Das Magazin für Bildung und Karriere im Ausland - Itchy-feet
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42 – Jobs & Praktika<br />
behandelnden Arzt zu beraten <strong>und</strong> die Patientenbetreuung zu unterstützen. Ein<br />
gewöhnlicher Tag beginnt um acht Uhr morgens mit einer der verschiedenen<br />
täglichen Morgenkonferenzen. Vor jeder Konferenz sollte man bereits die<br />
aktuellen Labor- <strong>und</strong> Untersuchungsergebnisse <strong>für</strong> die eigenen Patienten<br />
durchgesehen haben. Angenehm, <strong>und</strong> <strong>für</strong> Studenten besonders wichtig, ist<br />
die sehr gute Verpflegung. Zu jeder Morgen- <strong>und</strong> Mittagskonferenz gibt es<br />
ausreichende <strong>und</strong> abwechslungsreiche Angebote, um den Tag gut überstehen<br />
zu können. Unangenehm <strong>für</strong> Studenten ist, dass sie zum Zeichen ihres<br />
Ausbildungsstandes hier in einem „short white coat“ – einem jacketartig<br />
verkürzten Arztkittel - herumlaufen müssen. <strong>Das</strong> führt dann manchmal dazu, dass<br />
man sich <strong>für</strong> Gespräche mit der Blutbank oder einer besonders hartnäckigen<br />
Krankenschwester den Resident (Facharzt in der Ausbildung) zur Verstärkung<br />
hinzuholen muss. Der Vormittag ist best<strong>im</strong>mt von der Weiterverfolgung der<br />
eigenen Patienten. Hier werden alle Patienten jeden Tag erneut komplett<br />
untersucht, es müssen täglich neue Berichte geschrieben <strong>und</strong> aktuelle Literatur-<br />
recherchen durchgeführt werden. Die Ergebnisse <strong>und</strong> der eigene Bericht werden<br />
dann vom Fellow (Facharzt) überprüft <strong>und</strong> in einem Gespräch diskutiert. Im<br />
Laufe des Tages kommen in unterschiedlicher Anzahl die Konsultationsanfragen<br />
von den einzelnen Stationen über die Pager, mit denen jeder ausgestattet ist.<br />
Jedes Mitglied des Teams, auch der Student, bekommt abwechselnd einen<br />
Patienten zugewiesen, der dann hauptverantwortlich betreut, untersucht<br />
<strong>und</strong> am Nachmittag dem Team vorgestellt wird. Die Nachmittagssitzung<br />
„ro<strong>und</strong>ing“, die eigentlich Visite, ist das tägliche Gespräch mit dem Attending<br />
(Chefarzt). Jeder stellt seine Patienten vor, der Chefarzt stellt Rückfragen,<br />
erwartet einen Behandlungsvorschlag <strong>und</strong> diskutiert dann mit dem gesamten<br />
Team das weitere Vorgehen. Danach werden die neuen Patienten gemeinsam<br />
besucht. Ein gewöhnlicher Tag geht zwischen 18.00 <strong>und</strong> 19.00 Uhr zu Ende.<br />
Der wohl schwierigste Part war der Umgang mit den inflationär verwendeten<br />
Abkürzungen. Obwohl in der amerikanischen Medizinsprache Abkürzungen sehr<br />
reichhaltig sind, schien es mir, als ob jeder Arzt sich zusätzlich noch eine Liste<br />
von eigenen Lieblingsabkürzungen geschaffen hätte. Ohne Hintergr<strong>und</strong>wissen<br />
konnte man die meisten Arztbriefe überhaupt nicht verstehen, <strong>und</strong> es hat mich<br />
eine Menge Schweiß <strong>und</strong> Schlaf gekostet, bis ich Abkürzungen wie diese <strong>im</strong><br />
Kopf hatte: HEENT: perrl, eomi? heißt: HEAD, EARS, EYES, NOSE, THROAT:<br />
pupils equal ro<strong>und</strong> reactive to light, extraocular muscles intact! (Standard-<br />
Beurteilungsangabe bei der Augenuntersuchung) Aber leider benutzen viele<br />
Ärzte Abkürzungen, die nicht standardisiert sind. Und häufig wird die gleiche<br />
Abkürzung <strong>für</strong> verschiedene Inhalte je nach Zusammenhang benutzt. Es kam<br />
daher <strong>im</strong>mer wieder vor, dass ich nachfragen musste. <strong>Das</strong> war ein Punkt, den<br />
ich als Erfahrung aus Harvard mitnehme: Fragen waren nicht nur erwünscht,<br />
sie wurden eingefordert <strong>und</strong> Nicht-Fragen wurde als Wissen gewertet. Diese<br />
Umstellung vom Wissen-Müssen zum Fragen-Müssen hat mir gefallen, hat<br />
die Atmosphäre <strong>im</strong> Team sehr entspannt <strong>und</strong> <strong>für</strong> mich selber den Umgang mit<br />
Nichtwissen einfacher gemacht.<br />
Außerhalb von Harvard – Boston in der Freizeit<br />
Boston ist das Europa von Amerika. „Beantown“, wie es auch <strong>im</strong> Vergleich<br />
zu seinem riesigen Rivalen New York genannt wird, ist eine durch <strong>und</strong> durch<br />
akademische <strong>und</strong> kulturelle Stadt Auch wenn die Arbeit in der Klinik <strong>und</strong> die<br />
Literaturrecherche einen Großteil meiner Zeit in Harvard einnahmen, habe<br />
ich mir doch einige Gehe<strong>im</strong>tipps nicht entgehen lassen. Der vier Kilometer<br />
lange „Freedom Trail“ ist eine durch einen roten Strich auf dem Bürgersteig<br />
markierte Wanderroute durch die Stadt. <strong>Das</strong> New England Conservatory ist eine<br />
international berühmte Musikhochschule. Nahezu jeden Abend werden in der<br />
beeindruckenden Jordan Hall hochklassige Konzerte gegeben, die das ganze<br />
Jahr über <strong>für</strong> die Besucher kostenlos sind. Jeden Samstag bietet das Goethe<br />
Institut in Boston ein deutsches Kulturprogramm, das je nach Themenstellung<br />
sehr spannend <strong>und</strong> unterhaltsam sein kann. Auch hier ist der Eintritt kostenfrei<br />
<strong>und</strong> oft gibt es auch noch leckeres Essen <strong>und</strong> Wein „on top“. Jeder Besuch in<br />
Boston muss natürlich einen Spaziergang durch Cambridge enthalten. Hier ist der<br />
Ursprungs-Campus der Harvard School zu finden. <strong>Das</strong> ganze Viertel hat eine sehr<br />
studentische Atmosphäre, hier sind die angenehmsten <strong>und</strong> spannendsten Bars<br />
<strong>und</strong> Pubs zu finden.<br />
Zurück von Harvard – ein Resümee<br />
Ich habe aus Harvard eine große Portion Motivation <strong>und</strong> Opt<strong>im</strong>ismus<br />
mitgenommen. Ich habe eine andere Form des klinischen Arbeitens kennen<br />
gelernt. Ich habe gesehen, wie man aktuelle wissenschaftliche Publikationen<br />
in den hektischen Behandlungsalltag einer Großstadtklinik integrieren kann.<br />
Und ich bin von allen Seiten auf großes Interesse <strong>und</strong> Engagement getroffen,<br />
so dass dies nicht mein letzter Aufenthalt in Harvard gewesen sein wird. Bei<br />
allem Opt<strong>im</strong>ismus ist mir aber auch klar geworden, dass auch in Harvard nur<br />
mit Wasser gekocht wird. Der große Respekt vor dem Namen <strong>und</strong> die Freude<br />
über einen Eintrag <strong>im</strong> Lebenslauf sind sicher nicht genug, um sich <strong>im</strong> Beth Israel<br />
Deaconess Medical Center wohl zu fühlen. Es bleibt ein Krankenhaus mit viel<br />
Arbeit <strong>und</strong> hoher Geschwindigkeit. Freude macht dieses Praktikum dem, der<br />
Freude am Arbeiten mit Patienten, also <strong>im</strong> Umgang mit Menschen hat.<br />
Christian Schulz ist 26 Jahre alt. Er absolviert ein Medizinstudium an der Privaten<br />
Universität Witten-Herdecke.<br />
Links:<br />
www.uni-wh.de<br />
www.harvard.edu