Zum Leben - Sächsische Israelfreunde eV
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Fragwürdiges<br />
Entkirchlichter Osten<br />
Harmonische Diskussion in SPD-Stiftung über Humanismus und Religion –<br />
Arbeitskreis Laizisten gegründet<br />
Die Herren kannten sich. Im Konferenzsaal<br />
der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-<br />
Stiftung (FES) in Berlin spielten sich Mitte<br />
April Humanisten-Verbandschef (HVD) Horst<br />
Groschopp und Pfarrer Andreas Fincke bemüht<br />
artig in ihren Vorträgen rhetorisch die<br />
Bälle zu. Dabei bot das Thema der Podiumsdiskussion<br />
genügend Anlass zu heftigem<br />
Streit, denn es war die Frage gestellt worden:<br />
Neuer Humanismus – eine humanistische<br />
Alternative zu den Religionen?<br />
Der aus Zwickau stammende Groschopp,<br />
nach dem Zusammenbruch der DDR von der<br />
Berliner Humboldt-Universität als nicht länger<br />
befähigt, ein Lehramt auszuüben, befunden,<br />
fühlte sich sichtlich wohl hinter dem<br />
Rednerpult in der Friedrich-Ebert-Stiftung.<br />
„Seit zwölf Jahren diskutiert nun Dank der<br />
FES die Humanistische Gesellschaft in diesen<br />
Räumen über 40 Jahre Humanismus.“ Harmonischer<br />
kann ein akademisch angelegter<br />
Disput nicht eingeläutet werden.<br />
Pfarrer Fincke aus Brandenburg spülte in seinem<br />
Vortrag weich nach: „Die Trennlinie<br />
verläuft nicht zwischen Atheismus und Religion<br />
sondern zwischen Fundamentalismus<br />
und Toleranz.“ Und er empfahl seinem Arbeitgeber:<br />
„Die Kirche muss Grundkenntnisse<br />
über die humanistischen Organisationen<br />
haben.“<br />
Der Pfarrer, Hirte in drei brandenburgischen<br />
Gemeinden, kennt die ungläubigen Brüder,<br />
aus verständlichen historischen Gründen<br />
nach wie vor bevorzugt im Osten siedelnd,<br />
nicht nur durch seine Ost-Biografie ganz gut.<br />
Er hat sich mit ihnen auch publizistisch beschäftigt.<br />
Im Sommer 2004 begab er sich auf<br />
ihre Spur und zeichnete sie in der Schrift:<br />
Woran glaubt, wer nicht glaubt, nach. Herausgeber<br />
Fincke stellt in der Schrift „<strong>Leben</strong>s-<br />
und Weltbilder von Freidenkern, Konfessi-<br />
12 <strong>Zum</strong> <strong>Leben</strong><br />
von<br />
Hartmut Petersohn<br />
Berlin<br />
onslosen und Atheisten in Selbstaussagen“<br />
vor. Eingeleitet wird die Publikation der<br />
Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen<br />
(EZW) mit einem Beitrag aus der<br />
Feder des Bundesvorsitzenden des Humanistischen<br />
Verbands Deutschlands. Groschopp<br />
geht in seiner „Selbstaussage“ der Frage<br />
nach: „Wie humanistisch ist das säkulare<br />
Spektrum?“, die er allerdings für überflüssig<br />
hält, denn es stelle schließlich selten jemand<br />
die Frage, „wie christlich die Kirchen sind“.<br />
Groschopp hatte die Frage nach dem Humanismus<br />
als Überschrift für seinen Beitrag in<br />
Finckes Buch gewählt. Das deutet auf den<br />
anhaltenden Rechtfertigungszwang der Verbands-Humanisten<br />
hin. Denn sehr zu recht<br />
wird dem Zusammenschluss misstraut, war<br />
er doch in der DDR nicht mehr als ein Feigenblatt<br />
der SED-Staatspartei, auf deren Beschluss<br />
es zur Gründung des Verbandes gekommen<br />
war. In seinem Aufsatz von 2004<br />
bezeichnet Groschopp den „Glauben“ durch<br />
die „christlich-religiöse Deutungsmacht und<br />
die konfessionelle Gebundenheit“ als „belastet“.<br />
Dass sein HVD heute derart erfolgreich<br />
agiert, das verlangt nicht nach Deutung, dafür<br />
sprechen Fakten. Allein in Berlin beschäftigt<br />
der Humanisten-Verein fast 1000 Mitarbeiter.<br />
Diesen Bedeutungszuwachs hat der Neue Humanismus<br />
– Groschopp: es ist der alte – der<br />
freien Marktwirtschaft zu danken. Darin fand<br />
der HVD überaus erfolgreiche Geschäftsfelder.<br />
Er betreibt die Bundeszentralstelle für<br />
Patientenverfügung – im Klartext: es geht um<br />
Sterbehilfe! – ,organisiert für rund 50.000<br />
Schüler an über 300 Schulen <strong>Leben</strong>skundeunterricht<br />
und richtet jedes Jahr Jugendweihefeiern<br />
aus. Die Familienzentren und die<br />
über 20 Kitas des Vereins und ein eigener<br />
Jugendverein, die Jungen Humanisten, weisen<br />
darauf hin, woran dem HDV besonders<br />
gelegen ist. Beschwichtigend erklärte Groschopp<br />
auf der Friedrich-Ebert-Tagung in Berlin,<br />
der Humanismus habe nicht vor, mit den<br />
Christen in Konkurrenz zu treten und die<br />
Menschen aus den Kirchen zu treiben, um<br />
salopp anzufügen: „Dazu leisten die Kirchen<br />
schon selbst ihren Teil.“ Sein Nachredner<br />
Fincke bestätigte: Mit jährlich 330.000 Aus-<br />
tritten aus beiden Volkskirchen verließe<br />
werktäglich ein „ICE mit 18 Wagen“ die Kirchen.<br />
„Keine Region der Welt ist so entkirchlicht<br />
wie der Großraum zwischen den beiden<br />
Lutherstädten Wittenberg und Eisleben.“ Der<br />
Pfarrer räumte ein, dass die Humanisten besser<br />
verstünden, die Konfessionslosen zu umwerben<br />
und er verstünde nicht, warum sich<br />
seine Kirche dieses Themas nicht annehme.<br />
So müsse man sich nicht wundern, dass das<br />
religiöse Analphabetentum im Osten<br />
Deutschlands anhalte oder sich sogar ausbreite:<br />
„Die Ost-West-Wanderung besonders junger,<br />
gut ausgebildeter Menschen ist die größte<br />
Atheistenwanderung in der deutschen<br />
Geschichte.“<br />
Mit diesem deprimierenden Befund rief Pfarrer<br />
Fincke im Berliner Haus der sozialdemokratischen<br />
Stiftung Ex-SPD-Ostminister Rolf<br />
Schwanitz aus Plauen auf den Plan. Schwanitz<br />
reagierte eingeschnappt und lenkte damit den<br />
akademischen Disput in Richtung praktische<br />
Politik. Er verbitte sich, die Ostdeutschen als<br />
religiöse Analphabeten zu diskriminieren. Damit<br />
aber rückte der Plauener SPD-Politiker<br />
sich, es ist anzunehmen unbeabsichtigt, in die<br />
Nähe des Zwickauer Humanisten Groschopp.<br />
Denn einige der Zuhörer im Sitzungssaal der<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung werden sich gefragt<br />
haben, wie die Neigung mancher Ostdeutscher<br />
nach über 20 Jahren Wiedervereinigung<br />
erhalten bleiben konnte, sich in Diskussionen<br />
für irgendwas dauernd entschuldigen zu müssen<br />
oder auf zugespitzt vorgetragene Meinungen<br />
aggressiv zu reagieren. Mit der Ost-<br />
West-Wanderung junger Leute scheint die<br />
Streitkultur mit weg zu wandern, sich die Hoffnung<br />
auf Wandel durch Verjüngung zu verflüchtigen.<br />
Aber vielleicht wollte Schwanitz<br />
auch nur auf sich aufmerksam machen, war<br />
seine Wortmeldung simples politisches Kalkül,<br />
um dem mäßig interessierten Publikum mitzuteilen:<br />
der einstige Ost-Minister ist noch da –<br />
als Gründungsmitglied des Arbeitskreises Laizisten<br />
in der SPD, der sich wenige Tage zuvor<br />
konstituiert hatte.<br />
Schwanitz hatte zuvor in einem Aufsatz zum<br />
Thema bekannt: „Mein Engagement in der<br />
Sache kam nicht über Nacht.“ Ein „so genann-