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DIE SAMBASCHULEN VON RIO DE JANEIRO ANPASSUNG UND ...

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7<br />

afrikanischen Karneval", in dem die Clans und die nações3 ihre alte durch die<br />

Sklaverei zerstörte Sozialstruktur wiederaufleben lassen würden (vgl. Bastide<br />

1959a: 73). Während Totemismus als religiöses Weltbild heute unter anderem<br />

von Lévi-Strauss als wissenschaftliche Illusion angesehen wird4 , wird die<br />

Theorie vom Karneval als Ventil, das das Bedürfnis der Individuen nach einer<br />

Befreiung von den sozialen Zwängen befriedigt, die Bastide ebenfalls vertrat<br />

(vgl. Bastide 1959b: 36), auch heute noch mehrheitlich als Erklärung für das<br />

Phänomen Karneval herangezogen5 .<br />

Gegen eine solche vereinfachte Sicht des Karnevals wendete sich Roberto da<br />

Matta mit seiner Theorie über den brasilianischen Karneval6 . "For many<br />

interpreters of Brazilian social reality, carnaval is a kind of gross collective<br />

mystification which, along with soccer, the lottery, the samba, and the beach,<br />

moderates and diverts the social and political consciousness of Brazilians. Our<br />

research, however, has revealed that carnaval is one possible reading of<br />

Brazilian society by the members of that society (following the phraseology and<br />

ideas of Geertz 1973)." (da Matta 1979: 589). Die Gesellschaft ist etwas<br />

Kontinuierliches, doch manchmal erfindet sie für sich selbst einen Moment, in<br />

dem es Anfang, Mitte und Ende gibt und sie für sich selbst einen Diskurs<br />

produziert: das Ritual (vgl. dazu da Matta 1986: 80ff.). Jede Gesellschaft<br />

wechselt zwischen Routine und Ritual, zwischen gewöhnlichen Perioden und<br />

außergewöhnlichen. Beide Perioden sind wie die zwei Seiten einer Medaille, sie<br />

sind Bestandteil derselben Totalität (vgl. da Matta 1989: 67ff.).<br />

Der Karneval scheint die pragmatische Institution der Sicht von Brasilien als<br />

große "communitas" im Sinne Turners7 zu sein, in der es nicht notwendig ist,<br />

soziale Identitäten zu definieren (da Matta 1977: 28). Er ist als Neutralisierung<br />

der sozialen Regeln des Alltags definiert, was eine Individualisierung der<br />

Gesellschaft und damit die Gleichheit aller Individuen ermöglicht. Der Karneval<br />

ist die Umkehrung der Welt: er erlaubt kurzfristig die Erfindung und den<br />

Austausch von sozialen Positionen in einer Gesellschaft, in der sonst soziale<br />

3 ethnische bzw. pseudo-ethnische Gruppen, s. Kapitel 2.1.<br />

4 vgl. dazu Lévi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Frankfurt am Main 1968, und Das Ende des<br />

Totemismus. Frankfurt am Main 1972.<br />

5 An dieser Stelle soll erwähnt werden, daß die Werke von Ramos und Bastide die einzigen in der<br />

Universitätsbibliothek Wien vorhandenen fremdsprachigen Abhandlungen über den<br />

brasilianischen Karneval sind.<br />

6 vgl. auch Le Roy Ladurie, Emmanuel: Karneval in Romans. Stuttgart 1982.<br />

7 da Matta bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die brasilianischen Ausgaben von Turner,<br />

Victor: O Processo Ritual. Petrópolis 1974, und Van Gennep, Arnold: Os Ritos de Passagem.<br />

Petrópolis 1978.

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