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Europa: Das unentdeckte Land - BdP Landesverband Schleswig ...

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notwendig, denn mit einer Lösung der konkreten Probleme<br />

auf der Insel wie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der<br />

sozialen Probleme und der wirtschaftlichen Defizite könnte<br />

der Konflikt beigelegt werden. Eine wirksame europäische<br />

Regionalpolitik und die Brüsseler Strukturfonds können<br />

dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Respekt vor der kul-<br />

turellen Identität und Anerkennung der korsischen Sprache<br />

würden die angeheizte Stimmung und die jahrzehntelange<br />

Gewalt auf Korsika eindämmen und eine friedliche Lösung<br />

der politischen Gegensätze möglich machen.<br />

Diskriminierung von Roma<br />

In Usti nad Labem, einer Kleinstadt in Tschechien, stand eine<br />

Mauer. Die Mauer, einige Meter hoch und mit Stacheldraht<br />

versehen, umrahmte ein ganzes Stadtviertel, genauer: ein<br />

Stadtviertel, in dem Angehörige der Roma-Minderheit in<br />

Tschechien wohnten. <strong>Das</strong> sei ein Lärmschutzwall, behaupte-<br />

te die Stadt, errichtet als Reaktion auf Proteste von Anwoh-<br />

nern. In den Augen der zahlreichen Kritiker war diese Mauer<br />

aber mehr, sie sahen sie als Ausdruck der Ausgrenzung<br />

und Diskriminierung von Roma, als Ghetto. Die Mauer von<br />

Usti nad Labem ist kein Einzelfall, nicht nur hier existieren<br />

Vorurteile, Ablehnung oder gar Hass gegen die ethnische<br />

Minderheit der Roma. Diese Mauer ist vielmehr Beispiel für<br />

die Diskriminierung und den Ausschluss, den Angehörige der<br />

Roma-Minderheit erfahren, nicht nur in Tschechien, auch in<br />

anderen osteuropäischen Ländern. Aber selten findet die Dis-<br />

kriminierung und die Ablehnung gegen die Roma so deutlich<br />

Ausdruck wie im Falle der Mauer von Usti nad Labem.<br />

Die Roma sind eine Minderheit, die überall fremd ist. Ein<br />

Volk ohne <strong>Land</strong>, aber mit eigener Kultur, das vor Tausenden<br />

von Jahren aus Indien kam und seitdem heimatlos durch die<br />

Welt irrt. Ein Volk, das sich überall von der mehrheitlichen<br />

Bevölkerung unterscheidet. Roma sind nicht nur eine sicht-<br />

bare Minderheit, eine Minderheit, die man an äußerlichen<br />

Merkmalen von der Mehrheit der Gesellschaft unterscheiden<br />

kann, Roma sind fast überall eine sozial benachteiligte Min-<br />

derheit. Ihre Andersartigkeit, Diskriminierung, Armut und<br />

mangelhafte Bildung treiben viele an den Rand der Gesell-<br />

schaft – egal, in welchem <strong>Land</strong> sie leben. Nirgendwo auf der<br />

Welt leben so viele wie in Rumänien. Und dennoch existieren<br />

hier überhaupt keine Gesetze zum Schutz der 2,5 Millionen<br />

Roma. Der Grundstein für die Benachteiligung wird meist<br />

schon im Kindesalter gelegt. Eine große Zahl der Roma-Kin-<br />

der in Rumänien hat aus formalen Gründen keinen Zugang<br />

zum staatlichen Bildungssystem. In Tschechien unterliegen<br />

zwar alle Kinder der allgemeinen Schulpflicht, Roma werden<br />

aber fünfzehnmal häufiger auf Sonderschulen geschickt als<br />

„normale“ tschechische Kinder. So ist es zwar grundsätzlich<br />

richtig, dass die Europäische Kommission Tschechien und<br />

Rumänien in den Fortschrittsberichten über die Beitritts-<br />

länder im Oktober 2002 aufgrund der Situation der Roma<br />

kritisiert hat. Denn es ist wichtig, die Diskriminierung anzu-<br />

prangern. Andererseits muss man sich fragen, ob diese Kritik<br />

moralisch berechtigt ist – denn auch in den „alten“ EU-Mit-<br />

gliedsstaaten werden Roma diskriminiert und benachteiligt,<br />

ohne dass die Kommission darauf hinweist. Die Situation<br />

der Roma ist ein europaweites Problem, deshalb wäre es<br />

Zeit für eine EU-weite Gesetzgebung für deren Rechte.<br />

Nur wenn Roma in die Gesellschaft integriert werden,<br />

ist es möglich, Vorurteile abzubauen und die Akzep-<br />

tanz der Minderheit in der Gesellschaft zu vergrö-<br />

ßern, die Mauern in den Köpfen einzureißen. Ob das<br />

jemals so sein wird, vermag heute niemand zu sagen.<br />

Zumindest die Mauer von Usti nad Labem existiert heute<br />

nicht mehr. Aber nicht, weil die Einwohner reuig die Ge-<br />

schmacklosigkeit dieses Bauwerks eingesehen haben, son-<br />

dern weil massive Proteste aus dem In- und Ausland und ein<br />

warmer Geldregen aus Prag sie schließlich überzeugt haben,<br />

die Mauer einzureißen. Trotzdem bleibt die Mauer in den<br />

Köpfen.<br />

Und das ist nicht alles<br />

Auch andere Krisenherde wie auf Zypern (dazu gab’s im<br />

LRB 1’03 einen ausführlichen Artikel), in Tschetschenien,<br />

Nordirland, Palästina, in der Türkei oder im Kosovo werden<br />

die Gemeinschaft der Europäer in diesem Jahrzehnt weiter<br />

fordern und strapazieren. Streitigkeiten zwischen den einzel-<br />

nen Staaten wie etwa um die Besitzansprüche Spaniens und<br />

Großbritanniens auf Gibraltar, der Bau von Atomkraftwer-<br />

ken in Tschechien, Slowenien und anderen aufstrebenden<br />

EU-Mitgliedern, zu wenig Kritik an Russland bei immer<br />

weiter abnehmender Demokratie unter der Regierung Putin,<br />

Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer … all das ist die Rea-<br />

lität der Europäischen Union.<br />

Nils Petersen, Stamm Kolibri<br />

LRB 2’04 19

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