15.11.2012 Aufrufe

Der Archivar, Heft 4, Nov. 2005 - Archive in Nordrhein-Westfalen

Der Archivar, Heft 4, Nov. 2005 - Archive in Nordrhein-Westfalen

Der Archivar, Heft 4, Nov. 2005 - Archive in Nordrhein-Westfalen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

chen E<strong>in</strong>fluss auch immer, sahen sich diese Fraktionen<br />

kurz vor Ende des Gesetzgebungsverfahrens veranlasst,<br />

h<strong>in</strong>ter dem Wort „Bundesarchiv“ noch die Wörter „oder<br />

die <strong>Archive</strong> der gesetzgebenden Körperschaften“ e<strong>in</strong>zufügen.<br />

Diese Ergänzung ist denklogisch nicht vertretbar.<br />

Bundestag und Bundesrat können Unterlagen nicht sich<br />

selbst anbieten und an sich selbst übergeben. Durch die<br />

Verlagerung der Verwaltungsverantwortung <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Behörde des Direktors des Deutschen Bundestages<br />

oder des Bundesrates ist e<strong>in</strong>e Umwidmung von Verwaltungsunterlagen<br />

zu Archivgut nicht möglich. Insbesondere<br />

steht das Recht der Bewertung alle<strong>in</strong> dem Bundesarchiv<br />

zu. Das Informationsfreiheitsgesetz hat formal auch<br />

ganz allgeme<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Bewertungsentscheidungen<br />

des Bundesarchivs. Über e<strong>in</strong>en praktischen<br />

E<strong>in</strong>fluss zu urteilen, wäre gegenwärtig verfrüht.<br />

Sieht man von der sachwidrigen Gleichstellung der beiden<br />

Referate beim Direktor des Deutschen Bundestages<br />

bzw. des Bundesrates e<strong>in</strong>mal ab, könnte die gefundene<br />

Lösung für die Landesarchivverwaltungen attraktiv se<strong>in</strong>,<br />

bei denen wie im Bund Fristverkürzungen <strong>in</strong> der Regel der<br />

Zustimmung der abgebenden Stelle bedürfen.<br />

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung des<br />

Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz<br />

– IFG) vom 5. September <strong>2005</strong> (BGBl. I S. 2722)<br />

am 1. Januar 2006 werden Bundesbehörden und Bundesarchiv<br />

mit der neuen gesetzlichen Regelung geme<strong>in</strong>sam<br />

Erfahrungen sammeln müssen. Bei e<strong>in</strong>er optimistischen<br />

Prognose darf man hoffen, dass Rechtssicherheit gewahrt<br />

bleibt, zusätzlicher Verwaltungsaufwand beim Bundesarchiv<br />

ebenso wie bei der Nutzung der Möglichkeiten der<br />

Verschlusssachenanweisung vermieden und die Bereitschaft<br />

von Behörden und Bundesarchiv zu sachgerechter<br />

Verkürzung der Schutzfristen <strong>in</strong>sbesondere bei Sachakten<br />

erhöht werden. E<strong>in</strong>e Form der Verkürzung bzw. Aufhebung<br />

besteht <strong>in</strong> der Feststellung, dass das Archivgut dem<br />

Informationsfreiheitsgesetz unterfällt und damit der<br />

Zugang offen steht.<br />

Koblenz Klaus Oldenhage<br />

Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen<br />

4. Bayerischer Archivtag <strong>in</strong> Amberg: <strong>Archive</strong> im<br />

Spannungsfeld von Geschichte und Identität<br />

In unserer Gesellschaft lässt sich e<strong>in</strong> anhaltend großes<br />

öffentliches Interesse an Geschichte feststellen. Die<br />

Beschäftigung mit historischen Themen – sei es <strong>in</strong> Literatur,<br />

Medien oder Ausstellungen – hat Konjunktur; historische<br />

Festspiele und Jubiläumsveranstaltungen f<strong>in</strong>den<br />

regelmäßig großen Zulauf. Vielfach wird dieses Phänomen<br />

als Reaktion auf die Globalisierung erklärt. Man sucht nach<br />

stabilen historischen Identitäten, man setzt mit Geschichte,<br />

Heimat, regionaler Vertrautheit und Kle<strong>in</strong>räumigkeit e<strong>in</strong>en<br />

Kontrapunkt zu Anonymität, Unüberschaubarkeit und<br />

Grenzenlosigkeit. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund der populären<br />

Er<strong>in</strong>nerungs- und Gedächtniskultur, die nicht selten Gefahr<br />

läuft, folkloristischen Unterhaltungscharakter anzunehmen<br />

und Mythisierungen, Verzerrungen und Klischees<br />

zu fördern, stellt sich die Frage nach dem Beitrag, den die<br />

<strong>Archive</strong> als Orte des kulturellen Gedächtnisses im Spannungsfeld<br />

von Geschichte und Identität leisten können.<br />

Diese Überlegungen standen im Mittelpunkt des 4. Bayerischen<br />

Archivtags, zu dem sich vom 17. bis 19. Juni <strong>2005</strong><br />

292<br />

über 200 <strong>Archivar</strong><strong>in</strong>nen und <strong>Archivar</strong>e aus Bayern und<br />

benachbarten Regionen <strong>in</strong> Amberg versammelten. Im Rahmen<br />

der Eröffnungsveranstaltung führte Prof. Dr. Ferd<strong>in</strong>and<br />

Kramer (Ludwig-Maximilians-Universität München,<br />

Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte) <strong>in</strong> das<br />

Rahmenthema e<strong>in</strong>. Am Beispiel der Entwicklung Bayerns<br />

seit den 1950er Jahren zeigte er „Kulturelle Identitäten im<br />

Wandel“ auf. Im Zentrum se<strong>in</strong>er Ausführungen standen<br />

die Entwicklung zur Industrie-, Bildungs- und Informationsgesellschaft,<br />

der Wandel der Geschlechterrollen, die<br />

Mobilisierung der Lebenswelten, die Intensivierung der<br />

Beschäftigung mit der Vergangenheit sowie die Frage nach<br />

der Wertigkeit der historischen Überlieferung für die<br />

Medien.<br />

Mit „Geschichtspolitik und ‚historischer Eventkultur‘“<br />

befasste sich die erste Arbeitssitzung unter Leitung von<br />

Dr. Maria Rita Sagstetter (Staatsarchiv Amberg). Sie<br />

zielte auf die Aufforderung an die <strong>Archive</strong>, sich aufgrund<br />

ihrer Verantwortung für historische Authentizität und<br />

seriöse Quellenarbeit aktiv e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen und jeder oberflächlichen<br />

und market<strong>in</strong>gorientierten Befriedigung des<br />

öffentlichen Geschichts<strong>in</strong>teresses e<strong>in</strong>e substanzielle und<br />

solide Fundamentierung zu verschaffen. Gerhard Tausche<br />

(Stadtarchiv Landshut) setzte sich anhand e<strong>in</strong>iger<br />

jüngerer Beispiele kritisch mit Stadtjubiläen und der damit<br />

verbundenen Festspielkultur ause<strong>in</strong>ander. Wenngleich aus<br />

der Sicht des Historikers und <strong>Archivar</strong>s die Eignung von<br />

bestimmten urkundlich bezeugten Daten als Grundlage<br />

für historische Festivitäten immer wieder <strong>in</strong> Frage zu stellen<br />

sei, so zeigte Tausche auch positive Aspekte solcher<br />

Veranstaltungen wie die Werbewirkung für das Stadtmarket<strong>in</strong>g<br />

und die Förderung von Bürgers<strong>in</strong>n und Geme<strong>in</strong>schaftsgeist<br />

auf. Unter dem Titel „Partnerschaftsprobleme<br />

oder Kooperation für die Region“ referierte Dr. Gerhard<br />

Rechter (Staatsarchiv Nürnberg) über die Zusammenarbeit<br />

se<strong>in</strong>es Hauses mit Museen und historischen Vere<strong>in</strong>en<br />

<strong>in</strong> Mittelfranken und plädierte für e<strong>in</strong>e Positionierung der<br />

<strong>Archive</strong> als historische Kompetenzzentren. Die Funktion<br />

der Beratung und Geschichtsvermittlung wachse den<br />

<strong>Archive</strong>n durch die von ihnen verwahrten Quellen zu.<br />

Durch Defizite im Lehrangebot der Universitäten konzentriere<br />

sich die Kompetenz gerade auf dem Gebiet der historischen<br />

Hilfswissenschaften immer mehr auf den Kreis der<br />

Facharchivare. <strong>Der</strong> Vortrag von Dr. Mart<strong>in</strong> Dallmeier<br />

(Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv, Regensburg), der mit<br />

der provokativen Frage „Rechnet sich Geschichte?“ überschrieben<br />

war, beleuchtete anhand aktueller Beispiele das<br />

Spannungsverhältnis zwischen kultureller Verpflichtung<br />

und historischer Wirklichkeit e<strong>in</strong>erseits und Kommerz und<br />

Tourismusmarket<strong>in</strong>g andererseits. Er beklagte <strong>in</strong>sbesondere<br />

die unreflektierte Ökonomisierung historischer<br />

Begriffe und die Reduzierung der Wertigkeit von <strong>Archive</strong>n<br />

und Museen auf materielle und kommerzielle Kriterien.<br />

Dr. Josef Kirmeier (Haus der Bayerischen Geschichte,<br />

Augsburg) zeigte unter dem Thema „Zulieferer oder Mitgestalter“<br />

Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen<br />

den <strong>Archive</strong>n und dem Haus der Bayerischen Geschichte,<br />

die über das bloße Verhältnis Leihgeber – Leihnehmer<br />

h<strong>in</strong>ausgehen, auf. Neben Exponaten könnten die <strong>Archive</strong><br />

auch <strong>in</strong>haltlich-konzeptionelle Beiträge liefern, während<br />

das Haus der Bayerischen Geschichte umgekehrt Hilfestellung<br />

mit pädagogischem Know-how und Ausstellungstechnik<br />

zu bieten habe.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Archivar</strong>, Jg. 58, <strong>2005</strong>, H. 4

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!