Der Archivar, Heft 4, Nov. 2005 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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chen E<strong>in</strong>fluss auch immer, sahen sich diese Fraktionen<br />
kurz vor Ende des Gesetzgebungsverfahrens veranlasst,<br />
h<strong>in</strong>ter dem Wort „Bundesarchiv“ noch die Wörter „oder<br />
die <strong>Archive</strong> der gesetzgebenden Körperschaften“ e<strong>in</strong>zufügen.<br />
Diese Ergänzung ist denklogisch nicht vertretbar.<br />
Bundestag und Bundesrat können Unterlagen nicht sich<br />
selbst anbieten und an sich selbst übergeben. Durch die<br />
Verlagerung der Verwaltungsverantwortung <strong>in</strong>nerhalb<br />
der Behörde des Direktors des Deutschen Bundestages<br />
oder des Bundesrates ist e<strong>in</strong>e Umwidmung von Verwaltungsunterlagen<br />
zu Archivgut nicht möglich. Insbesondere<br />
steht das Recht der Bewertung alle<strong>in</strong> dem Bundesarchiv<br />
zu. Das Informationsfreiheitsgesetz hat formal auch<br />
ganz allgeme<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Bewertungsentscheidungen<br />
des Bundesarchivs. Über e<strong>in</strong>en praktischen<br />
E<strong>in</strong>fluss zu urteilen, wäre gegenwärtig verfrüht.<br />
Sieht man von der sachwidrigen Gleichstellung der beiden<br />
Referate beim Direktor des Deutschen Bundestages<br />
bzw. des Bundesrates e<strong>in</strong>mal ab, könnte die gefundene<br />
Lösung für die Landesarchivverwaltungen attraktiv se<strong>in</strong>,<br />
bei denen wie im Bund Fristverkürzungen <strong>in</strong> der Regel der<br />
Zustimmung der abgebenden Stelle bedürfen.<br />
Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung des<br />
Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz<br />
– IFG) vom 5. September <strong>2005</strong> (BGBl. I S. 2722)<br />
am 1. Januar 2006 werden Bundesbehörden und Bundesarchiv<br />
mit der neuen gesetzlichen Regelung geme<strong>in</strong>sam<br />
Erfahrungen sammeln müssen. Bei e<strong>in</strong>er optimistischen<br />
Prognose darf man hoffen, dass Rechtssicherheit gewahrt<br />
bleibt, zusätzlicher Verwaltungsaufwand beim Bundesarchiv<br />
ebenso wie bei der Nutzung der Möglichkeiten der<br />
Verschlusssachenanweisung vermieden und die Bereitschaft<br />
von Behörden und Bundesarchiv zu sachgerechter<br />
Verkürzung der Schutzfristen <strong>in</strong>sbesondere bei Sachakten<br />
erhöht werden. E<strong>in</strong>e Form der Verkürzung bzw. Aufhebung<br />
besteht <strong>in</strong> der Feststellung, dass das Archivgut dem<br />
Informationsfreiheitsgesetz unterfällt und damit der<br />
Zugang offen steht.<br />
Koblenz Klaus Oldenhage<br />
Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen<br />
4. Bayerischer Archivtag <strong>in</strong> Amberg: <strong>Archive</strong> im<br />
Spannungsfeld von Geschichte und Identität<br />
In unserer Gesellschaft lässt sich e<strong>in</strong> anhaltend großes<br />
öffentliches Interesse an Geschichte feststellen. Die<br />
Beschäftigung mit historischen Themen – sei es <strong>in</strong> Literatur,<br />
Medien oder Ausstellungen – hat Konjunktur; historische<br />
Festspiele und Jubiläumsveranstaltungen f<strong>in</strong>den<br />
regelmäßig großen Zulauf. Vielfach wird dieses Phänomen<br />
als Reaktion auf die Globalisierung erklärt. Man sucht nach<br />
stabilen historischen Identitäten, man setzt mit Geschichte,<br />
Heimat, regionaler Vertrautheit und Kle<strong>in</strong>räumigkeit e<strong>in</strong>en<br />
Kontrapunkt zu Anonymität, Unüberschaubarkeit und<br />
Grenzenlosigkeit. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund der populären<br />
Er<strong>in</strong>nerungs- und Gedächtniskultur, die nicht selten Gefahr<br />
läuft, folkloristischen Unterhaltungscharakter anzunehmen<br />
und Mythisierungen, Verzerrungen und Klischees<br />
zu fördern, stellt sich die Frage nach dem Beitrag, den die<br />
<strong>Archive</strong> als Orte des kulturellen Gedächtnisses im Spannungsfeld<br />
von Geschichte und Identität leisten können.<br />
Diese Überlegungen standen im Mittelpunkt des 4. Bayerischen<br />
Archivtags, zu dem sich vom 17. bis 19. Juni <strong>2005</strong><br />
292<br />
über 200 <strong>Archivar</strong><strong>in</strong>nen und <strong>Archivar</strong>e aus Bayern und<br />
benachbarten Regionen <strong>in</strong> Amberg versammelten. Im Rahmen<br />
der Eröffnungsveranstaltung führte Prof. Dr. Ferd<strong>in</strong>and<br />
Kramer (Ludwig-Maximilians-Universität München,<br />
Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte) <strong>in</strong> das<br />
Rahmenthema e<strong>in</strong>. Am Beispiel der Entwicklung Bayerns<br />
seit den 1950er Jahren zeigte er „Kulturelle Identitäten im<br />
Wandel“ auf. Im Zentrum se<strong>in</strong>er Ausführungen standen<br />
die Entwicklung zur Industrie-, Bildungs- und Informationsgesellschaft,<br />
der Wandel der Geschlechterrollen, die<br />
Mobilisierung der Lebenswelten, die Intensivierung der<br />
Beschäftigung mit der Vergangenheit sowie die Frage nach<br />
der Wertigkeit der historischen Überlieferung für die<br />
Medien.<br />
Mit „Geschichtspolitik und ‚historischer Eventkultur‘“<br />
befasste sich die erste Arbeitssitzung unter Leitung von<br />
Dr. Maria Rita Sagstetter (Staatsarchiv Amberg). Sie<br />
zielte auf die Aufforderung an die <strong>Archive</strong>, sich aufgrund<br />
ihrer Verantwortung für historische Authentizität und<br />
seriöse Quellenarbeit aktiv e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen und jeder oberflächlichen<br />
und market<strong>in</strong>gorientierten Befriedigung des<br />
öffentlichen Geschichts<strong>in</strong>teresses e<strong>in</strong>e substanzielle und<br />
solide Fundamentierung zu verschaffen. Gerhard Tausche<br />
(Stadtarchiv Landshut) setzte sich anhand e<strong>in</strong>iger<br />
jüngerer Beispiele kritisch mit Stadtjubiläen und der damit<br />
verbundenen Festspielkultur ause<strong>in</strong>ander. Wenngleich aus<br />
der Sicht des Historikers und <strong>Archivar</strong>s die Eignung von<br />
bestimmten urkundlich bezeugten Daten als Grundlage<br />
für historische Festivitäten immer wieder <strong>in</strong> Frage zu stellen<br />
sei, so zeigte Tausche auch positive Aspekte solcher<br />
Veranstaltungen wie die Werbewirkung für das Stadtmarket<strong>in</strong>g<br />
und die Förderung von Bürgers<strong>in</strong>n und Geme<strong>in</strong>schaftsgeist<br />
auf. Unter dem Titel „Partnerschaftsprobleme<br />
oder Kooperation für die Region“ referierte Dr. Gerhard<br />
Rechter (Staatsarchiv Nürnberg) über die Zusammenarbeit<br />
se<strong>in</strong>es Hauses mit Museen und historischen Vere<strong>in</strong>en<br />
<strong>in</strong> Mittelfranken und plädierte für e<strong>in</strong>e Positionierung der<br />
<strong>Archive</strong> als historische Kompetenzzentren. Die Funktion<br />
der Beratung und Geschichtsvermittlung wachse den<br />
<strong>Archive</strong>n durch die von ihnen verwahrten Quellen zu.<br />
Durch Defizite im Lehrangebot der Universitäten konzentriere<br />
sich die Kompetenz gerade auf dem Gebiet der historischen<br />
Hilfswissenschaften immer mehr auf den Kreis der<br />
Facharchivare. <strong>Der</strong> Vortrag von Dr. Mart<strong>in</strong> Dallmeier<br />
(Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv, Regensburg), der mit<br />
der provokativen Frage „Rechnet sich Geschichte?“ überschrieben<br />
war, beleuchtete anhand aktueller Beispiele das<br />
Spannungsverhältnis zwischen kultureller Verpflichtung<br />
und historischer Wirklichkeit e<strong>in</strong>erseits und Kommerz und<br />
Tourismusmarket<strong>in</strong>g andererseits. Er beklagte <strong>in</strong>sbesondere<br />
die unreflektierte Ökonomisierung historischer<br />
Begriffe und die Reduzierung der Wertigkeit von <strong>Archive</strong>n<br />
und Museen auf materielle und kommerzielle Kriterien.<br />
Dr. Josef Kirmeier (Haus der Bayerischen Geschichte,<br />
Augsburg) zeigte unter dem Thema „Zulieferer oder Mitgestalter“<br />
Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen<br />
den <strong>Archive</strong>n und dem Haus der Bayerischen Geschichte,<br />
die über das bloße Verhältnis Leihgeber – Leihnehmer<br />
h<strong>in</strong>ausgehen, auf. Neben Exponaten könnten die <strong>Archive</strong><br />
auch <strong>in</strong>haltlich-konzeptionelle Beiträge liefern, während<br />
das Haus der Bayerischen Geschichte umgekehrt Hilfestellung<br />
mit pädagogischem Know-how und Ausstellungstechnik<br />
zu bieten habe.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Archivar</strong>, Jg. 58, <strong>2005</strong>, H. 4