Zum Leben - Sächsische Israelfreunde eV
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Fünf ihrer Söhne hat sie bereits verloren;<br />
zwei davon schickte sie selbst mit ihrer Unterschrift<br />
und Auftritten in deren Märtyrervideos<br />
in den Tod: „Es ist das Beste, was mir<br />
passieren kann. Gebe Gott, dass du Erfolg<br />
hast und als Märtyrer stirbst.“ Umm Ahmed<br />
al-Abed sieht sich selbst in dem Video ihrem<br />
Sohn diese letzten Worte sagen, und sie verzieht<br />
dabei keine Miene: „Wenn ich meinen<br />
Sohn verstecke und andere Mütter dasselbe<br />
tun, werden wir nie gewinnen.“ Die Frauen<br />
der Hamas schauen sich gemeinsam diese<br />
Videos an. Während Mütter und Söhne auf<br />
der Leinwand stolze Abschiedszeremonien<br />
vollziehen, schwenkt Suhas Kamera auf das<br />
Publikum. Dort sitzen auch Kinder. Eine vollverschleierte<br />
Frau hält einen knapp einjährigen<br />
Jungen auf dem Arm. Wenn es nach der<br />
Hamas geht, wird der Plan A für sein <strong>Leben</strong><br />
ein sinnloser Tod sein. Bald schon wird er im<br />
Kindergarten lernen, diesen Gedanken zu<br />
lieben. Auch dort durfte Suha filmen.<br />
Auf vielen Demonstrationen sieht man die<br />
Frauen schwerbewaffnet lauthals das jüdische<br />
Volk verfluchen. Der Kampf um Palästina gegen<br />
den als satanisch dargestellten Fein Israel<br />
verleiht ihnen einen neuen Wert und Sinn in<br />
ihrem <strong>Leben</strong>. „Die Hamas hat mir alles beigebracht:<br />
Geduld, Stärke, Willenskraft und<br />
Selbstbewusstsein. Die Hamas hat mir gezeigt,<br />
was es heißt, eine Muslima zu sein:<br />
Eine starke Persönlichkeit mit einer eigenen<br />
Meinung. Das, was ich fühle, kann ich gar<br />
nicht in Worte fassen. Hamas – das ist wie ein<br />
Kleid, das ich trage“, so beschreibt Gamila<br />
al-Shanti, Parlamentsabgeordnete für die Hamas,<br />
ihr Verhältnis zu der Terrororganisation<br />
und Partei, die sich selbst „islamische Widerstandsbewegung“<br />
nennt. „Die Frauen der<br />
Hamas: Das ist eine eigenständige Bewegung<br />
mit dem gleichen Status wie unsere Brüder<br />
der Hamas. In den schwierigsten Kämpfen<br />
waren wir – die Frauen – an der Seite unserer<br />
Freiheitskämpfer. Das begann schon während<br />
der Intifada. Da waren wir mit dabei. Dieser<br />
Einsatz hat das Frauenbild hier – die Beziehungen<br />
zwischen Männern und Frauen –<br />
stark verändert. Wir sind eben nicht nur für<br />
Haus und Heim da, nicht nur für das Bett. Wir<br />
werden viel mehr respektiert von den Männern.“<br />
Gamila al-Shanti sei nicht verheiratet,<br />
sagt Suha, aber da seien andere Frauen im<br />
Parlament, die in der politischen Rangordnung<br />
über ihren Männern stünden. Auch das<br />
gäbe es interessanterweise.<br />
Eine bewegende Geschichte in der Dokumentation<br />
ist die von Umm Shadi. Sie hat drei<br />
Töchter und fünf Söhne zur Welt gebracht.<br />
Auch sie wurde in dem Glauben erzogen,<br />
dass der Krieg gegen Israel jedes Opfer wert<br />
sei. Auch sie verabschiedet ihren ältesten<br />
Sohn Luay in einem Video. Aber sie verkraftet<br />
seinen Tod nicht. Sie verstummt und kämpft<br />
mit den Tränen, als sie die anderen Mütter<br />
zur Nachahmung ermutigen soll. Immer wieder<br />
bekommt sie von anderen Frauen gesagt,<br />
warum sie sich freuen solle statt zu trauern,<br />
dass sie von allen beneidet werde, weil sie<br />
die Mutter eines Märtyrers sei, und dass es<br />
Luay jetzt im Paradies sehr gut gehe. Vielleicht<br />
regt sich in ihr neben dem Schmerz<br />
über den Verlust ihres Sohnes ein Zweifel an<br />
der Wahrheit dieser Aussagen. Aber damit<br />
muss sie allein fertig werden. Das darf sie<br />
niemandem sagen. Lethargisch kümmert sie<br />
sich um ihre verbliebenen Kinder. Eine ihrer<br />
Besucherinnen wendet sich an die vielleicht<br />
zweijährige Tochter Hanna: „Du bist die<br />
Schwester eines Märtyrers. Haben sie’s dir<br />
erzählt? Ich wäre auch gern die Schwester<br />
eines Märtyrers. Gott wird dich belohnen!“<br />
Aber Umm Shadi ist zu tief verletzt, um sich<br />
mit leeren Worten trösten zu lassen, und zu<br />
schwach, um ihre Verzweiflung zu verstecken.<br />
Weinend sitzt sie am Grab von Luay. Sie<br />
kann ihre Tränen weder vor der Kamera noch<br />
vor ihrem vielleicht achtjährigen Sohn unterdrücken,<br />
der sie begleitet hat. In der Schule<br />
muss er es als seinen größten Wunsch angeben,<br />
einmal Märtyrer zu werden, und zu Hause<br />
erlebt er, wie seine Mutter am Tod seines<br />
Bruders zerbricht. Sein Vater hilft nicht; er<br />
„arbeitet außerhalb von Gaza“. Das zeigt der<br />
Film nicht. Das erzählt Suha – nach mehreren<br />
Anläufen und ohne viel zu verraten. Auch sie<br />
sollte ihre Kritik nicht zu offen äußern. „Ich<br />
liebe Umm Shadi.“, sagt sie, „Sie tut mir so<br />
leid. Sie bringt mich immer zum Weinen. Es<br />
war kein leichter Film für mich als Palästinenserin.<br />
Ich bin so anders als diese Frauen.<br />
Und ich habe mir viele Fragen gestellt. Was<br />
könnten wir – was könnte ich – tun, um<br />
dieses <strong>Leben</strong> zu verbessern? Was ist meine<br />
Rolle? Was ist in der Welt falsch gelaufen,<br />
dass wir hier gelandet sind? Es ist eine gescheiterte<br />
Revolution.“<br />
Auf politischer Ebene sollten im Umgang mit<br />
der Hamas keine Kompromisse eingegangen<br />
werden. Ihr „Parteiprogramm“ zielt so deutlich<br />
auf die Vernichtung jeglichen jüdischen<br />
<strong>Leben</strong>s ab, dass Appeasement-Politik ausgeschlossen<br />
sein sollte. Suhas Dokumentation<br />
hilft aber dabei, auch hier zwischen Mensch<br />
und Ideologie zu unterscheiden. Beim Blick<br />
in die Tiefen menschlicher Abgründe müssen<br />
Ablehnung und Mitgefühl einander nicht ausschließen.<br />
Denn sonst können Umm Shadi<br />
und Suha nie jemanden finden, der bereit ist,<br />
ihre Fragen ernst zu nehmen und zu beantworten.<br />
<strong>Zum</strong> <strong>Leben</strong><br />
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