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Beiträge zur Geschichte der Unfallchirurgie in der DDR

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<strong>Unfallchirurgie</strong> an den Hochschule<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

E. Markgraf, W. Otto<br />

Situation nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft<br />

und die Folgen des 2. Weltkrieges<br />

mit den Zerstörungen <strong>der</strong> Städte durch die<br />

großen Luftangriffe hatten Deutschland<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e erschütternde Not und e<strong>in</strong>e fast<br />

ausweglose Situation gebracht. Mangel an<br />

Unterkünften, Nahrungsmitteln, Kleidung,<br />

Heizmaterialien, Medikamenten, aber auch<br />

räumlichen Kapazitäten für die Kranken-<br />

und Verletztenversorgung bestimmte den<br />

Alltag. Krankheiten (Fleckfieber, Typhus,<br />

Tuberkulose, venerische Erkrankungen) traten<br />

epidemieartig auf. Die anschwellenden<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsströme von Menschen aus den<br />

ehemaligen Ostgebieten verschärften die Situation.<br />

E<strong>in</strong>e enorme Zahl von Angehörigen<br />

<strong>der</strong> ehemaligen Wehrmacht war gefallen,<br />

<strong>in</strong> Kriegsgefangenschaft gekommen o<strong>der</strong><br />

galt als vermisst. Die beson<strong>der</strong>s schweren<br />

Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es Arztes im 2. Weltkrieg<br />

und <strong>der</strong> nachfolgenden Gefangenschaft hat<br />

<strong>der</strong> ehemalige Sanitätsoffizier und spätere<br />

Ord<strong>in</strong>arius für Chirurgie <strong>in</strong> Halle, Karl-Ludwig<br />

Schober (1912–1999), � Abb. 1, <strong>der</strong> die<br />

Schlacht um Stal<strong>in</strong>grad überlebt hat, anschaulich<br />

geschil<strong>der</strong>t [16].<br />

Zur Behandlung verletzter Menschen standen<br />

<strong>in</strong> den Jahren nach Beendigung des<br />

2. Weltkriegs nur un<strong>zur</strong>eichende operative<br />

Abb. 1 Porträt von K.-L. Schober (1912–1999)<br />

Aus: Privatbesitz Prof. Dr. Wieland Otto<br />

Möglichkeiten <strong>zur</strong> Verfügung. Auch die<br />

Reha bilitation <strong>der</strong> vielen Kriegsversehrten,<br />

die noch über viele Jahre betreuungspflichtig<br />

waren, bereiteten fachliche und technische<br />

Probleme. Entsprechende Notsituationen<br />

ergaben sich auch aus den teilweise<br />

erheblichen Kriegse<strong>in</strong>wirkungen an Krankenhausgebäuden.<br />

Es war, im Westen wie<br />

im Osten, e<strong>in</strong>e erhebliche Aufbauleistung<br />

bei oft desolaten Voraussetzungen nötig. F.<br />

Meißner [10], hat sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel zum<br />

100. Geburtstag des früheren Ord<strong>in</strong>arius für<br />

Chirurgie <strong>in</strong> Leipzig, Herbert Uebermuth, folgen<strong>der</strong>maßen<br />

geäußert: „Lebensgeschichte<br />

ist immer auch Zeitgeschichte. Für die Vita<br />

des von uns heute und immer verehrten Herbert<br />

Uebermuth im doppelten S<strong>in</strong>n, <strong>in</strong>sofern,<br />

als se<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong>fernalischen äußeren Kräften<br />

ausgesetzt war. Er mußte 2 Weltkriege<br />

durchstehen, und er mußte se<strong>in</strong>en Weg durch<br />

2 Diktaturen f<strong>in</strong>den. Wir sollten uns er<strong>in</strong>nern,<br />

dass viele Kl<strong>in</strong>ikdirektoren und erfahrene<br />

Chirurgen aus dem Krieg gekommen waren,<br />

sie vollzogen unter grotesken Bed<strong>in</strong>gungen<br />

den Wie<strong>der</strong>aufbau ihrer vielfach <strong>in</strong> ru<strong>in</strong>enhaftem<br />

Zustand angetroffenen Kl<strong>in</strong>iken <strong>in</strong><br />

verblüffen<strong>der</strong> Zeit. Diesen Männern ist viel<br />

zu verdanken, Herbert Uebermuth gehörte<br />

zu ihnen. Sie sicherten, dass es zu ke<strong>in</strong>em Erdrutsch<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Versorgung <strong>der</strong><br />

Bevölkerung kam und hatten den Anschluß<br />

<strong>der</strong> deutschen Chirurgie an die rasante Entwicklung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> westlichen Welt herbeizuführen.“<br />

E<strong>in</strong>e solche Aufbauleistung aus <strong>der</strong> Kraft<br />

gestalterischen Willens haben viele Ord<strong>in</strong>arien<br />

<strong>der</strong> ostdeutschen Region nach dem<br />

2. Weltkrieg gezeigt.<br />

Über E<strong>in</strong>flüsse <strong>der</strong> Kriegsjahre auf die weitere<br />

Profilierung <strong>der</strong> Unfallheilkunde schrieben<br />

Ekkernkamp und Probst [2]: „Nach <strong>der</strong><br />

Zäsur des 2. Weltkrieges und unter dem E<strong>in</strong>fluss<br />

e<strong>in</strong>es erneuten pragmatischen Wandels<br />

von <strong>der</strong> morphologisch bestimmten zu e<strong>in</strong>er<br />

zunehmend physiologisch motivierten Chirurgie<br />

verän<strong>der</strong>te sich auch das Bild <strong>der</strong> Unfallheilkunde:<br />

Die rasche wirtschaftliche Erholung<br />

mit <strong>der</strong> rasanten Ausweitung des Verkehrs<br />

löste e<strong>in</strong>e traumatische Epidemie aus,<br />

die biologisch-physiologische Auffassung <strong>der</strong><br />

Chirurgie und Mediz<strong>in</strong> brachte neue Therapieformen<br />

hervor, e<strong>in</strong>e vielseitig <strong>in</strong>novative<br />

Mediz<strong>in</strong>technik eröffnete apparativ-<strong>in</strong>strumentelle<br />

Möglichkeiten, die frühere Chirurgengenerationen<br />

schon vorgedacht, über die<br />

sie aber noch nicht hatten verfügen können.<br />

An erster Stelle ist hier die auf den Schlachtfel<strong>der</strong>n<br />

des 2. Weltkrieges aus <strong>der</strong> Not geborene<br />

Schockforschung zu nennen; unzweifelbar<br />

ist z. B. die Bedeutung <strong>der</strong> Bluttransfusionsforschung<br />

<strong>in</strong> Deutschland. Eng verzahnt<br />

mit ihr ist <strong>der</strong> Ausbau des land-, luft- und<br />

seegestützten Rettungswesens, das ebenfalls<br />

historische Wurzeln hat.“<br />

<strong>Unfallchirurgie</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

Die Verletztenversorgung ist die älteste<br />

menschliche und ärztliche Hilfeleistung. In<br />

<strong>der</strong> Mitte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts war sie zwar<br />

e<strong>in</strong> wichtiger Teil chirurgischer Obliegenheiten,<br />

aber völlig <strong>in</strong> die Gesamtchirurgie<br />

<strong>in</strong>tegriert. Während <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Jahrhun<strong>der</strong>thälfte<br />

unter dem E<strong>in</strong>fluss von T. Billroth<br />

und se<strong>in</strong>er Schüler beson<strong>der</strong>s die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> heute als viszeralchirurgisch zugeordneten<br />

E<strong>in</strong>griffe dom<strong>in</strong>ierte, hatte die<br />

<strong>Unfallchirurgie</strong> noch ke<strong>in</strong> herausragendes<br />

Profil. Die Ergebnisse <strong>der</strong> operativen E<strong>in</strong>griffe<br />

waren nicht überzeugend.<br />

Die vielfach <strong>zur</strong> so genannten „Knochenchirurgie“<br />

degradierten Aufgaben waren<br />

mehrheitlich e<strong>in</strong>e ambulante Behandlungsart;<br />

unter den chirurgischen Obliegenheiten<br />

galten sie eher als unwichtig! Auch<br />

die stationär zu versorgenden Verletzten<br />

mussten die oft langzeitigen konservativen<br />

Prozeduren, u. a. mit Streckverbänden o<strong>der</strong><br />

aufwendigen Ruhigstellungen <strong>der</strong> Extremitäten,<br />

des Brustkorbs, Beckens o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Wirbelsäule <strong>in</strong> Gipsverbänden o<strong>der</strong> Liegeschalen<br />

durchstehen. Es muss aber betont<br />

werden, dass diese Behandlungsformen, die<br />

von Lorenz Böhler [1] <strong>zur</strong> weltweiten Anerkennung<br />

geführt wurden, viel Geschick,<br />

Kenntnisse und ärztliche Zuwendung erfor<strong>der</strong>ten.<br />

Se<strong>in</strong> zitiertes Buch, Erstausgabe<br />

1929, wurde von ihm mehrfach erweitert,<br />

ist <strong>in</strong> mehreren Auflagen und <strong>in</strong> zahlreichen<br />

Übersetzungen erschienen. F. Povacz [12]<br />

hat die Biographie Böhlers und se<strong>in</strong>e Grundsätze<br />

anschaulich dargestellt. An den Mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Fakultäten gab es ke<strong>in</strong>e unfallchirurgische<br />

Repräsentanz.<br />

DGU Mitteilungen und Nachrichten | Supplement 1/2008 15

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