
Ringvorlesung „Einführung<br />
in <strong>de</strong>n Anwaltsberuf“<br />
Im Sommersemester 2002 fin<strong>de</strong>n im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r von Prof. Dr. Barbara Grunewald<br />
und Prof. Dr. Martin Henssler,<br />
Direktoren <strong>de</strong>s Instituts für Anwaltsrecht<br />
an <strong>de</strong>r Universität zu Köln, angebotenen<br />
Ringvorlesung „Einführung in <strong>de</strong>n Anwaltsberuf“<br />
Vortragsveranstaltungen zu<br />
<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Themen statt:<br />
• 23. 4. 2002: „Auch Mediation ist Anwaltssache!“,<br />
RAe/Mediatoren Ulrike<br />
Fischer, Andrea Bud<strong>de</strong>, Annette Löning,<br />
Dr. Rainer Voss, Dr. hc. Ludwig<br />
Koch, Köln<br />
• 7. 5. 2002: „Anwaltliche Tätigkeit im<br />
Bereich M & A“, RA Dr. Wolfgang Hölters,<br />
Düsseldorf<br />
• 28. 5. 2002: „Die Organisation <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen Anwaltskanzlei“, RA Klemens<br />
Werner, Essen<br />
• 11. 6. 2002: „Die erfolgreiche Bewerbung<br />
als RA“, RA Dieter Trimborn von<br />
Lan<strong>de</strong>nberg, Cochem<br />
• 25. 6. 2002: „Interessenkollisionen<br />
und anwaltliche Berufsausübung“,<br />
Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für<br />
Arbeits- und Wirtschaftsrecht an <strong>de</strong>r<br />
Universität zu Köln<br />
• 9. 7. 2002: „Unternehmensjurist in <strong>de</strong>r<br />
Versicherungswirtschaft“, RA Wolfgang<br />
Rüdt, Köln<br />
(Fortsetzung Seite VI)
VI Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 2/2002<br />
(Fortsetzung von Seite V)<br />
Die Veranstaltungen fin<strong>de</strong>n dienstags<br />
von 17–19 Uhr im Neuen Senatssaal <strong>de</strong>r<br />
Universität zu Köln, Hauptgebäu<strong>de</strong>, Albertus-Magnus-Platz,<br />
50923 Köln, statt.<br />
Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung<br />
nicht erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
Die Vortragsreihe wird im Wintersemester<br />
2002/2003 fortgesetzt. Namhafte<br />
Referenten wer<strong>de</strong>n voraussichtlich zu<br />
<strong>de</strong>n Themen „Anwaltliche Tätigkeit in<br />
<strong>de</strong>r internationalen Großkanzlei“ (RA<br />
Dr. Thomas Kreifels, Düsseldorf),<br />
„Selbstverwaltung <strong>de</strong>r Anwaltschaft –<br />
Das Kammerwesen“ (Prof. Dr. Peter<br />
Tettinger, Universität zu Köln),<br />
„McLaw’s – Franchising in <strong>de</strong>r Anwaltschaft?“<br />
(Prof. Dr. Dr. Michael Martinek,<br />
M.C.J. [New York], Universität Saarbrücken),<br />
„Wie bewerbe ich mich richtig?“<br />
(RA Torsten Schnei<strong>de</strong>r, Köln), „Beschäftigungsbedingungen<br />
junger Rechtsanwälte“<br />
(RA Joachim Holthausen,<br />
Bonn), „Der familienrechtlich spezialisierte<br />
Anwalt“ (N.N.) referieren.<br />
Nähere Informationen zu <strong>de</strong>n einzelnen<br />
Veranstaltungen: www.anwaltsrecht.org<br />
(Veranstaltungen) o<strong>de</strong>r unter Tel. 02 21/<br />
4 70 57 11.<br />
Institut für Anwaltsrecht (IfA)<br />
an <strong>de</strong>r Universität zu Rostock<br />
Im Sommersemester 2002 fin<strong>de</strong>n Veranstaltungen<br />
zu <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Themen<br />
statt:<br />
1. Ringvorlesung im Anwaltsrecht<br />
• 18. 4. 2002: „Rechtsanwaltsgebührenrecht“<br />
• 25. 4. 2002: „Anwaltsmarketing und<br />
Anwaltswerbung“<br />
• 2. 5. 2002: „Anwaltshaftung“<br />
• 16. 5. 2002: „Nischen auf <strong>de</strong>m Anwaltsmarkt“<br />
• 23. 5. 2002: „Mediation, das neue<br />
Betätigungsfeld für Anwälte“<br />
• 6. 6. 2002: „Zivilrechtliche Vertragsgestaltung<br />
nach <strong>de</strong>m Schuldrechtsreformgesetz“<br />
• 13. 6. 2002: „Prozesstaktik im Zivilprozess“<br />
• 20. 6. 2002: „Der Strafverteidiger“<br />
• 27. 6. 2002: „Das familienrechtliche<br />
Mandat“<br />
• 4. 7. 2002: „Die Verbraucherinsolvenz<br />
aus anwaltlicher Sicht“<br />
• 11. 7. 2002: „Das straßenverkehrsrechtliche<br />
Mandat“<br />
2. Strafprozessrecht aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s<br />
Strafverteidigers<br />
• 12. 4. 2002, 24. 4. 2002, 15. 5. 2002<br />
und 3. 6. 2002, Referent: RA Gerhard<br />
Strate, IfA<br />
3. Seminar zum Verhandlungsmanagement<br />
• 22. 6. und 23. 6. 2002, Constantin Olbrisch,<br />
Mediationsstelle Frankfurt/O.,<br />
Nick Eschenbruch, IfA<br />
Anmeldung bis zum 15. Mai erfor<strong>de</strong>rlich<br />
per E-Mail bei constantin.olbrisch@<br />
epost.<strong>de</strong> am Institut für Anwaltsrecht,<br />
ifa@jurfak.uni-rostock.<strong>de</strong>.<br />
4. Öffentliches Bo<strong>de</strong>n- und Baurecht<br />
• 23. 5. 2002, 24. 5. 2002, 20. 6. 2002<br />
und 21. 6. 2002, Referent: RA Dr. Dippel,<br />
IfA<br />
5. Moot-Court im Zivilrecht gemeinsam<br />
mit <strong>de</strong>r Juristischen Fakultät <strong>de</strong>r<br />
Humboldt-Universität Berlin<br />
Ab <strong>de</strong>m 4. Semester, RA Dr. von Rechenberg,<br />
RA Schmidt (bei<strong>de</strong> Berlin) und Prof.<br />
Koch, RA Hüpers (bei<strong>de</strong> Rostock).<br />
Weitere Informationen zu <strong>de</strong>n Örtlichkeiten<br />
<strong>de</strong>r jeweiligen Veranstaltung und<br />
(Fortsetzung Seite X)
X BRAK-Mitt. 2/2002<br />
(Fortsetzung von Seite VI)<br />
<strong>de</strong>r Durchführung <strong>de</strong>s Moot-Court: Institut<br />
für Anwaltsrecht an <strong>de</strong>r Universität<br />
Rostock, Richard-Wagner-Str. 31 (Haus 1),<br />
18119 Rostock-Warnemün<strong>de</strong>, Tel.:<br />
03 81/4 98 38 61, Fax: 03 81/4 98 37 91,<br />
E-Mail: ifa@jurfak.uni-rostock.<br />
Institut für Anwaltsrecht,<br />
München<br />
Im Sommersemester 2002 bietet das<br />
Institut für Anwaltsrecht an <strong>de</strong>r Universität<br />
München Vortragsveranstaltungen<br />
zu <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Themen an:<br />
Ringvorlesung „Anwaltliche Berufsbil<strong>de</strong>r“<br />
• 18. 4. 2002 „Der Syndikusanwalt“,<br />
RA Dr. Eberhard Seybold, München<br />
• 25. 4. 2002 „Familienrecht – Scheidungsrecht“,<br />
RAin Dr. Doris Kloster-<br />
Harz, München<br />
• 23. 5. 2002 „Presse- und Medienrecht<br />
unter Einbeziehung <strong>de</strong>r Thematik:<br />
Die virtuelle Kanzlei“, RA Prof.<br />
Dr. Robert Schweizer, München<br />
• 6. 6. 2002 „Öffentliches Recht – am<br />
Beispiel <strong>de</strong>s Umwelt- und Baurechts“,<br />
RA Rudolf Häusler, München<br />
• 13. 6. 2002 „Straßenverkehrsrecht in<br />
<strong>de</strong>r anwaltlichen Praxis“, RA Ottheinz<br />
Kääb, München<br />
• 20. 6. 2002 „Strafverteidigung in <strong>de</strong>r<br />
Praxis“, RA Dr. Robert Jofer, München<br />
• 27. 6. 2002 „Aufbau einer Kanzlei“,<br />
RA Michael Du<strong>de</strong>k, München<br />
• 11. 7. 2002 „Der Wirtschaftsanwalt<br />
und Mediation“, RA Dr. Christian<br />
Duve, Frankfurt am Main<br />
Anmeldung nicht erfor<strong>de</strong>rlich, keine<br />
Teilnehmergebühr.<br />
Son<strong>de</strong>rveranstaltung<br />
• 11. 6. 2002, „Berufsstart für Juristen“,<br />
RA Stephan Schosland, München<br />
Nähere Informationen: Institut für Anwaltsrecht,<br />
Ainmillerstraße 11, 80801<br />
München, Tel.: 089/34 02 94-76, Fax:<br />
0 89/34 02 94-78, E-Mail: info@<br />
anwalts-recht.<strong>de</strong>, Internet: www.anwaltsrecht.<strong>de</strong>.<br />
Vorankündigung <strong>de</strong>r<br />
UIA-Konferenz 2002<br />
Der 46. UIA-Kongress wird dieses Jahr v.<br />
27. bis 31. 10. 2002 in Sydney stattfin<strong>de</strong>n.<br />
Die Hauptthemen <strong>de</strong>s Kongresses<br />
wer<strong>de</strong>n Schiedsgerichtsbarkeit, Meinungsfreiheit<br />
und Sportrecht sein. Außer<strong>de</strong>m<br />
wird es Son<strong>de</strong>rveranstaltungen zu<br />
<strong>de</strong>n Themen „Sydney – Ein internationales<br />
Finanzzentrum“ und zum Umweltrecht<br />
geben. Anmeldungen können gerichtet<br />
wer<strong>de</strong>n an: UIA Centre – 25 Rue<br />
Du Jour – 75001 Paris – France, Tel.:<br />
+33 1 44 88 55 66, Fax: +33 1 44 88 55<br />
77, E-Mail: uiacentre@wanadoo.fr. Weitere<br />
Informationen im Internet unter<br />
www.uianet.org.<br />
Deutsch-Französische<br />
Hochschule<br />
Die Deutsch-Französische Hochschule<br />
(DFH), Saarbrücken, bietet ab sofort die<br />
Möglichkeit, qualifizierte Hochschulabsolventen,<br />
Doktoranten und Studieren<strong>de</strong><br />
verschie<strong>de</strong>nster Fachrichtungen mittels<br />
einer Job- und Praktikumsbörse online zu<br />
fin<strong>de</strong>n. Die in die Jobbörse eingestellten<br />
Absolventinnen und Absolventen verfügen<br />
neben einem fachspezifischen Studium<br />
über binationale Kompetenz. Die<br />
Nutzung <strong>de</strong>r DFH-Jobbörse ist zwar<br />
grundsätzlich gebührenfrei, jedoch verpflichten<br />
sich die Stellenanbieter als Gegenleistung,<br />
<strong>de</strong>r DFH Informationen zum<br />
Arbeitsmarktangebot zu liefern. Weitere<br />
Informationen unter www.dfh-ufa.org.
2/2002<br />
15. 4. 2002 33. Jahrgang<br />
Informationen<br />
zu Berufsrecht und<br />
Berufspolitik<br />
BRAK<br />
Mitteilungen<br />
Herausgeber<br />
BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER<br />
Akzente<br />
Versprochen!?<br />
„Kanzler stoppt Herta Däubler-Gmelin“ – so war in <strong>de</strong>r<br />
Sonntagsausgabe <strong>de</strong>r FAZ v. 24. 3. 2002 zu lesen. Der<br />
Kanzler wer<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Deutschen Anwaltstag am<br />
9. Mai 2002 in München mit leeren Hän<strong>de</strong>n kommen.<br />
Aufregung in <strong>de</strong>r Anwaltschaft! Man fühlte sich getäuscht.<br />
Hatte nicht <strong>de</strong>r Parlamentarische Staatssekretär<br />
im Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz in <strong>de</strong>r letzten Sitzung<br />
<strong>de</strong>s Rechtsausschusses <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages vor<br />
<strong>de</strong>r Osterpause auf eine Frage <strong>de</strong>s Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Rechtsausschusses <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages Professor<br />
Dr. Scholz (CDU) erklärt, das Gesetz wer<strong>de</strong> noch in<br />
dieser Legislaturperio<strong>de</strong> eingebracht; <strong>de</strong>r Kanzler wer<strong>de</strong><br />
auf <strong>de</strong>m Deutschen Anwaltstag in München eine frohe<br />
Botschaft verkün<strong>de</strong>n?<br />
Die Anpassung <strong>de</strong>r seit 1994 nicht angehobenen Gebühren<br />
<strong>de</strong>r Anwaltschaft ist dringend notwendig!<br />
– Der Preisin<strong>de</strong>x für die Lebenshaltung ist zwischen<br />
<strong>de</strong>m 1. 1. 1994 und 31. 12. 2000 im gesamten Bun<strong>de</strong>sgebiet<br />
um 10,7 % Punkte gestiegen; wenn die Anpassung<br />
<strong>de</strong>r Gebühren zum 1. 1. 2003 in Kraft treten<br />
wird, ist von einer Steigerung <strong>de</strong>s Preisin<strong>de</strong>xes von ca.<br />
15 % Punkten auszugehen.<br />
– Die Richterbesoldung ist von 1994 bis zum 1. 1. 2001<br />
um 31,87 % (Grundgehalt R1, Lebensalter: 41 Jahre)<br />
gestiegen.<br />
– Die Jahresüberschüsse <strong>de</strong>r Rechtsanwälte sind im Zeitraum<br />
1994 bis 1999 bei Einzelkanzleien im Westen<br />
von 73 000 DM auf 58 000 DM gesunken, für Einzelkanzleien<br />
im Osten von 58 000 DM auf 60 000 DM<br />
gestiegen (Grund: teilweise Aufhebung <strong>de</strong>s Gebührenabschlages<br />
Ost).<br />
Drei Legislaturperio<strong>de</strong>n sind seit 1994 vergangen, ohne<br />
dass etwas geschehen ist. Deshalb schenkte die Ministerin<br />
im Herbst 2000 <strong>de</strong>r Anwaltschaft ihr Gehör. Eine<br />
Anpassung <strong>de</strong>r Vergütung <strong>de</strong>r Anwaltschaft wer<strong>de</strong> und<br />
müsse durch eine Strukturreform erfolgen.<br />
Die Bun<strong>de</strong>sministerin <strong>de</strong>r Justiz setzte <strong>de</strong>shalb eine<br />
Arbeitsgruppe ein, die durch die BRAK erheblich unterstützt<br />
wur<strong>de</strong>. Ein halbes Jahr lang arbeitete auf Bitten <strong>de</strong>s<br />
Bun<strong>de</strong>sjustizministeriums eine Kollegin <strong>de</strong>r Geschäftsführung<br />
<strong>de</strong>r BRAK dieser Arbeitsgruppe zu; zusätzlich<br />
gab die BRAK auch im Interesse <strong>de</strong>s BMJ eine wissenschaftliche<br />
Untersuchung in Auftrag, um festzustellen,<br />
wie sich eine Strukturreform <strong>de</strong>r Anwaltsvergütung auf<br />
die Gebühreneinnahmen <strong>de</strong>r Anwaltschaft auswirken<br />
wer<strong>de</strong>.<br />
Die Arbeitsgruppe hat ihre Arbeiten rechtzeitig abgeschlossen.<br />
Seit Oktober 2001 wartet die Anwaltschaft<br />
auf die gesetzliche Umsetzung, die die Ministerin im<br />
Oktober <strong>de</strong>s Jahres 2000 noch für diese Legislaturperio<strong>de</strong><br />
versprochen hatte. Sämtliche Fraktionen <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>stages<br />
haben in persönlichen Gesprächen die Notwendigkeit<br />
<strong>de</strong>r Strukturreform und <strong>de</strong>r Erhöhung <strong>de</strong>r Anwaltsvergütung<br />
zum Ausdruck gebracht.<br />
Die Ministerin, auf <strong>de</strong>n Zeitungsbericht aus <strong>de</strong>r „Frankfurter<br />
Allgemeine Sonntagszeitung“ angesprochen, versprach<br />
nochmals die rechtzeitige Einbringung <strong>de</strong>s Gesetzesvorhaben.<br />
Die Pressemeldung sei eine Ente.<br />
Versprochen?!<br />
Die Ministerin, aber auch die Bun<strong>de</strong>sregierung, wer<strong>de</strong>n<br />
sich am 22. 9. 2002 daran messen müssen, ob sie ihr<br />
Versprechen eingehalten hat/haben.<br />
Bernhard Dombek
50 Aufsätze BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Weil, Der Rechtsanwalt – ein Unternehmer beson<strong>de</strong>rer Art<br />
Der Rechtsanwalt – ein Unternehmer beson<strong>de</strong>rer Art<br />
Rechtsanwalt und Avocat Heinz Weil, Paris<br />
Mit beson<strong>de</strong>rer Spannung wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Anwaltsgemeinschaft<br />
weltweit ebenso wie von <strong>de</strong>n großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
das Urteil erwartet, das <strong>de</strong>r EuGH am 19. 2. 2002<br />
nach zweieinhalbjähriger Verfahrensdauer und jahrelangem<br />
Vorverfahren in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n zur Frage <strong>de</strong>r Zulässigkeit <strong>de</strong>s<br />
Verbots interprofessioneller Sozietäten (multiprofessional partnerships<br />
o<strong>de</strong>r MDPs im internationalen Sprachgebrauch) erlassen<br />
hat. Das Verfahren war bisher als das NOVA Verfahren (Abkürzung<br />
von Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong> van Advocaten) im Sprachgebrauch<br />
bekannt. Es wird wohl als das „Wouters Urteil“, nach<br />
<strong>de</strong>m Namen eines <strong>de</strong>r Kl. <strong>de</strong>s Ausgangsverfahrens, in die Annalen<br />
<strong>de</strong>s EuGH eingehen (Rs. C-309/99, abgedruckt im gleichen<br />
Heft). Das Verfahren wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Anwaltschaft mit<br />
einem gewissen Abstand betrachtet, da man sich von <strong>de</strong>r Hauptfrage<br />
– vielleicht zu Unrecht – nicht betroffen fühlte, nach<strong>de</strong>m<br />
das <strong>de</strong>utsche anwaltliche Berufsrecht im Hinblick auf die nahezu<br />
<strong>de</strong>ckungsgleichen Berufspflichten <strong>de</strong>r RAe und WP interprofessionelle<br />
Sozietäten bei<strong>de</strong>r Berufe zulässt (§ 59a BRAO).<br />
Trotz<strong>de</strong>m hat sich die Bun<strong>de</strong>sregierung nach Konsultierung <strong>de</strong>r<br />
Organe <strong>de</strong>r Anwaltschaft ebenso wie sieben an<strong>de</strong>re Staaten an<br />
<strong>de</strong>m Verfahren beteiligt und mit Erfolg ihre Stimme zu Gehör gebracht.<br />
Der Rat <strong>de</strong>r Anwaltschaften <strong>de</strong>r Europäischen Union<br />
(CCBE) war ebenfalls Verfahrensbeteiligter. Dies zeigt die Be<strong>de</strong>utung<br />
<strong>de</strong>r Rechtssache. Hinzu kommt, dass <strong>de</strong>r EuGH am<br />
gleichen Tag in einem italienischen Vorlageverfahren (Rs. C-<br />
35/99 Arduino, veröffentlicht ebenfalls im gleichen Heft) grundsätzliche<br />
Feststellungen zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung<br />
anwaltlicher Honorarordnungen getroffen hat.<br />
Das internationale, weit über die EU hinausgehen<strong>de</strong> Interesse<br />
für das Wouters Urteil <strong>de</strong>s EuGH ist vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r in<br />
Deutschland wegen <strong>de</strong>r Zulässigkeit <strong>de</strong>r Sozietät von RAen und<br />
WP nur verhalten zu spüren<strong>de</strong>n heftigen Diskussion über interprofessionelle<br />
Sozietäten und ganz konkret wegen <strong>de</strong>r Aus<strong>de</strong>hnung<br />
<strong>de</strong>r Aktivitäten <strong>de</strong>r Big Five auf die Rechtsberatung zu verstehen.<br />
Die <strong>de</strong>utsche Rechtslage ist international in <strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rheit.<br />
In <strong>de</strong>n USA, <strong>de</strong>m weltweit größten Anwaltsmarkt, ebenso<br />
wie <strong>de</strong>n meisten Staaten Europas gilt das Verbot gemeinsamer<br />
Berufsausübung von RAen und WP zum Schutz <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />
Kernpflichten <strong>de</strong>r Unabhängigkeit und <strong>de</strong>r Unzulässigkeit<br />
<strong>de</strong>r Vertretung wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen. Nach einer vehementen<br />
Debatte hat sich die American Bar Association <strong>de</strong>m<br />
Versuch, dieses Verbot aufzuheben, wi<strong>de</strong>rsetzt. Der Enron-<br />
Skandal hat <strong>de</strong>n Folgen <strong>de</strong>r Verquickung prüfen<strong>de</strong>r und beraten<strong>de</strong>r<br />
Tätigkeit neue Aktualität gegeben. Vor diesem Hintergrund<br />
ist die EuGH-Entscheidung in <strong>de</strong>r Sache Wouters zu sehen.<br />
Ausgangspunkt <strong>de</strong>s Verfahrens Wouters ist das auch im nie<strong>de</strong>rländischen<br />
anwaltlichen Berufsrecht aufgrund einer Verordnung<br />
<strong>de</strong>s Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong> van Advocaten bestehen<strong>de</strong> Verbot <strong>de</strong>r<br />
gemeinsamen Berufsausübung von RAen und WP. Dagegen<br />
wandte sich <strong>de</strong>r Kollege Wouters, <strong>de</strong>r Partner <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rländischen<br />
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft von Arthur An<strong>de</strong>rsen gewor<strong>de</strong>n<br />
war ebenso wie ein an<strong>de</strong>rer Anwalt, <strong>de</strong>r Price Waterhouse<br />
beitreten wollte. Nach einem Verfahren zunächst vor <strong>de</strong>r<br />
holländischen Anwaltsgerichtsbarkeit und sodann vor <strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>rländischen<br />
staatlichen Gerichten legte das oberste VG (Raad<br />
van State) <strong>de</strong>m EuGH eine lange Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung<br />
vor, die sich in erster Linie mit <strong>de</strong>r Problematik befassen,<br />
ob die von <strong>de</strong>n Selbstverwaltungsorganen <strong>de</strong>r Anwaltschaft<br />
aufgrund staatlicher Delegation normierten Berufspflichten<br />
sich an <strong>de</strong>n zur Sicherung <strong>de</strong>s freien Wettbewerbs in <strong>de</strong>n<br />
EGV aufgenommenen Regeln messen lassen müssen. Dieser<br />
Aspekt berührt unmittelbar die <strong>de</strong>utsche Anwaltschaft sowie die<br />
Kammern und die Satzungsversammlung als ihre Organe, auch<br />
wenn die Ausgangsfrage <strong>de</strong>r Zulässigkeit beruflicher Zusammenarbeit<br />
von RAen und WP in Deutschland wegen <strong>de</strong>r Rechtslage<br />
nach nationalem Recht keine Rolle spielt (o<strong>de</strong>r vielleicht<br />
auch nur keine Rolle zu spielen scheint).<br />
Die Urteile <strong>de</strong>s EuGH in <strong>de</strong>n Verfahren Wouters und Arduino<br />
wer<strong>de</strong>n die Literatur in Deutschland, Europa und <strong>de</strong>n USA sicher<br />
noch nachhaltig beschäftigen. Die eingehend begrün<strong>de</strong>ten<br />
Schlussanträge <strong>de</strong>s Generalanwalts Léger in bei<strong>de</strong>n Verfahren<br />
(mit ausführlichem Literaturnachweis), auf die <strong>de</strong>r Gerichtshof<br />
zum Teil Bezug nimmt, wer<strong>de</strong>n dabei zu berücksichtigen sein<br />
(die Urteile und Schlussanträge sind unter www.curia.eu.int abrufbar).<br />
Diese erste Stellungnahme kann nur einige herausragen<strong>de</strong><br />
Aspekte anreißen.<br />
Die Struktur <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rländischen und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Anwaltschaft<br />
entspricht sich weitgehend. Bei<strong>de</strong> Anwaltschaften sind in<br />
einem zweistufigen Kammersystem zusammengefasst, in <strong>de</strong>m<br />
alle Anwälte von Gesetzes wegen zusammengefasst sind. Die<br />
Kammern (Or<strong>de</strong>) sind Körperschaften <strong>de</strong>s öffentlichen Rechts,<br />
<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r staatliche Gesetzgeber Selbstverwaltungsbefugnisse<br />
übertragen hat. Der Staat übt die Rechtsaufsicht aus. Die Organe<br />
bestehen ausschließlich aus von <strong>de</strong>r Anwaltschaft gewählten<br />
Berufsangehörigen. In diesem rechtlichen Rahmen hat die nie<strong>de</strong>rländische<br />
Kammer eine Verordnung erlassen, die die gemeinsame<br />
Berufsausübung von RAen und WP untersagt.<br />
Die <strong>de</strong>m EuGH gestellten Vorlagefragen beziehen sich auf die<br />
Anwendbarkeit <strong>de</strong>r Art. 81 ff. (früher Art. 85 ff.) EGV auf solches<br />
anwaltliches Berufsrecht. Es ist zunächst nicht zu vergessen,<br />
dass <strong>de</strong>m EuGH ein wesentlicher Anteil an <strong>de</strong>r Ausformung <strong>de</strong>s<br />
rechtlichen Bil<strong>de</strong>s zukommt, das die Anwaltschaft heute in Europa<br />
kennzeichnet. Lange kreisten die <strong>de</strong>m Gerichtshof vorgelegten<br />
Fragestellungen um die Abgrenzung <strong>de</strong>r Dienstleistungsund<br />
Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit. Seine liberale Rspr. hat erst veranlasst,<br />
dass die europäische Anwaltschaft heute über einen rechtlichen<br />
Rahmen verfügt, <strong>de</strong>r von vielen als vorbildlich angesehen<br />
wird. Eckpunkte sind insoweit die Dienstleistungs-, Diplomanerkennungs-<br />
und Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinien. Dieses Rechtsprechungs-<br />
und Gesetzgebungswerk dürfte in <strong>de</strong>n Grundzügen als<br />
abgeschlossen anzusehen sein. Jetzt geht es um das schwierige<br />
Spannungsverhältnis zwischen Wettbewerbsrecht und Selbstbestimmung<br />
<strong>de</strong>r Anwaltschaft.<br />
Der EuGH bejaht zunächst die Frage, dass es sich bei <strong>de</strong>n RAen<br />
um Unternehmer han<strong>de</strong>lt. Dies ist keine Überraschung und die<br />
logische Folge <strong>de</strong>r ersten Weichenstellung, die <strong>de</strong>r Gerichtshof<br />
bereits 1974 vornahm. Damals verneinte <strong>de</strong>r EuGH, dass die<br />
RAe eine Emanation <strong>de</strong>s Staates seien, auf die das Diskriminierungsverbot<br />
sowie die Dienstleistungs- und Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit<br />
wegen Teilnahme an <strong>de</strong>r Ausübung hoheitlicher Funktionen<br />
keine Anwendung fin<strong>de</strong>n, auch wenn sie ein Eckpfeiler <strong>de</strong>r<br />
rechtsstaatlichen Ordnung sind (so Rs. 2/74 Reyners, NJW
BRAK-Mitt. 2/2002 Aufsätze 51<br />
Weil, Der Rechtsanwalt – ein Unternehmer beson<strong>de</strong>rer Art<br />
1975, 513; Rs. 33/74 van Binsberghen, NJW 1975, 1095). Damit<br />
kam <strong>de</strong>r Anwalt in <strong>de</strong>n Genuss <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Marktteilnehmern<br />
eingeräumten Freizügigkeit. Es nimmt nicht Wun<strong>de</strong>r, dass <strong>de</strong>r<br />
Gerichtshof ihn dann auch als Unternehmer i.S.d. Art. 81 ff. EGV<br />
ansieht. Seine Zwitterstellung, auf <strong>de</strong>r einen Seite Organ <strong>de</strong>r<br />
Rechtspflege, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite Unternehmer, mit <strong>de</strong>n sich<br />
daraus ergeben<strong>de</strong>n Abgrenzungsschwierigkeiten, war damit<br />
durch die europäische Rspr. anerkannt. Sie entspricht sicher <strong>de</strong>r<br />
Realität.<br />
Die nächste vom EuGH im Wouters-Verfahren zu beantworten<strong>de</strong><br />
Frage betrifft die rechtliche Wertung <strong>de</strong>s von <strong>de</strong>r Anwaltschaft<br />
nach gesetzlicher Vorgabe gewählten Selbstverwaltungsorgans.<br />
Han<strong>de</strong>lt es sich um eine Unternehmensvereinigung<br />
i.S.d. Art. 81 EGV? Von <strong>de</strong>n Kl. <strong>de</strong>s Ausgangsverfahrens abgesehen<br />
vertraten fast alle Verfahrensbeteiligten die Auffassung, eine<br />
qua staatlicher Delegation öffentlich-rechtlich konstituierte<br />
Kammer sei kein Zusammenschluss von Unternehmern. Dem ist<br />
<strong>de</strong>r Gerichtshof ebenso wie zuvor bereits sein Generalanwalt<br />
nicht gefolgt. Die Rechtsform <strong>de</strong>r Körperschaft <strong>de</strong>s öffentlichen<br />
Rechts beeindruckt ihn nicht. Be<strong>de</strong>nkt man, dass die doktrinäre<br />
Trennung zwischen öffentlichem und privatem Recht nicht überall<br />
in <strong>de</strong>r EU so markant wie in Deutschland o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n<br />
besteht und <strong>de</strong>r Staat selbst es bei <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>r Form seines<br />
Han<strong>de</strong>lns mit dieser Unterscheidung nicht immer so ernst<br />
nimmt, so überrascht dies nicht. Überraschen<strong>de</strong>r ist, dass <strong>de</strong>r<br />
EuGH sich auch von <strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Aufgabe <strong>de</strong>s anwaltlichen<br />
Selbstverwaltungsorgans als Teil <strong>de</strong>r Justiz hergeleiteten<br />
Argumenten nicht überzeugen lässt. Hier erfolgt eine für die<br />
Funktion <strong>de</strong>r Anwaltschaft im Rechtsstaat nicht unbe<strong>de</strong>nkliche<br />
Herabwertung. Der EuGH schließt es nicht grundsätzlich aus,<br />
dass das Organ seiner Natur nach nicht als Unternehmensvereinigung<br />
zu qualifizieren sei, hält es aber dafür im Ergebnis für zu<br />
korporatistisch. Die vom Gerichtshof angelegten Wertungsmaßstäbe<br />
sind die Beteiligung von Nichtanwälten in <strong>de</strong>n Entscheidungsgremien<br />
<strong>de</strong>r Kammer und <strong>de</strong>ren (ausschließliche?) Verpflichtung<br />
auf das Allgemeininteresse bei <strong>de</strong>r autonomen Normsetzung.<br />
Da diese Kriterien in Holland (wie in Deutschland)<br />
nicht erfüllt wer<strong>de</strong>n, hält er eine Ausnahme von <strong>de</strong>r Qualifikation<br />
als Unternehmensvereinigung nicht für gerechtfertigt. Es ist<br />
in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass in England<br />
aufgrund dieser Gesichtspunkte die Mitwirkung von Laien in<br />
<strong>de</strong>n Organen <strong>de</strong>r Anwaltschaft eingeführt wur<strong>de</strong>.<br />
Nach <strong>de</strong>r Qualifizierung <strong>de</strong>r nationalen Kammer als Unternehmensvereinigung<br />
muss sich <strong>de</strong>r EuGH folgerichtig sodann <strong>de</strong>r<br />
Frage stellen, ob es sich bei <strong>de</strong>m Verbot <strong>de</strong>r Partnerschaft von<br />
RAen und WP in <strong>de</strong>r holländischen anwaltlichen Berufsnorm<br />
um einen Beschluss han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>r seiner Natur nach einer wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong>n<br />
Vereinbarung i.S.d. Art. 81 EGV<br />
gleichzusetzen ist. Hier setzt sich <strong>de</strong>r Gerichtshof mit einem Argument<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Regierung auseinan<strong>de</strong>r, das ihn im Hinblick<br />
auf die Breite, das es im Urteil einnimmt, offensichtlich beeindruckte.<br />
Es betrifft die Grundfrage, wie weit die Union die institutionelle<br />
Autonomie <strong>de</strong>r Mitgliedsstaaten tangieren darf. Die<br />
Bun<strong>de</strong>sregierung hatte geltend gemacht, es stehe ihr im Rahmen<br />
<strong>de</strong>r nationalen Souverenität frei, einer <strong>de</strong>mokratisch legitimierten<br />
berufsständischen Vertretung die Befugnis zum Erlass allgemein<br />
verbindlicher Normen zu übertragen. Dem EuGH ist die<br />
Sensibilität dieser Frage natürlich nicht entgangen und er meint,<br />
einen Ausweg gefun<strong>de</strong>n zu haben. Er stellt fest, <strong>de</strong>r Mitgliedsstaat<br />
habe die Wahl zwischen einerseits <strong>de</strong>r Übertragung von<br />
Rechtssetzungsbefugnissen an die Berufsvertretung unter Festlegung<br />
von Kriterien <strong>de</strong>s Allgemeininteresses und Fixierung eines<br />
Rahmens in Form zu beachten<strong>de</strong>r wesentlicher Grundsätze sowie<br />
darüber hinaus <strong>de</strong>m Vorbehalt <strong>de</strong>r Letztentscheidungsbefugnis<br />
<strong>de</strong>s Staates und an<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>r Einräumung einer weiten<br />
Normsetzungsfreiheit zugunsten <strong>de</strong>r Berufsvertretung. Im ersten<br />
Falle behielten die Berufsregeln die Rechtsqualität staatlicher<br />
Normen, auch wenn diese von <strong>de</strong>r Berufsvertretung gesetzt<br />
wer<strong>de</strong>n, und seien als solche keine Vereinbarung einer Unternehmensvereinigung,<br />
während dagegen im zweiten Falle die<br />
Normen als Beschluss einer Unternehmensvereinigung i.S.d.<br />
Kartellrechts zu qualifizieren seien. Im letzteren Fall verweist<br />
<strong>de</strong>r Gerichtshof als Ausweg auf die Möglichkeit <strong>de</strong>r Gruppenfreistellungsverordnung.<br />
Die Unterscheidung überzeugt nicht<br />
und wur<strong>de</strong> möglicherweise in ihren Konsequenzen nicht hinreichend<br />
überdacht. Die Folge ist nämlich, dass je mehr die Anwaltschaft<br />
staatlicher Aufsicht unterliegt, umso geringer die Gefahr<br />
ist, die Berufsregel wer<strong>de</strong> als Vereinbarung eines Unternehmenszusammenschlusses<br />
qualifiziert. Zur Wahrung <strong>de</strong>r<br />
Funktion <strong>de</strong>r Anwaltschaft im Rechtsstaat ist jedoch gera<strong>de</strong> die<br />
Distanz zu allen Mächten <strong>de</strong>r Gesellschaft erfor<strong>de</strong>rlich, einschließlich<br />
<strong>de</strong>s Staates, gegen <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r RA seinen Mandanten<br />
möglicherweise verteidigen muss. Je weiter <strong>de</strong>r Schritt in die<br />
Richtung dieser die rechtsstaatliche Ordnung sichern<strong>de</strong>n Unabhängigkeit<br />
geht, umso größer wird die Gefahr, dass an die Stelle<br />
<strong>de</strong>r Einflussnahme <strong>de</strong>s Staates die Aufsicht einer neuen staatlichen<br />
o<strong>de</strong>r quasi-staatlichen Gewalt in <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>s Wettbewerbshüters<br />
tritt, <strong>de</strong>r darüber hinaus im Gegensatz z. B. zum<br />
Justizministerium seiner Funktion entsprechend allein <strong>de</strong>n Wettbewerb<br />
und nicht das Beurteilungskriterium „Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege“<br />
als Wertmaßstab nimmt.<br />
Die <strong>de</strong>utsche Regierung und die <strong>de</strong>utschen Anwaltskammern<br />
können allerdings zunächst zufrie<strong>de</strong>n sein, <strong>de</strong>nn die subtile<br />
Abgrenzung, die offensichtlich auf die <strong>de</strong>utschen Verhältnisse<br />
zugeschnitten ist, erlaubt es, die <strong>de</strong>utschen berufsrechtlichen<br />
Normen <strong>de</strong>r ersten Fallgruppe zuzuordnen. Die Konsequenz ist<br />
jedoch allerdings, dass sich die Satzungsversammlung als Parlament<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Anwaltschaft in Zukunft bei <strong>de</strong>r Normsetzung<br />
immer die Frage stellen muss, ob die geplante Norm sich<br />
in <strong>de</strong>m vom EuGH aufgezeigten Rahmen hält, an<strong>de</strong>rnfalls sie<br />
<strong>de</strong>r Kommission gemel<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n müsste. Es bleibt zusätzlich<br />
<strong>de</strong>r Zweifel, ob die Rechtsaufsicht <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sjustizministeriums<br />
nach <strong>de</strong>r BRAO die vom EuGH aufgestellte Voraussetzung<br />
„Letztentscheidungsbefugnis <strong>de</strong>s Staates“ erfüllt.<br />
Die holländische Berufsnorm hat <strong>de</strong>r EuGH <strong>de</strong>r zweiten Kategorie<br />
zugeordnet, weil <strong>de</strong>r vom Staat vorgegebene Rahmen<br />
nicht eng genug sei. An dieser Stelle seiner Prüfung kommt <strong>de</strong>r<br />
Gerichtshof allerdings dann doch noch zu einem für die nie<strong>de</strong>rländische<br />
Anwaltskammer positiven Ergebnis. Er stellt zunächst<br />
in Bestätigung seiner bisherigen Rspr. fest, dass die Mitgliedsstaaten<br />
einen weiten Gestaltungsspielraum bei <strong>de</strong>r Ausgestaltung<br />
<strong>de</strong>s Anwaltsberufs haben. In <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n seien<br />
Unabhängigkeit, Verbot <strong>de</strong>r Wahrnehmung wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen<br />
und ein strenges Berufsgheimnis für <strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>s RA<br />
kennzeichnend. Diese Feststellung ist sicher richtig, es ist aber<br />
verwun<strong>de</strong>rlich, dass <strong>de</strong>r EuGH <strong>de</strong>n Eindruck erweckt, in an<strong>de</strong>ren<br />
Mitgliedsstaaten könne es an<strong>de</strong>rs sein. Ein Blick in die gemeinsamen<br />
europäischen Stan<strong>de</strong>sregeln, auf die <strong>de</strong>r Gerichtshof<br />
bereits zuvor in seiner Rspr. Bezug genommen hat, zeigt,<br />
dass es sich hier gera<strong>de</strong> um Berufspflichten han<strong>de</strong>lt, die in allen<br />
Mitgliedsstaaten gleichermaßen gelten. Der EuGH kommt sodann<br />
zum Ergebnis, dass es sich hierbei um wichtige im Gemeinwohlinteresse<br />
liegen<strong>de</strong> Berufspflichten han<strong>de</strong>lt und <strong>de</strong>r<br />
Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong> von Advocaten ohne Missbrauch seines Ermessenspielraums<br />
<strong>de</strong>r Auffassung sein konnte, gemeinsame Berufsausübung<br />
von RAen und WP gefähr<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n<br />
die Einhaltung dieser Pflichten. Je<strong>de</strong>r Anwalt weiß, dass es bei<br />
einem gerichtlichen Verfahren immer auf das Ergebnis ankommt.<br />
Deshalb hat <strong>de</strong>r Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong> van Advocaten zu<br />
Recht in einer Pressemitteilung verkün<strong>de</strong>t, „Dutch Bar wins case<br />
before European Court of Justice“. Dies wird die internationale<br />
Öffentlichkeit über Europa hinaus als Ergebnis festhalten.
52 Aufsätze BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Hellwig, Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
Deutschland fühlt sich von diesem Ergebnis, <strong>de</strong>r Unzulässigkeit<br />
interprofessioneller Sozietäten mit WP, zunächst nicht betroffen.<br />
Die Frage sei gestellt, ob dies wirklich <strong>de</strong>r Fall ist. Zwar gilt für<br />
Anwälte und WP in Deutschland die gleiche Berufsverschwiegenheit<br />
und grundsätzlich besteht an <strong>de</strong>r Zulässigkeit <strong>de</strong>r Verbindung<br />
zu gemeinsamer Berufsausübung kein Zweifel. Doch<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche WP ist wie sein holländischer Kollege auch Abschlussprüfer,<br />
insbeson<strong>de</strong>re börsennotierter Unternehmen, und<br />
hat in dieser unparteiischen Funktion Pflichten nicht nur gegenüber<br />
<strong>de</strong>m geprüften Unternehmen, son<strong>de</strong>rn auch gegenüber<br />
Dritten. Ist ein Partner <strong>de</strong>r gleichen Sozietät gleichzeitig für das<br />
geprüfte Unternehmen anwaltlich tätig, dann liegt doch wohl<br />
auch in Deutschland die Situation vor, die <strong>de</strong>r EuGH als Rechtfertigung<br />
für das Verbot <strong>de</strong>r Sozietät zwischen RAen und Wirtschaftsprüfern<br />
angesehen hat: die Unvereinbarkeit zwischen <strong>de</strong>r<br />
parteiischen, nur seinem Mandanten (<strong>de</strong>m beratenen o<strong>de</strong>r vertretenen<br />
Unternehmen) verpflichteten Tätigkeit <strong>de</strong>s Anwalts und<br />
<strong>de</strong>r prüfen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n, nicht nur <strong>de</strong>m geprüften Unternehmen, son<strong>de</strong>rn<br />
auch <strong>de</strong>ssen Gesellschaftern verpflichteten Tätigkeit <strong>de</strong>s<br />
Abschlussprüfers.<br />
Die zweite am gleichen Tag entschie<strong>de</strong>ne Rechtssache Arduino<br />
betrifft die wettbewerbsrechtliche Bewertung <strong>de</strong>r italienischen<br />
Honorarordnung für RAe. Diese wird zweijährlich von <strong>de</strong>m italienischen<br />
Nationalen Rat <strong>de</strong>r Anwaltschaften (Consiglio Nazionale<br />
Forense) aufgrund gesetzlicher Ermächtigung beschlossen<br />
und sodann <strong>de</strong>m Justizminister zur Genehmigung vorgelegt,<br />
<strong>de</strong>r zunächst Stellungnahmen weiterer staatlicher Instanzen einholt.<br />
Erst durch die ministerielle Genehmigung wird die Honorarordnung<br />
verbindlich. Der EuGH hält die auf diese Weise<br />
gesetzte Norm noch für eine staatliche Regelung und nicht für<br />
<strong>de</strong>n Beschluss eines Unternehmensverban<strong>de</strong>s. Er kommt damit<br />
zu einer an<strong>de</strong>ren Beurteilung als im vor kurzem entschie<strong>de</strong>nen<br />
Fall <strong>de</strong>r Gebührenordnung <strong>de</strong>r italienischen Zollagenten (Rs. C-<br />
35/96 Kommission ./. Italienische Republik, Slg. 1998 I 3851),<br />
wo <strong>de</strong>r staatliche Einfluss geringer war. Der Gerichtshof kommt<br />
weiter zum Schluss, dass <strong>de</strong>r italienische Staat mit diesem Verfahren<br />
eine Kartellabsprache we<strong>de</strong>r vorgeschrieben noch begünstigt<br />
hat,wobei er auch berücksichtigt, dass die Honorarordnung<br />
zwischen Höchst- und Min<strong>de</strong>stsätzen einen Spielraum<br />
lässt und in Ausnahmefällen Abweichungen zulässig sind. Gegenüber<br />
<strong>de</strong>r italienischen Honorarordnung <strong>de</strong>r RAe ist die<br />
BRAGO als Gesetz ein<strong>de</strong>utig <strong>de</strong>r staatlichen Sphäre zuzurechnen,<br />
die Allgemeininteressen berücksichtigt. Sie dürfte durch<br />
dieses Urteil klar aus <strong>de</strong>r Schusslinie <strong>de</strong>r Brüsseler Wettbewerbshüter<br />
genommen wor<strong>de</strong>n sein.<br />
Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
Notwendigkeit von Kollisionsnormen und Harmonisierung<br />
Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig, Frankfurt 1<br />
Vizepräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Deutschen Anwaltvereins, Leiter <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Delegation beim CCBE<br />
Die grenzüberschreiten<strong>de</strong> Tätigkeit von Anwälten hat in <strong>de</strong>n<br />
letzten Jahren in Europa signifikant zugenommen. Treiben<strong>de</strong><br />
Kraft sind zum Teil die Mandanten, die <strong>de</strong>n europäischen Markt<br />
mehr und mehr nicht mehr nur als gemeinsamen Markt, son<strong>de</strong>rn<br />
als echten Binnenmarkt begreifen und ihre unternehmerischen<br />
Aktivitäten geographisch erweitern, die großen Unternehmen<br />
über ganz Europa hinweg, die kleinen eher nur im grenznahen<br />
Bereich. Treiben<strong>de</strong> Kraft sind zum Teil die Anwälte selbst, die,<br />
unternehmerisch <strong>de</strong>nkend wie ihre Mandanten, sich nicht mehr<br />
darauf beschränken, rechtsberatend <strong>de</strong>n Mandanten auf Reisen<br />
zu begleiten, son<strong>de</strong>rn in an<strong>de</strong>ren Mitgliedstaaten Nie<strong>de</strong>rlassungen<br />
errichten o<strong>de</strong>r mit Anwälten aus an<strong>de</strong>ren EU-Län<strong>de</strong>rn zusammenarbeiten,<br />
vom lockeren Kooperationsverhältnis bis hin<br />
zur Begründung von gemeinsamen Sozietäten mit einer Kanzlei<br />
in einem einzigen Mitgliedstaat o<strong>de</strong>r mit mehreren Kanzleien in<br />
mehreren Mitgliedstaaten. Erleichtert wur<strong>de</strong> diese Entwicklung<br />
auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>s Gemeinschaftsrechts neben <strong>de</strong>r Diplomanerkennungsrichtlinie<br />
von 1988 vor allem durch die Dienstleistungsrichtlinie<br />
von 1977 und die Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie für<br />
Anwälte von 1998. Hinzu kommt, dass das General Agreement<br />
on Tra<strong>de</strong> in Services (GATS) von 1994 zu einer Liberalisierung<br />
<strong>de</strong>r anwaltlichen Beratungstätigkeit auch außerhalb von EU und<br />
EWR geführt hat. Zumal US-amerikanische Kanzleien sind <strong>de</strong>shalb<br />
heute in größerem Umfang als je zuvor in europäischen<br />
1 Überarbeitete Fassung eines Referats auf <strong>de</strong>r 30. Europäischen Präsi<strong>de</strong>ntenkonferenz<br />
in Wien am 8. 2. 2002. Der Vortragsstil wur<strong>de</strong> beibehalten.<br />
Län<strong>de</strong>rn mit Nie<strong>de</strong>rlassungen vertreten, in <strong>de</strong>nen sie europäische<br />
Anwälte beschäftigen; einige haben sogar mit europäischen<br />
Kanzleien fusioniert.<br />
Welche Rechte und Pflichten <strong>de</strong>r grenzüberschreitend tätige Anwalt<br />
im Mandat und in <strong>de</strong>r Organisation seiner Berufstätigkeit<br />
hat, wird im GATS nur partiell und höchst unvollständig geregelt.<br />
Die Dienstleistungsrichtlinie und die Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie<br />
enthalten zwar Regelungen, die allerdings das Problem eigentlich<br />
nicht lösen, son<strong>de</strong>rn im Gegenteil pointieren.<br />
Der grenzüberschreitend dienstleistend tätige Anwalt unterliegt<br />
nach Artikel 4 <strong>de</strong>r Dienstleistungsrichtlinie <strong>de</strong>n gesetzlichen Bestimmungen<br />
und <strong>de</strong>n Berufsregeln <strong>de</strong>s Aufnahmestaats und<br />
daneben <strong>de</strong>n Berufsregeln <strong>de</strong>s Herkunftsstaates. Bei <strong>de</strong>r sonstigen<br />
anwaltlichen Tätigkeit unterliegt <strong>de</strong>r grenzüberschreitend<br />
dienstleistend tätige Anwalt <strong>de</strong>n gesetzlichen Bestimmungen<br />
und <strong>de</strong>n Berufsregeln <strong>de</strong>s Herkunftsstaates und daneben <strong>de</strong>nen<br />
<strong>de</strong>s Aufnahmestaates, insbeson<strong>de</strong>re in Bezug auf interessenkollidieren<strong>de</strong><br />
Tätigkeit, Berufsgeheimnis, Beziehungen zu Kollegen<br />
und Werbung, soweit diese Regeln von einem nur dienstleisten<strong>de</strong>n,<br />
nicht im Aufnahmestaat nie<strong>de</strong>rgelassenen Anwalt beachtet<br />
wer<strong>de</strong>n können und so weit, als ihre Einhaltung im Aufnahmestaat<br />
objektiv rechtfertigt ist, um eine ordnungsgemäße<br />
Ausübung <strong>de</strong>r Tätigkeiten <strong>de</strong>s Anwalts sowie die Beachtung <strong>de</strong>r<br />
Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Berufes und <strong>de</strong>r Regeln über mit <strong>de</strong>r Stellung als Anwalt<br />
unvereinbare Tätigkeiten zu gewährleisten. Während somit<br />
bei <strong>de</strong>r Tätigkeit vor Gericht und Behör<strong>de</strong>n eine klare Priorität<br />
für das Recht <strong>de</strong>s Aufnahmestaates bei gleichzeitiger Anwendung<br />
<strong>de</strong>r Berufsregeln von Aufnahmestaat und Herkunftsstaat
BRAK-Mitt. 2/2002 Aufsätze 53<br />
Hellwig, Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
vorgesehen ist, besteht bei <strong>de</strong>r beraten<strong>de</strong>n Tätigkeit ein uneingeschränktes<br />
Nebeneinan<strong>de</strong>r, ohne Prioritätsfestlegung, zwischen<br />
<strong>de</strong>n Vorschriften im Aufnahmestaat und im Herkunftsstaat.<br />
Dasselbe ist <strong>de</strong>r Befund bei Artikel 6 <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie.<br />
Der unter seiner heimatlichen Berufsbezeichnung<br />
tätige nie<strong>de</strong>rgelassene Anwalt unterliegt hinsichtlich aller Tätigkeiten<br />
im Aufnahmestaat <strong>de</strong>n Berufs- und Stan<strong>de</strong>sregeln <strong>de</strong>s<br />
Herkunftsstaates und <strong>de</strong>s Aufnahmestaates gleichermaßen.<br />
Diese gemeinschaftsrechtlich angeordnete gleichzeitige Anwendung<br />
<strong>de</strong>r Regeln <strong>de</strong>s Herkunftsstaates und <strong>de</strong>s Aufnahmestaates<br />
könnte auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>s nationalen Rechts aufgehoben<br />
wer<strong>de</strong>n, ggf. danach differenzierend, ob es sich um grenzüberschreiten<strong>de</strong><br />
Tätigkeit im Rahmen <strong>de</strong>r Dienstleistungsrichtlinie<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie o<strong>de</strong>r um Tätigkeit vor Gericht<br />
und Behör<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r um beraten<strong>de</strong> Tätigkeit han<strong>de</strong>lt, o<strong>de</strong>r ob das<br />
jeweilige nationale Recht Herkunftsstaatsrecht ist o<strong>de</strong>r Aufnahmestaatsrecht,<br />
etwa wie folgt: Ein nationales Recht erklärt, dass<br />
es als Herkunftsstaatsrecht bei <strong>de</strong>r grenzüberschreitend nie<strong>de</strong>rgelassenen<br />
Tätigkeit seiner Anwälte <strong>de</strong>m Recht <strong>de</strong>s Aufnahmestaates<br />
– bei allen o<strong>de</strong>r bei einzelnen Tätigkeiten – <strong>de</strong>n Anwendungsvorrang<br />
belässt. Derartige Kollisionsregeln existieren jedoch<br />
nicht. Vielmehr geht je<strong>de</strong>s nationale Berufsrecht davon<br />
aus, dass es auch dann zur Anwendung kommt, wenn „sein“<br />
Anwalt, in welcher Form auch immer, im Ausland tätig ist. Konkretes<br />
Beispiel: Ein englischer Solicitor unterliegt seinem heimatlichen<br />
Berufsrecht auch dann, wenn er im Ausland tätig ist.<br />
Ein englischer Solicitor im Frankfurter Büro seiner Londoner<br />
Kanzlei unterliegt also <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Berufsrecht <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rlassungsortes,<br />
an <strong>de</strong>m er arbeitet, und daneben seinem heimatlichen<br />
englischen Berufsrecht. Ähnliches gilt für die Tätigkeit<br />
amerikanischer Anwälte in europäischen Län<strong>de</strong>rn im Rahmen<br />
<strong>de</strong>s GATS; sie bleiben weiterhin ihrem amerikanischen Berufsrecht<br />
unterworfen.<br />
Das sich aus <strong>de</strong>r gleichzeitigen Anwendung verschie<strong>de</strong>ner Berufsrechte<br />
ergeben<strong>de</strong> Problem wird vom Co<strong>de</strong> of Conduct <strong>de</strong>s<br />
CCBE (Rat <strong>de</strong>r Anwaltschaften <strong>de</strong>r Europäischen Union) von<br />
1988 nicht gelöst. Dieser stellt in Nr. 2 allgemeine Grundsätze<br />
auf, etwa zur Unabhängigkeit und zum Berufsgeheimnis, anerkennt<br />
aber in Nr. 2.4 ausdrücklich, dass daneben das Recht <strong>de</strong>s<br />
Aufnahmestaates zu beachten ist. Zur Anwendung <strong>de</strong>s Herkunftsstaatsrechtes<br />
und zu <strong>de</strong>ssen Verhältnis zum CCBE Co<strong>de</strong> of<br />
Conduct wird keine Regelung getroffen. Dasselbe gilt für die<br />
Festlegungen <strong>de</strong>s CCBE Co<strong>de</strong> of Conduct betreffend das Verhalten<br />
gegenüber <strong>de</strong>n Mandanten, etwa in Nr. 3.2 betreffend das<br />
Verbot von Interessenkonflikten und in Nr. 3.3 betreffend das<br />
Verbot von Erfolgshonoraren. Nach Nr. 4.1 hat <strong>de</strong>r vor einem<br />
ausländischen Gericht auftreten<strong>de</strong> Anwalt die vor diesem Gericht<br />
gelten<strong>de</strong>n Stan<strong>de</strong>sregeln zu beachten. Zu <strong>de</strong>n Stan<strong>de</strong>sregeln<br />
<strong>de</strong>s Herkunftsstaates schweigt <strong>de</strong>r CCBE Co<strong>de</strong> of Conduct<br />
auch hier. Dass <strong>de</strong>r CCBE Co<strong>de</strong> of Conduct das Problem <strong>de</strong>r<br />
gleichzeitigen Anwendung verschie<strong>de</strong>ner nationaler Berufsrechte<br />
letztlich gar nicht lösen kann, wird in Nr. 1.3 ausdrücklich<br />
zum Ausdruck gebracht, wenn es dort heißt, <strong>de</strong>r CCBE Co<strong>de</strong><br />
of Conduct habe das Ziel, die sich aus <strong>de</strong>r konkurrieren<strong>de</strong>n Anwendung<br />
mehrerer Stan<strong>de</strong>srechte ergeben<strong>de</strong>n Schwierigkeiten<br />
zu verringern. In diesem Zusammenhang wird in Nr. 1.3.2 <strong>de</strong>r<br />
Wunsch ausgesprochen, dass <strong>de</strong>r CCBE Co<strong>de</strong> of Conduct in kürzester<br />
Zeit durch nationales und/o<strong>de</strong>r Gemeinschaftsrecht für<br />
die grenzüberschreiten<strong>de</strong> Tätigkeit <strong>de</strong>s RA in <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Gemeinschaft verbindlich erklärt wird. Dies ist auf gemeinschaftsrechtlicher<br />
Ebene bis jetzt nicht erfolgt. Auf <strong>de</strong>r nationalen<br />
Ebene ist <strong>de</strong>r CCBE Co<strong>de</strong> of Conduct von <strong>de</strong>n zuständigen<br />
Anwaltsorganisationen als Teil <strong>de</strong>s eigenen Stan<strong>de</strong>srechts anerkannt<br />
wor<strong>de</strong>n. Er ist jedoch nicht – dies wäre aber für zahlreiche<br />
seiner Bestimmungen erfor<strong>de</strong>rlich – in das nationale Gesetzesrecht<br />
aufgenommen wor<strong>de</strong>n. Die Folge ist, dass das nationale<br />
Berufsrecht, soweit es nicht von <strong>de</strong>r Stan<strong>de</strong>sorganisation<br />
selbst gesetzt wird, im Falle eines Wi<strong>de</strong>rspruchs Vorrang vor<br />
<strong>de</strong>m CCBE Co<strong>de</strong> of Conduct hat. Zu<strong>de</strong>m hat <strong>de</strong>r CCBE Co<strong>de</strong> of<br />
Conduct von 1988 die Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie von 1998 noch<br />
nicht berücksichtigt. Die dafür erfor<strong>de</strong>rlichen Arbeiten beim<br />
CCBE sind noch nicht abgeschlossen. Insgesamt ist also festzustellen:<br />
Der CCBE Co<strong>de</strong> of Conduct hat das Problem <strong>de</strong>r gleichzeitigen<br />
Anwendung mehrerer nationaler Berufsrechte erkannt<br />
und für Einzelbereiche Lösungen vorgeschlagen. Zu einer Lösung<br />
ist es aber bisher nicht gekommen. Eine <strong>de</strong>rartige Lösung<br />
verlangt zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>n allermeisten Län<strong>de</strong>rn einen Akt <strong>de</strong>s<br />
nationalen Gesetzgebers o<strong>de</strong>r einen gemeinschaftsrechtlichen<br />
Rechtsakt.<br />
Auf die sich aus <strong>de</strong>m Nebeneinan<strong>de</strong>r mehrerer Berufsrechte ergeben<strong>de</strong>n<br />
Probleme für die Praxis habe ich am Beispiel <strong>de</strong>r Interessenkonfliktsregeln<br />
erstmals auf einer Konferenz <strong>de</strong>r International<br />
Bar Association (IBA) im September 2000 in Amsterdam<br />
hingewiesen. Das Thema ist von <strong>de</strong>r IBA in Cancun im<br />
Oktober 2001 weiterverfolgt wor<strong>de</strong>n und wird erneut Gegenstand<br />
von Beratungen in Durban im Oktober d. J. sein. Auch <strong>de</strong>r<br />
CCBE hat inzwischen das Thema in <strong>de</strong>n Blick genommen. Wir<br />
stehen dabei noch ganz am Anfang, nämlich in <strong>de</strong>r Phase <strong>de</strong>r<br />
genauen Klärung, in welchen Einzelpunkten die jeweiligen nationalen<br />
Berufsrechte übereinstimmen o<strong>de</strong>r voneinan<strong>de</strong>r abweichen<br />
und worauf diese Übereinstimmungen o<strong>de</strong>r Unterschie<strong>de</strong><br />
beruhen.<br />
Lassen Sie mich mit Letzterem beginnen. Hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />
Grundlagen <strong>de</strong>r anwaltlichen Rechte und Pflichten stehen sich<br />
in Europa nach <strong>de</strong>m Ergebnis meiner bisherigen Analyse – vereinfacht<br />
formuliert – zwei fundamental unterschiedliche Positionen<br />
gegenüber.<br />
Der englische Rechtskreis, <strong>de</strong>m die skandinavischen Län<strong>de</strong>r im<br />
Wesentlichen folgen, hebt auf das vertragliche Mandatsverhältnis<br />
ab. Infolge<strong>de</strong>ssen stehen im Vereinigten Königreich die<br />
anwaltlichen Berufspflichten – z. B. die Interessenkonfliktregeln<br />
und die Verschwiegenheitspflicht („Confi<strong>de</strong>ntiality“) – grundsätzlich<br />
zur Disposition <strong>de</strong>r Mandanten. Deshalb können Recht<br />
und Pflicht <strong>de</strong>s Mandanten zur Verschwiegenheit vom Gesetzgeber,<br />
ohne dass beson<strong>de</strong>re Schranken zu beachten wären, eingeschränkt<br />
wer<strong>de</strong>n. So ist z. B. im Vereinigten Königreich das<br />
Recht bzw. die Pflicht auf Verschwiegenheit in bestimmten Fällen<br />
– z. B. bei Verdacht <strong>de</strong>r beabsichtigten Geldwäsche <strong>de</strong>s<br />
Mandanten – bereits seit Jahren durch gesetzliche Mel<strong>de</strong>pflichten<br />
ersetzt wor<strong>de</strong>n.<br />
Der romanische Rechtskreis (insbeson<strong>de</strong>re Frankreich, aber<br />
auch Belgien, Italien und Spanien sowie Portugal) leitet die<br />
Pflichten <strong>de</strong>s Anwalts nicht allein aus <strong>de</strong>m Mandatsverhältnis<br />
ab, son<strong>de</strong>rn vor allem berufsrechtlich aus <strong>de</strong>r Stellung und <strong>de</strong>r<br />
Funktion <strong>de</strong>s Anwalts im Rechtspflegesystem. Diese berufsrechtlichen<br />
Pflichten bestehen ggf. neben vertragsrechtlichen<br />
Pflichten. Im romanischen Rechtskreis stehen die anwaltlichen<br />
Berufspflichten wegen ihrer institutionellen Begründung grundsätzlich<br />
nicht zur Disposition <strong>de</strong>r Mandanten. Die Mandanten<br />
können <strong>de</strong>n Anwalt von <strong>de</strong>r Einhaltung <strong>de</strong>r Vorschriften über das<br />
Interessenkonfliktsverbot nicht entbin<strong>de</strong>n. In einigen Län<strong>de</strong>rn<br />
(z. B. Frankreich und Belgien) gilt dasselbe auch für die Verschwiegenheitspflicht<br />
(„Secret Professionel“). Ausnahmen von<br />
<strong>de</strong>r Verschwiegenheitspflicht aufgrund einfachen Gesetzes sind<br />
nicht schrankenlos statthaft. In Portugal ist die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />
sogar durch ausdrückliche Verfassungsbestimmung<br />
geschützt.<br />
Die Erstreckung <strong>de</strong>r Pflichten auf die Kanzlei insgesamt bzw. auf<br />
die Sozien und Mitarbeiter ergibt sich im englischen Rechtskreis
54 Aufsätze BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Hellwig, Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
aus <strong>de</strong>m Mandatsverhältnis, im romanischen Rechtskreis hingegen<br />
aus <strong>de</strong>r Tatsache <strong>de</strong>r Verbindung zur gemeinsamen Berufsausübung.<br />
Das <strong>de</strong>utsche Berufsrecht stimmt, was die Grundlagen <strong>de</strong>s anwaltlichen<br />
Berufsrechts angeht, mit <strong>de</strong>m romanischen Rechtskreis<br />
weitgehend überein. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re für das Verbot<br />
<strong>de</strong>r Vertretung wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen, auf <strong>de</strong>ssen Einhaltung<br />
die Mandanten nicht verzichten können. Es gilt ferner für<br />
die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht, von <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>utschem<br />
Berufsrecht allerdings <strong>de</strong>r RA vom Mandanten entbun<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n kann. Die Übereinstimmung mit <strong>de</strong>m romanischen<br />
Rechtskreis gilt auch hinsichtlich <strong>de</strong>r Erstreckung <strong>de</strong>s Verbots<br />
<strong>de</strong>r Wahrnehmung wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen auf Sozien und<br />
Mitarbeiter kraft Verbindung zur gemeinsamen Berufsausübung.<br />
Das österreichische Berufsrecht stimmt in <strong>de</strong>r institutionellen,<br />
nicht auf <strong>de</strong>n Mandatsvertrag gestützten Begründung <strong>de</strong>r beruflichen<br />
Rechte und Pflichten <strong>de</strong>s Anwalts mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen<br />
Recht und <strong>de</strong>m romanischen Rechtskreis im Grundsatz überein.<br />
In <strong>de</strong>n Einzelheiten bestehen aber sehr wohl Unterschie<strong>de</strong>.<br />
Der Unterschied zwischen mandatsvertraglicher und institutioneller<br />
Begründung mag vielen abstrakt-theoretisch erscheinen.<br />
Letztlich geht es aber um die zentrale Frage, ob <strong>de</strong>r Anwalt ausschließlich<br />
vertraglicher Dienstleister o<strong>de</strong>r auch – in <strong>de</strong>r Terminologie<br />
<strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Rechts – Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege ist.<br />
Die Antwort auf diese Frage wird nicht dadurch leichter, dass es<br />
eine Querverbindung zu einem an<strong>de</strong>ren, fundamentalen Unterschied<br />
zwischen <strong>de</strong>n nationalen Berufsrechten gibt, nämlich <strong>de</strong>r<br />
Frage, ob und wieweit die Anwaltschaft ein Monopol hat, Mandanten<br />
vor Gericht zu vertreten o<strong>de</strong>r außerhalb <strong>de</strong>s Gerichts<br />
rechtlich zu beraten. Vereinfacht lässt sich sagen, dass die Län<strong>de</strong>r<br />
in Europa, die <strong>de</strong>m vertraglichen Dienstleistungskonzept<br />
folgen, ein Anwaltsmonopol, wenn überhaupt, dann nur für die<br />
Vertretung vor Gericht kennen und nicht für die Rechtsberatung,<br />
während in vielen, jedoch nicht allen Län<strong>de</strong>rn, die die Berufsrechte<br />
und -pflichten <strong>de</strong>s Anwalts mit seiner institutionellen<br />
Stellung im Rechtspflegesystem begrün<strong>de</strong>n, die Anwaltschaft<br />
zumin<strong>de</strong>st im Grundsatz für bei<strong>de</strong> Arten von Tätigkeit ein Monopol<br />
hat.<br />
Eine weitere Querverbindung besteht zum Wettbewerbsrecht.<br />
Im englischen Rechtskreis haben Solicitors kein Beratungsmonopol,<br />
vielmehr darf je<strong>de</strong>r, auch <strong>de</strong>r sprichwörtliche Taxifahrer,<br />
die sprichwörtliche Hausfrau, Rechtsrat erteilen. Infolge<strong>de</strong>ssen<br />
stehen im Vereinigten Königreich Solicitors auf vielen Rechtsgebieten<br />
im Wettbewerb mit an<strong>de</strong>ren Berufen, insbeson<strong>de</strong>re Investmentbanken.<br />
Allerdings genießen die Solicitors – im Gegensatz<br />
zu ihren Wettbewerbern – das ihnen von <strong>de</strong>n Gerichten<br />
zuerkannte sog. Legal Privilege, d.h. die Durchsuchungs- und<br />
Beschlagnahmefestigkeit ihrer Akten. Das Office of Fair Trading,<br />
London, hat in einem umfangreichen Bericht von März 2001 gefor<strong>de</strong>rt,<br />
dieses Legal Privilege im Hinblick auf die Rechtsberatung<br />
durch Solicitors aufzuheben, weil es einen ungerechtfertigten<br />
Vorteil <strong>de</strong>r Solicitors im Wettbewerb mit an<strong>de</strong>ren Beratungsunternehmen<br />
darstelle. Es liegt auf <strong>de</strong>rselben Linie, wenn<br />
in mehreren europäischen Län<strong>de</strong>rn (etwa die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>) die<br />
Wettbewerbsbehör<strong>de</strong>n bestimmte Gebührenregelungen, z. B.<br />
das Verbot <strong>de</strong>s Erfolgshonorars und <strong>de</strong>r quota litis, für wettbewerbsrechtlich<br />
unzulässig erklärt haben. Was das Verhältnis von<br />
gemeinschaftsrechtlichem Wettbewerbsrecht und Berufsrecht<br />
angeht, warten wir gespannt auf die Entscheidung <strong>de</strong>s EuGH in<br />
<strong>de</strong>n Fällen NOVA I und Manuele Arduino, die am 19. Februar<br />
verkün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n soll. Immerhin hat <strong>de</strong>r Generalanwalt Léger<br />
in seinen Schlussanträgen v. 10. Juli vergangenen Jahres anerkannt,<br />
dass das Verbot <strong>de</strong>s Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong> van Advocaten für<br />
RAe, sich mit Wirtschaftsprüfern zu assoziieren, und das auf<br />
einem Vorschlag <strong>de</strong>r Anwaltskammer beruhen<strong>de</strong> gesetzliche<br />
Anwaltsgebührensystem in Italien trotz ihrer wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong>n<br />
Wirkung gemeinschaftsrechtlich zulässig sind.<br />
Dass Léger französischer und nicht englischer Jurist ist, hat sich<br />
bestimmt nicht negativ ausgewirkt. 2<br />
Schließlich besteht eine – oft übersehene – Querverbindung<br />
zum Strafrecht. Bei <strong>de</strong>r Charta <strong>de</strong>r europäischen freien Berufe im<br />
Kampf gegen die organisierte Kriminalität von 1999 hatte die<br />
EU-Kommission ursprünglich verlangt, ein Anwalt müsse sein<br />
Mandat nie<strong>de</strong>rlegen, wenn er zu <strong>de</strong>m Ergebnis kommt, dass das<br />
Verhalten <strong>de</strong>s Mandanten möglicherweise strafbar ist. Der CCBE<br />
hat damals darauf hingewiesen, dass die Frage <strong>de</strong>r Strafbarkeit<br />
<strong>de</strong>s Mandantenverhaltens häufig von <strong>de</strong>r Beurteilung von<br />
Rechtsfragen abhängt und dass <strong>de</strong>r Mandant in einem Rechtsstaat<br />
gera<strong>de</strong> in rechtlichen Zweifelsfällen einen Anspruch darauf<br />
hat, von einem Anwalt beraten zu wer<strong>de</strong>n, ohne dass dieser<br />
fürchten muss, sich dadurch strafbar zu machen; erst dann,<br />
wenn <strong>de</strong>r Anwalt wi<strong>de</strong>r besseres Wissen han<strong>de</strong>le, beginne seine<br />
eigene Strafbarkeit, wenn er nicht das Mandat nie<strong>de</strong>rlege. Der<br />
CCBE hat insoweit vor allem auf die nach <strong>de</strong>r Rspr. <strong>de</strong>s BGH ein<strong>de</strong>utige<br />
Rechtslage in Deutschland hingewiesen. Die Kommission<br />
ist <strong>de</strong>m schließlich gefolgt. Nach <strong>de</strong>r endgültigen Fassung<br />
<strong>de</strong>r Charta ist <strong>de</strong>r Anwalt bei Verdacht auf strafbares Verhalten<br />
<strong>de</strong>s Mandanten nur verpflichtet zu prüfen, ob er – in Übereinstimmung<br />
mit seinem Berufsrecht – das Mandat nie<strong>de</strong>rlegt. Bei<br />
<strong>de</strong>n internen Beratungen im CCBE zu diesem Thema hat sich gezeigt,<br />
dass die strafrechtliche Privilegierung eines Anwalts bei<br />
<strong>de</strong>r Rechtsanwendung in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn wesentlich weniger<br />
weit geht o<strong>de</strong>r gar nicht gegeben ist. Auch hier wirkt sich <strong>de</strong>r Unterschied<br />
zwischen vertragsrechtlicher und institutioneller, berufsrechtlicher<br />
Begründung <strong>de</strong>s anwaltlichen Berufsrechts aus.<br />
Ähnliche Ergebnisse hat die Diskussion im Rahmen <strong>de</strong>s CCBE<br />
im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Einbeziehung von Anwälten in die<br />
Geldwäscherichtlinie v. 4. 12. 2001 erbracht, nämlich bei <strong>de</strong>r<br />
Fragestellung, wie weit <strong>de</strong>r Anwalt bei Verdacht auf Geldwäsche<br />
o<strong>de</strong>r sonstige schwere Straftaten <strong>de</strong>s Mandanten tätig sein darf,<br />
ohne sich strafbar zu machen und ohne mel<strong>de</strong>pflichtig zu sein.<br />
Auch wenn die Richtlinie nur die Mel<strong>de</strong>pflicht regelt, so besteht<br />
doch zwischen bei<strong>de</strong>n Fragen eine Querverbindung, und zwar<br />
im Wesentlichen unabhängig davon, ob <strong>de</strong>r Anwalt bloß als vertraglicher<br />
Dienstleister o<strong>de</strong>r auch und insbeson<strong>de</strong>re als Institution<br />
<strong>de</strong>r Rechtspflege angesehen wird. Von diesem Unterschied<br />
hängt es jedoch maßgeblich ab, wo die Mel<strong>de</strong>pflicht und die<br />
eigene Strafbarkeit <strong>de</strong>s Anwalts, wenn er sein Mandat nicht nie<strong>de</strong>rlegt,<br />
beginnt. Der im Vermittlungsverfahren angefügte letzte<br />
Satz von Erwägungsgrund 17 <strong>de</strong>r neuen Geldwäscherichtlinie,<br />
wonach ein Anwalt, <strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>r besseres Wissen tätig ist, <strong>de</strong>r Mel<strong>de</strong>pflicht<br />
unterliegt, reflektiert die grundsätzlichen Vorstellungen<br />
<strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Rechtskreises in Europa, wonach bei Han<strong>de</strong>ln<br />
wi<strong>de</strong>r besseres Wissen die sog. Anwaltsprivilegien verloren gehen.<br />
Die Vorstellungen <strong>de</strong>s englischen Rechtskreises hierzu sind<br />
für die Anwälte wesentlich restriktiver. Ich bin überzeugt, dass<br />
diese Unterschie<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>r neuen Richtlinie<br />
weiterhin bestehen bleiben wer<strong>de</strong>n.<br />
Lassen Sie mich jetzt auf einige für die Praxis <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />
Tätigkeit beson<strong>de</strong>rs wichtige Einzelthemen zu sprechen kommen.<br />
1. Interessenkonflikte<br />
Der Begriff <strong>de</strong>s Interessenkonflikts <strong>de</strong>s englischen Rechtskreises<br />
ist vergleichsweise breit, es wer<strong>de</strong>n auch solche Konstellationen<br />
2 In bei<strong>de</strong>n Fällen ist <strong>de</strong>r EuGH <strong>de</strong>n Schlussanträgen von Generalanwalt<br />
Léger gefolgt.
BRAK-Mitt. 2/2002 Aufsätze 55<br />
Hellwig, Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
erfasst, bei <strong>de</strong>nen es um rein wirtschaftliche Konflikte o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
Schutz <strong>de</strong>r Vertraulichkeit von Mandanteninformationen geht.<br />
Gewissermaßen als Korrektiv für diesen weiten Begriff <strong>de</strong>s Interessenkonflikts<br />
haben die Mandanten die Möglichkeit, auf die<br />
Einhaltung <strong>de</strong>s sich aus <strong>de</strong>m Konflikt ergeben<strong>de</strong>n Tätigkeitsverbots<br />
zu verzichten.<br />
Nach <strong>de</strong>utschem Recht liegt ein Interessenkonflikt nur dann vor,<br />
wenn es sich zumin<strong>de</strong>st teilweise um dieselbe Rechtssache han<strong>de</strong>lt,<br />
bei <strong>de</strong>r die Kanzlei auf bei<strong>de</strong>n Seiten tätig ist o<strong>de</strong>r war. Der<br />
Begriff <strong>de</strong>s Interessenkonflikts ist also sehr eng. Bei Interessenkonflikt<br />
besteht ein absolutes Tätigkeitsverbot, ein Verstoß dagegen<br />
ist ein Disziplinarvergehen und obendrein nach allgemeinem<br />
Strafrecht strafbar. Weil das Interessenkonfliktsverbot<br />
nicht auf <strong>de</strong>m Mandatsvertrag, son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>r funktionalen<br />
Stellung <strong>de</strong>s RA im System <strong>de</strong>r Rechtspflege beruht, können die<br />
Parteien darauf nicht verzichten. Die Parteien haben es aber in<br />
<strong>de</strong>r Hand, das Mandat so zu <strong>de</strong>finieren, dass <strong>de</strong>r Konfliktsteil<br />
ausgeschlossen ist. Soweit dies im konkreten Fall möglich ist<br />
und geschieht, besteht kein Interessenkonflikt. Nach herrschen<strong>de</strong>r<br />
Meinung gilt das Interessenkonfliktsverbot nicht nur für <strong>de</strong>n<br />
einzelnen Anwalt, son<strong>de</strong>rn für die ganze Sozietät. Es dürfen also<br />
nicht zwei Anwälte <strong>de</strong>rselben Sozietät bei <strong>de</strong>rselben Rechtssache<br />
auf gegensätzlichen Seiten arbeiten. Aus Kreisen <strong>de</strong>r<br />
großen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r überörtlichen Sozietäten wird gefor<strong>de</strong>rt,<br />
dieses Verbot müsse durch Beschränkung auf Kanzleistandorte<br />
o<strong>de</strong>r die Zulassung von „Chinese Walls“ eingeschränkt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Das französische Recht folgt beim Interessenkonflikt im Wesentlichen<br />
<strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Rechts (dieselbe<br />
Rechtssache), differenziert aber zwischen gegenwärtigen und<br />
früheren Mandaten bzw. Mandanten. Bei gleichzeitigen Mandaten<br />
(bei<strong>de</strong>s gegenwärtige Mandanten) besteht in je<strong>de</strong>m Fall<br />
ein Tätigkeitsverbot. Bei ungleichzeitigen Mandaten (früheres<br />
Mandat <strong>de</strong>s einen Mandanten, <strong>de</strong>rzeitiges Mandat eines an<strong>de</strong>ren<br />
Mandanten) ist <strong>de</strong>m Anwalt im Hinblick auf <strong>de</strong>n früheren<br />
Mandanten die Tätigkeit für <strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeitigen Mandanten in <strong>de</strong>rselben<br />
Rechtssache nur verboten, wenn die Vertraulichkeit <strong>de</strong>r<br />
Informationen, die <strong>de</strong>r frühere Mandant <strong>de</strong>m Anwalt gegeben<br />
hat, gefähr<strong>de</strong>t ist o<strong>de</strong>r wenn die mandatsbedingte Kenntnis von<br />
Angelegenheiten <strong>de</strong>s früheren Mandanten in nicht gerechtfertigter<br />
Weise zu Vorteilen für <strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeitigen Mandanten führen<br />
wür<strong>de</strong>. Eine von <strong>de</strong>r konkreten Befasstheit abstrahieren<strong>de</strong> automatische<br />
kanzleidimensionale Zurechnung kennt das französische<br />
Recht bei bezogen auf <strong>de</strong>n einzelnen Anwalt zeitversetzten<br />
Mandatsverhältnissen nicht.<br />
Daneben kennt das französische Recht zusätzlich das Institut<br />
<strong>de</strong>r „Délicatesse“, das bei vielen Sachverhalten außerhalb eines<br />
Interessenkonflikts im Rechtssinne (dieselbe Rechtssache) ebenfalls<br />
dazu führt, dass <strong>de</strong>r Anwalt nicht tätig wer<strong>de</strong>n darf, obwohl<br />
ein Interessenkonflikt im engen rechtlichen Sinne nicht vorliegt.<br />
Das österreichische Recht ist in <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s Interessenkonflikts<br />
wesentlich weiter als das <strong>de</strong>utsche Recht. Der einzelne<br />
Anwalt darf nicht in <strong>de</strong>r einen Angelegenheit für seinen Mandanten<br />
und in einer an<strong>de</strong>ren Angelegenheit gegen diesen Mandanten<br />
tätig sein, auch wenn es sich bei bei<strong>de</strong>n Angelegenheiten<br />
um völlig verschie<strong>de</strong>ne Rechtssachen han<strong>de</strong>lt. Zumin<strong>de</strong>st<br />
was zeitgleiche Mandate angeht, entspricht das österreichische<br />
Interessenkollisionsverbot in seiner Reichweite somit nicht <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>utschen, son<strong>de</strong>rn eher <strong>de</strong>m französischen Recht.<br />
Was all dies für einen Anwalt be<strong>de</strong>utet, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie<br />
in einem an<strong>de</strong>ren europäischen Land eine Nie<strong>de</strong>rlassung<br />
errichtet hat, liegt auf <strong>de</strong>r Hand. Darf ein <strong>de</strong>utscher<br />
RA, in Paris nie<strong>de</strong>rgelassen, dort in einem Mandat tätig sein, das<br />
nach <strong>de</strong>utschem Recht keinen Konfliktfall begrün<strong>de</strong>t, nach französischem<br />
Recht aber einen Fall von Interessenkonflikt o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>nfalls<br />
von „Délicatesse“ darstellt? Kann das Heimatrecht von<br />
<strong>de</strong>r Einhaltung <strong>de</strong>s strengeren Nie<strong>de</strong>rlassungsrechts entbin<strong>de</strong>n?<br />
Und umgekehrt: Kann das strengere Heimatrecht das großzügigere<br />
Nie<strong>de</strong>rlassungsrecht überlagern, wenn etwa ein österreichischer<br />
Anwalt mit Nie<strong>de</strong>rlassung in Deutschland dort in <strong>de</strong>r<br />
einen Rechtssache für <strong>de</strong>n Mandanten und in einer an<strong>de</strong>ren<br />
Rechtssache gegen <strong>de</strong>n Mandanten tätig sein möchte? Was gilt<br />
bei internationalen Sozietäten, etwa einer Sozietät mit Hauptsitz<br />
in London, die ein europaweites Beratungsmandat bearbeitet,<br />
bei <strong>de</strong>m die Büros in London, Brüssel, Paris, Frankfurt, Wien<br />
und Rom beteiligt sind, und zwar jeweils mit örtlichen Anwälten?<br />
Dann kommen die anwaltlichen Berufsrechte von England,<br />
Belgien, Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien nebeneinan<strong>de</strong>r<br />
zur Anwendung. Än<strong>de</strong>rt sich die Antwort, wenn<br />
dabei ein <strong>de</strong>utscher Anwalt im Londoner Büro o<strong>de</strong>r ein französischer<br />
Anwalt im italienischen Büro tätig ist?<br />
Die amerikanischen Interessenkonfliktsregeln sind bekanntlich<br />
ziemlich streng und erfassen nicht nur rechtliche, son<strong>de</strong>rn auch<br />
wirtschaftliche Konfliktsituationen sowie Gefährdungssituationen<br />
für die Vertraulichkeit. Vor allem wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n USA die<br />
Konfliktsregeln zunehmend eingesetzt, um Anwaltssozietäten<br />
aus wichtigen Mandaten „herauszuschießen“.<br />
Was all dies für die Praxis einer großen internationalen Sozietät<br />
be<strong>de</strong>uten kann, hat ein Sprecher von Clifford Chance auf <strong>de</strong>r<br />
IBA-Konferenz im September 2000 in Amsterdam vorgetragen.<br />
Clifford Chance hat weltweit vier Conflict of Interest Clearance<br />
Centers eingerichtet. Alle Mandatsannahmeentscheidungen<br />
müssen über eines dieser Zentren laufen. In <strong>de</strong>n Zentren sind 45<br />
Mitarbeiter tätig, es gehen täglich 430 Anträge ein. Die Bearbeitungszeit<br />
liegt zwischen 20 Minuten und 2 bis 3 Tagen.<br />
Gewiss, dies ist ein Extremfall. Das Grundproblem, nämlich die<br />
Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Interessenkonfliktsregeln, ist aber größenunabhängig.<br />
Es besteht auch dann, wenn ein einzelner Anwalt<br />
aus einem Land nach <strong>de</strong>r Dienstleistungsrichtlinie o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r<br />
Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie in einem an<strong>de</strong>ren Land mit an<strong>de</strong>ren Interessenkonfliktsregeln<br />
tätig ist.<br />
2. Verschwiegenheit (Confi<strong>de</strong>ntiality/Secret Professionel)<br />
Im Vereinigten Königreich kann <strong>de</strong>r Mandant <strong>de</strong>n Anwalt von<br />
<strong>de</strong>r Pflicht zur Confi<strong>de</strong>ntiality entbin<strong>de</strong>n. In Frankreich und Belgien<br />
kann vom Secret Professionel nicht entbun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. In<br />
Deutschland hingegen kann <strong>de</strong>r Mandant von <strong>de</strong>r Verschwiegenheitspflicht<br />
entbin<strong>de</strong>n. Der Unterschied zwischen Frankreich<br />
und Belgien einerseits und Deutschland an<strong>de</strong>rerseits ist<br />
auffallend, hat doch <strong>de</strong>r Anwalt in allen drei Län<strong>de</strong>rn eine vergleichbare<br />
Funktion als Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege. Frankreich und<br />
Belgien geben dieser funktionalen Stellung <strong>de</strong>n absoluten Vorrang<br />
vor <strong>de</strong>m Wunsch <strong>de</strong>s Mandanten. Das <strong>de</strong>utsche Recht hingegen<br />
geht davon aus, dass es keine Informationen gibt, die <strong>de</strong>r<br />
Natur <strong>de</strong>r Sache nach vertraulich sind. Die Vertraulichkeit ergibt<br />
sich vielmehr immer daraus, dass sie von einer zuständigen<br />
Stelle angeordnet wird. Im Verhältnis zum Anwalt ist dies <strong>de</strong>r<br />
Mandant. Der Mandant ist Herr <strong>de</strong>r Information und entschei<strong>de</strong>t<br />
über die Vertraulichkeit. Wenn <strong>de</strong>r Mandant eine bestimmte<br />
Information nicht als vertraulich ansieht, dann fehlt es nach <strong>de</strong>r<br />
Vorstellung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Rechts an <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Voraussetzung<br />
für eine Vertraulichkeitspflicht <strong>de</strong>s Anwalts.<br />
Der Unterschied zeigt sich beispielsweise auch bei <strong>de</strong>r Korrespon<strong>de</strong>nz<br />
unter Anwaltskollegen. Wenn ein französischer Anwalt<br />
<strong>de</strong>n Brief an einen französischen Kollegen mit <strong>de</strong>m Zusatz „vertraulich“<br />
versieht, ist <strong>de</strong>r Empfänger zur Weitergabe <strong>de</strong>r darin<br />
enthaltenen Information an <strong>de</strong>n Mandanten nicht berechtigt. In<br />
Deutschland hingegen hat <strong>de</strong>r Mandant gegenüber <strong>de</strong>m Anwalt
56 Aufsätze BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Hellwig, Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
kraft <strong>de</strong>s Mandatsvertrages einen gesetzlichen Anspruch auf<br />
Auskunftserteilung und Rechenschaftslegung, er ist also Herr<br />
<strong>de</strong>r Briefinformation. Nr. 5.3 <strong>de</strong>s CCBE Co<strong>de</strong> of Conduct, <strong>de</strong>r<br />
das französische Konzept <strong>de</strong>r vertraulichen Korrespon<strong>de</strong>nz unter<br />
Anwälten auf die grenzüberschreiten<strong>de</strong> Korrespon<strong>de</strong>nz zwischen<br />
Anwälten verschie<strong>de</strong>ner Län<strong>de</strong>r zur Anwendung bringt,<br />
verstößt also gegen <strong>de</strong>utsches Gesetzesrecht. Deshalb hat die<br />
Satzungsversammlung bei <strong>de</strong>r BRAK bei <strong>de</strong>r Übernahme <strong>de</strong>s<br />
CCBE Co<strong>de</strong> of Conduct in die <strong>de</strong>utsche Berufsordnung einen<br />
entsprechen<strong>de</strong>n Vorbehalt gemacht.<br />
Beson<strong>de</strong>rs gravieren<strong>de</strong> Probleme ergeben sich, wenn die Verschwiegenheitspflicht<br />
nach <strong>de</strong>m Berufsrecht <strong>de</strong>s einen Lan<strong>de</strong>s<br />
mit einer Mel<strong>de</strong>pflicht nach <strong>de</strong>m Berufsrecht eines an<strong>de</strong>ren Lan<strong>de</strong>s<br />
kollidiert. Im Vereinigten Königreich besteht bekanntlich bereits<br />
seit einigen Jahren auch für Anwälte die Pflicht, im Verdachtsfall<br />
Geldwäscheaktivitäten von Mandanten <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n<br />
zu mel<strong>de</strong>n. Ein Londoner Solicitor mit Nie<strong>de</strong>rlassung in<br />
Frankfurt o<strong>de</strong>r Wien unterliegt auf <strong>de</strong>r einen Seite <strong>de</strong>r Mel<strong>de</strong>pflicht<br />
nach englischem Recht, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>r Verschwiegenheitspflicht<br />
nach <strong>de</strong>utschem bzw. österreichischem<br />
Recht, wonach er im Verdachtsfall keine Meldung erstatten darf,<br />
son<strong>de</strong>rn nur die Möglichkeit hat, das Mandat nie<strong>de</strong>rzulegen.<br />
O<strong>de</strong>r umgekehrt: Ein <strong>de</strong>utscher RA mit Nie<strong>de</strong>rlassung in London<br />
und dort tätig ist nach englischem Recht zur Meldung verpflichtet,<br />
als <strong>de</strong>utscher RA aber zur Verschwiegenheit. Erstattet<br />
er keine Meldung, macht er sich nach englischem Recht strafbar;<br />
erstattet er die Meldung, dann ist er nach <strong>de</strong>utschem Recht<br />
strafbar.<br />
Was dies für die Praxis be<strong>de</strong>uten kann, möchte ich mit folgen<strong>de</strong>m<br />
Beispiel <strong>de</strong>utlich machen. Ein Investmentfonds, <strong>de</strong>r branchentypisch<br />
aus steuerlichen Grün<strong>de</strong>n seinen Sitz in Bermuda<br />
hat, o<strong>de</strong>r ein Geschäftsmann aus <strong>de</strong>m arabischen Raum interessiert<br />
sich für Grundstücksinvestitionen in Europa und beauftragt<br />
einen <strong>de</strong>utschen RA, <strong>de</strong>r für seine Expertise bei Grundstücksinvestitionen<br />
bekannt ist, in einem Gutachten die wesentlichen<br />
Regeln für Grundstücksinvestitionen in <strong>de</strong>n wichtigsten Län<strong>de</strong>rn<br />
Europas darzustellen. Deutschland bearbeitet <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong><br />
RA selbst, für die an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>r schaltet er im Grundstücksrecht<br />
erfahrene örtliche Anwälte ein. Wenn er in dieser Weise<br />
mit einem Solicitor in London zusammenarbeitet, läuft er die<br />
Gefahr, dass dieser wegen <strong>de</strong>r Herkunft <strong>de</strong>s Mandanten – Investmentfonds<br />
in Bermuda bzw. Geschäftsmann aus <strong>de</strong>m arabischen<br />
Raum – <strong>de</strong>n Verdacht auf Geldwäsche hegt und hinter seinem<br />
Rücken die englischen Behör<strong>de</strong>n informiert, weil er dazu<br />
nach englischem Recht verpflichtet ist. Der Direktor <strong>de</strong>s Investmentfonds<br />
bzw. <strong>de</strong>r arabische Geschäftsmann wird daraufhin<br />
bei seinem nächsten Geschäftsbesuch in London am Flughafen<br />
wegen Verdachts <strong>de</strong>r Geldwäsche verhaftet und erstattet Strafanzeige<br />
gegen <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen RA wegen Verletzung <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />
Schweigepflicht. Dieser Fall zeigt <strong>de</strong>utlich: Wenn von<br />
Gesetzes wegen <strong>de</strong>r eine Anwalt zur Meldung, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re zur<br />
Verschwiegenheit verpflichtet ist, wird die Zusammenarbeit<br />
schwierig bis unmöglich.<br />
Gewiss, auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Geldwäsche wird es durch die bereits<br />
erwähnte Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Geldwäscherichtlinie eine Angleichung<br />
<strong>de</strong>r Berufsrechte in Europa geben. Diese wird aber begrenzt<br />
sein. Die neue Richtlinie enthält nämlich zahlreiche sog.<br />
Staatenwahlrechte, d.h. das Recht <strong>de</strong>r Mitgliedstaaten, bei <strong>de</strong>r<br />
Umsetzung <strong>de</strong>r Richtlinie Befreiungen o<strong>de</strong>r Lockerungen vorzusehen.<br />
Be<strong>de</strong>nkt man, wie umstritten die Richtlinie gera<strong>de</strong> im<br />
Hinblick auf die Unterwerfung <strong>de</strong>r Anwälte unter eine Verdachtsmel<strong>de</strong>pflicht<br />
gewesen ist, dann kann mit Sicherheit davon<br />
ausgegangen wer<strong>de</strong>n, dass zumin<strong>de</strong>st einige Mitgliedstaaten<br />
von diesen Lockerungsmöglichkeiten Gebrauch machen wer<strong>de</strong>n.<br />
An<strong>de</strong>rerseits bezwecken alte und neue Richtlinie bei <strong>de</strong>r<br />
Bekämpfung <strong>de</strong>r Geldwäsche und an<strong>de</strong>rer Formen <strong>de</strong>r Schwerkriminalität<br />
nur eine sog. Min<strong>de</strong>stharmonisierung, so dass die<br />
einzelnen Mitgliedstaaten im nationalen Recht schärfere Vorschriften<br />
vorsehen können. Zumin<strong>de</strong>st das Vereinigte Königreich<br />
wird hiervon wahrscheinlich Gebrauch machen. Es wird<br />
<strong>de</strong>shalb auch in Zukunft von Land zu Land erhebliche Unterschie<strong>de</strong><br />
in <strong>de</strong>r Reichweite <strong>de</strong>r Mel<strong>de</strong>pflicht geben. Die Reichweite<br />
<strong>de</strong>r Mel<strong>de</strong>pflicht ist aber nichts an<strong>de</strong>res als die Reichweite<br />
<strong>de</strong>r Verschwiegenheitspflicht. Das Konfliktspotential zwischen<br />
Mel<strong>de</strong>pflicht einerseits und Verschwiegenheitspflicht an<strong>de</strong>rerseits<br />
wird also fortbestehen, wenn auch vielleicht etwas<br />
kleiner.<br />
Wie gravieren<strong>de</strong> Folgen es haben kann, wenn <strong>de</strong>r Konflikt zwischen<br />
Verschwiegenheitspflicht einerseits und Mel<strong>de</strong>pflicht an<strong>de</strong>rerseits<br />
sich in <strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>sselben Anwalts abspielt, zeigt<br />
ein Fall, <strong>de</strong>r sich im Jahre 1997 in London ereignet hat. Ein<br />
Freund von mir, RA mit Zulassung in Düsseldorf und Solicitor in<br />
London, mit Kanzlei in London wur<strong>de</strong> von einem an<strong>de</strong>ren Solicitor<br />
gebeten, in einer Angelegenheit nach <strong>de</strong>m Haager Kin<strong>de</strong>sentführungsabkommen<br />
vor einem <strong>de</strong>utschen Gericht für die<br />
Mutter einen <strong>de</strong>utschen RA zu empfehlen. Mein Freund erkundigte<br />
sich bei einer bekannten familienrechtlichen Kanzlei in<br />
Deutschland, ob sie die Mutter vertreten könne. Die Kanzlei<br />
lehnte ab, da sie bereits <strong>de</strong>n Vater vertrat. Mein Freund fand<br />
dann eine an<strong>de</strong>re geeignete <strong>de</strong>utsche Kanzlei, von <strong>de</strong>r sich die<br />
Mutter vertreten ließ. Gut sechs Monate später erhielt mein<br />
Freund eine Verfügung eines Londoner Gerichts zugestellt, in<br />
<strong>de</strong>r ihm auferlegt wur<strong>de</strong>, sämtliche ihm bekannten relevanten<br />
Informationen über <strong>de</strong>n Aufenthaltsort <strong>de</strong>r Mutter und <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>m Londoner Gericht mitzuteilen. Die Verfügung bestimmte<br />
unter Strafandrohung, dass mein Freund absolutes Stillschweigen<br />
über die Existenz dieses Verfahrens gegenüber je<strong>de</strong>rmann<br />
bewahren müsse, einschließlich seiner Familie, seiner<br />
Kollegen, seiner Sekretärin etc. Ihm wur<strong>de</strong> lediglich erlaubt, einen<br />
Barrister zu konsultieren. Einsicht in die Akten wur<strong>de</strong> ihm<br />
verweigert. Mein Freund teilte <strong>de</strong>m Solicitor <strong>de</strong>s Vaters mit,<br />
seine einzige Tätigkeit sei die Empfehlung einer <strong>de</strong>utschen<br />
Kanzlei gewesen, er habe keinerlei Kenntnis von <strong>de</strong>m Aufenthaltsort<br />
<strong>de</strong>r Mutter und <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r. Daraufhin for<strong>de</strong>rte eine erneute<br />
Verfügung <strong>de</strong>s Gerichts meinen Freund auf, die Namen<br />
<strong>de</strong>r Personen bekannt zu geben, die ihn um Empfehlung eines<br />
<strong>de</strong>utschen Anwaltsbüros gebeten hatten. Wenige Tage später<br />
wur<strong>de</strong> meinem Freund von <strong>de</strong>m Londoner Gericht die zwangsweise<br />
Vorführung angedroht, wenn er nicht noch am selben<br />
Tage alle gefor<strong>de</strong>rten Informationen mitteile. Mit einer Subpoena<br />
wur<strong>de</strong> mein Freund vor das Londoner Gericht gela<strong>de</strong>n.<br />
Mein Freund hatte ausführlich vorgetragen, dass er als <strong>de</strong>utscher<br />
RA einer berufsrechtlichen und gesetzlichen, durch Strafandrohung<br />
geschützten Verschwiegenheitspflicht unterliege, und<br />
dazu eine Stellungnahme <strong>de</strong>r RAK Düsseldorf vorgelegt, die er<br />
– unter Verstoß gegen die Kontaktsperreanordnung <strong>de</strong>s Londoner<br />
Gerichts – eingeholt hatte. Das Londoner Gericht war davon<br />
völlig unbeeindruckt. Es ließ die <strong>de</strong>utsche Verschwiegenheitspflicht<br />
a priori nicht gelten, weil mein Freund in London tätig<br />
gewor<strong>de</strong>n sei, und erklärte, die Pflicht als Solicitor zur Confi<strong>de</strong>ntiality<br />
müsse hier hinter <strong>de</strong>m Schutzzweck <strong>de</strong>s Haager Kin<strong>de</strong>sentführungsabkommens<br />
zurücktreten. Als mein Freund weiterhin<br />
die gefor<strong>de</strong>rten Informationen nicht mitteilte, drohte das<br />
Gericht an, es wer<strong>de</strong> die sofortige Beugehaft verhängen und die<br />
Verbringung in das Gefängnis – <strong>de</strong>r konkrete Name wur<strong>de</strong> genannt<br />
– anordnen. Mein Freund entging <strong>de</strong>r sofortigen Verhaftung<br />
im Gerichtssaal nur dadurch, dass er <strong>de</strong>m Gericht eine Einladung<br />
<strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Botschafters in London zeigte, die ihn zu<br />
einem am selben Tage stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Mittagessen mit <strong>de</strong>r in<br />
London weilen<strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>ntin <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen BVerfG bat. Angesichts<br />
<strong>de</strong>ssen befürchtete das Gericht diplomatische Verwick-
BRAK-Mitt. 2/2002 Aufsätze 57<br />
Hellwig, Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
lungen und ordnete die Vertagung <strong>de</strong>s Verfahrens an. Diese Vertagung<br />
führte zu einem Richterwechsel. Der neue Richter hob<br />
nach Durcharbeitung <strong>de</strong>r Akten im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht<br />
insbeson<strong>de</strong>re auch nach <strong>de</strong>utschem Recht sämtliche<br />
Verfügungen gegen meinen Freund auf. Zu diesen Verfügungen<br />
gehörten auch zwei meinem Freund unbekannt gebliebene<br />
Verfügungen an die British Telecom bzw. das Post Office –<br />
offenbar war <strong>de</strong>r Telefon- und Postverkehr meines Freun<strong>de</strong>s<br />
überwacht wor<strong>de</strong>n.<br />
Dieser konkrete Fall zeigt drastisch, zu welchen Konsequenzen<br />
die Konflikte zwischen <strong>de</strong>n von Land zu Land gelten<strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />
anwaltlichen Berufsrechten für <strong>de</strong>n einzelnen Anwalt<br />
führen können.<br />
Auch <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Konfliktsfall habe ich in meiner Praxis erlebt,<br />
vor etwa 15 Jahren. Bei einer <strong>de</strong>utschen Staatsanwaltschaft<br />
war ein großes wirtschaftsrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig,<br />
das sich u.a. auch gegen <strong>de</strong>n Chairman of the Board<br />
einer be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n amerikanischen Corporation richtete. Parallel<br />
dazu waren wegen <strong>de</strong>sselben Sachverhaltskomplexes bei<br />
einem Zivilgericht Scha<strong>de</strong>nsersatzprozesse anhängig, die sich<br />
u.a. gegen die Corporation richteten. Ein Mitglied <strong>de</strong>r Rechtsabteilung<br />
<strong>de</strong>r Corporation – amerikanischer Attorney at Law –<br />
war in Deutschland, um mit <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Anwälten <strong>de</strong>r Corporation<br />
an einem Schriftsatz für <strong>de</strong>n Zivilprozess zu arbeiten.<br />
Der Staatsanwalt erfuhr davon, lud ihn als Zeugen im Ermittlungsverfahren<br />
vor und drohte ihm die Verhaftung an, wenn er<br />
nicht komme und aussage. Die nach amerikanischem Recht bestehen<strong>de</strong><br />
Verschwiegenheitspflicht auch als Inhouse Counsel<br />
wollte <strong>de</strong>r Staatsanwalt nicht gelten lassen. Erst das Strafgericht<br />
hob die Verfügung <strong>de</strong>s Staatsanwalts auf und <strong>de</strong>r amerikanische<br />
Kollege konnte Deutschland wie<strong>de</strong>r verlassen, ohne befürchten<br />
zu müssen, an <strong>de</strong>r Grenze verhaftet zu wer<strong>de</strong>n. Bis zur Erledigung<br />
<strong>de</strong>s Strafverfahrens, das sich überhaupt nicht gegen ihn<br />
richtete, hat er <strong>de</strong>utschen Bo<strong>de</strong>n nicht wie<strong>de</strong>r betreten.<br />
Dieser Fall macht ein weiteres Grundproblem <strong>de</strong>utlich: Hat ein<br />
RA eines EU-Mitgliedstaates in einem an<strong>de</strong>ren EU-Mitgliedstaat,<br />
in <strong>de</strong>m er dienstleistend o<strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rgelassen tätig ist, das<br />
Recht (und ggf. die Pflicht) vor Gericht die Aussage als Zeuge zu<br />
verweigern? Hat er dieses Recht insbeson<strong>de</strong>re auch dann, wenn<br />
seine Verschwiegenheitspflicht nach Heimatrecht umfassen<strong>de</strong>r<br />
ist als die Verschwiegenheitspflicht eines Anwalts in <strong>de</strong>m Land,<br />
in <strong>de</strong>m er als Zeuge vernommen wer<strong>de</strong>n soll?<br />
3. Chinese Walls<br />
Ich erwähne dieses Thema als eigenen Unterpunkt, weil es hier<br />
– von Land zu Land vielleicht unterschiedlich – sowohl um Fragen<br />
<strong>de</strong>s Interessenkollisionsverbots als auch um Fragen <strong>de</strong>r beruflichen<br />
Vertraulichkeit geht. Ob Chinese Walls grundsätzlich<br />
o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st in bestimmten Fällen geeignet sind, um Be<strong>de</strong>nken<br />
gegen eine anwaltliche Tätigkeit zu überwin<strong>de</strong>n, die sich<br />
aus <strong>de</strong>m Interessenkollisionsverbot und/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />
Verschwiegenheitspflicht ergeben können, ist in <strong>de</strong>n letzten Jahren<br />
– vielleicht mehr <strong>de</strong> lege ferenda als <strong>de</strong> lege lata – in <strong>de</strong>n<br />
meisten Län<strong>de</strong>rn Gegenstand intensiver Diskussionen gewesen.<br />
Bekannt gewor<strong>de</strong>n ist vor allem die gegenüber Chinese Walls<br />
sehr kritische Entscheidung <strong>de</strong>s englischen House of Lords v.<br />
18.11./18.12.1998 in <strong>de</strong>r Sache „Prince Jefri Bolkiah/KPMG“.<br />
Nach meinem Eindruck wer<strong>de</strong>n Chinese Walls weiterhin überwiegend<br />
abgelehnt. Als jüngste Entwicklung ist zum einen zu<br />
vermerken, dass Generalanwalt Léger im Verfahren NOVA I gegenüber<br />
Chinese Walls zur Lösung von Vertraulichkeits- und Interessenkonfliktsproblemen<br />
prinzipielle Vorbehalte geäußert<br />
hat. Zum an<strong>de</strong>ren hat die Kommission „Ethics 2000“ <strong>de</strong>r ABA<br />
im letzten Jahr ihre Vorschläge für Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r ABA Mo<strong>de</strong>l<br />
Rules vorgelegt. Der Vorschlag hat 279 Seiten, davon 62 Seiten<br />
zum Thema Interessenkonflikt. Der Vorschlag hält daran fest,<br />
dass Chinese Walls eine an sich unzulässige Tätigkeit in tatsächlichen<br />
Konfliktsituationen nicht zulässig machen können. Die<br />
Tätigkeit in möglichen Konfliktsfällen bleibt weiterhin zulässig,<br />
und zwar ohne Chinese Walls, vorausgesetzt, bei<strong>de</strong> Mandanten<br />
sind einverstan<strong>de</strong>n. Dieses Einverständnis soll künftig schriftlich<br />
abgegeben wer<strong>de</strong>n müssen. Chinese Walls sind somit unmittelbar<br />
ohne Relevanz. Sie können mittelbar insofern von Be<strong>de</strong>utung<br />
sein, als auf <strong>de</strong>r Grundlage von Chinese Walls vielleicht<br />
bei<strong>de</strong> Mandanten ihr Einverständnis zur Tätigkeit in möglichen<br />
Konfliktsfällen geben.<br />
4. Kanzleiwechsel eines Anwalts<br />
Der <strong>de</strong>utsche BGH hat am 5. 11. 2000 über einen Fall entschie<strong>de</strong>n,<br />
bei <strong>de</strong>m ein RA von seiner alten Kanzlei – dort war er<br />
angestellter Anwalt, aber auf <strong>de</strong>m Briefkopf aufgeführt – am selben<br />
Ort zu einer neuen Kanzlei wechselte – auch dort war er<br />
angestellter Anwalt, aber auf <strong>de</strong>m Briefkopf aufgeführt. Die bei<strong>de</strong>n<br />
Kanzleien waren in verschie<strong>de</strong>nen Mandaten gegeneinan<strong>de</strong>r<br />
tätig. Der wechseln<strong>de</strong> Anwalt war we<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r alten Kanzlei<br />
noch in <strong>de</strong>r neuen Kanzlei mit einem dieser Mandate befasst.<br />
Die Mandanten <strong>de</strong>r alten Kanzlei waren damit einverstan<strong>de</strong>n,<br />
dass die neue Kanzlei ihre Mandate fortführte. Die zuständige<br />
RAK hingegen for<strong>de</strong>rte die Nie<strong>de</strong>rlegung <strong>de</strong>r Mandate mit <strong>de</strong>r<br />
Begründung, das Interessenkollisionsverbot gelte jeweils für die<br />
ganze Sozietät und auch bei Kanzleiwechsel. Der BGH hat sich<br />
<strong>de</strong>m angeschlossen und ebenfalls die Mandatsnie<strong>de</strong>rlegung verlangt.<br />
Diese Entscheidung hat das BVerfG durch einstweilige<br />
Anordnung ausgesetzt. Die Entscheidung in <strong>de</strong>r Sache selbst<br />
wird allseits mit Spannung erwartet. Auf <strong>de</strong>r einen Seite steht das<br />
sozietätsdimensionale Interessenkonfliktsverbot mit seiner institutionellen<br />
Begründung, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite die Berufsfreiheit<br />
<strong>de</strong>r beteiligten Anwälte. Es geht dabei m. E. nicht um die generelle<br />
Abgrenzung dieser bei<strong>de</strong>n Positionen von Verfassungsrang,<br />
wie sie sich etwa dann stellt, wenn eine Kanzlei bewusst entschei<strong>de</strong>t,<br />
auf <strong>de</strong>r Grundlage von Chinese Walls kollidieren<strong>de</strong><br />
Mandate zu bearbeiten. Vielmehr geht es um <strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rfall <strong>de</strong>s<br />
Kanzleiwechsels, bei <strong>de</strong>m die Interessenkonfliktsituation nur<br />
die mittelbare Folge <strong>de</strong>r Entscheidung eines einzelnen, im Mandat<br />
nicht tätigen Anwalts ist, von einer Kanzlei zur an<strong>de</strong>ren zu<br />
wechseln.<br />
Unterstellt, dieser Fall wür<strong>de</strong> nicht in Deutschland, son<strong>de</strong>rn in<br />
Österreich o<strong>de</strong>r einem an<strong>de</strong>ren Land <strong>de</strong>r EU spielen, wie wäre<br />
dann die rechtliche Beurteilung?<br />
Und wie wäre die Beurteilung, wenn ein Anwalt – als Angestellter<br />
o<strong>de</strong>r als Partner – von <strong>de</strong>r einen internationalen Kanzlei<br />
zu einer an<strong>de</strong>ren internationalen Kanzlei wechselt und die sich<br />
daraus ergeben<strong>de</strong>n Fragen ausnahmsweise einmal nicht praktisch<br />
gelöst, son<strong>de</strong>rn gerichtlich ausgestritten wer<strong>de</strong>n?<br />
5. Recht <strong>de</strong>r Werbung, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Angabe von Interessengebieten,<br />
Tätigkeitsgebieten und Spezialisierungen<br />
Dass die berufsrechtlichen Regelungen zur anwaltlichen Werbung<br />
in Europa sehr unterschiedlich sind, ist Allgemeingut. Eine<br />
Anzahl von Län<strong>de</strong>rn lässt im Interesse <strong>de</strong>s rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikums<br />
die sachliche Informationswerbung, nicht auf Erteilung<br />
eines Auftrags im Einzelfall gerichtet, zu, in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn ist<br />
weiterhin jegliche Werbung untersagt.<br />
Wie groß die Unterschie<strong>de</strong> insbeson<strong>de</strong>re beim Ausweis von Interessen-<br />
und Tätigkeitsgebieten und Spezialisierungen sind,<br />
zeigt eine Studie <strong>de</strong>s CCBE aus <strong>de</strong>m Frühjahr 2000. Danach dürfen<br />
Interessenschwerpunkte angegeben wer<strong>de</strong>n in Deutschland,
58 Aufsätze BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Hellwig, Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
England und Wales (Solicitors und Barristers), Finnland, Frankreich,<br />
Liechtenstein, Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, Nordirland (Solicitors und<br />
Barristers), Norwegen, Österreich, Schottland (Solicitors und<br />
Advocates) und Schwe<strong>de</strong>n. Die Angabe ist unzulässig in Belgien,<br />
Dänemark, Griechenland, Irland (Solicitors), Island, Italien<br />
und Portugal.<br />
Tätigkeitsschwerpunkte dürfen angegeben wer<strong>de</strong>n in Belgien<br />
(seit Frühjahr 2001), Deutschland, Dänemark, England und Wales<br />
(Solicitors und Barristers), Finnland, Frankreich, Irland (Barristers),<br />
Island, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>,<br />
Nordirland (Solicitors), Norwegen, Österreich, Schottland (Solicitors<br />
und Advocates), Spanien und Schwe<strong>de</strong>n. Die Angabe ist<br />
unzulässig in Griechenland, Irland (Solicitors und Barristers)<br />
und Portugal.<br />
Spezialisierungsangaben sind unzulässig in Teilen von Belgien,<br />
in Finnland, Griechenland, Irland (Solicitors), Nordirland (Barristers),<br />
Österreich, Portugal und Spanien.<br />
Amtliche Spezialisierungsangaben, ähnlich <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen<br />
Fachanwalt, existieren neben Deutschland in England und Wales<br />
(Solicitors), Frankreich (15 Gebiete), Island und Schottland<br />
(Solicitors).<br />
Die Bezeichnung „Experte/Spezialist“ ohne amtliche Ausbildung<br />
o<strong>de</strong>r amtlichen Titel, d.h. letztlich eine Spezialisierung<br />
kraft Selbsteinschätzung, die allerdings zutreffend sein muss,<br />
darf geführt wer<strong>de</strong>n in Dänemark, England und Wales (Solicitors<br />
und Barristers), Irland (Barristers), Island, Italien, Liechtenstein,<br />
Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, Nordirland (Solicitors), Norwegen, Schottland<br />
(Solicitors und Advocates) und Schwe<strong>de</strong>n. Die Zahl <strong>de</strong>r<br />
Län<strong>de</strong>r, in <strong>de</strong>nen die Spezialisierungsangabe kraft Selbsteinschätzung<br />
erfolgt, ist also erheblich höher als die Zahl <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r<br />
mit amtlichen Spezialisierungsangaben.<br />
Was gilt bei grenzüberschreiten<strong>de</strong>r Tätigkeit? Kann das Recht<br />
<strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rlassungsortes, das keine Spezialisierungsbezeichnungen<br />
zulässt, die Führung einer nach Heimatrecht zulässigen<br />
Spezialisierungsangabe verbieten? O<strong>de</strong>r umgekehrt: Kann das<br />
Nie<strong>de</strong>rlassungsrecht <strong>de</strong>m nie<strong>de</strong>rgelassenen Anwalt die Führung<br />
einer Spezialisierungsbezeichnung zusätzlich zum heimatlichen<br />
Berufstitel gestatten, die nach Heimatrecht unstatthaft ist?<br />
Was gilt im Fall von grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Sozietäten, zumal<br />
wenn man be<strong>de</strong>nkt, dass nach einer Reihe von Berufsrechten in<br />
<strong>de</strong>n einzelnen Län<strong>de</strong>rn die Sozietäten als solche berechtigt sind,<br />
Interessenschwerpunkte, Tätigkeitsschwerpunkte und Spezialisierungen<br />
anzugeben?<br />
6. Sozietätsrecht<br />
Damit bin ich bei einem weitgehend ungeklärten Thema. Gibt<br />
es in <strong>de</strong>n einzelnen Mitgliedstaaten <strong>de</strong>r EU überhaupt ein eigenes<br />
Berufsrecht <strong>de</strong>r Sozietäten, o<strong>de</strong>r nur ein Berufsrecht <strong>de</strong>r<br />
einzelnen Anwälte? Und unabhängig davon, wo liegen rechtliche<br />
Regelungsunterschie<strong>de</strong>, soweit es um die Bildung von Sozietäten<br />
unter Beteiligung von Anwälten aus an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn<br />
geht?<br />
Gelegentlich <strong>de</strong>r Wiener Präsi<strong>de</strong>ntenkonferenz 2001 habe ich<br />
erfahren, dass nach norwegischem Berufsrecht bei einer norwegischen<br />
Anwaltskanzlei die Mehrheit nach Köpfen bei norwegischen<br />
Anwälten liegen muss. An<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r – z. B. Deutschland<br />
und England – kennen ein <strong>de</strong>rartiges berufsrechtliches Mehrheitserfor<strong>de</strong>rnis<br />
nicht, das mir im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtliche<br />
Diskriminierungsverbot als zumin<strong>de</strong>st fragwürdig<br />
erscheint. Die praktische Konsequenz <strong>de</strong>s norwegischen<br />
Mehrheitserfor<strong>de</strong>rnisses ist, dass sich eine Kanzlei von drei norwegischen<br />
Anwälten in Oslo mit einer Kanzlei von drei <strong>de</strong>utschen<br />
RAen in Hamburg nur in <strong>de</strong>r Form zusammenschließen<br />
kann, dass die norwegischen Anwälte <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Sozietät<br />
beitreten, die dann in Oslo eine Nie<strong>de</strong>rlassung unterhält.<br />
7. Syndikusanwälte<br />
Diesen Themenkreis möchte ich nur <strong>de</strong>r Vollständigkeit halber<br />
erwähnen. Die Stellung <strong>de</strong>r Syndikusanwälte in <strong>de</strong>n einzelnen<br />
europäischen Län<strong>de</strong>rn ist sehr unterschiedlich. Der Europäische<br />
Gerichtshof in <strong>de</strong>r Entscheidung AM & S von 1981 und <strong>de</strong>r<br />
CCBE lehnen es bisher ab, <strong>de</strong>n Syndikusanwälten, die als angestellte<br />
RAe für ihren Arbeitgeber tätig sind, <strong>de</strong>nselben Status wie<br />
selbstständigen RAen zu geben. Auch hier kann es zu zahlreichen<br />
Konfliktsituationen kommen, die für die praktische Arbeit<br />
große Schwierigkeiten bereiten. Wür<strong>de</strong> etwa ein Syndikusanwalt,<br />
<strong>de</strong>r nach seinem Heimatrecht <strong>de</strong>n Status als Anwalt hat, in<br />
einem an<strong>de</strong>ren Mitgliedstaat, das diesen Status verweigert, ein<br />
Zeugnisverweigerungsrecht haben? Ich erinnere an <strong>de</strong>n oben<br />
erwähnten Fall <strong>de</strong>s amerikanischen Inhouse Counsel.<br />
Meine Ausführungen haben gezeigt, dass es in wichtigen Einzelfragen<br />
wesentliche Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n anwaltlichen<br />
Berufsrechten <strong>de</strong>r einzelnen Län<strong>de</strong>r gibt. Dieser Umstand wirkt<br />
sich in <strong>de</strong>r grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Tätigkeit von Anwälten – allein,<br />
in Sozietäten o<strong>de</strong>r in Kooperationen – immer stören<strong>de</strong>r aus.<br />
Er kann und wird – siehe das Beispiel USA – zunehmend dazu<br />
benutzt wer<strong>de</strong>n, Anwälte und Sozietäten aus Mandaten „herauszuschießen“.<br />
Von daher wird es zunehmend dringlich, das<br />
Problem im Interesse <strong>de</strong>r Anwälte, <strong>de</strong>r Mandanten und <strong>de</strong>r allgemeinen<br />
Öffentlichkeit aktiv anzugehen.<br />
Die i<strong>de</strong>ale Lösung wäre natürlich eine Harmonisierung <strong>de</strong>r nationalen<br />
Berufsrechte, und zwar unabhängig davon, ob diese<br />
vom Gesetzgeber o<strong>de</strong>r von einer Stan<strong>de</strong>sorganisation erlassen<br />
wor<strong>de</strong>n sind. Die Hoffnung, dass sich dieses Ziel auch nur mittelfristig<br />
erreichen lassen wird, wäre jedoch unrealistisch. Dafür<br />
sind die Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n nationalen Berufsrechten und vor<br />
allem die Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m ihnen zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Verständnis<br />
von Stellung und Funktion <strong>de</strong>s Anwalts zu unterschiedlich.<br />
Auch die von mir aufgezeigten Querverbindungen<br />
zum Anwaltsmonopol, zur Überprüfung <strong>de</strong>s anwaltlichen Berufsrechts<br />
nach <strong>de</strong>m Maßstab <strong>de</strong>s Wettbewerbsrechts und zur<br />
Frage, bis wann ein Anwalt in <strong>de</strong>r Rechtsanwendung straffrei ist<br />
und ab wann er sich strafbar macht, sind nicht gera<strong>de</strong> dazu angetan,<br />
die Harmonisierung <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte zu beschleunigen.<br />
Be<strong>de</strong>nkt man, dass trotz <strong>de</strong>r signifikanten Zunahme<br />
<strong>de</strong>r grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Tätigkeit die anwaltliche<br />
Tätigkeit weiterhin in <strong>de</strong>r übergroßen Mehrzahl <strong>de</strong>r Fälle rein<br />
nationalen Charakter hat, dann kann man eine Harmonisierung<br />
<strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte insgesamt, um die Probleme bei <strong>de</strong>r<br />
grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Tätigkeit zu lösen, realistischerweise nur<br />
langfristig in <strong>de</strong>n Blick nehmen.<br />
Umso wichtiger sind klare Kollisionsnormen für die grenzüberschreiten<strong>de</strong><br />
Tätigkeit. Bisher fehlt es an solchen Normen, wie<br />
ich eingangs gesagt habe. Weil diese Normen sich auf die Regelung<br />
<strong>de</strong>r grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Tätigkeit beschränken, d.h.<br />
die Geltung <strong>de</strong>s jeweiligen nationalen Berufsrechts für <strong>de</strong>n weiterhin<br />
allergrößten Teil <strong>de</strong>r anwaltlichen Tätigkeit unberührt lassen,<br />
sind <strong>de</strong>rartige Kollisionsregeln mit Sicherheit leichter und<br />
schneller herbeizuführen als eine Vollharmonisierung <strong>de</strong>r nationalen<br />
Berufsrechte.<br />
Die E-Commerce-Richtlinie hat gezeigt, dass das Kollisionsproblem<br />
bei grenzüberschreiten<strong>de</strong>r Tätigkeit eines Anwalts durchaus<br />
lösbar ist. Im Rahmen dieser Richtlinie war zunächst umstritten,<br />
ob die elektronische Tätigkeit <strong>de</strong>s Anwalts über die<br />
Grenzen allein <strong>de</strong>m heimatlichen Berufsrecht o<strong>de</strong>r statt<strong>de</strong>ssen<br />
bzw. zusätzlich auch <strong>de</strong>m Sitzrecht <strong>de</strong>s Mandanten unterstellt
BRAK-Mitt. 2/2002 Aufsätze 59<br />
Hellwig, Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
wer<strong>de</strong>n sollte. Die Richtlinie hat sich schließlich für die ausschließliche<br />
Geltung <strong>de</strong>s heimatlichen Berufsrechts entschie<strong>de</strong>n.<br />
Man sollte erwägen, diese Kollisionsregel für die elektronische<br />
Tätigkeit über die Grenze auf die grenzüberschreiten<strong>de</strong><br />
Tätigkeit nach <strong>de</strong>r Dienstleistungsrichtlinie auszu<strong>de</strong>hnen, zumin<strong>de</strong>st<br />
soweit es um die Tätigkeit außerhalb von Gerichten und<br />
Behör<strong>de</strong>n geht. Macht es wirklich einen relevanten Unterschied,<br />
ob ein französischer Anwalt <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Mandanten<br />
im Wege <strong>de</strong>s E-Commerce berät und ggf. qua Vi<strong>de</strong>o-Konferenz<br />
an einer Verhandlung dieses Mandanten mit einem Vertragspartner<br />
teilnimmt, o<strong>de</strong>r ob <strong>de</strong>r französische Anwalt dazu an <strong>de</strong>n<br />
Sitz <strong>de</strong>s Mandanten nach Deutschland reist? Umgekehrt könnte<br />
im Rahmen <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie die Kollisionsregel dahin<br />
lauten, dass für die Tätigkeit im Aufnahmestaat allein das Berufsrecht<br />
<strong>de</strong>s Aufnahmestaates zur Anwendung kommt. Hat <strong>de</strong>r<br />
nie<strong>de</strong>rgelassene Anwalt nach dreijähriger effektiver und regelmäßiger<br />
Tätigkeit im Aufnahmestaat die Berufsbezeichnung <strong>de</strong>s<br />
Aufnahmestaates erworben und ist er unter dieser Berufsbezeichnung<br />
tätig, dann lässt sich die zusätzliche Anwendung <strong>de</strong>s<br />
Berufsrechts <strong>de</strong>s Herkunftsstaates auf diese Tätigkeit ohnehin<br />
kaum rechtfertigen. Macht es aber wirklich einen relevanten<br />
Unterschied, wenn <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rgelassene Anwalt in <strong>de</strong>n ersten<br />
drei Jahren seiner Tätigkeit (und ggf. länger) unter seiner heimatlichen<br />
Berufsbezeichnung tätig ist? Geht man mit <strong>de</strong>r<br />
Dienstleistungsrichtlinie und <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie davon<br />
aus, dass die einzelnen europäischen Anwaltsberufe untereinan<strong>de</strong>r<br />
grundsätzlich gleichwertig sind, dann spricht, so<br />
meine ich, vieles für meinen vorgenannten Vorschlag. Er hebt<br />
grundsätzlich darauf ab, ob <strong>de</strong>r grenzüberschreitend arbeiten<strong>de</strong><br />
Anwalt aus seiner Heimatkanzlei heraus tätig ist – dann gilt,<br />
vielleicht mit Ausnahmen für die Tätigkeit vor Gericht und Verwaltungsbehör<strong>de</strong>n,<br />
allein das Recht <strong>de</strong>s Herkunftsstaates – o<strong>de</strong>r<br />
aus <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungskanzlei im Aufnahmestaat – dann gilt,<br />
auch für die Tätigkeit vor Gerichten und Behör<strong>de</strong>n, allein das<br />
Recht <strong>de</strong>s Aufnahmestaates.<br />
In <strong>de</strong>n USA wird die Frage nach <strong>de</strong>m anwendbaren Berufsrecht<br />
als Kollisionsproblem bereits seit längerem erörtert, ausgelöst<br />
durch <strong>de</strong>n bereits seit Jahrzehnten ständig steigen<strong>de</strong>n Umfang,<br />
in <strong>de</strong>m Anwälte aus einem Bun<strong>de</strong>sstaat in einem an<strong>de</strong>ren Bun<strong>de</strong>sstaat,<br />
d.h. grenzüberschreitend tätig sind. In <strong>de</strong>n USA sind<br />
verschie<strong>de</strong>ne Vorschläge für Kollisionsregeln im anwaltlichen<br />
Berufsrecht entwickelt wor<strong>de</strong>n, z. B. das Prinzip <strong>de</strong>s Rechts <strong>de</strong>r<br />
Zulassung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Tätigkeitsortes. Ein an<strong>de</strong>rer Vorschlag geht<br />
dahin, bei einem grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Mandat einer Kanzlei,<br />
insbeson<strong>de</strong>re einer Sozietät, solle das „Center of Gravity“ <strong>de</strong>s<br />
Mandats <strong>de</strong>r Anknüpfungspunkt für das auf das gesamte Mandat<br />
anzuwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Berufsrecht sein. Ich habe da meine Zweifel<br />
– wo liegt das „Center of Gravity“ bei einem grenzüberschreiten<strong>de</strong>n<br />
Mandat, und was sind die Folgen, wenn im Zuge <strong>de</strong>r<br />
Mandatsbearbeitung das Center of Gravity von einem Staat in<br />
einen an<strong>de</strong>ren Staat wechselt? Unabhängig davon: Wir Europäer<br />
können und sollten diese Vorarbeiten in <strong>de</strong>n USA in unsere<br />
Überlegungen einbeziehen. Dass es in <strong>de</strong>n USA bisher nicht zur<br />
Verabschiedung von übereinstimmen<strong>de</strong>n Kollisionsregeln gekommen<br />
ist, sollte uns nicht entmutigen. Schließlich gibt es in<br />
<strong>de</strong>n USA keine <strong>de</strong>r Dienstleistungsrichtlinie und <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie<br />
in Europa vergleichbaren Regelungen. Von <strong>de</strong>m<br />
Niveau an berufsrechtlicher Harmonisierung, das wir Europäer<br />
damit bereits erreicht haben, sind die Amerikaner weit entfernt.<br />
Bei <strong>de</strong>r ABA hat gera<strong>de</strong> die „Commission on Multijurisdictional<br />
Practice“ ihren Bericht vorgelegt. Ob die darin vorgeschlagenen<br />
berufsrechtlichen Än<strong>de</strong>rungen verabschie<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, ist ungewiss.<br />
Selbst wenn sie verabschie<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, sind es nur „Mo<strong>de</strong>l<br />
Rules“, die für die Anwaltsorganisationen und die letztlich allein<br />
zuständigen Gerichte in <strong>de</strong>n einzelnen Staaten <strong>de</strong>r USA nicht<br />
verbindlich sind.<br />
Zurück zu meinem Vorschlag, die immer größer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
praktischen Probleme mit <strong>de</strong>n Unterschie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Berufsrechte<br />
bei grenzüberschreiten<strong>de</strong>r Anwaltstätigkeit durch klare Kollisionsnormen<br />
zu lösen. Der eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re von Ihnen wird<br />
sich sagen, die grenzüberschreitend tätigen Anwälte seien nur<br />
eine kleine Min<strong>de</strong>rheit und sollten selbst zusehen, wie sie mit<br />
<strong>de</strong>n geschil<strong>de</strong>rten Problemen fertig wer<strong>de</strong>n; die große Mehrheit<br />
<strong>de</strong>r rein national tätigen Anwälte sei davon nicht tangiert. Wer<br />
so <strong>de</strong>nkt, übersieht, dass die <strong>de</strong>rzeitige berufsrechtliche Situation<br />
bei grenzüberschreiten<strong>de</strong>r Anwaltstätigkeit bereits jetzt zu<br />
einer unkontrollierten Erosion nationaler Berufsrechte führt, die<br />
im Wesentlichen zu Lasten <strong>de</strong>r kontinentaleuropäischen Berufsrechte<br />
und zu Gunsten <strong>de</strong>s englischen Berufsrechts geht, genauso<br />
wie es bei <strong>de</strong>m Themenkreis multidisziplinäre Zusammenarbeit<br />
(MDP) zwischen Anwälten und Angehörigen an<strong>de</strong>rer<br />
Berufe in einigen Län<strong>de</strong>rn Europas zu einer schleichen<strong>de</strong>n Erosion<br />
<strong>de</strong>r nationalen anwaltlichen Berufsrechte gekommen ist.<br />
Diese Erosion anwaltlicher Berufsrechte bei grenzüberschreiten<strong>de</strong>r<br />
Anwaltstätigkeit wird in Zukunft zunehmen, wenn es<br />
nicht zu einer bewussten, sachgerechten Steuerung und Lenkung<br />
durch Kollisionsnormen (und später durch Harmonisierung)<br />
kommt. Diese Erosion wird sich auch auf die rein national<br />
tätigen Kanzleien auswirken. Schlechte Beispiele ver<strong>de</strong>rben<br />
auch im Berufsrecht gute Sitten.<br />
Die Arbeit an <strong>de</strong>r Schaffung von Kollisionsnormen (und später<br />
an <strong>de</strong>r Harmonisierung <strong>de</strong>r Berufsrechte) wird allerdings nur gelingen<br />
können, wenn man die Position <strong>de</strong>s eigenen Berufsrechts<br />
nicht für sakrosankt erklärt und wenn man bereit ist, die Positionen<br />
aller Berufsrechte, auch <strong>de</strong>s eigenen, genau zu analysieren<br />
im Hinblick auf die Grundlagen, die Zwecke, die Reichweite<br />
und die Inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>r einzelnen Regelungen. Für<br />
die Bereiche Interessenkonflikt und Verschwiegenheitspflicht<br />
habe ich dargetan, dass die Schutzzwecke, die in <strong>de</strong>m einen<br />
Land von <strong>de</strong>r Verschwiegenheitspflicht abge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n, an<strong>de</strong>rnorts<br />
über das Interessenkollisionsverbot erreicht wer<strong>de</strong>n –<br />
die Ziele stimmen also überein, nur das Regelungsinstrument ist<br />
verschie<strong>de</strong>n. Ich halte es für durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich,<br />
dass sich im Zuge <strong>de</strong>r Detailanalyse bei <strong>de</strong>n einzelnen<br />
Regelungen Kernbereiche ergeben, in <strong>de</strong>nen die nationalen<br />
Berufsrechte völlig o<strong>de</strong>r weitgehend übereinstimmen, und<br />
dass die Unterschie<strong>de</strong> erst zu <strong>de</strong>n Rän<strong>de</strong>rn hin auftreten. Das<br />
wür<strong>de</strong> die Schaffung von Kollisionsnormen (und die spätere<br />
Harmonisierung) um einiges erleichtern. Vor allem sollte man<br />
sich bei <strong>de</strong>r Arbeit zur Schaffung von Kollisionsnormen immer<br />
bewusst sein, dass diese Normen nur die grenzüberschreiten<strong>de</strong><br />
Tätigkeit betreffen und dass die nationalen Berufsrechte hinsichtlich<br />
<strong>de</strong>r nicht grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Tätigkeit nicht tangiert<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Der CCBE ist aufgerufen, sich dieser bei<strong>de</strong>n Aufgaben anzunehmen.<br />
So wie er bei <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie Pionierarbeit<br />
geleistet hat, sollte <strong>de</strong>r CCBE es auch hier tun. Ich könnte<br />
mir <strong>de</strong>nken, dass <strong>de</strong>m CCBE – und ihm folgend, wie bei <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie,<br />
<strong>de</strong>m europäischen Richtliniengeber – die<br />
Erarbeitung von Kollisionsnormen für die grenzüberschreiten<strong>de</strong><br />
Tätigkeit im Rahmen <strong>de</strong>r Dienstleistungs- und <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie<br />
insgesamt weniger Schwierigkeiten bereitet als<br />
<strong>de</strong>r ursprüngliche Erlass dieser bei<strong>de</strong>n Richtlinien. Eigentlich<br />
sind die Kollisionsnormen nur eine logische Notwendigkeit, die<br />
sich aus <strong>de</strong>r Existenz dieser bei<strong>de</strong>n Richtlinien ergibt. Damals,<br />
bei Erlass <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Richtlinien, war die Zeit für klare Kollisionsregelungen<br />
noch nicht reif. Heute sollte die Zeit gekommen<br />
sein, nach<strong>de</strong>m die ursprünglichen Befürchtungen gegenüber<br />
<strong>de</strong>r grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Tätigkeit von Anwälten sich als unberechtigt<br />
erwiesen haben und diese Tätigkeit für die Anwälte<br />
und die Mandanten zunehmend zu einer Selbstverständlichkeit<br />
wird.
60 Aufsätze BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Grams, Haftungsverfassung von Anwaltssozietäten<br />
Haftungsverfassung von Anwaltssozietäten<br />
Haftung neu eintreten<strong>de</strong>r Sozien für Altverbindlichkeiten?<br />
Rechtsanwalt Holger Grams, Allianz Versicherungs AG, München<br />
Seit <strong>de</strong>n Grundsatzentscheidungen <strong>de</strong>s II. ZS <strong>de</strong>s BGH zur Haftungsverfassung<br />
sowie zur Rechts- und Parteifähigkeit <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts (GbR) v. 27. 9. 1999 (NJW 1999,<br />
3483) und 29. 1. 2001 (NJW 2001, 1056) besteht in <strong>de</strong>r Anwaltschaft<br />
Unsicherheit, welche Auswirkungen diese Rspr. auf<br />
die Haftung von Anwaltssozietäten in <strong>de</strong>r Rechtsform <strong>de</strong>r GbR<br />
hat (vgl. Eichele, BRAK-Mitt. 2001, 156, 157; zu <strong>de</strong>n durch<br />
diese Entscheidungen aufgeworfenen Fragen bzgl. <strong>de</strong>r Berufshaftpflichtversicherung<br />
s. Gladys, Stbg. 2001, 684; Sassenbach,<br />
AnwBl. 2002, 54). Diese Unsicherheit wird nun noch verstärkt<br />
durch zwei neue, konträre OLG-Entscheidungen zur Haftung<br />
neu eintreten<strong>de</strong>r Sozien für Altverbindlichkeiten, die nachfolgend<br />
dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />
Nach bisheriger Rspr. und Literaturmeinung haftet <strong>de</strong>r in eine<br />
Sozietät eintreten<strong>de</strong> Anwalt für vor seinem Eintritt erfolgte anwaltliche<br />
Fehler zwar mit seinem Anteil am Sozietätsvermögen,<br />
nicht aber mit seinem Privatvermögen. Maßgeblich ist hiernach<br />
die Zusammensetzung <strong>de</strong>r Sozietät im Zeitpunkt <strong>de</strong>r Pflichtverletzung<br />
(sog. Verstoßzeitpunkt), nicht <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>nseintritts<br />
(BGH, NJW 1982, 1866; 1994, 257; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung,<br />
3. Aufl., Kap. VII, Rdnr. 19 ff.; Zugehör-Sieg, Handbuch<br />
<strong>de</strong>r Anwaltshaftung, Rdnr. 364).<br />
Nach <strong>de</strong>n oben genannten BGH-Entscheidungen, mit <strong>de</strong>nen<br />
sich <strong>de</strong>r II. ZS zur akzessorischen Haftung <strong>de</strong>r Gesellschafter einer<br />
GbR für Verbindlichkeiten <strong>de</strong>r Gesellschaft bekannt und die<br />
§§ 128, 129 HGB für entsprechend anwendbar erklärt hat, for<strong>de</strong>rn<br />
namhafte Stimmen in <strong>de</strong>r Literatur, dass als Konsequenz<br />
dieser Rspr. nun auch § 130 HGB (Haftung <strong>de</strong>s in eine oHG eintreten<strong>de</strong>n<br />
Gesellschafters für Altverbindlichkeiten) auf die Gesellschafter<br />
einer GbR analog anzuwen<strong>de</strong>n sei (z. B. Ulmer, ZIP<br />
2001, 585, 598; K. Schmidt, NJW 2001, 993, 999; zweifelnd:<br />
Westermann, NZG 2001, 289, 294 f.).<br />
Wen<strong>de</strong>t man diese Ansicht auch auf Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche<br />
gegen RAe wegen anwaltlicher Pflichtverletzungen an, hätte<br />
dies zur Folge, dass <strong>de</strong>r in eine Sozietät eintreten<strong>de</strong> Anwalt<br />
auch für Scha<strong>de</strong>nsersatzfor<strong>de</strong>rungen aufgrund vor seinem Eintritt<br />
(und ggf. sogar vor seiner Zulassung zur Anwaltschaft) erfolgter<br />
Pflichtverletzungen unbeschränkt mit seinem Privatvermögen<br />
haftet (so Grunewald, ZAP 2001, Fach 23, 551; Senft,<br />
Anwalt, 6/2001, 26; dagegen: Jungk, BRAK-Mitt. 2001, 159).<br />
Die Befürworter dieser Auffassung lassen jedoch eine Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />
mit <strong>de</strong>r Rspr. <strong>de</strong>s für die Anwaltshaftung zuständigen<br />
IX. ZS vermissen. Dieser Beitrag zeigt die insoweit<br />
wesentlichen Beson<strong>de</strong>rheiten von Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüchen<br />
wegen anwaltlicher Pflichtverletzungen auf und begrün<strong>de</strong>t,<br />
warum eine entsprechen<strong>de</strong> Anwendung von § 130 HGB hier<br />
nicht angezeigt ist.<br />
1. OLG Düsseldorf: § 130 HGB nicht analog anwendbar<br />
Nach <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s OLG Düsseldorf v. 20. 12. 2001 –<br />
23 U 49/01 (in diesem Heft S. 97 ff., rechtskräftig) soll die neue<br />
Rspr. <strong>de</strong>s II. ZS keine Auswirkungen auf die Haftungsverfassung<br />
von Anwalts- und Steuerberatersozietäten haben; § 130 HGB sei<br />
auf Rechtsberatersozietäten nicht analog anwendbar, weil die<br />
Begründung <strong>de</strong>r akzessorischen Haftung nicht nach <strong>de</strong>n Vorschriften<br />
für Han<strong>de</strong>lsgesellschaften, son<strong>de</strong>rn nach § 714 BGB<br />
(Geschäftsführungsbefugnis <strong>de</strong>r GbR-Gesellschafter) erfolge.<br />
Weiter wird darauf verwiesen, dass nach <strong>de</strong>r bisherigen Rspr.<br />
<strong>de</strong>s II. ZS (NJW 1979, 1821) Gesellschafter nicht kraft Gesetzes<br />
für vor ihrem Eintritt begrün<strong>de</strong>te Verbindlichkeiten haften und<br />
dass <strong>de</strong>r Senat diese Rspr. in seiner Entscheidung v. 29. 1. 2001<br />
nicht aufgegeben, son<strong>de</strong>rn nur die analoge Anwendbarkeit <strong>de</strong>r<br />
§§ 128 f. HGB, nicht aber auch <strong>de</strong>s § 130 HGB befürwortet<br />
habe.<br />
Außer<strong>de</strong>m weist das OLG Düsseldorf darauf hin, dass <strong>de</strong>r II. ZS<br />
vor seiner Entscheidung we<strong>de</strong>r gem. § 132 Abs. 2 und 3 GVG<br />
<strong>de</strong>n Großen Senat für Zivilsachen noch <strong>de</strong>n Gemeinsamen Senat<br />
<strong>de</strong>r obersten Gerichtshöfe <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s angerufen hat, so dass<br />
nicht davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n könne, dass er von <strong>de</strong>r Rspr.<br />
<strong>de</strong>s für die Anwaltshaftung zuständigen IX. ZS o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s BAG<br />
(NJW 1988, 222) habe abweichen wollen.<br />
2. OLG Hamm: § 130 HGB analog anwendbar<br />
Demgegenüber hat das OLG Hamm in einer Entscheidung v.<br />
22. 11. 2001 – 28 U 16/01, BB 2002, 370 genau entgegengesetzt<br />
entschie<strong>de</strong>n. Unter Bezugnahme auf die oben genannte<br />
Literaturmeinung soll § 130 HGB auch auf Anwaltssozietäten<br />
analog anwendbar sein. In <strong>de</strong>m entschie<strong>de</strong>nen Fall ging es allerdings<br />
nicht um Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche wegen anwaltlicher<br />
Pflichtverletzung, son<strong>de</strong>rn um Ansprüche auf Rückzahlung von<br />
Anwaltshonorar wegen ungerechtfertigter Bereicherung, so dass<br />
die speziellen Probleme <strong>de</strong>r Anwaltshaftung in <strong>de</strong>r Entscheidung<br />
gar nicht behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n konnten.<br />
3. Kritik<br />
Bei aller Sympathie für das Urteil <strong>de</strong>s OLG Düsseldorf bestehen<br />
doch Zweifel an <strong>de</strong>r Tragfähigkeit seiner Begründung: Durch<br />
<strong>de</strong>n Verweis auf § 714 BGB wird die gera<strong>de</strong> vom BGH über Bord<br />
geworfene Doppelverpflichtungstheorie durch die Hintertür<br />
wie<strong>de</strong>r eingeführt.<br />
Auch ist <strong>de</strong>r II. ZS mit seiner Entscheidung zur Rechts- und<br />
Parteifähigkeit <strong>de</strong>r GbR bereits von <strong>de</strong>r Rspr. an<strong>de</strong>rer Senate und<br />
an<strong>de</strong>rer oberster Gerichtshöfe abgewichen, ohne zuvor bei <strong>de</strong>n<br />
an<strong>de</strong>ren Senaten angefragt zu haben o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Gemeinsamen<br />
Senat anzurufen (vgl. die diesbezügliche Kritik von Jauernig,<br />
NJW 2001, 2231), so dass diese Begründung, warum <strong>de</strong>r Senat<br />
zur Anwendbarkeit von § 130 HGB keine neue Position habe<br />
beziehen wollen, eine humorvolle Spitze, aber in <strong>de</strong>r Sache nur<br />
eine – bereits wi<strong>de</strong>rlegte – petitio principii darstellt.<br />
Die Entscheidung <strong>de</strong>s OLG Hamm musste sich, wie gesagt,<br />
nicht mit <strong>de</strong>n Beson<strong>de</strong>rheiten von Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüchen<br />
gegen Anwälte auseinan<strong>de</strong>r setzen und ist daher für die nachfolgend<br />
dargestellten Überlegungen nicht einschlägig.
BRAK-Mitt. 2/2002 Aufsätze 61<br />
Grams, Haftungsverfassung von Anwaltssozietäten<br />
4. Differenzierung zwischen primären und<br />
sekundären Ansprüchen<br />
Mit <strong>de</strong>r insoweit einhelligen Literaturmeinung ist davon auszugehen,<br />
dass <strong>de</strong>r II. ZS im Urt. v. 29. 1. 2001 (noch) keine Entscheidung<br />
über die Frage <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Anwendbarkeit<br />
von § 130 HGB getroffen hat. Wür<strong>de</strong> man <strong>de</strong>r dargestellten Literaturmeinung<br />
und <strong>de</strong>m OLG Hamm auch für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r<br />
Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche wegen anwaltlicher Pflichtverletzung<br />
folgen, wäre <strong>de</strong>r Fall <strong>de</strong>nkbar, dass ein junger RA (<strong>de</strong>r häufig in<br />
Wahrheit angestellter Anwalt o<strong>de</strong>r freier Mitarbeiter, also nur<br />
Scheinsozius ist, vgl. BGH, NJW 1991, 1225; 1999, 3040) für<br />
Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche persönlich einzustehen hätte, die<br />
durch anwaltliche Pflichtverletzungen seiner Sozien zu einem<br />
Zeitpunkt entstan<strong>de</strong>n, als er noch studierte.<br />
Diese Ansicht mag für primäre rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten<br />
einer Anwaltssozietät wie z. B. Miete für Kanzleiräume,<br />
Leasingraten für EDV o<strong>de</strong>r Gehaltsansprüche <strong>de</strong>r Mitarbeiter<br />
noch sachgerecht sein. Diese Verbindlichkeiten sind <strong>de</strong>n Altsozien<br />
bekannt und gem. § 4 Abs. 1 EStG zu bilanzieren, so dass<br />
<strong>de</strong>r neue Sozius zumin<strong>de</strong>st eine Chance hat, sich hierüber ein<br />
Bild zu machen (zumin<strong>de</strong>st, wenn es sich um einen „echten“<br />
Sozius han<strong>de</strong>lt). Bei sekundären Ansprüchen auf Scha<strong>de</strong>nsersatz<br />
führt dies jedoch zu unzumutbaren Risiken, da diese häufig<br />
(z. B. im Falle einer unerkannten Falschberatung) noch nicht<br />
einmal <strong>de</strong>n Altsozien bekannt sind.<br />
5. Vertraglicher Ansatz <strong>de</strong>s IX. ZS<br />
Eine überzeugen<strong>de</strong> Lösung <strong>de</strong>s Problems hat sich mit <strong>de</strong>r Rspr.<br />
<strong>de</strong>s für die Anwaltshaftung zuständigen IX. ZS auseinan<strong>de</strong>r zu<br />
setzen. Dieser Senat stellt nach wie vor konsequent durch Auslegung<br />
<strong>de</strong>s Mandatsvertrages darauf ab, welche Anwälte – zum<br />
Zeitpunkt <strong>de</strong>r Pflichtverletzung – in <strong>de</strong>n Mandatsvertrag einbezogen<br />
waren (BGH, NJW 1999, 3040; 2000, 1333).<br />
Dieser vertragliche Ansatz wird durch die neue Rspr. auch nach<br />
<strong>de</strong>r Literaturmeinung in keiner Weise ausgeschlossen; allenfalls<br />
wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt: „Nicht<br />
die Begründung dieser Haftung, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ren Ausschluss bedarf<br />
einer beson<strong>de</strong>ren Vereinbarung mit <strong>de</strong>m Gläubiger“ (K.<br />
Schmidt, a.a.O., S. 999). Eine solche Vereinbarung kann auch<br />
konklu<strong>de</strong>nt geschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />
Für die hier diskutierte Problematik ist außer<strong>de</strong>m zu berücksichtigen,<br />
dass <strong>de</strong>r Gesetzgeber in § 51a Abs. 2 Satz 1 BRAO für<br />
Anwaltssozietäten ausdrücklich normiert, dass die Mitglie<strong>de</strong>r einer<br />
Sozietät „aus <strong>de</strong>m zwischen ihr und <strong>de</strong>m Auftraggeber bestehen<strong>de</strong>n<br />
Vertragsverhältnis als Gesamtschuldner“ haften. Es<br />
spricht vieles dafür, <strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>n Anwälten einer Sozietät<br />
und <strong>de</strong>m Mandanten geschlossenen Mandatsvertrag dahin auszulegen,<br />
dass für anwaltliche Pflichtverletzungen nur die Anwälte<br />
haften müssen, die im Verstoßzeitpunkt in <strong>de</strong>r Kanzlei als<br />
(Außen-)Sozien tätig sind (vgl. Sieg, ZAP 2001, Fach 15, S. 55;<br />
Jungk, BRAK-Mitt. 2001, 159).<br />
6. Lösungsansatz über die Regelungen zur Gesamtschuld<br />
Ein weiterer Ansatzpunkt sind die Regelungen über die Gesamtschuld.<br />
Nach <strong>de</strong>m Urt. v. 29. 1. 2001 „ist . . . zu prüfen, ob<br />
unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r jeweils verschie<strong>de</strong>nartigen Interessen<br />
<strong>de</strong>r Beteiligten <strong>de</strong>r Rechtsgedanke <strong>de</strong>r §§ 420 ff. BGB im Einzelfall<br />
zur Anwendung kommt o<strong>de</strong>r nicht“. Gem. § 425 BGB<br />
wirken an<strong>de</strong>re als die in <strong>de</strong>n §§ 422 bis 424 BGB bezeichneten<br />
Tatsachen, wie z. B. Verschul<strong>de</strong>n, nur für und gegen <strong>de</strong>n Gesamtschuldner,<br />
in <strong>de</strong>ssen Person sie eintreten.<br />
Die Rspr. hatte die Anwendung dieser Norm für Rechtsberatersozietäten<br />
bislang abgelehnt (BGH, NJW 1971, 1801, 1803). In<br />
<strong>de</strong>r hier diskutierten Konstellation sollte jedoch <strong>de</strong>m neu eintreten<strong>de</strong>n<br />
Gesellschafter für Altfälle die Berufung auf § 425 BGB<br />
gestattet wer<strong>de</strong>n.<br />
7. Signale <strong>de</strong>s IX. ZS<br />
Die Richtung weist Zugehör, bis vor kurzem Mitglied <strong>de</strong>s IX. ZS,<br />
in seinem Beitrag über ein von <strong>de</strong>r Allianz Versicherungs-AG am<br />
10. 5. 2001 veranstaltetes Symposion zur Anwaltshaftung, Beilage<br />
zu ZAP 18/2001, S. 4 f.: „Der IX. ZS <strong>de</strong>s BGH wird diese<br />
Entscheidungen (<strong>de</strong>s II. ZS) in seine Rspr. zur Rechtsberaterhaftung<br />
einbin<strong>de</strong>n müssen. Diesem Senat bieten die Vertragsauslegung<br />
und eine eigenständige – entsprechen<strong>de</strong> – Anwendung <strong>de</strong>r<br />
§§ 420 ff. BGB die Möglichkeit, die Eigenart <strong>de</strong>r Rechtsberaterhaftung<br />
zur Geltung zu bringen.“<br />
8. Kein schutzwürdiges Interesse <strong>de</strong>s Gläubigers<br />
Ein weiteres zur Begründung <strong>de</strong>r Anwendbarkeit von § 130<br />
HGB herangezogenes Argument, dass <strong>de</strong>m Gläubiger nicht zugemutet<br />
wer<strong>de</strong>n könne, darzulegen und zu beweisen, wer im<br />
Zeitpunkt <strong>de</strong>s Entstehens <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung gegen die GbR Gesellschafter<br />
gewesen sei, ist bei Anwaltssozietäten nicht stichhaltig,<br />
da die anwaltliche Tätigkeit entwe<strong>de</strong>r schriftlich erfolgt (Schriftsätze,<br />
Korrespon<strong>de</strong>nz) o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st durch Schriftstücke begleitet<br />
wird (und sei es auch nur eine Honorarrechnung, vgl.<br />
auch BGH, NJW 1994, 3295, 3298), so dass <strong>de</strong>r Mandant in aller<br />
Regel anhand <strong>de</strong>s Kanzleibriefkopfs nachvollziehen kann,<br />
welche Sozien zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Pflichtverletzung seine Vertragspartner<br />
waren.<br />
9. Wi<strong>de</strong>rspruch zum Konzept <strong>de</strong>r Pflichtversicherung<br />
Überaus problematisch wäre eine Anwendung von § 130 HGB<br />
außer<strong>de</strong>m unter <strong>de</strong>m Aspekt <strong>de</strong>r Berufshaftpflichtversicherung.<br />
Maßgeblich ist das sog. Verstoßprinzip (§ 5 Abs. 1 AVB-A, vgl.<br />
Zugehör-Römer, a.a.O., Rdnr. 1895 f.), d. h., <strong>de</strong>r Versicherungsschutz<br />
besteht für während <strong>de</strong>r Dauer <strong>de</strong>s Versicherungsvertrags<br />
unterlaufen<strong>de</strong> Pflichtverletzungen. § 51 BRAO normiert eine<br />
Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung (nur)<br />
für die Dauer <strong>de</strong>r Zulassung.<br />
Wie oben bereits angesprochen, könnte aber eine Anwendung<br />
von § 130 HGB zur Folge haben, dass ein Anwalt für Verstöße<br />
(mit-)haftet, die vor seiner Zulassung lagen und damit im Regelfall<br />
nicht versichert wären. Eine sog. Rückwärtsversicherung ist<br />
zwar möglich, aber nicht gesetzlich normiert. Unklar ist, für<br />
welchen Zeitraum <strong>de</strong>r neue Sozius sich rückwärts versichern<br />
soll. Die Prämienbelastung wäre erheblich. Die Anwendung<br />
von § 130 HGB wür<strong>de</strong> daher zu einem nicht auflösbaren Wertungswi<strong>de</strong>rspruch<br />
mit grob unbilligen Ergebnissen für die betroffenen<br />
RAe führen (vgl. Gladys, Stbg. 2001, 684; Sassenbach,<br />
AnwBl. 2002, 54).<br />
10. Mo<strong>de</strong>llregelung § 8 PartGG<br />
Sachgerecht ist z. B. die vom Gesetzgeber gewählte Lösung bei<br />
<strong>de</strong>r Partnerschaftsgesellschaft: In § 8 Abs. 1 Satz 2 PartGG wird<br />
§ 130 HGB explizit für entsprechend anwendbar erklärt, in § 8<br />
Abs. 2 PartGG wird jedoch für Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche wegen<br />
beruflicher Fehler eine spezielle Regelung dahin gehend geschaffen,<br />
dass hierfür – neben <strong>de</strong>m Gesellschaftsvermögen <strong>de</strong>r<br />
Partnerschaft – mit ihrem Privatvermögen nur diejenigen Partner<br />
haften, die das Mandat auch tatsächlich bearbeitet haben. Bei<br />
konsequenter Anwendung von § 425 BGB kann man diese Re-
62 Aufsätze BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Durchlaub, Der gewerbliche Rechtsanwalt aufgrund von Isolvenzverwaltung<br />
gelung sogar im Wege richterlicher Rechtsfortbildung für die<br />
GbR übernehmen.<br />
11. Fazit<br />
Aufgrund <strong>de</strong>r dargestellten Argumente ist eine entsprechen<strong>de</strong><br />
Anwendung von § 130 HGB auf Rechtsanwaltssozietäten je<strong>de</strong>nfalls<br />
für Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche wegen anwaltlicher<br />
Pflichtverletzungen abzulehnen.<br />
Sicherheit über die Rechtslage kann angesichts <strong>de</strong>r konträren<br />
OLG-Entscheidungen und Literaturmeinungen erst eine Entscheidung<br />
<strong>de</strong>s BGH (ggf. <strong>de</strong>s Großen Senats für Zivilrecht) o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>s Gemeinsamen Senats <strong>de</strong>r obersten Gerichtshöfe <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s<br />
bringen; unabhängig davon ist eine – schnelle – Regelung <strong>de</strong>s<br />
Gesetzgebers zu wünschen, die neben <strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>s<br />
rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikums auch die berechtigten Interessen <strong>de</strong>s<br />
Berufsstan<strong>de</strong>s berücksichtigt.<br />
Der gewerbliche Rechtsanwalt aufgrund von Insolvenzverwaltung<br />
Der BFH auf <strong>de</strong>m Irrweg*<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht Prof. Dr. Thomas Durchlaub, MBA, Bochum<br />
Nach <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s XI. Senats <strong>de</strong>s BFH sollen RAe, die<br />
mehr als nur in geringem Umfang Insolvenz- o<strong>de</strong>r Zwangsverwaltungen<br />
betreiben, steuerlich nicht mehr in Ausübung eines<br />
freien Berufes, son<strong>de</strong>rn eines Gewerbes tätig sein. Be<strong>de</strong>utet dies,<br />
dass ein RA, <strong>de</strong>r ausschließlich Insolvenzverwaltungen betreibt,<br />
im eigentlichen Sinne <strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>s RA gar nicht mehr ausübt,<br />
son<strong>de</strong>rn ausschließlich ein Gewerbe betreibt? Der XI. Senat vermei<strong>de</strong>t<br />
diese Konsequenz mit <strong>de</strong>r Aussage, dass die Zugehörigkeit<br />
zu einer Berufsgruppe zwar erfor<strong>de</strong>rlich, aber nicht ausreichend<br />
für die freiberufliche Art <strong>de</strong>r Tätigkeit sei. Man könne eine<br />
Tätigkeit zwar berufsrechtlich zulässig als RA und damit im Rahmen<br />
eines freien Berufes ausüben, ohne dass die ausgeübte Tätigkeit<br />
freiberuflicher Art sei. Neben <strong>de</strong>r Berufszugehörigkeit müsse<br />
die ausgeübte Tätigkeit aber auch berufstypisch, d.h. in beson<strong>de</strong>rer<br />
Weise charakterisierend und <strong>de</strong>m Katalogberuf vorbehalten<br />
sein. Bereits dieser Obersatz ist nur zum Teil richtig. Dem XI. Senat<br />
ist zuzustimmen, dass freiberufliche Einkünfte nur vorliegen<br />
können, wenn <strong>de</strong>r Steuerpflichtige <strong>de</strong>m freien Beruf angehört<br />
und die ausgeübte Tätigkeit <strong>de</strong>m freien Beruf zugeordnet wer<strong>de</strong>n<br />
kann, was stets <strong>de</strong>r Fall ist, wenn die Tätigkeit berufstypisch ist.<br />
Nicht zutreffend ist jedoch, dass eine Tätigkeit nur dann berufstypisch<br />
und damit <strong>de</strong>n freiberuflichen Einkünften zuzuordnen ist,<br />
wenn sie ausschließlich <strong>de</strong>m Katalogberuf vorbehalten ist. Es<br />
genügt, wenn die Merkmale <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>m gesetzlichen Leitbild<br />
<strong>de</strong>r anwaltlichen Berufsausübung entsprechen (vgl. Stuhrmann,<br />
in Kirchhof/Söhn, EStG § 18 Rdnr. B 116); hierzu zählen<br />
nicht nur Rechtsberatung und Rechtsbesorgung, son<strong>de</strong>rn z.B.<br />
auch die Übernahme von Testamentsvollstreckungen und Vormundschaften,<br />
sofern <strong>de</strong>r Steuerpflichtige als RA ausgewählt<br />
wur<strong>de</strong> (vgl. BFH, Urt. v. 4. 12. 1980 – V R 27/76, BStBl. II 1981,<br />
193; auch nach BVerfG, Urt. v. 1. 7. 1980 – 1 BvR 349/75,<br />
378//76, NJW 1980, 2179 ff. gehört die Tätigkeit als Vormund<br />
zum anwaltlichen Aufgabenbereich). Auch die Aufsichtsrattätigkeit<br />
eines RA ist freiberuflich, es sei <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Steuerpflichtige ist<br />
nachweislich nicht „als RA“ bestellt wor<strong>de</strong>n (vgl. Brandt, in Herrmann/Heuer/Raupach,<br />
EStG § 18 Rdnr. 153). Dies be<strong>de</strong>utet, dass<br />
auch Tätigkeiten, die nicht nur RAen vorbehalten sind und auch<br />
von an<strong>de</strong>ren Berufen selbständig i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG ausgeübt<br />
wer<strong>de</strong>n (wie z.B. die Vermögensverwaltung, Testamentsvollstreckung<br />
und Tätigkeit als Aufsichtsrat), berufstypische anwaltliche<br />
Tätigkeiten sein können, wenn sie <strong>de</strong>m Steuerpflichtigen<br />
gera<strong>de</strong> in seiner Eigenschaft als RA übertragen wor<strong>de</strong>n sind.<br />
* Anmerkung zum Urteil <strong>de</strong>s BFH vom 12. Dezember 2001 (XI R 56/00).<br />
Entscheidung im Volltext in diesem Heft S. 94 ff.<br />
Das Urteil <strong>de</strong>s XI. Senats lei<strong>de</strong>t jedoch nicht nur an einer zu engen<br />
Sichtweise <strong>de</strong>r Voraussetzungen für eine berufstypische<br />
Tätigkeit eines RA, son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>r Subsumtion<br />
unter die berufsrechtlichen Rechtsgrundlagen, die <strong>de</strong>n Kernbereich<br />
<strong>de</strong>r anwaltlichen Tätigkeit und damit das Berufstypische<br />
<strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s RA <strong>de</strong>finieren. Dies wird beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich,<br />
wenn <strong>de</strong>r XI. Senat seine Auffassung von <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Berufstypik<br />
<strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s Verwalters im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
bzw. <strong>de</strong>r vergleichbaren Tätigkeit <strong>de</strong>s Insolvenzverwalters<br />
damit untermauern will, dass „Berufsbezeichnungen, die<br />
von stan<strong>de</strong>srechtlichen Organisationen eingeführt wer<strong>de</strong>n (hier<br />
ab 1999 <strong>de</strong>r „Fachanwalt für Insolvenzrecht“) keine maßgebliche<br />
steuerliche Relevanz“ hätten. Diese Aussage lässt offensichtlich<br />
die seit 1994 gelten<strong>de</strong>n berufsrechtlichen Bestimmungen<br />
für RAe unberücksichtigt. Seit dieser Zeit haben die RAe<br />
kein Stan<strong>de</strong>srecht mehr, son<strong>de</strong>rn ein Berufsrecht. Sofern RAen<br />
durch ihre RAK die Befugnis verliehen wird, gemeinsam mit <strong>de</strong>r<br />
Berufsbezeichnung „Rechtanwalt“ die Bezeichnung „Fachanwalt<br />
für Insolvenzrecht“ zu führen, beruht dies nicht auf durch<br />
RAe selbst geschaffenes Stan<strong>de</strong>srecht, son<strong>de</strong>rn auf abgeleitetem<br />
staatlichem Recht. § 59b BRAO bestimmt, ob und unter welchen<br />
Voraussetzungen die Satzungsversammlung die Bezeichnung<br />
„Fachanwalt für Insolvenzrecht“ einführen kann. Dies ist<br />
in <strong>de</strong>r Fachanwaltsordnung als Satzung in <strong>de</strong>r Fassung v.<br />
22. 3.1999 geschehen. Bekanntlich han<strong>de</strong>lt es sich bei Satzungen<br />
um Gesetze im materiellen Sinne. Sofern die Satzungsversammlung<br />
entsprechen<strong>de</strong> Regeln erlässt, die durch die RAKn<br />
durch die Gestattung <strong>de</strong>r Bezeichnung „Fachanwalt für Insolvenzrecht“<br />
umgesetzt wer<strong>de</strong>n, han<strong>de</strong>ln diese nicht aus eigener<br />
Vollkommenheit, son<strong>de</strong>rn leiten ihre Rechte unmittelbar vom<br />
Staat ab und sind damit mittelbare Staatsverwaltung. Was an<strong>de</strong>res<br />
als typisch für die Tätigkeit soll daher die Tätigkeit eines RA<br />
sein, die Voraussetzung für die staatliche Gestattung <strong>de</strong>s Führens<br />
<strong>de</strong>r Bezeichnung „Fachanwalt für Insolvenzrecht“ ist. Was zum<br />
Berufsbild <strong>de</strong>s RA gehört, bestimmt nicht das Steuerrecht, son<strong>de</strong>rn<br />
das Berufsrecht. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG knüpft mit <strong>de</strong>r Nennung<br />
<strong>de</strong>s RA als freien Beruf an das Berufsrecht an und ist daher<br />
einer eigenen steuerrechtlichen Auslegung, was berufstypisch<br />
ist, nicht mehr zugänglich. Gem. § 2 Abs. 1 FAO sind Voraussetzungen<br />
für die Verleihung einer Fachanwaltschaftsbezeichnung<br />
neben beson<strong>de</strong>ren theoretischen Kenntnissen auch beson<strong>de</strong>re<br />
praktische Erfahrungen. Beson<strong>de</strong>re praktische Erfahrungen<br />
liegen vor, wenn diese auf <strong>de</strong>m Fachgebiet erheblich das<br />
Maß <strong>de</strong>ssen übersteigen, das üblicherweise durch die berufliche
BRAK-Mitt. 2/2002 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 63<br />
Überblick<br />
Ausbildung und praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird<br />
(§ 2 Abs. 2 FAO). Der Erwerb beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen<br />
ist unter an<strong>de</strong>rem in <strong>de</strong>r Regel gem. § 5 FAO nachgewiesen,<br />
wenn <strong>de</strong>r Bewerber neben <strong>de</strong>r Bearbeitung von min<strong>de</strong>stens 60<br />
insolvenzrechtlichen Fällen innerhalb <strong>de</strong>r letzten drei Jahre vor<br />
<strong>de</strong>r Antragstellung im Fachgebiet als RA min<strong>de</strong>stens fünf eröffnete<br />
Verfahren aus <strong>de</strong>m ersten bis sechsten Teil <strong>de</strong>r InsO als Insolvenzverwalter<br />
selbständig bearbeitet hat; in zwei Verfahren<br />
muss <strong>de</strong>r Schuldner bei Eröffnung mehr als fünf Arbeitnehmer<br />
beschäftigen. Verwalter in Konkurs-, Gesamtvollstreckungs- und<br />
Vergleichsverfahren stehen <strong>de</strong>m Insolvenzverwalter gleich (§ 5<br />
FAO a.E.). Ist die Tätigkeit als Insolvenzverwalter und als Verwalter<br />
in Gesamtvollstreckungsverfahren nach <strong>de</strong>m Berufsrecht<br />
u.a. eine Voraussetzung für die Gestattung <strong>de</strong>r Bezeichnung<br />
„Fachanwalt für Insolvenzrecht“, weil bei dieser Tätigkeit in<br />
<strong>de</strong>m vorbezeichneten Umfang von einer praktischen Erfahrung<br />
ausgegangen wer<strong>de</strong>n kann, die üblicherweise die praktische Erfahrung,<br />
die <strong>de</strong>r Rechtsanwaltsberuf allgemein vermittelt, übersteigt,<br />
so muss man doch bei <strong>de</strong>r Insolvenzverwaltung erst Recht<br />
von einer berufstypischen Tätigkeit ausgehen; sie erfasst sogar<br />
nach <strong>de</strong>m durch die Fachanwaltsordnung konkretisierten Berufsrecht<br />
einen beson<strong>de</strong>ren qualifizierten Kernbereich <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />
Tätigkeit. Diese genaue Betrachtung <strong>de</strong>s Berufsrechts<br />
hat <strong>de</strong>r XI. Senat nicht vorgenommen. Er durfte sie sich auch<br />
nicht mit <strong>de</strong>m Hinweis ersparen, sie habe keine maßgeblich<br />
steuerrechtliche Relevanz. Genauso wie das Berufsrecht bestimmt,<br />
unter welchen Voraussetzungen ein Steuerpflichtiger RA<br />
ist, bestimmt es, unter welchen Voraussetzungen seine Tätigkeit<br />
für einen RA nicht nur erlaubt, son<strong>de</strong>rn auch berufstypisch ist.<br />
Bei einer Tätigkeit, die nicht nur berufsrechtlich erlaubt, son<strong>de</strong>rn<br />
sogar Anknüpfungspunkt für eine berufsrechtlich herausgehobene<br />
beson<strong>de</strong>re Bezeichnung wie die das Fachanwalts ist,<br />
kommt man daher richtigerweise nicht an <strong>de</strong>r Bejahung einer<br />
berufstypischen Tätigkeit vorbei.<br />
Hätte <strong>de</strong>r XI. Senat diesen Gesichtspunkt erkannt und berücksichtigt,<br />
hätte er die vorinstanzliche finanzgerichtliche Entscheidung<br />
(EFG 1999, 843) nicht aufheben dürfen. In diesem<br />
Fall hätte er die Einkünfte <strong>de</strong>r RAe unter § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG<br />
qualifizieren müssen, bei <strong>de</strong>nen seit <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s IV.<br />
Senats <strong>de</strong>s BFH v. 11. 8. 1994 (IV R 126/91, BStBl. II 1994, 936<br />
= BRAK-Mitt. 1995, 86) die sog. Vervielfältigungstheorie auf<br />
Angehörige <strong>de</strong>r freien Berufe nicht mehr anzuwen<strong>de</strong>n ist und<br />
daher nur noch bei <strong>de</strong>n Einkünften aus sonstiger selbständiger<br />
Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG Be<strong>de</strong>utung hat. Dies hätte<br />
zur Folge gehabt, dass <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>r Einschaltung von Mitarbeitern<br />
und <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>s Geschäftsanfalles keine Rolle<br />
gespielt hätte, solange die Tätigkeit <strong>de</strong>r Mitarbeiter entsprechend<br />
überwacht wor<strong>de</strong>n ist und es sich daher nur um<br />
Hilfstätigkeiten gehan<strong>de</strong>lt hat. Nach <strong>de</strong>r im Bereich <strong>de</strong>r nicht<br />
anwaltlichen Tätigkeit <strong>de</strong>s § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG z.B. für die<br />
Vermögensverwaltung gelten<strong>de</strong>n Vervielfältigungstheorie wäre<br />
die Einschaltung von Mitarbeitern bereits in einem Umfang<br />
schädlich, <strong>de</strong>r dazu führt, dass die Tätigkeit nicht mehr in ihrem<br />
Kernbereich auf eigener persönlicher Arbeitskraft <strong>de</strong>s Berufsträgers<br />
beruht. Um in <strong>de</strong>n Anwendungsbereich <strong>de</strong>r Vervielfältigungstheorie<br />
zu kommen, musste <strong>de</strong>r XI. Senat eine anwaltstypische<br />
Tätigkeit bei <strong>de</strong>r Verwaltung im Gesamtvollstreckungsverfahrens<br />
(und damit auch <strong>de</strong>r Verwaltung im<br />
Insolvenzverfahren) verneinen, zu Unrecht, wie sich aus <strong>de</strong>n<br />
vorstehen<strong>de</strong>n Erwägungen ergibt.<br />
Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts<br />
Rechtsanwälte Bertin Chab und Holger Grams<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
Überblick<br />
Schriftsatzeinreichung beim unzuständigen Gericht<br />
Des Öfteren kommt es zu Fristversäumnissen, weil <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong><br />
Schriftsatz zwar innerhalb <strong>de</strong>r Frist, jedoch beim unzuständigen<br />
Gericht eingereicht wird. Wenn man Glück hat und<br />
<strong>de</strong>r Schriftsatz nicht erst am letzten Fristtag eingeht, wird er<br />
rechtzeitig an das zuständige Gericht weitergeleitet o<strong>de</strong>r ein<br />
Richter weist telefonisch auf die Unzuständigkeit <strong>de</strong>s Eingangsgerichts<br />
hin. Das klappt jedoch nicht immer. Auch wenn <strong>de</strong>r<br />
Schriftsatz einige Tage vor Fristablauf zum falschen Gericht gelangt,<br />
kann er dort „hängen bleiben“.<br />
Unter Umstän<strong>de</strong>n kann dann aber ein Wie<strong>de</strong>reinsetzungsgesuch<br />
Erfolg haben. Zwar ist die Einreichung eines Schriftsatzes<br />
zum unzuständigen Gericht grds. als schuldhafte Pflichtverletzung<br />
<strong>de</strong>s Anwalts anzusehen, die eine Wie<strong>de</strong>reinsetzung ausschließt;<br />
die Rspr. gewährt <strong>de</strong>m RA aber in bestimmten Fällen<br />
einen „Vertrauensbonus“. So geschehen beim LG Duisburg<br />
(Beschl. v. 20. 7. 2001 – 13 S 142/00, siehe Rechtsprechungsleitsätze):<br />
Dort gab es beim AG ein Postfach für Schriftsätze an<br />
das LG. Der RA durfte darauf vertrauen, dass die Weiterleitung<br />
innerhalb von drei Tagen erfolgen wür<strong>de</strong>, und bekam Wie<strong>de</strong>reinsetzung.<br />
Ein noch weiter gehen<strong>de</strong>s Vertrauen gestand das LG<br />
Halle (Beschl. v. 17. 12. 2001 – 2 S 278/01, ebenfalls bei <strong>de</strong>n<br />
Rechtsprechungsleitsätzen) <strong>de</strong>m Prozessbevollmächtigten zu.<br />
Die Berufungsbegründungsschrift war beim AG eingegangen.<br />
Dieses hätte <strong>de</strong>n Schriftsatz nach Ansicht <strong>de</strong>s LG Halle innerhalb<br />
von zwei Arbeitstagen weiterleiten müssen. Auch hier gab<br />
es Wie<strong>de</strong>reinsetzung.<br />
Nicht in allen Wie<strong>de</strong>reinsetzungsentscheidungen sind die Gerichte<br />
in<strong>de</strong>s so nachsichtig mit <strong>de</strong>m Prozessbevollmächtigten.<br />
Die Richtschnur gibt das BVerfG vor: Ein Gericht, welches<br />
zuvor mit <strong>de</strong>r Sache befasst war, hat eine nachwirken<strong>de</strong> Fürsorgepflicht<br />
(BVerfG, NJW 1995, 3175) und sollte <strong>de</strong>n Schriftsatz<br />
in angemessener Zeit weiterleiten. In einem neueren<br />
Beschl. v. 3. 1. 2001 (NJW 2001, 1343) setzt das BVerfG allerdings<br />
Grenzen: Nur eine Weiterleitung im or<strong>de</strong>ntlichen Geschäftsgang<br />
darf erwartet wer<strong>de</strong>n, nicht aber ein Hinweis per<br />
Telefon o<strong>de</strong>r Fax. Da nicht näher <strong>de</strong>finiert ist, wie lange <strong>de</strong>r
64 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Das aktuelle Urteil<br />
„or<strong>de</strong>ntliche Geschäftsgang“ dauern darf, sollte man lieber<br />
doch darauf achten, dass <strong>de</strong>r Schriftsatz gleich das zuständige<br />
Gericht erreicht.<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
Das aktuelle Urteil<br />
Zurechnungszusammenhang bei vermeidbarem Scha<strong>de</strong>nseintritt<br />
a) Hat <strong>de</strong>r RA eine zu einem bestimmten Zeitpunkt gebotene<br />
Maßnahme unterlassen und entsteht <strong>de</strong>m Mandanten daraus<br />
später ein Scha<strong>de</strong>n, ist dieser <strong>de</strong>m RA grundsätzlich selbst<br />
dann zuzurechnen, wenn <strong>de</strong>r Mandant das Auftragsverhältnis<br />
zu einem Zeitpunkt gekündigt hat, als <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n noch vermie<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n konnte (Abgrenzung zu BGH, NJW 1993,<br />
2676).<br />
b) Hat <strong>de</strong>r RA durch eine schuldhafte Vertragsverletzung verursacht,<br />
dass Ansprüche <strong>de</strong>s Mandanten verjährt sind, wird <strong>de</strong>r<br />
Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und<br />
Scha<strong>de</strong>n nicht bereits dadurch unterbrochen, dass <strong>de</strong>r Mandant<br />
vor Ablauf <strong>de</strong>r Verjährungsfrist einen an<strong>de</strong>ren RA mit <strong>de</strong>r<br />
Prüfung von Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüchen gegen <strong>de</strong>n ersten Anwalt<br />
beauftragt.<br />
BGH, Urt. v. 29. 11. 2001 – IX ZR 278/00, BB 2002, 484<br />
Besprechung:<br />
Das Urteil beschäftigt sich mit <strong>de</strong>r Konstellation, dass das Mandat<br />
gekündigt und ein neuer RA zu einem Zeitpunkt beauftragt<br />
wird, in <strong>de</strong>m ein Scha<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Mandanten an sich noch vermeidbar<br />
gewesen wäre. Es geht dabei um die Frage, ob ein<br />
gleichwohl eingetretener Scha<strong>de</strong>n trotz<strong>de</strong>m <strong>de</strong>m ersten RA zugerechnet<br />
wer<strong>de</strong>n darf. Nicht zu verwechseln ist diese Frage mit<br />
<strong>de</strong>rjenigen eines evtl. Sekundäranspruchs, an <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Leitsatz<br />
auf <strong>de</strong>n ersten Blick erinnert.<br />
Das Problem war im zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Fall dadurch entstan<strong>de</strong>n,<br />
dass ein Grundstück doppelt veräußert wur<strong>de</strong>. Der BGH<br />
unterstellt für die weiteren Ausführungen, dass bei Beurkundung<br />
<strong>de</strong>s zweiten Grundstückskaufvertrages vom Grundbuchamt unzutreffend<br />
mitgeteilt wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m Vollzug <strong>de</strong>s Vertrages stün<strong>de</strong><br />
nichts entgegen, obgleich eine Auflassungsvormerkung für <strong>de</strong>n<br />
Ersterwerber bereits beantragt war. In <strong>de</strong>r Folge wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Zweiterwerber und jetzige Kl. auf Zustimmung zur Auflassung<br />
an <strong>de</strong>n Ersterwerber verurteilt. In <strong>de</strong>m Rechtsstreit wur<strong>de</strong> er von<br />
<strong>de</strong>m beklagten RA vertreten. Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche gegen<br />
<strong>de</strong>n Veräußerer waren wegen <strong>de</strong>ssen Vermögenslosigkeit nicht<br />
mehr realisierbar.<br />
Anspruchsvoraussetzung für <strong>de</strong>n Haftpflichtanspruch gegen <strong>de</strong>n<br />
ersten Anwalt ist zunächst eine schuldhafte Pflichtverletzung.<br />
Der Scha<strong>de</strong>n war hier nach unterstelltem Sachverhalt dadurch<br />
entstan<strong>de</strong>n, dass das Grundbuchamt eine unzutreffen<strong>de</strong> Auskunft<br />
erteilt hatte. Der ursprüngliche Scha<strong>de</strong>nsersatzanspruch<br />
<strong>de</strong>s Kl. richtete sich also gegen das Grundbuchamt. Dieser Anspruch<br />
hätte in unverjährter Zeit geltend gemacht wer<strong>de</strong>n müssen.<br />
Die unzutreffen<strong>de</strong> Auskunft <strong>de</strong>s Grundbuchamts wur<strong>de</strong> am<br />
7. 6. 1993 erteilt. Der beklagte RA wur<strong>de</strong> Anfang Februar 1994<br />
beauftragt. Das erstinstanzliche Urteil wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Mandanten<br />
am 23. 11. 1994 zugestellt, <strong>de</strong>r Nichtannahmebeschluss <strong>de</strong>s<br />
BGH erging am 11. 7. 1996. Die Verjährung <strong>de</strong>s Amtshaftungsanspruchs<br />
ist gem. § 852 BGB (a.F.) spätestens am 23. 11. 1997<br />
eingetreten, da <strong>de</strong>r Kl. je<strong>de</strong>nfalls durch Zustellung <strong>de</strong>s erstinstanzlichen<br />
Urteils am 23. 11. 1994 ausreichen<strong>de</strong> Kenntnis erlangt<br />
hatte. Spätestens am 13. 10. 1997 war ein neuer Anwalt<br />
mit <strong>de</strong>r Geltendmachung von Regressansprüchen gegen <strong>de</strong>n<br />
Bekl. beauftragt. Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Verjährung <strong>de</strong>s Amtshaftungsanspruchs<br />
am 23. 11. 1997 war <strong>de</strong>r beklagte RA also nicht<br />
mehr mandatiert.<br />
Der BGH nutzt diesen Sachverhalt dazu, die Zusammenhänge<br />
bzw. die Abgrenzung von Pflichtverletzung, Scha<strong>de</strong>n, Zurechnungszusammenhang,<br />
Verjährung von Haftpflichtansprüchen<br />
und Sekundäranspruch klarzustellen.<br />
Zunächst besteht eine Pflicht <strong>de</strong>s Anwalts, <strong>de</strong>n Mandanten auf<br />
mögliche Ansprüche gegen Dritte und <strong>de</strong>ren Verjährungsfristen<br />
hinzuweisen, wenn sich dies bei ordnungsgemäßer Bearbeitung<br />
„aufdrängt“ und sich <strong>de</strong>r Mandant <strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n Verjährung<br />
nicht bewusst ist. Ergeben sich solche Ansprüche gera<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r<br />
ungünstigen Entwicklung <strong>de</strong>r streitgegenständlichen Rechtsposition<br />
<strong>de</strong>s Mandanten, so liegt dies tatsächlich nahe. Im Einzelfall<br />
können die Ansprüche erstaunlich wenig mit <strong>de</strong>m eigentlichen<br />
Auftrag zu tun haben, lösen aber <strong>de</strong>nnoch eine Hinweispflicht<br />
aus, wie die viel kritisierte Entscheidung <strong>de</strong>s Senats zu<br />
<strong>de</strong>n Ansprüchen „aus Ostvermögen“ (BGH, WM 1998, 2246;<br />
s. dazu Borgmann, BRAK-Mitt. 1998, 219) zeigt.<br />
Der Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Mandanten ist hier dadurch eingetreten, dass<br />
er mögliche Amtshaftungsansprüche nun nicht mehr durchsetzen<br />
kann. Hinsichtlich <strong>de</strong>r Ansprüche gegen das Grundbuchamt<br />
nimmt <strong>de</strong>r BGH hier zu recht eine Belehrungspflicht <strong>de</strong>s Bekl.<br />
an, auch die Scha<strong>de</strong>nskausalität ist entsprechend zu bejahen.<br />
Allerdings wäre <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n noch abwendbar gewesen, wenn<br />
<strong>de</strong>r neue Anwalt innerhalb <strong>de</strong>r ersten vier Wochen seines Mandats<br />
verjährungsunterbrechen<strong>de</strong> Maßnahmen ergriffen hätte.<br />
Hierdurch könnte <strong>de</strong>r Zurechnungszusammenhang unterbrochen<br />
wor<strong>de</strong>n sein. Eine Unterbrechung erfolgt aber nicht schon<br />
dadurch, dass <strong>de</strong>r Mandant bzw. sein anwaltlicher Vertreter<br />
nichts unternimmt, son<strong>de</strong>rn nur ein ungewöhnliches, unangemessenes<br />
Verhalten hätte <strong>de</strong>n Zurechnungszusammenhang auflösen<br />
können, wie z.B. Einlegung eines aussichtlosen Rechtsmittels<br />
hinsichtlich <strong>de</strong>r Kosten (vgl. BGH, NJW 1994, 2822). Im<br />
entschie<strong>de</strong>nen Fall blieb <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n daher <strong>de</strong>m ersten RA zuzurechnen.<br />
In Betracht kommt in solchen Fällen nur ein Mitverschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Mandanten bzw. – über § 278 BGB – seines neuen Anwalts, da<br />
Möglichkeiten zur Abwendung bzw. Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>ns<br />
nicht genutzt wur<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>r bisherigen Rspr. <strong>de</strong>s Senats<br />
kommt ein Mitverschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s neuen Anwalts grds. nur in Betracht,<br />
wenn dieser gera<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Aufgabe betraut ist, die Fehler<br />
<strong>de</strong>s ersten RA zu beheben. Dann allerdings muss sich <strong>de</strong>r<br />
Mandant <strong>de</strong>n pflichtwidrigen, schuldhaften Scha<strong>de</strong>nsbeitrag<br />
seines zweiten Anwalts als Mitverschul<strong>de</strong>n zurechnen lassen<br />
(ausdrücklich BGH, NJW 1994, 1211). Selbst wenn (was im entschie<strong>de</strong>nen<br />
Fall noch aufklärungsbedürftig war) <strong>de</strong>m neuen Anwalt<br />
ein pflichtwidriges Verhalten im Hinblick auf die Amtshaftungsansprüche<br />
vorzuwerfen wäre, sieht <strong>de</strong>r BGH <strong>de</strong>ssen Mitverschul<strong>de</strong>nsbeitrag<br />
angesichts <strong>de</strong>r Zeiträume <strong>de</strong>r jeweiligen<br />
Mandate bei <strong>de</strong>utlich unter 50 %.<br />
Im Hinblick auf das im Leitsatz zitierte Urteil <strong>de</strong>s Senats (NJW<br />
1993, 2676) bleibt die Frage, wann eine Pflicht eigentlich „endgültig“<br />
verletzt ist und welche Rolle die evtl. Hinweispflichten<br />
<strong>de</strong>s Anwalts bei Mandatsen<strong>de</strong> dabei spielen. Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Fällen,<br />
in <strong>de</strong>nen – wie hier – zum Zeitpunkt <strong>de</strong>s Mandats die Verjährungsfrist<br />
<strong>de</strong>s streitgegenständlichen Anspruchs noch läuft,<br />
kann eine entsprechen<strong>de</strong> Belehrungspflicht <strong>de</strong>s Anwalts bei<br />
Mandatsen<strong>de</strong> bestehen.<br />
Nicht gemeint ist hiermit die Hinweispflicht auf Regressansprüche<br />
gegen die eigene Person und <strong>de</strong>ren Verjährung: Der aus
BRAK-Mitt. 2/2002 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 65<br />
Rechtsprechungsleitsätze<br />
einem Unterlassen erwachsen<strong>de</strong> Sekundäranspruch hat lediglich<br />
Auswirkungen auf die Verjährung, worauf <strong>de</strong>r Senat zutreffend<br />
hinweist.<br />
Den RA trifft aber je<strong>de</strong>nfalls dann eine Pflicht, auf einen baldigen<br />
Verjährungseintritt hinzuweisen, wenn er die Gefahr zuvor<br />
durch Untätigkeit mitverursacht hat (BGH, NJW 1997, 1302). In<br />
<strong>de</strong>r zitierten Entscheidung geht <strong>de</strong>r BGH von zwei Pflichtverletzungen<br />
aus: Bereits das Unterlassen von Vorkehrungen zur Sicherung<br />
<strong>de</strong>s Anspruchs stellt eine Pflichtverletzung dar. Zusätzlich<br />
sah <strong>de</strong>r Senat eine Vertragspflicht, bei Beendigung <strong>de</strong>s Mandats<br />
auf die drohen<strong>de</strong> Verjährung hinzuweisen. Das Verhältnis<br />
dieser bei<strong>de</strong>n Pflichtverletzungen bleibt etwas unklar. Da es im<br />
Einzelfall schwierig zu beurteilen ist, ab wann <strong>de</strong>n RA die Pflicht<br />
trifft, auf mögliche Ansprüche und <strong>de</strong>ren Verjährung hinzuweisen<br />
– die Re<strong>de</strong> ist hier meist davon, dass die „Gefahr besteht,<br />
dass <strong>de</strong>r Anspruch aus <strong>de</strong>m Blick gerät“ –, kann man die Hinweispflicht<br />
bei Mandatsen<strong>de</strong> als eine Art Auffangtatbestand ansehen.<br />
Das im Leitsatz zitierte BGH-Urteil ist aber auch dann<br />
dogmatisch nicht recht verständlich: Dort geht <strong>de</strong>r Senat davon<br />
aus, dass die Pflicht zunächst „noch nicht endgültig verletzt“<br />
gewesen wäre. Warum dann nicht je<strong>de</strong>nfalls bei Mandatsen<strong>de</strong><br />
eine Hinweispflicht bestand, bleibt unklar. Die „Abgrenzung“<br />
im hiesigen Leitsatz ist dann wohl auch eher als „Distanzierung“<br />
anzusehen.<br />
Im Übrigen dürfte die zusätzliche Hinweispflicht bei Mandatsen<strong>de</strong><br />
keine weiteren Auswirkungen haben: Wenn die<br />
Verjährung <strong>de</strong>s ursprünglichen Anspruchs bei Mandatsen<strong>de</strong><br />
noch nicht eingetreten ist, ist auch <strong>de</strong>r Haftpflichtanspruch noch<br />
nicht „entstan<strong>de</strong>n“ (§ 51 b, 1. Halbs. BRAO). Damit läuft in je<strong>de</strong>m<br />
Fall die Verjährung ab Mandatsen<strong>de</strong> (§ 51 b, 2. Halbs.<br />
BRAO).<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
Haftung<br />
Rechtsprechungsleitsätze<br />
Kausalität und Beweislast bei Falschberatung<br />
Die Frage <strong>de</strong>s Ursachenzusammenhangs zwischen einer anwaltlichen<br />
Pflichtverletzung und <strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Mandanten<br />
beantwortet sich nicht danach, ob <strong>de</strong>r Mandant <strong>de</strong>m pflichtwidrigen<br />
Rat <strong>de</strong>s Anwalts gefolgt ist o<strong>de</strong>r aus eigenem Antrieb<br />
gehan<strong>de</strong>lt hat, son<strong>de</strong>rn danach, wie er sich verhalten hätte,<br />
wenn er richtig beraten wor<strong>de</strong>n wäre.<br />
BGH, Urt. v. 6. 12. 2001 – IX ZR 124/00, NJW 2002, 593<br />
Anmerkung: Der bekl. RA ging von einer falschen Rechtslage im<br />
Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Anwendung eines Tarifvertrages aus. Er<br />
erklärte <strong>de</strong>m Mandanten, einem Opernsänger, dass eine ausgesprochene<br />
„Nichtverlängerungsmitteilung“ <strong>de</strong>m Arbeitgeber lt.<br />
Tarifvertrag möglich sei. Das war aber konkret unrichtig, weil<br />
<strong>de</strong>r zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Arbeitsvertrag keine Befristung vorsah<br />
und damit die grundsätzlich durch Tarifvertrag vorgesehene<br />
„Nichtverlängerungsmitteilung“ das Arbeitsverhältnis nicht been<strong>de</strong>n<br />
konnte. Infolge<strong>de</strong>ssen hatte er <strong>de</strong>m Mandanten dazu geraten,<br />
einer im Raum stehen<strong>de</strong>n „Abfindungslösung“ näher zu<br />
treten. Der Mandant schloss dann in <strong>de</strong>r Folge selbst mit <strong>de</strong>m<br />
Arbeitgeber einen Abfindungsvertrag. Das Berufungsgericht<br />
hatte in diesem Fall <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>s „beratungsrichtigen Verhaltens“<br />
missverstan<strong>de</strong>n. Es ging davon aus, dass es danach vermuten<br />
dürfe, die unzutreffen<strong>de</strong> Darstellung <strong>de</strong>s Anwalts sei für<br />
die Entscheidung <strong>de</strong>s Kl., <strong>de</strong>n Vergleich zu akzeptieren, scha<strong>de</strong>nsursächlich<br />
gewesen. Bei <strong>de</strong>r „Vermutung beratungsrichtigen<br />
Verhaltens“ kommt es aber nicht darauf an, was <strong>de</strong>r Mandant<br />
tatsächlich getan hat und dass vermutet wer<strong>de</strong>n kann, diese<br />
tatsächlichen Entschlüsse gingen ohne weiteres auf die unrichtige<br />
Beratung zurück. Der BGH stellt nochmals klar, dass es bei<br />
falscher Beratung darauf ankommt, was <strong>de</strong>r Mandant bei unterstellt<br />
richtiger Beratung getan hätte. Dabei kann ihm <strong>de</strong>r Anscheinsbeweis<br />
unter <strong>de</strong>r Voraussetzung zugute kommen, dass<br />
ein bestimmter Rat geschul<strong>de</strong>t war und es in <strong>de</strong>r gegebenen Situation<br />
unvernünftig gewesen wäre, einem solchen Rat nicht zu<br />
folgen. Hierzu muss das Berufungsgericht aber nun noch weitere<br />
Feststellungen treffen, weil <strong>de</strong>r Arbeitgeber möglicherweise<br />
ohnehin betriebsbedingt hätte kündigen können und <strong>de</strong>r Rat,<br />
<strong>de</strong>n Vergleich zu akzeptieren, dann im Ergebnis doch richtig gewesen<br />
wäre.<br />
Rechtsanwalt Bertin Chab<br />
Hinweispflichten auf Prozessrisiken nach Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r<br />
Deckungszusage durch <strong>de</strong>n Rechtsschutzversicherer<br />
Führt <strong>de</strong>r RA für einen rechtschutzversicherten Mandanten einen<br />
wenig aussichtsreichen Prozess, so muss er <strong>de</strong>n Mandanten<br />
darüber spätestens dann belehren, wenn <strong>de</strong>r Rechtsschutzversicherer<br />
die zunächst erteilte Deckungszusage zurückzieht<br />
o<strong>de</strong>r einschränkt und <strong>de</strong>r RA dagegen für <strong>de</strong>n Mandanten<br />
nichts unternehmen will.<br />
OLG Düsseldorf, Urt. v. 6. 7. 2001 – 24 U 211/00, NJW-RR<br />
2002, 64<br />
Anmerkung: Der Senat stellt klar, dass <strong>de</strong>r Anwalt nach höchstrichterlicher<br />
Rspr. gehalten ist, <strong>de</strong>n Mandanten vor einer beabsichtigten<br />
Klage über die Gefahren eines möglichen Prozessverlustes<br />
aufzuklären, wenn nach Prüfung <strong>de</strong>r Sach- und Rechtslage<br />
eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Aussichtslosigkeit<br />
spricht. Ganz allgemeine Hinweise, dass ein Prozess auch verloren<br />
gehen kann, genügen nicht. Besteht aber eine Deckungszusage<br />
einer Rechtsschutzversicherung ist das Unterlassen einer<br />
solchen Aufklärung kaum kausal, da auch ein „vernünftiger“<br />
Mandant unter diesen Umstän<strong>de</strong>n eine riskante Klage einreichen<br />
wird. Nach Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Deckungszusage durch die<br />
Rechtsschutzversicherung kommt aber die mangelhafte Aufklärung<br />
spätestens zum Tragen. Dann entsteht die Pflicht zur<br />
Aufklärung über die Risiken je<strong>de</strong>nfalls erneut. Eine ganz ähnliche<br />
Situation stellt sich möglicherweise, wenn die Deckungssumme<br />
<strong>de</strong>r Rechtsschutzversicherung ausgeschöpft ist und dies<br />
<strong>de</strong>m Anwalt bekannt ist. Eigene Ermittlungen hierzu muss er<br />
aber auch nicht anstellen (OLG Hamm, Urt. v. 4. 4. 2000 –<br />
28 U 206/99).<br />
Rechtsanwalt Bertin Chab<br />
Haftung <strong>de</strong>s neu eintreten<strong>de</strong>n BGB-Gesellschafters entsprechend<br />
§ 130 HGB<br />
Auf Grund <strong>de</strong>r geän<strong>de</strong>rten BGH-Rspr. zur Rechtsfähigkeit <strong>de</strong>r<br />
BGB-Gesellschaft haftet <strong>de</strong>r neu eintreten<strong>de</strong> Gesellschafter<br />
(RA) nicht nur mit seinem Anteil am Gesellschaftsvermögen für<br />
Altverbindlichkeiten, son<strong>de</strong>rn – als Folge auch <strong>de</strong>r Bejahung<br />
<strong>de</strong>s Akzessorietätsprinzips – in entsprechen<strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>s<br />
§ 130 HGB auch mit seinem Privatvermögen.<br />
OLG Hamm, Urt. v. 22. 11. 2001 – 28 U 16/01, BB 2002, 370<br />
Anmerkung: Siehe Grams, in diesem Heft, S. 60 ff.
66 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Rechtsprechungsleitsätze<br />
Fristen<br />
Postfach beim AG und Weiterleitung von Schriftsätzen<br />
Hat ein AG ein beson<strong>de</strong>res Postfach eingerichtet, das <strong>de</strong>r Weiterleitung<br />
von Schriftstücken an das LG dient, kann sich <strong>de</strong>r Anwalt<br />
auf <strong>de</strong>n fristgerechten Eingang beim LG je<strong>de</strong>nfalls innerhalb<br />
von drei Tagen verlassen. (Eigener Leitsatz)<br />
LG Duisburg, Beschl. v. 20. 7. 2001 – 13 S 142/01<br />
Anmerkung: Siehe oben Überblick.<br />
Weiterleitung vom unzuständigen Gericht im or<strong>de</strong>ntlichen<br />
Geschäftsgang<br />
Ein unzuständiges Gericht, welches zuvor mit <strong>de</strong>r Sache befasst<br />
war, hat Schriftsätze im or<strong>de</strong>ntlichen Geschäftsgang an<br />
das zuständige Gericht weiter zu leiten. Zwei Arbeitstage sind<br />
für die Weiterleitung ausreichend. (Eigener Leitsatz)<br />
LG Halle, Beschl. v. 17. 12. 2001 – 2 S 278/01<br />
Anmerkung: Siehe oben Überblick.<br />
Fehlen<strong>de</strong> Unterschrift auf <strong>de</strong>m Telefax und <strong>de</strong>m Original<br />
<strong>de</strong>s Berufungsschriftsatzes<br />
Wie<strong>de</strong>reinsetzung ist zu gewähren, wenn <strong>de</strong>r Anwalt bei Unterzeichnung<br />
<strong>de</strong>s bestimmen<strong>de</strong>n Schriftsatzes das Original und<br />
eine Abschrift verwechselt hat und das Büropersonal angewiesen<br />
war, alle bestimmen<strong>de</strong>n Schriftsätze vor Ausgang auf das<br />
Vorhan<strong>de</strong>nsein <strong>de</strong>r Unterschrift zu überprüfen. (Eigener Leitsatz)<br />
BVerfG, Beschl. v. 14. 12. 2001 – 1 BvR 1009/01<br />
Anmerkung: Mit diesem Beschluss hob das BVerfG eine Entscheidung<br />
<strong>de</strong>s LAG Berlin auf. Der Berufungsschriftsatz war<br />
zunächst fristwahrend per Fax – ohne Unterschrift – an das Gericht<br />
gesandt wor<strong>de</strong>n. Das Original mit Abschriften, das einige<br />
Tage später bei Gericht einging, war ebenfalls nicht unterschrieben,<br />
wohl aber eine beigefügte Abschrift. Das LAG<br />
meinte, es genüge nicht, die allgemeine Anweisung zu geben,<br />
dass alle bestimmen<strong>de</strong>n Schriftsätze durch Kanzlei-Angestellte<br />
vor Ausgang auf die Unterschrift <strong>de</strong>s Anwalts hin zu überprüfen<br />
sind. Laut ei<strong>de</strong>sstattlicher Versicherung <strong>de</strong>r sachbearbeiten<strong>de</strong>n<br />
Anwältin sei das Original unterschrieben wor<strong>de</strong>n. Dies unterstellt,<br />
könnte eine Verwechslung von Original und Abschrift nur<br />
<strong>de</strong>nkbar sein, wenn <strong>de</strong>r Stempel „Abschrift“ erst im Anschluss<br />
an die Unterschrift aufgebracht wor<strong>de</strong>n wäre. Diese Vorgehensweise<br />
berge Gefahren und sei <strong>de</strong>shalb ein Organisationsmangel.<br />
Außer<strong>de</strong>m seien die Dezernate in <strong>de</strong>r Kanzlei offenbar nicht<br />
sauber getrennt gewesen, da sich aus <strong>de</strong>r Akte ergäbe, dass die<br />
Unterschriftenmappen bei verschie<strong>de</strong>nen Gelegenheiten verschie<strong>de</strong>nen<br />
Sachbearbeitern vorgelegen hätten.<br />
Das BVerfG sieht es als Überspannung <strong>de</strong>r anwaltlichen Sorgfaltspflichten<br />
an, wenn man verlangen will, dass die Kennzeichnung<br />
von Originalen und Abschriften schon vor Unterzeichnung<br />
stattfin<strong>de</strong>n müsse, sofern im Übrigen die Anweisung<br />
zur Unterschriftenkontrolle vor Auslaufen <strong>de</strong>r Post bestehe. Das<br />
sei eine einfache Tätigkeit, die <strong>de</strong>m Büropersonal übertragen<br />
wer<strong>de</strong>n könne. Was die nicht ein<strong>de</strong>utige Trennung <strong>de</strong>r Dezernate<br />
angeht, grün<strong>de</strong>ten sich die Schlussfolgerungen <strong>de</strong>s LAG auf<br />
nicht zu berücksichtigen<strong>de</strong> Spekulationen.<br />
Das BVerfG musste sich nicht weiter mit <strong>de</strong>r Frage auseinan<strong>de</strong>rsetzen,<br />
ob die Berufungseinlegung per Telefax überhaupt<br />
genügt, wenn nicht genau <strong>de</strong>r mit Telefax übersandte Schriftsatz<br />
einige Tage später auch im Original bei Gericht eingeht. Das haben<br />
einige LG in letzter Zeit gefor<strong>de</strong>rt (LG Berlin, Beschl. v.<br />
5. 2. 2000, NJW 2000, 3291; LG Kiel, Beschl. v. 26. 2. 2001<br />
(Az. 8 S 279/00) und zuletzt auch das LG Wiesba<strong>de</strong>n mit Urt.<br />
v. 16. 5. 2001, NJW 2001, 3636). Immerhin hatte <strong>de</strong>r BGH<br />
schon mit Beschl. v. 20. 9. 1993 (NJW 1993, 3142) ausdrücklich<br />
entschie<strong>de</strong>n, dass eine Bestätigung <strong>de</strong>r Telefax-Übermittlung<br />
nicht notwendig sei. Das BAG hatte sich erst mit Beschl.<br />
v. 19. 5. 1999 (NJW 1999, 2989) in einer ausführlich begrün<strong>de</strong>ten<br />
Entscheidung <strong>de</strong>r Rspr. <strong>de</strong>s BGH angeschlossen. Angesichts<br />
<strong>de</strong>ssen, dass sich <strong>de</strong>r Gemeinsame Senat <strong>de</strong>r obersten Gerichtshöfe<br />
(Beschl. v. 5. 4. 2000, NJW 2000, 2340) sogar dazu<br />
bekennt, ein Computerfax mit eingescannter Unterschrift allein<br />
als fristwahrend zu akzeptieren, bei <strong>de</strong>m es nie ein original<br />
unterzeichnetes Exemplar gab, kann diese Rspr. <strong>de</strong>r zitierten<br />
Untergerichte nur noch als anachronistisch und nicht mehr vertretbar<br />
bezeichnet wer<strong>de</strong>n.<br />
Rechtsanwalt Bertin Chab<br />
Telefaxnummer aus Anwaltssoftware<br />
Es liegt ein Organisationsverschul<strong>de</strong>n vor, wenn die Telefaxnummer<br />
<strong>de</strong>s Gerichts einer auf Anwaltskanzleien abgestimmten<br />
Anwen<strong>de</strong>rsoftware entnommen wird. (Eigener Leitsatz)<br />
LG Osnabrück, Beschl. v. 16. 7. 2001 – 12 S 544/01<br />
Anmerkung: Wie<strong>de</strong>reinsetzung wur<strong>de</strong> nicht gewährt. Zwar<br />
könne sich <strong>de</strong>r Anwalt grundsätzlich darauf verlassen, dass das<br />
Personal die richtige Nummer verwen<strong>de</strong>t. Allerdings müsse organisatorisch<br />
sichergestellt sein, dass die Nummer aus aktuell<br />
gültigen Verzeichnissen entnommen wird. Das sei bei einer einmal<br />
installierten Software ohne entsprechen<strong>de</strong> Aktualisierung<br />
nicht ohne weiteres <strong>de</strong>r Fall.<br />
Rechtsanwalt Bertin Chab<br />
Verjährungsunterbrechung durch Mahnbescheid ausnahmsweise<br />
auch bei verspätetem Eingang bei Gericht<br />
Die Verjährung einer Werklohnfor<strong>de</strong>rung wird auch dann<br />
durch die Zustellung <strong>de</strong>s Mahnbescheids unterbrochen, wenn<br />
dieser nicht rechtzeitig beim Gericht einging, hierfür aber eine<br />
überlange Beför<strong>de</strong>rungsdauer durch die Deutsche Post AG ausschlaggebend<br />
war. (Eigener Leitsatz)<br />
OLG Karlsruhe, Urt. v. 31. 7. 2001 – 17 U 93/00<br />
Das Urteil überrascht. Der Prozessbevollmächtigte <strong>de</strong>s Kl. hatte<br />
im Laufe <strong>de</strong>s 30. 12. 1998 <strong>de</strong>n Mahnbescheid in einen Postbriefkasten<br />
geworfen, dieser ging erst am 4. 1. 1999 und damit<br />
an und für sich verspätet bei Gericht ein. Die übliche Postlaufzeit<br />
hätte nach Auskunft <strong>de</strong>r Post hier nur einen Tag betragen,<br />
<strong>de</strong>r Mahnantrag hätte dann am 31. 12. 1999 und damit rechtzeitig<br />
bei Gericht sein müssen. Der Senat geht hier von einem<br />
Fall höherer Gewalt i.S.d. § 203 II BGB (a.F.) aus und ließ <strong>de</strong>n<br />
dann am 21. 1. 1999 zugestellten Mahnbescheid zur Verjährungsunterbrechung<br />
genügen. Bislang durfte man wohl<br />
lediglich davon ausgehen, dass eine unvorgesehen lange Postlaufzeit<br />
allein bei versäumten Notfristen eine Wie<strong>de</strong>reinsetzungsmöglichkeit<br />
eröffnet, da die Säumnis <strong>de</strong>m Prozessbevollmächtigten<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Partei nicht zuzurechnen ist. Für <strong>de</strong>n<br />
Ablauf an<strong>de</strong>rer Fristen kommt es auf ein Verschul<strong>de</strong>n normalerweise<br />
gar nicht an. Man sollte sich aber nicht darauf verlassen,<br />
dass die Gerichte in diesen Fällen künftig stets von höherer Gewalt<br />
sprechen und die rechtzeitige Absendung von Mahnbescheid<br />
o<strong>de</strong>r Schriftsatz genügen lassen.<br />
Rechtsanwalt Bertin Chab
BRAK-Mitt. 2/2002 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 67<br />
Zusammenschluss von Anwälten<br />
Zusammenschluss von Anwälten<br />
Die Anwaltssozietät in <strong>de</strong>r Rechtsform <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts (GbR)<br />
Nach std. Rspr. kommen bei einer Anwaltssozietät Mandate<br />
mit sämtlichen Anwälten <strong>de</strong>r Sozietät zustan<strong>de</strong>. Daraus<br />
folgt im Falle einer Schädigung <strong>de</strong>s Mandanten durch schuldhafte<br />
Verletzung anwaltlicher Pflichten eine gesamtschuldnerische<br />
Haftung sämtlicher Sozien mit ihrem Privatvermögen<br />
neben <strong>de</strong>m Gesellschaftsvermögen (seit BGH, NJW 1971,<br />
1801). Seit <strong>de</strong>r Novellierung <strong>de</strong>r BRAO im Jahre 1994 ist dies<br />
ausdrücklich auch gesetzlich so in § 51a Abs. 2 Satz 1 BRAO<br />
geregelt.<br />
Die gesamtschuldnerische Haftung tritt nicht ein, wenn mit <strong>de</strong>m<br />
Mandanten – ausnahmsweise – ein Einzelmandat vereinbart<br />
wird. Die Ausstellung <strong>de</strong>r (Prozess-)Vollmacht nur auf einzelne<br />
Sozien reicht dafür allein jedoch nicht aus (BGH, NJW 1978,<br />
996 und 1003). Wenn ein Einzelmandat gewollt ist, ist dringend<br />
ein schriftlicher Mandatsvertrag anzuraten, <strong>de</strong>r diesen Punkt<br />
ausdrücklich regelt.<br />
Eine Beiordnung (Hauptfall: PKH) o<strong>de</strong>r Bestellung als Pflichtverteidiger<br />
eines Mitglieds einer Sozietät begrün<strong>de</strong>t ein gesetzliches<br />
Schuldverhältnis, und zwar nur mit <strong>de</strong>m jeweiligen Anwalt.<br />
Allerdings kann (und wird in <strong>de</strong>r Praxis regelmäßig) zuvor<br />
schon ein privatrechtliches Mandat – i. d. R. mit sämtlichen Sozien<br />
– zustan<strong>de</strong> gekommen sein.<br />
Liegt <strong>de</strong>m Mandat ausschließlich eine anwaltsfrem<strong>de</strong> Tätigkeit<br />
(Treuhand, Vermögensverwaltung, Anlageberatung, Maklertätigkeit<br />
o. Ä.) zugrun<strong>de</strong>, kann dies zur Begründung eines Einzelmandats<br />
führen; dies gilt nicht, wenn das Mandat zumin<strong>de</strong>st<br />
auch eine rechtsberaten<strong>de</strong> Tätigkeit beinhaltet (BGH, NJW-RR<br />
1988, 1299; NJW 1999, 3040).<br />
Zur Möglichkeit <strong>de</strong>r Beschränkung <strong>de</strong>r Haftung <strong>de</strong>r Höhe nach<br />
und auf einzelne Sozien gem. § 51a BRAO s. Borgmann,<br />
BRAK-Mitt. 2000, 180; Grams, AnwBl 2001, 233 und 292.<br />
Die Rechtsform <strong>de</strong>r BGB-Gesellschaft mit beschränkter Haftung<br />
(GbR mbH) ist unzulässig; <strong>de</strong>r Versuch, auf diesem Weg<br />
zu einer einseitigen Haftungsbeschränkung zu gelangen, ist<br />
nicht gangbar (BayObLG, NJW 1999, 297; BGH, NJW 1999,<br />
3483).<br />
Der Geschädigte kann sich gem. § 421 BGB aussuchen, welche<br />
Sozien er in Anspruch nehmen will. Im Innenverhältnis sind die<br />
Sozien gem. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB einan<strong>de</strong>r zu gleichen Teilen<br />
verpflichtet, sofern nichts an<strong>de</strong>res bestimmt ist. Es empfiehlt<br />
sich dringend, eine diesbezügliche Regelung im Sozietätsvertrag<br />
zu vereinbaren.<br />
Eintritt in eine Sozietät<br />
Laufen<strong>de</strong> Mandate einer Sozietät erstrecken sich im Zweifel<br />
auch auf neu eintreten<strong>de</strong> Sozien (BGH, NJW 1994, 257). Demzufolge<br />
haften diese je<strong>de</strong>nfalls für nach ihrem Eintritt erfolgen<strong>de</strong><br />
Pflichtverletzungen gesamtschuldnerisch auch mit ihrem Privatvermögen.<br />
Das einem Einzelanwalt erteilte Mandat erstreckt<br />
sich dagegen bei Gründung einer Sozietät o<strong>de</strong>r Eintritt in eine<br />
solche nicht automatisch auf die neuen Sozien (BGH, NJW<br />
1988, 1973).<br />
Zur Frage <strong>de</strong>r Haftung in eine Sozietät eintreten<strong>de</strong>r Sozien für<br />
vor ihrem Eintritt erfolgte Pflichtverletzungen s. <strong>de</strong>n Beitrag von<br />
Grams, „Haftungsverfassung von Anwaltssozietäten“, in diesem<br />
Heft S. 60 ff.<br />
Ausschei<strong>de</strong>n aus einer Sozietät<br />
Vorsicht ist auch geboten beim Ausschei<strong>de</strong>n aus einer Sozietät:<br />
Grundsätzlich haftet <strong>de</strong>r ausschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Anwalt nicht für Fehler,<br />
die erst nach seinem Ausschei<strong>de</strong>n passieren, da eine Verbindlichkeit<br />
(hier: <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsersatzanspruch) i. S. v. §§ 160<br />
HGB, 736 Abs. 2 BGB erst durch die anwaltliche Pflichtverletzung<br />
begrün<strong>de</strong>t wird (vgl. Jungk, BRAK-Mitt. 2000, 21). Die<br />
Verjährungsnorm <strong>de</strong>s § 51b BRAO ist gegenüber § 160 HGB lex<br />
specialis.<br />
Entschei<strong>de</strong>nd ist jedoch, dass das Mandatsverhältnis auch<br />
tatsächlich been<strong>de</strong>t wird, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mandant seine Zustimmung<br />
zur Entlassung <strong>de</strong>s Anwalts aus seinen Pflichten erteilt<br />
o<strong>de</strong>r eine Kündigung <strong>de</strong>s Mandats für <strong>de</strong>n ausschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Anwalt<br />
erfolgt (zumin<strong>de</strong>st konklu<strong>de</strong>nt in Form <strong>de</strong>r Anzeige <strong>de</strong>s<br />
Ausschei<strong>de</strong>ns, vgl. BGH, NJW 1982, 1866; OLG Frankfurt, Urt.<br />
v. 12.11.1998 – 26 U 42/97; Urt. v. 27.4.2000 – 15 U 1/99;<br />
Jungk, BRAK-Mitt. 1999, 22). Der ausschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Anwalt sollte<br />
auch sicherstellen, dass sein Name von Briefkopf und Kanzleischild<br />
entfernt wird; ansonsten besteht die Gefahr einer Weiterhaftung<br />
nach <strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>r Scheinsozietät (mehr dazu<br />
in <strong>de</strong>r nächsten Ausgabe).<br />
Berufshaftpflichtversicherung<br />
In <strong>de</strong>r Berufshaftpflichtversicherung fin<strong>de</strong>t auf Sozietäten § 12<br />
<strong>de</strong>r Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensscha<strong>de</strong>n-Haftpflichtversicherung<br />
von RAen (AVB-A) Anwendung.<br />
Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 AVB-A gelten als Sozien Berufsangehörige,<br />
die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich<br />
ausüben, und zwar unabhängig vom Innenverhältnis. Gem. § 12<br />
Abs. 2 AVB-A gilt <strong>de</strong>r Versicherungsfall eines Sozius als Versicherungsfall<br />
aller Sozien. Dies gilt unabhängig davon, wer im<br />
konkreten Fall im Außenverhältnis gegenüber <strong>de</strong>m Mandanten<br />
haftet, und auch im Falle <strong>de</strong>r wirksamen Vereinbarung eines Einzelmandats.<br />
Ratio dieser Regelung ist, dass <strong>de</strong>r bzw. die Versicherer<br />
nicht klären müssen, wer von mehreren Sozien für einen<br />
Fehler verantwortlich ist, damit hierüber unter <strong>de</strong>n Sozien kein<br />
Streit entsteht (was durchaus vorkommt).<br />
Im Regulierungsfall tritt <strong>de</strong>r Versicherer mit einer sog. Durchschnittsleistung<br />
ein, <strong>de</strong>ren Ermittlung in § 12 Abs. 4 AVB-A geregelt<br />
ist. Sind Sozien bei verschie<strong>de</strong>nen Versicherern versichert,<br />
sind im Versicherungsfall alle Versicherer einzuschalten. Im<br />
Falle einer Regulierung wird die Versicherungsleistung unter<br />
<strong>de</strong>n Versicherern im Verhältnis <strong>de</strong>r versicherten Anwälte aufgeteilt.<br />
Unterschiedliche Versicherungssummen <strong>de</strong>r Sozien können<br />
zu Deckungslücken führen (Berechnungsbeispiele bei<br />
Prölss/Martin-Voit, VVG, 26. Aufl., § 12 AVB Vermögen, Rdnr. 2;<br />
Brieske, AnwBl 1995, 225, 230).<br />
Zur Vermeidung von Deckungslücken sollten alle Sozien mit einer<br />
(ausreichen<strong>de</strong>n) gleich hohen Versicherungssumme versichert<br />
sein. Das Vorliegen eines Ausschlusstatbestan<strong>de</strong>s nach § 4<br />
AVB-A bei einem <strong>de</strong>r Sozien geht gem. § 12 Abs. 3 AVB-A zu<br />
Lasten aller Sozien. Begeht also z. B. ein Sozius eine wissentliche<br />
Pflichtverletzung, besteht für die gesamte Sozietät kein<br />
Versicherungsschutz.<br />
Die Entscheidung <strong>de</strong>s BGH v. 29. 1. 2001 zur Rechts- und<br />
Parteifähigkeit <strong>de</strong>r GbR (NJW 2001, 1056) hat nach Auffassung<br />
<strong>de</strong>r Allianz keine Auswirkungen auf die Ausgestaltung <strong>de</strong>r Berufshaftpflichtversicherung<br />
(Sassenbach, AnwBl 2002, 54).<br />
Sollte die Rspr. sich in eine an<strong>de</strong>re Richtung entwickeln (vgl.<br />
<strong>de</strong>n Beitrag von Grams, „Haftungsverfassung von Anwaltssozietäten“<br />
in diesem Heft S. 60 ff.), müsste die Versicherungswirtschaft<br />
entsprechend reagieren.<br />
Rechtsanwalt Holger Grams
68 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK<br />
BRAGO und RVG<br />
Die letzte Anpassung <strong>de</strong>r Vergütung für RAe erfolgte zum 1. 7.<br />
1994. Schon diese Anpassung war nach Auffassung <strong>de</strong>r BRAK<br />
unzureichend. Deshalb for<strong>de</strong>rte die 29. Tagung <strong>de</strong>r Gebührenreferenten<br />
<strong>de</strong>r RAKn am 19. 11. 1994 in Mainz, schnell Überlegungen<br />
für ein 8. BRAGO-Än<strong>de</strong>rungsgesetz in Angriff zu nehmen.<br />
Der DAV beschloss in <strong>de</strong>r Folgezeit, eine Arbeitsgruppe zur<br />
Strukturreform <strong>de</strong>r BRAGO einzusetzen.<br />
Die BRAK hat dann beobachtet, wie sich das Kostenrechtsän<strong>de</strong>rungsgesetz<br />
1994 (BGBl. I 1994, 1325) auswirkte. Schon bald<br />
stellten sich Unzulänglichkeiten heraus. In einer Stellungnahme<br />
vom Oktober 1996 for<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>shalb die BRAK, dass die Gebührenermäßigung<br />
bei Erlass eines Anerkenntnis- und Verzichtsurteils<br />
(Nr. 1312 KV-GKG) auch auf das Versäumnisurteil<br />
ausge<strong>de</strong>hnt wird; es sollten zukünftig keine geson<strong>de</strong>rten Zustellungskosten<br />
bei <strong>de</strong>r Zustellung von Kostenfestsetzungsanträgen<br />
nach § 19 BRAGO entstehen (Nr. 9002 KV-GKG). Die Aktenversendungspauschale<br />
i.H.v. 15 DM (Nr. 9003 KV-GKG) sollte<br />
ersatzlos entfallen. Die Anordnung <strong>de</strong>r Wohnungsdurchsuchung<br />
(§ 758 ZPO) sollte als beson<strong>de</strong>re gebührenrechtliche Angelegenheit<br />
in § 58 Abs. 3 Nr. 8 BRAGO geregelt wer<strong>de</strong>n (BRAK-<br />
Mitt. 1997, 67 ff.).<br />
Am 18. 7. 1997 brachten die Län<strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rsachsen, Hessen,<br />
Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Berlin <strong>de</strong>n „Entwurf eines<br />
Gesetzes zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Gerichtskostengesetzes und an<strong>de</strong>rer<br />
Gesetze“ (BR-Drucks. 538/97) in das Gesetzgebungsverfahren<br />
ein. Der Entwurf sah erhebliche Erhöhungen <strong>de</strong>s GKG<br />
vor, obwohl auch die Gebühren nach GKG zum 1. 7. 1994 – sogar<br />
stärker als bei Gebühren <strong>de</strong>r BRAGO – angehoben wor<strong>de</strong>n<br />
waren. Die BRAK hat daraufhin in ihrer Stellungnahme zu diesem<br />
Gesetzentwurf im August 1997 diesen Gesetzentwurf insgesamt<br />
abgelehnt. In <strong>de</strong>r Einleitung ist ausgeführt: „Ein gestiegener<br />
Zuschussbedarf <strong>de</strong>r Justiz ist nicht belegt. Die vorgesehenen<br />
Kostensteigerungen halten sich nicht in vertretbarem<br />
Rahmen. Es ist kein Grund ersichtlich, die im Jahre 1994 nicht<br />
durchgeführten Gebührenanpassungen nunmehr nachzuholen,<br />
nach<strong>de</strong>m damals bewusst davon Abstand genommen wur<strong>de</strong>.<br />
Die vorgesehenen Erhöhungen sind überzogen. Wenn jedoch<br />
eine Anpassung <strong>de</strong>r Gerichtsgebühren erfolgt, dann muss zugleich<br />
eine Anpassung <strong>de</strong>r Gebühren für die Anwaltschaft erfolgen.“<br />
In <strong>de</strong>r Stellungnahme wur<strong>de</strong> eine Anpassung <strong>de</strong>r Gebühren<br />
um ca. 15 % verlangt. Das Land Nie<strong>de</strong>rsachsen hatte in<br />
Ergänzung dieses Gesetzentwurfes <strong>de</strong>n Antrag gestellt, statt die<br />
Gebühren <strong>de</strong>r BRAGO zu erhöhen, diese bei einem Gegenstandswert<br />
von mehr als 10 Millionen DM um 200 % zu kürzen.<br />
Die Verabschiedung dieses Gesetzes konnte abgewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n;<br />
eine Anpassung <strong>de</strong>r Gebühren <strong>de</strong>r BRAGO erfolgte allerdings<br />
nicht.<br />
Durch Klarstellung <strong>de</strong>s Kostenrechtsän<strong>de</strong>rungsgesetzes 1994 zu<br />
<strong>de</strong>n §§ 84 Abs. 2, 105 BRAGO konnte im „Justizmitteilungsgesetz<br />
und im Gesetz zur Än<strong>de</strong>rung kostenrechtlicher Vorschriften<br />
und an<strong>de</strong>rer Gesetze“ v. 18. 6. 1997 (BGBl. 1997 I, 1430, 1443)<br />
<strong>de</strong>r Anwendungsbereich <strong>de</strong>s § 84 Abs. 2 BRAGO ergänzt wer<strong>de</strong>n;<br />
durch die Ergänzung wur<strong>de</strong> klargestellt, dass bei außergerichtlicher<br />
Erledigung eines Straf- und Bußgeldverfahrens <strong>de</strong>r<br />
Anwalt die Gebühren erhält, die er erhalten wür<strong>de</strong>, wenn ein<br />
gerichtliches Verfahren durchgeführt wor<strong>de</strong>n wäre.<br />
In ihrer Stellungnahme zur gebührenrechtlichen Behandlung<br />
<strong>de</strong>r Zulassungsberufung und Zulassungsbeschwer<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
hat die BRAK wie<strong>de</strong>rum auf die Notwendigkeit<br />
<strong>de</strong>r Anpassung <strong>de</strong>r Gebühren hingewiesen. Neben<br />
einer allgemeinen linearen Anpassung von ca. 15 % wur<strong>de</strong> verlangt,<br />
dass die Prozessgebühr entsprechend § 11 Abs. 1 Satz 6<br />
BRAGO nach Einführung <strong>de</strong>r Zulassungsberufung in <strong>de</strong>r Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
20/10 betragen soll.<br />
Im Mai 1998 legte <strong>de</strong>r DAV seine „Vorschläge zur Strukturän<strong>de</strong>rung<br />
beim Anwaltsgebührenrecht“ (Beilage Heft 5 Anwaltsblatt<br />
1998) vor. In <strong>de</strong>r Arbeitsgruppe hatten <strong>de</strong>r Vizepräsi<strong>de</strong>nt<br />
<strong>de</strong>r BRAK Dr. Scharf (Celle) sowie RAuN Dietrich Herrmann<br />
(Berlin), Mitglied <strong>de</strong>r Tagung <strong>de</strong>r Gebührenreferenten <strong>de</strong>r RAKn,<br />
mitgearbeitet. Das Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz hat diese Strukturän<strong>de</strong>rungsvorschläge<br />
zunächst nicht zum Anlass genommen,<br />
einen Gesetzesentwurf einzubringen.<br />
Die 40. Tagung <strong>de</strong>r Gebührenreferenten <strong>de</strong>r RAKn am 18. 4.<br />
2000 in Bamberg hat <strong>de</strong>shalb eine lineare Anpassung <strong>de</strong>r Gebühren<br />
<strong>de</strong>r BRAGO zum 1. 1. 2001 gefor<strong>de</strong>rt.<br />
Das Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz legte daraufhin das Gesetz<br />
zur Umstellung <strong>de</strong>s Kostenrechts auf Euro (BRAK-Mitt. 2000, 81)<br />
vor, das eine Senkung <strong>de</strong>r Gebühren sogar i.H.v. 1,2 % vorsah.<br />
Die BRAK hat in ihrer Stellungnahme zu diesem Referentenentwurf<br />
gefor<strong>de</strong>rt, dass die Umstellung <strong>de</strong>r BRAGO auf Euro nicht<br />
zu einer Senkung <strong>de</strong>r Gebühren für die Anwaltschaft führen<br />
darf. Auf die Bemühungen <strong>de</strong>r BRAK ist zurückzuführen, dass es<br />
zumin<strong>de</strong>st gelang, bei <strong>de</strong>r Umstellung <strong>de</strong>r Gebühren <strong>de</strong>r<br />
BRAGO auf Euro eine Gebührensenkung zu vermei<strong>de</strong>n.<br />
Die 87. Hauptversammlung <strong>de</strong>r BRAK am 12. 5. 2000 in Köln<br />
verabschie<strong>de</strong>te folgen<strong>de</strong> Resolution (BRAK-Mitt. 2000, 130):<br />
„1. Durch die Umstellung <strong>de</strong>r BRAGO von DM auf Euro darf ein<br />
Einkommensverlust für die Anwaltschaft nicht eintreten.<br />
„2. Im Hinblick auf die seit 1994 erfolgte wirtschaftliche Entwicklung<br />
for<strong>de</strong>rt die Anwaltschaft eine lineare Gebührenanpassung<br />
zum 1. 1. 2001.<br />
„3. Spätestens in <strong>de</strong>r nächsten Legislaturperio<strong>de</strong> ist die überfällige<br />
Strukturreform <strong>de</strong>r BRAGO vorzunehmen.“<br />
Mit Schreiben v. 16. 5. 2000 schloss sich <strong>de</strong>r DAV in einem<br />
Schreiben an die Bun<strong>de</strong>sministerin <strong>de</strong>r Justiz <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
BRAK an.<br />
Nach<strong>de</strong>m aus <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz mitgeteilt<br />
wur<strong>de</strong>, dass die Umstellung <strong>de</strong>r BRAGO auf Euro nicht zum Anlass<br />
genommen wer<strong>de</strong>n könne, die BRAGO-Gebühren zu erhöhen,<br />
verlangte die 41. Tagung <strong>de</strong>r Gebührenreferenten am 2.<br />
10. 2000 in Braunschweig eine lineare Anpassung <strong>de</strong>r Gebühren<br />
<strong>de</strong>r BRAGO um 10 % zum 1. 7. 2001.<br />
Die 90. Hauptversammlung <strong>de</strong>r BRAK am 26. 10. 2001 in München<br />
hat eine Resolution zur BRAGO-Strukturreform verabschie<strong>de</strong>t<br />
(BRAK-Mitt. 2001, 293), in <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Fall, dass die<br />
Strukturreform <strong>de</strong>r BRAGO nicht zum 1. 1. 2003 in Kraft treten<br />
sollte, eine lineare Gebührenanpassung zum 1. 1. 2003 gefor<strong>de</strong>rt<br />
wird.
BRAK-Mitt. 2/2002 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK 69<br />
Auf diese For<strong>de</strong>rung hin hat die Bun<strong>de</strong>sministerin <strong>de</strong>r Justiz Vertreter<br />
<strong>de</strong>r Anwaltschaft im November 2000 zu einem Gespräch<br />
in das Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz gebeten. DAV und BRAK<br />
bekräftigten die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Anwaltschaft nach einer Gebührenerhöhung.<br />
Die Bun<strong>de</strong>sministerin <strong>de</strong>r Justiz hat die Vorschläge<br />
für eine Strukturnovelle <strong>de</strong>r BRAGO aufgegriffen und<br />
eine Expertenkommission eingesetzt, in <strong>de</strong>r als Vertreter <strong>de</strong>r<br />
BRAK RAuN Dieter Ebert (Holzmin<strong>de</strong>n) sowie RAin Julia Bohnenkamp<br />
(Berlin) mitgearbeitet haben. Die Expertenkommission<br />
hat einen eigenen Strukturän<strong>de</strong>rungsvorschlag erarbeitet<br />
und diesen <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sministerin <strong>de</strong>r Justiz im September 2001<br />
vorgelegt (BRAK-Mitt. 2001, 284). Daneben hat die BRAK <strong>de</strong>m<br />
Institut für Freie Berufe in Nürnberg einen Forschungsauftrag erteilt,<br />
um das Erhöhungsvolumen dieses Entwurfes zu berechnen.<br />
Die BRAK hat En<strong>de</strong> Januar 2002 ihre Stellungnahme zu diesem<br />
Entwurf abgegeben (in diesem Heft S. 69 ff.).<br />
Stellungnahme <strong>de</strong>r BRAK zum Entwurf<br />
eines Gesetzes über die Vergütung <strong>de</strong>r<br />
Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />
– RVG-E) <strong>de</strong>r Expertenkommission<br />
„BRAGO-Strukturreform“<br />
I. Einleitung<br />
Die BRAK begrüßt, dass endlich die längst überfällige Anpassung<br />
<strong>de</strong>r Rechtsanwaltsgebühren in Angriff genommen wird.<br />
Die BRAK stimmt grundsätzlich <strong>de</strong>r vorgelegten Strukturreform<br />
<strong>de</strong>r BRAGO zu. Mit Nachdruck spricht sich die BRAK dafür aus,<br />
dass das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz spätestens zum 1. 1.<br />
2003 in Kraft tritt. Ist dies nicht <strong>de</strong>r Fall, dann muss eine lineare<br />
Anhebung <strong>de</strong>r Gebührensätze <strong>de</strong>r BRAGO erfolgen. *<br />
Insgesamt for<strong>de</strong>rt die BRAK die Schaffung eines übersichtlichen<br />
Vergütungssystems, das<br />
* Ein Entwurf <strong>de</strong>r BRAK, <strong>de</strong>r die Anhebung um 10 % vorsieht, ist <strong>de</strong>r Stellungnahme<br />
als Alternativvorschlag beigefügt und kann im Internet unter<br />
www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>/„Gebühren“ eingesehen wer<strong>de</strong>n.<br />
1 BGBl. I 1994, 1325.<br />
2 BGBl. I 1986, 2326.<br />
3 BGBl. I 1980, 1503.<br />
4 BGBl. I 1975, 2189.<br />
5 Quelle: Statistisches Bun<strong>de</strong>samt, Preisin<strong>de</strong>x für die Lebenshaltung und<br />
harmonisierter Verbraucherpreisin<strong>de</strong>x im Dezember 2000, Pressemitteilung<br />
v. 11. 1. 2001.<br />
6 Quelle: Deutscher Richterbund.<br />
7 Schmucker, STAR: Umsatz- und Einkommensentwicklung <strong>de</strong>r RAe von<br />
1993 bis 1999, BRAK-Mitt. 2002, 18.<br />
8 Statistisches Auskunftssystem für RAe, durchgeführt vom Institut für Freie<br />
Berufe in Nürnberg.<br />
1. <strong>de</strong>m rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikum eine umfassen<strong>de</strong> Rechtsgewährung<br />
zu angemessenen Preisen auf Dauer gewährleistet;<br />
2. eine <strong>de</strong>r anwaltlichen Leistung und <strong>de</strong>r anwaltlichen Haftung<br />
entsprechen<strong>de</strong> Vergütung für <strong>de</strong>n RA sicherstellt.<br />
1. Ausgangspunkt und wirtschaftliche Entwicklung 1994 bis<br />
2002<br />
Die letzte lineare Anpassung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsgebührenordnung<br />
erfolgte durch das Kostenrechtsän<strong>de</strong>rungsgesetz<br />
1994. 1 Seit <strong>de</strong>r letzten Gebührenanhebung sind somit acht Jahre<br />
verstrichen.<br />
Vor <strong>de</strong>r BRAGO-Novelle 1994 erfolgten Gebührenanpassungen<br />
durch das Kostenrechtsän<strong>de</strong>rungsgesetz 1986 mit Wirkung zum<br />
1. 1. 1987 2 , durch die BRAGO-Novelle 1980 zum 1. 1. 1981 3<br />
und davor zuletzt zum 15. 9. 1975 4 .<br />
Die Anwaltschaft kann aus tatsächlichen Grün<strong>de</strong>n verlangen,<br />
dass sie <strong>de</strong>r übrigen Bevölkerung gleichgestellt wird. Auch<br />
wenn die Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland sich in einer möglicherweise<br />
länger anhalten<strong>de</strong>n wirtschaftlich schwierigen Lage befin<strong>de</strong>t,<br />
kann dies keine Begründung dafür sein, die überfällige<br />
Anpassung <strong>de</strong>r Gebühren <strong>de</strong>r Anwaltschaft noch länger zurückzustellen.<br />
In allen an<strong>de</strong>ren Bereichen sind Gebühren und Vergütungen<br />
gestiegen. Dagegen sind die Anwaltsgebühren seit<br />
acht Jahren unverän<strong>de</strong>rt.<br />
a) Preisin<strong>de</strong>x<br />
Der Preisin<strong>de</strong>x für die Lebenshaltung ist zwischen <strong>de</strong>m 1. 1.<br />
1994 und Dezember 2000 im gesamten Bun<strong>de</strong>sgebiet von 97,1<br />
auf 107,8 – somit um insgesamt 10,7 Prozentpunkte – gestiegen.<br />
5<br />
b) Beamten- und Richterbesoldung, Abgeordnetendiäten<br />
Die Beamtenbesoldung ist v. 1. 5. 1993 bis zum 1. 1. 2000 um<br />
ca. 20,5 % gestiegen, die Richterbesoldung von 1994 bis zum<br />
1. 1. 2001 um 31,87 % (Grundgehalt R 1, Lebensalter 41 Jahre) 6 .<br />
Die Steigerung <strong>de</strong>r Abgeordnetendiäten von 1994 bis zum 1. 1.<br />
2002 betrug 29,77 %. Zum 1. 1. 2003 wer<strong>de</strong>n die Abgeordnetendiäten<br />
nochmals ansteigen, so dass dann eine Steigerung von<br />
1994 bis zum 1. 1. 2003 von 32,24 % erreicht sein wird.<br />
c) Umsatz- und Einkommensentwicklung <strong>de</strong>r RAe<br />
Dagegen ist bei <strong>de</strong>r Umsatz- und Einkommensentwicklung <strong>de</strong>r<br />
RAe für <strong>de</strong>n Zeitraum 1993 bis 1999 7 Stagnation bzw. in einigen<br />
Bereichen sogar ein Rückgang zu verzeichnen. Nach <strong>de</strong>n<br />
Ergebnissen <strong>de</strong>r STAR 8 -Untersuchungen <strong>de</strong>s Instituts für Freie<br />
Berufe in Nürnberg entwickelten sich die persönlichen Jahreshonorarumsätze<br />
pro RA folgen<strong>de</strong>rmaßen (Angabe <strong>de</strong>s Medianes<br />
in TDM):<br />
Jahr Einzel- Einzel- Lokale Lokale überörtliche überörtliche<br />
kanzleien kanzleien Sozietäten Sozietäten Sozietäten Sozietäten<br />
West Ost West Ost West Ost<br />
(ohne Anwalts- (ohne Anwalts- (ohne Anwalts- (ohne Anwalts- (ohne Anwalts- (ohne Anwaltsnotariat)<br />
notariat) notariat) notariat) notariat) notariat)<br />
1993 162 139 252 195 648 k. A.<br />
1994 179 161 278 196 650 k. A.<br />
1995 199 177 295 250 613 k. A.<br />
1996 170 200 283 232 480 367<br />
1997 180 180 300 242 400 300<br />
1998 145 188 289 230 480 292<br />
1999 150 174 286 190 420 273
70 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Der persönliche Jahresüberschuss pro Anwalt bestätigt diese Entwicklung:<br />
Jahr Einzel- Einzel- Lokale Lokale überörtliche überörtliche<br />
kanzleien kanzleien Sozietäten Sozietäten Sozietäten Sozietäten<br />
West Ost West Ost West Ost<br />
(ohne Anwalts- (ohne Anwalts- (ohne Anwalts- (ohne Anwalts- (ohne Anwalts- (ohne Anwaltsnotariat)<br />
notariat) notariat) notariat) notariat) notariat)<br />
1993 70 52 134 80 300 k. A.<br />
1994 73 58 133 91 269 k. A.<br />
1995 89 64 138 90 258 k. A.<br />
1996 63 70 138 98 255 145<br />
1997 66 64 139 92 173 130<br />
1998 59 70 130 102 190 118<br />
1999 58 60 124 80 208 100<br />
2. For<strong>de</strong>rung nach baldiger Anpassung <strong>de</strong>r Rechtsanwaltsgebühren<br />
a) Kostenquote<br />
Die Kostenquote ist für Anwaltskanzleien in <strong>de</strong>n zurückliegen<strong>de</strong>n<br />
Jahren in etwa gleich geblieben. Die von <strong>de</strong>r BRAK jährlich<br />
in Auftrag gegebenen STAR-Untersuchungen belegen kontinuierlich<br />
eine Kostenquote zwischen 52 % und 72 % <strong>de</strong>r Gesamteinnahmen<br />
einer Kanzlei. Die Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Kostenquote<br />
ergeben sich aus unterschiedlichen Strukturen von Rechtsanwaltskanzleien.<br />
9<br />
Die Kostenquote konnte trotz Realisierungsanstrengungen <strong>de</strong>r<br />
Anwaltschaft auf Grund <strong>de</strong>r technisch und organisatorisch notwendigen<br />
Ausstattung <strong>de</strong>r Anwaltskanzleien mit EDV-Systemen,<br />
mo<strong>de</strong>rnen Kommunikationstechniken und Ähnlichem nicht signifikant<br />
gesenkt wer<strong>de</strong>n.<br />
b) Zusätzliche lineare Anpassung <strong>de</strong>r Gebühren um 10 %<br />
Eine Verbesserung <strong>de</strong>r Einnahmesituation für die Anwaltschaft<br />
durch gestiegene Gegenstands- bzw. Streitwerte, die <strong>de</strong>m Anstieg<br />
<strong>de</strong>r Kanzleikosten und <strong>de</strong>r gesamten wirtschaftlichen Entwicklung<br />
entspricht, kann nicht festgestellt wer<strong>de</strong>n, wie die Untersuchung<br />
<strong>de</strong>s Instituts für Freie Berufe ver<strong>de</strong>utlicht.<br />
Die Strukturnovelle <strong>de</strong>r BRAGO wird zwar in einigen Bereichen,<br />
vor allem im Strafrecht, eine Anhebung <strong>de</strong>r Gebühren<br />
bringen. Dies wird von <strong>de</strong>r BRAK ausdrücklich begrüßt. Allerdings<br />
ist nicht gesichert, dass je<strong>de</strong>r Anwalt von <strong>de</strong>r Gebührenerhöhung<br />
durch die Strukturreform profitieren wird. Insbeson<strong>de</strong>re<br />
ist zu befürchten, dass Gebührensteigerungen bei <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />
„Grundversorgung“, also insbeson<strong>de</strong>re im Familienund<br />
Verkehrsrecht, ausbleiben wer<strong>de</strong>n. Im Familienrecht muss<br />
damit gerechnet wer<strong>de</strong>n, dass durch <strong>de</strong>n Wegfall <strong>de</strong>r Beweisgebühr<br />
Gebührenmin<strong>de</strong>rungen entstehen. Auch in Verkehrssachen,<br />
die in vielen Kanzleien einen Großteil <strong>de</strong>s Gebührenaufkommens<br />
ausmachen, wird es zu Gebührenmin<strong>de</strong>rungen kommen.<br />
Denn aus <strong>de</strong>m Entwurf und <strong>de</strong>r Begründung dazu ergibt<br />
sich, dass beabsichtigt ist, „einfache Bußgeldsachen“ niedriger<br />
zu vergüten.<br />
Die BRAK for<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>shalb eine zusätzliche lineare Anhebung<br />
durch die Erhöhung <strong>de</strong>r Gebühren in <strong>de</strong>n Tabellen in §§ 12, 46<br />
RVG-E um 10 %. Die Wertstufen innerhalb <strong>de</strong>r Tabelle können<br />
unverän<strong>de</strong>rt bleiben.<br />
Die Erhöhung um 10 % erfolgt durch Erhöhung <strong>de</strong>r einzelnen<br />
Gebühren <strong>de</strong>r Erhöhungstabelle. Danach ist <strong>de</strong>r so errechnete<br />
Betrag auf volle Euro abzurun<strong>de</strong>n.<br />
9 Schmucker, STAR: Kostenstrukturen in Anwaltskanzleien 1994 und<br />
1998, BRAK-Mitt. 2001, 62.<br />
§ 12 RVG-E ist wie folgt zu fassen:<br />
§ 12<br />
Wertgebühren<br />
(1) Wenn sich die Gebühren nach <strong>de</strong>m Gegenstandswert richten,<br />
beträgt die Gebühr bei einem Gegenstandswert bis 300<br />
Euro 27 Euro. Die Gebühr erhöht sich bei einem<br />
Gegenstandswert für je<strong>de</strong>n um<br />
bis Euro angefangenen Euro<br />
Betrag<br />
von weiteren<br />
Euro<br />
1 500 300 22<br />
5 000 500 30<br />
10 000 1 000 40<br />
25 000 3 000 44<br />
50 000 5 000 79<br />
200 000 15 000 84<br />
500 000 30 000 129<br />
über 500 000 über 50 000 165<br />
Eine Gebührentabelle für Gegenstandswerte bis 500 000 Euro<br />
ist diesem Gesetz als Anlage 2 beigefügt.<br />
(2) Der Min<strong>de</strong>stbetrag einer Gebühr ist 11 Euro. Gebühren wer<strong>de</strong>n<br />
auf <strong>de</strong>n nächstliegen<strong>de</strong>n Cent auf- o<strong>de</strong>r abgerun<strong>de</strong>t; 0,5<br />
Cent wer<strong>de</strong>n aufgerun<strong>de</strong>t.<br />
Die Erhöhung <strong>de</strong>r Wertgebühr hat seine Auswirkung auch auf<br />
<strong>de</strong>n § 46 RVG-E. Dieser ist wie folgt zu fassen:<br />
§ 46<br />
Wertgebühren aus <strong>de</strong>r Staatskasse<br />
Bestimmen sich die Gebühren nach <strong>de</strong>m Gegenstandswert,<br />
wer<strong>de</strong>n bei einem Gegenstandswert von mehr als 3000 Euro anstelle<br />
<strong>de</strong>r Gebühr nach § 12 Abs. 1 folgen<strong>de</strong> Gebühren vergütet:<br />
Gegenstands- Gebühr Gegenstands- Gebühr<br />
wert Euro wert Euro<br />
bis Euro bis Euro bis Euro<br />
3 500 214 13 000 270<br />
4 000 224 16 000 282<br />
4 500 233 19 000 299<br />
5 000 240 22 000 322<br />
6 000 247 25 000 349<br />
7 000 253 30 000 389<br />
8 000 257 über<br />
9 000 261 30 000 430<br />
10 000 266
BRAK-Mitt. 2/2002 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK 71<br />
3. Konsequenzen einer baldigen Gebührenanpassung<br />
Die vorgeschlagene Gebührenanpassung wür<strong>de</strong> die wirtschaftliche<br />
Situation <strong>de</strong>r Anwaltschaft, die ohnehin belastet ist durch<br />
das starke Wachstum <strong>de</strong>r Anwaltszulassungen um mehr als<br />
60 % von 70 438 am 1. 1. 1994 auf mittlerweile rund 115 000<br />
zum 1. 1. 2002, an die zurückliegen<strong>de</strong> Konjunkturentwicklung<br />
seit 1994 ankoppeln. Eine Anpassung für die Zukunft wür<strong>de</strong><br />
nicht erfolgen.<br />
Die öffentlichen Kassen wer<strong>de</strong>n lediglich in <strong>de</strong>n Bereichen belastet,<br />
in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>m Rechtsuchen<strong>de</strong>n ein RA, insbeson<strong>de</strong>re im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r Prozesskostenhilfe und <strong>de</strong>r Pflichtverteidigung,<br />
beigeordnet wird.<br />
Schließlich ist davon auszugehen, dass die Strukturreform streitvermei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
und damit justizentlasten<strong>de</strong> Wirkung haben wird.<br />
Die Ausweitung <strong>de</strong>r Einigungsgebühr soll je<strong>de</strong> vertragliche Beilegung<br />
eines Streits honorieren.<br />
Auch die Terminsgebühr, die auch dann anfallen soll, wenn <strong>de</strong>r<br />
RA nach Erteilung eines Klageauftrags an einer auf die Vermeidung<br />
o<strong>de</strong>r Erledigung <strong>de</strong>s Verfahrens gerichteten Besprechung<br />
mitwirkt, unterstützt die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r außergerichtlichen Streiterledigung.<br />
Schließlich dient <strong>de</strong>r Vermeidung o<strong>de</strong>r Vereinfachung gerichtlicher<br />
Verfahren auch die Verbesserung <strong>de</strong>r Verteidigergebühren<br />
im Ermittlungsverfahren.<br />
4. Wegfall <strong>de</strong>s Gebührenabschlags Ost<br />
Das Einigungsvertragsgesetz sieht einen 10%igen Abschlag auf<br />
die Gebühren <strong>de</strong>r BRAGO für die Tätigkeit von RAen vor, die<br />
ihre Kanzlei in <strong>de</strong>m in Artikel 3 <strong>de</strong>s Vertrages genannten Gebiet<br />
eingerichtet haben o<strong>de</strong>r die vor Gerichten o<strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n, die<br />
ihren Sitz in <strong>de</strong>m in Artikel 1 Abs. 1 <strong>de</strong>s Vertrages genannten Gebiet<br />
haben, im Auftrag eines Beteiligten tätig wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r seinen<br />
Wohnsitz o<strong>de</strong>r Sitz in <strong>de</strong>m in Artikel 3 <strong>de</strong>s Vertrages genannten<br />
Gebiet hat.<br />
Der 10%ige Gebührenabschlag „Ost“ bedarf dringend <strong>de</strong>r Aufhebung.<br />
Das Honorar wird bei etwa gleich hohen Kosten wie in<br />
<strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn in dreifacher Hinsicht gekürzt. Zum<br />
einen erfolgt <strong>de</strong>r Abschlag von 10 % auf die Gebühren <strong>de</strong>r<br />
BRAGO. Zum an<strong>de</strong>ren kürzen geringere Streitwerte das Honorar<br />
und <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn höhere Anteil an Beratungs-<br />
und Prozesskostenhilfesachen bringt ohnehin eine erhebliche<br />
Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Gebührenaufkommens <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n<br />
neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn tätigen RAe mit sich.<br />
Am 1. 2. 2002 wird <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srat beschließen, <strong>de</strong>n Gebührenabschlag<br />
für <strong>de</strong>n Ostteil <strong>de</strong>r Stadt Berlin aufzuheben 10 . Wenn innerhalb<br />
<strong>de</strong>r Stadt Berlin keine unterschiedlichen Gebührensätze<br />
gelten sollen, kann das Kriterium <strong>de</strong>s Kanzleisitzes generell<br />
nicht mehr maßgeblich sein. Es ist nicht einzusehen, weshalb<br />
<strong>de</strong>r RA in einem östlichen Bezirk <strong>de</strong>r Stadt Berlin <strong>de</strong>n 10%igen<br />
Gebührenabschlag nicht mehr hinnehmen muss, <strong>de</strong>r RA in Potsdam<br />
nur wenige Kilometer weiter jedoch sehr wohl.<br />
5. Grundsätzliche Kritik<br />
a) Vergütungsverzeichnis<br />
Das Vergütungsverzeichnis ist ausweislich <strong>de</strong>r Begründung vorgeschlagen<br />
wor<strong>de</strong>n, um das Vergütungsgesetz übersichtlicher<br />
und transparenter zu gestalten. Ob dies erreicht wer<strong>de</strong>n kann,<br />
10 Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung <strong>de</strong>r für die Kostengesetze nach<br />
<strong>de</strong>m Einigungsvertrag gelten<strong>de</strong>n Ermäßigungsgesetze für <strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>s<br />
Lan<strong>de</strong>s Berlin, in <strong>de</strong>m das Grundgesetz vor <strong>de</strong>m 3. Oktober 1990 nicht<br />
galt (Ermäßigungs-Aufhebungsgesetz Berlin – KostGErmAufhGBln); BT-<br />
Drucks. 14/6477 v. 27. 6. 2001.<br />
wird die Praxis zeigen. Problematisch ist aber das Zitiergebot in<br />
§ 9 Abs. 2 RVG-E. Es kann von <strong>de</strong>m RA nicht erwartet wer<strong>de</strong>n,<br />
dass er in je<strong>de</strong>r Kostennote <strong>de</strong>n Gebührentatbestand mit seiner<br />
Nr. im Vergütungsverzeichnis benennt und gleichzeitig Vorbemerkungen<br />
und eventuelle Anmerkungen zu <strong>de</strong>r Nr. im Vergütungsverzeichnis<br />
mitzitieren muss. Allein die Terminsgebühr,<br />
die die bisher in § 31 Abs. 1 BRAGO geregelte Verhandlungsgebühr<br />
ersetzt, ist in 90 unterschiedlichen Nr. <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
geregelt. Diese Än<strong>de</strong>rung kann we<strong>de</strong>r auf einem<br />
Formular noch in einem Computerprogramm praktikabel dargestellt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Weiterhin fin<strong>de</strong>n sich die wichtigen Regelungen für die richtige<br />
Anwendung <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses vor allem in <strong>de</strong>n Vorbemerkungen<br />
zu <strong>de</strong>n einzelnen Teilen. Durch die äußere Gestaltung,<br />
insbeson<strong>de</strong>re das kleine Schriftbild und die optische<br />
Trennung von Vorbemerkung und Gebührentatbestand, besteht<br />
die Gefahr, die Regelungen in <strong>de</strong>n Vorbemerkungen bei <strong>de</strong>r Anwendung<br />
<strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses zu übersehen. Es wird<br />
daher vorgeschlagen, die Vorbemerkungen optisch hervorzuheben.<br />
Dies könnte entwe<strong>de</strong>r durch eine Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Druckbil<strong>de</strong>s<br />
o<strong>de</strong>r jeweils durch Einfügen <strong>de</strong>r Überschrift „Vorbemerkungen“<br />
erreicht wer<strong>de</strong>n.<br />
b) Wegfall <strong>de</strong>r Beweisgebühr<br />
Der Entwurf sieht vor, dass zukünftig die Beweisgebühr nicht<br />
mehr entstehen soll. Statt<strong>de</strong>ssen soll die Verfahrensgebühr um<br />
0,5 Gebühren angehoben wer<strong>de</strong>n und zusätzlich eine Terminsgebühr<br />
entstehen, so dass in <strong>de</strong>r ersten Instanz zukünftig in je<strong>de</strong>m<br />
Verfahren 2,5 Gebühren anfallen wer<strong>de</strong>n.<br />
Der Wegfall <strong>de</strong>r Beweisgebühr wird insbeson<strong>de</strong>re von RAen,<br />
die vornehmlich im Familienrecht o<strong>de</strong>r Baurecht tätig sind,<br />
äußerst kritisch beurteilt. Es wird befürchtet, dass insbeson<strong>de</strong>re<br />
bei Kanzleien mit <strong>de</strong>n genannten Schwerpunkten erhebliche<br />
Einbußen entstehen wer<strong>de</strong>n.<br />
Eine Verschlechterung <strong>de</strong>s bisherigen Gebührenaufkommens ist<br />
vor allem in Ehescheidungsverfahren zu befürchten. Regelmäßig<br />
fällt im gelten<strong>de</strong>n Recht bei <strong>de</strong>r Vernehmung <strong>de</strong>s Ehegatten<br />
die Beweisgebühr an mit <strong>de</strong>r Folge, dass <strong>de</strong>r RA 30/10 abrechnen<br />
kann. Die Höhe dieser Gebühren ist – wie eine Befragung<br />
<strong>de</strong>s DAV anlässlich <strong>de</strong>r Gebührenanpassung zum 1. 1.<br />
1987 ergeben hat 11 – notwendig, um eine <strong>de</strong>m Aufwand <strong>de</strong>s Anwalts<br />
entsprechen<strong>de</strong> Vergütung zu gewährleisten.<br />
Gleiches gilt für Bauprozesse, bei <strong>de</strong>nen regelmäßig recht umfangreiche<br />
Beweisaufnahmen mit mehreren Beweisterminen<br />
und einer sehr aufwendigen Vorbereitung durch <strong>de</strong>n Anwalt<br />
durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Auch hier sollen im gerichtlichen Verfahren<br />
zukünftig maximal 2,5 Gebühren statt <strong>de</strong>r bisherigen 30/10<br />
entstehen. Dies wird nicht dadurch ausgeglichen, dass ohne Beweisaufnahme<br />
nunmehr generell 2,5 Gebühren entstehen, da<br />
gera<strong>de</strong> in Ehescheidungssachen immer die Beweisgebühr anfiel<br />
und in Bausachen zum überwiegen<strong>de</strong>n Teil.<br />
Ein Ausgleich erfolgt je<strong>de</strong>nfalls in Familiensachen, die häufig im<br />
Prozesskostenhilfeverfahren zu bearbeiten sind, nicht auf<br />
Grund <strong>de</strong>r Tatsache, dass die außergerichtlichen Gebühren nur<br />
i.H.v. 0,5 anzurechnen sind. Gera<strong>de</strong> bei sozial schwachen Mandanten<br />
wird es außeror<strong>de</strong>ntlich schwierig sein, diese außergerichtlichen<br />
Gebühren zu erhalten, zumal im Streitfall durch<br />
Annäherung <strong>de</strong>r Pfändungsfreigrenzen praktisch eine Pfändung<br />
unmöglich ist. Die Argumentation <strong>de</strong>r Kompensation aus <strong>de</strong>r<br />
Anhebung <strong>de</strong>r Gebühren in <strong>de</strong>n FGG-Verfahren geht nach Auffassung<br />
<strong>de</strong>r BRAK fehl. Es gibt seit <strong>de</strong>m Kindschaftsreformgesetz<br />
und <strong>de</strong>r gemeinsamen elterlichen Sorge als Normalfall kaum<br />
11 AnwBl. 1986, 285 ff.
72 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK BRAK-Mitt. 2/2002<br />
noch Verfahren im Verbund o<strong>de</strong>r isolierter Art über die elterliche<br />
Sorge. Umgangsverfahren sind zwar weiterhin zu bearbeiten;<br />
die Verfahren, die in diesem Bereich zu bearbeiten sind, sind jedoch<br />
sehr arbeitsaufwendig. In diesen Verfahren fiel bisher<br />
durch Einholung eines psychologischen Gutachtens die Beweisgebühr<br />
an; diese entfällt nunmehr. Durch die Anhebung <strong>de</strong>r<br />
Gebühren von 7,5/10 auf 10/10 erfolgt <strong>de</strong>shalb keine Kompensation,<br />
geschweige <strong>de</strong>nn eine Gebührenanpassung.<br />
Hausratsverfahren kommen in <strong>de</strong>r Praxis kaum noch vor, da<br />
Streitereien um <strong>de</strong>n Hausrat vom Arbeitsaufwand in keiner Relation<br />
zur Vergütung stan<strong>de</strong>n und auch in Zukunft stehen.<br />
Vor allem bei spezialisierten RAen, die in <strong>de</strong>n genannten<br />
Rechtsgebieten in <strong>de</strong>r Überzahl sein dürften, kann aber das Argument<br />
nicht gelten, dass <strong>de</strong>r Wegfall <strong>de</strong>r Beweisgebühr hier<br />
aufgewogen wird durch die Tatsache, dass zukünftig auch in an<strong>de</strong>ren<br />
Prozessen, in <strong>de</strong>nen im gelten<strong>de</strong>n Recht Beweisaufnahmen<br />
eher selten sind, immer 2,5 Gebühren abgerechnet wer<strong>de</strong>n<br />
können.<br />
Dem Wegfall <strong>de</strong>r Beweisgebühr kann die BRAK jedoch unter<br />
<strong>de</strong>r Voraussetzung zustimmen, dass an an<strong>de</strong>ren Stellen nicht zu<br />
Lasten <strong>de</strong>s RA von <strong>de</strong>m Entwurf abgewichen wird. Als Gesamtpaket<br />
ist <strong>de</strong>r Entwurf trotz <strong>de</strong>s Wegfalls <strong>de</strong>r Beweisgebühr für die<br />
Anwaltschaft akzeptabel. Sollte an an<strong>de</strong>rer Stelle, insbeson<strong>de</strong>re<br />
bei <strong>de</strong>n Anrechnungsvorschriften, eine Verschlechterung für die<br />
Anwaltschaft eintreten, muss ausdrücklich darauf hingewiesen<br />
wer<strong>de</strong>n, dass die Anwaltschaft weitere Gebühreneinbußen, insbeson<strong>de</strong>re<br />
die Streichung <strong>de</strong>r Beweisgebühr, nicht hinnehmen<br />
kann.<br />
II. Stellungnahme zu einzelnen Bestimmungen<br />
1. § 9 Abs. 2 RVG-E<br />
§ 9 RVG-E regelt die Form <strong>de</strong>r Berechnung <strong>de</strong>r anwaltlichen Vergütung.<br />
Die Vorschrift entspricht § 18 BRAGO. Nach § 9 Abs. 2<br />
Satz 1 RVG-E sind in <strong>de</strong>r Berechnung die Beträge <strong>de</strong>r einzelnen<br />
Gebühren und Auslagen, Vorschüsse, eine kurze Bezeichnung<br />
<strong>de</strong>s jeweiligen Gebührentatbestan<strong>de</strong>s, die Bezeichnung <strong>de</strong>r<br />
Auslagen sowie die angewandten Kostenvorschriften und bei<br />
Gebühren, die nach <strong>de</strong>m Gegenstandswert berechnet sind,<br />
auch dieser anzugeben. Die entstan<strong>de</strong>ne und fällige Vergütung<br />
kann <strong>de</strong>r RA nur einfor<strong>de</strong>rn, wenn er <strong>de</strong>m Auftraggeber eine Berechnung<br />
seiner Vergütung in <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>s § 9 Abs. 2 RVG-E<br />
übermittelt hat. 12 Dies be<strong>de</strong>utet im Umkehrschluss, dass <strong>de</strong>r RA<br />
die entstan<strong>de</strong>ne und fällige Vergütung nicht einfor<strong>de</strong>rn kann,<br />
wenn seine Vergütung nicht in <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>s § 9 Abs. 2 RVG-E<br />
berechnet ist.<br />
Problematisch ist dieses Zitiergebot im Hinblick auf die gegenüber<br />
<strong>de</strong>r BRAGO neue Struktur <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.<br />
Im Vergütungsverzeichnis fin<strong>de</strong>t sich beispielsweise die<br />
Terminsgebühr an einer Vielzahl von Stellen. Angegeben wer<strong>de</strong>n<br />
muss die jeweils richtige Stelle, hierbei kann es leicht zu Fehlern<br />
kommen. Darüber hinaus ist nicht klar, ob nur die jeweilige Nr.<br />
im Vergütungsverzeichnis für <strong>de</strong>n Gebührentatbestand angegeben<br />
wer<strong>de</strong>n muss o<strong>de</strong>r ob <strong>de</strong>r RA auch die Vorbemerkungen<br />
bzw. Anmerkungen zu <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Teilen und Abschnitten<br />
im Vergütungsverzeichnis mit zu zitieren hat.<br />
Die Angabe aller Kostenvorschriften, wie in § 9 Abs. 2 RVG-E<br />
gefor<strong>de</strong>rt, führt je<strong>de</strong>nfalls zur Unübersichtlichkeit und ist fehleranfällig.<br />
Vorgeschlagen wird <strong>de</strong>shalb, in § 9 Abs. 2 Satz 1<br />
RVG-E die Worte „sowie die angewandten Kostenvorschriften“<br />
zu streichen. Dies dient auch <strong>de</strong>r Entlastung <strong>de</strong>r Justiz.<br />
12 Gerold/Schmidt/von Eicken/Ma<strong>de</strong>rt, BRAGO, 15. Aufl., § 18 BRAGO<br />
Rdnr. 3.<br />
2. § 21 Abs. 3 RVG-E<br />
Mit § 21 Abs. 3 RVG-E soll für das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />
eine allgemeine Wertgrenze eingefügt wer<strong>de</strong>n. Der Wert<br />
eines je<strong>de</strong>n Gegenstan<strong>de</strong>s soll höchstens 30 Mio. Euro betragen.<br />
Die BRAK wi<strong>de</strong>rspricht dieser vorgeschlagenen Regelung ausdrücklich.<br />
• Die Begründung verweist darauf, dass eine entsprechen<strong>de</strong><br />
Wertgrenze auch für das GKG vorgesehen ist. Argument ist<br />
also eine Konvergenz von Anwalts- und Gerichtsgebühren.<br />
Nicht gesehen wird in <strong>de</strong>r Begründung die Haftungsfrage, die<br />
sich naturgemäß bei einem RA an<strong>de</strong>rs stellt als bei Gerichten.<br />
Der Anwalt haftet für von ihm fehlerhaft verursachte Schä<strong>de</strong>n<br />
unbegrenzt. Die in § 51a BRAO vorgesehene Möglichkeit einer<br />
Haftungsbegrenzung ist bei hohen Streitwerten nicht von<br />
praktischer Be<strong>de</strong>utung. Eine Vereinbarung wird sich zu<strong>de</strong>m in<br />
<strong>de</strong>n Fällen nicht herbeiführen lassen, in <strong>de</strong>nen knappe Fristen<br />
einzuhalten sind, etwa Erwirken eines Mahnbeschei<strong>de</strong>s am<br />
letzten Tag <strong>de</strong>r Verjährungsfrist o<strong>de</strong>r aber ein Rechtsmittelauftrag<br />
am letzten Tag <strong>de</strong>r Rechtsmittelfrist. Folge <strong>de</strong>r Wertgrenze<br />
wäre, dass bei höheren Streitwerten über 30 Mio. Euro hinaus<br />
<strong>de</strong>r Anwalt unbegrenzte Haftungsrisiken übernähme, ohne<br />
dass ihm dies abgegolten wür<strong>de</strong>. Die Gebühr wäre dieselbe,<br />
wäre ein Streitwert i.H.v. 30 Mio. Euro vorhan<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r beispielsweise<br />
ein solcher i.H.v. 3 Mrd. Euro. Das Haftungsrisiko<br />
verschärft sich noch auf Grund <strong>de</strong>s Umstan<strong>de</strong>s, dass bei sehr<br />
hohen Streitwerten nicht die Möglichkeit besteht, ausreichen<strong>de</strong>n<br />
Versicherungsschutz zu erlangen bzw., sollte ein solcher<br />
überhaupt möglich sein, die erfor<strong>de</strong>rlichen Prämien die<br />
vorgesehenen Anwaltsgebühren wahrscheinlich aufzehren<br />
wür<strong>de</strong>n.<br />
Vor diesem Hintergrund ist es nicht vertretbar, einerseits Gebühren<br />
durch eine Werthöchstgrenze zu limitieren, an<strong>de</strong>rerseits<br />
aber unbegrenzte anwaltliche Haftung vorzusehen.<br />
• In <strong>de</strong>r Begründung wird hervorgehoben, dass eine Gebühr mit<br />
einem Gebührensatz von 1,0 bei einem Wert von 30 Mio.<br />
Euro 91 496 Euro betrage. Damit soll wohl, obwohl dies nicht<br />
ausdrücklich gesagt wird, <strong>de</strong>r Eindruck vermittelt wer<strong>de</strong>n, die<br />
Gebühr sei ohnehin relativ hoch und ausreichend. Auch das<br />
ist keinesfalls in je<strong>de</strong>m Fall gesichert, insbeson<strong>de</strong>re nicht ein<br />
adäquater Anspruch auf Kostenerstattung. Dies ergibt sich aus<br />
folgen<strong>de</strong>m Grund:<br />
Es steht keineswegs fest, dass mit <strong>de</strong>r jetzt vorgesehenen<br />
Höchstgebühr in je<strong>de</strong>m Fall anwaltliche Tätigkeit in angemessener<br />
Form abgegolten wird. Bei Streitwerten jenseits <strong>de</strong>r<br />
vorgeschlagenen Höchstgrenze ist eine ungewöhnlich zeitund<br />
personalintensive Prozessvorbereitung die Regel. Wer<strong>de</strong>n<br />
mehrere RAe und Mitarbeiter über Monate hinweg hiermit<br />
betraut, wird ein angemessenes Entgelt nur über eine Vergütungsvereinbarung<br />
zu erzielen sein. Die Möglichkeit einer<br />
solchen Vergütungsvereinbarung sieht <strong>de</strong>r Entwurf in § 2 vor.<br />
Ist aber <strong>de</strong>r Kostenerstattungsanspruch auf die gesetzlichen<br />
Gebühren und damit auf die Gebühr unter Zugrun<strong>de</strong>legung<br />
<strong>de</strong>r Werthöchstgrenze von 30 Mio. Euro begrenzt, muss die<br />
obsiegen<strong>de</strong> Partei weiter gehen<strong>de</strong> Kosten selbst tragen, auch<br />
wenn diese für eine angemessene Rechtsverteidigung erfor<strong>de</strong>rlich<br />
gewesen sein sollten. Als Ausgleich für die gebührenrechtlichen<br />
Folgen einer Werthöchstgrenze wäre also zu for<strong>de</strong>rn,<br />
dass über die gesetzlichen Gebühren hinaus ein weiterer<br />
Kostenerstattungsanspruch zu gewähren ist, wenn die<br />
weiter gehen<strong>de</strong>n Kosten und Gebühren für eine angemessene<br />
Rechtsverteidigung erfor<strong>de</strong>rlich waren.<br />
• Folge <strong>de</strong>s gelten<strong>de</strong>n Kostenerstattungsrechts ist das hohe<br />
Kostenrisiko, dass Parteien im Falle einer gerichtlichen Aus-
BRAK-Mitt. 2/2002 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK 73<br />
einan<strong>de</strong>rsetzung eingehen müssen. Dieses Risiko hin<strong>de</strong>rt die<br />
Parteien an einer unbedachten o<strong>de</strong>r gar mutwilligen Inanspruchnahme<br />
<strong>de</strong>r Gerichte. Dies schützt nicht nur die Kapazitäten<br />
<strong>de</strong>r Gerichte, son<strong>de</strong>rn dient auch <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>s potentiellen<br />
Prozessgegners vor <strong>de</strong>r Verfolgung mit unbegrün<strong>de</strong>ten<br />
o<strong>de</strong>r überhöhten Ansprüchen. Dieses Prozesskostenrisiko<br />
wird entschei<strong>de</strong>nd entwertet, wenn in Folge einer Werthöchstgrenze<br />
weiter gehen<strong>de</strong> Kostenerstattungspflichten<br />
nicht zu befürchten sind. Es macht vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>s<br />
Entwurfes keinen Unterschied, ob <strong>de</strong>r Kl. 30 Mio. Euro einklagt<br />
o<strong>de</strong>r beispielsweise 3 Mrd. Euro. Es können also sanktionslos<br />
weit überhöhte For<strong>de</strong>rungen eingeklagt wer<strong>de</strong>n, um so<br />
etwa einen wirtschaftlich schwächeren Wettbewerber in<br />
Folge <strong>de</strong>r Klageerhebung unter an<strong>de</strong>rem bilanziellen Problemen<br />
auszusetzen. Die Werthöchstgrenze för<strong>de</strong>rt eine solche<br />
Entwicklung.<br />
3. § 32 RVG-E<br />
Der Entwurf schlägt für die außergerichtliche Beratung, Gutachtenerstattung<br />
und die Mediation zwei Mo<strong>de</strong>lle vor. Die<br />
BRAK befürwortet ausdrücklich die im Mo<strong>de</strong>ll 2 vorgesehenen<br />
Regelungen aus <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Begründung für außergerichtliche<br />
Beratung und Gutachten genannten Grün<strong>de</strong>n. Zu <strong>de</strong>n Mediationskosten<br />
ist geson<strong>de</strong>rt Stellung zu nehmen.<br />
a) Außergerichtliche Beratung<br />
Nach <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll 2 ist entsprechend <strong>de</strong>m gelten<strong>de</strong>n Recht als<br />
Vergütung für die außergerichtliche Beratung eine Rahmengebühr<br />
von 0,1 bis 1,0 Gebühren vorgesehen. Für diese Regelung<br />
sprechen folgen<strong>de</strong> Gesichtspunkte:<br />
• Die Beibehaltung von Wertabhängigkeit und Gebührenrahmen<br />
ist systemgerecht.<br />
• Die Beschränkung auf <strong>de</strong>n Gebührenrahmen vermei<strong>de</strong>t vielfachen<br />
Streit über die Angemessenheit <strong>de</strong>r vereinbarten Gebühr.<br />
• Durch die Wertabhängigkeit und <strong>de</strong>n Gebührenrahmen wird<br />
die Ratsgebühr voraussehbar und kalkulierbar.<br />
• Ist keine Vereinbarung getroffen, kommt <strong>de</strong>r Rahmengebühr<br />
die bei <strong>de</strong>m ersten Mo<strong>de</strong>ll nicht vorhan<strong>de</strong>ne Auffangfunktion<br />
zu.<br />
• Vielfach wird bei Beginn einer Beratung eine angemessene<br />
Gebühr nicht bestimmbar sein, weil die maßgeblichen Kriterien<br />
nicht feststehen; insbeson<strong>de</strong>re Umfang und Schwierigkeit<br />
<strong>de</strong>r Beratung ergeben sich erst im Verlauf <strong>de</strong>s Beratungsgesprächs<br />
und stehen häufig erst fest, wenn die Beratung abgeschlossen<br />
ist.<br />
• Soweit das Mo<strong>de</strong>ll 1 bei Fehlen einer Vereinbarung auf die<br />
Vorschriften <strong>de</strong>s BGB verweist, ist dies inhaltslos, ver<strong>de</strong>utlicht<br />
je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>m Rechtsuchen<strong>de</strong>n nicht, mit welcher Zahlungsverpflichtung<br />
er zu rechnen hat.<br />
• Auch im Beratungsbereich besteht die Möglichkeit einer Kostenerstattung<br />
durch Dritte, beispielsweise aus Verzugs- o<strong>de</strong>r<br />
Scha<strong>de</strong>nsersatzgesichtspunkten. Die Erstattung einer geregelten<br />
gesetzlichen Rahmengebühr ist problemlos. Dagegen sind<br />
die Schwierigkeiten <strong>de</strong>r Erstattung einer vereinbarten Gebühr<br />
o<strong>de</strong>r einer „aus <strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>s bürgerlichen Rechts“ gebil<strong>de</strong>ten<br />
Gebühr <strong>de</strong>utlich vorhersehbar. Es dürfte mit einer beträchtlichen<br />
Zunahme gerichtlicher Gebührenstreitigkeiten<br />
zu rechnen sein.<br />
Es wird <strong>de</strong>shalb vorgeschlagen, in das Vergütungsverzeichnis<br />
Teil 2 <strong>de</strong>m vorgeschlagenen Abschnitt 1 einen Abschnitt 1 folgen<strong>de</strong>n<br />
Inhalts voranzustellen:<br />
Nr. Gebührentatbestand Gebühr o<strong>de</strong>r Satz<br />
<strong>de</strong>r Gebühr<br />
nach § 12 RVG<br />
Abschnitt 1<br />
Außergerichtliche Beratung, Gutachten<br />
2100 Beratungsgebühr 0,1 bis 1,0<br />
(1) Der RA erhält die Gebühr<br />
für einen mündlichen o<strong>de</strong>r<br />
schriftlichen Rat o<strong>de</strong>r eine<br />
Auskunft (Beratung), wenn<br />
die Beratung nicht mit einer<br />
an<strong>de</strong>ren gebührenpflichtigen<br />
Tätigkeit zusammenhängt.<br />
(2) Die Gebühr ist auf eine Gebühr<br />
anzurechnen, die <strong>de</strong>r<br />
RA für eine sonstige Tätigkeit<br />
erhält, die mit <strong>de</strong>r Beratung<br />
zusammenhängt.<br />
(.)<br />
2102 Gutachtengebühr 1,0 bis 2,0<br />
Der RA erhält die Gebühr für die<br />
Ausarbeitung eines schriftlichen<br />
Gutachtens.<br />
Die bisher vorgesehenen Abschnitte 1 bis 5 im Teil 2 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
wür<strong>de</strong>n dann eine Position nach hinten<br />
rücken. § 32 RVG-E wäre in <strong>de</strong>r bisher durch Mo<strong>de</strong>ll 1 vorgeschlagenen<br />
Fassung zu streichen.<br />
In die Begründung <strong>de</strong>s Gesetzentwurfes wäre als Begründung<br />
zu Nr. 2100 (neu) Folgen<strong>de</strong>s einzufügen:<br />
„Das gelten<strong>de</strong> Recht sieht für die außergerichtliche Beratung<br />
einen Gebührenrahmen vor. Dieser wird aus folgen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n<br />
übernommen:<br />
Es wird häufig nicht möglich, zumin<strong>de</strong>st schwierig sein, mit <strong>de</strong>m<br />
Rechtsuchen<strong>de</strong>n ein angemessenes Honorar für die noch bevorstehen<strong>de</strong><br />
Beratung zu vereinbaren. Das beruht darauf, dass<br />
die maßgeblichen Kriterien für eine Honorarvereinbarung bei<br />
Beginn <strong>de</strong>r Beratung noch nicht feststehen, was insbeson<strong>de</strong>re<br />
für <strong>de</strong>n Umfang, aber auch für die Schwierigkeit dieser Beratung<br />
gilt. Darüber hinaus belastet es die anwaltliche Beratungstätigkeit,<br />
dass vor <strong>de</strong>m Eingehen auf das sachliche Anliegen <strong>de</strong>s<br />
Mandanten zunächst Verhandlungen über das Honorar <strong>de</strong>s Anwalts<br />
beginnen. Es ist <strong>de</strong>shalb vorhersehbar, dass vielfach Vereinbarungen<br />
über die Vergütung nicht erfolgen. Der Entwurf<br />
stellt entsprechend <strong>de</strong>r bisherigen Rechtslage eine gesetzliche<br />
Rahmengebühr als Auffangvergütung zur Verfügung. Dies entspricht<br />
auch <strong>de</strong>r grundsätzlichen Funktion gesetzlicher Gebührenregelung,<br />
die eingreift, wenn die – stets mögliche – individuelle<br />
Honorarvereinbarung nicht getroffen wird.<br />
Eine gesetzliche Regelung steckt einen Rahmen ab, <strong>de</strong>r Streit<br />
über die Angemessenheit einer vereinbarten o<strong>de</strong>r einer ,nach<br />
<strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>s bürgerlichen Rechts‘ bestimmten Gebühr<br />
vermei<strong>de</strong>t.<br />
Die Beibehaltung <strong>de</strong>r Grundsätze <strong>de</strong>r Wertabhängigkeit und <strong>de</strong>s<br />
Gebührenrahmens ist systemgerecht und entspricht <strong>de</strong>m Regelungsgehalt<br />
<strong>de</strong>s RVG insgesamt. Erst hierdurch wird die Vergütung<br />
im außergerichtlichen Beratungsbereich vorhersehbar und<br />
kalkulierbar. Eine solche Regelung vermei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>shalb auch späteren<br />
Streit über die Honorarhöhe.<br />
Probleme <strong>de</strong>r Kostenerstattung, die auch im Beratungsbereich<br />
aus Gesichtspunkten von Verzug und Scha<strong>de</strong>nsersatz möglich
74 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK BRAK-Mitt. 2/2002<br />
sind, sind mit <strong>de</strong>r gesetzlichen Rahmengebühr lösbar. Fehlt es<br />
in<strong>de</strong>ssen an einer ausgestalteten gesetzlichen Gebühr, begegnet<br />
die Erstattungsfrage größten Schwierigkeiten, die, wenn sie<br />
dann gerichtlich ausgetragen wer<strong>de</strong>n, die Justiz belasten<strong>de</strong> Auswirkungen<br />
haben.“<br />
b) Mediation<br />
Die BRAK begrüßt, dass nach <strong>de</strong>m Vorschlag <strong>de</strong>r Expertenkommission<br />
die Mediation in <strong>de</strong>m Entwurf <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes<br />
gebührenrechtlich verankert wur<strong>de</strong>.<br />
Mediation wird zunehmend von <strong>de</strong>r Bevölkerung in Anspruch<br />
genommen und hat justizentlasten<strong>de</strong> Wirkung. Der Eingang in<br />
das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ist <strong>de</strong>shalb ein konsequenter<br />
Schritt.<br />
Die Begründung hebt zu Recht hervor, dass sich das Bild <strong>de</strong>s Anwalts<br />
in <strong>de</strong>n vergangenen Jahren erheblich gewan<strong>de</strong>lt hat und<br />
<strong>de</strong>r außergerichtlichen Tätigkeit immer mehr Be<strong>de</strong>utung zukommt.<br />
Die außergerichtliche und die rechtsbesorgen<strong>de</strong> Tätigkeit<br />
<strong>de</strong>s RA bil<strong>de</strong>t inzwischen <strong>de</strong>n Schwerpunkt seiner Tätigkeit.<br />
Mediation nimmt insofern einen herausragen<strong>de</strong>n Platz ein, weil<br />
Mediation mit einer erlernbaren Methodik verknüpft ist, die ihrerseits<br />
Rückwirkungen auf die sonstige außergerichtliche Tätigkeit<br />
<strong>de</strong>s Anwalts insgesamt hat, in<strong>de</strong>m er in seiner reinen Beratungstätigkeit<br />
mediative Elemente verwen<strong>de</strong>t.<br />
• Die vorgeschlagene Gebührenvereinbarung für Mediation<br />
wird vorgezogen. Derzeit wird in <strong>de</strong>r Praxis die Mediationsgebühr<br />
vereinbart. Die Vereinbarung entspricht <strong>de</strong>m Wesen<br />
<strong>de</strong>r Mediation, die nach Kostentransparenz verlangt.<br />
• In <strong>de</strong>r Praxis wird bis zur nicht rechtsverbindlichen Einigung<br />
in <strong>de</strong>r Regel nach Zeit abgerechnet, für die Mitwirkung an <strong>de</strong>r<br />
vertraglichen Gestaltung nach Gegenstandswerten. Die Praxis<br />
hat sich hier mit einer vereinbarten „Abschlussgebühr“ geholfen.<br />
In Nr. 1000 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses ist nunmehr<br />
eine Einigungsgebühr vorgesehen. Diese umfasst auch die<br />
Mitwirkung an <strong>de</strong>r vertraglichen Gestaltung.<br />
Allerdings ergibt sich nicht ausdrücklich aus <strong>de</strong>r Anmerkung<br />
zu Nr. 1000 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses, ob überhaupt und<br />
wenn ja, unter welchen Voraussetzungen die vertragliche Einigung,<br />
mit <strong>de</strong>r die Mediation en<strong>de</strong>t, von <strong>de</strong>r Einigungsgebühr<br />
erfasst wird.<br />
Es wird daher vorgeschlagen, Nr. 1000 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
für die Mediation präziser zu formulieren. Es<br />
müsste klargestellt wer<strong>de</strong>n, dass zwischen <strong>de</strong>r Mitwirkung an<br />
einer nicht rechtsverbindlichen Einigung, mit <strong>de</strong>r zuweilen<br />
die Mediation als solche en<strong>de</strong>t, und <strong>de</strong>r Mitwirkung an <strong>de</strong>r<br />
vertraglichen Gestaltung differenziert wird. Die Einigungsgebühr<br />
sollte sich auf die vertragliche Gestaltung beschränken,<br />
während im Übrigen nach Zeit abgerechnet wird. Dies wür<strong>de</strong><br />
auch <strong>de</strong>m Phasenaufbau <strong>de</strong>r Mediation entsprechen.<br />
• Bisher nicht berücksichtigt wur<strong>de</strong> die staatliche Unterstützung<br />
<strong>de</strong>r Mediation, die, in Anlehnung an <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Prozesskostenhilfe,<br />
als Mediationskostenhilfe bezeichnet wer<strong>de</strong>n<br />
kann.<br />
Wenn die außergerichtliche und rechtsbesorgen<strong>de</strong> Tätigkeit<br />
<strong>de</strong>s Anwalts inzwischen <strong>de</strong>n Schwerpunkt seiner Tätigkeit bil<strong>de</strong>t,<br />
dann muss auch die Konsequenz gezogen wer<strong>de</strong>n und<br />
<strong>de</strong>m Rechtshilfesuchen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r über ein geringes Einkommen<br />
verfügt, staatliche Unterstützung im Falle außergerichtlicher<br />
Mediation gewährt wer<strong>de</strong>n. Für eine Mediationskostenhilfe<br />
spricht auch, dass über die Mediation <strong>de</strong>r Prozess vermie<strong>de</strong>n<br />
und damit Prozesskostenhilfe gespart wird. Dies dürfte in erster<br />
Linie die Familienmediation betreffen.<br />
Wird eine Regelung über Mediationskostenhilfe nicht eingeführt,<br />
steht zu befürchten, dass sich ein „gespaltener Markt“<br />
entwickelt: Mediation bei Anwälten könnten dann nur Personen<br />
in Anspruch nehmen, die sich dies auch finanziell leisten<br />
können. Die finanziell weniger Leistungsfähigen müssten zu<br />
Gericht gehen, weil dort Prozesskostenhilfe gewährt wird.<br />
Dies ist langfristig nicht hinnehmbar und steht im Wi<strong>de</strong>rspruch<br />
zu <strong>de</strong>r beabsichtigten För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r außergerichtlichen<br />
Streitbeilegung und Mediation.<br />
Gegenwärtig hilft sich die Praxis vor allem in Familiensachen<br />
dadurch, dass für Rechtsuchen<strong>de</strong> mit geringem Einkommen<br />
Mediation von Beratungsstellen, zum Teil gegen Spen<strong>de</strong>n, angeboten<br />
wird. Ist hier eine (nicht rechtsverbindliche) Einigung<br />
erzielt, wird <strong>de</strong>r Vertrag über die die Parteien persönlich vertreten<strong>de</strong>n<br />
Anwälte ausformuliert. Diese machen die entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Gebühren, in Familiensachen einschließlich <strong>de</strong>r<br />
Scheidungsgebühren, im Wege <strong>de</strong>r Prozesskostenhilfe geltend.<br />
Diese Praxis ist problematisch, weil – gera<strong>de</strong> auch in Mangelfällen<br />
– viele juristische Probleme entstehen, die bereits<br />
mit <strong>de</strong>m Einigungsprozess in <strong>de</strong>r Mediation Berücksichtigung<br />
fin<strong>de</strong>n sollten. Insbeson<strong>de</strong>re sollte auch <strong>de</strong>n Rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />
mit geringem Einkommen die Möglichkeit offen stehen, sich<br />
„ihren Mediator“ zu suchen, wie es umgekehrt für Anwälte<br />
eine sehr unbefriedigen<strong>de</strong> Situation ist, aus Kostengrün<strong>de</strong>n<br />
nicht o<strong>de</strong>r nur in sehr geringem Umfang tätig wer<strong>de</strong>n zu können,<br />
wenn sichtbar ist, dass Mediation als <strong>de</strong>r geeigneteren<br />
Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Vorzug zu geben wäre. Es ist inzwischen ein anerkannter<br />
Grundsatz <strong>de</strong>r Qualitätssicherung, dass das Verfahren<br />
mit <strong>de</strong>r höchsten prozeduralen Kompetenz an Kostengrün<strong>de</strong>n<br />
nicht scheitern darf. Aus diesem Grund ist die Mediationskostenhilfe<br />
einzuführen.<br />
Die Struktur <strong>de</strong>r Mediationskostenhilfe ist durch die Umstellung<br />
<strong>de</strong>r BRAGO in das RVG erleichtert. Der Vergütungsanspruch<br />
könnte mitgeregelt wer<strong>de</strong>n in § 42 RVG-E. Es könnte<br />
eine „Beiordnung im Wege <strong>de</strong>r Mediationskostenhilfe“ erfolgen.<br />
Die Kriterien zur Feststellung <strong>de</strong>s geringen Einkommens<br />
können nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>r Prozesskostenhilfe festgelegt<br />
wer<strong>de</strong>n. Erfolgsaussicht bei Mediation kann unterstellt wer<strong>de</strong>n.<br />
Es wäre eine angemessene Zeitgebühr festzulegen, die<br />
an <strong>de</strong>m Kostensatz für anwaltliches Han<strong>de</strong>ln orientiert sein<br />
müsste und nicht geringer sein dürfte als die Prozesskostenhilfe;<br />
wird Prozesskostenhilfe in Anspruch genommen, fallen<br />
wesentlich höhere Kosten insgesamt an, weil hier gleichzeitig<br />
Kosten für weitere staatliche Organe (Richter, Schreibkraft,<br />
Rechtspfleger) entstün<strong>de</strong>n. Wird eine festzulegen<strong>de</strong> Min<strong>de</strong>stanzahl<br />
an Stun<strong>de</strong>n überschritten, müsste ggf. ein Erweiterungsantrag<br />
gestellt wer<strong>de</strong>n können.<br />
Wenn die Konfliktpartner nach Zeit zahlen müssen, wer<strong>de</strong>n<br />
sie sich ihrerseits anstrengen, die Streitfragen so bald als möglich<br />
beizulegen. Insofern för<strong>de</strong>rt diese Kostenordnung das Verständigungsmo<strong>de</strong>ll<br />
<strong>de</strong>r Mediation und trägt dazu bei, dass<br />
Mediation preisgünstig ist, obwohl sie ein komplexeres Verfahren<br />
darstellt. Unter diesen Umstän<strong>de</strong>n wäre zu überlegen,<br />
inwieweit die Beteiligten auch dann, wenn Mediationskostenhilfe<br />
gewährt wird, an <strong>de</strong>n Kosten beteiligt wer<strong>de</strong>n sollten.<br />
Wie im Falle <strong>de</strong>r Prozesskostenhilfe könnten sie beispielsweise<br />
mit einem bestimmten Prozentsatz ihres Gesamteinkommens<br />
beteiligt wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Kostengesetze bliebe unvollständig, wenn<br />
die Mediationskostenhilfe nicht mit aufgenommen wer<strong>de</strong>n<br />
wür<strong>de</strong>.<br />
• Das Ministerkomitee <strong>de</strong>s Europarates hat in seiner Empfehlung<br />
Nr. R (98) 1 v. 5. 2. 1998 die einzelnen Mitgliedstaaten<br />
aufgefor<strong>de</strong>rt, Familienmediation zu för<strong>de</strong>rn und zu unterstützen.<br />
Dies ist bis jetzt in Deutschland nicht erfolgt. Die Einführung<br />
<strong>de</strong>r Mediationskostenhilfe wür<strong>de</strong> auch dazu dienen,
BRAK-Mitt. 2/2002 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK 75<br />
dieser For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Ministerkomitees <strong>de</strong>s Europarates nachzukommen.<br />
In an<strong>de</strong>ren europäischen Län<strong>de</strong>rn hat Mediation längst gesetzliche<br />
Unterstützung erfahren. In England und Wales beispielsweise<br />
sind die Parteien durch die neuen Civil Procedure<br />
Rules, gültig seit April 1999, angehalten, ihren Konflikt zunächst<br />
im Wege <strong>de</strong>r Mediation zu lösen. Der Prozess vor Gericht<br />
wird als ultima ratio angesehen.<br />
• Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite wird durchaus gesehen, dass Mediatoren<br />
nicht nur RAe, son<strong>de</strong>rn auch Angehörige an<strong>de</strong>rer Berufsgruppen<br />
sind und sein können. Auch dies ist ein wesentliches<br />
Prinzip <strong>de</strong>r Mediation. Aus diesem Grun<strong>de</strong> wäre zu überlegen,<br />
ob Kostenregelungen für Mediation tatsächlich in das<br />
Gesetz über die Vergütung <strong>de</strong>r RAe einbezogen wer<strong>de</strong>n sollen<br />
o<strong>de</strong>r ggf. an einen an<strong>de</strong>ren zusätzlichen Standort gehören.<br />
Dies ist bei <strong>de</strong>r Einführung konkreter Kostenregelungen für<br />
Mediation zu be<strong>de</strong>nken.<br />
Insgesamt begrüßt die BRAK, dass Mediation gebührenrechtlich<br />
geregelt wer<strong>de</strong>n soll. Insbeson<strong>de</strong>re im Hinblick auf die im Entwurf<br />
ungeregelt gebliebene Mediationskostenhilfe und die Tatsache,<br />
dass Mediatoren nicht ausschließlich RAe sind, muss<br />
aber darauf hingewiesen wer<strong>de</strong>n, dass grundsätzlich zu begrüßen<strong>de</strong><br />
umfangreiche Regelungen über die Mediationskosten<br />
nicht dazu führen dürfen, dass das Gesetzgebungsverfahren in<br />
Bezug auf das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verlangsamt<br />
wird. Ggf. wären die Mediationskosten parallel o<strong>de</strong>r zu einem<br />
späteren Zeitpunkt in einem eigenständigen Gesetzentwurf zu<br />
regeln.<br />
4. Erstberatung<br />
Der Entwurf sieht in § 32 Abs. 1 am En<strong>de</strong> vor, dass die Gebühr<br />
für ein erstes Beratungsgespräch höchstens 100 Euro betragen<br />
solle.<br />
Die BRAK begrüßt, dass nunmehr klargestellt wer<strong>de</strong>n soll, dass<br />
die Erstberatungsgebühr sich beschränkt auf ein erstes mündliches<br />
Beratungsgespräch. Der Kappung <strong>de</strong>r Erstberatungsgebühr<br />
auf 100 Euro wird jedoch ausdrücklich wi<strong>de</strong>rsprochen.<br />
Nach <strong>de</strong>r Begründung zu § 32 RVG-E soll die Begrenzung <strong>de</strong>r<br />
Gebühr für die Erstberatung eine doppelte Funktion haben: Sie<br />
soll einerseits <strong>de</strong>n Auftraggeber vor überraschend hohen Kosten<br />
schützen, an<strong>de</strong>rerseits die kostenmäßige Zugangsschwelle zum<br />
Anwalt senken.<br />
Zum einen ist nicht sichergestellt, dass diese Ziele tatsächlich<br />
durch eine Kappung <strong>de</strong>r Erstberatungsgebühr auf 100 Euro erreicht<br />
wer<strong>de</strong>n können. Zum an<strong>de</strong>ren steht zu befürchten, dass<br />
diese Kappung einen Qualitätsverlust <strong>de</strong>r anwaltlichen Beratung<br />
nach sich zieht.<br />
Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kann eine kompetente<br />
Erstberatung mit <strong>de</strong>m entsprechen<strong>de</strong>n Zeitaufwand für 100 Euro<br />
nicht geleistet wer<strong>de</strong>n. Darüber hinaus tritt die Folge ein, dass<br />
im Falle einer Erstberatung das durch diese bedingte Gebührenaufkommen<br />
noch nicht einmal die Kanzleikosten <strong>de</strong>ckt. Auch in<br />
weniger komplizierten, aber zeitaufwendigen Erstberatungen,<br />
die zum Beispiel auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s Familienrechts häufig sind,<br />
tritt diese Wirkung ein. Die Mandanten legen im ersten Beratungsgespräch<br />
<strong>de</strong>n Sachverhalt und die Hintergrün<strong>de</strong> umfangreich<br />
dar. Die im Entwurf vorgeschlagene Kappung müsste dazu<br />
führen, <strong>de</strong>m Mandanten das Wort „abzuschnei<strong>de</strong>n“. Das allerdings<br />
hätte auch insoweit negative Folgen, als so eine konfliktmin<strong>de</strong>rn<strong>de</strong><br />
und auch konfliktverhin<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Beratung erschwert<br />
wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn gera<strong>de</strong> die neben <strong>de</strong>r eigentlichen Rechtsfrage<br />
liegen<strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong> sind oft von erheblicher Be<strong>de</strong>utung.<br />
Darüber hinaus war die bisherige Gebührenkappung auf 350<br />
DM an einen durchschnittlichen Stun<strong>de</strong>nsatz in dieser Höhe angelehnt,<br />
wobei eine qualifizierte Erstberatung insbeson<strong>de</strong>re<br />
auch in komplizierten Fällen einen solchen Zeitaufwand min<strong>de</strong>stens<br />
erfor<strong>de</strong>rt. Unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r Gel<strong>de</strong>ntwertung<br />
und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich gestiegenen Kanzleikosten seit Einführung <strong>de</strong>r<br />
Erstberatungsgebühr mit <strong>de</strong>m Kostenrechtsän<strong>de</strong>rungsgesetz<br />
1994 wür<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m jetzigen Entwurf die Erstberatungsgebühr<br />
faktisch halbiert.<br />
Anknüpfend an <strong>de</strong>n Grundsatz, dass die Gebührenkappung an<br />
<strong>de</strong>n Durchschnittsstun<strong>de</strong>nsatz angelehnt sein soll, wird eine<br />
Erstberatungsgebühr von 200 Euro vorgeschlagen.<br />
Diese wäre in das Vergütungsverzeichnis in <strong>de</strong>n Teil 2 Nr. 2101<br />
(neu) wie folgt einzufügen:<br />
Nr. Gebührentatbestand Gebühr o<strong>de</strong>r Satz<br />
<strong>de</strong>r Gebühr<br />
nach § 12 RVG<br />
2100 Beratungsgebühr 200 Euro<br />
Der RA erhält die Gebühr<br />
für ein erstes mündliches<br />
Beratungsgespräch.<br />
5. Nr. 2300 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
In <strong>de</strong>r Nr. 2300 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses ist die Gebühr für<br />
die außergerichtliche Vertretung geregelt. Diese soll 1,0 bis 2,0<br />
Gebühren betragen.<br />
Die Vorbemerkung zum Entwurf benennt als Grundlage <strong>de</strong>r Beratungen<br />
<strong>de</strong>r Expertenkommission ausdrücklich die Vorschläge<br />
<strong>de</strong>s Ausschusses Gebührenrecht/Gebührenstruktur <strong>de</strong>s DAV, die<br />
<strong>de</strong>r Vorstand <strong>de</strong>s DAV in seiner Sitzung am 11. 2. 1998 in Bonn<br />
erörtert und verabschie<strong>de</strong>t hat. 13 Dieser Entwurf schlägt für die<br />
außergerichtliche Vertretung einen Gebührenrahmen von 5/10<br />
Gebühren bis 25/10 vor. Die Mittelgebühr betrüge dann 15/10.<br />
Diesem Vorschlag <strong>de</strong>s DAV stimmt die BRAK ausdrücklich aus<br />
folgen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n zu:<br />
• Ein flexibler Gebührenrahmen ermöglicht es, die unterschiedlichen<br />
anwaltlichen Tätigkeiten aufwandsbezogen und leistungsgerecht<br />
zu vergüten. Durch <strong>de</strong>n relativ starren Gebührenrahmen<br />
von 1,0 Gebühren bis 2,0 Gebühren wür<strong>de</strong> dies<br />
erschwert wer<strong>de</strong>n.<br />
• Es ist <strong>de</strong>m Mandanten gera<strong>de</strong> in einfacher gelagerten Fällen<br />
leichter vermittelbar, wenn <strong>de</strong>r untere Gebührenrahmen nur<br />
0,5 Gebühren betrüge. Der untere Rahmen mit 1,0 Gebühren<br />
erscheint hierfür zu hoch.<br />
In je<strong>de</strong>m Fall darf die Mittelgebühr aber nicht unter 1,5 Gebühren<br />
absinken, <strong>de</strong>nn im Gebührenstrukturvorschlag ist die<br />
Besprechungsgebühr nicht mehr vorgesehen. Bisher fiel eine<br />
Mittelgebühr von 15/10 an, wenn Geschäfts- und Besprechungsgebühr<br />
gem. § 118 I Nr. 1 und 2 BRAGO entstan<strong>de</strong>n waren.<br />
Die Gebührenstrukturreform darf nicht dazu führen, dass<br />
die neue Mittelgebühr niedriger liegt als im gelten<strong>de</strong>n Recht.<br />
6. Nr. 2301 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
Aus <strong>de</strong>r Begründung zu Nr. 2301 ergibt sich, dass diese die Regelung<br />
<strong>de</strong>s § 120 Abs. 1 BRAGO übernehmen soll und gleichzeitig<br />
klargestellt wer<strong>de</strong>n soll, dass es entsprechend <strong>de</strong>r Rspr.<br />
<strong>de</strong>s BGH 14 allein auf <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s erteilten Auftrags und nicht<br />
auf die tatsächlich ausgeführte Tätigkeit ankommen soll. Aus <strong>de</strong>r<br />
Anmerkung zu Nr. 2301 ergibt sich aber, dass die Gebühr insbeson<strong>de</strong>re<br />
entsteht, wenn das Schreiben we<strong>de</strong>r schwierige<br />
13 Beilage zum Anwaltsblatt 5/1998.<br />
14 BGH, NJW 1983, 2452.
76 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK BRAK-Mitt. 2/2002<br />
rechtliche Ausführungen noch größere sachliche Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />
enthält. Diese Formulierung steht im Wi<strong>de</strong>rspruch zu<br />
<strong>de</strong>r Begründung, nach <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Auftrag abgestellt wer<strong>de</strong>n<br />
soll. Deshalb ist in <strong>de</strong>r Anmerkung entwe<strong>de</strong>r klarzustellen, dass<br />
es eben nicht auf <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s Schreibens ankommt, son<strong>de</strong>rn<br />
ausschließlich auf <strong>de</strong>n Auftrag selbst. Die Anmerkung zu Nr.<br />
2301 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses ist ersatzlos zu streichen.<br />
Die Bezeichnung <strong>de</strong>s Gebührentatbestan<strong>de</strong>s („Der Auftrag beschränkt<br />
sich auf ein Schreiben einfacher Art.“) ist ein<strong>de</strong>utig und<br />
bedarf keiner weiteren Anmerkung.<br />
7. Nr. 3200 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
Es wird vorgeschlagen, die Verfahrensgebühr im Berufungsverfahren<br />
auf 2,0 Gebühren anzuheben.<br />
Zur Begründung wird verwiesen auf <strong>de</strong>n Gesetzentwurf <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>sregierung zur Reform <strong>de</strong>s Zivilprozesses: 15<br />
„Nach § 31 wird folgen<strong>de</strong>r § 31a eingefügt:<br />
,§ 31a<br />
Berufung und Sprungrevision<br />
(1) Im Berufungsverfahren ist § 11 Abs. 1 Satz 4 mit <strong>de</strong>r Maßgabe<br />
anzuwen<strong>de</strong>n, dass sich die Prozessgebühr um fünf Zehntel<br />
erhöht.<br />
(2) Im Verfahren über <strong>de</strong>n Antrag auf Zulassung <strong>de</strong>r Sprungrevision<br />
erhält <strong>de</strong>r RA die für das Revisionsverfahren bestimmten<br />
Gebühren.’“<br />
In <strong>de</strong>r Einzelbegründung ist ausgeführt:<br />
„Zu Nr. 3 (§ 31a)<br />
Die vorgesehenen prozessualen Än<strong>de</strong>rungen für das Berufungsverfahren<br />
stellen an <strong>de</strong>n RA zusätzliche Ansprüche bei <strong>de</strong>r Fertigung<br />
<strong>de</strong>r Berufungsbegründungsschrift (vgl. im Einzelnen<br />
§ 520 Abs. 3 ZPO-E). Ferner wird im Fall <strong>de</strong>r neu in das Berufsrecht<br />
eingeführten Beschlusszurückweisung (§ 522 Abs. 2 ZPO-<br />
E) eine mündliche Berufungsverhandlung nicht mehr stattfin<strong>de</strong>n.<br />
Dies hat zur Folge, dass die Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr<br />
nicht mehr anfällt. Um <strong>de</strong>m Rechnung zu tragen,<br />
sieht die Än<strong>de</strong>rung eine Erhöhung <strong>de</strong>r Prozessgebühr für das Berufungsverfahren<br />
um 2/10 vor.<br />
Zu Abs. 2<br />
Im Verfahren über <strong>de</strong>n Antrag auf Zulassung <strong>de</strong>r Sprungrevision<br />
soll <strong>de</strong>r RA die für das Revisionsverfahren bestimmten Gebühren<br />
erhalten. Das Verfahren bil<strong>de</strong>t mit <strong>de</strong>m Revisionsverfahren<br />
eine Angelegenheit (§ 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO). Die vorgeschlagene<br />
Regelung entspricht <strong>de</strong>r im verwaltungsgerichtlichen<br />
Verfahren gelten<strong>de</strong>n Regelung für das Verfahren auf Zulassung<br />
<strong>de</strong>r Berufung.<br />
Die Vorschrift soll als neue Vorschrift in <strong>de</strong>n Dritten Abschnitt<br />
eingefügt wer<strong>de</strong>n, weil die erhöhte Prozessgebühr nur im Berufungsverfahren<br />
vor <strong>de</strong>n or<strong>de</strong>ntlichen Gerichten gelten soll.“ 16<br />
In das Gesetz zur Reform <strong>de</strong>s Zivilprozesses ist dieser Vorschlag<br />
nicht übernommen wor<strong>de</strong>n. Das Berufungsverfahren stellt aber<br />
<strong>de</strong>nnoch höhere Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n RA, so dass <strong>de</strong>r Vorschlag<br />
nunmehr zu übernehmen ist.<br />
8. Nr. 3501 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
Der Entwurf weist in <strong>de</strong>r Begründung darauf hin, dass die Regelung<br />
<strong>de</strong>s § 61a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 BRAGO i.V.m. § 32 Abs. 1<br />
BRAGO übernommen wor<strong>de</strong>n sei. Die Höhe <strong>de</strong>r Gebühr<br />
Nr. 3501 Vergütungsverzeichnis entspreche <strong>de</strong>r Verfahrensgebühr<br />
nach Nr. 3200.<br />
15 BR-Drucks. 536/00 v. 8. 9. 2000, 92, 359.<br />
16 BR-Drucks. 536/00 v. 8. 9. 2000.<br />
Der Entwurf verkennt, dass eine Gebühr i.H.v. 1,8 gegenüber<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeit gelten<strong>de</strong>n Rechtslage eine Absenkung be<strong>de</strong>utet.<br />
Gem. § 61a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BRAGO beträgt die Verfahrensgebühr<br />
20/10 (§ 11 Abs. 1 Satz 5 BRAGO). Weshalb die Gebühr<br />
abzusenken ist, lässt sich <strong>de</strong>m Entwurf nicht entnehmen. Die<br />
Bezugnahme auf die Gebühr Nr. 3200 Vergütungsverzeichnis ist<br />
insoweit unvollständig, als nach <strong>de</strong>r Nr. 3202 Vergütungsverzeichnis<br />
die Verfahrensgebühr im zivilrechtlichen Revisionsverfahren<br />
2,5 beträgt, nicht aber 1,8.<br />
Eine Absenkung <strong>de</strong>r Verfahrensgebühr im Verfahren über die Beschwer<strong>de</strong><br />
über die Nichtzulassung <strong>de</strong>r Revision gegenüber <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>rzeitigen Rechtszustand ist nicht gerechtfertigt. Die <strong>de</strong>rzeitige<br />
Regelung, dass die Verfahrensgebühr im Verfahren über die Beschwer<strong>de</strong><br />
gegen die Nichtzulassung dieselbe ist wie diejenige<br />
für das Revisionsverfahren, ist sachlich begrün<strong>de</strong>t. Denn <strong>de</strong>r<br />
Revisionsanwalt hat im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwer<strong>de</strong><br />
zumin<strong>de</strong>st dieselbe Arbeit zu leisten wie im Rahmen<br />
einer zugelassenen Revision. Er kann sich nicht etwa darauf beschränken,<br />
abstrakt Zulassungsgrün<strong>de</strong> zu Papier zu bringen. Der<br />
Mandant wünscht wie bisher eine vollständige Durcharbeitung<br />
<strong>de</strong>s Falles unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten, wobei<br />
neben <strong>de</strong>r Frage, ob eine Zulassung <strong>de</strong>r Revision erreicht wer<strong>de</strong>n<br />
kann, insbeson<strong>de</strong>re interessiert, ob eine Revision nach<br />
möglicher Zulassung überhaupt Erfolgsaussichten bietet. Der<br />
Revisionsanwalt wird also wie bei <strong>de</strong>r zugelassenen Revision<br />
die Erfolgsaussichten in umfassen<strong>de</strong>r Weise prüfen müssen. Die<br />
Nichtzulassungsbeschwer<strong>de</strong> wird sogar weiter gehen<strong>de</strong> Arbeit<br />
verursachen, weil über die Prüfung <strong>de</strong>r Erfolgsaussichten hinaus<br />
die Zulassungsgrün<strong>de</strong> im Einzelnen dargelegt wer<strong>de</strong>n müssen<br />
(§§ 544 Abs. 2 Satz 3, 543 Abs. 2 ZPO). Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re<br />
für <strong>de</strong>n neuen Zulassungsgrund <strong>de</strong>s § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.<br />
Ohne Darlegung <strong>de</strong>r konkret für falsch o<strong>de</strong>r divergent gehaltenen<br />
Punkte <strong>de</strong>s anzufechten<strong>de</strong>n Urteils lässt sich dieser Zulassungsgrund<br />
überhaupt nicht verständlich begrün<strong>de</strong>n. Die Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwer<strong>de</strong><br />
sind also keinesfalls geringer als diejenigen an eine<br />
Revisionsbegründung. Hiervon geht auch <strong>de</strong>r Gesetzgeber aus,<br />
wie die Möglichkeit <strong>de</strong>r Bezugnahme auf die Begründung <strong>de</strong>r<br />
Nichtzulassungsbeschwer<strong>de</strong> im Rahmen <strong>de</strong>r Revisionsbegründung<br />
zeigt (§ 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO).<br />
9. Sozialgerichtsverfahren<br />
In Sozialgerichtsverfahren soll wie in allen übrigen Verfahren<br />
die Terminsgebühr eingeführt wer<strong>de</strong>n.<br />
In <strong>de</strong>r Diskussion nach <strong>de</strong>r Veröffentlichung <strong>de</strong>s Kommissionsentwurfes<br />
sind Be<strong>de</strong>nken gegenüber <strong>de</strong>r Konzeption <strong>de</strong>r Terminsgebühr<br />
im Sozialgerichtsverfahren geäußert wor<strong>de</strong>n. Sie<br />
könne zu einem Anreiz für <strong>de</strong>n RA führen, trotz <strong>de</strong>r Erfolglosigkeit<br />
<strong>de</strong>s Rechtsmittels <strong>de</strong>n Erörterungs- o<strong>de</strong>r Verhandlungstermin<br />
vor <strong>de</strong>m Gericht durchführen zu lassen, um die Terminsgebühr<br />
zu verdienen.<br />
Fälle, in <strong>de</strong>nen ein offensichtlich erfolgloses Rechtsmittel nicht<br />
zurückgenommen wird, um <strong>de</strong>n Termin zur mündlichen Verhandlung<br />
noch stattfin<strong>de</strong>n zu lassen, sind bisher nicht bekannt.<br />
Auch kann nicht unbedingt von Missbrauch gesprochen wer<strong>de</strong>n,<br />
wenn <strong>de</strong>r RA das Rechtsmittel nicht zurücknimmt, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n<br />
Termin zur mündlichen Verhandlung durchführen lässt. Denn es<br />
be<strong>de</strong>utet immer ein Haftungsrisiko für <strong>de</strong>n Anwalt, das Rechtsmittel<br />
vor <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung zurückzunehmen.<br />
Es soll aber beobachtet wer<strong>de</strong>n, ob die Einführung <strong>de</strong>r Terminsgebühr<br />
dazu führt, dass Rechtsmittel bewusst nicht zurückgenommen<br />
wer<strong>de</strong>n, um die Terminsgebühr zu verdienen. Ggf.<br />
kann zu einem späteren Zeitpunkt eine Gesetzesän<strong>de</strong>rung herbeigeführt<br />
wer<strong>de</strong>n.
BRAK-Mitt. 2/2002 Aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK 77<br />
10. Nr. 7000 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
Nr. 7000 Vergütungsverzeichnis regelt die Schreibauslagen und<br />
soll nach <strong>de</strong>r Begründung inhaltlich <strong>de</strong>r Regelung in § 27<br />
BRAGO entsprechen. § 27 BRAGO ist durch das Gesetz über<br />
elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation<br />
v. 10. 12. 2001 17 geän<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n. Der Wortlaut <strong>de</strong>r Nr. 7000<br />
<strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses müsste entsprechend angepasst<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Darüber hinaus wird vorgeschlagen, dass in <strong>de</strong>r Anmerkung zu<br />
Nr. 7000 Vergütungsverzeichnis die Ziffer 2 insofern geän<strong>de</strong>rt<br />
wird, als dass Schreibauslagen unter an<strong>de</strong>rem erhoben wer<strong>de</strong>n<br />
zur notwendigen Unterrichtung von mehr als fünf (nicht zehn)<br />
Auftraggebern. Eine entsprechen<strong>de</strong> Än<strong>de</strong>rung müsste in § 5<br />
Abs. 2 RVG-E vorgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />
Es ist nicht einzusehen, dass <strong>de</strong>r RA, <strong>de</strong>r von mehreren Auftraggebern<br />
das Mandat erhält, zusätzlich Schreibauslagen nur verlangen<br />
können soll, wenn er mehr als zehn Auftraggeber unterrichten<br />
muss. Die Unterrichtung <strong>de</strong>r Auftraggeber ist ein erheblicher<br />
Kostenaufwand, auf sie kann aber auch nicht verzichtet<br />
wer<strong>de</strong>n, da je<strong>de</strong>r Auftraggeber einen Anspruch auf Unterrichtung<br />
hat.<br />
11. Nr. 7003 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
Nach Nr. 7003 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses soll <strong>de</strong>r RA als<br />
Fahrtkostenersatz für je<strong>de</strong>n gefahrenen Kilometer 0,30 Euro erhalten.<br />
Angesichts <strong>de</strong>r gestiegenen Fahrtkosten durch gestiegene Benzinpreise<br />
ist nicht hinnehmbar, dass gegenüber <strong>de</strong>m gelten<strong>de</strong>n<br />
Recht nur eine Anhebung von 0,03 Euro vorgenommen wor<strong>de</strong>n<br />
ist. Mit einem Kilometersatz von 0,30 Euro ist es <strong>de</strong>m RA nicht<br />
möglich, nur halbwegs kosten<strong>de</strong>ckend zu Terminen zu fahren.<br />
Es wird <strong>de</strong>shalb vorgeschlagen, die Fahrtkostenpauschale auf<br />
0,40 Euro für je<strong>de</strong>n gefahrenen Kilometer anzuheben.<br />
12. Nr. 7005 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses<br />
Nr. 7005 Vergütungsverzeichnis übernimmt nicht etwa die im<br />
gelten<strong>de</strong>n Recht festgeschriebenen Tage- und Abwesenheitsgel<strong>de</strong>r<br />
für Geschäftsreisen, son<strong>de</strong>rn setzt diese sogar noch herab.<br />
Da die letzte Gebührenanhebung vor fast acht Jahren erfolgte<br />
und gestiegene Kosten in diesem Zeitraum überhaupt nicht<br />
berücksichtigt wor<strong>de</strong>n sind, ist die Übernahme und schon gar<br />
die Herabsetzung <strong>de</strong>r Tage- und Abwesenheitsgel<strong>de</strong>r nicht akzeptabel.<br />
Es wird vorgeschlagen, in Nr. 7005 Vergütungsverzeichnis zu<br />
übernehmen, dass das Tage- und Abwesenheitsgeld bei einer<br />
Geschäftsreise von nicht mehr als 4 Stun<strong>de</strong>n 20 Euro, von mehr<br />
als 4 bis 8 Stun<strong>de</strong>n 40 Euro und von mehr als 8 Stun<strong>de</strong>n 65 Euro<br />
betragen soll.<br />
III. Eigene Vorschläge<br />
1. Dokumentenpauschale<br />
Es wird vorgeschlagen, eine Dokumentenpauschale von 30 Euro<br />
in das Vergütungsverzeichnis aufzunehmen. Die konkrete Abrechnung<br />
<strong>de</strong>r Fotokopiekosten soll je<strong>de</strong>rzeit möglich bleiben.<br />
2. Auslagenpauschale<br />
Es wird vorgeschlagen, die Auslagenpauschale, wie sie durch<br />
Nr. 7002 <strong>de</strong>s Entwurfs vorgeschlagen wird, ersatzlos zu streichen.<br />
Zum Ausgleich <strong>de</strong>r Post- und Telekommunikationskosten<br />
17 BGBl. I 2001, 3423.<br />
wird vorgeschlagen, die Auslagenpauschale in die Tabelle zu<br />
übernehmen, in<strong>de</strong>m je<strong>de</strong> Gebühr um 15 Euro erhöht wird. Die<br />
konkrete Abrechnung soll möglich sein bei Auslagen von mehr<br />
als 50 Euro. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass<br />
für <strong>de</strong>n Fall, dass diesem Vorschlag nicht gefolgt wer<strong>de</strong>n sollte,<br />
die For<strong>de</strong>rung aufrechterhalten wird, die Auslagenpauschale<br />
in Nr. 7002 <strong>de</strong>s Vergütungsverzeichnisses auf 30 Euro zu erhöhen.<br />
Die BRAK hat einen Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung<br />
<strong>de</strong>r RAe (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG) erarbeitet, <strong>de</strong>r<br />
ihre bei<strong>de</strong>n Vorschläge (Dokumentenpauschale und Umlage<br />
<strong>de</strong>r Auslagenpauschale auf die Gebühren) sowie die weiteren<br />
vorgeschlagenen Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Entwurfs (Vergütungsverzeichnis<br />
Nr. 2100, 2101, 2102, 2300, 2301, 3200, 3501, 3502,<br />
7000, 7003, 7005, §§ 5 Abs. 2, 9 Abs. 2 Satz 1 RVG-E, 21 Abs. 3<br />
RVG-E, 32 RVG-E) umsetzt. Dieser Entwurf ist im Internet unter<br />
www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>/„Gebühren“ einzusehen.<br />
Presse<strong>mitteilungen</strong><br />
Nr. 7 v. 19. 2. 2002<br />
Berufsordnung für Rechtsanwälte<br />
unterliegt nicht <strong>de</strong>m europäischen Wettbewerbsrecht<br />
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in <strong>de</strong>m heute veröffentlichten<br />
Urteil im Verfahren Wouters (C-309/99) entschie<strong>de</strong>n,<br />
dass RAKn Unternehmensvereinigungen sind und die von ihnen<br />
gemachten Regeln grundsätzlich <strong>de</strong>m europäischen Wettbewerbsrecht<br />
unterliegen. Allerdings ist nach Auffassung <strong>de</strong>s<br />
EuGH die Rechtslage in Deutschland an<strong>de</strong>rs, weil <strong>de</strong>r Gesetzgeber<br />
<strong>de</strong>m Anwaltsparlament Vorgaben gibt und die Letztentscheidungsbefugnis<br />
behält.<br />
Der EuGH urteilt, dass grundsätzlich Regelungen <strong>de</strong>r RAKn, die<br />
im Allgemeininteresse liegen, insbeson<strong>de</strong>re die Normen zur<br />
Wahrung <strong>de</strong>r Verschwiegenheit und <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>s<br />
Anwalts sowie <strong>de</strong>r Vermeidung von Interessenkollisionen,<br />
zulässig sind. Dr. Bernhard Dombek, Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r BRAK: „Es ist<br />
erfreulich, dass <strong>de</strong>r EuGH <strong>de</strong>n gleichen Prüfungsmaßstab wie<br />
das BVerfG anlegt. Die Entscheidung unterstreicht im Übrigen<br />
die wichtige Rolle, die <strong>de</strong>r RA im Rechtsstaat hat, und die Be<strong>de</strong>utung<br />
<strong>de</strong>r Grundpflichten <strong>de</strong>s Anwalts, nämlich <strong>de</strong>r Unabhängigkeit,<br />
<strong>de</strong>r Verschwiegenheit und <strong>de</strong>r Vermeidung von Interessenkollisionen.<br />
Damit wird hoffentlich auch <strong>de</strong>m Trend in<br />
<strong>de</strong>r Europäischen Kommission, die Freien Berufe mit an<strong>de</strong>ren<br />
Dienstleistern über einen Kamm zu scheren, ein En<strong>de</strong> gesetzt.“<br />
In einem weiteren Verfahren Arduino (C-35/99) hat <strong>de</strong>r EuGH<br />
heute entschie<strong>de</strong>n, dass gesetzliche Gebührenordnungen <strong>de</strong>r<br />
RAe nicht wettbewerbswidrig sind. „Damit steht fest, dass die<br />
Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsgebührenordnung nicht gegen europäisches<br />
Wettbewerbsrecht verstößt“, erklärt <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt, Dr.<br />
Bernhard Dombek.<br />
Bei<strong>de</strong> Entscheidungen sind im Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong> abrufbar.<br />
Nr. 4 v. 31. 1. 2002<br />
Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer for<strong>de</strong>rt einheitliche<br />
Anwaltsgebühren für das gesamte Bun<strong>de</strong>sgebiet<br />
Bun<strong>de</strong>srat beschließt Aufhebung <strong>de</strong>s 10%igen<br />
Gebührenabschlags für Anwaltsgebühren in Ost-Berlin<br />
BRAK, Berlin. Der Bun<strong>de</strong>srat stimmt am 1. Februar 2002 abschließend<br />
über die Aufhebung <strong>de</strong>s 10%igen Abschlags für
78 Personalien BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Anwaltsgebühren in Ost-Berlin ab. Bisher können RAinnen<br />
und RAe in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn einschließlich Ost-Berlin<br />
nur 10 % niedrigere Gebühren verlangen. Das be<strong>de</strong>utet,<br />
dass <strong>de</strong>r RA am Potsdamer Platz 10 % weniger verdient als<br />
<strong>de</strong>r in Charlottenburg. Dies soll sich nun zum 1. März 2002 än<strong>de</strong>rn.<br />
„Die BRAK begrüßt <strong>de</strong>n auf Initiative <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Berlin behan<strong>de</strong>lten<br />
Gesetzesentwurf <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>srates. Die Anwaltschaft for<strong>de</strong>rt<br />
seit langem die Gleichbehandlung <strong>de</strong>r Anwaltschaft in Ostund<br />
West-Deutschland“, erklärt <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r BRAK, RA und<br />
Notar Dr. Bernhard Dombek.<br />
„Diese Aufhebung <strong>de</strong>r Ungleichbehandlung darf sich aber nicht<br />
nur auf Ost- und West-Berlin beschränken und kann nur ein erster<br />
Schritt in die richtige Richtung sein. Der Ermäßigungssatz<br />
von 10 % belastet die Anwälte in <strong>de</strong>n neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn,<br />
weil sie für die gleiche Arbeit weniger Geld erhalten als die Anwälte<br />
in <strong>de</strong>n alten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn. Wir bedauern es, dass <strong>de</strong>r<br />
Deutsche Bun<strong>de</strong>stag, aber auch das Bun<strong>de</strong>sministerium für Justiz,<br />
sich nicht zumin<strong>de</strong>st für eine Öffnungsklausel für die neuen<br />
Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r durchringen konnten. Nur die Fraktionen von<br />
FDP und PDS haben die vollständige Abschaffung <strong>de</strong>s Gebührenabschlags<br />
unterstützt. Wir hoffen aber weiterhin auf eine<br />
politische Lösung, damit nicht erneut das BVerfG einschreiten<br />
muss, wo <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sgesetzgeber han<strong>de</strong>ln kann“, so <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt<br />
<strong>de</strong>r BRAK.<br />
Stellungnahmen<br />
Die nachfolgen<strong>de</strong>n Stellungnahmen <strong>de</strong>r BRAK können im Internet<br />
unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>/“BRAK-Intern“/“Stellungnahmen <strong>de</strong>r<br />
BRAK“ abgerufen wer<strong>de</strong>n:<br />
• Stellungnahme <strong>de</strong>r BRAK zum 10%igen Gebührenabschlag<br />
Ost<br />
• Stellungnahme <strong>de</strong>r BRAK zum Vorschlag für eine Verordnung<br />
<strong>de</strong>s Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und<br />
Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung<br />
• Stellungnahme <strong>de</strong>r BRAK zu <strong>de</strong>m Fragenkatalog „Verbesserung<br />
<strong>de</strong>r Zahlungsmoral“ <strong>de</strong>s BMJ<br />
• Stellungnahme <strong>de</strong>r BRAK zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes<br />
zur Verhin<strong>de</strong>rung von Diskriminierungen im Zivilrecht<br />
• Verkaufsför<strong>de</strong>rung im Binnenmarkt<br />
Die 4. Sitzung <strong>de</strong>r 2. Satzungsversammlung fin<strong>de</strong>t am<br />
25. 4. 2002 um 10.00 Uhr,<br />
26. 4. 2002 um 9.00 Uhr<br />
in Berlin, Hotel Berlin, Lützowplatz 17, 10783 Berlin, statt.<br />
Personalien<br />
Bun<strong>de</strong>sverdienstkreuz am Ban<strong>de</strong> für<br />
Rechtsanwalt Dr. Klaus Böhm<br />
Der Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt hat <strong>de</strong>m Düsseldorfer RA Dr. Klaus Böhm<br />
am 25. 9. 2001 das Verdienstkreuz am Ban<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Verdienstor<strong>de</strong>ns<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland verliehen. Der Or<strong>de</strong>n<br />
ist Herrn Kollegen Dr. Böhm am 7. 12. 2001 durch Herrn Justizminister<br />
Dieckmann ausgehändigt wor<strong>de</strong>n.<br />
Seit 1989 ist Dr. Böhm Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Düsseldorfer Anwaltvereins<br />
e.V., eines <strong>de</strong>r größten örtlichen Anwaltsvereine im Bun<strong>de</strong>sgebiet,<br />
zugleich seit 1992 Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sgruppe<br />
Nordrhein-Westfalen im DAV. Darüber hinaus gehört er seit<br />
1995 <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>svorstand <strong>de</strong>s DAV an und ist seit 1997 Vizepräsi<strong>de</strong>nt<br />
und seit 1999 Schatzmeister.<br />
Damit gehört Dr. Böhm zu <strong>de</strong>n wichtigsten Repräsentanten <strong>de</strong>r<br />
Deutschen Anwaltschaft.<br />
Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r RAK Düsseldorf haben ihn 1995 und 1999<br />
mit außeror<strong>de</strong>ntlich guten Wahlergebnissen in die Satzungsversammlung<br />
<strong>de</strong>r BRAK, das so genannte „Anwaltsparlament“, gewählt,<br />
das die neue Berufsordnung <strong>de</strong>r RAe erarbeitet und beschlossen<br />
hat.<br />
Rechtsanwalt Dr. Thomas Holl, Düsseldorf<br />
Verdienstkreuz am Ban<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Verdienstor<strong>de</strong>ns<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland für<br />
Rechtsanwalt und Notar Dr. Dieter Finzel<br />
Der Herr Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt hat Herrn RAuN Dr. Dieter Finzel das<br />
Verdienstkreuz am Ban<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Verdienstor<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />
Deutschland verliehen. Die Auszeichnung wur<strong>de</strong> am<br />
25. 2. 2002 durch <strong>de</strong>n Justizminister von Nordrhein-Westfalen<br />
Jochen Dieckmann überreicht.<br />
RAuN Dr. Dieter Finzel gehört seit 1987 <strong>de</strong>m Vorstand <strong>de</strong>r RAK<br />
Hamm an, war von 1992 bis 1996 Vizepräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Kammer<br />
und ist seit 1997 <strong>de</strong>ren Präsi<strong>de</strong>nt. Seit 1991 ist er Mitglied im<br />
Ausschuss Berufsordnung und seit 1995 gehört er <strong>de</strong>r Satzungsversammlung<br />
<strong>de</strong>r BRAK an, <strong>de</strong>rem Ausschuss 2 „Werbung, Interessen-<br />
und Tätigkeitsschwerpunkte“ er vorsitzt. Seit 1997 ist<br />
RAuN Dr. Finzel zu<strong>de</strong>m Mitglied im Ausschuss „Reform <strong>de</strong>r Juristenausbildung“.<br />
Auszeichnung für Rechtsanwalt<br />
Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig<br />
Am 21. Januar 2002 hat <strong>de</strong>r Ministerpräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Hessen<br />
Roland Koch RA Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig in einer kleinen<br />
Feierstun<strong>de</strong> das Verdienstkreuz am Ban<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Verdienstor<strong>de</strong>ns<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland verliehen. RA Prof. Dr.<br />
Hans-Jürgen Hellwig war 25 Jahre in <strong>de</strong>r Frankfurter Stadtverordnetenversammlung<br />
und u.a. als Stadtverordnetenvorsteher<br />
tätig. Er hat sich jedoch nicht nur um Frankfurt verdient gemacht,<br />
son<strong>de</strong>rn auch um die Anwaltschaft. RA Prof. Dr. Hans-<br />
Jürgen Hellwig ist Vizepräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s DAV und Leiter <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
CCBE-Delegation. Er ist ein hervorragen<strong>de</strong>r Vertreter <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utschen Anwaltschaft auf europäischer und internationaler<br />
Ebene und einer <strong>de</strong>r wenigen wirklichen Kenner <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen<br />
nationalen Berufsrechte. Er setzt sich für die Wahrung <strong>de</strong>r
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 79<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
Grundprinzipien <strong>de</strong>s anwaltlichen Berufsrechts ein und för<strong>de</strong>rt<br />
die Internationalisierung <strong>de</strong>s Anwaltsberufs. Großen Einsatz<br />
widmet er auch <strong>de</strong>n Dienstleistungsverhandlungen im GATS<br />
2000.<br />
Bun<strong>de</strong>sverdienstkreuz am Ban<strong>de</strong> für<br />
Rechtsanwalt und Notar Lutz Tauchert<br />
Der Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt hat Herrn RAuN Lutz Tauchert, Frankfurt<br />
am Main, das Verdienstkreuz am Ban<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Verdienstor<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland verliehen. Damit wird die<br />
langjährige Tätigkeit von RA Tauchert als Geschäftsführer <strong>de</strong>r<br />
bei<strong>de</strong>n Kammern gewürdigt.<br />
Im Rahmen eines von <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r RAK Frankfurt am<br />
Main bzw. <strong>de</strong>r Notarkammer Frankfurt am Main gegebenen<br />
Empfangs wur<strong>de</strong> die Auszeichnung durch <strong>de</strong>n Hessischen Minister<br />
<strong>de</strong>r Justiz Dr. Christean Wagner übergeben.<br />
Der Geehrte hat sich in <strong>de</strong>r beruflichen Selbstverwaltung <strong>de</strong>r<br />
RAe und Notare beson<strong>de</strong>re Verdienste erworben. Er ist seit 1975<br />
als RA und seit 1978 auch als Notar in Frankfurt am Main tätig.<br />
1978 wur<strong>de</strong> er Geschäftsführer <strong>de</strong>r RAK und 1987 auch Geschäftsführer<br />
<strong>de</strong>r Notarkammer Frankfurt am Main.<br />
Sein beson<strong>de</strong>res Interesse gilt u.a. <strong>de</strong>n Fragen <strong>de</strong>r Aus- und Weiterbildung<br />
qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für<br />
die Kammermitglie<strong>de</strong>r sowie <strong>de</strong>r Öffentlichkeitsarbeit und Darstellung<br />
<strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r Berufsträger und ihrer Kammern. Daneben<br />
ist er Mitglied <strong>de</strong>r Vertreterversammlung <strong>de</strong>s Versorgungswerks<br />
<strong>de</strong>r RAe im Lan<strong>de</strong> Hessen und maßgeblich an <strong>de</strong>r Anbahnung<br />
und Vertiefung <strong>de</strong>r Kontakte <strong>de</strong>r Kammern mit<br />
ausländischen RA- bzw. Notarkammern, z.B. <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer<br />
in Lyon, beteiligt.<br />
Präsi<strong>de</strong>ntenwechsel bei <strong>de</strong>r RAK Bremen<br />
Der Vorstand <strong>de</strong>r Hanseatischen RAK Bremen hat am 1. 3. 2002<br />
RAuN Erich Joester aus Bremen zum neuen Präsi<strong>de</strong>nten<br />
gewählt. Der Strafverteidiger gehört <strong>de</strong>m Vorstand <strong>de</strong>r Kammer<br />
bereits seit 15 Jahren an. Er tritt die Nachfolge von RAuN Dr.<br />
Henning Hübner an, <strong>de</strong>r seit 10 Jahren Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r RAK war<br />
und ihrem Vorstand 22 Jahre angehörte.<br />
Berufsrechtliche Rechtsprechung<br />
Europäischer Gerichtshof/Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />
Orientierungssätze/*Leitsätze <strong>de</strong>r Redaktion<br />
Berufsordnung unterliegt nicht europäischem Wettbewerbsrecht<br />
* 1. Eine von einer RAK erlassene Regelung (Satzung) ist dann<br />
nicht als Beschluss einer Unternehmensvereinigung i.S.v. Artikel<br />
81 Abs. 1 EG anzusehen, wenn <strong>de</strong>r Staat Kriterien <strong>de</strong>s Allgemeininteresses<br />
und wesentliche Grundsätze bei <strong>de</strong>r Übertragung<br />
von Rechtsetzungsbefugnissen <strong>de</strong>s Berufsverban<strong>de</strong>s<br />
z.B. durch Gesetz festgelegt hat und sich die Letztentscheidungsbefugnis<br />
vorbehält.<br />
* 2. Eine Regelung (Satzung) einer RAK, die als Beschluss einer<br />
Unternehmensvereinigung i.S.v. Artikel 81 Abs. 1 EG einzustufen<br />
ist, verstößt dann nicht gegen Europäisches Wettbewerbsrecht,<br />
wenn trotz wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong>r Wirkungen<br />
diese Regelung für die ordnungsgemäße Ausübung <strong>de</strong>s Anwaltsberufes<br />
erfor<strong>de</strong>rlich ist.<br />
* 3. Eine RAK stellt we<strong>de</strong>r ein Unternehmen noch eine Gruppe<br />
von Unternehmen i.S.v. Artikel 82 EG dar.<br />
EuGH, Urt. v. 19. 2. 2002 – C-309/99<br />
In <strong>de</strong>r Rechtssache C-309/99<br />
J. C. J. Wouters,<br />
J. W. Savelbergh,<br />
Price Waterhouse Belastingadviseurs BV<br />
Urteil<br />
Der Raad van State hat mit Urt. v. 10. 8. 1999, beim Gerichtshof<br />
eingegangen am 13. 8. 1999, gem. Artikel 234 EG neun Fragen<br />
nach <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>r Artikel 3 Buchstabe g EG-Vertrag<br />
(nach Än<strong>de</strong>rung jetzt Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe g EG), Artikel 5<br />
EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG), 52 und 59 EG-Vertrag (nach Än<strong>de</strong>rung<br />
jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) sowie 85, 86 und 90 EG-<br />
Vertrag (jetzt Artikel 81 EG, 82 EG und 86 EG) zur Vorabentscheidung<br />
vorgelegt.<br />
Diese Fragen stellen sich im Zusammenhang mit Rechtsmitteln,<br />
die u. a. von Rechtsanwälten gegen Entscheidungen <strong>de</strong>r Arrondissementsrechtbank<br />
Amsterdam eingelegt wur<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>nen<br />
diese die Aufhebung von Entscheidungen <strong>de</strong>s Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong><br />
van Advocaten (Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer) abgelehnt<br />
hatte, in <strong>de</strong>nen wie<strong>de</strong>rum die Aufhebung von Beschlüssen<br />
<strong>de</strong>r Vorstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern <strong>de</strong>r Bezirke Amsterdam<br />
und Rotterdam abgelehnt wor<strong>de</strong>n war, mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>n Betroffenen<br />
die Ausübung <strong>de</strong>r Rechtsanwaltstätigkeit in gemischten<br />
Sozietäten mit Wirtschaftsprüfern untersagt wor<strong>de</strong>n war.<br />
Nationales Recht<br />
Artikel 134 <strong>de</strong>r Verfassung <strong>de</strong>s Königreichs <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> betrifft<br />
die Gründung und die rechtliche Funktionsweise öffentlicher<br />
Körperschaften. Er lautet wie folgt:<br />
„(1) Durch Gesetz o<strong>de</strong>r kraft eines Gesetzes können öffentliche<br />
Berufs- und Gewerbeverbän<strong>de</strong> und an<strong>de</strong>re öffentliche Körperschaften<br />
gegrün<strong>de</strong>t und aufgelöst wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Aufgaben und die Organisation dieser öffentlichen Körperschaften,<br />
die Zusammensetzung und Zuständigkeit ihrer Leitungsorgane<br />
sowie die Öffentlichkeit ihrer Sitzungen regelt das<br />
Gesetz. Durch Gesetz o<strong>de</strong>r kraft eines Gesetzes kann ihren Leitungsorganen<br />
die Befugnis zum Erlass von Verordnungen übertragen<br />
wer<strong>de</strong>n.
80 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
Das Gesetz regelt die Aufsicht über diese Leitungsorgane. Beschlüsse<br />
dieser Leitungsorgane können nur aufgehoben wer<strong>de</strong>n,<br />
wenn sie im Wi<strong>de</strong>rspruch zum gelten<strong>de</strong>n Recht o<strong>de</strong>r zum Allgemeininteresse<br />
stehen.“<br />
Die Advocatenwet<br />
Aufgrund dieser Bestimmung wur<strong>de</strong> das Gesetz v. 23. Juni 1952<br />
zur Gründung <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer und<br />
zur Festlegung <strong>de</strong>r Satzung und <strong>de</strong>r Disziplinarordnung für<br />
Rechtsanwälte und Rechtsbeistän<strong>de</strong> (im Folgen<strong>de</strong>n: Advocatenwet)<br />
erlassen.<br />
Artikel 17 Abs. 1 und 2 <strong>de</strong>r Advocatenwet lautet:<br />
„(1) Die in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n eingetragenen Rechtsanwälte bil<strong>de</strong>n<br />
in ihrer Gesamtheit die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer.<br />
Diese hat ihren Sitz in Den Haag. Sie ist eine öffentlich-rechtliche<br />
Körperschaft i.S.v. Artikel 134 <strong>de</strong>r Verfassung.<br />
Die bei <strong>de</strong>rselben Rechtbank eingetragenen Rechtsanwälte bil<strong>de</strong>n<br />
in ihrer Gesamtheit die Rechtsanwaltskammer <strong>de</strong>s jeweiligen<br />
Bezirks.“<br />
Die Artikel 18 Abs. 1 und 22 Abs. 1 <strong>de</strong>r Advocatenwet sehen vor,<br />
dass die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer unter <strong>de</strong>r Leitung<br />
<strong>de</strong>s Algemene Raad van <strong>de</strong> Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong>n van Advocaten<br />
(Allgemeiner Rat <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer,<br />
im Folgen<strong>de</strong>n: Allgemeiner Rat) steht, während die Bezirksrechtsanwaltskammern<br />
von <strong>de</strong>n Ra<strong>de</strong>n van toezicht van <strong>de</strong><br />
Or<strong>de</strong>n in <strong>de</strong> arrondissementen (Vorstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bezirksrechtsanwaltskammern,<br />
im Folgen<strong>de</strong>n: Vorstän<strong>de</strong>) geleitet wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Artikel 19 und 20 <strong>de</strong>r Advocatenwet regeln die Wahl <strong>de</strong>r<br />
Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Allgemeinen Rates. Diese wer<strong>de</strong>n vom College<br />
van Afgevaardig<strong>de</strong>n (im Folgen<strong>de</strong>n: Delegiertenversammlung)<br />
gewählt, <strong>de</strong>ssen Mitglie<strong>de</strong>r ihrerseits in Versammlungen <strong>de</strong>r<br />
Kammern <strong>de</strong>r jeweiligen Bezirke gewählt wer<strong>de</strong>n.<br />
Artikel 26 <strong>de</strong>r Advocatenwet sieht vor:<br />
„Der Allgemeine Rat und die Vorstän<strong>de</strong> tragen Sorge für eine<br />
ordnungsgemäße Berufsausübung und sind befugt, alle Maßnahmen<br />
zu treffen, die dazu beitragen können. Sie setzen sich<br />
für die Rechte und Interessen <strong>de</strong>r Rechtsanwälte ein, achten auf<br />
die Einhaltung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Rechtsanwälten als solchen obliegen<strong>de</strong>n<br />
Pflichten und erfüllen die ihnen durch Verordnung übertragenen<br />
Aufgaben.“<br />
Artikel 28 <strong>de</strong>r Advocatenwet bestimmt:<br />
„(1) Die Delegiertenversammlung kann Verordnungen im Interesse<br />
<strong>de</strong>r ordnungsgemäßen Berufsausübung einschließlich Verordnungen<br />
über die Versorgung <strong>de</strong>r Rechtsanwälte im Alter und<br />
bei völliger o<strong>de</strong>r teilweiser Arbeitsunfähigkeit sowie <strong>de</strong>r Angehörigen<br />
verstorbener RAe erlassen. Die Versammlung erlässt<br />
ferner die erfor<strong>de</strong>rlichen Verordnungen in Bezug auf <strong>de</strong>n Haushalt<br />
und die Organisation <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer.<br />
Vorschläge für Verordnungen können <strong>de</strong>r Delegiertenversammlung<br />
durch <strong>de</strong>n Allgemeinen Rat o<strong>de</strong>r durch min<strong>de</strong>stens fünf<br />
Delegierte unterbreitet wer<strong>de</strong>n. Der Allgemeine Rat kann die<br />
Stellungnahme <strong>de</strong>r Vorstän<strong>de</strong> einholen, bevor er <strong>de</strong>r Delegiertenversammlung<br />
einen Verordnungsvorschlag unterbreitet.<br />
Die Verordnungen wer<strong>de</strong>n nach ihrem Erlass unverzüglich <strong>de</strong>m<br />
Minister <strong>de</strong>r Justiz mitgeteilt und im Staatsanzeiger veröffentlicht.“<br />
Artikel 29 <strong>de</strong>r Advocatenwet lautet:<br />
„(1) Die Verordnungen sind für die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen<br />
Rechtsanwaltskammer und für Gastanwälte verbindlich.<br />
Sie dürfen we<strong>de</strong>r Bestimmungen zu Fragen enthalten, die durch<br />
Gesetz o<strong>de</strong>r aufgrund eines Gesetzes geregelt sind, noch dürfen<br />
sie Angelegenheiten betreffen, die sich wegen <strong>de</strong>r unterschiedlichen<br />
Verhältnisse in <strong>de</strong>n Bezirken nicht für eine allgemeine Regelung<br />
eignen.<br />
Bestimmungen in Verordnungen, die sich auf Gegenstän<strong>de</strong> beziehen,<br />
die durch Gesetz o<strong>de</strong>r aufgrund eines Gesetzes geregelt<br />
wer<strong>de</strong>n, treten automatisch außer Kraft.“<br />
Nach <strong>de</strong>n Artikeln 16b und 16c <strong>de</strong>r Advocatenwet sind unter<br />
„Gastanwälten“ Personen zu verstehen, die nicht in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n<br />
als Rechtsanwalt eingetragen sind, jedoch in einem<br />
an<strong>de</strong>ren Mitgliedsstaat <strong>de</strong>r Europäischen Union ihre Berufstätigkeit<br />
unter <strong>de</strong>r Bezeichnung Rechtsanwalt o<strong>de</strong>r unter einer<br />
gleichwertigen Bezeichnung ausüben dürfen.<br />
Artikel 30 <strong>de</strong>r Advocatenwet bestimmt:<br />
„(1) Beschlüsse <strong>de</strong>r Delegiertenversammlung, <strong>de</strong>s Allgemeinen<br />
Rates o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Organe <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer<br />
können durch Königlichen Erlass ausgesetzt o<strong>de</strong>r<br />
aufgehoben wer<strong>de</strong>n, soweit sie gegen das Recht o<strong>de</strong>r das Allgemeininteresse<br />
verstoßen.<br />
Die Aussetzung o<strong>de</strong>r Aufhebung erfolgt innerhalb von sechs<br />
Monaten nach <strong>de</strong>r in Artikel 28 Abs. 3 vorgesehenen Mitteilung,<br />
o<strong>de</strong>r, wenn es sich um einen Beschluss <strong>de</strong>s Allgemeinen Rates<br />
o<strong>de</strong>r eines an<strong>de</strong>ren Organs <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer<br />
han<strong>de</strong>lt, innerhalb von sechs Monaten nach <strong>de</strong>ssen<br />
Mitteilung an <strong>de</strong>n Minister <strong>de</strong>r Justiz durch einen mit Grün<strong>de</strong>n<br />
versehenen Erlass, in <strong>de</strong>m im Fall <strong>de</strong>r Aussetzung auch <strong>de</strong>ren<br />
Dauer festgelegt wird.<br />
Durch die Aussetzung wird die Wirkung <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Bestimmung<br />
sofort unterbrochen. Die Dauer <strong>de</strong>r Aussetzung kann<br />
auch im Fall einer Verlängerung ein Jahr nicht überschreiten.<br />
Wird <strong>de</strong>r ausgesetzte Beschluss nicht innerhalb <strong>de</strong>r für die Aussetzung<br />
vorgesehenen Frist durch Königlichen Erlass aufgehoben,<br />
so ist er als gültig anzusehen.<br />
Die Aufhebung hat zur Folge, dass alle aufhebbaren Rechtsfolgen<br />
<strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Bestimmung aufgehoben sind, soweit in<br />
<strong>de</strong>m Königlichen Erlass nichts an<strong>de</strong>res bestimmt wird.“<br />
Die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993<br />
Auf <strong>de</strong>r Grundlage von Artikel 28 <strong>de</strong>r Advocatenwet erließ die<br />
Delegiertenversammlung die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993<br />
(Zusammenarbeitsverordnung von 1993).<br />
In Artikel 1 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 wird <strong>de</strong>r Begriff<br />
„Samenwerkingsverband“ (Sozietät) <strong>de</strong>finiert als „je<strong>de</strong> Zusammenarbeit,<br />
bei <strong>de</strong>r die Beteiligten ihre Berufstätigkeit auf gemeinsame<br />
Rechnung und gemeinsames Risiko ausüben o<strong>de</strong>r bei<br />
<strong>de</strong>r sie die Weisungsbefugnis o<strong>de</strong>r die Letztverantwortlichkeit<br />
miteinan<strong>de</strong>r teilen“.<br />
Artikel 2 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 bestimmt:<br />
„(1) Es ist <strong>de</strong>m Rechtsanwalt nicht gestattet, Verpflichtungen einzugehen<br />
o<strong>de</strong>r fortbestehen zu lassen, durch die die Freiheit und<br />
Unabhängigkeit seiner Berufsausübung einschließlich <strong>de</strong>r<br />
Wahrnehmung <strong>de</strong>r Parteiinteressen und <strong>de</strong>s damit zusammenhängen<strong>de</strong>n<br />
Vertrauensverhältnisses zwischen <strong>de</strong>m Rechtsanwalt<br />
und seinem Mandanten in Gefahr gebracht wer<strong>de</strong>n könnte.<br />
Die Regelung in Abs. 1 gilt auch dann, wenn <strong>de</strong>r Rechtsanwalt<br />
nicht in einer Sozietät mit an<strong>de</strong>ren Berufsangehörigen o<strong>de</strong>r Dritten<br />
zusammenarbeitet.“<br />
Artikel 3 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 lautet:<br />
„Ein Rechtsanwalt darf eine Sozietät nur dann eingehen o<strong>de</strong>r<br />
aufrechterhalten, wenn die Tätigkeit je<strong>de</strong>s an <strong>de</strong>r Sozietät Beteiligten<br />
hauptsächlich in <strong>de</strong>r Ausübung eines juristischen Berufes<br />
besteht.“<br />
Artikel 4 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 sieht vor:
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 81<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
„Ein Rechtsanwalt darf eine Sozietät nur eingehen o<strong>de</strong>r aufrechterhalten<br />
mit:<br />
an<strong>de</strong>ren in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n eingetragenen Rechtsanwälten;<br />
an<strong>de</strong>ren, nicht in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n eingetragenen Rechtsanwälten,<br />
soweit die Voraussetzungen <strong>de</strong>s Artikels 5 erfüllt sind;<br />
Angehörigen einer an<strong>de</strong>ren Berufsgruppe, die vom Allgemeinen<br />
Rat gem. Artikel 6 hierfür anerkannt wor<strong>de</strong>n ist.“<br />
Artikel 6 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 bestimmt:<br />
„(1) Die in Artikel 4 Buchstabe c genannte Anerkennung kann<br />
gewährt wer<strong>de</strong>n, wenn<br />
die Angehörigen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Berufsgruppe einen freien Beruf<br />
ausüben und<br />
für die Ausübung dieses Berufes eine Hochschulausbildung<br />
o<strong>de</strong>r eine vergleichbare Qualifikation erfor<strong>de</strong>rlich ist und<br />
die Angehörigen dieser an<strong>de</strong>ren Berufsgruppe einem Stan<strong>de</strong>srecht<br />
unterliegen, das mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Rechtsanwälte vergleichbar<br />
ist und<br />
die Begründung einer Sozietät mit Angehörigen dieser an<strong>de</strong>ren<br />
Berufsgruppe nicht gegen die Artikel 2 und 3 verstößt.<br />
Die Anerkennung kann auch in Bezug auf einen bestimmten Teil<br />
einer Berufsgruppe gewährt wer<strong>de</strong>n. In diesem Fall gelten die in<br />
Abs. 1 Buchstaben a bis d genannten Voraussetzungen entsprechend;<br />
die Befugnis <strong>de</strong>s Allgemeinen Rates zur Aufstellung zusätzlicher<br />
Voraussetzungen bleibt unberührt.<br />
Der Allgemeine Rat holt die Stellungnahme <strong>de</strong>r Delegiertenversammlung<br />
ein, bevor er einen Beschluss nach <strong>de</strong>n vorstehen<strong>de</strong>n<br />
Absätzen dieses Artikels trifft.“<br />
Artikel 7 Abs. 1 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 sieht vor:<br />
„Der Rechtsanwalt hat bei seinem Auftreten nach außen je<strong>de</strong><br />
unrichtige, irreführen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r unvollständige Darstellung <strong>de</strong>r<br />
Verhältnisse im Hinblick auf eine von ihm ausgeübte Form <strong>de</strong>r<br />
Zusammenarbeit, einschließlich einer Sozietät, zu vermei<strong>de</strong>n.“<br />
Artikel 8 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 lautet:<br />
„(1) Sozietäten sind verpflichtet, nach außen unter einer gemeinsamen<br />
Firma aufzutreten.<br />
Die gemeinsame Firma darf nicht irreführend sein.<br />
Ein Rechtsanwalt, <strong>de</strong>r einer Sozietät angehört, muss auf Anfrage<br />
eine Liste <strong>de</strong>r Angehörigen <strong>de</strong>r Sozietät mit <strong>de</strong>ren Berufen und<br />
<strong>de</strong>m Ort ihrer Nie<strong>de</strong>rlassung vorlegen.<br />
Auf je<strong>de</strong>m Schriftstück, das von einer Sozietät versandt wird,<br />
sind <strong>de</strong>r Name, die Stellung und <strong>de</strong>r Ort <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassung <strong>de</strong>s<br />
Unterzeichnen<strong>de</strong>n anzugeben.“<br />
Artikel 9 Abs. 2 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 bestimmt:<br />
„Ein Rechtsanwalt darf nicht an <strong>de</strong>r Begründung o<strong>de</strong>r Umwandlung<br />
einer Sozietät mitwirken, bevor <strong>de</strong>r Vorstand darüber<br />
entschie<strong>de</strong>n hat, ob die Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Begründung o<strong>de</strong>r Umwandlung<br />
<strong>de</strong>r Sozietät einschließlich <strong>de</strong>r Art und Weise <strong>de</strong>s mit<br />
ihr verbun<strong>de</strong>nen Auftretens nach außen <strong>de</strong>r Regelung durch<br />
diese o<strong>de</strong>r aufgrund dieser Verordnung genügen.“<br />
Der Begründung <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 ist zu<br />
entnehmen, dass Sozietäten mit Notaren, Steuerberatern und<br />
Patentanwälten bereits früher genehmigt wor<strong>de</strong>n waren und<br />
dass die entsprechen<strong>de</strong> Anerkennung dieser drei Berufsgruppen<br />
ihre Gültigkeit behält. Dagegen wer<strong>de</strong>n die Wirtschaftsprüfer als<br />
Beispiel für eine Berufsgruppe angeführt, mit <strong>de</strong>ren Angehörigen<br />
Rechtsanwälte keine Sozietäten eingehen dürfen.<br />
Die Richtlinien für Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und<br />
Angehörigen an<strong>de</strong>rer (hierfür anerkannter) Berufsgruppen<br />
Neben <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 hat die Nie<strong>de</strong>rländische<br />
Rechtsanwaltskammer Richtlinien für Sozietäten zwischen<br />
Rechtsanwälten und Angehörigen an<strong>de</strong>rer (hierfür anerkannter)<br />
Berufsgruppen erlassen. Diese Richtlinien lauten wie<br />
folgt:<br />
„1. Einhaltung <strong>de</strong>r Berufs- und Stan<strong>de</strong>sregeln<br />
Regel 1<br />
Der Rechtsanwalt darf durch seine Beteiligung an einer Sozietät<br />
mit einem Angehörigen eines an<strong>de</strong>ren freien Berufes nicht in <strong>de</strong>r<br />
Einhaltung seiner eigenen Berufs- und Stan<strong>de</strong>sregeln beschränkt<br />
o<strong>de</strong>r behin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />
2. Getrennte Aktenführung und getrennte Verwaltung <strong>de</strong>r Akten<br />
und Archive<br />
Regel 2<br />
Ein Rechtsanwalt, <strong>de</strong>r an einer Sozietät mit einem Angehörigen<br />
eines an<strong>de</strong>ren freien Berufes beteiligt ist, hat in je<strong>de</strong>r Angelegenheit,<br />
in <strong>de</strong>r er gemeinsam mit diesem Berufsangehörigen<br />
tätig wird, eine getrennte Akte anzulegen und gegenüber <strong>de</strong>r Sozietät<br />
dafür Sorge zu tragen, dass<br />
die Verwaltung dieser Akte von <strong>de</strong>r finanziellen Verwaltung getrennt<br />
ist und dass<br />
ein Archiv besteht, das von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Angehörigen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
Berufsgruppen getrennt ist.<br />
3. Interessenkonflikte<br />
Regel 3<br />
Ein Rechtsanwalt, <strong>de</strong>r an einer Sozietät mit einem Angehörigen<br />
eines an<strong>de</strong>ren freien Berufes beteiligt ist, darf nicht die Interessen<br />
einer Partei vertreten, wenn ein Konflikt mit <strong>de</strong>n Interessen<br />
einer an<strong>de</strong>ren Partei besteht, die von <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Berufsangehörigen<br />
beraten wird o<strong>de</strong>r beraten wur<strong>de</strong>, o<strong>de</strong>r wenn das Auftreten<br />
eines solchen Interessenkonflikts möglich ist.<br />
4. Geheimhaltung und Registrierung von Schriftstücken<br />
Regel 4<br />
Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, bei allen Angelegenheiten, in<br />
<strong>de</strong>nen er gemeinsam mit einem Angehörigen eines an<strong>de</strong>ren<br />
freien Berufes tätig wird, ein Register sämtlicher Briefe und<br />
Schriftstücke zu führen, die er <strong>de</strong>m Angehörigen <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren<br />
freien Berufes zugänglich gemacht hat.“<br />
Die Ausgangsverfahren<br />
Herr Wouters, <strong>de</strong>r in Amsterdam als Rechtsanwalt zugelassen<br />
ist, wur<strong>de</strong> 1991 Partner <strong>de</strong>r Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co. Belastingadviseurs<br />
(Steuerberater). En<strong>de</strong> 1994 teilte er <strong>de</strong>m Vorstand <strong>de</strong>r Bezirkrechtsanwaltskammer<br />
Rotterdam mit, dass er beabsichtige,<br />
sich dort als Rechtsanwalt nie<strong>de</strong>rzulassen und seine Tätigkeit<br />
unter <strong>de</strong>r Firma „Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co., advocaten en belastingadviseurs“<br />
auszuüben.<br />
In seinem Beschl. v. 27. 7. 1995 vertrat <strong>de</strong>r Vorstand die Auffassung,<br />
dass die Partner <strong>de</strong>r Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co. Belastingadviseurs<br />
mit <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co. Accountants,<br />
d. h. mit Angehörigen <strong>de</strong>r Berufsgruppe <strong>de</strong>r Wirtschaftsprüfer,<br />
eine Sozietät i.S.d. Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993<br />
bil<strong>de</strong>ten, so dass <strong>de</strong>r Ast. gegen Artikel 4 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 verstoße. Außer<strong>de</strong>m liege ein Verstoß gegen<br />
Artikel 8 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 vor, wenn <strong>de</strong>r<br />
Antragsteller einer Sozietät beitrete, <strong>de</strong>ren Firma <strong>de</strong>n Namen<br />
<strong>de</strong>r natürlichen Person „Arthur An<strong>de</strong>rsen“ enthalte.<br />
Mit Entscheidung v. 29. 11.1995 wies <strong>de</strong>r Allgemeine Rat die Verwaltungsbeschwer<strong>de</strong>n,<br />
die Herr Wouters, Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co.<br />
Belastingadviseurs und Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co. Accountants gegen<br />
diesen Beschluss eingelegt hatten, als unbegrün<strong>de</strong>t zurück.
82 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
Anfang 1995 teilte Herr Savelbergh, <strong>de</strong>r ebenfalls in Amsterdam<br />
als Rechtsanwalt zugelassen ist, <strong>de</strong>m Vorstand <strong>de</strong>r Bezirksrechtsanwaltskammer<br />
Amsterdam mit, dass er beabsichtige,<br />
eine Sozietät mit <strong>de</strong>r Gesellschaft Price Waterhouse Belastingadviseurs<br />
BV zu grün<strong>de</strong>n, die eine Tochtergesellschaft <strong>de</strong>s internationalen<br />
Unternehmens Price Waterhouse sei, <strong>de</strong>m neben<br />
Steuerberater auch Wirtschaftsprüfer angehörten.<br />
Mit Beschl. v. 5. 7. 1995 entschied <strong>de</strong>r Vorstand, dass die beabsichtigte<br />
Sozietät gegen Artikel 4 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 verstoße.<br />
Mit Entscheidung v. 21. 11. 1995 wies <strong>de</strong>r Allgemeine Rat die<br />
Verwaltungsbeschwer<strong>de</strong>, die Herr Savelbergh und Price Waterhouse<br />
Belastingadviseurs BV gegen diesen Beschluss eingelegt<br />
hatten, als unbegrün<strong>de</strong>t zurück.<br />
Herr Wouters, Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co. Belastingadviseurs und<br />
Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co. Accountants sowie Herr Savelbergh und<br />
Price Waterhouse Belastingadviseurs BV erhoben daraufhin<br />
Klage bei <strong>de</strong>r Arrondissementsrechtbank Amsterdam. Sie machten<br />
insbeson<strong>de</strong>re geltend, dass die Entscheidungen <strong>de</strong>s Allgemeinen<br />
Rates v. 21. und 29. 11. 1995 gegen die Bestimmungen<br />
<strong>de</strong>s EG-Vertrags über <strong>de</strong>n Wettbewerb, die Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit<br />
und die Dienstleistungsfreiheit verstießen.<br />
Mit Urt. v. 7. 2. 1997 erklärte die Rechtbank die Klagen <strong>de</strong>r Arthur<br />
An<strong>de</strong>rsen & Co. Belastingadviseurs und <strong>de</strong>r Arthur An<strong>de</strong>rsen<br />
& Co. Accountants für unzulässig; die von Herrn Wouters<br />
und Herrn Savelbergh sowie von Price Waterhouse Belastingadviseurs<br />
BV erhobenen Klagen wies sie als unbegrün<strong>de</strong>t<br />
zurück.<br />
Die Rechtbank war <strong>de</strong>r Auffassung, dass die Bestimmungen <strong>de</strong>s<br />
EG-Vertrags über <strong>de</strong>n Wettbewerb im Ausgangsverfahren nicht<br />
anwendbar seien. Die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
sei eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die durch Gesetz gegrün<strong>de</strong>t<br />
wor<strong>de</strong>n sei, um einen im Allgemeininteresse liegen<strong>de</strong>n<br />
Zweck zu verfolgen. Sie bediene sich hierbei u. a. <strong>de</strong>r Befugnis<br />
zum Erlass von Verordnungen, die ihr nach Artikel 28 <strong>de</strong>r<br />
Advocatenwet zustehe. Die Kammer habe im Allgemeininteresse<br />
die Unabhängigkeit und die Parteibindung <strong>de</strong>s Rechtsbeistand<br />
gewähren<strong>de</strong>n Anwalts zu garantieren. Daher sei die Nie<strong>de</strong>rländische<br />
Rechtsanwaltskammer keine Unternehmensvereinigung<br />
i.S.v. Artikel 85 EG-Vertrag. Sie könne auch nicht als<br />
Unternehmen o<strong>de</strong>r Gruppe von Unternehmen mit kollektiver<br />
beherrschen<strong>de</strong>r Stellung i.S.v. Artikel 86 EG-Vertrag angesehen<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Nach Auffassung <strong>de</strong>r Rechtbank führt Artikel 28 <strong>de</strong>r Advocatenwet<br />
auch nicht dazu, dass Befugnisse in einer Form an private<br />
Wirtschaftsteilnehmer übertragen wür<strong>de</strong>n, die die praktische<br />
Wirksamkeit <strong>de</strong>r Artikel 85 und 86 EG-Vertrag beeinträchtige.<br />
Die Bestimmung verstoße daher nicht gegen Artikel 5 Abs. 2<br />
i.V.m. <strong>de</strong>n Artikeln 3 Buchstabe g, 85 und 86 EG-Vertrag.<br />
Die Rechtbank wies auch das Vorbringen <strong>de</strong>r Kläger zurück,<br />
dass die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 gegen das Nie<strong>de</strong>rlassungsrecht<br />
und die Dienstleistungsfreiheit nach <strong>de</strong>n Artikeln<br />
52 und 59 EG-Vertrag verstoße. Im Ausgangsverfahren fehle es<br />
an grenzüberschreiten<strong>de</strong>n Bezügen, so dass die genannten Bestimmungen<br />
<strong>de</strong>s EG-Vertrags unanwendbar seien. Je<strong>de</strong>nfalls sei<br />
das Verbot von Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern<br />
durch zwingen<strong>de</strong> Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Allgemeininteresses<br />
gerechtfertigt und nicht unverhältnismäßig beeinträchtigend.<br />
Mangels einschlägiger Bestimmungen <strong>de</strong>s Gemeinschaftsrechts<br />
stehe es <strong>de</strong>m Königreich <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> frei, zur<br />
Gewährleistung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit und <strong>de</strong>r Parteibindung <strong>de</strong>s<br />
Rechtsbeistand gewähren<strong>de</strong>n Anwalts Regeln für die Ausübung<br />
<strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs in seinem Hoheitsgebiet zu erlassen.<br />
Die fünf Kläger legten gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel<br />
beim Raad van State ein.<br />
Der Raad van <strong>de</strong> Balies van <strong>de</strong> Europese Gemeenschap (Rat <strong>de</strong>r<br />
Anwaltschaften <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaften), ein Verein<br />
belgischen Rechts, wur<strong>de</strong> im Verfahren vor <strong>de</strong>m Raad van State<br />
als Streithelfer zur Unterstützung <strong>de</strong>r Anträge <strong>de</strong>s Allgemeinen<br />
Rates zugelassen.<br />
Mit Urt. v. 10. 8. 1999 hat <strong>de</strong>r Raad van State die Unzulässigkeit<br />
<strong>de</strong>r Klagen <strong>de</strong>r Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co. Belastingadviseurs<br />
und <strong>de</strong>r Arthur An<strong>de</strong>rsen & Co. Accountants bestätigt. Bezüglich<br />
<strong>de</strong>r übrigen Klagen hat er die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung<br />
<strong>de</strong>s Ausgangsrechtsstreits von <strong>de</strong>r Auslegung verschie<strong>de</strong>ner<br />
Bestimmungen <strong>de</strong>s Gemeinschaftsrechts abhänge.<br />
Der Raad van State hat Zweifel, ob die Delegiertenversammlung<br />
mit <strong>de</strong>m Erlass <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 auf <strong>de</strong>r<br />
Grundlage ihrer Befugnis nach Artikel 28 <strong>de</strong>r Advocatenwet<br />
nicht gegen die Artikel 85 und 86 EG-Vertrag verstoßen hat und<br />
ob <strong>de</strong>r nationale Gesetzgeber nicht gegen die Artikel 5, 85 und<br />
86 EG-Vertrag verstoßen hat, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>r Delegiertenversammlung<br />
in Artikel 28 <strong>de</strong>r Advocatenwet die Befugnis zum Erlass<br />
von Verordnungen verliehen hat. Fraglich sei außer<strong>de</strong>m, ob<br />
die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 mit <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit<br />
nach Artikel 52 EG-Vertrag und <strong>de</strong>r Dienstleistungsfreiheit<br />
nach Artikel 59 EG-Vertrag vereinbar sei.<br />
Der Raad van State hat daher das Verfahren ausgesetzt und <strong>de</strong>m<br />
Gerichtshof folgen<strong>de</strong> Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:<br />
1. a) Ist <strong>de</strong>r Begriff Unternehmensvereinigung in Artikel 85<br />
Abs. 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) so auszulegen, dass davon<br />
nur gesprochen wer<strong>de</strong>n kann, wenn und soweit eine solche<br />
Vereinigung im Unternehmensinteresse han<strong>de</strong>lt, so dass für die<br />
Anwendung <strong>de</strong>r Bestimmung zu unterschei<strong>de</strong>n ist zwischen<br />
Tätigkeiten <strong>de</strong>r Vereinigung im allgemeinen Interesse und an<strong>de</strong>ren<br />
Tätigkeiten, o<strong>de</strong>r reicht die bloße Tatsache, dass eine Vereinigung<br />
auch im unternehmerischen Interesse tätig wer<strong>de</strong>n<br />
kann, aus, um sie in ihrem gesamten Auftreten als Unternehmensvereinigung<br />
i.S. dieser Bestimmung anzusehen? Ist es für<br />
die Anwendung <strong>de</strong>s gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts von<br />
Be<strong>de</strong>utung, dass die durch die betreffen<strong>de</strong> Einrichtung erlassenen<br />
allgemein verbindlichen Regeln aufgrund gesetzlicher Zuständigkeit<br />
und in <strong>de</strong>r Eigenschaft als Son<strong>de</strong>rgesetzgeber erlassen<br />
wor<strong>de</strong>n sind?<br />
Falls Frage 1 a) dahin beantwortet wird, dass eine Unternehmensvereinigung<br />
nur dann vorliegt, wenn und soweit eine solche<br />
Vereinigung im Unternehmensinteresse han<strong>de</strong>lt: Richtet<br />
sich die Frage, wann von <strong>de</strong>r Wahrung <strong>de</strong>s Allgemeininteresses<br />
die Re<strong>de</strong> ist und wann nicht, auch nach Gemeinschaftsrecht?<br />
Falls Frage 1 b) dahin beantwortet wird, dass das Gemeinschaftsrecht<br />
hier eine Rolle spielt: Kann <strong>de</strong>r Erlass allgemein verbindlicher<br />
Regeln für die Bildung von Sozietäten zwischen<br />
Rechtsanwälten und Angehörigen an<strong>de</strong>rer Berufe durch eine<br />
Einrichtung wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer aufgrund<br />
einer gesetzlichen Zuständigkeit für die Gewährleistung<br />
<strong>de</strong>r Unabhängigkeit und Parteibindung <strong>de</strong>s Rechtsbeistand gewähren<strong>de</strong>n<br />
Anwalts auch nach Gemeinschaftsrecht als Wahrung<br />
<strong>de</strong>s Allgemeininteresses angesehen wer<strong>de</strong>n?<br />
Falls aufgrund <strong>de</strong>r Antworten auf die unter 1 gestellten Fragen<br />
<strong>de</strong>r Schluss zu ziehen ist, dass auch eine Regelung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 als Entscheidung einer Unternehmensvereinigung<br />
i.S.v. Artikel 85 Abs. 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel<br />
81 Abs. 1 EG) anzusehen ist: Muss von einer solchen Entscheidung,<br />
soweit sie allgemein verbindliche Regeln für die<br />
Bildung von Sozietäten wie <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n zur Gewährleis-
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 83<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
tung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit und Parteibindung <strong>de</strong>r Rechtsbeistand<br />
gewähren<strong>de</strong>n Anwälte enthält, angenommen wer<strong>de</strong>n, dass sie<br />
bezweckt o<strong>de</strong>r bewirkt, <strong>de</strong>n Wettbewerb innerhalb <strong>de</strong>s Gemeinsamen<br />
Marktes zu beschränken und insoweit <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l<br />
zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen? Welche für die<br />
Beurteilung dieser Frage maßgeben<strong>de</strong>n Kriterien ergeben sich<br />
aus <strong>de</strong>m Gemeinschaftsrecht?<br />
Ist <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Unternehmens in Artikel 86 EG-Vertrag (jetzt<br />
Artikel 82 EG) dahin auszulegen, dass dann, wenn eine Einrichtung<br />
wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer als<br />
Unternehmensvereinigung anzusehen ist, diese Einrichtung<br />
auch als Unternehmen o<strong>de</strong>r Gruppe von Unternehmen i.S. dieser<br />
Bestimmung zu betrachten ist, obwohl sie selbst keine wirtschaftliche<br />
Tätigkeit entfaltet?<br />
Falls die vorstehen<strong>de</strong> Frage bejaht wird und festzustellen ist,<br />
dass eine Einrichtung wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
eine beherrschen<strong>de</strong> Stellung einnimmt: Nutzt eine solche<br />
Einrichtung diese Stellung missbräuchlich aus, wenn sie die<br />
ihr angehören<strong>de</strong>n Rechtsanwälte verpflichtet, sich auf <strong>de</strong>m<br />
Markt für juristische Dienstleistungen gegenüber an<strong>de</strong>ren in<br />
einer <strong>de</strong>n Wettbewerb beschränken<strong>de</strong>n Weise zu verhalten?<br />
Falls eine Einrichtung wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
für die Anwendung <strong>de</strong>r gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln<br />
in vollem Umfang als Unternehmensvereinigung<br />
anzusehen ist: Ist Artikel 90 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86<br />
Abs. 2 EG) dahin auszulegen, dass er auch für eine Einrichtung<br />
wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer gilt, die allgemein<br />
verbindliche Regeln über die Zusammenarbeit von<br />
Rechtsananwälten mit Angehörigen an<strong>de</strong>rer Berufe zur Gewährleistung<br />
<strong>de</strong>r Unabhängigkeit und Parteilichkeit <strong>de</strong>r Rechtsbeistand<br />
gewähren<strong>de</strong>n Anwälte erlässt?<br />
Falls eine Einrichtung wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
als Unternehmensvereinigung o<strong>de</strong>r auch als Unternehmen<br />
o<strong>de</strong>r Gruppe von Unternehmen anzusehen ist: Schließen<br />
es die Artikel 3 Buchstabe g (nach Än<strong>de</strong>rung jetzt Artikel 3<br />
Abs. 1 Buchstabe g EG), 5 Abs. 2 (jetzt Artikel 10 Abs. 2 EG) sowie<br />
85 und 86 (jetzt Artikel 81 EG und 82 EG) EG-Vertrag aus,<br />
dass ein Mitgliedstaat bestimmt, dass diese Einrichtung (o<strong>de</strong>r<br />
eines ihrer Organe) Regeln erlassen kann, die u. a. die Zusammenarbeit<br />
von Rechtsanwälten mit Angehörigen an<strong>de</strong>rer Berufe<br />
betreffen können, wobei die staatliche Aufsicht über <strong>de</strong>n Erlass<br />
dieser Regeln auf die Befugnis beschränkt ist, eine solche Regelung<br />
aufzuheben, ohne dass die Aufsichtsbehör<strong>de</strong> die aufgehobene<br />
Regelung durch eine eigene ersetzen kann?<br />
Sind auf ein Verbot <strong>de</strong>r Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten<br />
und Wirtschaftsprüfern wie das hier in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong> sowohl<br />
die Vertragsbestimmungen über die Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit<br />
als auch diejenigen über die Dienstleistungsfreiheit anwendbar<br />
o<strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>r EG-Vertrag dahin auszulegen, dass ein solches Verbot,<br />
z. B. je nach <strong>de</strong>r Art und Weise, in <strong>de</strong>r die Betroffenen ihre<br />
Zusammenarbeit tatsächlich ausgestalten wollen, entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
Bestimmungen über die Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>njenigen<br />
über die Dienstleistungsfreiheit genügen muss?<br />
Stellt ein Verbot gemischter Sozietäten von Rechtsanwälten und<br />
Wirtschaftsprüfern wie das hier in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong> eine Beschränkung<br />
<strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit, <strong>de</strong>r Dienstleistungsfreiheit<br />
o<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>r Freiheiten dar?<br />
Falls sich aus <strong>de</strong>r Antwort auf die vorstehen<strong>de</strong> Frage ergibt, dass<br />
eine <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong> darin genannten Beschränkungen<br />
vorliegen: Ist die entsprechen<strong>de</strong> Beschränkung <strong>de</strong>shalb gerechtfertigt,<br />
weil sie lediglich eine „Verkaufsmodalität“ i.S.d. Urteils<br />
v. 24. November 1993 in <strong>de</strong>n Rechtssachen C-267/91 und C-<br />
268/91 (Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097) enthält und<br />
<strong>de</strong>shalb nicht diskriminierend ist, o<strong>de</strong>r aber weil sie die Voraussetzungen<br />
erfüllt, die <strong>de</strong>r Gerichtshof hierfür in an<strong>de</strong>ren Urteilen,<br />
insbeson<strong>de</strong>re im Urt. v. 30. November 1995 in <strong>de</strong>r Rechtssache<br />
C-55/94 (Gebhard, Slg. 1995, I-4165), entwickelt hat?<br />
Zum Antrag auf Wie<strong>de</strong>reröffnung <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung<br />
Mit Schriftsatz, <strong>de</strong>r am 3. 12. 2001 bei <strong>de</strong>r Kanzlei <strong>de</strong>s Gerichtshofes<br />
eingegangen ist, haben die Kläger <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren<br />
gem. Artikel 61 <strong>de</strong>r Verfahrensordnung die Wie<strong>de</strong>reröffnung<br />
<strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung beantragt.<br />
Zur Begründung dieses Antrags haben sie vorgetragen, <strong>de</strong>r Generalanwalt<br />
sei in <strong>de</strong>n Nr. 170 bis 201 seiner am 10. 7. 2001 gestellten<br />
Schlussanträge auf eine Frage eingegangen, die vom vorlegen<strong>de</strong>n<br />
Gericht nicht ausdrücklich gestellt wor<strong>de</strong>n sei.<br />
Der Gerichtshof kann gem. Artikel 61 seiner Verfahrensordnung<br />
die mündliche Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag <strong>de</strong>s<br />
Generalanwalts o<strong>de</strong>r auch auf Antrag <strong>de</strong>r Parteien wie<strong>de</strong>r eröffnen,<br />
wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält o<strong>de</strong>r ein<br />
zwischen <strong>de</strong>n Parteien nicht erörtertes Vorbringen für entscheidungserheblich<br />
erachtet (vgl. Beschl. v. 4. 2. 2000 in <strong>de</strong>r Rechtssache<br />
C-17/98, Emesa Sugar, Slg. 2000, I-665, Rdnr. 18).<br />
Im vorliegen<strong>de</strong>n Fall ist <strong>de</strong>r Gerichtshof jedoch nach Anhörung<br />
<strong>de</strong>s Generalanwalts <strong>de</strong>r Auffassung, dass er über sämtliche Informationen<br />
verfügt, die er für die Beantwortung <strong>de</strong>r gestellten<br />
Fragen benötigt, und dass diese Informationen im Laufe <strong>de</strong>r Verhandlung<br />
erörtert wor<strong>de</strong>n sind.<br />
Zur ersten Frage, Buchstabe a<br />
Mit Buchstabe a seiner ersten Frage möchte das vorlegen<strong>de</strong> Gericht<br />
im Wesentlichen wissen, ob eine Verordnung über die Zusammenarbeit<br />
zwischen Rechtsanwälten und Angehörigen an<strong>de</strong>rer<br />
freier Berufe wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993,<br />
die von einer Einrichtung wie <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer<br />
erlassen wur<strong>de</strong>, als Beschluss einer Unternehmensvereinigung<br />
i.S.v. Artikel 85 Abs. 1 EG-Vertrag anzusehen<br />
ist. Es wirft insbeson<strong>de</strong>re die Frage auf, ob es für die Anwendung<br />
<strong>de</strong>s Wettbewerbsrechts <strong>de</strong>r Gemeinschaft von Be<strong>de</strong>utung ist,<br />
dass <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer durch Gesetz<br />
die Befugnis zum Erlass von Verordnungen verliehen wur<strong>de</strong>, die<br />
sowohl für die in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n eingetragenen Rechtsanwälte<br />
als auch für in an<strong>de</strong>ren Mitgliedstaaten zugelassene<br />
Rechtsanwälte, die in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n Dienstleistungen erbringen,<br />
allgemein verbindlich sind. Außer<strong>de</strong>m möchte es wissen,<br />
ob die bloße Tatsache, dass die Kammer im Interesse ihrer<br />
Mitglie<strong>de</strong>r han<strong>de</strong>ln kann, ausreicht, um sie für ihre gesamte<br />
Tätigkeit als Unternehmensvereinigung anzusehen, o<strong>de</strong>r ob bei<br />
<strong>de</strong>r Anwendung von Artikel 85 Abs. 1 EG-Vertrag im Allgemeininteresse<br />
ausgeübte Tätigkeiten geson<strong>de</strong>rt zu behan<strong>de</strong>ln sind.<br />
Um festzustellen, ob eine Verordnung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 als Beschluss einer Unternehmensvereinigung<br />
i.S.v. Artikel 85 Abs. 1 EG-Vertrag anzusehen ist, ist erstens<br />
zu prüfen, ob Rechtsanwälte Unternehmen i.S.d. Wettbewerbsrechts<br />
<strong>de</strong>r Gemeinschaft sind.<br />
Nach st. Rspr. umfasst <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Unternehmens im Wettbewerbsrecht<br />
je<strong>de</strong> eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben<strong>de</strong> Einheit<br />
unabhängig von ihrer Rechtsform und <strong>de</strong>r Art ihrer Finanzierung<br />
(vgl. u. a. Urteile v. 23. 4. 1991 in <strong>de</strong>r Rechtssache C-<br />
41/90, Höfner und Elser, Slg. 1991, I-1979, Rdnr. 21, v. 16. 11.<br />
1995 in <strong>de</strong>r Rechtssache C-244/94, Fédération française <strong>de</strong>s sociétés<br />
d’assurance u. a., Slg. 1995, I-4013, Rdnr. 14, und v. 11.<br />
12. 1997 in <strong>de</strong>r Rechtssache C-55/96, Job Centre, „Job Centre<br />
II“, Slg. 1997, I-7119, Rdnr. 21).<br />
Nach ebenfalls st. Rspr. ist eine wirtschaftliche Tätigkeit je<strong>de</strong><br />
Tätigkeit, die darin besteht, Güter o<strong>de</strong>r Dienstleistungen auf einem<br />
bestimmten Markt anzubieten (vgl. insbeson<strong>de</strong>re Urteile v.
84 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />
16. 6. 1987 in <strong>de</strong>r Rechtssache 118/85, Kommission/Italien, Slg.<br />
1987, 2599, Rdnr. 7, und v. 18. 6. 1998 in <strong>de</strong>r Rechtssache C-<br />
35/96, Kommission/Italien, Slg. 1998, I-3851, Rdnr. 36).<br />
Rechtsanwälte bieten gegen Entgelt juristische Dienstleistungen<br />
in Form <strong>de</strong>r Erstattung von Gutachten, <strong>de</strong>r Ausarbeitung von Verträgen<br />
und an<strong>de</strong>ren Dokumenten sowie <strong>de</strong>s Beistands und <strong>de</strong>r<br />
Vertretung vor Gericht an. Sie tragen zu<strong>de</strong>m die mit <strong>de</strong>r Ausübung<br />
dieser Tätigkeiten verbun<strong>de</strong>nen finanziellen Risiken, da<br />
sie im Falle eines Ungleichgewichts zwischen <strong>de</strong>n Ausgaben<br />
und <strong>de</strong>n Einnahmen die Verluste selbst zu tragen haben.<br />
Die in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n eingetragenen Rechtsanwälte üben somit<br />
eine wirtschaftliche Tätigkeit aus und sind daher Unternehmen<br />
i.S.d. Artikel 85, 86 und 90 EG-Vertrag; auch dass ihre<br />
Dienstleistungen komplex und fachspezifisch sind und dass ihre<br />
Berufsausübung Regeln unterliegt, kann an diesem Ergebnis<br />
nichts än<strong>de</strong>rn (in diesem Sinne in Bezug auf Ärzte Urt. v. 12.<br />
September 2000 in <strong>de</strong>n Rechtssachen C-180/98 bis C-184/98,<br />
Pavlov u. a., Slg. 2000, I-6451, Rdnr. 77).<br />
Zweitens ist zu prüfen, inwiefern ein Berufsverband wie die Nie<strong>de</strong>rländische<br />
Rechtsanwaltskammer als Unternehmensvereinigung<br />
i.S.v. Artikel 85 Abs. 1 EG-Vertrag anzusehen ist, wenn er<br />
eine Verordnung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 erlässt<br />
(vgl. zu einem Berufsverband von Zollspediteuren Urt. v.<br />
18. 6. 1998, Kommission/Italien, Rdnr. 39).<br />
Der Beklagte <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren macht geltend, <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rländische<br />
Gesetzgeber habe die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
als öffentlich-rechtliche Körperschaft gegrün<strong>de</strong>t<br />
und ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zur Erfüllung<br />
einer im öffentlichen Interesse liegen<strong>de</strong>n Aufgabe verliehen; die<br />
Kammer könne daher gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Ausübung ihrer Rechtsetzungsbefugnis<br />
nicht als Unternehmensvereinigung i.S.v. Artikel<br />
85 EG-Vertrag angesehen wer<strong>de</strong>n.<br />
Der Streithelfer <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren sowie die <strong>de</strong>utsche, die<br />
österreichische und die portugiesische Regierung sind <strong>de</strong>r Auffassung,<br />
dass eine Einrichtung wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
öffentliche Gewalt ausübe und daher nicht unter<br />
Artikel 85 Abs. 1 EG-Vertrag fallen könne.<br />
Der Streithelfer <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren trägt vor, eine Einrichtung<br />
sei <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt zuzurechnen, wenn die von ihr<br />
ausgeübte Tätigkeit eine im Allgemeininteresse liegen<strong>de</strong> Aufgabe<br />
darstelle, die zu <strong>de</strong>n wesentlichen Staatsaufgaben gehöre.<br />
Der nie<strong>de</strong>rländische Staat habe die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
damit betraut, <strong>de</strong>n Bürgern einen angemessenen<br />
Zugang zum Recht und zu <strong>de</strong>n Gerichten zu gewährleisten, was<br />
eine wesentliche Staatsaufgabe darstelle.<br />
Die <strong>de</strong>utsche Regierung weist darauf hin, dass es <strong>de</strong>n zuständigen<br />
gesetzgeben<strong>de</strong>n Organen eines Mitgliedstaats zustehe, im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r nationalen Souveränität zu entschei<strong>de</strong>n, wie sie die<br />
Ausübung ihrer Hoheitsrechte organisatorisch ausgestalteten. Die<br />
Entscheidung, einer <strong>de</strong>mokratisch legitimierten Einrichtung wie<br />
etwa einer berufsständischen Vertretung die Befugnis zum Erlass<br />
von allgemein verbindlichen Regeln zu übertragen, wer<strong>de</strong> von<br />
diesem Grundsatz <strong>de</strong>r institutionellen Selbstständigkeit ge<strong>de</strong>ckt.<br />
Nach Auffassung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Regierung wür<strong>de</strong> es diesem<br />
Grundsatz wi<strong>de</strong>rsprechen, wenn Einrichtungen, die mit solchen<br />
Rechtsetzungsbefugnissen betraut wor<strong>de</strong>n seien, als Unternehmensvereinigungen<br />
i.S.v. Artikel 85 EG-Vertrag qualifiziert wür<strong>de</strong>n.<br />
Die Annahme, nationale Rechtsetzung sei nur gültig, wenn<br />
sie nach Artikel 85 Abs. 3 EG-Vertrag von <strong>de</strong>r Kommission freigestellt<br />
wor<strong>de</strong>n sei, wäre ein Wi<strong>de</strong>rspruch in sich. Damit wür<strong>de</strong><br />
die Satzungsgebung insgesamt in Frage gestellt.<br />
Insoweit ist zu prüfen, ob eine berufsständische Vertretung beim<br />
Erlass einer Verordnung wie <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 als Unternehmensvereinigung o<strong>de</strong>r vielmehr als Organ<br />
<strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt anzusehen ist.<br />
Nach <strong>de</strong>r Rspr. <strong>de</strong>s Gerichtshofes unterliegt eine Tätigkeit nicht<br />
<strong>de</strong>n Wettbewerbsregeln <strong>de</strong>s EG-Vertrags, wenn sie nach ihrer<br />
Art, <strong>de</strong>n für sie gelten<strong>de</strong>n Regeln und ihrem Gegenstand keinen<br />
Bezug zum Wirtschaftsleben hat (in diesem Sinne Urt. v. 17. 2.<br />
1993 in <strong>de</strong>n Rechtssachen C-159/91 und C-160/91, Poucet und<br />
Pistre, Slg. 1993, I-637, Rdnr. 18 und 19 in Bezug auf die Verwaltung<br />
<strong>de</strong>r öffentlichen Aufgabe <strong>de</strong>r sozialen Sicherheit) o<strong>de</strong>r<br />
wenn sie mit <strong>de</strong>r Ausübung hoheitlicher Befugnisse zusammenhängt<br />
(in diesem Sinne Urteile v. 19. 1. 1994 in <strong>de</strong>r Rechtssache<br />
C-364/92, SAT Fluggesellschaft, Slg. 1994, I-43, Rdnr. 30, zur<br />
Kontrolle und Überwachung <strong>de</strong>s Luftraums, und v. 18. 3. 1997<br />
in <strong>de</strong>r Rechtssache C-343/95, Diego Calì & Figli, Slg. 1997,<br />
I-1547, Rdnr. 22 und 23 bezüglich <strong>de</strong>r Überwachung zur<br />
Bekämpfung <strong>de</strong>r Umweltverschmutzung im Meeresbereich).<br />
Zunächst ist festzustellen, dass ein Berufsverband wie die Nie<strong>de</strong>rländische<br />
Rechtsanwaltskammer beim Erlass einer Verordnung<br />
wie <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 an<strong>de</strong>rs als bestimmte<br />
Einrichtungen <strong>de</strong>r Sozialversicherung keine auf <strong>de</strong>m Solidaritätsgrundsatz<br />
beruhen<strong>de</strong> Aufgabe erfüllt (vgl. Urteil Poucet<br />
und Pistre, Rdnr. 18) und auch keine typischerweise hoheitlichen<br />
Befugnisse ausübt (vgl. Urteil SAT Fluggesellschaft, Rdnr. 30). Sie<br />
han<strong>de</strong>lt vielmehr als Organ zur Regelung eines Berufes, <strong>de</strong>ssen<br />
Ausübung im Übrigen eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt.<br />
Dass <strong>de</strong>r Allgemeine Rat nach Artikel 26 <strong>de</strong>r Advocatenwet<br />
auch die Aufgabe hat, sich für die Rechte und Interessen <strong>de</strong>r<br />
Rechtsanwälte einzusetzen, be<strong>de</strong>utet nicht, dass dieser Berufsverband<br />
von vornherein auch dann vom Anwendungsbereich<br />
<strong>de</strong>s Artikels 85 EG-Vertrag ausgenommen ist, wenn er seine Aufgabe<br />
<strong>de</strong>r Regelung <strong>de</strong>r Ausübung <strong>de</strong>s Anwaltsberufs wahrnimmt<br />
(in diesem Sinne in Bezug auf Ärzte Urteil Pavlov u. a., Rdnr. 86).<br />
Es sprechen noch weitere Gesichtspunkte dafür, dass ein Berufsverband,<br />
<strong>de</strong>r wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
über die Befugnis zum Erlass von Verordnungen verfügt,<br />
nicht vom Anwendungsbereich <strong>de</strong>s Artikels 85 EG-Vertrag ausgenommen<br />
ist.<br />
Zum einen ergibt sich aus <strong>de</strong>r Advocatenwet, dass die Leitungsorgane<br />
<strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer ausschließlich<br />
aus Rechtsanwälten bestehen, die nur von <strong>de</strong>n Angehörigen<br />
dieses Berufes gewählt wer<strong>de</strong>n. Die staatlichen<br />
Behör<strong>de</strong>n können die Bestimmung <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Vorstän<strong>de</strong>,<br />
<strong>de</strong>r Delegiertenversammlung und <strong>de</strong>s Allgemeinen Rates nicht<br />
beeinflussen (vgl. zu einem Berufsverband von Zollspediteuren<br />
Urt. v. 18. 6. 1998, Kommission/Italien, Rdnr. 42, zu einem Berufsverband<br />
von Ärzten Urteil Pavlov u. a., Rdnr. 88).<br />
Zum an<strong>de</strong>ren ist die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
beim Erlass von Rechtsakten wie <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 nicht verpflichtet, bestimmte Kriterien <strong>de</strong>s Allgemeininteresses<br />
zu berücksichtigen. In Artikel 28 <strong>de</strong>r Advocatenwet,<br />
<strong>de</strong>r ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen verleiht, ist<br />
lediglich vorgesehen, dass die Verordnungen im Interesse <strong>de</strong>r<br />
„ordnungsgemäßen Berufsausübung“ sein müssen (vgl. zu einem<br />
Berufsverband von Zollspediteuren Urt. v. 18. 6. 1998,<br />
Kommission/Italien, Rdnr. 43).<br />
Angesichts <strong>de</strong>s Einflusses, <strong>de</strong>n die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 durch das Verbot bestimmter multidisziplinärer Sozietäten<br />
für das Verhalten <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer<br />
auf <strong>de</strong>m Markt für juristische Dienstleistungen<br />
hat, fehlt ihr schließlich auch nicht je<strong>de</strong>r Bezug zum Wirtschaftsleben.<br />
Aufgrund <strong>de</strong>r vorstehen<strong>de</strong>n Erwägungen zeigt sich, dass ein Berufsverband<br />
wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer als
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 85<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
Unternehmensvereinigung i.S.v. Artikel 85 Abs. 1 EG-Vertrag<br />
anzusehen ist, wenn er eine Verordnung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 erlässt. Eine solche Verordnung bringt<br />
nämlich <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>r Vertreter eines Berufsstands zum Ausdruck,<br />
die Angehörigen dieses Berufsstands bei ihrer Wirtschaftstätigkeit<br />
zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen.<br />
Dabei spielt es auch keine Rolle, dass die Nie<strong>de</strong>rländische<br />
Rechtsanwaltskammer eine öffentlich-rechtliche Einrichtung ist.<br />
Artikel 85 EG-Vertrag gilt nämlich nach seinem Wortlaut für Vereinbarungen<br />
zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen.<br />
Der rechtliche Rahmen, in <strong>de</strong>m solche<br />
Vereinbarungen geschlossen und solche Beschlüsse gefasst<br />
wer<strong>de</strong>n, ist für die Anwendbarkeit <strong>de</strong>r Wettbewerbsregeln <strong>de</strong>r<br />
Gemeinschaft, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>s Artikels 85 EG-Vertrag, ebenso<br />
unerheblich wie die rechtliche Einordnung dieses Rahmens<br />
durch die nationalen Rechtsordnungen (Urteile v. 30. 1. 1985 in<br />
<strong>de</strong>r Rechtssache 123/83, Clair, Slg. 1985, 391, Rdnr. 17, und v.<br />
18. 6. 1998, Kommission/Italien, Rdnr. 40).<br />
Diese Auslegung <strong>de</strong>s Artikels 85 Abs. 1 EG-Vertrag führt nicht<br />
dazu, dass <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Regierung angeführte Grundsatz<br />
<strong>de</strong>r institutionellen Selbstständigkeit missachtet wür<strong>de</strong> (vgl.<br />
Rdnr. 54 und 55 <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n Urteils). Hier ist zwischen<br />
zwei Fällen zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />
Im einen Fall legt ein Mitgliedstaat bei <strong>de</strong>r Übertragung von<br />
Rechtsetzungsbefugnissen an einen Berufsverband Kriterien <strong>de</strong>s<br />
Allgemeininteresses und wesentliche Grundsätze fest, die bei<br />
<strong>de</strong>r Satzungsgebung zu beachten sind, und behält die Letztentscheidungsbefugnis.<br />
Die vom Berufsverband aufgestellten Regeln<br />
bleiben staatliche Regeln und unterliegen nicht <strong>de</strong>n für die<br />
Unternehmen gelten<strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>s EG-Vertrags.<br />
Im an<strong>de</strong>ren Fall sind die von <strong>de</strong>m Berufsverband erlassenen Regeln<br />
allein diesem zuzurechnen. Soweit Artikel 85 Abs. 1 EG-<br />
Vertrag anwendbar ist, hat <strong>de</strong>r Verband die Regeln <strong>de</strong>r Kommission<br />
zu notifizieren. Diese Verpflichtung führt jedoch nicht zu<br />
einer übermäßigen Behin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Satzungsgebung <strong>de</strong>r Berufsverbän<strong>de</strong>,<br />
wie das die <strong>de</strong>utsche Regierung behauptet, da die<br />
Kommission insbeson<strong>de</strong>re die Möglichkeit hat, eine Gruppenfreistellungsverordnung<br />
nach Artikel 85 Abs. 3 EG-Vertrag zu erlassen.<br />
Dass die bei<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Rdnr. 68 und 69 <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n Urteils<br />
beschriebenen Systeme jeweils unterschiedliche Folgen im<br />
Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht haben, än<strong>de</strong>rt nichts an<br />
<strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>r Mitgliedstaaten, sich für das eine o<strong>de</strong>r das an<strong>de</strong>re<br />
System zu entschei<strong>de</strong>n.<br />
Somit ist auf Buchstabe a <strong>de</strong>r ersten Frage zu antworten, dass<br />
eine Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten<br />
und Angehörigen an<strong>de</strong>rer freier Berufe wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993, die von einer Einrichtung wie <strong>de</strong>r<br />
Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer erlassen wur<strong>de</strong>, als<br />
Beschluss einer Unternehmensvereinigung i.S.v. Artikel 85 Abs.<br />
1 EG-Vertrag anzusehen ist.<br />
Zur ersten Frage, Buchstaben b und c<br />
In Anbetracht <strong>de</strong>r Antwort auf Buchstabe a <strong>de</strong>r ersten Frage sind<br />
die unter Buchstaben b und c gestellten Fragen nicht mehr zu<br />
untersuchen.<br />
Zur zweiten Frage<br />
Die zweite Frage <strong>de</strong>s vorlegen<strong>de</strong>n Gerichts geht im Wesentlichen<br />
dahin, ob eine Regelung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993, die zur Gewährleistung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit und Parteibindung<br />
<strong>de</strong>r in Zusammenarbeit mit Angehörigen an<strong>de</strong>rer<br />
freier Berufe Rechtsbeistand gewähren<strong>de</strong>n Anwälte allgemein<br />
verbindliche Regeln für die Bildung von Sozietäten enthält, eine<br />
Einschränkung <strong>de</strong>s Wettbewerbs innerhalb <strong>de</strong>s Gemeinsamen<br />
Marktes bezweckt o<strong>de</strong>r bewirkt und zur Beeinträchtigung <strong>de</strong>s<br />
Han<strong>de</strong>ls zwischen Mitgliedstaaten geeignet ist.<br />
Die Kläger <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren haben versucht, mittels einer<br />
Darstellung <strong>de</strong>r aufeinan<strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Fassungen <strong>de</strong>r Verordnung<br />
<strong>de</strong>n Nachweis zu erbringen, dass die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 eine Einschränkung <strong>de</strong>s Wettbewerbs bezweckt.<br />
Ursprünglich habe die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1972 drei<br />
Bedingungen für die Beteiligung von Rechtsanwälten an multidisziplinären<br />
Sozietäten aufgestellt. Als Partner seien Angehörige<br />
an<strong>de</strong>rer freier Berufe mit einer Hochschulausbildung<br />
o<strong>de</strong>r einer vergleichbaren Qualifikation in Betracht gekommen.<br />
Diese hätten als Mitglie<strong>de</strong>r eines Berufsverbands o<strong>de</strong>r einer Vereinigung<br />
einem Stan<strong>de</strong>srecht unterliegen müssen, das mit <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>r Rechtsanwälte vergleichbar gewesen sei. Schließlich hätten<br />
<strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Rechtsanwälte und das Gewicht ihrer Beteiligung<br />
an <strong>de</strong>r Sozietät sowohl im Innenverhältnis <strong>de</strong>r Partner untereinan<strong>de</strong>r<br />
als auch in <strong>de</strong>n Beziehungen mit Dritten min<strong>de</strong>stens <strong>de</strong>m<br />
Anteil und <strong>de</strong>m Gewicht <strong>de</strong>r Angehörigen an<strong>de</strong>rer Berufsgruppen<br />
entsprechen müssen.<br />
1973 habe <strong>de</strong>r Allgemeine Rat <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen<br />
Vereinigung <strong>de</strong>r Patentanwälte und <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen<br />
Vereinigung <strong>de</strong>r Steuerberater eine Anerkennung im Hinblick<br />
auf die Bildung multidisziplinärer Sozietäten mit Rechtsanwälten<br />
erteilt. Später seien auch die Notare hierfür anerkannt<br />
wor<strong>de</strong>n. Nach Darstellung <strong>de</strong>r Kläger <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren<br />
hatten die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rländischen Instituts <strong>de</strong>r Wirtschaftsprüfer<br />
vom Allgemeinen Rat zwar keine förmliche Anerkennung<br />
erhalten, doch hätten keine grundsätzlichen Einwän<strong>de</strong><br />
gegen eine solche bestan<strong>de</strong>n.<br />
1991 sei die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer erstmals<br />
mit einem Antrag auf Anerkennung einer Sozietät mit einem<br />
Wirtschaftsprüfer befasst wor<strong>de</strong>n; sie habe daraufhin in einem<br />
beschleunigten Verfahren die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1972<br />
allein zu <strong>de</strong>m Zweck geän<strong>de</strong>rt, eine Rechtsgrundlage für ein<br />
Verbot von Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern<br />
zu erhalten. Die Rechtsanwälte hätten sich nur<br />
noch an einer multidisziplinären Sozietät beteiligen dürfen,<br />
wenn dadurch „die Freiheit und Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Berufsausübung<br />
einschließlich <strong>de</strong>r Wahrnehmung <strong>de</strong>r Parteiinteressen<br />
und <strong>de</strong>s damit zusammenhängen<strong>de</strong>n Vertrauensverhältnisses<br />
zwischen <strong>de</strong>m Rechtsanwalt und seinem Mandanten nicht in<br />
Gefahr gebracht wer<strong>de</strong>n können“.<br />
Die Verweigerung <strong>de</strong>r Zulassung von Sozietäten zwischen<br />
Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern sei damit begrün<strong>de</strong>t<br />
wor<strong>de</strong>n, dass sich die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in <strong>de</strong>r<br />
Zwischenzeit verän<strong>de</strong>rt hätten und zu gigantischen Organisationen<br />
angewachsen seien, so dass eine Sozietät zwischen einer<br />
Anwaltskanzlei und einer solchen Gesellschaft nach <strong>de</strong>n Worten<br />
<strong>de</strong>s damaligen Algemene Deken (Allgemeiner Dekan, Präsi<strong>de</strong>nt)<br />
<strong>de</strong>r Kammer „eher <strong>de</strong>r Hochzeit einer Maus mit einem<br />
Elefanten als einem Zusammenschluss von gleichberechtigten<br />
Partnern“ entsprochen hätte.<br />
Die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer habe daraufhin die<br />
Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 erlassen. Mit ihr sei die Än<strong>de</strong>rung<br />
von 1991 übernommen und eine zusätzliche Bedingung<br />
eingeführt wor<strong>de</strong>n, nach <strong>de</strong>r Rechtsanwälte nur noch dann einer<br />
Sozietät angehören dürften, wenn „die Tätigkeit je<strong>de</strong>s an <strong>de</strong>r<br />
Sozietät Beteiligten hauptsächlich in <strong>de</strong>r Ausübung eines juristischen<br />
Berufes besteht“ (Artikel 3 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993); nach Auffassung <strong>de</strong>r Kläger <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren<br />
wird dadurch <strong>de</strong>r wettbewerbswidrige Zweck <strong>de</strong>r streitigen nationalen<br />
Regelung <strong>de</strong>utlich.<br />
Hilfsweise machen die Kläger <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren geltend,<br />
die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 entfalte auch unabhängig
86 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
von ihrem Zweck je<strong>de</strong>nfalls wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong> Wirkungen.<br />
Gemischte Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern<br />
könnten besser auf die Bedürfnisse von Mandanten<br />
eingehen, die in einem wirtschaftlichen und rechtlichen<br />
Umfeld tätig seien, das zunehmend komplexer und internationaler<br />
wer<strong>de</strong>.<br />
Die Rechtsanwälte, die wegen ihrer Erfahrung auf einer Vielzahl<br />
von Gebieten geschätzt wür<strong>de</strong>n, seien am besten in <strong>de</strong>r Lage,<br />
ihren Mandanten ein breites Spektrum juristischer Dienstleistungen<br />
anzubieten; sie seien daher für die Angehörigen an<strong>de</strong>rer<br />
auf <strong>de</strong>m Markt für juristische Dienstleistungen tätiger Berufsgruppen<br />
als Partner im Rahmen einer multidisziplinären Sozietät<br />
beson<strong>de</strong>rs interessant.<br />
Umgekehrt seien Wirtschaftsprüfer für Rechtsanwälte attraktive<br />
Partner in einer Sozietät. Sie verfügten über Erfahrung in Bereichen<br />
wie <strong>de</strong>m Bilanzrecht, <strong>de</strong>m Steuerrecht, <strong>de</strong>r Organisation<br />
und <strong>de</strong>r Umstrukturierung von Unternehmen sowie <strong>de</strong>r Unternehmensberatung.<br />
Zahlreiche Mandanten seien an einer integrierten<br />
Leistung interessiert, die von einem einheitlichen Anbieter<br />
erbracht wer<strong>de</strong> und sowohl die rechtlichen als auch die<br />
wirtschaftlichen, steuerlichen und bilanztechnischen Gesichtspunkte<br />
eines Vorgangs umfasse.<br />
Das streitige Verbot verhin<strong>de</strong>re aber je<strong>de</strong> vertragliche Vereinbarung<br />
zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern, in <strong>de</strong>r<br />
in welcher Form auch immer die Aufteilung <strong>de</strong>r Entscheidungsbefugnis,<br />
die Verpflichtung zur Weitergabe eines Teils <strong>de</strong>s Honorars<br />
in bestimmten Fällen o<strong>de</strong>r die Führung einer gemeinsamen<br />
Firma vorgesehen sei, was eine wirksame Zusammenarbeit<br />
erschwere.<br />
Die luxemburgische Regierung hat <strong>de</strong>mgegenüber in <strong>de</strong>r mündlichen<br />
Verhandlung vorgetragen, ein Verbot gemischter Sozietäten,<br />
wie es in <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 vorgesehen<br />
sei, habe eine positive Wirkung für <strong>de</strong>n Wettbewerb. In<strong>de</strong>m sie<br />
<strong>de</strong>n Rechtsanwälten verbiete, sich mit Wirtschaftsprüfern zusammenzuschließen,<br />
erlaube es die streitige nationale Regelung,<br />
<strong>de</strong>r Konzentration <strong>de</strong>r juristischen Dienstleistungen <strong>de</strong>r<br />
Anwälte auf wenige große internationale Firmen entgegenzuwirken<br />
und so eine be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Anzahl von Wirtschaftsteilnehmern<br />
auf <strong>de</strong>m Markt zu erhalten.<br />
Hierzu ist festzustellen, dass die streitige nationale Regelung<br />
<strong>de</strong>n Wettbewerb beschränkt und zur Beeinträchtigung <strong>de</strong>s<br />
innergemeinschaftlichen Han<strong>de</strong>ls geeignet ist.<br />
Hinsichtlich <strong>de</strong>r Wettbewerbsbeschränkung ist zunächst zu<br />
berücksichtigen, dass die Sachkun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Rechtsanwälte und die<br />
<strong>de</strong>r Wirtschaftsprüfer einan<strong>de</strong>r ergänzen können. Juristische<br />
Dienstleistungen vor allem im Bereich <strong>de</strong>s Wirtschaftsrechts erfor<strong>de</strong>rn<br />
immer häufiger die Beiziehung eines Wirtschaftsprüfers,<br />
so dass durch eine gemischte Sozietät zwischen Rechtsanwälten<br />
und Wirtschaftsprüfern ein erweitertes Leistungsspektrum<br />
und sogar innovative Leistungen angeboten wer<strong>de</strong>n könnten.<br />
Auf diese Weise hätte <strong>de</strong>r Mandant die Möglichkeit, sich für einen<br />
großen Teil <strong>de</strong>r Leistungen, die er für die Organisation, die<br />
Verwaltung und <strong>de</strong>n Betrieb seines Unternehmens benötigt, an<br />
einen einheitlichen Anbieter zu wen<strong>de</strong>n (Vorteil <strong>de</strong>s so genannten<br />
„one-stop-shopping“).<br />
Außer<strong>de</strong>m könnten gemischte Sozietäten zwischen Rechtsanwälten<br />
und Wirtschaftsprüfern einen Bedarf <strong>de</strong>cken, <strong>de</strong>r durch<br />
die zunehmen<strong>de</strong> Verflechtung <strong>de</strong>r nationalen Märkte und die<br />
dadurch erfor<strong>de</strong>rliche wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> ständige Anpassung an nationale<br />
und internationale Vorschriften entsteht.<br />
Schließlich kann nicht ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n, dass sich die mit<br />
solchen Sozietäten verbun<strong>de</strong>nen Größenvorteile positiv auf die<br />
Kosten <strong>de</strong>r Leistungen auswirken.<br />
Ein Verbot gemischter Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und<br />
Wirtschaftsprüfern, wie es in <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 vorgesehen ist, kann daher i.S.v. Artikel 85 Abs. 1 Buchstabe<br />
b EG-Vertrag die Erzeugung und die technische Entwicklung<br />
einschränken.<br />
Gewiss ist <strong>de</strong>r Markt <strong>de</strong>r Wirtschaftsprüfer durch eine so starke<br />
Konzentration gekennzeichnet, dass die herrschen<strong>de</strong>n Unternehmen<br />
gewöhnlich als „big five“ bezeichnet wer<strong>de</strong>n und das<br />
Vorhaben eines Zusammenschlusses zweier dieser Unternehmen,<br />
<strong>de</strong>r Firmen Price Waterhouse und Coopers & Lybrand, Anlass<br />
zu <strong>de</strong>r Entscheidung 1999/152/EG <strong>de</strong>r Kommission v.<br />
20. Mai 1998 über die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses<br />
mit <strong>de</strong>m Gemeinsamen Markt und <strong>de</strong>m Funktionieren <strong>de</strong>s EWR-<br />
Abkommens (Sache IV/M.1016 Price Waterhouse/Coopers &<br />
Lybrand) (ABl. 1999, L 50, S. 27) gegeben hat, die auf <strong>de</strong>r Grundlage<br />
<strong>de</strong>r Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 <strong>de</strong>s Rates v. 21. 12.<br />
1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen<br />
(ABl. L 395, S. 1) in <strong>de</strong>r Fassung <strong>de</strong>r Verordnung (EG) Nr. 1310/97<br />
<strong>de</strong>s Rates v. 30. 6. 1997 (ABl. L 180, S. 1) ergangen ist.<br />
Das Verbot von Interessenkonflikten, das für Rechtsanwälte in<br />
allen Mitgliedstaaten gilt, kann aber eine strukturelle Grenze für<br />
eine verstärkte Konzentration von Anwaltskanzleien darstellen<br />
und folglich <strong>de</strong>ren Möglichkeiten bei <strong>de</strong>r Nutzung von Größenvorteilen<br />
o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Begründung von Zusammenarbeitsstrukturen<br />
mit Angehörigen von Berufsgruppen einschränken, bei <strong>de</strong>nen<br />
eine starke Konzentration besteht.<br />
Unter diesen Umstän<strong>de</strong>n könnte bei einer vorbehaltlosen und<br />
unbeschränkten Zulassung gemischter Sozietäten zwischen Angehörigen<br />
<strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs, <strong>de</strong>ssen weitgehend <strong>de</strong>zentraler<br />
Charakter eng mit bestimmten grundlegen<strong>de</strong>n Berufsmerkmalen<br />
zusammenhängt, und Angehörigen eines Berufes<br />
mit so starker Konzentration wie <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Wirtschaftsprüfer das<br />
Ausmaß <strong>de</strong>s Wettbewerbs auf <strong>de</strong>m Markt für juristische Dienstleistungen<br />
infolge einer erheblichen Verringerung <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r<br />
auf diesem Markt tätigen Anbieter insgesamt zurückgehen.<br />
Soweit allerdings die Erhaltung eines ausreichen<strong>de</strong>n Wettbewerbs<br />
auf <strong>de</strong>m Markt für juristische Dienstleistungen auch<br />
durch weniger einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Maßnahmen als eine nationale<br />
Regelung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 gesichert<br />
wer<strong>de</strong>n kann, die gemischte Sozietäten in je<strong>de</strong>r Form und unabhängig<br />
von <strong>de</strong>r Größe <strong>de</strong>r beteiligten Anwaltskanzleien und<br />
Wirtschaftsprüferunternehmen verbietet, schränkt eine solche<br />
Verordnung <strong>de</strong>n Wettbewerb ein.<br />
Was die Beeinträchtigung <strong>de</strong>s innergemeinschaftlichen Han<strong>de</strong>ls<br />
angeht, so hat ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet<br />
eines Mitgliedstaats erstreckt, schon seinem Wesen nach<br />
die Wirkung, die Abschottung <strong>de</strong>r Märkte auf nationaler Ebene<br />
zu verfestigen, in<strong>de</strong>m es die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche<br />
Verflechtung behin<strong>de</strong>rt (Urteile v. 17. 10. 1972 in <strong>de</strong>r<br />
Rechtssache 8/72, Vereeniging van Cementhan<strong>de</strong>laren/Kommission,<br />
Slg. 1972, 977, Rdnr. 29, v. 11. 7. 1985 in <strong>de</strong>r Rechtssache<br />
42/84, Remia u. a./Kommission, Slg. 1985, 2545,<br />
Rdnr. 22, und v. 18. 6. 1998, Kommission/Italien, Rdnr. 48).<br />
Diese Wirkung wird in <strong>de</strong>n Ausgangsverfahren noch dadurch<br />
verstärkt, dass die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 auch für in<br />
an<strong>de</strong>ren Mitgliedstaaten zugelassene Gastanwälte gilt, dass das<br />
Han<strong>de</strong>ls- und Wirtschaftsrecht zunehmend grenzüberschreiten<strong>de</strong><br />
Vorgänge regelt und dass schließlich die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften,<br />
die Rechtsanwälte als Partner suchen, als<br />
internationale Konzerne in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind.<br />
Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass nicht je<strong>de</strong> Vereinbarung<br />
zwischen Unternehmen o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>r Beschluss einer Unternehmensvereinigung,<br />
durch die die Handlungsfreiheit <strong>de</strong>r Parteien<br />
o<strong>de</strong>r einer <strong>de</strong>r Parteien beschränkt wird, automatisch vom<br />
Verbot <strong>de</strong>s Artikels 85 Abs. 1 EG-Vertrag erfasst wird. Bei <strong>de</strong>r An-
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 87<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
wendung dieser Vorschrift im Einzelfall sind nämlich <strong>de</strong>r Gesamtzusammenhang,<br />
in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r fragliche Beschluss zustan<strong>de</strong><br />
gekommen ist o<strong>de</strong>r seine Wirkungen entfaltet, und insbeson<strong>de</strong>re<br />
<strong>de</strong>ssen Zielsetzung zu würdigen, die hier mit <strong>de</strong>r Notwendigkeit<br />
<strong>de</strong>r Schaffung von Vorschriften über Organisation, Befähigung,<br />
Stan<strong>de</strong>spflichten, Kontrolle und Verantwortlichkeit zusammenhängt,<br />
die <strong>de</strong>n Empfängern juristischer Dienstleistungen und <strong>de</strong>r<br />
Rechtspflege die erfor<strong>de</strong>rliche Gewähr für Integrität und Erfahrung<br />
bieten (in diesem Sinne Urt. v. 12. 12. 1996 in <strong>de</strong>r Rechtssache<br />
C-3/95, Reisebüro Broe<strong>de</strong>, Slg. 1996, I-6511, Rdnr. 38). Es<br />
ist weiter zu prüfen, ob die mit <strong>de</strong>m Beschluss verbun<strong>de</strong>nen wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong>n<br />
Wirkungen notwendig mit <strong>de</strong>r Verfolgung<br />
<strong>de</strong>r genannten Ziele zusammenhängen.<br />
Hierfür ist <strong>de</strong>r rechtliche Rahmen zu berücksichtigen, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n<br />
Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n für die Rechtsanwälte und die Nie<strong>de</strong>rländische<br />
Rechtsanwaltskammer, die aus sämtlichen in diesem Mitgliedstaat<br />
eingetragenen Rechtsanwälten besteht, auf <strong>de</strong>r einen Seite<br />
und für die Wirtschaftsprüfer auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite gilt.<br />
Was die Rechtsanwälte angeht, so steht es nach ständiger Rspr.<br />
je<strong>de</strong>m Mitgliedstaat in Ermangelung beson<strong>de</strong>rer gemeinschaftsrechtlicher<br />
Vorschriften in diesem Bereich grundsätzlich frei, die<br />
Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs für sein Hoheitsgebiet zu regeln<br />
(vgl. Urteile v. 12. 7. 1984 in <strong>de</strong>r Rechtssache 107/83, Klopp,<br />
Slg. 1984, 2971, Rdnr. 17, und Reisebüro Broe<strong>de</strong>, Rdnr. 37). Die<br />
für diesen Beruf gelten<strong>de</strong>n Regeln können daher in <strong>de</strong>n einzelnen<br />
Mitgliedstaaten erheblich voneinan<strong>de</strong>r abweichen.<br />
In <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, wo die nationale Rechtsanwaltskammer<br />
nach Artikel 28 <strong>de</strong>r Advocatenwet mit <strong>de</strong>m Erlass von Verordnungen<br />
im Interesse <strong>de</strong>r ordnungsgemäßen Berufsausübung betraut<br />
ist, betreffen die wesentlichen hierzu erlassenen Vorschriften<br />
insbeson<strong>de</strong>re die Verpflichtung, <strong>de</strong>n Mandanten in voller<br />
Unabhängigkeit und unter ausschließlicher Wahrnehmung seiner<br />
Interessen zu vertreten, die bereits genannte Pflicht, je<strong>de</strong>s<br />
Risiko eines Interessenkonflikts zu vermei<strong>de</strong>n, und die Pflicht<br />
zur Einhaltung eines strengen Berufsgeheimnisses.<br />
Diese Stan<strong>de</strong>spflichten haben erhebliche Auswirkungen auf die<br />
Struktur <strong>de</strong>s Marktes für juristische Dienstleistungen und insbeson<strong>de</strong>re<br />
auf die Möglichkeiten <strong>de</strong>r gemeinsamen Ausübung <strong>de</strong>s<br />
Anwaltsberufes und an<strong>de</strong>rer freier Berufe auf diesem Markt.<br />
So verlangen sie, dass <strong>de</strong>r Rechtsanwalt sich in einer Position<br />
<strong>de</strong>r Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Stellen, an<strong>de</strong>ren<br />
Wirtschaftsteilnehmern und Dritten befin<strong>de</strong>t, von <strong>de</strong>nen er sich<br />
zu keiner Zeit beeinflussen lassen darf. Er muss insoweit die Gewähr<br />
dafür bieten, dass sämtliche Handlungen, die er in einer<br />
Angelegenheit vornimmt, ausschließlich vom Interesse seines<br />
Mandanten bestimmt sind.<br />
Für <strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>r Wirtschaftsprüfer gelten dagegen allgemein<br />
und insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n keine vergleichbaren<br />
stan<strong>de</strong>srechtlichen Erfor<strong>de</strong>rnisse.<br />
Wie <strong>de</strong>r Generalanwalt in <strong>de</strong>n Nr. 185 und 186 seiner Schlussanträge<br />
zu Recht ausführt, kann eine gewisse Unvereinbarkeit<br />
zwischen <strong>de</strong>r „Beratungstätigkeit“ <strong>de</strong>s Rechtsanwalts und <strong>de</strong>r<br />
„Prüfungstätigkeit“ <strong>de</strong>s Wirtschaftsprüfers bestehen. Aus <strong>de</strong>n<br />
schriftlichen Erklärungen <strong>de</strong>s Beklagten <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren<br />
geht hervor, dass die Wirtschaftsprüfer in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n die<br />
Aufgabe <strong>de</strong>r Abschlussprüfung wahrnehmen. Dabei führen sie<br />
eine objektive Prüfung und Bewertung <strong>de</strong>r Buchführung ihrer<br />
Mandanten durch, auf <strong>de</strong>ren Grundlage sie interessierten Dritten<br />
ihre persönliche Beurteilung über die Zuverlässigkeit dieser<br />
Buchungsdaten übermitteln. Daraus folgt, dass für Wirtschaftsprüfer<br />
in diesem Mitgliedstaat, an<strong>de</strong>rs als etwa im <strong>de</strong>utschen<br />
Recht, kein Berufsgeheimnis gilt, das mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Rechtsanwälte<br />
vergleichbar wäre.<br />
Damit ist festzustellen, dass die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 in <strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Mitgliedstaat die Einhaltung <strong>de</strong>s dort<br />
gelten<strong>de</strong>n Stan<strong>de</strong>srechts <strong>de</strong>r Rechtsanwälte sichern soll und<br />
dass die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer in Anbetracht<br />
<strong>de</strong>r dortigen berufsständischen Grundsätze annehmen konnte,<br />
dass ein Rechtsanwalt möglicherweise nicht mehr in <strong>de</strong>r Lage<br />
ist, seinen Mandanten unabhängig und unter Wahrung eines<br />
strengen Berufsgeheimnisses zu vertreten, wenn er einer Struktur<br />
angehört, die auch die Aufgabe hat, die finanziellen Ergebnisse<br />
<strong>de</strong>r Vorgänge, bezüglich <strong>de</strong>ren er tätig gewor<strong>de</strong>n ist, im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r Rechnungslegung zu erfassen und zu prüfen.<br />
Im Übrigen wird die Verbindung <strong>de</strong>r Abschlussprüfungstätigkeit<br />
mit Beratungstätigkeiten, vor allem im juristischen Bereich,<br />
auch innerhalb <strong>de</strong>s Berufsstands <strong>de</strong>r Wirtschaftsprüfer in Frage<br />
gestellt, wie das Grünbuch 96/C 321/01 <strong>de</strong>r Kommission über<br />
„Rolle, Stellung und Haftung <strong>de</strong>s Abschlussprüfers in <strong>de</strong>r Europäischen<br />
Union“ (ABl. 1996, C 321, S. 1; vgl. insbeson<strong>de</strong>re<br />
Rdnr. 4.12 bis 4.14) belegt.<br />
Eine Verordnung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993<br />
konnte daher bei vernünftiger Betrachtung als notwendig angesehen<br />
wer<strong>de</strong>n, um die ordnungsgemäße Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs,<br />
wie er in <strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Mitgliedstaat geordnet<br />
ist, sicherzustellen.<br />
Dass in einem an<strong>de</strong>ren Mitgliedstaat möglicherweise an<strong>de</strong>re<br />
Vorschriften gelten, be<strong>de</strong>utet im Übrigen nicht, dass die in einem<br />
Mitgliedstaat anwendbaren Vorschriften gegen das Gemeinschaftsrecht<br />
verstoßen (in diesem Sinne Urt. v. 1. 2. 2001<br />
in <strong>de</strong>r Rechtssache C-108/96, Mac Quen u. a., Slg. 2001, I-837,<br />
Rdnr. 33). Auch wenn gemischte Sozietäten zwischen Rechtsanwälten<br />
und Wirtschaftsprüfern in einigen Mitgliedstaaten<br />
zulässig sind, kann die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
zu Recht <strong>de</strong>n Standpunkt vertreten, dass die mit <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 verfolgten Ziele insbeson<strong>de</strong>re in Anbetracht<br />
<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n für die Rechtsanwälte und die<br />
Wirtschaftsprüfer jeweils gelten<strong>de</strong>n Berufsrechts nicht mit weniger<br />
einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Mitteln erreicht wer<strong>de</strong>n können (in diesem<br />
Sinne für ein Gesetz, nach <strong>de</strong>m die gerichtliche Einziehung<br />
von For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>n Rechtsanwälten vorbehalten war, Urteil<br />
Reisebüro Broe<strong>de</strong>, Rdnr. 41).<br />
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist nicht zu erkennen,<br />
dass die wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong>n Wirkungen, wie<br />
sie sich für die in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n tätigen Rechtsanwälte aus<br />
einer Verordnung wie <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 ergeben,<br />
über das hinausgingen, was erfor<strong>de</strong>rlich ist, um die ordnungsgemäße<br />
Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs sicherzustellen<br />
(in diesem Sinne Urt. v. 15. 12. 1994 in <strong>de</strong>r Rechtssache C-<br />
250/92, DLG, Slg. 1994, I-5641, Rdnr. 35).<br />
Aufgrund sämtlicher vorstehen<strong>de</strong>n Erwägungen ist auf die<br />
zweite Frage zu antworten, dass eine nationale Regelung wie<br />
die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993, die von einer Einrichtung<br />
wie <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer erlassen<br />
wur<strong>de</strong>, nicht gegen Artikel 85 Abs. 1 EG-Vertrag verstößt, da<br />
diese Einrichtung bei vernünftiger Betrachtung annehmen<br />
konnte, dass die Regelung trotz <strong>de</strong>r notwendig mit ihr verbun<strong>de</strong>nen<br />
wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong>n Wirkungen für die ordnungsgemäße<br />
Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs, wie er in<br />
<strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Staat geordnet ist, erfor<strong>de</strong>rlich ist.<br />
Zur dritten Frage<br />
Mit <strong>de</strong>r dritten Frage möchte das vorlegen<strong>de</strong> Gericht im Wesentlichen<br />
wissen, ob eine Einrichtung wie die Nie<strong>de</strong>rländische<br />
Rechtsanwaltskammer als Unternehmen o<strong>de</strong>r Gruppe von Unternehmen<br />
i.S.v. Artikel 86 EG-Vertrag anzusehen ist.<br />
Zunächst ist festzustellen, dass die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer<br />
kein Unternehmen i.S.v. Artikel 86 EG-Vertrag ist,<br />
da sie keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.<br />
Die Kammer kann auch nicht als Gruppe von Unternehmen i.S.<br />
dieser Bestimmung betrachtet wer<strong>de</strong>n, weil die in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>r-
88 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
lan<strong>de</strong>n eingetragenen Rechtsanwälte nicht so eng miteinan<strong>de</strong>r<br />
verbun<strong>de</strong>n sind, dass sie auf <strong>de</strong>m Markt in gleicher Weise vorgehen<br />
können, so dass das zwischen ihnen bestehen<strong>de</strong> Wettbewerbsverhältnis<br />
entfiele (in diesem Sinne Urt. v. 5. 10. 1995 in<br />
<strong>de</strong>r Rechtssache C-96/94, Centro Servizi Spediporto, Slg. 1995,<br />
I-2883, Rdnr. 33 und 34).<br />
Der Rechtsanwaltsberuf ist nämlich durch geringe Konzentration,<br />
große Heterogenität und starken Wettbewerb gekennzeichnet.<br />
Mangels hinreichen<strong>de</strong>r struktureller Bindungen können<br />
die RAe nicht als Inhaber einer kollektiven beherrschen<strong>de</strong>n<br />
Stellung i.S.v. Artikel 86 EG-Vertrag angesehen wer<strong>de</strong>n (in diesem<br />
Sinne Urteile v. 31. 3. 1998 in <strong>de</strong>n Rechtssachen C-68/94<br />
und C-30/95, Frankreich u. a./Kommission, Slg. 1998, I-1375,<br />
Rdnr. 227, und v. 16. 3. 2000 in <strong>de</strong>n Rechtssachen C-395/96 P<br />
und C-396/96 P, Compagnie maritime belge transports u. a./<br />
Kommission, Slg. 2000, I-1365, Rdnr. 36 und 42). Im Übrigen<br />
entfallen auf die Rechtsanwälte in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, wie aus<br />
<strong>de</strong>n Akten hervorgeht, nur 60 % <strong>de</strong>r Umsätze im Bereich <strong>de</strong>r juristischen<br />
Dienstleistungen; sie haben damit einen Marktanteil,<br />
<strong>de</strong>r angesichts <strong>de</strong>r großen Zahl von Anwaltskanzleien für sich<br />
genommen keinen maßgeblichen Anhaltspunkt für das Vorliegen<br />
einer kollektiven beherrschen<strong>de</strong>n Stellung darstellt (in diesem<br />
Sinne Urteile Frankreich u. a./Kommission, Rdnr. 226, und<br />
Compagnie maritime belge transports, Rdnr. 42).<br />
Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass eine Einrichtung<br />
wie die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer we<strong>de</strong>r ein Unternehmen<br />
noch eine Gruppe von Unternehmen i.S.v. Artikel 86<br />
EG-Vertrag darstellt.<br />
Zur vierten Frage<br />
In Anbetracht <strong>de</strong>r Antwort auf die dritte Frage ist die vierte Frage<br />
nicht zu untersuchen.<br />
Zur fünften Frage<br />
In Anbetracht <strong>de</strong>r Antwort auf die zweite Frage ist die fünfte<br />
Frage nicht zu prüfen.<br />
Zur sechsten Frage<br />
In Anbetracht <strong>de</strong>r Antworten auf die zweite und die dritte Frage<br />
ist die sechste Frage nicht zu beantworten.<br />
Zur siebten, achten und neunten Frage<br />
Mit <strong>de</strong>r siebten Frage möchte das vorlegen<strong>de</strong> Gericht im Wesentlichen<br />
wissen, ob die Vereinbarkeit eines Verbotes gemischter<br />
Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern<br />
wie <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 vorgesehenen<br />
mit <strong>de</strong>m Gemeinschaftsrecht sowohl anhand <strong>de</strong>r Vertragsbestimmungen<br />
über die Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit als auch <strong>de</strong>rjenigen<br />
über die Dienstleistungsfreiheit zu beurteilen ist. Die achte<br />
und die neunte Frage <strong>de</strong>s vorlegen<strong>de</strong>n Gerichts gehen im Wesentlichen<br />
dahin, ob ein solches Verbot eine Beschränkung <strong>de</strong>r<br />
Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit und/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Dienstleistungsfreiheit darstellt<br />
und ob eine solche Beschränkung ggf. gerechtfertigt ist.<br />
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Artikel 52 und 59 EG-<br />
Vertrag auch von Regelungen nichtstaatlichen Ursprungs einzuhalten<br />
sind, mit <strong>de</strong>nen selbständige Tätigkeiten und Dienstleistungen<br />
kollektiv geregelt wer<strong>de</strong>n sollen. Die Beseitigung <strong>de</strong>r<br />
Hin<strong>de</strong>rnisse für die Freizügigkeit und <strong>de</strong>n freien Dienstleistungsverkehr<br />
zwischen <strong>de</strong>n Mitgliedstaaten wäre nämlich gefähr<strong>de</strong>t,<br />
wenn die Abschaffung <strong>de</strong>r Schranken staatlichen Ursprungs<br />
durch Hin<strong>de</strong>rnisse wirkungslos gemacht wer<strong>de</strong>n<br />
könnte, die sich daraus ergeben, dass nicht <strong>de</strong>m öffentlichen<br />
Recht unterliegen<strong>de</strong> Vereinigungen und Einrichtungen von ihrer<br />
rechtlichen Autonomie Gebrauch machen (vgl. Urteile v. 12. 12.<br />
1974 in <strong>de</strong>r Rechtssache 36/74, Walrave und Koch, Slg. 1974,<br />
1405, Rdnr. 17, 18, 23 und 24, v. 14. 7. 1976 in <strong>de</strong>r Rechtssache<br />
13/76, Donà, Slg. 1976, 1333, Rdnr. 17 und 18, v. 15. 12.<br />
1995 in <strong>de</strong>r Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921,<br />
Rdnr. 83 und 84, und v. 6. 6. 2000 in <strong>de</strong>r Rechtssache C-281/98,<br />
Angonese, Slg. 2000, I-4139, Rdnr. 32).<br />
Der Gerichtshof kann daher prüfen, ob die Vertragsbestimmungen<br />
über das Nie<strong>de</strong>rlassungsrecht und <strong>de</strong>n freien Dienstleistungsverkehr<br />
auf eine Regelung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 anwendbar sind.<br />
Soweit die Bestimmungen über das Nie<strong>de</strong>rlassungsrecht und/<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n freien Dienstleistungsverkehr auf ein Verbot gemischter<br />
Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern<br />
wie das in <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 enthaltene anwendbar<br />
sein sollten und soweit diese eine Beschränkung einer<br />
o<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>r Freiheiten darstellen sollte, wäre diese Beschränkung<br />
je<strong>de</strong>nfalls aus <strong>de</strong>n in Rdnr. 97 bis 109 <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n Urteils<br />
angeführten Grün<strong>de</strong>n gerechtfertigt.<br />
Auf die siebte, die achte und die neunte Frage ist daher zu antworten,<br />
dass die Artikel 52 und 59 EG-Vertrag einer nationalen<br />
Regelung wie <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993, durch die<br />
Sozietäten zwischen RAen und WP verboten wer<strong>de</strong>n, nicht entgegenstehen,<br />
da diese Regelung bei vernünftiger Betrachtung<br />
als für die ordnungsgemäße Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs,<br />
wie er in <strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Staat geordnet ist, erfor<strong>de</strong>rlich angesehen<br />
wer<strong>de</strong>n konnte.<br />
Kosten<br />
Die Auslagen <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rländischen, <strong>de</strong>r dänischen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen,<br />
<strong>de</strong>r französischen, <strong>de</strong>r luxemburgischen, <strong>de</strong>r österreichischen<br />
und <strong>de</strong>r schwedischen Regierung, <strong>de</strong>r Regierung <strong>de</strong>s Fürstentums<br />
Liechtenstein sowie <strong>de</strong>r Kommission, die Erklärungen<br />
vor <strong>de</strong>m Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig.<br />
Für die Parteien <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren ist das Verfahren<br />
ein Zwischenstreit in <strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>m vorlegen<strong>de</strong>n Gericht anhängigen<br />
Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher<br />
Sache dieses Gerichts.<br />
Aus diesen Grün<strong>de</strong>n<br />
hat<br />
<strong>de</strong>r Gerichtshof<br />
auf die ihm vom Raad van State mit Urt. v. 10. 8. 1999 vorgelegten<br />
Fragen für Recht erkannt:<br />
1. Eine Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen RAen<br />
und Angehörigen an<strong>de</strong>rer freier Berufe wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 (Zusammenarbeitsverordnung von 1993), die<br />
von einer Einrichtung wie <strong>de</strong>m Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong> van Advocaten<br />
(Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer) erlassen wur<strong>de</strong>, ist<br />
als Beschluss einer Unternehmensvereinigung i.S.v. Artikel 85<br />
Abs. 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 Abs. 1 EG) anzusehen.<br />
Eine nationale Regelung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993, die von einer Einrichtung wie <strong>de</strong>m Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong> van<br />
Advocaten erlassen wur<strong>de</strong>, verstößt nicht gegen Artikel 85<br />
Abs. 1 EG-Vertrag, da diese Einrichtung bei vernünftiger Betrachtung<br />
annehmen konnte, dass die Regelung trotz <strong>de</strong>r notwendig<br />
mit ihr verbun<strong>de</strong>nen wettbewerbsbeschränken<strong>de</strong>n Wirkungen<br />
für die ordnungsgemäße Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs,<br />
wie er in <strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Mitgliedstaat geordnet ist,<br />
erfor<strong>de</strong>rlich ist.<br />
Eine Einrichtung wie <strong>de</strong>r Ne<strong>de</strong>rlandse Or<strong>de</strong> van Advocaten stellt<br />
we<strong>de</strong>r ein Unternehmen noch eine Gruppe von Unternehmen<br />
i.S.v. Artikel 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 82 EG) dar.<br />
Die Artikel 52 und 59 EG-Vertrag (nach Än<strong>de</strong>rung jetzt Artikel<br />
43 EG und 49 EG) stehen einer nationalen Regelung wie <strong>de</strong>r Sa-
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 89<br />
Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />
menwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993, durch die Sozietäten zwischen<br />
Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern verboten wer<strong>de</strong>n, nicht<br />
entgegen, da diese Regelung bei vernünftiger Betrachtung als für<br />
die ordnungsgemäße Ausübung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs, wie er<br />
in <strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n Staat geordnet ist, erfor<strong>de</strong>rlich angesehen<br />
wer<strong>de</strong>n konnte.<br />
Rechtsberatungsgesetz – zur Zulässigkeit <strong>de</strong>r Rechtsberatung<br />
durch Inkassounternehmen; RBerG Art. 1<br />
§ 1, GG Art. 12, 14<br />
* 1. Die Erlaubnis zur Rechtsbesorgung an Inkassounternehmer<br />
umfasst spiegelbildlich zugleich die Erlaubnis zur Rechtsberatung.<br />
* 2. We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>r Verbraucher noch die Reibungslosigkeit<br />
<strong>de</strong>r Rechtspflege rechtfertigen es, Inhabern einer Inkassoerlaubnis<br />
die Rechtsberatung ihrer Kun<strong>de</strong>n zu verbieten.<br />
* 3. Setzt ein Inkassounternehmen die von ihm verlangte, überprüfte<br />
und für genügend befun<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Sachkun<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Einziehung<br />
frem<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r zu Einziehungszwecken abgetretener<br />
For<strong>de</strong>rungen ein, so ist nicht erkennbar, dass damit eine Gefahr<br />
für <strong>de</strong>n einzelnen Rechtsuchen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n allgemeinen<br />
Rechtsverkehr verbun<strong>de</strong>n sein könnte.<br />
BVerfG, Beschl. v. 20. 2. 2002 – 1 BvR 423/99, 1 BvR 821/00,<br />
1 BvR 1412/01<br />
Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />
A. Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>n betreffen die Frage, ob ein Inkassounternehmer<br />
berechtigt ist, seine Kun<strong>de</strong>n darüber zu beraten,<br />
ob und nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten und<br />
in welcher Höhe eine For<strong>de</strong>rung, die <strong>de</strong>r Inkassounternehmer<br />
einziehen will, <strong>de</strong>m Kun<strong>de</strong>n zusteht.<br />
I. Die Bf. in <strong>de</strong>n Verfahren 1 BvR 423/99 und 1 BvR 821/00 sind<br />
ein Inkassounternehmen, das die Erlaubnis nach <strong>de</strong>m Rechtsberatungsgesetz<br />
(im Folgen<strong>de</strong>n: RBerG) „zur außergerichtlichen<br />
Einziehung von For<strong>de</strong>rungen“ besitzt, und ein RA, <strong>de</strong>r Geschäftsführer<br />
und Inkassobevollmächtigter dieses Unternehmens<br />
ist. Sie scheiterten bei <strong>de</strong>r Einziehung von For<strong>de</strong>rungen<br />
daran, dass die Gerichte die For<strong>de</strong>rungsabtretung gem. § 134<br />
BGB für nichtig hielten, weil im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Abtretung<br />
unerlaubte Rechtsberatung stattgefun<strong>de</strong>n habe.<br />
1. Verfahren 1 BvR 423/99<br />
Mit ihrer Klage in <strong>de</strong>m Ausgangsverfahren machte die Bfin. zu I.<br />
1. aus abgetretenem Recht gegen eine Bank Ansprüche wegen<br />
behaupteter Nichtigkeit eines Darlehensvertrages geltend. Der<br />
Darlehensnehmer hatte ihr im Mai 1995 sämtliche For<strong>de</strong>rungen<br />
in noch unbekannter Höhe verkauft und sie zugleich abgetreten.<br />
Als Entgelt waren <strong>de</strong>m Darlehensnehmer 25 vom Hun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>ssen<br />
versprochen, das die Bfin. erzielen wer<strong>de</strong>. LG und OLG haben<br />
die Klage <strong>de</strong>r Bfin. abgewiesen, weil sie vor <strong>de</strong>m Ankauf <strong>de</strong>r<br />
For<strong>de</strong>rung verbotene Rechtsberatung ausgeübt habe. Bis zum<br />
Besuch <strong>de</strong>s Mitarbeiters <strong>de</strong>r Bfin. habe <strong>de</strong>r Darlehensnehmer<br />
keine Zweifel an <strong>de</strong>r Wirksamkeit <strong>de</strong>s von ihm abgeschlossenen<br />
Darlehensvertrages gehabt. Erst danach sei ihm die For<strong>de</strong>rung<br />
als möglich bewusst gewor<strong>de</strong>n. Zu solcher Rechtsberatung sei<br />
die Bfin. nicht befugt. Ein solches Verfahren gefähr<strong>de</strong> die Interessen<br />
<strong>de</strong>s Ze<strong>de</strong>nten, <strong>de</strong>r – wie vorliegend – noch mit 75 vom<br />
Hun<strong>de</strong>rt am erzielten Erlös beteiligt und insoweit an <strong>de</strong>r Durchsetzung<br />
<strong>de</strong>r abgetretenen For<strong>de</strong>rung auch interessiert geblieben<br />
sei. Dieses Interesse wer<strong>de</strong> gefähr<strong>de</strong>t, wenn ein Inkassokaufmann<br />
die Klärung von Rechtsfragen übernehme. Solchen Gefahren<br />
solle durch das Rechtsberatungsgesetz begegnet wer<strong>de</strong>n.<br />
2. Verfahren 1 BvR 821/00<br />
Das Ausgangsverfahren betrifft Ansprüche eines an<strong>de</strong>ren Darlehensnehmers<br />
gegen dieselbe Bank, die sich die Bfin. zu I. 1. im<br />
November 1996 gegen einen Kaufpreis i.H.v. zunächst 100 DM<br />
abtreten ließ; weitere 500 DM sollten innerhalb von 14 Tagen<br />
nach Prüfung <strong>de</strong>r Unterlagen und Entscheidung darüber, ob Ansprüche<br />
nach Meinung <strong>de</strong>r Bfin. bestan<strong>de</strong>n, fällig wer<strong>de</strong>n. Mit<br />
einem weiteren Vertragszusatz wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Darlehensnehmer<br />
50 vom Hun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r an die Bfin. zur Auszahlung kommen<strong>de</strong>n<br />
Beträge zugesagt. Das LG hat <strong>de</strong>r Klage i.H.v. rund 36 000 DM<br />
stattgegeben. Das OLG hat die Klage jedoch abgewiesen, da die<br />
Bfin. nicht aktiv legitimiert sei; die Abtretung sei wegen Verstoßes<br />
gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG i.V.m. § 134 BGB nichtig.<br />
Es sei Inkassounternehmen verboten, die Gläubiger darüber zu<br />
beraten, ob und nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten und<br />
in welcher Höhe sie überhaupt For<strong>de</strong>rungen hätten. Der BGH<br />
hat die Revision <strong>de</strong>r Bfin. nicht angenommen.<br />
II. Der Bf. im Verfahren 1 BvR 1412/01 besitzt die Erlaubnis zur<br />
Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten nach Art. 1 § 1 Abs.<br />
1 Satz 2 Nr. 5 RBerG. Er scheiterte in einem Regressprozess gegenüber<br />
seinem früheren RA daran, dass die Zivilgerichte <strong>de</strong>r<br />
Auffassung waren, eine Inkassozession aus einem Darlehensvertrag<br />
gegenüber <strong>de</strong>rselben Bank wie in <strong>de</strong>n Verfahren zu I. sei<br />
wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz nichtig.<br />
Der Bf. hatte <strong>de</strong>n Bekl. <strong>de</strong>s Ausgangsverfahrens zur Durchsetzung<br />
<strong>de</strong>r Darlehensrückabwicklungsansprüche zum Prozessbevollmächtigten<br />
bestellt. Der Rechtsstreit en<strong>de</strong>te durch Vergleich<br />
i.H.v. 115 000 DM, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Bf. wi<strong>de</strong>rrufen wollte, weil er mit<br />
Ansprüchen i.H.v. knapp 150 000 DM rechnete. Der Prozessbevollmächtigte<br />
versäumte die Wi<strong>de</strong>rrufsfrist. Der Bf. blieb mit<br />
<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsersatzfor<strong>de</strong>rung erfolglos, weil LG und OLG <strong>de</strong>m<br />
Bf. <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Ursprungsverfahren verfolgten Anspruch vollständig<br />
aberkannten.<br />
III. Mit ihren Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>n wen<strong>de</strong>n sich die Bf. gegen<br />
die sie belasten<strong>de</strong>n gerichtlichen Entscheidungen und rügen<br />
im Wesentlichen die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12<br />
Abs. 1 GG. Die Auslegung <strong>de</strong>r Gerichte wi<strong>de</strong>rspreche <strong>de</strong>m<br />
Schutzzweck <strong>de</strong>s Rechtsberatungsgesetzes, schütze die Schuldner<br />
vor Inanspruchnahme und verhin<strong>de</strong>re, dass die Gläubiger<br />
mit Hilfe <strong>de</strong>r Inkassounternehmer ihre Rechte geltend machen<br />
könnten. Je<strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rungserwerb setze eine rechtliche Prüfung<br />
und damit auch ein Rechtsgespräch mit <strong>de</strong>m Vertragspartner<br />
voraus.<br />
IV. Zu <strong>de</strong>n Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>n haben BVerwG und BGH<br />
Stellung genommen, in<strong>de</strong>m sie auf ihre bisherige Rspr. verwiesen<br />
haben. Die Bekl. <strong>de</strong>s Ausgangsverfahrens halten die angegriffenen<br />
Entscheidungen für verfassungsrechtlich unbe<strong>de</strong>nklich.<br />
Die BRAK und <strong>de</strong>r DAV teilen diese Auffassung, weil die<br />
Prüfung, ob und ggf. in welcher Höhe einem potentiellen Kun<strong>de</strong>n<br />
von Inkassounternehmen For<strong>de</strong>rungen zustehen könnten,<br />
eine genuine und damit unzulässige Rechtsberatung darstelle,<br />
die um <strong>de</strong>s Schutzes <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n willen eine qualifizierte<br />
und umfassen<strong>de</strong> Ausbildung erfor<strong>de</strong>re und daher anwaltlicher<br />
Tätigkeit vorbehalten wer<strong>de</strong>n müsse.<br />
Der Bun<strong>de</strong>sverband Deutscher Inkassounternehmen hält die<br />
Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>n hingegen für begrün<strong>de</strong>t. Die Gerichte<br />
hätten die Ausstrahlungswirkung <strong>de</strong>r Berufsfreiheit übersehen.<br />
Das Rechtsberatungsgesetz bezwecke, zum Schutz <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />
und im Interesse einer reibungslosen Abwicklung<br />
<strong>de</strong>s Rechtsverkehrs fachlich ungeeignete und unzuverlässige<br />
Personen von <strong>de</strong>r geschäftsmäßigen Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten<br />
fernzuhalten. Eine Gefährdung dieses Schutzzweckes<br />
sei nicht ersichtlich, wenn ein Inkassobüro <strong>de</strong>n Kun-
90 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />
<strong>de</strong>n hinsichtlich Bestand, Rechtsgrund und Höhe <strong>de</strong>r einzuziehen<strong>de</strong>n<br />
For<strong>de</strong>rung berate. Dies gehöre vielmehr zur gesetzlich<br />
gefor<strong>de</strong>rten verantwortungsbewussten und „gewissenhaften“<br />
Wahrnehmung <strong>de</strong>s Einziehungsauftrages.<br />
B. I. Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Bf. zu I. 2. erfüllen nicht<br />
die Annahmevoraussetzungen <strong>de</strong>s § 93 a Abs. 2 BVerfGG, weil<br />
sie unzulässig sind. Die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> gegen gerichtliche<br />
Entscheidungen setzt voraus, dass ein Bf. durch diese nicht<br />
nur mittelbar faktisch, son<strong>de</strong>rn unmittelbar rechtlich betroffen<br />
wird (BVerfGE 15, 256, 262 f.; 96, 231, 237). Da <strong>de</strong>r Bf. zu I. 2.<br />
nicht Partei <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren war, betreffen ihn die angegriffenen<br />
Entscheidungen rechtlich nicht unmittelbar.<br />
II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>n im Übrigen<br />
zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von in § 90<br />
Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten angezeigt ist (§ 93a Abs. 2<br />
Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen <strong>de</strong>s<br />
§ 93c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Entscheidungen<br />
verletzen die Bfin. zu I. 1. und <strong>de</strong>n Bf. zu II. in ihrer<br />
Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).<br />
1. Den Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>n kommt keine grundsätzliche<br />
verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>utung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a<br />
BVerfGG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen<br />
zum Rechtsberatungsgesetz hat das BVerfG bereits entschie<strong>de</strong>n<br />
(vgl. BVerfGE 41, 378; 75, 246; 75, 284; 97, 12). Das Rechtsberatungsgesetz<br />
bezweckt, zum Schutz <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />
und auch im Interesse einer reibungslosen Abwicklung <strong>de</strong>s<br />
Rechtsverkehrs fachlich ungeeignete und unzuverlässige Personen<br />
von <strong>de</strong>r geschäftsmäßigen Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten<br />
fernzuhalten (vgl. BVerfGE 41, 378, 390; 75, 246,<br />
267, 275 f.; 97, 12, 26 f.).<br />
2. Die Annahme <strong>de</strong>r Verfassungsbeschwer<strong>de</strong>n ist zur Durchsetzung<br />
<strong>de</strong>r Grundrechte <strong>de</strong>r Bf. aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt<br />
(§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).<br />
a) Als Grundlage für die in <strong>de</strong>n angegriffenen Entscheidungen<br />
ausgesprochene Nichtigkeit <strong>de</strong>r Abtretung haben die Gerichte<br />
das Verbot <strong>de</strong>r Rechtsberatung durch <strong>de</strong>n Inhaber einer Inkassoerlaubnis<br />
aus Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 5 RBerG<br />
benannt. Art. 1 § 1 RBerG lautet:<br />
(1) Die Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten, einschließlich<br />
<strong>de</strong>r Rechtsberatung und <strong>de</strong>r Einziehung frem<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r zu<br />
Einziehungszwecken abgetretener For<strong>de</strong>rungen darf geschäftsmäßig<br />
… nur von Personen betrieben wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nen dazu von<br />
<strong>de</strong>r zuständigen Behör<strong>de</strong> die Erlaubnis erteilt ist. Die Erlaubnis<br />
wird jeweils für einen Sachbereich erteilt:<br />
1. bis 4. …<br />
5. Inkassounternehmern für die außergerichtliche Einziehung<br />
von For<strong>de</strong>rungen (Inkassobüros),<br />
6. …<br />
Sie darf nur unter <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Erlaubnis entsprechen<strong>de</strong>n Berufsbezeichnung<br />
ausgeübt wer<strong>de</strong>n.<br />
(2) Die Erlaubnis darf nur erteilt wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>r Ast. die für<br />
<strong>de</strong>n Beruf erfor<strong>de</strong>rliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung<br />
sowie genügen<strong>de</strong> Sachkun<strong>de</strong> besitzt und ein Bedürfnis für die<br />
Erlaubnis besteht. …<br />
(3) bis (5) …<br />
Die Inkassoerlaubnis berechtigt danach zum geschäftsmäßigen<br />
For<strong>de</strong>rungserwerb. Im Abs. 1 <strong>de</strong>r Vorschrift wird die Berufstätigkeit<br />
<strong>de</strong>s Inkassounternehmers <strong>de</strong>r Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten<br />
und <strong>de</strong>r Rechtsberatung gleichgestellt und mit<br />
einem Verbot unter Erlaubnisvorbehalt belegt. Nur aufgrund<br />
ausdrücklicher Erlaubnis dürfen daher Personen, die nicht RAe<br />
sind, geschäftsmäßig For<strong>de</strong>rungen erwerben und einziehen (vgl.<br />
Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Aufl. 2001, Art. 1 § 1 Rdnr. 109; Caliebe,<br />
in Seitz, Inkasso-Handbuch, 3. Aufl. 2000, Rdnr. 1084).<br />
Auslegung und Anwendung dieser Normen sind vornehmlich<br />
Aufgabe <strong>de</strong>r Fachgerichte und können vom BVerfG – abgesehen<br />
von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft<br />
wer<strong>de</strong>n, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich<br />
unrichtigen Anschauung von <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s betroffenen<br />
Grundrechts, insbeson<strong>de</strong>re vom Umfang seines Schutzbereichs,<br />
beruhen. Das ist <strong>de</strong>r Fall, wenn die von <strong>de</strong>n Fachgerichten<br />
vorgenommene Auslegung <strong>de</strong>r Normen die Tragweite<br />
<strong>de</strong>s Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt o<strong>de</strong>r im Ergebnis<br />
zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung <strong>de</strong>r grundrechtlichen<br />
Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f., 96; 85, 248,<br />
257 f.; 97, 12, 27).<br />
b) So liegt es hier. Die angegriffenen Entscheidungen wer<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>m Maßstab <strong>de</strong>s Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.<br />
Nach <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Gerichten in <strong>de</strong>n angegriffenen Entscheidungen<br />
vertretenen Auffassung ist es <strong>de</strong>m Inhaber einer Inkassoerlaubnis<br />
untersagt, seine Kun<strong>de</strong>n darüber zu beraten, ob und<br />
unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten ihnen eine For<strong>de</strong>rung<br />
zusteht. Damit haben die Gerichte die Berufsausübungsfreiheit<br />
<strong>de</strong>r Inkassounternehmer unverhältnismäßig eingeschränkt.<br />
Sie haben Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 RBerG nicht<br />
verfassungsgemäß ausgelegt und angewen<strong>de</strong>t (in diesem Sinn<br />
auch Caliebe in <strong>de</strong>r Anm. zu BGH, EWiR Art. 1 RBerG 2/01,<br />
S. 441).<br />
aa) Eingriffe in die Freiheit <strong>de</strong>r Berufsausübung sind nur dann<br />
mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch ausreichen<strong>de</strong><br />
Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls gerechtfertigt wer<strong>de</strong>n (vgl. BVerfGE<br />
101, 331, 347). Die aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Gemeinwohls unumgänglichen<br />
Beschränkungen <strong>de</strong>s Grundrechts stehen unter <strong>de</strong>m<br />
Gebot <strong>de</strong>r Wahrung <strong>de</strong>s Grundsatzes <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit.<br />
Das gewählte Mittel muss zur Erreichung <strong>de</strong>s verfolgten<br />
Zwecks geeignet und erfor<strong>de</strong>rlich sein, und bei einer Gesamtabwägung<br />
zwischen <strong>de</strong>r Schwere <strong>de</strong>s Eingriffs und <strong>de</strong>m Gewicht<br />
<strong>de</strong>r ihn rechtfertigen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong> muss die Grenze <strong>de</strong>r<br />
Zumutbarkeit gewahrt sein (vgl. BVerfGE 30, 292, 316 f.; 101,<br />
331, 347 ff.).<br />
We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schutz <strong>de</strong>r Verbraucher noch die Reibungslosigkeit<br />
<strong>de</strong>r Rechtspflege rechtfertigen es nach diesem Maßstab, Inhabern<br />
einer Inkassoerlaubnis die Rechtsberatung ihrer Kun<strong>de</strong>n zu<br />
verbieten.<br />
(1) Mit Rechtsberatung i.S.d. Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG ist<br />
grundsätzlich die umfassen<strong>de</strong> und vollwertige Beratung <strong>de</strong>r<br />
Rechtsuchen<strong>de</strong>n, wenn auch nur in einem bestimmten – in<br />
Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 RBerG genannten – Sachbereich gemeint<br />
(vgl. BVerfGE 75, 246, 267 f.; 97, 12, 28). Die Norm bezieht <strong>de</strong>n<br />
geschäftsmäßigen Erwerb von For<strong>de</strong>rungen zum Zwecke <strong>de</strong>r<br />
Einziehung auf eigene Rechnung ein und stellt ihn unter Erlaubnisvorbehalt,<br />
um Umgehungsgeschäfte zu verhin<strong>de</strong>rn (vgl.<br />
BVerwG, NJW 1978, 234; BGHZ 58, 364, 368). Auf diese Weise<br />
flankiert <strong>de</strong>r Erlaubnisvorbehalt für Inkassounternehmer <strong>de</strong>njenigen<br />
für die Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten,<br />
einschließlich <strong>de</strong>r Rechtsberatung. Er dient dazu, die mit <strong>de</strong>m<br />
geschäftsmäßigen For<strong>de</strong>rungseinzug einhergehen<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>re<br />
Form <strong>de</strong>r Rechtsbesorgung und Rechtsberatung in <strong>de</strong>n Schutzzweck<br />
<strong>de</strong>s Gesetzes einzubeziehen.<br />
In Verfolgung dieses Schutzzwecks darf die Erlaubnis zur Besorgung<br />
frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten nur erteilt wer<strong>de</strong>n, wenn<br />
neben <strong>de</strong>r persönlichen Zuverlässigkeit beim Erlaubnisinhaber
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 91<br />
Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />
auch Eignung und genügend Sachkun<strong>de</strong> vorhan<strong>de</strong>n sind. Dementsprechend<br />
wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Zulassungsprüfung von <strong>de</strong>m Ast.,<br />
<strong>de</strong>r die Erteilung einer Rechtsberatungserlaubnis für das Inkassogeschäft<br />
erstrebt, unter an<strong>de</strong>rem profun<strong>de</strong> Kenntnisse in <strong>de</strong>n<br />
ersten drei Büchern <strong>de</strong>s Bürgerlichen Gesetzbuchs (Allgemeiner<br />
Teil, Recht <strong>de</strong>r Schuldverhältnisse, Sachenrecht), han<strong>de</strong>ls- und<br />
gesellschaftsrechtliche Kenntnisse, Grundkenntnisse auf <strong>de</strong>m<br />
Gebiet <strong>de</strong>s Wertpapierrechts, spezielle Kenntnisse <strong>de</strong>s Gesetzes<br />
zur Regelung <strong>de</strong>s Rechts <strong>de</strong>r Allgemeinen Geschäftsbedingungen,<br />
<strong>de</strong>s Verbraucherkreditgesetzes, <strong>de</strong>s Gesetzes über <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf<br />
von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften verlangt<br />
(vgl. Caliebe, in Seitz, a.a.O., Rdnr. 1100, 1225 ff.). Im<br />
Verfahrensrecht sind Kenntnisse im Mahnverfahren, im Vollstreckungsrecht,<br />
im Konkursvergleichs- und Insolvenzrecht und<br />
im Kostenrecht erfor<strong>de</strong>rlich (vgl. Caliebe, in Seitz, a.a.O., Rdnr.<br />
1230). Diese Anfor<strong>de</strong>rungen unterstreichen, dass die außergerichtliche<br />
Einziehung von For<strong>de</strong>rungen sich nicht in <strong>de</strong>r Besorgung<br />
von Wirtschaftsangelegenheiten, also von kaufmännischen<br />
Tätigkeiten, erschöpft. Derartige Kenntnisse wären für die<br />
Übernahme einfacher Tätigkeiten mit gelegentlichen rechtlichen<br />
Berührungspunkten nicht erfor<strong>de</strong>rlich. Solche Tätigkeiten<br />
müssten auch nicht durch das Rechtsberatungsgesetz im Prinzip<br />
<strong>de</strong>n Volljuristen vorbehalten bleiben, um Gläubiger und Rechtspflege<br />
vor unqualifizierter Aufgabenerfüllung zu schützen (vgl.<br />
BVerfGE 97, 12, 32 f.). Inkassounternehmer haben in<strong>de</strong>ssen<br />
nicht nur die Aufgabe schlichter Mahn- und Beitreibungstätigkeit,<br />
also einer kaufmännischen Hilfstätigkeit, die nicht als Besorgung<br />
frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten anzusehen wäre. Sie<br />
übernehmen die Verantwortung für die wirkungsvolle Durchsetzung<br />
frem<strong>de</strong>r Rechte o<strong>de</strong>r Vermögensinteressen. Typisierend<br />
kann <strong>de</strong>shalb unterstellt wer<strong>de</strong>n, dass beim For<strong>de</strong>rungseinzug in<br />
allen seinen Formen auch Rechtsberatung zu leisten ist. Nur aus<br />
diesem Grund lässt sich einerseits das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt<br />
rechtfertigen; an<strong>de</strong>rerseits umfasst sozusagen spiegelbildlich<br />
die Erlaubnis zur Rechtsbesorgung an Inkassounternehmer<br />
zugleich die Erlaubnis zur Rechtsberatung.<br />
(2) Setzt das Inkassounternehmen die von ihm verlangte, überprüfte<br />
und für genügend befun<strong>de</strong>ne Sachkun<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Einziehung<br />
frem<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r zu Einziehungszwecken abgetretener For<strong>de</strong>rungen<br />
ein, so ist nicht erkennbar, dass damit eine Gefahr für<br />
<strong>de</strong>n Rechtsuchen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Rechtsverkehr verbun<strong>de</strong>n sein<br />
könnte (ebenso Caliebe, in Seitz, a.a.O., Rdnr. 1100).<br />
(aa) Vorliegend ist nicht erkennbar, dass das Verbot <strong>de</strong>r Rechtsberatung<br />
beim For<strong>de</strong>rungserwerb <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />
dienen könnte.<br />
Das OLG nimmt zwar in seinem Urt. v. 16. 6. 1999 – 8 U 41/99<br />
(Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> zu I. b) an, dass die Kun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Inkassounternehmens<br />
zur For<strong>de</strong>rungsabtretung „überre<strong>de</strong>t“ wor<strong>de</strong>n<br />
seien und sich dadurch gut- o<strong>de</strong>r leichtgläubig <strong>de</strong>s wirtschaftlichen<br />
Wertes ihrer For<strong>de</strong>rung zu erheblichen Anteilen<br />
entäußert und zugleich jeglichen Einflusses auf die Prozessführung<br />
begeben hätten. Dem kann aber nicht gefolgt wer<strong>de</strong>n.<br />
Zwar hätten die Kun<strong>de</strong>n ohne das Auftreten <strong>de</strong>r Inkassounternehmer<br />
ihre For<strong>de</strong>rungen wohl überhaupt nicht geltend gemacht,<br />
da ihnen nicht bewusst gewesen sein dürfte, durchsetzbare<br />
For<strong>de</strong>rungen innezuhaben. Die Kun<strong>de</strong>n haben aber durch<br />
die Tätigkeit <strong>de</strong>s Inkassounternehmers nicht Rechtspositionen<br />
aufgegeben, son<strong>de</strong>rn erstmals die Durchsetzung ihrer Rechte in<br />
Angriff genommen. Dass die Gerichte insoweit einen – im<br />
Lichte <strong>de</strong>s Art. 14 Abs. 1 GG zusätzlich fragwürdigen – Rechtsverlust<br />
bewirkt haben, in<strong>de</strong>m sie die Zession selbst als nichtig<br />
angesehen haben, bedarf insoweit keiner vertieften Prüfung.<br />
Denn ohne die Initiative <strong>de</strong>r Bf. wären die For<strong>de</strong>rungen von <strong>de</strong>n<br />
Ze<strong>de</strong>nten zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht wor<strong>de</strong>n. Die<br />
wirtschaftliche Einbuße infolge von Untätigkeit entspräche insoweit<br />
<strong>de</strong>m völligen Rechtsverlust. Die Inkassounternehmer haben<br />
daher – auch mit ihrer rechtlichen Beratung – <strong>de</strong>n Interessen<br />
ihrer Kun<strong>de</strong>n gedient.<br />
(bb) Die Funktionsfähigkeit <strong>de</strong>r Rechtspflege ist ebenfalls nicht<br />
beeinträchtigt.<br />
Wie die materiellrechtlichen Ausführungen <strong>de</strong>s LG und <strong>de</strong>s<br />
OLG im Verfahren zu I. b) einerseits und an<strong>de</strong>rerseits das Urteil<br />
<strong>de</strong>s BGH v. 24. 10. 2000 (BB 2001, 64) in einer weiteren gleichgelagerten<br />
Sache zeigen, war die Rechtsberatung inhaltlich erfolgreich,<br />
weil die geltend gemachten Ansprüche gegenüber <strong>de</strong>r<br />
beklagten Bank für begrün<strong>de</strong>t gehalten wer<strong>de</strong>n können. Der<br />
Schutz <strong>de</strong>r Rechtspflege verlangt nicht, dass vor <strong>de</strong>r Zession<br />
zwischen <strong>de</strong>m Inkassounternehmer und <strong>de</strong>m Ze<strong>de</strong>nten die Bewertung<br />
<strong>de</strong>r Rechtslage und die Abschätzung <strong>de</strong>r Erfolgsaussichten<br />
für die Beitreibung etwaiger For<strong>de</strong>rungen unterbleiben.<br />
Ohne eine <strong>de</strong>rartige Verständigung könnten we<strong>de</strong>r die For<strong>de</strong>rungen<br />
bewertet noch <strong>de</strong>r Erfolg im Streitfall verlässlich prognostiziert<br />
wer<strong>de</strong>n. Unsicherheiten dieser Art wären für die<br />
Rechtspflege belasten<strong>de</strong>r als <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m For<strong>de</strong>rungserwerb verbun<strong>de</strong>ne<br />
Rechtsrat, <strong>de</strong>n ein Inkassounternehmen mit Erlaubnis<br />
nach <strong>de</strong>m Rechtsberatungsgesetz erteilt.<br />
Der Schutz <strong>de</strong>r Rechtspflege gebietet allein, dass dieser Rechtsrat<br />
durch sachkundige Personen erteilt wird. Dieses Erfor<strong>de</strong>rnis<br />
wird durch Art. 1 § 1 Abs. 2 RBerG und die Sachkun<strong>de</strong>prüfung<br />
sichergestellt. Verneinte man in solchen Fällen die Aktivlegitimation<br />
<strong>de</strong>s Inkassounternehmers, wür<strong>de</strong> nicht die Rechtspflege,<br />
son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r jeweilige Schuldner geschützt. Ein Schuldnerschutz<br />
durch Rechtsunkenntnis liegt aber gera<strong>de</strong> nicht im Interesse<br />
<strong>de</strong>s Rechtsverkehrs. Das Rechtsberatungsgesetz bezweckt <strong>de</strong>n<br />
Schutz <strong>de</strong>r Ratsuchen<strong>de</strong>n, hier <strong>de</strong>r Gläubiger, und nicht <strong>de</strong>n<br />
Schutz <strong>de</strong>r Schuldner vor <strong>de</strong>n Folgen zutreffend erteilten Rechtsrats<br />
und wirkungsvoller Rechtsbesorgung.<br />
Dieser Gesichtspunkt tritt auch in <strong>de</strong>n Ausgangsverfahren <strong>de</strong>utlich<br />
hervor. Ob <strong>de</strong>n Ze<strong>de</strong>nten noch eine Chance <strong>de</strong>r Durchsetzung<br />
ihrer For<strong>de</strong>rungen bliebe, hängt vor allem vom Zeitablauf<br />
und <strong>de</strong>r möglichen Einre<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Verjährung ab. Die Gerichte haben<br />
bei ihrer Auslegung diese Folgen in ihre Rechtsfindung nicht<br />
einbezogen.<br />
bb) Selbst wenn man annehmen wollte, <strong>de</strong>r Zweck <strong>de</strong>s Rechtsberatungsgesetzes<br />
könnte das Verbot einer substantiellen<br />
Rechtsberatung durch Inkassounternehmer, die darauf gerichtet<br />
ist, festzustellen, ob es überhaupt eine einzuziehen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r zu<br />
erwerben<strong>de</strong> For<strong>de</strong>rung gibt, rechtfertigen, führt je<strong>de</strong>nfalls eine<br />
Gesamtabwägung zwischen <strong>de</strong>r Schwere <strong>de</strong>s Eingriffs und <strong>de</strong>m<br />
Gewicht <strong>de</strong>r ihn rechtfertigen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>m Ergebnis, dass<br />
die Grenze <strong>de</strong>r Zumutbarkeit überschritten ist (vgl. auch Zuck,<br />
BRAK-Mitt. 2001, 105, 107).<br />
Der Schutz <strong>de</strong>r rechtsuchen<strong>de</strong>n Bevölkerung und <strong>de</strong>s Rechtsverkehrs<br />
sind zwar hochwertige Gemeinschaftsgüter, die Eingriffe in<br />
die Berufsausübung rechtfertigen können. Jedoch verfügen die<br />
Inkassounternehmen, die nicht ohne Erlaubnis tätig wer<strong>de</strong>n dürfen,<br />
über die erfor<strong>de</strong>rliche Sachkun<strong>de</strong>, um die gekauften For<strong>de</strong>rungen<br />
einzuziehen und die Berechtigung <strong>de</strong>r Beitreibung selbständig<br />
zu prüfen (so VGH Mannheim, NJW-RR 1998, 1203). In<br />
eigener Verantwortung wer<strong>de</strong>n sie zu<strong>de</strong>m nur außergerichtlich<br />
tätig. Wird die gerichtliche Durchsetzung erwogen, ergänzt <strong>de</strong>r<br />
Rechtsrat <strong>de</strong>s hinzuzuziehen<strong>de</strong>n RA die Rechtskenntnisse, die<br />
für <strong>de</strong>n Sachkun<strong>de</strong>nachweis geprüft wer<strong>de</strong>n.<br />
Unverhältnismäßig ist die in <strong>de</strong>n angegriffenen Entscheidungen<br />
vorgenommene Einschränkung auch <strong>de</strong>shalb, weil die Inkassoerlaubnis<br />
Außenwirkung hat. Ist sie zu Recht erteilt, kann sich<br />
<strong>de</strong>r Rechtsverkehr darauf verlassen, dass solche Unternehmen
92 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />
For<strong>de</strong>rungen in eigenem o<strong>de</strong>r in frem<strong>de</strong>m Namen einziehen<br />
können. Schuldner können auf die Abtretungsurkun<strong>de</strong> vertrauen,<br />
sind also sicher, dass sie an <strong>de</strong>n richtigen Gläubiger zahlen<br />
(vgl. § 409 BGB). Gläubiger können sich darauf verlassen,<br />
dass sie die Dienste konzessionierter Unternehmen in Anspruch<br />
nehmen und die Durchsetzung ihrer For<strong>de</strong>rung von nun an<br />
Sache ihres Vertragspartners ist. Das ist vor allem dann von Be<strong>de</strong>utung,<br />
wenn nicht ein endgültiger Preis für die For<strong>de</strong>rung gezahlt<br />
wird, son<strong>de</strong>rn eine Beteiligung am noch ausstehen<strong>de</strong>n Erfolg<br />
<strong>de</strong>r Beitreibung als Entgelt vereinbart wird. Diese Funktion<br />
<strong>de</strong>r Inkassoerlaubnis, nach außen hin Klarheit im Rechtsverkehr<br />
zu schaffen, wäre gefähr<strong>de</strong>t, wenn eine Rechtsberatung vor o<strong>de</strong>r<br />
gar nach Erteilung <strong>de</strong>s Auftrags die Nichtigkeit <strong>de</strong>r Abtretung zur<br />
Folge haben könnte. Abre<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n Ze<strong>de</strong>nten unangemessen<br />
benachteiligten, können von <strong>de</strong>n Zivilgerichten auf an<strong>de</strong>re<br />
Weise kontrolliert wer<strong>de</strong>n.<br />
3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf <strong>de</strong>m dargelegten<br />
Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Die angegriffenen Entscheidungen<br />
sind daher aufzuheben.<br />
4. Die Entscheidungen über die Erstattung <strong>de</strong>r notwendigen<br />
Auslagen <strong>de</strong>r Bf. beruhen auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung<br />
<strong>de</strong>r Gegenstandswerte auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.<br />
Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />
Orientierungssätze/*Leitsätze <strong>de</strong>r Redaktion<br />
1. Bun<strong>de</strong>sgerichtshof<br />
Anwaltliche Werbung – Verwendung <strong>de</strong>r Buchstabenfolge<br />
„CMS“ vor <strong>de</strong>r Kurzbezeichnung auf Briefbögen;<br />
BRAO § 43b, BORA §§ 8, 9<br />
* 1. Bei beruflicher Zusammenarbeit dürfen RAe auf Briefbögen<br />
<strong>de</strong>r Kurzbezeichnung ihrer Kanzlei eine Buchstabenfolge<br />
beifügen, wenn sich diese zugleich auf die Beteiligung <strong>de</strong>r Sozietät<br />
an einer europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung<br />
unter dieser Zusatzbezeichnung bezieht.<br />
* 2. Die in § 8 Satz 2 BORA enthaltene Erlaubnis, auf die Mitgliedschaft<br />
in einer europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung<br />
hinzuweisen, wird nicht durch § 9 Abs. 3 BORA<br />
ausgeschlossen, selbst wenn ein entsprechend gewählter Zusatz<br />
nicht die berufliche Zusammenarbeit im Innenverhältnis,<br />
son<strong>de</strong>rn eine Kooperation mit an<strong>de</strong>ren rechtlichen selbstständigen<br />
anwaltlichen Zusammenschlüssen betrifft.<br />
* 3. Die Auslegung, dass die Buchstabenfolge „CMS“ als Zusatz<br />
zur Kurzbezeichnung auf <strong>de</strong>m Briefkopf mit § 9 Abs. 3 BORA<br />
vereinbar ist, entspricht im Übrigen einer am Grundrecht <strong>de</strong>r<br />
Berufsfreiheit ausgerichteten Auslegung dieser Bestimmung.<br />
BGH, Beschl. v. 17. 12. 2001 – AnwZ (B) 12/01<br />
Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />
I. Der Ast. gehört zu einer aus zahlreichen RAen bestehen<strong>de</strong>n<br />
Sozietät mit Kanzleien in mehreren Städten Deutschlands sowie<br />
in B. Die Sozietät tritt unter <strong>de</strong>r Kurzbezeichnung „H. S. E. P. S.“<br />
im Rechtsverkehr auf. Auf <strong>de</strong>n von ihr benutzten Briefbögen<br />
stellt sie dieser Bezeichnung die Großbuchstaben „CMS“ voran.<br />
Dies begrün<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Ast. damit, dass die Sozietät über die „CMS<br />
H. S. E. P. S. Verwaltungs GmbH“ an einer „Europäischen wirtschaftlichen<br />
Interessenvereinigung (EWIV)“ beteiligt sei, die unter<br />
<strong>de</strong>r Bezeichnung „CMS“ im Han<strong>de</strong>lsregister eingetragen sei.<br />
Die Buchstabenfolge ergebe sich aus <strong>de</strong>n Anfangsbuchstaben<br />
von drei aktiven Seniorpartnern <strong>de</strong>r EWIV.<br />
Am 7. 1. 2000 hat die Agin. <strong>de</strong>m Ast. mitgeteilt, das Kürzel<br />
„CMS“ auf <strong>de</strong>m Briefbogen stelle eine gem. § 9 Abs. 3 BORA<br />
unzulässige Sachfirma dar. Die Agin. hat <strong>de</strong>n Ast. aufgefor<strong>de</strong>rt,<br />
ihr binnen eines Monats zu erklären, dass er <strong>de</strong>r Bitte um eine<br />
<strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Agin. Rechnung tragen<strong>de</strong> Neugestaltung <strong>de</strong>s<br />
Briefbogens folgen wer<strong>de</strong>.<br />
Dagegen hat <strong>de</strong>r RA Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.<br />
Im gerichtlichen Verfahren hat <strong>de</strong>r General Managing Partner<br />
<strong>de</strong>r Sozietät <strong>de</strong>s Ast. namens aller Mitglie<strong>de</strong>r erklärt, dass<br />
diese mit <strong>de</strong>m rechtlichen Vorgehen <strong>de</strong>s Ast. einverstan<strong>de</strong>n<br />
seien. Der AGH hat <strong>de</strong>n Aufhebungsantrag als unbegrün<strong>de</strong>t<br />
zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene sofortige<br />
Beschwer<strong>de</strong> <strong>de</strong>s RA, mit <strong>de</strong>r er sein Begehren weiterverfolgt.<br />
II. Die sofortige Beschwer<strong>de</strong> ist gem. § 223 Abs. 3 BRAO statthaft<br />
sowie form- und fristgerecht eingelegt wor<strong>de</strong>n.<br />
Der Ast. ist zur Einleitung <strong>de</strong>s gerichtlichen Verfahrens befugt,<br />
weil sich die angegriffene Verfügung gegen ihn persönlich richtet,<br />
er weiterhin im geschäftlichen Verkehr die Kurzbezeichnung<br />
<strong>de</strong>r Sozietät mit <strong>de</strong>m umstrittenen Zusatz <strong>de</strong>r Buchstabenfolge<br />
„CMS“ verwen<strong>de</strong>n will und er sich dabei in Einklang mit <strong>de</strong>r in<br />
<strong>de</strong>r gesamten Sozietät zum Ausdruck gebrachten Willensbildung<br />
<strong>de</strong>r Gesellschafter befin<strong>de</strong>t. Erweist sich die Rechtsauffassung<br />
<strong>de</strong>s Ast. als zutreffend, ist die Verfügung <strong>de</strong>r Agin. v. 7. 1.<br />
2000 geeignet, ihn als Sozietätsmitglied in seinen Rechten zu<br />
verletzen.<br />
III. Die Beschwer<strong>de</strong> hat auch in <strong>de</strong>r Sache Erfolg. Der Ast. ist –<br />
ebenso wie die übrigen Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r – berechtigt, <strong>de</strong>r für<br />
die berufliche Zusammenarbeit gewählten Kurzbezeichnung<br />
die Buchstabenfolge „CMS“ voranzustellen.<br />
1. Die Agin. stützt ihre Verfügung auf § 9 Abs. 3 BORA. Nach<br />
dieser Bestimmung darf die für die berufliche Zusammenarbeit<br />
gewählte Kurzbezeichnung im Übrigen nur einen auf die gemeinschaftliche<br />
Berufsausübung hinweisen<strong>de</strong>n Zusatz enthalten.<br />
Die umstrittene Buchstabenfolge ist hier als ein Zusatz i.S.<br />
dieser Regelung anzusehen.<br />
a) § 9 BORA betrifft nach Wortlaut und Sinngehalt die Berechtigung<br />
zur Führung einer die berufliche Zusammenarbeit kennzeichnen<strong>de</strong>n<br />
Kurzbezeichnung, insbeson<strong>de</strong>re die Frage, wie<br />
eine solche gestaltet sein darf. Diese Zielrichtung <strong>de</strong>r Vorschrift<br />
ist für die Auslegung von § 9 Abs. 3 BORA maßgeblich. Die Bestimmung<br />
regelt, was zur Kennzeichnung <strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r<br />
beruflichen Zusammenarbeit in <strong>de</strong>r Kurzbezeichnung enthalten<br />
sein darf (BGH, Beschl. v. 12. 2. 2001 – AnwZ [B] 11/00, NJW<br />
2001, 1573, 1574). Um diese Frage geht es im Streitfall; <strong>de</strong>nn<br />
<strong>de</strong>m Ast. und <strong>de</strong>ssen Sozien kommt es darauf an, die Angabe<br />
„CMS“ in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit <strong>de</strong>r<br />
Kurzbezeichnung, also als Teil <strong>de</strong>s Namens <strong>de</strong>r Gesellschaft, zu<br />
verwen<strong>de</strong>n. Das geht aus <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s Briefbogens, <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>m Senat vorliegt, ein<strong>de</strong>utig hervor.<br />
b) Die Buchstabenfolge „CMS“ stellt nach <strong>de</strong>m Vorbringen <strong>de</strong>s<br />
Ast. keine Phantasiebezeichnung dar, son<strong>de</strong>rn soll in auffälliger
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 93<br />
Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />
Form auf die Beteiligung <strong>de</strong>r Sozietät an <strong>de</strong>r als „CMS“ im Register<br />
eingetragenen EWIV hinweisen. Diese Funktion <strong>de</strong>s Zusatzes<br />
– die die Agin. nicht in Zweifel zieht – wird dadurch belegt,<br />
dass sich am unteren Rand <strong>de</strong>s Briefbogens ein vierzeiliger<br />
Hinweis befin<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r mit „CMS (EWIV):“ beginnt und die Kurzbezeichnungen<br />
<strong>de</strong>r Sozietät <strong>de</strong>s Ast. sowie weiterer fünf internationaler<br />
beruflicher Zusammenschlüsse von RAen enthält,<br />
wobei alle Namen jeweils mit <strong>de</strong>n Buchstaben „CMS“ beginnen.<br />
Der Zusatz enthält daher eine Sachaussage, die zwar nicht<br />
aus sich selbst verständlich ist, sich jedoch <strong>de</strong>njenigen Adressaten<br />
erschließt, <strong>de</strong>nen die Gründung einer EWIV mit <strong>de</strong>m Namen<br />
„CMS“ bekannt ist o<strong>de</strong>r die <strong>de</strong>n am unteren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Briefbogens<br />
angebrachten Hinweis gelesen haben.<br />
c) Die beanstan<strong>de</strong>te Buchstabenfolge bezieht sich, wie <strong>de</strong>m am<br />
unteren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Briefbogens enthaltenen Hinweis zu entnehmen<br />
ist, auf die Beteiligung an einer EWIV mit eben diesem Namen.<br />
§ 8 Satz 2 BORA gestattet ausdrücklich <strong>de</strong>n Hinweis auf<br />
die Mitgliedschaft in einer EWIV. Diese Regelung ist auch be<strong>de</strong>utsam<br />
für die Beurteilung <strong>de</strong>r Frage, welche Art von Zusätzen<br />
zur Kennzeichnung <strong>de</strong>r beruflichen Zusammenarbeit § 9 Abs. 3<br />
BORA zulässt (vgl. Hartung/Holl/Römermann, a.a.O., § 9 Rdnr.<br />
24 ff.). Zwar entspricht die Bestimmung <strong>de</strong>s § 9 BORA im Ansatz<br />
<strong>de</strong>r früher in § 28 Abs. 3 <strong>de</strong>r Grundsätze <strong>de</strong>s anwaltlichen<br />
Stan<strong>de</strong>srechts enthaltenen Regelung (vgl. dazu Hartung/Holl/<br />
Römermann, Anwaltliche Berufsordnung, § 9 BORA Rdnr. 1 ff.).<br />
Sie betrifft daher grundsätzlich die Gestaltung <strong>de</strong>s Innenverhältnisses<br />
<strong>de</strong>r beruflichen Zusammenarbeit. Die Auslegung <strong>de</strong>r von<br />
<strong>de</strong>r Satzungsversammlung beschlossenen Regelung hat jedoch<br />
die Rechtsän<strong>de</strong>rungen im Bereich anwaltlicher Zusammenschlüsse<br />
einschließlich <strong>de</strong>r europarechtlichen Entwicklung zu<br />
berücksichtigen. Darauf beruht die in § 8 Satz 2 BORA enthaltene<br />
Erlaubnis. Der hier gewählte Zusatz wird daher, obwohl er<br />
die berufliche Zusammenarbeit nicht im Innenverhältnis, son<strong>de</strong>rn<br />
in einer Kooperation mit an<strong>de</strong>ren rechtlich selbstständigen<br />
anwaltlichen Zusammenschlüssen betrifft, durch § 9 Abs. 3<br />
BORA nicht ausgeschlossen.<br />
d) Die Sozietät <strong>de</strong>s Ast. hat auf die Verbindung zur EWIV nicht<br />
durch einen die Beteiligung inhaltlich zum Ausdruck bringen<strong>de</strong>n<br />
Zusatz hingewiesen, son<strong>de</strong>rn diese Tatsache lediglich mittelbar<br />
durch Verwendung <strong>de</strong>s Namens <strong>de</strong>r EWIV gekennzeichnet.<br />
Darin ist ebenfalls kein Verstoß gegen § 9 Abs. 3 BORA zu<br />
erblicken. Der Zusatz zur Kurzbezeichnung muss <strong>de</strong>r Klarheit<br />
und Übersichtlichkeit halber knapp gefasst sein und darf schon<br />
<strong>de</strong>m äußeren Bild nach die Namensangaben als Kern <strong>de</strong>r Firma<br />
nicht verdrängen. Für das rechtsuchen<strong>de</strong> Publikum, das die Be<strong>de</strong>utung<br />
<strong>de</strong>s Zusatzes „CMS“ nicht kennt, enthält <strong>de</strong>r Briefbogen<br />
durch <strong>de</strong>n schon beschriebenen Hinweis an seinem unteren<br />
En<strong>de</strong> die notwendige Erläuterung.<br />
e) Die Verwendung <strong>de</strong>s Namens <strong>de</strong>r EWIV auf <strong>de</strong>m Briefbogen<br />
als Zusatz zur gewählten Kurzbezeichnung steht schließlich<br />
auch nicht in Wi<strong>de</strong>rspruch zu Sinn und Zweck <strong>de</strong>r in § 9 BORA<br />
getroffenen Regelung. Diese soll sicherstellen, dass je<strong>de</strong>r im<br />
Rechtsverkehr ohne Schwierigkeiten erkennen kann, mit wem<br />
er es zu tun hat, wer Rechtsberatung anbietet o<strong>de</strong>r als Vertreter<br />
gegnerischer rechtlicher Interessen auftritt. Deshalb müssen bei<br />
<strong>de</strong>r Wahl einer Kurzbezeichnung die Namen eines o<strong>de</strong>r mehrerer<br />
Anwälte <strong>de</strong>n Aussagekern <strong>de</strong>r Firma darstellen. Das berechtigte<br />
Interesse <strong>de</strong>r Öffentlichkeit an einer ein<strong>de</strong>utigen Außendarstellung<br />
<strong>de</strong>r Rechtsanwaltsgemeinschaft wird durch einen<br />
Zusatz in <strong>de</strong>r hier umstrittenen Art jedoch nicht beeinträchtigt;<br />
<strong>de</strong>nn er ist nicht geeignet, einen Irrtum über die Art <strong>de</strong>s rechtlichen<br />
Zusammenschlusses <strong>de</strong>r RAe zu begrün<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r in sonstiger<br />
Weise Unklarheiten im Rechtsverkehr hervorzurufen. Für<br />
das Auftreten <strong>de</strong>r Sozietät nach außen ist es auch unwesentlich,<br />
ob ihre Beteiligung an einer EWIV unmittelbar o<strong>de</strong>r über eine<br />
zwischengeschaltete GmbH erfolgt.<br />
2. Die Auslegung, dass die Buchstabenfolge „CMS“ als Zusatz<br />
zur Kurzbezeichnung auf <strong>de</strong>m Briefkopf mit § 9 Abs. 3 BORA<br />
vereinbar ist, entspricht im Übrigen einer am Grundrecht <strong>de</strong>r<br />
Berufsfreiheit ausgerichteten Auslegung dieser Bestimmung (vgl.<br />
BVerfG, NJW 2000, 3195, 3196; 2001, 1926, 1927).<br />
3. Da die angegriffene Verfügung <strong>de</strong>r Agin. schon wegen <strong>de</strong>s in<br />
<strong>de</strong>r Buchstabenfolge „CMS“ enthaltenen sachlichen Aussagegehalts<br />
rechtswidrig ist, braucht <strong>de</strong>r Senat nicht auf die umstrittene<br />
Frage einzugehen, ob <strong>de</strong>r Kurzbezeichnung auch Zusätze in<br />
Form von Phantasienamen hinzugefügt wer<strong>de</strong>n dürfen (vgl.<br />
dazu OLG Karlsruhe, NJW 2001, 1584; die Revision gegen dieses<br />
Urteil ist beim I. ZS <strong>de</strong>s BGH anhängig) o<strong>de</strong>r ob solche Bezeichnungen<br />
durch § 9 Abs. 3 BORA wirksam ausgeschlossen<br />
wor<strong>de</strong>n sind.<br />
Anmerkung:<br />
Das Urteil <strong>de</strong>s BGH ist ein weiterer, wenngleich vorsichtiger<br />
Schritt auf <strong>de</strong>m Weg zu einem liberalen „Namensrecht“ für Anwaltskanzleien.<br />
Zwar haben die Karlsruher Richter ausdrücklich<br />
darauf hingewiesen, dass die Kanzlei CMS Hasche Sigle Eschenlohr<br />
Peltzer Schäfer (jetzt nur noch CMS Hasche Sigle) das Drei-<br />
Lettern-Kürzel <strong>de</strong>shalb verwen<strong>de</strong>n dürfte, weil es – wie es § 8<br />
Satz 2 BORA schließlich erlaube – auf die Mitgliedschaft in<br />
einer Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung<br />
(EWIV) hinweise und das Gericht keineswegs entschie<strong>de</strong>n habe,<br />
ob einer Kurzbezeichnung auch Zusätze in Form von Phantasienamen<br />
hinzugefügt wer<strong>de</strong>n dürfen. Dennoch <strong>de</strong>uten die<br />
Urteilsgrün<strong>de</strong> darauf hin, dass <strong>de</strong>r BGH einer allzu strengen<br />
Auslegung <strong>de</strong>r berufsrechtlichen Vorschrift zu Kanzlei-Kurzbezeichnungen<br />
in § 9 BORA nicht folgt, son<strong>de</strong>rn „zeitgemäß“ zu<br />
urteilen geneigt ist. Denn wenn sich eine Anwaltskanzlei etwa<br />
in Form einer Aktiengesellschaft zusammenschließt – auch<br />
wenn dies zurzeit nicht gera<strong>de</strong> en vogue ist – erlaubt die Rspr.<br />
reine Sachfirmen mit Abkürzungen und frei gewählten Namen.<br />
Der Wettbewerbssenat <strong>de</strong>s Gerichts wird in absehbarer Zeit<br />
über <strong>de</strong>n Kanzlei-Namenszusatz „KPMG“ zur Bezeichnung eines<br />
Verbun<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>n Phantasienamen „artax“ für eine RAund<br />
Steuerkanzlei entschei<strong>de</strong>n.<br />
Für <strong>de</strong>n BGH ist <strong>de</strong>r Zusatz CMS <strong>de</strong>shalb bereits eine zulässige<br />
Sachaussage, weil am unteren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Briefbogens ein mit<br />
„CMS (EWIV)“ beginnen<strong>de</strong>r Hinweis auf die Sozietät sowie auf<br />
fünf weitere, ebenfalls mit <strong>de</strong>m Buchstaben-Kürzel gekennzeichnete<br />
internationale berufliche Zusammenschlüsse angebracht<br />
ist. Der Zusatz „CMS“ sei zwar nicht aus sich selbst verständlich,<br />
räumt <strong>de</strong>r BGH ein, erschließe sich aber je<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>m<br />
die Gründung einer EWIV mit <strong>de</strong>m Namen bekannt sei o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>n Hinweis unten auf <strong>de</strong>m Briefbogen gelesen habe. Darüber<br />
ließe sich trefflich streiten angesichts <strong>de</strong>s auch vom BGH zitierten<br />
Zwecks <strong>de</strong>s § 9 BORA, <strong>de</strong>r sicherstellen soll, dass je<strong>de</strong>r im<br />
Rechtsverkehr „ohne Schwierigkeiten“ erkennen kann, mit wem<br />
er es zu tun habe. Einen solchen Streit lässt <strong>de</strong>r BGH aber gar<br />
nicht erst aufkommen: Irrtümer über die Art <strong>de</strong>s rechtlichen Zusammenschlusses<br />
<strong>de</strong>r Anwälte o<strong>de</strong>r sonstige Unklarheiten wür<strong>de</strong>n<br />
durch die Kurzbezeichnung nicht hervorgerufen, konstatiert<br />
das Gericht ohne weitere Ausführungen. Es verweist – ebenfalls<br />
ohne weitere Ausführungen – zu<strong>de</strong>m knapp, aber unmissverständlich<br />
darauf, dass seine Auslegung zur Vereinbarkeit <strong>de</strong>s<br />
Briefkopf-Zusatzes mit § 9 BORA „im Übrigen“ einer am Grundrecht<br />
<strong>de</strong>r Berufsfreiheit ausgerichteten Auslegung entspreche<br />
und mahnt an, dass auch die Rechtsän<strong>de</strong>rung im Bereich anwaltlicher<br />
Zusammenschlüsse einschließlich <strong>de</strong>r europarechtlichen<br />
Entwicklung zu berücksichtigen sei.<br />
Bettina Mävers, Düsseldorf
94 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />
2. Anwaltsgerichtshöfe<br />
Handakten/Auskunftspflicht – zu <strong>de</strong>n Voraussetzungen<br />
anwaltlicher Pflichtverletzungen; BRAO §§ 50,<br />
56, BGB § 269<br />
* 1. Nach Kündigung eines Mandats genügt ein RA seiner<br />
Pflicht zur Herausgabe <strong>de</strong>r Handakte mit <strong>de</strong>n von seinem Mandanten<br />
überlassenen Unterlagen, wenn er diese in seiner Kanzlei<br />
auf Verlangen aushändigt. Eine Verpflichtung <strong>de</strong>s RA zur<br />
Übersendung auf eigenes Risiko und eigene Kosten besteht we<strong>de</strong>r<br />
an <strong>de</strong>n Mandanten noch an <strong>de</strong>n von diesem beauftragten<br />
RA, da nach § 269 BGB Ansprüche aus <strong>de</strong>m Anwaltsvertrag am<br />
Ort <strong>de</strong>r Kanzlei <strong>de</strong>s RA als Leistungsort zu erfüllen sind.<br />
* 2. Die nach § 56 Abs. 1 Satz 3 zwingend gebotene Belehrung<br />
eines RA über das Auskunftsverweigerungsrecht durch ein Vorstandsmitglied<br />
einer RAK muss einen klaren Hinweis auf die<br />
berufsrechtlichen Konsequenzen enthalten, die <strong>de</strong>r RA zu erwarten<br />
hat, wenn er von seinem Auskunftsverweigerungsrecht<br />
Gebrauch machen will, es aber unterlässt, sich auf dieses Auskunftsverweigerungsrecht<br />
zu berufen.<br />
Nie<strong>de</strong>rsächsischer AGH, Urt. v. 14. 1. 2002 – AGH 25/01<br />
Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />
Zulassungswi<strong>de</strong>rruf – Verletzung <strong>de</strong>r Mitwirkungspflicht<br />
im Zusammenhang mit einer Wi<strong>de</strong>rrufsverfügung<br />
wegen Vermögensverfalls; BRAO § 36a<br />
* Hat ein RA in ganz erheblicher Weise gegen seine Mitwirkungspflicht<br />
aus § 36a Abs. 2 BRAO verstoßen und hat die unterbliebene<br />
Mitwirkung dazu geführt, dass <strong>de</strong>r Sachverhalt<br />
nicht zugunsten <strong>de</strong>s RA aufgeklärt wer<strong>de</strong>n kann, muss das Gericht<br />
davon ausgehen, dass die Vorgänge – wie sie in <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rrufsverfügung<br />
<strong>de</strong>r RAK aufgeführt sind – die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse <strong>de</strong>s RA zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rrufsverfügung<br />
richtig wie<strong>de</strong>rgeben und dass darüber hinaus keine<br />
zugunsten <strong>de</strong>s Anwalts anzunehmen<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen eingetreten<br />
sind.<br />
Nie<strong>de</strong>rsächsischer AGH, Beschl. v. 26. 11. 2001 – AGH 17/01<br />
Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />
Zulassungswi<strong>de</strong>rruf – Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Zulassung zur<br />
Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls; BRAO<br />
§ 14<br />
* 1. Eine Gefährdung <strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n ist<br />
nicht bereits <strong>de</strong>shalb ausgeschlossen, weil <strong>de</strong>r RA für eingehen<strong>de</strong><br />
Fremdgeldzahlungen ein An<strong>de</strong>rkonto eingerichtet hat.<br />
* 2. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re aufgrund <strong>de</strong>r Tatsache, dass Zahlungen<br />
teilweise nicht überwiesen wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn per Scheck<br />
o<strong>de</strong>r in bar erfolgen und es bei solchen Zahlungen ausschließlich<br />
vom Willen <strong>de</strong>s RA abhängt, ob er die erhaltenen Beträge<br />
bestimmungsgemäß verwen<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r nicht.<br />
Bayerischer AGH, Beschl. v. 19. 11. 2001 – BayAGH I – 6/01<br />
Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />
Syndikusanwalt – zur Anerkennung beson<strong>de</strong>rer praktischer<br />
Erfahrungen; FAO § 5<br />
* 1. Fälle, die ein RA im Rahmen einer Syndikustätigkeit bearbeitet<br />
hat, sind grundsätzlich keine anwaltlichen Fälle i.S.d.<br />
FAO.<br />
* 2. Bei einem Verbandsvertreter besteht keine institutionelle<br />
Absicherung dafür, dass er bei <strong>de</strong>r in dieser Stellung durchgeführten<br />
Tätigkeit Erfahrungen als eigenverantwortlicher, weisungsfreier<br />
und unabhängiger Anwalt erwirkt, auch wenn er<br />
die von ihm vertretenen Verfahren ohne Einmischung eines Geschäftsführers<br />
bzw. <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s führt.<br />
* 3. Bei einer Fallbearbeitung als freier RA, bei <strong>de</strong>r die praktische<br />
Abwicklung hinsichtlich <strong>de</strong>r Kosten, die Kostenberatung<br />
<strong>de</strong>s Mandanten und die Zwangsvollstreckung in größerem<br />
Maße Gewicht haben als bei einem Verbandsvertreter, bietet<br />
<strong>de</strong>r freie RA <strong>de</strong>m rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikum in höherem Maße<br />
die Gewähr für eine fachlich und praktisch geeignete Rechtsberatung<br />
und -vertretung.<br />
AGH Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17. 8. 2001 – 1 ZU 63/01<br />
AGH NW<br />
Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />
Verschwiegenheitspflicht – zu einer Verletzung <strong>de</strong>r<br />
Pflicht zur Verschwiegenheit; BRAO § 43a, BORA § 2,<br />
StGB § 203<br />
* 1. Ein RA verstößt gegen seine Verschwiegenheitspflicht,<br />
wenn er bei seiner Parteianhörung vor Gericht Einzelheiten eines<br />
Grundstücksgeschäfts schil<strong>de</strong>rt, die ihm im Rahmen eines<br />
Mandatsverhältnisses bekannt gewor<strong>de</strong>n sind. Von <strong>de</strong>r Verschwiegenheitspflicht<br />
wird er nicht <strong>de</strong>shalb entbun<strong>de</strong>n, weil<br />
<strong>de</strong>r Richter ihn darum gebeten hat, die Hintergrün<strong>de</strong> im Einzelnen<br />
darzulegen.<br />
* 2. Nicht je<strong>de</strong>r Sachverhalt, <strong>de</strong>r Gegenstand einer öffentlichen<br />
Gerichtsverhandlung gewesen ist, ist notwendigerweise offenkundig<br />
i.S.d. § 43a Abs. 2 Satz 3 BRAO. Die Frage einer offenkundigen<br />
Tatsache i.S.d. Verschwiegenheitspflicht ist von <strong>de</strong>m<br />
Begriff <strong>de</strong>s Geheimnisses gem. § 203 StGB zu trennen.<br />
AnwG Freiburg, Beschl. v. 28. 1. 2002 – ohne AZ – r.k.<br />
Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />
Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />
Orientierungssätze/*Leitsätze <strong>de</strong>r Redaktion<br />
Berufsrecht<br />
Gesamtvollstreckungsverfahren/Insolvenzverfahren –<br />
zu <strong>de</strong>n Voraussetzungen <strong>de</strong>r Gewerbesteuerpflicht<br />
eines als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
tätigen Rechtsanwalts; BRAO § 3, GewStG § 2,<br />
EStG §§ 15, 18<br />
* 1. Einkünfte, die ein RA überwiegend als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
erzielt hat, sind in vollem Umfang<br />
gewerbesteuerpflichtig, da diese nicht aus selbstständiger<br />
Tätigkeit erworben wor<strong>de</strong>n sind.
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 95<br />
Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />
* 2. Die Tätigkeit eines Verwalters im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
ist für einen RA nicht berufstypisch. Die Aufgabe <strong>de</strong>s<br />
Verwalters im Gesamtvollstreckungsverfahren – die Inbesitznahme<br />
von Vermögen sowie <strong>de</strong>ssen Verwaltung und Verwertung<br />
– ist eine <strong>de</strong>r Art nach als Vermögensverwaltung i.S.d.<br />
§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu qualifizieren<strong>de</strong> Tätigkeit, die nicht<br />
<strong>de</strong>swegen zu einer „Rechtsangelegenheit“ wird, weil sich im<br />
Gesamtvollstreckungsverfahren (ggf. schwierige) Rechtsfragen<br />
stellen, zu <strong>de</strong>ren Beantwortung Rechtskenntnisse <strong>de</strong>s Verwalters<br />
hilfreich sein können.<br />
* 3. Allein die Tatsache, dass ein Steuerpflichtiger „selbstständig<br />
und eigenverantwortlich“ i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3<br />
EStG tätig war, reicht im Rahmen <strong>de</strong>s § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG<br />
nicht aus, die Tätigkeit als selbstständige zu qualifizieren. **<br />
BFH, Urt. v. 12. 12. 2001 – XI R 56/00<br />
Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />
I. Die Kl. und Revisionsbeklagte (Kl.) ist eine GbR, in <strong>de</strong>r sich<br />
eine RAin und drei RAe zu gemeinsamer Berufsausübung zusammengeschlossen<br />
haben. Ihre Einnahmen stammen überwiegend<br />
aus Tätigkeiten als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren.<br />
Der Hauptsitz <strong>de</strong>r Kl. befand sich in A. Ferner unterhielt die<br />
Kl. im Streitjahr 1995 in B eine Zweignie<strong>de</strong>rlassung bzw. ein<br />
Büro, in C und D jeweils ein Büro, das von Gesellschaftern<br />
<strong>de</strong>r Kl. geleitet wur<strong>de</strong>, ferner in E, F und G Insolvenzabteilungen.<br />
Ausweislich <strong>de</strong>r vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommenen<br />
Einspruchsentscheidung beschäftigte sie 1995 insgesamt 70 Mitarbeiter.<br />
Hierzu gehörten u.a. zwei angestellte RAe, ein Betriebswirt,<br />
ein Büroverwalter, 11 Reno-Gehilfinnen sowie 6 Buchhalterinnen.<br />
Die Gehaltsaufwendungen betrugen 1995 1,98 Mio.<br />
DM, die Aufwendungen für Fremdarbeiten u.a. für Korrespon<strong>de</strong>nzanwälte<br />
und gutachterlich tätige WP rd. 337 000 DM.<br />
Einer <strong>de</strong>r angestellten RAe war nach <strong>de</strong>n Feststellungen <strong>de</strong>s FG<br />
im Streitjahr im Büro in D unter Leitung zweier Gesellschafter<br />
tätig. Seine Aufgabe bestand darin, Geschäftsunterlagen für <strong>de</strong>n<br />
For<strong>de</strong>rungseinzug im Gesamtvollstreckungsverfahren in Abstimmung<br />
mit <strong>de</strong>m jeweiligen Verwalter zu sichten, die Liste <strong>de</strong>r<br />
„offenen Posten“ zu berichtigen, <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungseinzug durch<br />
Schriftsatzentwürfe vorzubereiten und nach Weisung Gerichtstermine,<br />
Akteneinsicht u.Ä. wahrzunehmen. Der an<strong>de</strong>re angestellte<br />
RA war mit entsprechen<strong>de</strong>n Aufgaben (ohne Fertigung<br />
von Schriftsatzentwürfen) in <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung bzw. ab<br />
1. September 1995 <strong>de</strong>m Büro <strong>de</strong>r Kl. in B nach Weisung zweier<br />
Gesellschafter tätig.<br />
Der Bekl. und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) beurteilte<br />
die Tätigkeit <strong>de</strong>r Kl. im Streitjahr 1995 – wie schon in <strong>de</strong>n Erhebungszeiträumen<br />
1993 und 1994 – als gewerbliche. Die Kl.<br />
habe im Wesentlichen Insolvenztätigkeiten und damit keine<br />
freiberufliche Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 <strong>de</strong>s Einkommensteuergesetzes<br />
(EStG) ausgeübt und in einer für § 18 Abs. 1 Nr. 3<br />
EStG schädlichen Weise eine Vielzahl von qualifizierten Mitarbeitern<br />
beschäftigt (sog. Vervielfältigungstheorie).<br />
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG <strong>de</strong>r Klage<br />
statt. Die Wahrnehmung von Aufgaben eines Verwalters im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
durch einen RA sei Ausübung<br />
eines freien Berufs gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Unschädlich<br />
sei, dass sich die Kl. <strong>de</strong>r Mithilfe fachlich vorgebil<strong>de</strong>ter<br />
Arbeitskräfte bedient habe; <strong>de</strong>nn die Gesellschafter <strong>de</strong>r Kl.<br />
** S. hierzu Anmerkung von Durchlaub, BRAK-Mitt. 2002, 62 f.<br />
seien nach wie vor leitend und eigenverantwortlich tätig gewesen.<br />
Aufgrund <strong>de</strong>s unstreitigen und glaubhaften Vortrags <strong>de</strong>r Kl.<br />
stehe fest, dass die bei<strong>de</strong>n im Streitjahr angestellten RAe nur<br />
nach Weisung und nur vorübergehend tätig gewor<strong>de</strong>n seien<br />
(Entscheidungen <strong>de</strong>r FG – EFG – 1999, 843).<br />
Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung <strong>de</strong>s § 2 Abs. 1 Satz 2<br />
<strong>de</strong>s Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i.V.m. § 15 Abs. 2 Satz 1,<br />
§ 18 Abs. 1 EStG sowie <strong>de</strong>s § 96 Abs. 1 und § 76 Abs. 1 <strong>de</strong>r<br />
Finanzgerichtsordnung (FGO).<br />
Es beantragt, das Urteil <strong>de</strong>s FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.<br />
Die Kl. beantragt, die Revision als unbegrün<strong>de</strong>t zurückzuweisen.<br />
Während <strong>de</strong>s Revisionsverfahrens erging ein Än<strong>de</strong>rungsbescheid<br />
(§ 68 FGO), <strong>de</strong>r die tatsächlichen Grundlagen <strong>de</strong>s Streitstoffes<br />
nicht berührt.<br />
II. Die Revision <strong>de</strong>s FA ist begrün<strong>de</strong>t. Die Vorentscheidung ist<br />
aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1<br />
FGO).<br />
Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s FG ist die Kl. nach § 2 Abs. 1 Satz 2<br />
GewStG i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in vollem Umfang gewerbesteuerpflichtig,<br />
da sie nicht nur in geringfügigem Umfang<br />
gewerbliche Einkünfte bezieht (vgl. Urteile <strong>de</strong>s BFH – BFH<br />
v. 13. 11. 1997 – IV R 67/96, BFHE 184, 512 = BStBl. II 1998,<br />
254; v. 11. 8. 1999 – XI R 12/98, BFHE 189, 419 = BStBl. II 2000,<br />
229). Ihre Einkünfte als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
sind nicht solche aus selbständiger Tätigkeit gem. § 18<br />
EStG (ebenso Steinhauff in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht,<br />
§ 18 EStG Rdnr. 175 a; Brandt, in Herrmann/Heuer/<br />
Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz,<br />
Kommentar, § 18 EStG Rdnr. 153; Kanzler, Finanz-Rundschau –<br />
FR – 1994, 114; zustimmend Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz,<br />
20. Aufl., § 18 Rdnr. 97).<br />
1. Die Tätigkeit eines Konkurs-, Zwangs- und Vergleichsverwalters<br />
ist nach st. Rspr. <strong>de</strong>s BFH eine vermögensverwalten<strong>de</strong> i.S.d.<br />
§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und keine freiberufliche Tätigkeit i.S.d.<br />
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (vgl. BFH-Urteile v. 29. 3. 1961 – IV<br />
404/60 U, BFHE 73, 100 = BStBl. III 1961, 306; v. 5. 7. 1973 –<br />
IV R 127/69, BFHE 110, 40 = BStBl. II 1973, 730; v. 11. 5. 1989<br />
– IV R 152/86, BFHE 157, 148 = BStBl. II 1989, 729; vgl. auch<br />
z.B. Brandt, in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 18 EStG<br />
Rdnr. 264; Stuhrmann, in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz,<br />
§ 18 Rdnr. B 228; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 18 Rdnr. 141).<br />
Dasselbe gilt für <strong>de</strong>n Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren,<br />
<strong>de</strong>r vergleichbar einem Konkurs- o<strong>de</strong>r Insolvenzverwalter<br />
das <strong>de</strong>r Gesamtvollstreckung unterliegen<strong>de</strong> Vermögen in Besitz<br />
nimmt, verwaltet und durch Verkauf o<strong>de</strong>r in an<strong>de</strong>rer Weise verwertet<br />
(vgl. § 8 <strong>de</strong>r Gesamtvollstreckungsordnung – GesO; vgl.<br />
heute § 148 Abs. 1, § 159 <strong>de</strong>r Insolvenzordnung; vgl. auch Beschluss<br />
<strong>de</strong>s 1. Senats <strong>de</strong>s BVerfG – BVerfG v. 30. 3. 1993 – 1 BvR<br />
1045/89 u.a., BVerfGE 88, 145, 146).<br />
2. Wird ein RA (überwiegend) als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
tätig, gilt nichts an<strong>de</strong>res; auch ein RA kann<br />
Vermögensverwaltung i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG betreiben.<br />
a) Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zu <strong>de</strong>n Einkünften aus<br />
freiberuflicher Tätigkeit solche, die durch eine selbstständige<br />
Berufstätigkeit eines RA erzielt wer<strong>de</strong>n. Die Zugehörigkeit zu<br />
einer <strong>de</strong>r in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Berufsgruppen<br />
ist danach zwar Voraussetzung für die Annahme<br />
freiberuflicher Einkünfte. Sie reicht allein jedoch nicht aus. Vielmehr<br />
muss, wie § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zu entnehmen ist,
96 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />
die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit freiberuflicher Art sein. Sie<br />
muss für <strong>de</strong>n genannten Katalogberuf berufstypisch, d.h. in beson<strong>de</strong>rer<br />
Weise charakterisierend und <strong>de</strong>m Katalogberuf vorbehalten<br />
sein (vgl. BFH-Urteile v. 2. 10. 1986 – V R 99/78, BFHE<br />
148, 184 = BStBl. II 1987, 147; v. 13. 3. 1987 – V R 33/79, BFHE<br />
149, 313 = BStBl. II 1987, 524; v. 9. 8. 1990 – V R 30/86,<br />
BFH/NV 1991, 126, zugleich Abgrenzung zu BFH-Urt. v. 4. 12.<br />
1980 – V R 27/76, BFHE 132, 136 = BStBl. II 1981, 193). Diese<br />
vom V. Senat <strong>de</strong>s BFH im Rahmen <strong>de</strong>s § 12 Abs. 2 Nr. 5 <strong>de</strong>s Umsatzsteuergesetzes<br />
(UStG) 1967/1973 i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 1<br />
EStG entwickelten Rechtsgrundsätze gelten – entgegen <strong>de</strong>r Auffassung<br />
<strong>de</strong>r Kl. – auch bei unmittelbarer Anwendung <strong>de</strong>s § 18<br />
Abs. 1 EStG (vgl. BFH-Urt. v. 1. 2. 1990 – IV R 42/89, BFHE 160,<br />
21 = BStBl. II 1990, 534; Anm. in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung<br />
– HFR 1986, 254; a.A. Schick, Neue Juristische<br />
Wochenschrift – NJW 1991, 1328, 1332).<br />
Die Tätigkeit eines Verwalters im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
ist für einen RA nicht berufstypisch:<br />
Nach § 3 Abs. 1 <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung (BRAO) ist<br />
<strong>de</strong>r RA <strong>de</strong>r berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen<br />
„Rechtsangelegenheiten“. Aufgabe <strong>de</strong>s Verwalters im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
ist <strong>de</strong>mgegenüber die Inbesitznahme<br />
von Vermögen sowie <strong>de</strong>ssen Verwaltung und Verwertung (§ 8<br />
GesO). Diese <strong>de</strong>r Art nach als Vermögensverwaltung i.S.d. § 18<br />
Abs. 1 Nr. 3 EStG zu qualifizieren<strong>de</strong> Tätigkeit wird nicht <strong>de</strong>swegen<br />
zu einer „Rechtsangelegenheit“, weil sich im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
(ggf. schwierige) Rechtsfragen stellen,<br />
zu <strong>de</strong>ren Beantwortung Rechtskenntnisse <strong>de</strong>s Verwalters hilfreich<br />
sein können (vgl. BFH-Urteil in BFHE 73, 100 = BStBl. III<br />
1961, 306). Verwaltungs- und Rechtsangelegenheiten stehen in<br />
einem solchen Fall nebeneinan<strong>de</strong>r. Die Verwaltungstätigkeit<br />
wird nicht insgesamt zu einer Rechtsangelegenheit umqualifiziert,<br />
da die Art <strong>de</strong>r tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten letztlich<br />
entschei<strong>de</strong>nd ist (vgl. auch § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG).<br />
b) Eine Tätigkeit ist nicht allein <strong>de</strong>swegen eine freiberufliche,<br />
weil sie mit <strong>de</strong>m Berufsbild eines Katalogberufs nach <strong>de</strong>n berufsrechtlichen<br />
Vorschriften vereinbar ist (vgl. BFH in BFHE 160,<br />
21 = BStBl. II 1990, 534; vgl. z.B. auch BFH-Urteile v. 9. 8. 1983<br />
– VIII R 92/83, BFHE 139, 380 = BStBl. II 1984, 129; v. 11. 5.<br />
1989 – IV R 43/88, BFHE 157, 155 = BStBl. II 1989, 797).<br />
Ebenso wenig wie die Verletzung gesetzlicher Normen von einer<br />
Besteuerung freistellt (§ 40 <strong>de</strong>r Abgabenordnung – AO<br />
1977), entschei<strong>de</strong>t die Beachtung o<strong>de</strong>r Nichtbeachtung berufsrechtlicher<br />
Vorschriften über das Bestehen einer Steuerpflicht.<br />
Da Art und Umfang <strong>de</strong>r Besteuerung allein vom Gesetzgeber zu<br />
bestimmen sind, haben auch Berufsbezeichnungen, die von<br />
stan<strong>de</strong>srechtlichen Organisationen eingeführt wer<strong>de</strong>n (hier ab<br />
1999 <strong>de</strong>r „Fachanwalt für Insolvenzrecht“), keine maßgebliche<br />
steuerrechtliche Relevanz.<br />
Der Senat verkennt nicht, dass <strong>de</strong>r BFH bei Auslegung <strong>de</strong>s § 18<br />
Abs. 1 Nr. 1 EStG auf berufsrechtliche Regelungen zurückgegriffen<br />
hat (vgl. z.B. auch BFH-Urt. v. 3. 10. 1985 – V R 106/78,<br />
BFHE 145, 248 = BStBl. II 1986, 213). Er hat dies aber nie in<br />
<strong>de</strong>m Sinn getan, dass er je<strong>de</strong> mit Berufsrecht vereinbare Tätigkeit<br />
<strong>de</strong>s RA als freiberuflich gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG beurteilt<br />
hat (vgl. auch Schick, NJW 1991, 1328, 1332). Er hat vielmehr<br />
z.B. in BFHE 148, 184 = BStBl. II 1987, 147, klar ausgesprochen,<br />
dass die Übernahme von Konkursverwaltungen durch<br />
einen RA keine <strong>de</strong>m Rechtsanwaltsberuf vorbehaltene und ihn<br />
in beson<strong>de</strong>rer Weise charakterisieren<strong>de</strong> Tätigkeit sei. Im Übrigen<br />
hat auch die Erweiterung <strong>de</strong>s Berufsbilds <strong>de</strong>s RA nichts<br />
daran geän<strong>de</strong>rt, dass die als Vermögensverwalter tätigen RAe<br />
nicht nach <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sgebührenordnung für RAe (BRAGO) abrechnen<br />
können (vgl. z.B. BFH in BFH/NV 1991, 126).<br />
Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s FG kommt es daher für die Auslegung<br />
<strong>de</strong>s Begriffs freiberufliche Tätigkeit nicht auf die Rspr. <strong>de</strong>s<br />
BGH (BGH) zu Art und Umfang <strong>de</strong>r Rechtsanwaltstätigkeit (z.B.<br />
BGH-Urt. v. 17. 9. 1998 – IX ZR 237/97, NJW 1998, 3567) an.<br />
Ebenso wenig ist bei <strong>de</strong>r Abgrenzung einer freiberuflichen von<br />
einer sonstigen selbstständigen Tätigkeit – entgegen <strong>de</strong>r Auffassung<br />
<strong>de</strong>r Kl. – die Rspr. <strong>de</strong>s BFH einschlägig, die zu ausdrücklich<br />
berufsrechtlich beeinflussten Vorschriften <strong>de</strong>r § 109 Abs. 2<br />
<strong>de</strong>r Reichsabgabenordnung (AO) bzw. § 191 Abs. 2 AO 1977 ergangen<br />
ist (so BFH-Urteile v. 17. 10. 1957 – V 167/55 U, BStBl.<br />
III 1957, 453; v. 13. 5. 1998 – II R 4/96, BFHE 186, 7 = BStBl. II<br />
1998, 760; v. 26. 11. 1985 – VII R 148/81, BFH/NV 1986, 134;<br />
v. 27. 6. 1973 – I R 172/71, BFHE 110, 171 = BStBl. II 1973,<br />
832).<br />
c) Der uneingeschränkte Rückgriff auf berufsrechtliche Bestimmungen<br />
wür<strong>de</strong> zu<strong>de</strong>m, wie <strong>de</strong>r Streitfall zeigt, <strong>de</strong>m verfassungsrechtlichen<br />
Gebot <strong>de</strong>r steuerlichen Gleichbehandlung<br />
(Art. 3 Abs. 1 <strong>de</strong>s Grundgesetzes – GG) wi<strong>de</strong>rsprechen. So führt<br />
die Auffassung <strong>de</strong>r Kl. dazu, wie sie selbst vorträgt, dass RAe, die<br />
als Konkursverwalter tätig sind, aufgrund ihres umfassen<strong>de</strong>n Berufsbil<strong>de</strong>s<br />
freiberuflich tätig wären, dieselbe Tätigkeit eines WP<br />
o<strong>de</strong>r StB aufgrund engerer berufsrechtlicher Regelungen jedoch<br />
nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu beurteilen wäre und damit eher<br />
<strong>de</strong>r Gewerbesteuer unterläge (vgl. so auch ausdrücklich Stuhrmann<br />
in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 18 Rdnr. B 229; Schick, NJW<br />
1991, 1328, 1332).<br />
d) Der erkennen<strong>de</strong> Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht<br />
von <strong>de</strong>n Urteilen <strong>de</strong>s BFH v. 28. 6. 1973 – IV R 77/70, BFHE<br />
110, 34 = BStBl. II 1973, 729, v. 24. 11. 1983 – IV R 130/80<br />
(nicht veröffentlicht – NV) bzw. <strong>de</strong>m Urteil <strong>de</strong>s Reichsfinanzhofs<br />
(RFH) v. 28. 7. 1938 – IV 75/38, RStBl. 1938, 809 zu § 34 Abs. 3<br />
EStG ab. Für die Abgrenzung von § 18 Abs. 1 Nr. 1 zu § 18 Abs.<br />
1 Nr. 3 EStG kann auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rs lauten<strong>de</strong>n und einen an<strong>de</strong>ren<br />
Gesetzeszweck verfolgen<strong>de</strong>n § 34 Abs. 3 EStG a.F. nicht zurückgegriffen<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Entscheidung <strong>de</strong>s Senats wi<strong>de</strong>rspricht auch nicht <strong>de</strong>m Urteil<br />
<strong>de</strong>s IV. Senats <strong>de</strong>s BFH v. 6. 9. 1990 – IV R 125/89, BFHE<br />
161, 552 = BStBl. II 1990, 1028. Die Entscheidung <strong>de</strong>s IV. Senats<br />
ist zur Frage <strong>de</strong>r Steuerbarkeit von Einnahmen und nicht <strong>de</strong>r<br />
Gewerbesteuerpflicht ergangen. Die Qualifizierung <strong>de</strong>r Einkünfte<br />
war in <strong>de</strong>m Verfahren, in <strong>de</strong>m Streitgegenstand allein die<br />
Einkommensteuer war, nicht entscheidungserheblich. Der IV.<br />
Senat <strong>de</strong>s BFH ist daher mit dieser Entscheidung nicht von seinen<br />
Rechtsgrundsätzen in BFHE 160, 21 = BStBl. II 1990, 534<br />
abgerückt (vgl. auch Kanzler, FR 1994, 114).<br />
3. Die somit <strong>de</strong>r Art nach selbstständige vermögensverwalten<strong>de</strong><br />
Tätigkeit <strong>de</strong>r Kl. i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG ist nach <strong>de</strong>r sog.<br />
Vervielfältigungstheorie unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r Gesamtumstän<strong>de</strong><br />
ein Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG. Das FG<br />
hat insoweit zu Unrecht auf seine zu § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3<br />
EStG angestellten Überlegungen zurückgegriffen und damit Be<strong>de</strong>utung<br />
und Inhalt <strong>de</strong>r Vervielfältigungstheorie außer Acht gelassen.<br />
a) Nach <strong>de</strong>r vom RFH und BFH entwickelten Vervielfältigungstheorie,<br />
die für vermögensverwalten<strong>de</strong> Tätigkeiten nach § 18<br />
Abs. 1 Nr. 3 EStG nach wie vor gilt (Umkehrschluss aus § 18<br />
Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG; vgl. BFH-Urt. v. 11. 8. 1994 – IV R<br />
126/91, BFHE 175, 284 = BStBl. II 1994, 936; Schmidt/Wacker,<br />
a.a.O., § 18 Rdnr. 23), gehört es zu <strong>de</strong>n Wesensmerkmalen <strong>de</strong>r<br />
selbstständigen Tätigkeit, dass sie in ihrem Kernbereich auf <strong>de</strong>r
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 97<br />
Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />
eigenen persönlichen Arbeitskraft <strong>de</strong>s Berufsträgers beruht.<br />
Nimmt die Tätigkeit einen Umfang an, <strong>de</strong>r die ständige Beschäftigung<br />
mehrerer Angestellter o<strong>de</strong>r die Einschaltung von<br />
Subunternehmern erfor<strong>de</strong>rt, und wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n genannten Personen<br />
nicht nur untergeordnete, insbeson<strong>de</strong>re vorbereiten<strong>de</strong><br />
o<strong>de</strong>r mechanische Arbeiten übertragen, so beruht sie nicht<br />
mehr im Wesentlichen auf <strong>de</strong>r persönlichen Arbeitskraft <strong>de</strong>s<br />
Berufsträgers und ist <strong>de</strong>shalb steuerrechtlich als eine gewerbliche<br />
zu qualifizieren. Die Tatsache, dass die Gesellschafter <strong>de</strong>r<br />
Kl. durch die in gleicher o<strong>de</strong>r ähnlicher Weise qualifizierten<br />
Mitarbeiter o<strong>de</strong>r Subunternehmer von Arbeit entlastet wur<strong>de</strong>n,<br />
stützt nicht die Annahme, die Tätigkeit beruhe auf <strong>de</strong>r persönlichen<br />
Arbeitskraft <strong>de</strong>r Berufsträger. Aber auch dann, wenn nur<br />
Hilfskräfte beschäftigt wer<strong>de</strong>n, die ausschließlich untergeordnete<br />
Arbeiten erledigen, kann <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>s Betriebs im Einzelfall<br />
<strong>de</strong>n gewerblichen Charakter <strong>de</strong>r Tätigkeit begrün<strong>de</strong>n.<br />
Wann diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Einzelfall nach<br />
<strong>de</strong>m Gesamtbild <strong>de</strong>r Verhältnisse zu entschei<strong>de</strong>n (vgl. z.B.<br />
BFH-Urteile v. 23. 5. 1984 – I R 122/81, BFHE 141, 505 =<br />
BStBl. II 1984, 823; in BFHE 175, 284 = BStBl. II 1994, 936).<br />
Allein die Tatsache, dass ein Steuerpflichtiger „selbständig und<br />
eigenverantwortlich“ i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG tätig<br />
war, reicht im Rahmen <strong>de</strong>s § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht aus, die<br />
Tätigkeit als selbständige zu qualifizieren. An<strong>de</strong>renfalls ginge<br />
die vom Gesetz beabsichtigte Unterscheidung zwischen § 18<br />
Abs. 1 Nr. 1 und 3 EStG verloren.<br />
b) Aufgrund <strong>de</strong>r Feststellungen <strong>de</strong>s FG ist davon auszugehen,<br />
dass die Kl. als Verwalterin im Gesamtvollstreckungsverfahren<br />
gewerblich tätig war:<br />
Die Kl. beschäftigte mehrere Angestellte, die die gleiche (RAe)<br />
o<strong>de</strong>r eine vergleichbar qualifizieren<strong>de</strong> (Betriebswirt) Berufsausbildung<br />
wie ihre Gesellschafter abgeschlossen hatten (vgl. ähnlich<br />
BFH-Urteile v. 5. 7. 1957 – IV 668/55 U, BFHE 66, 85 =<br />
BStBl. III 1958, 34; v. 30. 8. 1962 – IV 394/58, BFHE 76, 116 =<br />
BStBl. III 1963, 42; v. 2. 6. 1959 – I 87/58 S, BFHE 69, 191 =<br />
BStBl. III 1959, 334). Sie hatte ferner 67 Personen angestellt, die<br />
teilweise eine Fachausbildung als Reno-Gehilfinnen bzw. Buchhalterinnen<br />
durchlaufen hatten. Die Zahl <strong>de</strong>r insgesamt Beschäftigten<br />
(70) ist ein gewichtiges Indiz, das gegen die individuelle<br />
Leistung <strong>de</strong>r Gesellschafter <strong>de</strong>r Kl. spricht (vgl. zur Be<strong>de</strong>utung<br />
<strong>de</strong>r Anzahl <strong>de</strong>r Beschäftigten BFH-Urt. v. 18. 3. 1999 –<br />
IV R 5/98, BFH/NV 1999, 1456). Die Kl. hat ferner mit einem<br />
Gesamtaufwand von rd. 337 000 DM u.a. nicht angestellte RAe<br />
und WP mit Arbeiten betraut.<br />
Anwaltliche Werbung – zur Zulässigkeit einer anwaltlichen<br />
Homepage; BORA §§ 6, 7<br />
* 1. Unter Berücksichtigung <strong>de</strong>s Art. 12 Abs. 1 GG dürfen unter<br />
§ 7 Abs. 1 BORA nicht sämtliche <strong>de</strong>nkbaren Dienstleistungen<br />
eines RA o<strong>de</strong>r einer Anwaltssozietät fallen, so dass unter<br />
„Teilbereiche <strong>de</strong>r Berufstätigkeit“ i.S.d. § 7 Abs. 1 BORA lediglich<br />
Rechtsgebiete sowie nennenswerte Teile von Rechtsgebieten<br />
zu fassen sind.<br />
* 2. Die Begriffe Ordnungswidrigkeits- und Bußgeldverfahren,<br />
Strafverteidigungen, Verkehrsstrafrecht sowie Führerscheinentzug<br />
und Fahrverbote charakterisieren keine Rechtsgebiete<br />
bzw. nennenswerte Teile von Rechtsgebieten. Vielmehr han<strong>de</strong>lt<br />
es sich dabei lediglich um einzelne Tätigkeiten, die allesamt das<br />
Rechtsgebiet Strafrecht näher charakterisieren.<br />
LG Leipzig, Urt. v. 21. 12. 2001 – 02 HK O 8701/01<br />
Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />
Anwaltliche Werbung – zur Zulässigkeit einer anwaltlichen<br />
Homepage; BORA §§ 6, 7, UWG §§ 1, 3<br />
* 1. Eine anwaltliche Homepage ist als „an<strong>de</strong>res Informationsmittel“<br />
i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 BORA anzusehen, in <strong>de</strong>m gem.<br />
§ 6 Abs. 2 Satz 2 BORA grundsätzlich weitere als die nach § 7<br />
BORA erlaubten Hinweise gegeben wer<strong>de</strong>n dürfen.<br />
* 2. Für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung einer synonymen<br />
Verwendung <strong>de</strong>r Begriffe „Tätigkeitsfel<strong>de</strong>r“ und „Tätigkeitsschwerpunkte“<br />
kommt es darauf an, ob diese zur Irreführung<br />
geeignet ist.<br />
* 3. Die Werbeaussage „Seit ca. 2 Jahren habe ich mich auf <strong>de</strong>m<br />
Gebiet <strong>de</strong>s Teilzeitwohnrechts (time-sharing) in Spanien spezialisiert“,<br />
ist als reklamehaftes, unzulässiges Herausstellen <strong>de</strong>r<br />
eigenen Leistung (Selbstberühmung) anzusehen.<br />
LG Leipzig, Beschl. v. 14. 12. 2001 – 05 O 8712/01<br />
Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />
Haftung<br />
Keine Haftung eines neu eintreten<strong>de</strong>n BGB-Gesellschafters<br />
für Altverbindlichkeiten<br />
Die Gesellschafter einer freiberuflichen RA- o<strong>de</strong>r Steuerberatersozietät<br />
haften nicht kraft Gesetzes für vor ihrem Eintritt in<br />
die Sozietät begrün<strong>de</strong>te Verbindlichkeiten. Die neue BGH-<br />
Rspr. zur akzessorischen Gesellschafterhaftung in <strong>de</strong>r GbR hat<br />
daran nichts geän<strong>de</strong>rt.*<br />
OLG Düsseldorf, Urt. v. 20. 12. 2001 – 23 U 49/01<br />
Aus <strong>de</strong>n Tatbestän<strong>de</strong>n:<br />
Die Kl. nimmt die Bekl. wegen unvollständigen Steuererklärungen<br />
auf Scha<strong>de</strong>nsersatz in Anspruch.<br />
Die Kl. ist Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns, <strong>de</strong>r Gesellschafter<br />
und Geschäftsführer <strong>de</strong>r X-GmbH war. Der Bekl. zu 2.<br />
hat die Eheleute sowie die X-GmbH in allen steuerlichen Angelegenheiten<br />
als StB betreut. Der Bekl. zu 1. war bis zum<br />
16. 3. 1998 Angestellter <strong>de</strong>s Bekl. zu 2. und hat anschließend<br />
mit diesem eine Steuerberatersozietät gegrün<strong>de</strong>t.<br />
Im Zuge einer Betriebsverlagerung <strong>de</strong>r GmbH hat <strong>de</strong>r Ehemann<br />
<strong>de</strong>r Kl. auf <strong>de</strong>m bisherigen Betriebsgrundstück bauliche Maßnahmen<br />
vorgenommen. In die Beratungen über dieses Projekt<br />
sowie seine sich über vier Jahre hinziehen<strong>de</strong> Abwicklung war<br />
<strong>de</strong>r Bekl. zu 2. von Anfang an involviert. Auf seinen Vorschlag<br />
wur<strong>de</strong> das Bauvorhaben mit Darlehensmitteln aus einer Kapitallebensversicherung<br />
finanziert, die <strong>de</strong>r Ehemann <strong>de</strong>r Kl. bei<br />
<strong>de</strong>r Victoria abgeschlossen hatte.<br />
Zur Anfertigung ihrer Einkommens- und Vermögenssteuererklärungen<br />
für die Jahre 1991–1996 stellten die Kl. und ihr Ehemann<br />
<strong>de</strong>m Bekl. zu 2. jeweils einen „Bauordner“ zur Verfügung,<br />
in <strong>de</strong>m sowohl die Anzeigen <strong>de</strong>r Versicherung über ausgezahlte<br />
Darlehensbeträge wie auch Kontoauszüge und Überweisungsträger<br />
für hierauf geleistete Zinszahlungen enthalten waren.<br />
Diese Aufwendungen wur<strong>de</strong>n jedoch in <strong>de</strong>n vom sachbearbeiten<strong>de</strong>n<br />
Bekl. zu 1. angefertigten Steuererklärungen nicht o<strong>de</strong>r<br />
nicht vollständig als Werbungskosten in Ansatz gebracht; infolge<strong>de</strong>ssen<br />
sind <strong>de</strong>r Kl. und ihrem Ehemann nach <strong>de</strong>n Steuerbeschei<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>s Finanzamts Y Steuervorteile i.H.v. insgesamt<br />
119 747,54 DM entgangen.<br />
* S. hierzu <strong>de</strong>n Beitrag von Grams, BRAK-Mitt. 2002, 60 ff..
98 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />
Das LG hat <strong>de</strong>r Klage stattgeben. Mit ihrer Berufung gegen diese<br />
Entscheidung machen die Bekl. geltend, <strong>de</strong>r Bekl. zu 1. hafte <strong>de</strong>r<br />
Kl. schon <strong>de</strong>shalb nicht auf Scha<strong>de</strong>nsersatz, weil er bei <strong>de</strong>r Vorbereitung<br />
<strong>de</strong>r Steuererklärungen lediglich Angestellter <strong>de</strong>s Bekl.<br />
zu 2. und somit nicht Partei <strong>de</strong>s Steuerberatervertrages gewesen<br />
sei. Außer<strong>de</strong>m treffe <strong>de</strong>n Ehemann <strong>de</strong>r Kl. aus <strong>de</strong>n bereits erstinstanzlich<br />
dargelegten Grün<strong>de</strong>n zumin<strong>de</strong>st ein überwiegen<strong>de</strong>s<br />
Mitverschul<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r steuerlichen Mehrbelastung.<br />
Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />
Die zulässige Berufung <strong>de</strong>s Bekl. zu 1. ist begrün<strong>de</strong>t; das Rechtsmittel<br />
<strong>de</strong>s Bekl. zu 2. bleibt dagegen ohne Erfolg.<br />
I. Gegenüber <strong>de</strong>m Bekl. zu 1. ist die Klage unschlüssig. Die Kl.<br />
hat keine Umstän<strong>de</strong> dargetan, aus <strong>de</strong>nen sich <strong>de</strong>ssen Haftung<br />
für <strong>de</strong>n geltend gemachten Scha<strong>de</strong>n ergeben könnte.<br />
1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus positiver Vertragsverletzung<br />
(pVV) liegen nicht vor.<br />
a) Der Bekl. zu 1. ist durch die Beauftragung <strong>de</strong>s Bekl. zu 2. mit<br />
<strong>de</strong>r Anfertigung <strong>de</strong>r Steuererklärungen für die Jahre 1991 bis<br />
1996 nicht Partei <strong>de</strong>s Steuerberatervertrages gewor<strong>de</strong>n; er haftet<br />
<strong>de</strong>r Kl. auch nicht nach §§ 427, 714, 675 BGB als Mitglied<br />
einer gemeinsam mit <strong>de</strong>m Bekl. zu 2. betriebenen Steuerberatersozietät.<br />
aa) Bei einer Sozietät rechtlicher o<strong>de</strong>r steuerlicher Berater<br />
kommt zwar das Mandatsverhältnis nach <strong>de</strong>m insoweit übereinstimmen<strong>de</strong>n<br />
Willen <strong>de</strong>r Vertragsschließen<strong>de</strong>n grundsätzlich<br />
mit allen Sozien zustan<strong>de</strong>; für eine Schlechterfüllung <strong>de</strong>s Beratungsvertrages<br />
haften <strong>de</strong>shalb alle Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sozietät als<br />
Gesamtschuldner (BGHZ 56, 355, 359 f. = NJW 1971, 1801;<br />
BGHZ 124, 47, 48 f. = NJW 1994, 257; BGH NJW-RR 1996,<br />
313, 314; NJW 2001, 2462, 2463; Kamps/Alvermann, NJW<br />
2001, 2121, 2122 m.w.N.). Das gilt jedoch nur im Falle einer im<br />
Zeitpunkt <strong>de</strong>r Auftragserteilung bereits bestehen<strong>de</strong>n Sozietät.<br />
Bei einem bereits vor Sozietätsgründung erteilten Einzelmandat<br />
hatten dagegen <strong>de</strong>r Mandant und <strong>de</strong>r Berater we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Willen<br />
noch die rechtliche Befugnis, das Auftragsverhältnis zugleich<br />
mit o<strong>de</strong>r für unselbständige Hilfspersonen <strong>de</strong>s Beraters o<strong>de</strong>r<br />
sonstige Mitglie<strong>de</strong>r einer seinerzeit noch gar nicht bestehen<strong>de</strong>n<br />
Sozietät zu begrün<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>r spätere Sozius haftet daher allein<br />
wegen <strong>de</strong>r nachvertraglichen Sozietätsgründung nicht für<br />
frühere Verletzungen <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Beratervertrag erwachsenen<br />
Pflichten (BGH, NJW 1988, 1973 m.w.N.; NJW 1990, 827,<br />
829). An<strong>de</strong>res gilt lediglich dann, wenn er im Zeitpunkt <strong>de</strong>r Auftragserteilung<br />
durch Praxisschild o<strong>de</strong>r Briefbögen bei <strong>de</strong>m Auftraggeber<br />
<strong>de</strong>n Anschein einer Sozietät erweckt hat, weil Angehörige<br />
rechts- o<strong>de</strong>r steuerberaten<strong>de</strong>r Berufe hierdurch nach<br />
außen hin als Mitglie<strong>de</strong>r einer Sozietät in Erscheinung treten<br />
und sich <strong>de</strong>shalb nach <strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>r Duldungs- und Anscheinsvollmacht<br />
an <strong>de</strong>m von ihnen gesetzten Rechtsschein<br />
festhalten lassen müssen (BGHZ 124, 47, 51 = NJW 1994, 257,<br />
258; BGH, NJW-RR 1988, 1299, 1300; NJW 1990, 827, 829;<br />
NJW 1991, 1225; NJW 1999, 3040, 3041; NJW 2000, 1333,<br />
1334).<br />
bb) Danach schei<strong>de</strong>t vorliegend eine eigene Beauftragung <strong>de</strong>s<br />
Bekl. zu 1. von vornherein aus. Die Kl. hat mit <strong>de</strong>r Berufungserwi<strong>de</strong>rung<br />
unstreitig gestellt, dass die Steuerberatersozietät erst<br />
nach <strong>de</strong>m 16.3.1998 gegrün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n ist und <strong>de</strong>r Bekl. zu 1.<br />
bis dahin lediglich als Angestellter <strong>de</strong>s Bekl. zu 2. tätig war. Die<br />
von bei<strong>de</strong>n Parteien zur Akte gereichten Schreiben weisen allein<br />
<strong>de</strong>n Bekl. zu 2. als Inhaber <strong>de</strong>s Steuerberaterbüros aus. Dass <strong>de</strong>r<br />
Bekl. zu 1. seit 1973 für sie, ihren Ehemann o<strong>de</strong>r die GmbH tätig<br />
gewesen ist, begrün<strong>de</strong>t nicht seine persönliche Haftung; dass<br />
bei<strong>de</strong> Bekl. nach Begründung <strong>de</strong>r Sozietät im Zuge <strong>de</strong>r Nachfestsetzung<br />
für die Kl. tätig waren, ist für <strong>de</strong>n Klageanspruch irrelevant<br />
(vgl. unten b. bb) und in seiner rechtlichen Be<strong>de</strong>utung<br />
für eine „Außenhaftung“ <strong>de</strong>s Bekl. zu 1. für Versäumnisse aus<br />
<strong>de</strong>r Zeit vor <strong>de</strong>r Sozietätsgründung keine geständnis- o<strong>de</strong>r<br />
präklusionsfähige Tatsache.<br />
b) Der Bekl. zu 1. haftet <strong>de</strong>r Kl. auch nicht <strong>de</strong>shalb, weil er nach<br />
Begründung <strong>de</strong>r Sozietät im März 1998 ihr Vertragspartner gewor<strong>de</strong>n<br />
ist.<br />
aa) Das einer bereits bestehen<strong>de</strong>n Sozietät erteilte Mandat<br />
erstreckt sich zwar in aller Regel auch auf später eintreten<strong>de</strong><br />
Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r (BGHZ 124, 47, 49 = NJW 1994, 257;<br />
BGH, NJW 2001, 1575, 1576; NJW 2001, 2462, 2463). Ist<br />
das Mandat dagegen – wie hier – zunächst nur einem rechtlichen<br />
o<strong>de</strong>r steuerlichen Berater erteilt wor<strong>de</strong>n, so führt die<br />
spätere Gründung einer Sozietät nicht ohne weiteres zu einer<br />
Erweiterung <strong>de</strong>s Auftragsverhältnisses; hierzu bedarf es vielmehr<br />
einer zumin<strong>de</strong>st stillschweigen<strong>de</strong>n Einbeziehung <strong>de</strong>s Sozius<br />
in das bisherige Einzelmandat (BGHZ 124, 47, 49 = NJW<br />
1994, 257; BGH, NJW 1988, 1973 m.w.N.; NJW 1990, 827,<br />
829). Dies setzt voraus, dass die Sozien bei <strong>de</strong>r Ausführung<br />
<strong>de</strong>s Auftrags – etwa durch Übersendung eines unter gemeinsamem<br />
Briefkopf bei<strong>de</strong>r Sozien gefertigten Schreibens – gegenüber<br />
<strong>de</strong>m Mandanten gemeinsam auftreten und das Verhalten<br />
bei<strong>de</strong>r Seiten dahin zu <strong>de</strong>uten ist, dass sie sich über die<br />
Erstreckung <strong>de</strong>s Mandats auf die Sozietät einig sind (BGH,<br />
a.a.O.).<br />
bb) Auch insoweit fehlt es bereits an einem schlüssigen Klagevortrag.<br />
Das einzige zur Akte gereichte Schreiben <strong>de</strong>r Bekl. unter<br />
einem gemeinsamen Briefkopf datiert vom 20. 1. 1999 und<br />
befasst sich nicht mit <strong>de</strong>r Durchführung eines noch nicht been<strong>de</strong>ten<br />
Auftrags; es enthält lediglich eine Aufstellung <strong>de</strong>r im Zuge<br />
<strong>de</strong>r bereits abgewickelten Aufträge unberücksichtigt gebliebenen<br />
Zinsen (Bl. 63 GA). Aber selbst wenn <strong>de</strong>r Bekl. zu 1. nach<br />
Sozietätsgründung in das Mandatsverhältnis zur Kl. einbezogen<br />
wor<strong>de</strong>n wäre, so mangelt es sowohl an einer nachfolgen<strong>de</strong>n<br />
Pflichtverletzung als auch auf einem hierauf beruhen<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n;<br />
unstreitig erschöpfte sich die weitere – erfolgreiche – Tätigkeit<br />
<strong>de</strong>r Bekl. darin, die nachträgliche Berücksichtigung <strong>de</strong>r<br />
Zinsaufwendungen im Veranlagungszeitraum 1995 zu bewirken.<br />
2. Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Kl. hat <strong>de</strong>r Bekl. zu 1. auch nicht<br />
analog §§ 128, 130, 28 HGB für die bereits vor <strong>de</strong>r Gründung<br />
<strong>de</strong>r Sozietät entstan<strong>de</strong>nen Ersatzansprüche gegen <strong>de</strong>n Bekl. zu<br />
2. einzustehen. We<strong>de</strong>r § 130 HGB noch § 28 HGB sind vorliegend<br />
entsprechend anwendbar.<br />
a) Eine freiberufliche Rechtswalts- o<strong>de</strong>r Steuerberatersozietät<br />
betreibt kein Gewerbe i.S.d. § 1 ff. HGB; es han<strong>de</strong>lt sich vielmehr<br />
rechtlich um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGH,<br />
NJW 1988, 1973; NJW-RR 1996, 313, 314). Nach <strong>de</strong>r st. Rspr.<br />
<strong>de</strong>s II. ZS <strong>de</strong>s BGH, <strong>de</strong>r sich neben <strong>de</strong>m IX. ZS (a.a.O.) auch das<br />
BAG angeschlossen hat (NJW 1988, 222, 223), haften die Gesellschafter<br />
einer GbR jedoch nicht kraft Gesetzes für vor ihrem<br />
Eintritt begrün<strong>de</strong>te Gesellschaftsverbindlichkeiten; hierzu bedarf<br />
es vielmehr einer – vorliegend nicht gegebenen – beson<strong>de</strong>ren<br />
Vereinbarung mit <strong>de</strong>m Gläubiger (BGHZ 74, 240, 241 ff. =<br />
NJW 1979, 1821; BGH, NJW 1992, 1501, 1503; NJW 1997,<br />
1580, 1581 [insoweit in BGHZ 134, 224 nicht abgedruckt]). An<br />
dieser Rechtslage hat sich auch durch die Entscheidung <strong>de</strong>s II.<br />
ZS v. 29. 1. 2001 (NJW 2001, 1056 ff.) nichts geän<strong>de</strong>rt. Danach<br />
besteht zwar in Konsequenz <strong>de</strong>r Anerkennung einer beschränkten<br />
Rechtsfähigkeit <strong>de</strong>r GbR eine akzessorische Verknüpfung
BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 99<br />
Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />
zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterhaftung. Der jeweilige<br />
Bestand <strong>de</strong>r Gesellschaftsschuld ist aber nur insoweit für die<br />
persönliche Haftung maßgebend, als „<strong>de</strong>r Gesellschafter für Verbindlichkeiten<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft auch persönlich haftet“ (a.a.O.,<br />
S. 1061). Die Begründung dieser (sodann akzessorischen) Haftung<br />
bestimmt sich jedoch nach <strong>de</strong>r ausdrücklich in Bezug genommenen<br />
Entscheidung vom 27. 9. 1999 (BGHZ 142, 315,<br />
318 = NJW 1999, 3483, 3484) nicht nach <strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rvorschriften<br />
für Han<strong>de</strong>lsgesellschaften, son<strong>de</strong>rn nach § 714 BGB; sie<br />
setzt somit eine auf <strong>de</strong>n Gesellschaftsvertrag rückführbare Geschäftsführungsbefugnis<br />
voraus und gilt <strong>de</strong>shalb nicht für bereits<br />
vor <strong>de</strong>m Beitritt begrün<strong>de</strong>te Verbindlichkeiten (vgl. BGH, IX. ZS,<br />
NJW 1988, 1973; NJW-RR 1996, 313, 314). Dementsprechend<br />
hat <strong>de</strong>r II. ZS in seinem Urt. v. 29. 1. 2001 lediglich auf die Parallele<br />
zur „akzessorischen Haftung gem. §§ 128 f. HGB bei <strong>de</strong>r<br />
oHG“, nicht aber auf die Überleitungsvorschrift für <strong>de</strong>n eintreten<strong>de</strong>n<br />
Gesellschafter in § 130 HGB verwiesen (NJW 2001,<br />
1056, 1061). Dass er damit seine Rspr. zur Haftung <strong>de</strong>r GbR-Gesellschafter<br />
für Altschul<strong>de</strong>n nicht aufgeben wollte, ergibt sich<br />
auch aus <strong>de</strong>m Umstand, dass er trotz <strong>de</strong>r dieser Auffassung beitreten<strong>de</strong>n<br />
Entscheidungen <strong>de</strong>s IX. ZS <strong>de</strong>s BGH und <strong>de</strong>s BAG we<strong>de</strong>r<br />
das Beteiligungsverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG noch das<br />
Verfahren vor <strong>de</strong>m gemeinsamen Senat <strong>de</strong>r Obersten Gerichtshöfe<br />
<strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s eingeleitet hat (vgl. Jauernig, NJW 2001, 2231,<br />
2232).<br />
Soweit in <strong>de</strong>r Literatur aus <strong>de</strong>r „oHG-ähnlichen Gesellschafterhaftung“<br />
<strong>de</strong>r Schluss auf eine (unmittelbare o<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>)<br />
Anwendung <strong>de</strong>s § 130 HGB gezogen wor<strong>de</strong>n ist (so K. Schmidt,<br />
NJW 2001, 993, 999), vermag <strong>de</strong>r Senat <strong>de</strong>m nicht zu folgen.<br />
§ 130 BGB ist eine Son<strong>de</strong>rvorschrift <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lsgesellschaftsrechts,<br />
die sich auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts wegen<br />
ihrer Vielgestaltigkeit von klein- und nichtkaufmännischen Erwerbsgesellschaften<br />
bis zur Gelegenheitsgesellschaft nicht<br />
übertragen lässt. Die unterschiedliche Haftung für Altschul<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft beruht vielmehr auf wohlerwogenen gesetzgeberischen<br />
Erwägungen, die für eine Korrektur im Wege <strong>de</strong>r<br />
Rechtsfortbildung keinen Raum lässt (BGHZ 74, 240, 242 f. =<br />
NJW 1979, 1821; BAG, NJW 1988, 222, 223 [unter 5.]). Dies<br />
gilt umso mehr, als die rückwirken<strong>de</strong> Än<strong>de</strong>rung einer gefestigten<br />
Rspr. <strong>de</strong>n einer GbR beitreten<strong>de</strong>n Gesellschafter nachträglich<br />
Haftungsrisiken aussetzen wür<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>nen er im Zeitpunkt<br />
<strong>de</strong>s Beitritts we<strong>de</strong>r rechnen konnte noch musste. Eine solche<br />
Rechtsfortbildung ist nur bei einem überwiegen<strong>de</strong>n<br />
Interesse <strong>de</strong>r Allgemeinheit o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s hierdurch begünstigten an<strong>de</strong>ren<br />
Beteiligten zulässig (BVerfGE 58, 128, 164 ff. = NJW<br />
1983, 103, 107; BGH [Großer Senat], BGHZ 85, 64, 66 = NJW<br />
1983, 228; BGHZ 132, 6, 11 = NJW 1996, 925, 926; BGHZ<br />
132, 119, 130 = NJW 1996, 1467, 1470), für das vorliegend<br />
nichts ersichtlich ist.<br />
b) Im Übrigen greift § 130 HGB selbst im Falle ihrer entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Anwendbarkeit auf die GbR nicht zugunsten <strong>de</strong>r Kl.<br />
ein. Jene Vorschrift setzt ausdrücklich <strong>de</strong>n Eintritt in eine „bestehen<strong>de</strong><br />
Gesellschaft“ voraus, an <strong>de</strong>r es vorliegend fehlt; durch<br />
<strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>s Bekl. zu 1. in die bisher allein vom Bekl. zu 2.<br />
betriebene Steuerberaterpraxis ist die Gesellschaft vielmehr erst<br />
entstan<strong>de</strong>n. Die Haftung <strong>de</strong>s neuen Gesellschafters in einem<br />
solchen Fall ist nicht in § 130 HGB, son<strong>de</strong>rn nur in § 28 HGB<br />
geregelt. Jene Vorschrift setzt jedoch die Kaufmannseigenschaft<br />
<strong>de</strong>s Einzelunternehmens im Rechtssinne voraus; sie fin<strong>de</strong>t daher<br />
we<strong>de</strong>r unmittelbare noch entsprechen<strong>de</strong> Anwendung, wenn<br />
durch <strong>de</strong>n „Eintritt“ eines o<strong>de</strong>r mehrerer Gesellschafter in <strong>de</strong>n<br />
bisherigen Gewerbebetrieb keine OHG o<strong>de</strong>r KG, son<strong>de</strong>rn lediglich<br />
eine GbR entsteht (BGHZ 31, 397, 400 f. = NJW 1960,<br />
624; BGHZ 143, 314 = NJW 2000, 1193 m.w.N.). So liegt <strong>de</strong>r<br />
Fall hier, weil Freiberufler wie RAe o<strong>de</strong>r StB kein Gewerbe i.S.d.<br />
§ 1 ff. HGB betreiben (oben a) m.w.N.).<br />
Gebühren<br />
Anwaltsgebühren – zur örtlichen Zuständigkeit von<br />
Honorarklagen von Anwälten; ZPO § 29, BGB § 269<br />
* 1. Erfüllungsort für die Honorarzahlungspflicht <strong>de</strong>s Mandanten<br />
ist gem. § 269 Abs. 1 BGB <strong>de</strong>ssen Wohnsitz zur Zeit <strong>de</strong>r Begründung<br />
<strong>de</strong>s Schuldverhältnisses.<br />
* 2. Der Grundsatz, dass im Interesse <strong>de</strong>s Beklagtenschutzes<br />
<strong>de</strong>r Gegner an seinen (Wohn-)Sitz zu verklagen ist, wür<strong>de</strong> ausgehöhlt,<br />
wenn für gegenseitige Verträge zunehmend ein gemeinsamer<br />
Erfüllungsort und damit Gerichtsstand an <strong>de</strong>m Ort<br />
angenommen wür<strong>de</strong>, an <strong>de</strong>m die Sachleistung zu erbringen ist.<br />
LG Ravensburg, Beschl. v. 14. 2. 2002 – 6 O 2342/01<br />
Aus <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />
1. Ein gemeinsamer Erfüllungsort am Kanzleisitz <strong>de</strong>s RA (mit <strong>de</strong>r<br />
Folge eines Gerichtsstan<strong>de</strong>s – nach § 29 ZPO – auch für die<br />
Honorarklage) ist nicht anzunehmen. Erfüllungsort für die<br />
Honorarzahlungsverpflichtung <strong>de</strong>s Klienten ist vielmehr gem.<br />
§ 269 Abs. 1 BGB <strong>de</strong>ssen Wohnsitz zur Zeit <strong>de</strong>r Begründung <strong>de</strong>s<br />
Schuldverhältnisses.<br />
In Rspr. und Kommentarliteratur wird häufig für Honorarfor<strong>de</strong>rungen<br />
von Angehörigen freier Berufe (ausdrücklich gera<strong>de</strong> für<br />
diese Personengruppe Smid, in Musielak, ZPO, 2. Aufl. 2000,<br />
§ 29 Rdnr. 22) ein Gerichtsstand am Ort <strong>de</strong>r Kanzlei Praxis bejaht;<br />
eine nähere Begründung für <strong>de</strong>n angenommenen „gemeinsamen<br />
Erfüllungsort“ fin<strong>de</strong>t sich freilich selten. Beschworen<br />
wird lediglich die „allgemeine Anerkennung“ <strong>de</strong>s gemeinsamen<br />
Erfüllungsortes für bestimmte Fallgruppen und die in <strong>de</strong>r<br />
Kommentarliteratur (vgl. Palandt-Heinrichs, 60. Aufl. 2001,<br />
§ 269 Rdnr. 13) erwähnte „Ten<strong>de</strong>nz“ <strong>de</strong>r Rspr., eine Aufspaltung<br />
in unterschiedliche Erfüllungsorte zu vermei<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Ort, an<br />
<strong>de</strong>m die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen ist (also<br />
etwa die Dienstleistung), als „Vertragsschwerpunkt“ und damit<br />
gemeinsamen Erfüllungsort anzusehen. – Diese Ten<strong>de</strong>nz entbehrt<br />
aber jeglicher gesetzlicher Grundlage:<br />
Auf eine allgemein übliche Barzahlung am Ort <strong>de</strong>r Sachleistung<br />
als beson<strong>de</strong>ren „Umstand“ i.S.v. § 269 Abs. 1 BGB (<strong>de</strong>r sonst<br />
verschie<strong>de</strong>ntlich zutreffend zur Begründung eines Erfüllungsortes<br />
am Sachleistungsort herangezogen wird) beruft sich bei Honoraransprüchen<br />
von Freiberuflern mit Ernst niemand (mehr).<br />
Auch die „Natur <strong>de</strong>s Schuldverhältnisses“ trägt jedoch die Annahme<br />
eines gemeinsamen Erfüllungsortes nicht. Je<strong>de</strong> Geldfor<strong>de</strong>rung<br />
aus gegenseitigen Verträgen ist (grundsätzlich) am<br />
Wohnsitz <strong>de</strong>s Schuldners einzuklagen. Welchen beson<strong>de</strong>ren<br />
Charakter sollen Verträge mit Freiberuflern besitzen, <strong>de</strong>r es<br />
rechtfertigen wür<strong>de</strong>, dass diese Freiberufler ihre Honoraransprüche<br />
„zuhause“, am Geschäftssitz, durchsetzen können?<br />
Ergänzend ist Bezug zu nehmen auf die Ausführungen von<br />
Prechtel (NJW 1999, 3617), Schmid (MDR 1993, 410) sowie<br />
<strong>de</strong>s AG Frankfurt a.M. (NJW 2000, 1802 mit grundsätzlicher,<br />
auch <strong>de</strong>n Anwaltsvertrag betreffen<strong>de</strong>r Begründung). Die genannten<br />
Autoren bzw. das genannte Urteil haben die Geschichte<br />
<strong>de</strong>r in Rspr. und Literatur stets zur Begründung herangezogenen<br />
„h.M.“ zum gemeinsamen Erfüllungsort beim Anwaltsvertrag<br />
im Detail aufgearbeitet und hierbei nachgewiesen,
100 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 2/2002<br />
Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />
dass jeweils auf vermeintlich präjudizielle Entscheidungen verwiesen<br />
wird, die ihrerseits aber eine tragfähige Begründung für<br />
einen gemeinsamen Erfüllungsort nicht bieten (vgl. auch AG<br />
Spandau, NJW 2000, 1654). – Auch bei <strong>de</strong>n vom Kl. herangezogenen<br />
BGH-Entscheidungen fin<strong>de</strong>t sich nur die apodiktische<br />
Behauptung eines gemeinsamen Erfüllungsortes ohne nähere<br />
Begründung. Die vom Kl. zitierte – immerhin ausführlich begrün<strong>de</strong>te<br />
– Entscheidung <strong>de</strong>s OLG Köln vermag nicht zu überzeugen.<br />
Die Schwäche <strong>de</strong>s dort wesentlichen Arguments, dass<br />
<strong>de</strong>r Mandant ja während <strong>de</strong>s Mandatsverhältnisses sich auch<br />
regelmäßig in die Kanzlei <strong>de</strong>s Anwalts begeben habe und ihm<br />
<strong>de</strong>shalb nun auch das Prozessieren am Kanzleisitz zuzumuten<br />
sei, zeigt exemplarisch <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong> Fall: Am 31. 10. 1998<br />
nahm <strong>de</strong>r Kl. mit <strong>de</strong>m Bekl. einen mehrstündigen Termin in<br />
Waldshut-Tiengen wahr, dieser wie<strong>de</strong>rum wur<strong>de</strong> am Vorabend<br />
mehrstündig in Häusern im Schwarzwald vorbereitet. Der<br />
Schwerpunkt <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s KIägers lag also beileibe nicht<br />
unbedingt am Ort seiner Kanzlei – was wohl generell beim<br />
„mo<strong>de</strong>rnen“ Anwalt, <strong>de</strong>r nicht in seiner neben <strong>de</strong>m Gericht gelegenen<br />
Kanzlei sitzt und auf Klagewillige wartet, zunehmend<br />
<strong>de</strong>r Fall sein dürfte ...<br />
Es ist nun nicht nur festzustellen, dass sich eine überzeugen<strong>de</strong><br />
Begründung für die Annahme eines gemeinsamen Erfüllungsortes<br />
nicht fin<strong>de</strong>t. Wesentlich ist <strong>de</strong>r Umstand, dass die be<strong>de</strong>utendste<br />
Rechtsfolge eines materiell-rechtlich (über § 269 BGB)<br />
zu begrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n gemeinsamen Erfüllungsortes darin liegt, dass<br />
über § 29 ZPO ein Gerichtsstand am Geschäftssitz <strong>de</strong>s Freiberuflers<br />
gegeben ist. Die ZPO enthält jedoch ein ausgeklügeltes<br />
System von Gerichtsstandsvorschriften, welches mit <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren<br />
Gerichtsstän<strong>de</strong>n zahlreichen Son<strong>de</strong>rkonstellationen<br />
Rechnung trägt; so gibt es etwa gera<strong>de</strong> für RAe für <strong>de</strong>ren Ansprüche<br />
aus gerichtlicher Tätigkeit <strong>de</strong>n Gerichtsstand <strong>de</strong>s Hauptprozesses,<br />
§ 34 ZPO. Im Übrigen aber gilt im Interesse <strong>de</strong>s Beklagtenschutzes<br />
<strong>de</strong>r Grundsatz, dass <strong>de</strong>r Gegner an seinem (Wohn-)<br />
Sitz zu verklagen ist, §§ 12 ff ZPO. Dieses System wür<strong>de</strong> im<br />
praktischen Ergebnis ausgehöhlt, wenn für gegenseitige Verträge<br />
zunehmend ein gemeinsamer Erfüllungsort und damit Gerichtsstand<br />
an <strong>de</strong>m Ort angenommen wür<strong>de</strong>, an <strong>de</strong>m die Sachleistung<br />
zu erbringen ist. Nach<strong>de</strong>m wohl in <strong>de</strong>r Mehrzahl <strong>de</strong>r Prozesse<br />
nach erbrachter Sachleistung die Geldleistung begehrt wird,<br />
stün<strong>de</strong> am En<strong>de</strong> – entgegen <strong>de</strong>m System <strong>de</strong>r §§ 12–34 ZPO – als<br />
faktisch allgemeine Regel <strong>de</strong>r Gerichtsstand am Geschäftssitz<br />
<strong>de</strong>s Geldgläubigers.<br />
Anmerkung:<br />
Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>s Gerichtsstands für<br />
anwaltliche Gebührenfor<strong>de</strong>rungen mehrt sich zunehmend die<br />
Kritik an <strong>de</strong>r (noch) herrschen<strong>de</strong>n Ansicht von Rspr. 1 und Schrifttum<br />
2 .<br />
Nach<strong>de</strong>m sich in <strong>de</strong>r jüngeren Vergangenheit ausschließlich<br />
vereinzelte AG als örtlich unzuständig angesehen haben und<br />
Klagen auf entsprechen<strong>de</strong> Hilfsanträge an das Gericht <strong>de</strong>s<br />
Wohnsitzes <strong>de</strong>s Bekl. verwiesen wur<strong>de</strong>n 3 , hat nun nach <strong>de</strong>m LG<br />
Frankfurt 4 auch das LG Ravensburg betont, dass sich eine überzeugen<strong>de</strong><br />
Begründung für die Annahme eines Gerichtsstands<br />
<strong>de</strong>s Erfüllungsortes i.S.d. § 29 Abs. 1 ZPO für anwaltliche<br />
Honorarfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong> lege lata nicht fin<strong>de</strong>n lasse.<br />
1 I.S.d. h. M. vgl. zuletzt Hanseatisches OLG, BRAK-Mitt. 2002, 44.<br />
2 Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl. 2002, § 269 Rdnr. 13 ; Zöller/Vollkommer,<br />
ZPO, 22. Aufl. 2001, § 29 Rdnr. 25; Gerold/Schmidt/v.<br />
Eicken-Ma<strong>de</strong>rt, BRAGO, 15. Aufl. 2002, § 1 Rdnr. 66.<br />
3 AG Spandau, NJW 2000, 1654 ; AG Dortmund, BRAK-Mitt. 2000,<br />
207.<br />
Beson<strong>de</strong>re Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schuldverhältnisses – insbeson<strong>de</strong>re<br />
die Natur <strong>de</strong>s anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrages als<br />
einheitliches Schuldverhältnis gem. § 269 Abs. 1 BGB –, auf die<br />
bei <strong>de</strong>r Honorarklage eines Freiberuflers regelmäßig abgestellt<br />
wird 5 , wer<strong>de</strong>n vom LG Ravensburg nicht anerkannt. Der „mo<strong>de</strong>rne“<br />
Anwalt wür<strong>de</strong> heutzutage nicht mehr ungeduldig in<br />
einer direkt neben <strong>de</strong>m Gericht gelegenen Kanzlei am Schreibtisch<br />
brüten und auf klagewillige Mandanten warten. Bereits das<br />
LG Frankfurt hatte ausgeführt, dass das Bild <strong>de</strong>s Anwaltes, <strong>de</strong>r<br />
im Wesentlichen in seinen Kanzleiräumen arbeite, überholt sei.<br />
Aufgrund <strong>de</strong>s Wegfalls <strong>de</strong>r Zulassungsbeschränkungen für Verfahren<br />
vor <strong>de</strong>n LG und <strong>de</strong>n Einsatz mo<strong>de</strong>rner Kommunikationsmittel<br />
könne <strong>de</strong>r Anwalt nun ungehin<strong>de</strong>rt überall und von überall<br />
tätig wer<strong>de</strong>n.<br />
Hat sich die anwaltliche Tätigkeit tatsächlich <strong>de</strong>rartig gewan<strong>de</strong>lt,<br />
dass RAe nur noch als hektische Handlungsreisen<strong>de</strong> auf<br />
Flughäfen o<strong>de</strong>r Bahnhöfen anzutreffen sind? Für die ganz große<br />
Mehrheit <strong>de</strong>r Anwälte ist dies immer noch zu verneinen.<br />
Schwerpunkt aller Tätigkeiten ist für <strong>de</strong>n Anwalt trotz aller Möglichkeiten<br />
mo<strong>de</strong>rner Kommunikationsmittel und <strong>de</strong>s Wegfalls<br />
<strong>de</strong>r Zulassungsbeschränkungen nach wie vor regelmäßig die<br />
Kanzlei. Die persönliche Beratung <strong>de</strong>r Mandantschaft fin<strong>de</strong>t immer<br />
noch schwerpunktmäßig in bzw. von <strong>de</strong>r Kanzlei aus statt.<br />
Handakten und die für die Bearbeitung <strong>de</strong>r Mandate notwendigen<br />
Arbeitsmittel befin<strong>de</strong>n sich ebenfalls am Ort <strong>de</strong>r Kanzlei.<br />
Die starke Ausrichtung eines Anwalts auf <strong>de</strong>n Ort <strong>de</strong>r Kanzlei für<br />
das gesamte Vertragsverhältnis ist somit keinesfalls in <strong>de</strong>m vom<br />
LG Ravensburg angenommenen Umfang in <strong>de</strong>n Hintergrund geraten.<br />
Daher ist es bei <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>s einheitlichen Erfüllungsortes<br />
weiterhin richtig, ausschließlich auf <strong>de</strong>n dominieren<strong>de</strong>n<br />
Charakter <strong>de</strong>r anwaltlichen Leistungspflicht abzustellen, hinter<br />
die die Pflicht <strong>de</strong>s Mandanten zur Zahlung eines Honorars<br />
<strong>de</strong>utlich zurücktritt. Hierin kann auch nicht eine ungerechtfertigte<br />
Durchbrechung <strong>de</strong>s Grundsatzes <strong>de</strong>s Beklagtenschutzes<br />
i.S.d. §§ 12 ff. ZPO gesehen wer<strong>de</strong>n. Regelmäßig<br />
wen<strong>de</strong>t sich ein Mandant an einen Anwalt, in <strong>de</strong>ssen Einzugsbereich<br />
er wohnt. Wählt ein Mandant – beispielsweise<br />
aufgrund benötigter beson<strong>de</strong>rer Spezialkenntnisse – einen<br />
Anwalt außerhalb seines Einzugsbereichs, erklärt er sich<br />
konklu<strong>de</strong>nt bereit, zu akzeptieren, dass <strong>de</strong>r Schwerpunkt <strong>de</strong>s<br />
Anwaltsvertrages außerhalb seines Wohnsitzes angesie<strong>de</strong>lt<br />
wird. 6<br />
Nur wenn es in Ausnahmefällen vertragsbedingt dazu gekommen<br />
ist, dass die anwaltliche Tätigkeit zum ganz überwiegen<strong>de</strong>n<br />
Teil außerhalb <strong>de</strong>r Kanzlei erbracht wor<strong>de</strong>n ist, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Anwalt seine Arbeit ausschließlich am (Wohn-)Sitz o<strong>de</strong>r am Geschäftssitz<br />
<strong>de</strong>s Mandanten erbracht hat, ist es gerechtfertigt, als<br />
Erfüllungsort für die Honorarzahlung <strong>de</strong>s Mandanten gem.<br />
§ 269 Abs. 1 BGB <strong>de</strong>ssen Wohnsitz anzusehen. Entgegen <strong>de</strong>r<br />
Ansicht <strong>de</strong>s LG Ravensburg liegt ein <strong>de</strong>rartiger Ausnahmefall<br />
aber nicht bereits dann vor, wenn <strong>de</strong>r Anwalt einen mehrstündigen<br />
Besprechungstermin außer Haus wahrgenommen hat,<br />
selbst wenn dieser Termin vom RA mehrstündig außerhalb <strong>de</strong>r<br />
Kanzlei vorbereitet wor<strong>de</strong>n ist. Dass die ganz überwiegen<strong>de</strong><br />
Tätigkeit <strong>de</strong>s Anwalts vertragsbedingt außerhalb <strong>de</strong>r Kanzlei <strong>de</strong>s<br />
RA erbracht wor<strong>de</strong>n ist, hat das Gericht je<strong>de</strong>nfalls nicht festgestellt.<br />
Rechtsanwalt Christian Dahns<br />
4 LG Frankfurt, MDR 2001, 1257 f.<br />
5 Vgl. nur BGH, NJW 1991, 3095; BayObLG, NJW-RR 2001, 928.<br />
6 Krügermeyer-Kalthoff/Reutershan, MDR 2001, 1218. So auch Henssler/Steinkraus,<br />
AnwBl. 1999, 187.