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244 Aufsätze BRAK-Mitt. 6/2004<br />
Prütting, Rechtsberatung im Wan<strong>de</strong>l<br />
Dieser unserer Form <strong>de</strong>r Selbstverwaltung kommt nicht nur eine<br />
ordnungspolitische Funktion zu. Eine Funktion, die sich auf die<br />
Ethik <strong>de</strong>r Berufsgruppe stützt, die sich ihrerseits wie<strong>de</strong>rum aus<br />
<strong>de</strong>m Selbstverständnis <strong>de</strong>r Gruppenangehörigen und <strong>de</strong>n Erwartungen<br />
<strong>de</strong>r Gesamtgesellschaft an diese Gruppe ergibt.<br />
Den berufsständischen Selbstverwaltungskörperschaften kommt<br />
auch eine doppelte Be<strong>de</strong>utung für unsere <strong>de</strong>mokratische<br />
Staatsform zu. Die Selbstverwaltung ist in <strong>de</strong>r Lage, die Effizienz<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen Ordnung zu verbessern, weil sie die<br />
beson<strong>de</strong>re Sachkun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Berufsangehörigen, besser als je<strong>de</strong><br />
unmittelbare Staatsverwaltung es könnte, in die Entscheidungsprozesse<br />
und die gesellschaftliche Entwicklung einbezieht. Die<br />
Beteiligten <strong>de</strong>r Berufsgruppe wer<strong>de</strong>n nicht nur angehört, son<strong>de</strong>rn<br />
unmittelbar an <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses<br />
beteiligt. U nd das im Ehrenamt und damit<br />
für die Gesellschaft kostengünstig. Die Arbeit unserer<br />
Rechtsanwaltskammer in Frankfurt wird zum einen Teil aus <strong>de</strong>n<br />
Mitgliedsbeiträgen <strong>de</strong>r Kammermitglie<strong>de</strong>r finanziert. Ein sehr<br />
großer Teil dieser Arbeit wird aber auch ehrenamtlich in <strong>de</strong>n<br />
Abteilungen und in <strong>de</strong>n Ausschüssen <strong>de</strong>s Vorstands, auch in<br />
<strong>de</strong>r Satzungsversammlung, in <strong>de</strong>n Anwaltsgerichten und im<br />
Versorgungswerk geleistet.<br />
Eines darf freilich an dieser Stelle nicht verschwiegen wer<strong>de</strong>n,<br />
und das ist eine Mahnung an <strong>de</strong>n Gesetzgeber: Die Rechtsanwaltskammern<br />
sind noch wie vor 125 Jahren nach klassischen<br />
Vorstellungen <strong>de</strong>r Basis<strong>de</strong>mokratie strukturiert. Bei <strong>de</strong>r Willensbildung<br />
von unten nach oben wird auf die Versammlung aller<br />
Kammermitglie<strong>de</strong>r als Organ <strong>de</strong>r Willensbildung abgestellt.<br />
Auch bei <strong>de</strong>r Formulierung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung<br />
1959 ging man davon aus, eine Kammer lasse sich nach <strong>de</strong>n<br />
Prinzipien <strong>de</strong>r Honoratiorenverwaltung führen und könne <strong>de</strong>shalb<br />
nach <strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>r unmittelbaren Demokratie<br />
strukturiert wer<strong>de</strong>n.<br />
Deshalb ist noch heute die Kammerversammlung als Vollversammlung<br />
aller Kammermitglie<strong>de</strong>r das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Organ<br />
<strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammer. Nur ging man eben bei diesen Festlegungen<br />
davon aus – wie § 61 BRA O zeigt –,dass in einem<br />
Oberlan<strong>de</strong>sgerichtsbezirk dann eine weitere Rechtsanwaltskammer<br />
gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n könnte, wenn dort mehr als 500<br />
Rechtsanwälte zugelassen sind. Diese Zeiten liegen lange zurück.<br />
Wir sind heute mehr als 14.000 Rechtsanwälte im Bezirk<br />
<strong>de</strong>r Kammer Frankfurt. Wir halten es für an <strong>de</strong>r Zeit, dass <strong>de</strong>r<br />
Gesetzgeber es auch uns ermöglicht, mehr Demokratie zu wagen.<br />
Wie bei <strong>de</strong>r Wahl zur Satzungsversammlung sollte es uns<br />
ermöglicht wer<strong>de</strong>n, Repräsentanten in die Kammerversammlung<br />
zu wählen. Auch dabei kann problemlos sichergestellt<br />
wer<strong>de</strong>n, dass Allgemeinanwälte und kleine Sozietäten sich dort<br />
ebenso repräsentiert fin<strong>de</strong>n wie große Sozietäten o<strong>de</strong>r gar<br />
rechtsberaten<strong>de</strong> Kapitalgesellschaften. Das wür<strong>de</strong> uns je<strong>de</strong>nfalls<br />
innerlich stärken.<br />
In je<strong>de</strong>m Falle bin ich aber zuversichtlich, dass unsere bewährte<br />
Selbstverwaltung in <strong>de</strong>r Lage ist, auch künftig ihrer Rolle in<br />
Staat und Gesellschaft gerecht zu wer<strong>de</strong>n: Für alle, die diesen<br />
Rechtsstaat mit uns schützen und verteidigen wollen.<br />
Rechtsberatung im Wan<strong>de</strong>l 1<br />
Prof. Dr. Hanns Prütting, Köln<br />
Herr Präsi<strong>de</strong>nt Dr. Thümmel , verehrte Festversammlung!<br />
1 Festvortrag anlässlich <strong>de</strong>r 125-Jahr-Feier <strong>de</strong>r RAK Köln am 6.10.2004.<br />
Ich stehe heute in doppelter Eigenschaft vor Ihnen. Zunächst<br />
darf ich mir erlauben, Ihnen als Dekan die Grüße und die<br />
Glückwünsche <strong>de</strong>r Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät zu<br />
übermitteln. 125 Jahre ist die Rechtsanwaltskammer Köln nun<br />
also für die rheinischen Rechtsanwälte im Kammerbezirk erfolgreich<br />
tätig. Dies ist ein stolzes Jubiläum. Dass es in dieser langen<br />
Zeit auch stets viele gute und enge Kontakte zwischen Kammer<br />
und Fakultät gegeben hat und heute mehr <strong>de</strong>nn je gibt, ist für<br />
mich natürlich ein beson<strong>de</strong>rer Grund zur Freu<strong>de</strong> und zum<br />
Dank. Allein sieben Rechtsanwälte <strong>de</strong>r Kölner Kammer sind <strong>de</strong>rzeit<br />
zugleich Honorarprofessoren unserer Fakultät, darüber hinaus<br />
gibt es eine beträchtliche Zahl von Rechtsanwälten, die einen<br />
Lehrauftrag wahrnehmen. Im November dieses Jahres wird<br />
einem verdienten und angesehenen Mitglied <strong>de</strong>r Kölner Kammer<br />
die Wür<strong>de</strong> eines Ehrendoktors verliehen wer<strong>de</strong>n und dies<br />
ist nicht die erste Auszeichnung eines Kölner Anwalts durch die<br />
Fakultät. Eine beson<strong>de</strong>rs schöne und erfolgreiche Frucht <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />
von Fakultät und Kammer ist schließlich das im<br />
Jahre 1989 von Anwälten und Professoren gemeinsam gegrün<strong>de</strong>te<br />
Institut für Anwaltsrecht an <strong>de</strong>r Universität zu Köln. Es ist<br />
das erste seiner Art in ganz Deutschland und nach wohl einhelliger<br />
Auffassung auch das bei weitem produktivste und erfolgreichste.<br />
Die wissenschaftliche Arbeit <strong>de</strong>r vergangenen 15 Jahre<br />
an diesem Institut wäre ohne die Unterstützung <strong>de</strong>r Kölner Kammer<br />
und vieler weiterer Sponsoren in Deutschland nicht möglich<br />
gewesen. So darf ich (zugleich im Namen von Frau Kollegin<br />
Grunewald und Herrn Kollegen Henssler) zum heutigen Jubiläum<br />
auch unseren gemeinsamen Dank für alle uns zuteil gewor<strong>de</strong>ne<br />
Unterstützung, Hilfestellung und fürdas fruchtbare Zusammenwirken<br />
zum Ausdruck bringen.<br />
I. Einführung<br />
Das Recht ist Teil unserer Kultur. Ohne Recht gibt es keine Sicherheit,<br />
keinen Frie<strong>de</strong>n und keinen Fortschritt in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen,<br />
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Recht<br />
ist also ein sehr hohes Gut.<br />
Es ist daher nicht überraschend, dass Recht (ähnlich wie die<br />
Medizin) seit vielen tausend Jahren entwickelt wird und dass<br />
<strong>de</strong>r Beruf <strong>de</strong>s Rechtsberaters (ähnlich wie <strong>de</strong>r Arzt) schon immer<br />
eine ganz beson<strong>de</strong>rs herausgehobene Stellung hatte.<br />
Wir sprechen beim Thema Rechtsberatung also nicht von einer<br />
beliebigen Ware o<strong>de</strong>r von einer einfachen Dienstleistung, die<br />
ganz unproblematisch <strong>de</strong>r EU-Dienstleistungsfreiheit unterläge.<br />
Daher hat das Thema „Rechtsberatung“ auch – nieman<strong>de</strong>n<br />
wird dies überraschen – eine wechselvolle Geschichte.<br />
II. Historische Aspekte und Entwicklungslinien<br />
Das mo<strong>de</strong>rne <strong>de</strong>utsche Verfahrens- und Anwaltsrecht hat sich<br />
bekanntlich nach <strong>de</strong>r Reichsgründung 1870/71 insbeson<strong>de</strong>re<br />
durch die sog. Reichsjustizgesetze <strong>de</strong>s Jahres 1877 entwickelt.<br />
In diesen Reichsjustizgesetzen waren das GVG, die ZPO, die<br />
StPO und weitere Verfahrensgesetze wie die KO vereinigt. Bereits<br />
ein Jahr später, am 1.7.1878, wur<strong>de</strong> die erste <strong>de</strong>utsche<br />
Rechtsanwaltsordnung (RAO) als Reichsgesetz verkün<strong>de</strong>t. Diese<br />
RAO trat zusammen mit allen Reichsjustizgesetzen am