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BRAK-Mitt. 2/2002 Aufsätze 55<br />
Hellwig, Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nationalen Berufsrechte<br />
erfasst, bei <strong>de</strong>nen es um rein wirtschaftliche Konflikte o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
Schutz <strong>de</strong>r Vertraulichkeit von Mandanteninformationen geht.<br />
Gewissermaßen als Korrektiv für diesen weiten Begriff <strong>de</strong>s Interessenkonflikts<br />
haben die Mandanten die Möglichkeit, auf die<br />
Einhaltung <strong>de</strong>s sich aus <strong>de</strong>m Konflikt ergeben<strong>de</strong>n Tätigkeitsverbots<br />
zu verzichten.<br />
Nach <strong>de</strong>utschem Recht liegt ein Interessenkonflikt nur dann vor,<br />
wenn es sich zumin<strong>de</strong>st teilweise um dieselbe Rechtssache han<strong>de</strong>lt,<br />
bei <strong>de</strong>r die Kanzlei auf bei<strong>de</strong>n Seiten tätig ist o<strong>de</strong>r war. Der<br />
Begriff <strong>de</strong>s Interessenkonflikts ist also sehr eng. Bei Interessenkonflikt<br />
besteht ein absolutes Tätigkeitsverbot, ein Verstoß dagegen<br />
ist ein Disziplinarvergehen und obendrein nach allgemeinem<br />
Strafrecht strafbar. Weil das Interessenkonfliktsverbot<br />
nicht auf <strong>de</strong>m Mandatsvertrag, son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>r funktionalen<br />
Stellung <strong>de</strong>s RA im System <strong>de</strong>r Rechtspflege beruht, können die<br />
Parteien darauf nicht verzichten. Die Parteien haben es aber in<br />
<strong>de</strong>r Hand, das Mandat so zu <strong>de</strong>finieren, dass <strong>de</strong>r Konfliktsteil<br />
ausgeschlossen ist. Soweit dies im konkreten Fall möglich ist<br />
und geschieht, besteht kein Interessenkonflikt. Nach herrschen<strong>de</strong>r<br />
Meinung gilt das Interessenkonfliktsverbot nicht nur für <strong>de</strong>n<br />
einzelnen Anwalt, son<strong>de</strong>rn für die ganze Sozietät. Es dürfen also<br />
nicht zwei Anwälte <strong>de</strong>rselben Sozietät bei <strong>de</strong>rselben Rechtssache<br />
auf gegensätzlichen Seiten arbeiten. Aus Kreisen <strong>de</strong>r<br />
großen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r überörtlichen Sozietäten wird gefor<strong>de</strong>rt,<br />
dieses Verbot müsse durch Beschränkung auf Kanzleistandorte<br />
o<strong>de</strong>r die Zulassung von „Chinese Walls“ eingeschränkt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Das französische Recht folgt beim Interessenkonflikt im Wesentlichen<br />
<strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Rechts (dieselbe<br />
Rechtssache), differenziert aber zwischen gegenwärtigen und<br />
früheren Mandaten bzw. Mandanten. Bei gleichzeitigen Mandaten<br />
(bei<strong>de</strong>s gegenwärtige Mandanten) besteht in je<strong>de</strong>m Fall<br />
ein Tätigkeitsverbot. Bei ungleichzeitigen Mandaten (früheres<br />
Mandat <strong>de</strong>s einen Mandanten, <strong>de</strong>rzeitiges Mandat eines an<strong>de</strong>ren<br />
Mandanten) ist <strong>de</strong>m Anwalt im Hinblick auf <strong>de</strong>n früheren<br />
Mandanten die Tätigkeit für <strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeitigen Mandanten in <strong>de</strong>rselben<br />
Rechtssache nur verboten, wenn die Vertraulichkeit <strong>de</strong>r<br />
Informationen, die <strong>de</strong>r frühere Mandant <strong>de</strong>m Anwalt gegeben<br />
hat, gefähr<strong>de</strong>t ist o<strong>de</strong>r wenn die mandatsbedingte Kenntnis von<br />
Angelegenheiten <strong>de</strong>s früheren Mandanten in nicht gerechtfertigter<br />
Weise zu Vorteilen für <strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeitigen Mandanten führen<br />
wür<strong>de</strong>. Eine von <strong>de</strong>r konkreten Befasstheit abstrahieren<strong>de</strong> automatische<br />
kanzleidimensionale Zurechnung kennt das französische<br />
Recht bei bezogen auf <strong>de</strong>n einzelnen Anwalt zeitversetzten<br />
Mandatsverhältnissen nicht.<br />
Daneben kennt das französische Recht zusätzlich das Institut<br />
<strong>de</strong>r „Délicatesse“, das bei vielen Sachverhalten außerhalb eines<br />
Interessenkonflikts im Rechtssinne (dieselbe Rechtssache) ebenfalls<br />
dazu führt, dass <strong>de</strong>r Anwalt nicht tätig wer<strong>de</strong>n darf, obwohl<br />
ein Interessenkonflikt im engen rechtlichen Sinne nicht vorliegt.<br />
Das österreichische Recht ist in <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s Interessenkonflikts<br />
wesentlich weiter als das <strong>de</strong>utsche Recht. Der einzelne<br />
Anwalt darf nicht in <strong>de</strong>r einen Angelegenheit für seinen Mandanten<br />
und in einer an<strong>de</strong>ren Angelegenheit gegen diesen Mandanten<br />
tätig sein, auch wenn es sich bei bei<strong>de</strong>n Angelegenheiten<br />
um völlig verschie<strong>de</strong>ne Rechtssachen han<strong>de</strong>lt. Zumin<strong>de</strong>st<br />
was zeitgleiche Mandate angeht, entspricht das österreichische<br />
Interessenkollisionsverbot in seiner Reichweite somit nicht <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>utschen, son<strong>de</strong>rn eher <strong>de</strong>m französischen Recht.<br />
Was all dies für einen Anwalt be<strong>de</strong>utet, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie<br />
in einem an<strong>de</strong>ren europäischen Land eine Nie<strong>de</strong>rlassung<br />
errichtet hat, liegt auf <strong>de</strong>r Hand. Darf ein <strong>de</strong>utscher<br />
RA, in Paris nie<strong>de</strong>rgelassen, dort in einem Mandat tätig sein, das<br />
nach <strong>de</strong>utschem Recht keinen Konfliktfall begrün<strong>de</strong>t, nach französischem<br />
Recht aber einen Fall von Interessenkonflikt o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>nfalls<br />
von „Délicatesse“ darstellt? Kann das Heimatrecht von<br />
<strong>de</strong>r Einhaltung <strong>de</strong>s strengeren Nie<strong>de</strong>rlassungsrechts entbin<strong>de</strong>n?<br />
Und umgekehrt: Kann das strengere Heimatrecht das großzügigere<br />
Nie<strong>de</strong>rlassungsrecht überlagern, wenn etwa ein österreichischer<br />
Anwalt mit Nie<strong>de</strong>rlassung in Deutschland dort in <strong>de</strong>r<br />
einen Rechtssache für <strong>de</strong>n Mandanten und in einer an<strong>de</strong>ren<br />
Rechtssache gegen <strong>de</strong>n Mandanten tätig sein möchte? Was gilt<br />
bei internationalen Sozietäten, etwa einer Sozietät mit Hauptsitz<br />
in London, die ein europaweites Beratungsmandat bearbeitet,<br />
bei <strong>de</strong>m die Büros in London, Brüssel, Paris, Frankfurt, Wien<br />
und Rom beteiligt sind, und zwar jeweils mit örtlichen Anwälten?<br />
Dann kommen die anwaltlichen Berufsrechte von England,<br />
Belgien, Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien nebeneinan<strong>de</strong>r<br />
zur Anwendung. Än<strong>de</strong>rt sich die Antwort, wenn<br />
dabei ein <strong>de</strong>utscher Anwalt im Londoner Büro o<strong>de</strong>r ein französischer<br />
Anwalt im italienischen Büro tätig ist?<br />
Die amerikanischen Interessenkonfliktsregeln sind bekanntlich<br />
ziemlich streng und erfassen nicht nur rechtliche, son<strong>de</strong>rn auch<br />
wirtschaftliche Konfliktsituationen sowie Gefährdungssituationen<br />
für die Vertraulichkeit. Vor allem wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n USA die<br />
Konfliktsregeln zunehmend eingesetzt, um Anwaltssozietäten<br />
aus wichtigen Mandaten „herauszuschießen“.<br />
Was all dies für die Praxis einer großen internationalen Sozietät<br />
be<strong>de</strong>uten kann, hat ein Sprecher von Clifford Chance auf <strong>de</strong>r<br />
IBA-Konferenz im September 2000 in Amsterdam vorgetragen.<br />
Clifford Chance hat weltweit vier Conflict of Interest Clearance<br />
Centers eingerichtet. Alle Mandatsannahmeentscheidungen<br />
müssen über eines dieser Zentren laufen. In <strong>de</strong>n Zentren sind 45<br />
Mitarbeiter tätig, es gehen täglich 430 Anträge ein. Die Bearbeitungszeit<br />
liegt zwischen 20 Minuten und 2 bis 3 Tagen.<br />
Gewiss, dies ist ein Extremfall. Das Grundproblem, nämlich die<br />
Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Interessenkonfliktsregeln, ist aber größenunabhängig.<br />
Es besteht auch dann, wenn ein einzelner Anwalt<br />
aus einem Land nach <strong>de</strong>r Dienstleistungsrichtlinie o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r<br />
Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie in einem an<strong>de</strong>ren Land mit an<strong>de</strong>ren Interessenkonfliktsregeln<br />
tätig ist.<br />
2. Verschwiegenheit (Confi<strong>de</strong>ntiality/Secret Professionel)<br />
Im Vereinigten Königreich kann <strong>de</strong>r Mandant <strong>de</strong>n Anwalt von<br />
<strong>de</strong>r Pflicht zur Confi<strong>de</strong>ntiality entbin<strong>de</strong>n. In Frankreich und Belgien<br />
kann vom Secret Professionel nicht entbun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. In<br />
Deutschland hingegen kann <strong>de</strong>r Mandant von <strong>de</strong>r Verschwiegenheitspflicht<br />
entbin<strong>de</strong>n. Der Unterschied zwischen Frankreich<br />
und Belgien einerseits und Deutschland an<strong>de</strong>rerseits ist<br />
auffallend, hat doch <strong>de</strong>r Anwalt in allen drei Län<strong>de</strong>rn eine vergleichbare<br />
Funktion als Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege. Frankreich und<br />
Belgien geben dieser funktionalen Stellung <strong>de</strong>n absoluten Vorrang<br />
vor <strong>de</strong>m Wunsch <strong>de</strong>s Mandanten. Das <strong>de</strong>utsche Recht hingegen<br />
geht davon aus, dass es keine Informationen gibt, die <strong>de</strong>r<br />
Natur <strong>de</strong>r Sache nach vertraulich sind. Die Vertraulichkeit ergibt<br />
sich vielmehr immer daraus, dass sie von einer zuständigen<br />
Stelle angeordnet wird. Im Verhältnis zum Anwalt ist dies <strong>de</strong>r<br />
Mandant. Der Mandant ist Herr <strong>de</strong>r Information und entschei<strong>de</strong>t<br />
über die Vertraulichkeit. Wenn <strong>de</strong>r Mandant eine bestimmte<br />
Information nicht als vertraulich ansieht, dann fehlt es nach <strong>de</strong>r<br />
Vorstellung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Rechts an <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Voraussetzung<br />
für eine Vertraulichkeitspflicht <strong>de</strong>s Anwalts.<br />
Der Unterschied zeigt sich beispielsweise auch bei <strong>de</strong>r Korrespon<strong>de</strong>nz<br />
unter Anwaltskollegen. Wenn ein französischer Anwalt<br />
<strong>de</strong>n Brief an einen französischen Kollegen mit <strong>de</strong>m Zusatz „vertraulich“<br />
versieht, ist <strong>de</strong>r Empfänger zur Weitergabe <strong>de</strong>r darin<br />
enthaltenen Information an <strong>de</strong>n Mandanten nicht berechtigt. In<br />
Deutschland hingegen hat <strong>de</strong>r Mandant gegenüber <strong>de</strong>m Anwalt