Der Archivar, Heft 4, Nov. 2005 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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Zugriff der Behörden des Gastlandes ist klassischer<br />
Bestandteil des Rechts der diplomatischen und konsularischen<br />
Beziehungen. Er folgt aus dem Grundsatz der<br />
Unverletzlichkeit der Vertretungen des Entsendestaates<br />
und war lange Zeit nur gewohnheitsrechtlich geboten. Mit<br />
dem Abschluss zahlreicher Statusabkommen zwischen<br />
<strong>in</strong>ternationalen Organisationen und ihrem jeweiligen Sitzstaat<br />
seit dem Zweiten Weltkrieg sowie der Wiener Übere<strong>in</strong>kommen<br />
über das Recht der diplomatischen und konsularischen<br />
Beziehungen Anfang der sechziger Jahre liegt<br />
<strong>in</strong>zwischen aber e<strong>in</strong>e Fülle ausdrücklicher vertraglicher<br />
Regelungen über den Schutz der „<strong>Archive</strong>“ vor.<br />
a) <strong>Der</strong> Archivbegriff der Wiener Übere<strong>in</strong>kommen über diplomatische<br />
und konsularische Beziehungen<br />
Von den beiden Wiener Verträgen enthält das Übere<strong>in</strong>kommen<br />
über die konsularischen Beziehungen vom<br />
24. April 1963 (WÜK) 1 die ausführlichere Def<strong>in</strong>ition. Se<strong>in</strong><br />
Art. 33 Abs. 1 bestimmt die Unverletzlichkeit der „consular<br />
archives and documents“, <strong>in</strong> der amtlichen deutschen<br />
Fassung mit „konsularische <strong>Archive</strong> und Schriftstücke“<br />
übersetzt. Die „konsularischen <strong>Archive</strong>“ werden <strong>in</strong> Art. 1<br />
Abs. 1 (k) wie folgt legaldef<strong>in</strong>iert: „Alle Papiere, Schriftstücke,<br />
Korrespondenzen, Bücher, Filme, Tonbänder und<br />
Register der konsularischen Vertretung sowie die Schlüsselmittel<br />
und Chiffriergeräte, die Karteien und die zum<br />
Schutz oder zur Aufbewahrung derselben bestimmten<br />
E<strong>in</strong>richtungsgegenstände.“ Nach Art. 33 geschützt s<strong>in</strong>d<br />
also sämtliche konsularischen Dokumente, d. h. die<br />
Gesamtheit des im laufenden Geschäftsgang der Vertretung<br />
bef<strong>in</strong>dlichen dienst<strong>in</strong>ternen Aktenbestands im weitesten<br />
S<strong>in</strong>ne – und nicht nur die historischen Papiere.<br />
Diese werden <strong>in</strong> der Praxis fast aller Staaten ohneh<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />
Regel nicht <strong>in</strong> der Vertretung aufbewahrt, sondern schon<br />
aus Platzgründen nach relativ kurzer Zeit an die Außenm<strong>in</strong>isterien<br />
abgegeben. Es kommt dabei nicht e<strong>in</strong>mal auf<br />
die E<strong>in</strong>ordnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Registraturzusammenhang oder<br />
die Aufbewahrung <strong>in</strong>nerhalb der Diensträume der Vertretung<br />
an. Nach dem Schutzzweck der Vorschrift fallen auch<br />
solche (E<strong>in</strong>zel-) Dokumente unter den Archivbegriff<br />
i. S. d. Art. 33, die der Konsularbeamte außerhalb der<br />
Diensträume mit sich führt oder <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er eigenen Wohnung<br />
aufbewahrt.<br />
Das zwei Jahre vor diesem Übere<strong>in</strong>kommen abgeschlossene<br />
Wiener Übere<strong>in</strong>kommen über die diplomatischen<br />
Beziehungen vom 18. April 1961 (WÜD) 2 enthält <strong>in</strong><br />
Art. 24 und 45 fast wortgleich die Bestimmung, dass die<br />
„<strong>Archive</strong> und Schriftstücke der Mission (...) unverletzlich“<br />
s<strong>in</strong>d, erläutert den Begriff der „<strong>Archive</strong> und Schriftstücke“<br />
selbst jedoch nicht. Aus den Materialien ergibt sich jedoch,<br />
dass die Vertragsparteien damals den Begriff ebenso wie<br />
<strong>in</strong> der späteren Konsular-Konvention ausgeführt verstanden<br />
haben. 3 Anders als jene stellt Art. 24 WÜD aber mit der<br />
Qualifizierung „jederzeit (und) wo immer sie sich bef<strong>in</strong>den“<br />
klar, dass es für den Archivbegriff im S<strong>in</strong>ne des Übere<strong>in</strong>kommens<br />
nicht auf den Aufbewahrungsort ankommt –<br />
auch ausgelagerte <strong>Archive</strong> und Schriftstücke oder solche,<br />
1 BGBl. 1969 II, S. 1585.<br />
2 BGBl. 1964 II, S. 958.<br />
3 In der Praxis wird die ausführlichere Def<strong>in</strong>ition des WÜK daher auch<br />
zur Auslegung des WÜD herangezogen mit dem Argument, dass es<br />
angesichts generell weitergehenden Schutzes der diplomatischen Vertretung<br />
gegenüber der konsularischen widers<strong>in</strong>nig wäre, im Bereich der<br />
WÜD e<strong>in</strong>en engeren Archivbegriff zugrunde zu legen.<br />
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die sich <strong>in</strong> der Obhut e<strong>in</strong>es Kuriers oder e<strong>in</strong>es Mitglieds<br />
der Vertretung bef<strong>in</strong>den, gehören dazu.<br />
b) Die „<strong>Archive</strong>“ <strong>in</strong>ternationaler Organisationen<br />
Auch <strong>in</strong>ternationale Organisationen produzieren und verwalten<br />
<strong>in</strong> ihren Gebäuden umfangreiches Schriftgut.<br />
Regelungen über dessen Status f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> der Regel <strong>in</strong><br />
den allgeme<strong>in</strong>en Abkommen der Organisation mit dem<br />
Sitzstaat über ihre Rechtsstellung. So bestimmen etwa das<br />
Übere<strong>in</strong>kommen über die Vorrechte und Immunitäten der<br />
Vere<strong>in</strong>ten Nationen vom 13. Februar 1946 wie auch das<br />
Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen<br />
der Vere<strong>in</strong>ten Nationen vom<br />
21. <strong>Nov</strong>ember 1947 <strong>in</strong> Art. 4 bzw. Art. 6, dass „the archives<br />
of (the United Nations/the specialized agencies), and <strong>in</strong><br />
general all documents 4 belong<strong>in</strong>g to (it/them) or held by<br />
(it/them), shall be <strong>in</strong>violable, wherever located“. Auch<br />
hier wird der Archivbegriff nicht weiter erläutert; der<br />
Zusatz macht jedoch deutlich, dass jegliche Art von Dokument<br />
im Besitz oder Eigentum der Organisation darunter<br />
fallen soll. Das Abkommen von 1947 gilt <strong>in</strong>zwischen für<br />
e<strong>in</strong>e ganze Reihe von VN-Sonderorganisationen und wird<br />
durch Bezugnahme <strong>in</strong> zahlreichen anderen Verträgen<br />
auch für sonstige VN-E<strong>in</strong>richtungen verwendet. E<strong>in</strong>zelne<br />
Abkommen <strong>in</strong> diesem Bereich s<strong>in</strong>d aber durchaus etwas<br />
ausführlicher, so zum Beispiel das Sitzstaatabkommen<br />
zwischen der Regierung des Vere<strong>in</strong>igten Königreichs und<br />
der Internationalen Schifffahrts-Organisation (IMO), das<br />
die Unverletzlichkeit erstreckt auf „all archives, correspondence,<br />
documents, manuscripts, photographs, films<br />
and record<strong>in</strong>gs belong<strong>in</strong>g to or held by the Organization<br />
and to all <strong>in</strong>formation conta<strong>in</strong>ed there<strong>in</strong>“. 5<br />
c) Die „<strong>Archive</strong>“ europäischer Organisationen<br />
Vergleichbare Formeln werden auch für europäische<br />
Organisationen verwendet. So erklärt zum Beispiel Art. 2<br />
des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der<br />
Europäischen Geme<strong>in</strong>schaften vom 8. April 1965 – hier ist<br />
Deutsch e<strong>in</strong>e der offiziellen Vertragssprachen – kurz und<br />
bündig: „Die <strong>Archive</strong> der Geme<strong>in</strong>schaften s<strong>in</strong>d unverletzlich“,<br />
ohne dass der Begriff der „<strong>Archive</strong>“ hier noch erläutert<br />
würde. 6 Dieselbe, an Knappheit nicht zu unterbietende<br />
Formel wird auch <strong>in</strong> Art. 2 des Protokolls zum Vertrag<br />
über e<strong>in</strong>e Verfassung für Europa über die Vorrechte<br />
und Befreiungen der Europäischen Union vom 29. Oktober<br />
2004 benutzt. Ähnlich, aber doch etwas genauer<br />
bestimmt auch Art. 3 des Protokolls über die Vorrechte<br />
und Immunitäten für Europol vom 19. Juni 1997 7 :„Die<br />
<strong>Archive</strong> von Europol s<strong>in</strong>d unverletzlich, gleichviel wo sie<br />
sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten bef<strong>in</strong>den und<br />
von wem sie geführt werden.“ Art. 1 Buchst. g def<strong>in</strong>iert<br />
4 Im deutschen Text des Abkommens von 1947 (BGBl. 1954, Teil II,<br />
S. 639 ff.) wird „and <strong>in</strong> general all/et, d’une manière générale, tous“ kurzerhand<br />
mit „alle“ übersetzt, „documents“ mit „Urkunden“. <strong>Der</strong> Begriff<br />
der Urkunde ist jedoch enger als der des Schriftstücks. In der Übersetzung<br />
des Abkommens von 1946, dessen Vertragspartei die Bundesrepublik<br />
wegen des späten Beitritts zu den Vere<strong>in</strong>ten Nationen erst sehr viel<br />
später wurde (Text <strong>in</strong>: BGBl. 1980 II, S. 943), wird dieser Fehler nicht<br />
gemacht und der Begriff der „documents“ zutreffend mit „Schriftstücke“<br />
übersetzt.<br />
5 Vgl. Eileen Denza, Diplomatic Law. A Commentary on the Vienna Convention<br />
on Diplomatic Relations, 2. Aufl., Oxford 1998, S. 160.<br />
6 BGBl. 1965, Teil II, S. 1482; ähnlich die Verordnung über Vorrechte und<br />
Immunitäten der Organisation über Sicherheit und Zusammenarbeit <strong>in</strong><br />
Europa (OSZE) vom 15. Februar 1996 (BGBl. 1996 II, S. 226 ff.), Ziff. 6.<br />
7 BGBl. 1998 II, S. 974.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Archivar</strong>, Jg. 58, <strong>2005</strong>, H. 4