Jahresbericht 2012 - Caritas Wohn
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WOHNEN 35<br />
Im Gespräch mit Willi Müller<br />
Willi Müller steht mit beiden Beinen im Leben. Jeden Tag arbeitet<br />
er in einer Werkstatt und wenn er spätnachmittags nach<br />
Hause kommt, freut er sich auf seinen Feierabend. Dann kann<br />
er seinen Hobbys Schlagzeug- und Keyboardspielen nachgehen<br />
und endlich seine Freundin wieder sehen. Mit ihr wohnt<br />
der 47-jährige seit einem Jahr in einer 81 qm großen <strong>Wohn</strong>ung<br />
in Warburg zusammen.<br />
Willi Müller ist stolz auf das selbstständige Leben, das er führt.<br />
Denn die Selbstständigkeit musste er erst hart trainieren. Bei Willi<br />
Müller wurde eine leichte geistige Behinderung diagnostiziert. Er<br />
selbst möchte gerne, dass sein Umfeld von einer Lernbehinderung<br />
spricht. Der Begriff „geistig behinderter Mensch“ gefalle ihm persönlich<br />
nicht so gut, denn er sei ja nicht geistig behindert. Er könne nur<br />
nicht so gut rechnen, lesen und schreiben. Damit dieses Handicap<br />
im täglichen Leben des gebürtigen Gelsenkircheners kein Problem<br />
ist, bekommt er Hilfe und Unterstützung. Seit sechs Jahren kümmert<br />
sich das Ambulant Betreute <strong>Wohn</strong>en (ABW) der <strong>Caritas</strong> <strong>Wohn</strong>en im<br />
Erzbistum Paderborn gem. GmbH um ihn.<br />
Bevor Willi Müller seine erste eigene <strong>Wohn</strong>ung bezieht, ist es ein<br />
langer Weg. Als Sechsjähriger kommt er in die stationäre Einrichtung<br />
des Heilpädagogischen Therapie- und Förderzentrum (HPZ)<br />
St. Laurentius-Warburg. Sein Vater leidet unter einem Alkoholproblem,<br />
Gewalt ist in der Familie an der Tagesordnung. Die Mutter<br />
ist offensichtlich zu schwach, um sich durchzusetzen. Sie stirbt<br />
früh. Die einzigen Verwandten, die dem Teenager bleiben, sind<br />
sein Onkel und seine Tante. Sie besuchen ihn regelmäßig und<br />
bringen ihm viel bei. Auch seine Schwester ist für ihn eine wichtige<br />
Bezugsperson. Sie lebt mit ihm zusammen im „Lauri“, wie er die<br />
stationäre Einrichtung liebevoll nennt. Den ersten Schritt in Richtung<br />
Selbstständigkeit geht Willi Müller mit 33 Jahren. Er zieht in eine<br />
Außenwohngruppe des HPZ. Dann ist es soweit. Willi Müller bezieht<br />
zunächst sein eigenes Appartement auf dem Gelände der stationären<br />
Einrichtung und wird ambulant betreut und unterstützt. Doch<br />
bald ist ihm das Appartement zu klein und er zieht in seine eigene<br />
<strong>Wohn</strong>ung nach Dössel. Dort fühlt er sich aber nicht so richtig wohl.<br />
Die <strong>Wohn</strong>ung liegt nicht zentral, die Wege sind weit. Außerdem beschäftigt<br />
ihn ein anderes Thema noch viel mehr. Seine Vermieterin<br />
möchte Dienstleistungen wie Rasenmähen oder Reparaturarbeiten<br />
von ihm ausgeführt haben. Als Willi Müller auf seinen wohlverdienten<br />
Feierabend hinweist, ist Ärger vorprogrammiert. Bevor die<br />
Probleme schließlich zu belastend werden, zieht er aus. Seine<br />
ABW-Betreuerin, Petra Butwille, hat ihn bei der <strong>Wohn</strong>ungssuche in<br />
Warburg unterstützt.<br />
In Warburg fühlt sich Willi Müller wohl. Einkaufen, den Haushalt<br />
führen, kochen und waschen, das alles macht er mittlerweile alleine<br />
oder teilt sich die Aufgaben mit seiner Freundin. Anfangs waren es<br />
6,5 Betreuungsstunden pro Woche, jetzt sind es nur noch 4, die<br />
Willi vom ABW in Anspruch nimmt. Für das ABW ist dies ein gutes<br />
Zeichen, denn je länger Willi Müller unterstützt wurde, umso selbstständiger<br />
ist er geworden. Er selber entscheidet, wofür er Hilfe oder<br />
Assistenz vom ABW in Anspruch nimmt. Derzeit sind es Arzttermine,<br />
die von seiner Bezugsbetreuerin vereinbart und begleitet werden.<br />
Da Ärzte schon mal eine „ganz eigene Sprache“ sprechen können<br />
und vier Ohren mehr hören als zwei, ist Willi Müller über die Erklärung<br />
von Petra Butwille ganz dankbar. Sie hilft ihm außerdem dabei,<br />
Formulare richtig auszufüllen oder anderen „Papierkram“ zu erledigen.<br />
Die zweite Person, die ihm vom ABW zur Seite steht, ist Ulrike<br />
Töne. Beim Dienst hat man sich darauf verständigt, dass immer<br />
eine Nicht-Fachkraft zusammen mit einer Fachkraft einen Klienten<br />
betreuen. Damit hat man gute Erfahrungen gemacht. Einerseits,<br />
wenn aus Krankheitsgründen einmal eine Person ausfällt, hat die<br />
zu betreuende Person nicht gleich ein fremdes Gesicht vor Augen.<br />
Andererseits ist der Austausch und die unterschiedliche Sichtweise<br />
der Betreuer gewinnbringend. Außerdem hat Willi Müller noch seine<br />
gesetzliche Betreuerin, die sich um seine Finanzen kümmert.<br />
Da die <strong>Wohn</strong>ung von Willi Müller so zentral liegt, kann er vieles zu<br />
Fuß erledigen. Gerne kommt er in den Offenen Treff in die Sternstraße,<br />
wo der ABW in Warburg sein Büro hat. Dort hilft er auch<br />
schon mal beim Sommerfest mit. Zu Weihnachten hat er extra einen<br />
leckeren Hackbraten gekocht und für die Feier in die Sternstraße<br />
mitgebracht. Am Wochenende, wenn der leidenschaftliche Koch<br />
nicht am Herd steht, besucht er Freunde oder fährt ab und zu als<br />
Fußballfan in die Schalke Arena nach Gelsenkirchen. Auf die Frage,<br />
was er an seinem Leben am liebsten mag, antwortet Willi Müller<br />
spontan. Er muss jetzt niemanden mehr um Erlaubnis fragen. Er<br />
darf nun selbst bestimmen und kann das tun, zu was er Zeit und<br />
Lust hat. Der einzige Mensch, nachdem er sich richtet, ist seine<br />
Freundin. Aber das macht er gerne und mit Liebe.