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BRAK-Mitt. 3/2003 Aufsätze 109<br />

Müller, Die Vertreibung <strong>de</strong>s Rechts aus Deutschland<br />

15 H. Picker, Hitlers Tischgespräche, Bonn 1951, S. 211, 213.<br />

16 Mein Kampf, a.a.O. (Fn. 60), S. 571.<br />

17 E. Finke, Liberalismus im Strafverfahrensrecht, 1936, S. 18.<br />

18 H. Henkel, Strafrichter und Gesetz im neuen Staat, Hamburg 1934,<br />

S. 68.<br />

19 O. Koellreutter, DJZ 1934, 626.<br />

20 Der Metho<strong>de</strong>nstreit in <strong>de</strong>r Rechtswissenschaft, ZStW 57 (1938),<br />

S. 248.<br />

ner „Kampfzeit“, in <strong>de</strong>nen er häufig Zeuge, nicht selten Angeklagter<br />

war, haben sein Verständnis für Rechtsregeln nicht geför<strong>de</strong>rt.<br />

„Kein vernünftiger Mensch verstehe überhaupt die<br />

Rechtslehren, die die Juristen sich – nicht zuletzt aufgrund <strong>de</strong>s<br />

Einflusses von Ju<strong>de</strong>n – zurechtgedacht hätten“, verriet Hitler in<br />

vertraulicher Run<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>r Juristenausbildung müsse je<strong>de</strong>r vernünftige<br />

Mensch „ein vollen<strong>de</strong>ter Trottel“ wer<strong>de</strong>n, er wolle<br />

„alles tun, um das Rechtsstudium ... so verächtlich zu machen<br />

wie nur irgend möglich“ 15 . Von Verträgen, Rechtsvorschriften,<br />

gar einer Verfassung hielt <strong>de</strong>r Führer nichts; nicht einmal von<br />

selbst erlassenen Gesetzen wollte er sich einengen lassen. Vor<br />

allem fehlte ihm je<strong>de</strong>s Verständnis für Humanität, Zivilisation<br />

und Rechtskultur. Gegen alles ihm Missliebige for<strong>de</strong>rte er „brutale<br />

Gewalt“ und „barbarische Rücksichtslosigkeit“. Die „sogenannte<br />

Humanität“ war für ihn nur „Ausdruck einer Mischung<br />

von Dummheit, Feigheit und eingebil<strong>de</strong>tem Besserwissen“ 16 .<br />

„Der mystische Vorgang, dass <strong>de</strong>r Staat sich selbst Fesseln anlegt“,<br />

beschrieb Ol<strong>de</strong>n das Rechtsempfin<strong>de</strong>n Hitlers, „sich<br />

durch Geschriebenes bin<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>m Schwachen eine Waffe gibt<br />

und sich ihr unterwirft – <strong>de</strong>r Inbegriff <strong>de</strong>r Zivilisation – ist ihm<br />

wi<strong>de</strong>rlich, erscheint ihm pervers, <strong>de</strong>r Ordnung, die allein ihm<br />

verständlich ist, in einer ärgerlichen Weise zuwi<strong>de</strong>r“.<br />

Dieses Unverständnis fürs Juristische wur<strong>de</strong> von weiten Kreisen<br />

<strong>de</strong>r Justiz und <strong>de</strong>r Rechtswissenschaft geteilt. Natürlich konnte<br />

die Rechtslehre auch damals nicht Brutalität, Einseitigkeit, Willkür<br />

und Rechtlosigkeit zu Prinzipien <strong>de</strong>s neuen Rechts erklären.<br />

Damit hätte sie nicht nur <strong>de</strong>m System je<strong>de</strong> rechtliche Legitimität<br />

abgesprochen, son<strong>de</strong>rn auch sich selbst für überflüssig erklärt.<br />

Aber nach<strong>de</strong>m alles, was sich an abendländischer Rechtskultur<br />

entwickelt hatte, nicht mehr galt, da dieses „unserer eigenen<br />

<strong>de</strong>utschen Art, die Welt anzuschauen, entgegengesetzt und wi<strong>de</strong>rwärtig“<br />

war (E. Finke) 17 , konstruierte die Jurispru<strong>de</strong>nz „einen<br />

tiefergreifen<strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r Rechtmäßigkeit“ (Heinrich Henkel)<br />

18 , nämlich die „völkische Sinneinheit von Staat und Recht“<br />

(Otto Koellreutter) 19 .<br />

Um die I<strong>de</strong>enwelt <strong>de</strong>s Dritten Reichs zu verstehen, muss man<br />

sich klar machen, dass Begriffe, die für uns positiv besetzt sind,<br />

damals als Schimpfwörter galten und umgekehrt. „Autoritär“<br />

galt als hohes Lob, „rücksichtslose und fanatisch-einseitige Einstellung“<br />

als Tugend, „Gleichschaltung“ als erstrebenswertes<br />

Ziel. „Individualistisch“, „liberal“ und „pluralistisch“ waren Vernichtungsurteile,<br />

und „Aufklärung“, „Humanität“ und „Demokratie“<br />

galten als entartete I<strong>de</strong>en.<br />

Auch alles, was wir heute als juristische Tugen<strong>de</strong>n betrachten:<br />

Genauigkeit im Begrifflichen, Beachtung von Formalien, Rationalität,<br />

nüchterne Distanz und Vorurteilsfreiheit galt als Unart<br />

jüdischer Rechtsverdreher, als „Ausdruck einer Hilflosigkeit, einer<br />

Entwurzelung und Verweichlichung“ (Wolfgang Siebert).<br />

Die Richter sollten eben „nicht durch ein formalistisch-abstraktes<br />

Rechtssicherheitsprinzip beengt (sein, son<strong>de</strong>rn) durch ... die<br />

vom Führer verkörperte Rechtsanschauung <strong>de</strong>s Volkes feste Linie<br />

und ... wo nötig, ihre Schranken fin<strong>de</strong>n“ (Erik Wolf), „mit gesun<strong>de</strong>m<br />

Vorurteil“ <strong>de</strong>n Fall betrachten und „Werturteile fällen,<br />

die ... <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>r politischen Führung entsprechen“ (Georg<br />

Dahm).<br />

Juristischen Scharfsinn und vorurteilslose Betrachtung <strong>de</strong>s Falles<br />

lehnte man als „rationalistische Zerglie<strong>de</strong>rung“ als „Entwesung“<br />

(Georg Dahm 20 ) ab, an <strong>de</strong>ren Stelle sollte eine „emotional-wertfühlen<strong>de</strong>,<br />

ganzheitliche Betrachtungsweise“ (Hans Welzel 21 )<br />

treten. Der gewaltige Aufwand an i<strong>de</strong>ologischen Floskeln, die<br />

uns mit 70 Jahren Abstand am Verstand einer ganzen Juristengeneration<br />

zweifeln lassen, diente dazu, <strong>de</strong>n Brutalitäten <strong>de</strong>s<br />

Nazi-Regimes eine scheinrechtliche Legitimität zu verleihen.<br />

Die Arbeit am Gesetzeswortlaut mit <strong>de</strong>m Ziel, <strong>de</strong>ssen Anwendungsbereich<br />

zu bestimmen, also klassische Juristentätigkeit,<br />

diffamierte die Jurispru<strong>de</strong>nz als „Normativismus“, wie auch wissenschaftliche<br />

Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gesetzesauslegung als „positivistisch“<br />

o<strong>de</strong>r „jüdisch-liberalistisch“ abqualifiziert wur<strong>de</strong>n. Erklärtes<br />

Ziel dieser „Rechtswissenschaftler“ war gera<strong>de</strong>, „die Erkennbarkeit<br />

<strong>de</strong>s Gesetzes und die Berechenbarkeit <strong>de</strong>r<br />

Rechtsfolgen“ aufzuheben (Heinrich Henkel) 22 .<br />

So wenig die beflissene Legitimationsbeschaffung für das System<br />

<strong>de</strong>r Rechtlosigkeit <strong>de</strong>n Namen Rechtswissenschaft verdiente,<br />

so wenig waren die Strafrechtsverordnungen Gesetze.<br />

Im formellen Sinn waren sie es nicht, son<strong>de</strong>rn bloße Verwaltungs<strong>de</strong>krete.<br />

Auch materiell waren sie es nicht, <strong>de</strong>nn sie ließen,<br />

z.B. im Strafrecht, die Grenze zwischen straflos und strafbar<br />

meist bewusst im Unklaren. Sie waren im Grun<strong>de</strong> „antinormative<br />

Normen“, die <strong>de</strong>n Gerichten eine nur ungefähre Richtung<br />

geben und ihren Urteilen <strong>de</strong>n Schein <strong>de</strong>r Legitimation verleihen<br />

sollten, selbst wenn diese sich mit <strong>de</strong>m Wortlaut <strong>de</strong>r „Gesetze“<br />

längst nicht mehr vereinbaren ließen.<br />

Wer in <strong>de</strong>n zigtausen<strong>de</strong>n von To<strong>de</strong>surteilen <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlichen<br />

Justiz und <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rgerichte, <strong>de</strong>r Feldgerichte und Standgerichte,<br />

<strong>de</strong>s Volksgerichtshofs und Reichskriegsgerichts nach Gesetzesverstößen<br />

und Rechtsbeugungen sucht (von <strong>de</strong>nen es<br />

natürlich unzählige gab), bewertet sie nach rechtlichen Maßstäben,<br />

welche man damals als „normativistisch“ ablehnte. Die<br />

dort zitierten Gesetze waren nicht dazu gemacht, restriktiv ausgelegt<br />

zu wer<strong>de</strong>n und nicht von <strong>de</strong>r Vorschrift erfasste Personen<br />

zu verschonen. Ihrem Sinn entsprach es, die Angeklagten –<br />

meist aus Abschreckungsgrün<strong>de</strong>n – umzubringen. Das bei diesem<br />

Anlass Gesetze zitiert wur<strong>de</strong>n, geschah mehr zur Bemäntelung<br />

dieses Vorgangs.<br />

Im Gerichtsverfahren sollte auch nicht mehr um das Ergebnis gestritten<br />

wer<strong>de</strong>n. An die Stelle <strong>de</strong>s einst von Rudolf von Ihering<br />

propagierten Kampfes um das Recht, <strong>de</strong>r nun angeblich „als Parteienstreit<br />

die Wahrheitsfindung gefähr<strong>de</strong>te“, wur<strong>de</strong> die<br />

„Gleichrichtung <strong>de</strong>r Verfahrenskräfte“ (Heinrich Henkel) gesetzt,<br />

o<strong>de</strong>r volkstümlicher ausgedrückt: „Richter, Staatsanwälte<br />

und Verteidiger müssen „Kamera<strong>de</strong>n einer Rechtsfront, ... gemeinsame<br />

Kämpfer um die Erhaltung <strong>de</strong>s Rechts sein ... Die<br />

Gleichschaltung ihrer Aufgaben muss ihre praktische Zusammenarbeit<br />

und Kameradschaft verbürgen“ 23 .<br />

Nach<strong>de</strong>m 1945 alle an<strong>de</strong>ren Fronten zusammengebrochen waren,<br />

hat die Rechtsfront als einzige gehalten. Die jüdischen Juristenkollegen<br />

waren zum großen Teil tot. Viele – wie Max Alsberg<br />

– hatten sich das Leben genommen, noch mehr waren ermor<strong>de</strong>t<br />

wor<strong>de</strong>n, ein Großteil <strong>de</strong>r Vertriebenen blieb im Exil, nur<br />

wenige kamen zurück. Was auch nicht zurückkehrte waren<br />

Geist und Rechtskultur, <strong>de</strong>nn mit <strong>de</strong>n Menschen waren ihre<br />

Theorien und I<strong>de</strong>en, ihre wissenschaftlichen Programme und<br />

Pläne vertrieben und vernichtet wor<strong>de</strong>n. Die Lehrstühle <strong>de</strong>r jüdischen<br />

Professoren blieben mit ihren Nachfolgern besetzt, ihre<br />

Bücher hatte man aus <strong>de</strong>n Bibliotheken geworfen und großenteils<br />

verbrannt, ihre intellektuelle Hinterlassenschaft wur<strong>de</strong> ignoriert<br />

o<strong>de</strong>r, wenn auch subtiler, weiterhin diffamiert, wie die<br />

Hermann Kantorowicz’ und Hans Kelsens 24 . Karl Larenz hat in<br />

21 Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935, S. 73.<br />

22 H. Henkel, Strafrichter und Gesetz im neuen Staat, 1934, S. 37.<br />

23 A. Sack, Der Strafverteidiger und <strong>de</strong>r neue Staat, Berlin 1935, S. 106.<br />

24 Vgl. G. Kraus, Die Verfassung Deutschlands 1945-1954, DÖV 1954,<br />

580.

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