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BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 115<br />
Mailän<strong>de</strong>r, Die Auswirkungen <strong>de</strong>r EuGH-Urteile auf das nationale Berufsrecht in Deutschland<br />
2002, 325; Hartung, EWS 2002, 133; Hund, DStR 2002, 519 und<br />
652; Kilian, WRP 2002, 802; H. Lörcher, NJW 2002, 1092; Löcher/<br />
Eichele, BRAK-Mitt. 2001, 218; Mailän<strong>de</strong>r, Der Syndikus 2001, 15;<br />
Mörschel, RIW 2002, 4; Römermann/Wellige, BB 2002, 633; Sagawe,<br />
Zeitschrift für Rechtspolitik 2002, 281; Schlosser, JZ 2002,<br />
454; Weil, BRAK-Mitt. 2002, 50.<br />
4 Vertrag zur Gründung <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaft (nachfolgend<br />
„EGV“) v. 25.3.19578 (BGBl. II S. 766, zuletzt geän<strong>de</strong>rt durch <strong>de</strong>n<br />
Amsterdamer Vertrag v. 2.10.1997 (BGBl. II 1998, 387 u. II 1999,<br />
416).<br />
5 Rspr. EuGH 1974, 631 – Reyners; Rspr. EuGH 1974, 1299 – von<br />
Binsbergen; Rspr. EuGH 1984, 2971 – Klopp; Rspr. EuGH 1995, I-<br />
4165 – Gebhard.<br />
6 Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung v. 1.8.1959 (BGBl. I, 565); zuletzt<br />
geän<strong>de</strong>rt durch Gesetz v. 13.12.2001 (BGBl. I, 574).<br />
I. Einleitung<br />
Von <strong>de</strong>r Zugangsöffnung zur wettbewerblichen Marktkontrolle<br />
1. Primärziel <strong>de</strong>s Integrationsrechtes aus <strong>de</strong>m EG-Vertrag 4 war,<br />
mit <strong>de</strong>r Zugangsöffnung zu <strong>de</strong>n nationalen Märkten auch <strong>de</strong>n<br />
mit <strong>de</strong>r Rechtsberatung in <strong>de</strong>r Gemeinschaft befassten Personen<br />
die Vorteile <strong>de</strong>r Freizügigkeit (Art. 39–42 EGV), <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsfreiheit<br />
(Art. 43–48 EGV) und <strong>de</strong>r Dienstleistungsfreiheit<br />
(Art. 49–55 EGV) zugänglich zu machen. Als treiben<strong>de</strong> Kraft <strong>de</strong>r<br />
gemeinschaftsrechtlichen Integration hat <strong>de</strong>r Gerichtshof auch<br />
insoweit Breschen geschlagen und mit seiner Rspr., die etwa<br />
durch die Urteile Reyners, Klopp, van Binsbergern o<strong>de</strong>r Gebhard<br />
5 versinnbildlicht wird, zwischenstaatliche Dimensionen<br />
erschlossen und <strong>de</strong>m Gemeinschaftsrecht <strong>de</strong>n Anwendungsbereich<br />
in einem Rechtsgebiet gesichert, das versucht war, sich als<br />
Teil <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt o<strong>de</strong>r als Funktionsrecht für Organe<br />
<strong>de</strong>r staatlichen Rechtspflege dieser Aufsicht zu entziehen.<br />
2. Mit <strong>de</strong>n neueren Entscheidungen <strong>de</strong>s Gerichtshofs, die Geltung<br />
und Grenzen <strong>de</strong>s Wettbewerbsregimes <strong>de</strong>r Art. 81 ff. EGV<br />
für das nationale anwaltliche Berufsrecht aufzeigen, wird eine<br />
zweite und höhere Stufe <strong>de</strong>r Integration erreicht. Es geht nicht<br />
länger um die Marktzugangsöffnung zu einem mitgliedstaatlichen<br />
Berufsrecht, son<strong>de</strong>rn um die <strong>de</strong>m Gemeinschaftsrecht zu<br />
entnehmen<strong>de</strong>n Leitlinien für das nationale Berufsrecht schlechthin.<br />
Dabei darf es nicht überraschen, dass an <strong>de</strong>n Schnittstellen<br />
zwischen einem von Zünften, Stän<strong>de</strong>n, Berufsordnungen o<strong>de</strong>r<br />
Handwerksverfassungen u.a. reglementierten Berufsrecht und<br />
<strong>de</strong>n Vorgaben für freiheitliche wirtschaftliche Betätigung nach<br />
<strong>de</strong>n Wettbewerbsregeln Verpuffungen zu erwarten sind. Das ist<br />
noch beson<strong>de</strong>rs akzentuiert bei <strong>de</strong>n freien Berufen, die sich<br />
nach ihrem Selbstverständnis frei und gefeit gegen je<strong>de</strong> staatliche<br />
Kontrolle wähnen, sich in freier, unreglementierter Selbstbestimmung<br />
bewähren wollen und dazu neigen, sich über die<br />
Nie<strong>de</strong>rungen gewerblicher Tätigkeit zu erheben. Dieses Selbstverständnis<br />
<strong>de</strong>r Freiheit, Unabhängigkeit, Eigenverantwortung<br />
und Allgemeinverpflichtung wird in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik noch<br />
untermauert durch die plakativen Bestimmungen <strong>de</strong>r BRAO 6 , in<br />
<strong>de</strong>nen es heißt:<br />
§ 1 Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ <strong>de</strong>r<br />
Rechtspflege.<br />
§ 2 Der Rechtsanwalt übt einen freien Beruf aus. Seine Tätigkeit<br />
ist kein Gewerbe.<br />
§ 3 Der Rechtsanwalt ist <strong>de</strong>r berufene, unabhängige Berater<br />
und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten.<br />
Basierend auf diesem kulturhistorisch gewachsenen Grund- und<br />
Selbstverständnis ist es ein eher anspruchsvolles Vorhaben,<br />
Dienste und Leistungen in <strong>de</strong>r Rechtspflege eines Mitgliedstaates<br />
nach <strong>de</strong>n Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung im zwischenstaatlichen<br />
Wettbewerb <strong>de</strong>r Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />
auszurichten. Aus gutem Grund hat sich die Kommission<br />
und <strong>de</strong>ren Generaldirektion Wettbewerb insoweit lange<br />
Zurückhaltung auferlegt. Es blieb <strong>de</strong>m Europäischen Gerichtshof<br />
selbst vorbehalten, mit <strong>de</strong>r seinen Vorlageentscheidungen eigenen<br />
vorrangigen Präjudizwirkung Recht zu setzen und einem<br />
sonst allenfalls rechtspolitischen Streit aus <strong>de</strong>m Weg zu gehen.<br />
II. Die EuGH-Entscheidungspraxis<br />
Der EuGH erhielt durch Vorlageentscheidungen nationaler Gerichte<br />
wie<strong>de</strong>rholt Gelegenheit, sich mit <strong>de</strong>r Vereinbarkeit von<br />
nationalem Recht <strong>de</strong>r freien Berufe mit <strong>de</strong>n Wettbewerbsregeln<br />
<strong>de</strong>s EGV zu befassen. Berufsrechte <strong>de</strong>r Zollspediteure 7 , <strong>de</strong>r Patentanwälte<br />
8 , <strong>de</strong>r Architekten und Ingenieure 9 und <strong>de</strong>r Ärzte 10<br />
wur<strong>de</strong>n zum Prüfungsgegenstand. Zuletzt und für das anwaltliche<br />
Berufsrecht vorgreiflich waren die bei<strong>de</strong>n Entscheidungen<br />
NOVA/Wouters und Arduino. In allen diesen Verfahren hatte<br />
sich <strong>de</strong>r Gerichtshof mit <strong>de</strong>r immer wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>n Fragestellung<br />
auseinan<strong>de</strong>r zu setzen, inwieweit die von nationalen Eigenarten<br />
geprägten Berufsordnungen <strong>de</strong>r freien Berufe mit <strong>de</strong>n<br />
Vorstellungen eines <strong>de</strong>n Wirtschaftsverkehr in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />
prägen<strong>de</strong>n wettbewerblichen Leitbil<strong>de</strong>s zu vereinbaren sind.<br />
Die sich dabei abzeichnen<strong>de</strong>n Spannungsverhältnisse sind gera<strong>de</strong><br />
beim Berufsbild <strong>de</strong>s Rechtsanwalts (Avocat, Advokat, Advocaat,<br />
Advocate, Avvocato, Advogado, Abogado) beson<strong>de</strong>rs<br />
akzentuiert, weil sich ein Teil seiner <strong>de</strong>m eigenen Lebensunterhalt<br />
gewidmeten Dienstleistungstätigkeit mit <strong>de</strong>n dabei <strong>de</strong>r Gesamtrechtsordnung<br />
geschul<strong>de</strong>ten Rücksichten auch als Gemeindienst<br />
an <strong>de</strong>r Ordnung durch das Recht verstehen lässt.<br />
III. Der Wan<strong>de</strong>l im freien Beruf <strong>de</strong>s Rechtsanwalts<br />
Auch bei <strong>de</strong>m in seinem Berufsverständnis eher konservativ<br />
<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Anwalt hat sich die anfängliche Vorstellung verflüchtigt,<br />
wonach es einem Verrat an seinem freien Beruf gleichkäme,<br />
sich etwa freiwillig einem vom Wettbewerb gelenkten<br />
Austausch von Dienstleistungen zu stellen.<br />
1. Insoweit gilt es nur, an <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>r Anwaltschaft selbst<br />
und an die Verän<strong>de</strong>rungen ihres Berufsbilds zu erinnern, ohne<br />
diese Ausprägungen an dieser Stelle vertiefen zu müssen. Das<br />
angestammte Bild <strong>de</strong>s Einzel- o<strong>de</strong>r Sozietätsanwalts mit Lokalisation<br />
und gerichtlicher Einzelzulassung am Sitz seiner Kanzlei<br />
ohne Zweignie<strong>de</strong>rlassung o<strong>de</strong>r überörtliche Verbindung ist verdrängt<br />
von nationalen o<strong>de</strong>r internationalen Anwaltszusammenschlüssen,<br />
von beson<strong>de</strong>ren Gesellschaftsformen jenseits <strong>de</strong>r honorigen<br />
und haftungsintensiven BGB-Gesellschaft mit fliegen<strong>de</strong>r<br />
Postulationsfähigkeit, mit Organisations- und Budgetverantwortungen<br />
<strong>de</strong>s einzelnen Anwalts, mit Vorgaben für erfolgreiches<br />
Gebaren auf <strong>de</strong>m Rechtsberatungsmarkt, mit Ausprägungen<br />
aggressiver Werbung und häufig auch kollegiale<br />
Rücksichtnahme verdrängen<strong>de</strong>r Abwerbung. Bewerbungen<br />
ums Mandat, Abgebote auf Stun<strong>de</strong>nsätze, Pauschalhonorarvereinbarungen,<br />
Haftungszusicherungen u.Ä.m. wecken Zweifel<br />
an <strong>de</strong>r Aussage <strong>de</strong>s § 2 Abs. 2 BRAO „seine Tätigkeit ist kein Gewerbe“:<br />
Programmsatz o<strong>de</strong>r heuristische Leerformel<br />
2. Je<strong>de</strong>nfalls ist angesichts solchen eklatanten Wan<strong>de</strong>ls <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand<br />
<strong>de</strong>s Anwalts, sich in seinem werben<strong>de</strong>n Bemühen um<br />
das Mandat von Vorgaben <strong>de</strong>s Wettbewerbsrecht leiten zu lassen,<br />
überwun<strong>de</strong>n. Die Fragestellung hat sich aber nicht völlig<br />
verflüchtigt, son<strong>de</strong>rn nur verengt. Sie bleibt immer noch virulent<br />
für jenen Bereich <strong>de</strong>s anwaltlichen Berufsrechtes, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r inhärente<br />
Auftrag und Beitrag als Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege öffentliche<br />
Verantwortung voraussetzt, <strong>de</strong>r zu genügen eine Absicherung<br />
gegen wettbewerbliche Zwänge verlangt.<br />
7 Rspr. EuGH 1998 I – 3851 – CNSD.<br />
8 Entscheidung <strong>de</strong>r Kommission v. 30.1.1995, ABl. L 122/37 – COAPI.<br />
9 EuGH, Urt. v. 29.11.2001 – C 221/99 – Conte ./. Rossi.<br />
10 Rspr. EuGH 2000 I – 6451 – Pavlov.