32Neue Trends in der PharmaindustrieDer Markt für gentechnische ProdukteIn Deutschland sind, beginnend mit Insulin im Jahr 1986, inzwischenüber 100 Produkte zugelassen (Bild 4). Bei den Wirkstoff-Neuzulassungen haben die Biotechprodukte inzwischen die Chemieproduktionüberholt und finden immer mehr Eingang in dieRanking-Liste der Top-Pharmaprodukte.Die internationale Rollenverteilung ist aber – bezogen aufdas Zukunftspotenzial – besser an der Zahl der Medikamente inder Entwicklung (Bild 5) oder der Anzahl der Mitarbeiter zuerkennen, die in den forschungsorientierten Biotechnologie-Zentren,so genannten Clustern arbeiten (Bild 6). Die Vorherrschaftder USA und der Rückstand Deutschlands auf Seiten der Produktentwicklungist offensichtlich: Betrachtet man – bezogen auf denMarktwert – die ersten dreißig Unternehmen, die sich ausschließlichauf Biotechnologie spezialisiert haben, so findet sich mitSerono (Schweiz) nur ein nicht-angloamerikanisches Unternehmendarunter. Deutsche Unternehmen fehlen an der Spitze völlig.Damit wird nicht nur der marktseitige Rückstand deutscher Unternehmencharakterisiert, es werden auch Defizite in der notwendigenSpezialisierung deutlich, die in einer Trennung der Misch-Pharmaunternehmen in separate Biotechnologie- und Chemieunternehmenbestehen müsste. Diese Einschätzung wird durch dieTatsache gestützt, dass sich unter den zehn weltweit größtenPharmakonzernen kein deutsches Unternehmen befindet.Bei wichtigen Biotechprodukten wie zum Beispiel MAKdominieren Firmen aus den USA und Großbritannien sowohlmarkt- als auch technologieseitig: Projekte auf Basis monoklonalerAntikörper werden in Europa im Wesentlichen mit US-Knowhow(d. h. Lizenzen) gespeist oder sind Direktinvestitionen vonUS-Firmen. Auch die Blockbuster-Biotechprodukte stehen für dieDominanz der USA: Von den 13 umsatzstärksten Produktenbasiert lediglich ein Produkt ursprünglich auf einem deutschenPatent (Tabelle 1).Die Beobachtung der Trends in der Biotechnologie erlaubt esdem Anlagenplaner in der pharmazeutischen Industrie, frühzeitig–– innovative Projekte und Technologien mit Zukunftspotenzialzu erkennen und zu bearbeiten und so die Marktführerschaftin diesem Engineering-Feld einschließlich Referenzsituationzu erreichen–– Personalprofil, Personalausbildung, Planungsalgorithmenund –tools den Marktbedingungen anpassen zu können–– die Akquisition auf Unternehmen mit hohem EntwicklungsundMarktpotenzial zu fokussieren.B. Strategisches Umfeld derPharmaindustrieDer Schwierigkeitsgrad unternehmerischer Entscheidungen fürPharmaunternehmen, die in der Biotechnologie tätig sind, ist inden letzten Jahren extrem stark gestiegen. Einerseits betrifft dieDimension der Entscheidung den Unternehmenserfolg im Kern:Die Kosten von der Entwicklung eines Produktes bis zur Produktionsaufnahmesind außergewöhnlich hoch und betragen inmanchen Fällen mehr als eine Milliarde Euro. So können nurwenige Produkte bis zur Zulassung entwickelt werden. Die allerdingsdann einen perspektivisch hohen Umsatzanteil von mehrals einer Milliarde Euro pro Jahr haben können.Andererseits sind die Entscheidungsgrundlagen häufigschwer abzuschätzen, weil die Entscheidungen für die Vorbereitungder Produktionsaufnahme wegen der „time to market“-Situation und langer Produktentwicklungszeit außergewöhnlichfrüh gefällt werden müssen (Bild 1). Erschwerend kommt hinzu,dass zu diesem Zeitpunkt keine verlässlichen Angaben existierenzu Entwicklungszeit, Entwicklungskosten und zu den Chancenbezüglich Wirksamkeit und behördlicher Zulassung des Produktes.Außerdem ist häufig die Wettbewerbssituation bezogen aufProdukte von Konkurrenzunternehmen mit gleichem Wirkprinzipoder aber konkurrierenden Wirkprinzipien mit evtl. besseren<strong>The</strong>rapieergebnissen nicht eindeutig bekannt. Unsicherheitherrscht oft auch über die Verfügbarkeit bzw. den Status und dieQualität der Lizenzen – schließlich sind die europäischen bzw.deutschen Pharmaunternehmen wegen ihres technologischenRückstandes bei gentechnisch veränderten Produktionssystemenüberwiegend auf Know-how aus den USA angewiesen.Folglich entscheiden wenige risikoreiche Produktentwicklungenüber Erfolg oder Misserfolg selbst großer Unternehmen.In Anbetracht des dargestellten Umfeldes der dynamischenEntwicklung der Biotechnologie und der Tragweite der Unternehmensentscheidungensind auch die äußerst sensitiven Reaktionender Börse auf positive bzw. negative Bewertungen der Biotechproduktenachzuvollziehen.C. Strategien für den AnlagenbauFür einen Anlagenplaner, der erst am Ende der langen undschwer zu prognostizierenden Entscheidungskette beauftragtwird, ergibt sich ein erhöhtes Risiko bei der Chancenbewertungder Projekte und der eigenen Planungsstrategie für Biotechnologieanlagen.Diesem Risiko kann nur durch genaue Kenntnis derZusammenhänge und Einflüsse und deren exakte Bewertungbegegnet werden. Die Planung von biotechnologischen Anlagenweist dabei Besonderheiten auf:Entwicklung und Planung parallel Aufgrund der Neuigkeitsgradeder Produktentwicklung und des „time to market“-Drucksfinden Verfahrens- und Produktentwicklung parallel zur Planungstatt. Das klassische Anlagenbaumodell mit feststehenden,erprobten Verfahren als Start für das Basic Engineering ist damitper Prinzip außer Kraft. Hinsichtlich des biotechnologischenKnow-how-Transfers vom Lizenzgeber zum Anlagenplaner währenddes Concept- und Basic-Engineering erfordert diese Vorgehensweiseeine enge Zusammenarbeit – meist vor Ort beim Kunden– zwischen Lizenzgeber, späterem Betreiber, Engineering-Spezialisten des Kunden und Anlagenplaner. So werden derfließende Know-how-Transfer während der laufenden Planung indas Projekt und die Einhaltung der Projektziele gesichert.Individuell angepasst Die Projekte sind jeweils Unikate, oftmalsmit neuen Technologien und Grundoperationen, für die nurbegrenzte Verfahrenskenntnisse vorliegen. Daher müssen neueLösungen während der Planungsphase erarbeitet werden.
<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong> Dezember 2004 33Bild 4: Biotechprodukte am Markt (Deutschland). Quelle der Daten: Verband forschender Arzneimittelhersteller e.V.Insulin1101091009080687060485040323023201611107101986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004Bild 5: Biotechprodukte in der Entwicklung: Vergleich Produkt-Pipeline der börsennotierten Firmen in Europa und USA.Land Klinische Prüfung TotalPhase I Phase II Phase IIIUK 37 46 27 110Schweiz 8 14 20 42Frankreich 12 8 1 21Dänemark 7 7 4 18Schweden 7 8 1 16Irland 2 2 5 9Deutschland 3 2 2 7Norwegen 2 2 3 7Finnland 1 1 1 3Niederlande 1 1 0 2Belgien 0 1 0 1Total 80 92 64 236Europa – 94 börsennotierte FirmenEuropas „Top Biotechs“ hatten im Jahr 2003 insgesamt236 Produkte in der klinischen Entwicklung.Quelle: Ernst & Young Report 2004USA – 314 börsennotierte Biotech-FirmenAllein die „Top 100“ hatten bereits im Jahr 2000 insgesamt574 Produkte in der klinischen Entwicklung.Quelle: EuropaBio, <strong>The</strong> European Association of BioindustriesBild 6: Ausgewählte Biotech-Cluster: Mitarbeiter Biotechnologie. Quelle: BCG Studie 2001, modifiziertGröße der Firmen (Anzahl Mitarbeiter)140Bay Area, USA12010080Boston, USA60402000Rhein-Neckar, DCambridge, UKRheinland, DMünchen, D50 100150200250Anzahl Firmen● je ca. 1.000 Arbeitsplätze in der Region ● ca. 6.000 Arbeitsplätze in der Region ● je ca. 20.000 Arbeitsplätze in der Region