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BRAK-Mitt. 2/2002 Berufsrechtliche Rechtsprechung 85<br />
Europäischer Gerichtshof<br />
Unternehmensvereinigung i.S.v. Artikel 85 Abs. 1 EG-Vertrag<br />
anzusehen ist, wenn er eine Verordnung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 erlässt. Eine solche Verordnung bringt<br />
nämlich <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>r Vertreter eines Berufsstands zum Ausdruck,<br />
die Angehörigen dieses Berufsstands bei ihrer Wirtschaftstätigkeit<br />
zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen.<br />
Dabei spielt es auch keine Rolle, dass die Nie<strong>de</strong>rländische<br />
Rechtsanwaltskammer eine öffentlich-rechtliche Einrichtung ist.<br />
Artikel 85 EG-Vertrag gilt nämlich nach seinem Wortlaut für Vereinbarungen<br />
zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen.<br />
Der rechtliche Rahmen, in <strong>de</strong>m solche<br />
Vereinbarungen geschlossen und solche Beschlüsse gefasst<br />
wer<strong>de</strong>n, ist für die Anwendbarkeit <strong>de</strong>r Wettbewerbsregeln <strong>de</strong>r<br />
Gemeinschaft, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>s Artikels 85 EG-Vertrag, ebenso<br />
unerheblich wie die rechtliche Einordnung dieses Rahmens<br />
durch die nationalen Rechtsordnungen (Urteile v. 30. 1. 1985 in<br />
<strong>de</strong>r Rechtssache 123/83, Clair, Slg. 1985, 391, Rdnr. 17, und v.<br />
18. 6. 1998, Kommission/Italien, Rdnr. 40).<br />
Diese Auslegung <strong>de</strong>s Artikels 85 Abs. 1 EG-Vertrag führt nicht<br />
dazu, dass <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Regierung angeführte Grundsatz<br />
<strong>de</strong>r institutionellen Selbstständigkeit missachtet wür<strong>de</strong> (vgl.<br />
Rdnr. 54 und 55 <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n Urteils). Hier ist zwischen<br />
zwei Fällen zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />
Im einen Fall legt ein Mitgliedstaat bei <strong>de</strong>r Übertragung von<br />
Rechtsetzungsbefugnissen an einen Berufsverband Kriterien <strong>de</strong>s<br />
Allgemeininteresses und wesentliche Grundsätze fest, die bei<br />
<strong>de</strong>r Satzungsgebung zu beachten sind, und behält die Letztentscheidungsbefugnis.<br />
Die vom Berufsverband aufgestellten Regeln<br />
bleiben staatliche Regeln und unterliegen nicht <strong>de</strong>n für die<br />
Unternehmen gelten<strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>s EG-Vertrags.<br />
Im an<strong>de</strong>ren Fall sind die von <strong>de</strong>m Berufsverband erlassenen Regeln<br />
allein diesem zuzurechnen. Soweit Artikel 85 Abs. 1 EG-<br />
Vertrag anwendbar ist, hat <strong>de</strong>r Verband die Regeln <strong>de</strong>r Kommission<br />
zu notifizieren. Diese Verpflichtung führt jedoch nicht zu<br />
einer übermäßigen Behin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Satzungsgebung <strong>de</strong>r Berufsverbän<strong>de</strong>,<br />
wie das die <strong>de</strong>utsche Regierung behauptet, da die<br />
Kommission insbeson<strong>de</strong>re die Möglichkeit hat, eine Gruppenfreistellungsverordnung<br />
nach Artikel 85 Abs. 3 EG-Vertrag zu erlassen.<br />
Dass die bei<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Rdnr. 68 und 69 <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n Urteils<br />
beschriebenen Systeme jeweils unterschiedliche Folgen im<br />
Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht haben, än<strong>de</strong>rt nichts an<br />
<strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>r Mitgliedstaaten, sich für das eine o<strong>de</strong>r das an<strong>de</strong>re<br />
System zu entschei<strong>de</strong>n.<br />
Somit ist auf Buchstabe a <strong>de</strong>r ersten Frage zu antworten, dass<br />
eine Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten<br />
und Angehörigen an<strong>de</strong>rer freier Berufe wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993, die von einer Einrichtung wie <strong>de</strong>r<br />
Nie<strong>de</strong>rländischen Rechtsanwaltskammer erlassen wur<strong>de</strong>, als<br />
Beschluss einer Unternehmensvereinigung i.S.v. Artikel 85 Abs.<br />
1 EG-Vertrag anzusehen ist.<br />
Zur ersten Frage, Buchstaben b und c<br />
In Anbetracht <strong>de</strong>r Antwort auf Buchstabe a <strong>de</strong>r ersten Frage sind<br />
die unter Buchstaben b und c gestellten Fragen nicht mehr zu<br />
untersuchen.<br />
Zur zweiten Frage<br />
Die zweite Frage <strong>de</strong>s vorlegen<strong>de</strong>n Gerichts geht im Wesentlichen<br />
dahin, ob eine Regelung wie die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993, die zur Gewährleistung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit und Parteibindung<br />
<strong>de</strong>r in Zusammenarbeit mit Angehörigen an<strong>de</strong>rer<br />
freier Berufe Rechtsbeistand gewähren<strong>de</strong>n Anwälte allgemein<br />
verbindliche Regeln für die Bildung von Sozietäten enthält, eine<br />
Einschränkung <strong>de</strong>s Wettbewerbs innerhalb <strong>de</strong>s Gemeinsamen<br />
Marktes bezweckt o<strong>de</strong>r bewirkt und zur Beeinträchtigung <strong>de</strong>s<br />
Han<strong>de</strong>ls zwischen Mitgliedstaaten geeignet ist.<br />
Die Kläger <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren haben versucht, mittels einer<br />
Darstellung <strong>de</strong>r aufeinan<strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Fassungen <strong>de</strong>r Verordnung<br />
<strong>de</strong>n Nachweis zu erbringen, dass die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993 eine Einschränkung <strong>de</strong>s Wettbewerbs bezweckt.<br />
Ursprünglich habe die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1972 drei<br />
Bedingungen für die Beteiligung von Rechtsanwälten an multidisziplinären<br />
Sozietäten aufgestellt. Als Partner seien Angehörige<br />
an<strong>de</strong>rer freier Berufe mit einer Hochschulausbildung<br />
o<strong>de</strong>r einer vergleichbaren Qualifikation in Betracht gekommen.<br />
Diese hätten als Mitglie<strong>de</strong>r eines Berufsverbands o<strong>de</strong>r einer Vereinigung<br />
einem Stan<strong>de</strong>srecht unterliegen müssen, das mit <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>r Rechtsanwälte vergleichbar gewesen sei. Schließlich hätten<br />
<strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Rechtsanwälte und das Gewicht ihrer Beteiligung<br />
an <strong>de</strong>r Sozietät sowohl im Innenverhältnis <strong>de</strong>r Partner untereinan<strong>de</strong>r<br />
als auch in <strong>de</strong>n Beziehungen mit Dritten min<strong>de</strong>stens <strong>de</strong>m<br />
Anteil und <strong>de</strong>m Gewicht <strong>de</strong>r Angehörigen an<strong>de</strong>rer Berufsgruppen<br />
entsprechen müssen.<br />
1973 habe <strong>de</strong>r Allgemeine Rat <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen<br />
Vereinigung <strong>de</strong>r Patentanwälte und <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rländischen<br />
Vereinigung <strong>de</strong>r Steuerberater eine Anerkennung im Hinblick<br />
auf die Bildung multidisziplinärer Sozietäten mit Rechtsanwälten<br />
erteilt. Später seien auch die Notare hierfür anerkannt<br />
wor<strong>de</strong>n. Nach Darstellung <strong>de</strong>r Kläger <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren<br />
hatten die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rländischen Instituts <strong>de</strong>r Wirtschaftsprüfer<br />
vom Allgemeinen Rat zwar keine förmliche Anerkennung<br />
erhalten, doch hätten keine grundsätzlichen Einwän<strong>de</strong><br />
gegen eine solche bestan<strong>de</strong>n.<br />
1991 sei die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer erstmals<br />
mit einem Antrag auf Anerkennung einer Sozietät mit einem<br />
Wirtschaftsprüfer befasst wor<strong>de</strong>n; sie habe daraufhin in einem<br />
beschleunigten Verfahren die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1972<br />
allein zu <strong>de</strong>m Zweck geän<strong>de</strong>rt, eine Rechtsgrundlage für ein<br />
Verbot von Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern<br />
zu erhalten. Die Rechtsanwälte hätten sich nur<br />
noch an einer multidisziplinären Sozietät beteiligen dürfen,<br />
wenn dadurch „die Freiheit und Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Berufsausübung<br />
einschließlich <strong>de</strong>r Wahrnehmung <strong>de</strong>r Parteiinteressen<br />
und <strong>de</strong>s damit zusammenhängen<strong>de</strong>n Vertrauensverhältnisses<br />
zwischen <strong>de</strong>m Rechtsanwalt und seinem Mandanten nicht in<br />
Gefahr gebracht wer<strong>de</strong>n können“.<br />
Die Verweigerung <strong>de</strong>r Zulassung von Sozietäten zwischen<br />
Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern sei damit begrün<strong>de</strong>t<br />
wor<strong>de</strong>n, dass sich die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in <strong>de</strong>r<br />
Zwischenzeit verän<strong>de</strong>rt hätten und zu gigantischen Organisationen<br />
angewachsen seien, so dass eine Sozietät zwischen einer<br />
Anwaltskanzlei und einer solchen Gesellschaft nach <strong>de</strong>n Worten<br />
<strong>de</strong>s damaligen Algemene Deken (Allgemeiner Dekan, Präsi<strong>de</strong>nt)<br />
<strong>de</strong>r Kammer „eher <strong>de</strong>r Hochzeit einer Maus mit einem<br />
Elefanten als einem Zusammenschluss von gleichberechtigten<br />
Partnern“ entsprochen hätte.<br />
Die Nie<strong>de</strong>rländische Rechtsanwaltskammer habe daraufhin die<br />
Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 erlassen. Mit ihr sei die Än<strong>de</strong>rung<br />
von 1991 übernommen und eine zusätzliche Bedingung<br />
eingeführt wor<strong>de</strong>n, nach <strong>de</strong>r Rechtsanwälte nur noch dann einer<br />
Sozietät angehören dürften, wenn „die Tätigkeit je<strong>de</strong>s an <strong>de</strong>r<br />
Sozietät Beteiligten hauptsächlich in <strong>de</strong>r Ausübung eines juristischen<br />
Berufes besteht“ (Artikel 3 <strong>de</strong>r Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning<br />
1993); nach Auffassung <strong>de</strong>r Kläger <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren<br />
wird dadurch <strong>de</strong>r wettbewerbswidrige Zweck <strong>de</strong>r streitigen nationalen<br />
Regelung <strong>de</strong>utlich.<br />
Hilfsweise machen die Kläger <strong>de</strong>r Ausgangsverfahren geltend,<br />
die Samenwerkingsveror<strong>de</strong>ning 1993 entfalte auch unabhängig