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BRAK-Mitt. 3/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 133<br />
Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />
b)<br />
Möglicher Verstoß gegen<br />
Art. 12 Abs. 1 GG<br />
Das Gebot <strong>de</strong>s § 59i Abs. 2<br />
BRAO könnte außer<strong>de</strong>m das<br />
Grundrecht <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft<br />
(Art. 19 Abs. 3 GG) sowie <strong>de</strong>r<br />
bei einer solchen beschäftigten RAe (vgl. § 33 Abs. 2 BORA) auf<br />
freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzen.<br />
Die Vorschrift, dass Zweignie<strong>de</strong>rlassungen von RA-Gesellschaften<br />
durch Geschäftsführer zu leiten sind, stellt eine Berufsausübungsregelung<br />
dar, welche die Berufsfreiheit beeinträchtigt.<br />
Dies gilt für die Berufsfreiheit <strong>de</strong>r Gesellschaft, <strong>de</strong>r Gesellschafter<br />
und <strong>de</strong>rjenigen RAe, die für die Gesellschaft tätig sind, ohne<br />
Gesellschafter zu sein. Für die zuletzt genannten ist <strong>de</strong>r Eingriff<br />
beson<strong>de</strong>rs gravierend, weil sie für die Nichtbestellung von Geschäftsführern<br />
unabhängig davon einstehen müssen, ob sie Gesellschafter<br />
sind o<strong>de</strong>r nicht. Im zuletzt genannten Fall haben sie<br />
auf die Bestellung <strong>de</strong>r Geschäftsführer keinen Einfluss.<br />
Solche Eingriffe müssen durch ausreichen<strong>de</strong> Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />
gerechtfertigt wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>m Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />
entsprechen. Das gewählte Mittel muss also<br />
geeignet und erfor<strong>de</strong>rlich sein, <strong>de</strong>n Gemeinwohlbelang zu wahren.<br />
Außer<strong>de</strong>m darf bei einer Gesamtabwägung zwischen <strong>de</strong>r<br />
Schwere <strong>de</strong>s Eingriffs und <strong>de</strong>m Gewicht <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>, die ihn<br />
rechtfertigen sollen, die Grenze <strong>de</strong>r Zumutbarkeit nicht überschritten<br />
sein (BVerfGE 76, 176, 207; 83, 1, 16; 85, 248, 259;<br />
94, 373, 389 f.).<br />
Die Bestimmung <strong>de</strong>s § 59i Abs. 2 BRAO soll sicherstellen, dass<br />
die RA-Gesellschaft sowohl an ihrem Sitz als auch an je<strong>de</strong>r<br />
Zweignie<strong>de</strong>rlassung eine Kanzlei führt. Das Ziel, die ordnungsgemäße<br />
Versorgung <strong>de</strong>r Bevölkerung mit anwaltlichen<br />
Dienstleistungen zu gewährleisten, ist ein gewichtiger Gemeinwohlbelang.<br />
Das Gebot, die Zweignie<strong>de</strong>rlassungen durch<br />
GmbH-Geschäftsführer leiten zu lassen, ist geeignet, diesen<br />
Gemeinwohlbelang zu wahren. Fraglich ist jedoch, ob es erfor<strong>de</strong>rlich<br />
ist. Wie bereits dargelegt (oben 2 a aa), erscheint es<br />
nicht als ausgeschlossen, dass am Ort <strong>de</strong>r Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />
eine Kanzlei auch dann geführt wer<strong>de</strong>n kann, wenn sie von<br />
einem sonstigen Bevollmächtigten („Standortleiter“) geleitet<br />
wird.<br />
Erfor<strong>de</strong>rlich wäre das Gebot, wenn durch die Vorschrift erreicht<br />
wer<strong>de</strong>n sollte, dass an je<strong>de</strong>m einzelnen Standort <strong>de</strong>r RA-Gesellschaft<br />
eine Person tätig ist, die über die Leitung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
insgesamt maßgeblich mitbestimmen kann. Ob dies<br />
Zweck <strong>de</strong>r Vorschrift ist, erscheint fraglich.<br />
Anmerkung<br />
Der vorstehend abgedruckte Beschluss <strong>de</strong>s BGH zu verfassungsrechtlichen<br />
Be<strong>de</strong>nken gibt Veranlassung zu verfassungsrechtlichen<br />
Gedanken.<br />
Der Beschluss ist <strong>de</strong>r Hanseatischen RAK am 25. April 2003<br />
zugestellt wor<strong>de</strong>n. Das Deckblatt enthält die üblichen Hinweise<br />
zur geplanten Art <strong>de</strong>r Veröffentlichung sowie die<br />
Bezugnahme <strong>de</strong>r betroffenen Norm. Es enthält auch einen<br />
Hinweis zur Materie: „Zur Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>s § 59i<br />
Abs. 2 BRAO“.<br />
Dies überrascht, <strong>de</strong>nn die tragen<strong>de</strong>n Entscheidungsgrün<strong>de</strong><br />
betreffen § 59i BRAO nicht. Sie sind vielmehr in prägnanter<br />
Kürze unter II. A. <strong>de</strong>s Beschlusses wie<strong>de</strong>rgegeben.<br />
Auf weiteren 8 Seiten setzt sich <strong>de</strong>r BGH sodann mit § 59i<br />
BRAO auseinan<strong>de</strong>r, obwohl es hierauf nicht mehr ankommt.<br />
Was will <strong>de</strong>r BGH uns hiermit sagen<br />
Er bestätigt zunächst unter B. 1., dass § 59i BRAO nicht nur<br />
von <strong>de</strong>r RAK formal korrekt angewandt, son<strong>de</strong>rn auch von<br />
<strong>de</strong>m Gesetzgeber in <strong>de</strong>m angewandten Sinne gemeint ist.<br />
Damit müsste für zukünftige Anwendungsfälle geklärt sein,<br />
dass Anwaltsgesellschaften auch an <strong>de</strong>n Orten ihrer Nie<strong>de</strong>rlassung<br />
einen eingetragenen Geschäftsführer haben müssen.<br />
An <strong>de</strong>r Klärung genau dieser Rechtsfrage lag <strong>de</strong>m Vorstand<br />
<strong>de</strong>r Hanseatischen RAK, als er die nunmehr aufgehobene<br />
Verfügung beschloss.<br />
Wer allerdings hoffte, dass diese Rechtsfrage durch <strong>de</strong>n BGH<br />
geklärt wird, sieht sich enttäuscht.<br />
Der BGH erörtert vielmehr umfangreich verfassungsrechtliche<br />
Be<strong>de</strong>nken gegen ein wirksam zustan<strong>de</strong> gekommenes,<br />
gelten<strong>de</strong>s und damit anzuwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Gesetz.<br />
Dies ist sein gutes Recht, man fragt sich aber: cui bono<br />
Die vom BGH dargestellten Überlegungen sind sämtlichst<br />
respektabel und ernst zu nehmen.<br />
Verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken gegenüber einem gelten<strong>de</strong>n<br />
Gesetz entbin<strong>de</strong>n jedoch grundsätzlich die Gerichte nicht<br />
von ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht, dieses Gesetz <strong>de</strong>nnoch<br />
anzuwen<strong>de</strong>n. Die Bindung <strong>de</strong>r Rspr. an Gesetz und<br />
Recht aus Art. 20 Abs. 3 GG gilt auch dann, wenn ein Gericht<br />
gegenüber einem Gesetz „verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken“<br />
hat.<br />
Für diesen Fall sieht Art. 100 Abs. 1 GG die Aussetzung <strong>de</strong>s<br />
Verfahrens und die Vorlage <strong>de</strong>r Sache an das BVerfG vor.<br />
Warum <strong>de</strong>r BGH diesen Weg nicht gegangen ist, lässt sich<br />
<strong>de</strong>n Entscheidungsgrün<strong>de</strong>n nicht explizit entnehmen. Der<br />
wahrscheinliche Grund ist aber, dass er seinen Beschluss<br />
nicht auf die Verfassungswidrigkeit von § 59i BRAO gestützt<br />
hat und damit eine Vorlagepflicht nicht besteht.<br />
Allerdings hätte es in diesem Fall auch keiner Erörterung <strong>de</strong>r<br />
Verfassungsmäßigkeit von § 59i BRAO mehr bedurft.<br />
Das Prozessziel, <strong>de</strong>n Inhalt (und die Verfassungsmäßigkeit)<br />
von § 59i BRAO zu klären, konnte also nicht mehr erreicht<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Dass <strong>de</strong>r BGH seine verfassungsrechtlichen Be<strong>de</strong>nken in <strong>de</strong>r<br />
geschehenen Ausführlichkeit erörtert, ist <strong>de</strong>swegen zur Entscheidung<br />
<strong>de</strong>s Rechtsstreits nicht erfor<strong>de</strong>rlich gewesen und<br />
leistet einer für die Verfassungswirklichkeit unguten Ten<strong>de</strong>nz<br />
Vorschub: es ist mo<strong>de</strong>rn gewor<strong>de</strong>n, gegenüber gelten<strong>de</strong>n,<br />
aber als unbequem empfun<strong>de</strong>nen berufsrechtlichen Regeln<br />
„verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken“ in <strong>de</strong>n Raum zu stellen<br />
und die Legitimität <strong>de</strong>r Norm damit unausgesprochen in<br />
Frage zu stellen.<br />
Klarer wäre es:<br />
Wenn ein Gericht solche verfassungsrechtlichen Be<strong>de</strong>nken<br />
hat, mag es <strong>de</strong>n in Art. 100 Abs. 1 GG vorgesehenen Weg zur<br />
Überprüfung dieser Be<strong>de</strong>nken gehen.<br />
Wenn eine Verwaltungsbehör<strong>de</strong> verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken<br />
hat, sollte sie <strong>de</strong>ren Klärung über <strong>de</strong>n Rechtsweg herbeiführen.<br />
Wenn die Legislative selbst verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken<br />
hat, kann sie die von ihr beschlossene Rechtsnorm än<strong>de</strong>rn.<br />
Für gefährlich halte ich allerdings die Ten<strong>de</strong>nz, aufgrund von<br />
verfassungsrechtlichen Be<strong>de</strong>nken eine Rechtsnorm zu miss-