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BRAK-Mitt. 2/2002 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 63<br />
Überblick<br />
Ausbildung und praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird<br />
(§ 2 Abs. 2 FAO). Der Erwerb beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen<br />
ist unter an<strong>de</strong>rem in <strong>de</strong>r Regel gem. § 5 FAO nachgewiesen,<br />
wenn <strong>de</strong>r Bewerber neben <strong>de</strong>r Bearbeitung von min<strong>de</strong>stens 60<br />
insolvenzrechtlichen Fällen innerhalb <strong>de</strong>r letzten drei Jahre vor<br />
<strong>de</strong>r Antragstellung im Fachgebiet als RA min<strong>de</strong>stens fünf eröffnete<br />
Verfahren aus <strong>de</strong>m ersten bis sechsten Teil <strong>de</strong>r InsO als Insolvenzverwalter<br />
selbständig bearbeitet hat; in zwei Verfahren<br />
muss <strong>de</strong>r Schuldner bei Eröffnung mehr als fünf Arbeitnehmer<br />
beschäftigen. Verwalter in Konkurs-, Gesamtvollstreckungs- und<br />
Vergleichsverfahren stehen <strong>de</strong>m Insolvenzverwalter gleich (§ 5<br />
FAO a.E.). Ist die Tätigkeit als Insolvenzverwalter und als Verwalter<br />
in Gesamtvollstreckungsverfahren nach <strong>de</strong>m Berufsrecht<br />
u.a. eine Voraussetzung für die Gestattung <strong>de</strong>r Bezeichnung<br />
„Fachanwalt für Insolvenzrecht“, weil bei dieser Tätigkeit in<br />
<strong>de</strong>m vorbezeichneten Umfang von einer praktischen Erfahrung<br />
ausgegangen wer<strong>de</strong>n kann, die üblicherweise die praktische Erfahrung,<br />
die <strong>de</strong>r Rechtsanwaltsberuf allgemein vermittelt, übersteigt,<br />
so muss man doch bei <strong>de</strong>r Insolvenzverwaltung erst Recht<br />
von einer berufstypischen Tätigkeit ausgehen; sie erfasst sogar<br />
nach <strong>de</strong>m durch die Fachanwaltsordnung konkretisierten Berufsrecht<br />
einen beson<strong>de</strong>ren qualifizierten Kernbereich <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />
Tätigkeit. Diese genaue Betrachtung <strong>de</strong>s Berufsrechts<br />
hat <strong>de</strong>r XI. Senat nicht vorgenommen. Er durfte sie sich auch<br />
nicht mit <strong>de</strong>m Hinweis ersparen, sie habe keine maßgeblich<br />
steuerrechtliche Relevanz. Genauso wie das Berufsrecht bestimmt,<br />
unter welchen Voraussetzungen ein Steuerpflichtiger RA<br />
ist, bestimmt es, unter welchen Voraussetzungen seine Tätigkeit<br />
für einen RA nicht nur erlaubt, son<strong>de</strong>rn auch berufstypisch ist.<br />
Bei einer Tätigkeit, die nicht nur berufsrechtlich erlaubt, son<strong>de</strong>rn<br />
sogar Anknüpfungspunkt für eine berufsrechtlich herausgehobene<br />
beson<strong>de</strong>re Bezeichnung wie die das Fachanwalts ist,<br />
kommt man daher richtigerweise nicht an <strong>de</strong>r Bejahung einer<br />
berufstypischen Tätigkeit vorbei.<br />
Hätte <strong>de</strong>r XI. Senat diesen Gesichtspunkt erkannt und berücksichtigt,<br />
hätte er die vorinstanzliche finanzgerichtliche Entscheidung<br />
(EFG 1999, 843) nicht aufheben dürfen. In diesem<br />
Fall hätte er die Einkünfte <strong>de</strong>r RAe unter § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG<br />
qualifizieren müssen, bei <strong>de</strong>nen seit <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s IV.<br />
Senats <strong>de</strong>s BFH v. 11. 8. 1994 (IV R 126/91, BStBl. II 1994, 936<br />
= BRAK-Mitt. 1995, 86) die sog. Vervielfältigungstheorie auf<br />
Angehörige <strong>de</strong>r freien Berufe nicht mehr anzuwen<strong>de</strong>n ist und<br />
daher nur noch bei <strong>de</strong>n Einkünften aus sonstiger selbständiger<br />
Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG Be<strong>de</strong>utung hat. Dies hätte<br />
zur Folge gehabt, dass <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>r Einschaltung von Mitarbeitern<br />
und <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>s Geschäftsanfalles keine Rolle<br />
gespielt hätte, solange die Tätigkeit <strong>de</strong>r Mitarbeiter entsprechend<br />
überwacht wor<strong>de</strong>n ist und es sich daher nur um<br />
Hilfstätigkeiten gehan<strong>de</strong>lt hat. Nach <strong>de</strong>r im Bereich <strong>de</strong>r nicht<br />
anwaltlichen Tätigkeit <strong>de</strong>s § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG z.B. für die<br />
Vermögensverwaltung gelten<strong>de</strong>n Vervielfältigungstheorie wäre<br />
die Einschaltung von Mitarbeitern bereits in einem Umfang<br />
schädlich, <strong>de</strong>r dazu führt, dass die Tätigkeit nicht mehr in ihrem<br />
Kernbereich auf eigener persönlicher Arbeitskraft <strong>de</strong>s Berufsträgers<br />
beruht. Um in <strong>de</strong>n Anwendungsbereich <strong>de</strong>r Vervielfältigungstheorie<br />
zu kommen, musste <strong>de</strong>r XI. Senat eine anwaltstypische<br />
Tätigkeit bei <strong>de</strong>r Verwaltung im Gesamtvollstreckungsverfahrens<br />
(und damit auch <strong>de</strong>r Verwaltung im<br />
Insolvenzverfahren) verneinen, zu Unrecht, wie sich aus <strong>de</strong>n<br />
vorstehen<strong>de</strong>n Erwägungen ergibt.<br />
Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts<br />
Rechtsanwälte Bertin Chab und Holger Grams<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
Überblick<br />
Schriftsatzeinreichung beim unzuständigen Gericht<br />
Des Öfteren kommt es zu Fristversäumnissen, weil <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong><br />
Schriftsatz zwar innerhalb <strong>de</strong>r Frist, jedoch beim unzuständigen<br />
Gericht eingereicht wird. Wenn man Glück hat und<br />
<strong>de</strong>r Schriftsatz nicht erst am letzten Fristtag eingeht, wird er<br />
rechtzeitig an das zuständige Gericht weitergeleitet o<strong>de</strong>r ein<br />
Richter weist telefonisch auf die Unzuständigkeit <strong>de</strong>s Eingangsgerichts<br />
hin. Das klappt jedoch nicht immer. Auch wenn <strong>de</strong>r<br />
Schriftsatz einige Tage vor Fristablauf zum falschen Gericht gelangt,<br />
kann er dort „hängen bleiben“.<br />
Unter Umstän<strong>de</strong>n kann dann aber ein Wie<strong>de</strong>reinsetzungsgesuch<br />
Erfolg haben. Zwar ist die Einreichung eines Schriftsatzes<br />
zum unzuständigen Gericht grds. als schuldhafte Pflichtverletzung<br />
<strong>de</strong>s Anwalts anzusehen, die eine Wie<strong>de</strong>reinsetzung ausschließt;<br />
die Rspr. gewährt <strong>de</strong>m RA aber in bestimmten Fällen<br />
einen „Vertrauensbonus“. So geschehen beim LG Duisburg<br />
(Beschl. v. 20. 7. 2001 – 13 S 142/00, siehe Rechtsprechungsleitsätze):<br />
Dort gab es beim AG ein Postfach für Schriftsätze an<br />
das LG. Der RA durfte darauf vertrauen, dass die Weiterleitung<br />
innerhalb von drei Tagen erfolgen wür<strong>de</strong>, und bekam Wie<strong>de</strong>reinsetzung.<br />
Ein noch weiter gehen<strong>de</strong>s Vertrauen gestand das LG<br />
Halle (Beschl. v. 17. 12. 2001 – 2 S 278/01, ebenfalls bei <strong>de</strong>n<br />
Rechtsprechungsleitsätzen) <strong>de</strong>m Prozessbevollmächtigten zu.<br />
Die Berufungsbegründungsschrift war beim AG eingegangen.<br />
Dieses hätte <strong>de</strong>n Schriftsatz nach Ansicht <strong>de</strong>s LG Halle innerhalb<br />
von zwei Arbeitstagen weiterleiten müssen. Auch hier gab<br />
es Wie<strong>de</strong>reinsetzung.<br />
Nicht in allen Wie<strong>de</strong>reinsetzungsentscheidungen sind die Gerichte<br />
in<strong>de</strong>s so nachsichtig mit <strong>de</strong>m Prozessbevollmächtigten.<br />
Die Richtschnur gibt das BVerfG vor: Ein Gericht, welches<br />
zuvor mit <strong>de</strong>r Sache befasst war, hat eine nachwirken<strong>de</strong> Fürsorgepflicht<br />
(BVerfG, NJW 1995, 3175) und sollte <strong>de</strong>n Schriftsatz<br />
in angemessener Zeit weiterleiten. In einem neueren<br />
Beschl. v. 3. 1. 2001 (NJW 2001, 1343) setzt das BVerfG allerdings<br />
Grenzen: Nur eine Weiterleitung im or<strong>de</strong>ntlichen Geschäftsgang<br />
darf erwartet wer<strong>de</strong>n, nicht aber ein Hinweis per<br />
Telefon o<strong>de</strong>r Fax. Da nicht näher <strong>de</strong>finiert ist, wie lange <strong>de</strong>r