12 | 2. Rahmenbedingungen <strong>und</strong> aktuelle Entwicklungen13 | 2. Rahmenbedingungen <strong>und</strong> aktuelle EntwicklungenAuch zukünftig ist mit einem weiteren Bevölkerungsrückgang in <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong> zu rechnen, wie aus der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnunghervor geht. 11Altersstruktur der deutschen <strong>und</strong> nicht-deutschen Bevölkerung in <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong> in 2000Bevölkerungsvorausberechnung für <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong>In % des jeweiligenBevölkerungsteils1502,51402,01301,51201,01100,5Deutsche10090Entwicklung in denHauptaltersgruppen(Messziffer 2005 = 100)0unter1 Jahr10 20 30 40 50 60 70 80 90AltersjahreNicht-deutsche80Personen im Rentenalter(65 u. mehr Jahre)Quelle: ZEFIR70602005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050Personen im Erwerbsalter(20 bis 65 Jahre)Kinder <strong>und</strong> Jugendliche(unter 20 Jahre)Auf der lokalen Ebene gestaltet sich die demographische Entwicklung sehrunterschiedlich, so dass lediglich einige Trends genannt werden können (vgl.dazu ausführlicher Möltgen, S. 227-248):Quelle: LDS NRWTrotz des Rückganges der Bevölkerung sowie sinkender Zuwanderungszahlen<strong>und</strong> der schrittweisen Angleichung der Geburtenzahl bei Zugewanderten andas niedrige Niveau der deutschen Bevölkerung, wird der Anteil der Menschenmit Zuwanderungsgeschichte in <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong> insbesondere aufgr<strong>und</strong>der günstigen Altersstruktur weiter wachsen.• Städte sind im Vergleich zu den eher ländlich geprägten Kreisen in besonderemMaße vom Bevölkerungsrückgang betroffen. Bedenkt man, dass dieFamilie im städtischen Ballungskern heute die Lebensform einer schrumpfendenMehrheit ist <strong>und</strong> die Kinderlosen vor allem in den Städten leben, wirdsich dieser Trend fortsetzen.• Junge Erwerbstätige im Alter zwischen 20 <strong>und</strong> 40 Jahren werden von attraktivenRegionen angezogen, so dass in den Schrumpfungsgebieten vor allemÄltere zurückbleiben.• Kernstädte weisen in der Regel die höchsten Anteile Zugewanderter auf.In einigen Stadtteilen liegt der Anteil der Menschen mit Zuwanderungsgeschichtebereits heute bei 50 %. Es ist davon auszugehen, dass der Anteilder Zugewanderten in den kreisfreien Städten <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong>s deutlichsteigt.• Insbesondere die Großstädte sind durch eine zunehmende Segregationgekennzeichnet. Dabei treffen ethnische, soziale <strong>und</strong> demographischeSegregation zusammen: Wo die meisten Zugewanderten leben, leben diemeisten Kinder <strong>und</strong> dort ist die Armut am größten. 1211 Vgl. www.lds.nrw.de/statistik/datenangebot/daten/b/r311prog.html [Zugriff am 5.11.06].12 Vgl. dazu die Ergebnisse der Sozialberichterstattung ZEFIR: www.sozialberichterstattung.de <strong>und</strong>www.ruhr-uni-bochum.de/zefir/.
14 | 2. Rahmenbedingungen <strong>und</strong> aktuelle Entwicklungen15 | 2. Rahmenbedingungen <strong>und</strong> aktuelle Entwicklungen2.3 Gesellschaftliche VeränderungenDie hohe gesellschaftliche <strong>und</strong> gesellschaftspolitische Aktualität der <strong>Integration</strong>wird neben den statistischen Analysen an verschiedenen Veränderungen<strong>und</strong> Trends in der Zivilgesellschaft deutlich.Die Auseinandersetzung mit den Themen Zuwanderung <strong>und</strong> <strong>Integration</strong> steigt.Gleichzeitig ist das „öffentliche“ Bewusstsein im Hinblick auf die Menschenmit Zuwanderungsgeschichte offenbar differenzierter <strong>und</strong> kritischer geworden,wie sich beispielsweise an folgenden Entwicklungen zeigt:• Das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005 hat eineöffentliche Debatte darüber ausgelöst, welchen Herausforderungen sichDeutschland <strong>als</strong> Einwanderungsland stellen muss. Gleichzeitig werden imZusammenhang mit der Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes verstärktAnforderungen an Menschen mit Zuwanderungsgeschichte formuliert. 13• Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien zum Bildungssystem wie IGLUoder PISA dokumentieren, dass in Deutschland stärker noch <strong>als</strong> anderswoder sozioökonomische Status der Familie entscheidend für die Bildungschancender Kinder ist <strong>und</strong> dass die B<strong>und</strong>esrepublik ein Schlusslicht darstellt,wenn es um die Förderung der Kinder mit Zuwanderungsgeschichtegeht. In der möglichst frühzeitigen Förderung der Sprachkompetenz <strong>und</strong>der Verbesserung der Bildungschancen von zugewanderten Kindern <strong>und</strong>Jugendlichen wird daher ein wesentlicher Erfolgsfaktor für eine gelingende<strong>Integration</strong> gesehen.• Dass Deutschland ein Einwanderungsland <strong>und</strong> <strong>Integration</strong> notwendig ist,wird von dem Großteil der Zivilgesellschaft nicht mehr in Frage gestellt.Gleichzeitig besteht eine gewisse Skepsis in Bezug auf die bisherigen Ansätzeder <strong>Integration</strong> (vgl. Bade, S. 5).• Im Zusammenhang mit den Vorfällen an der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln,dem Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo v. Gogh, aber auchder Gewaltwelle in den französischen Banlieues <strong>und</strong> den Anschlägen vonMadrid <strong>und</strong> London rückt die Frage der Wirksamkeit der bisherigen <strong>Integration</strong>spolitik<strong>und</strong> deren Bedeutung für die Gesellschaft in das Blickfeld derÖffentlichkeit.• Es wird zunehmend erkannt, dass es sich bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichtenicht um eine homogene Gruppe handelt <strong>und</strong> sich die „Zuwanderergesellschaft“im Hinblick auf Herkunft, Ursachen der Wanderung, Zieleder Wanderung etc. sehr differenziert darstellt. Für die unterschiedlichenGruppen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte bestehen verschiedene<strong>Integration</strong>sbedarfe <strong>und</strong> -politiken, die von verschiedenen Akteuren inB<strong>und</strong>, Land <strong>und</strong> <strong>Kommunen</strong> verantwortet <strong>und</strong> erbracht werden müssen. Soliegt beispielsweise die Verantwortung für die Erstzuwanderer beim B<strong>und</strong>,während die <strong>Kommunen</strong> eine Aufnahmeverpflichtung für Spätaussiedlerinnen<strong>und</strong> Spätaussiedler <strong>und</strong> Menschen mit jüdischer Zuwanderungsgeschichtehaben.13 Beispielsweise im Hinblick auf die Sprachkompetenz, die Auseinandersetzung mit dem politischenSystem der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland sowie der hiesigen Kultur <strong>und</strong> Geschichte oder dasBekenntnis zu unseren freiheitlich-demokratischen Gr<strong>und</strong>werten;Vgl. z.B. Verfassungsschutzbericht des Landes <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong> über das Jahr 2005 oderPositionspapier der B<strong>und</strong>esvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zum <strong>Integration</strong>sgipfelam 14.7.06.• <strong>Integration</strong> wird nicht mehr ausschließlich <strong>als</strong> eine Aufgabe des Staates,sondern <strong>als</strong> Herausforderung wahrgenommen, die Staat <strong>und</strong> Gesellschaftgleichermaßen fordert. Wie die Rollenverteilung der einzelnen staatlichen<strong>und</strong> gesellschaftlichen Akteure im Hinblick auf die verschiedenen Handlungsfelder<strong>und</strong> „Zuwanderer-Communities“ ausgestaltet werden soll, wirdaktuell diskutiert.Bei aller kritischen <strong>und</strong> rationalen Auseinandersetzung der Zivilgesellschaft,sind der persönliche Erfahrungshintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> die subjektive Betroffenheitwesentlich für die Bewertung der Zuwanderung <strong>und</strong> der Inte-gration sowie fürden Umgang mit Zugewanderten. Diese Faktoren können – unterstützt durchdie Berichterstattung in den Medien – dazu führen, dass deutliche Unterschiedezwischen tatsächlichen Entwicklungen <strong>und</strong> der subjektiven Wahrnehmungentstehen.In folgender Weise unterscheidet sich die „gefühlte“ von der tatsächlichen Zuwanderung:Während die absolute Zahl an Zugewanderten nach Deutschlandin den letzten Jahren deutlich gesunken ist, bleibt die „gefühlte“ Zuwanderungunverändert auf hohem Niveau. Diese Diskrepanz erklärt sich B<strong>und</strong>esinnenministerWolfgang Schäuble so: „Wir haben mehr eine gefühlte Zuwanderung<strong>als</strong> eine tatsächliche Zuwanderung. Und das liegt vor allem daran, dass dieKinder oder Enkel der früheren Zuwanderinnen <strong>und</strong> Zuwanderer, die hier geboren<strong>und</strong> aufgewachsen sind, zum Teil nicht so integriert sind, wie wir uns dasvorgestellt haben“. 14 Offenbar hat die Diskussion um das Zuwanderungsgesetzden Eindruck verstärkt, dass der Anteil der Zugewanderten, die in Deutschlandleben, deutlich höher ist <strong>als</strong> es viele bisher vermutet haben.Darüber hinaus treten die „Grenzen der <strong>Integration</strong>sbereitschaft“ in der Gesellschaftdeutlich hervor <strong>und</strong> zeigen sich in unterschiedlicher Ausprägung <strong>und</strong>Intensität:• Der Konflikt- <strong>und</strong> Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer attestiert unserer Gesellschaftin einer Langzeitbeobachtung zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“15 zunehmende Desintegrationstendenzen. Die aktuelle Analyseder feindseligen Mentalitäten gegenüber schwachen Gruppen zeigt, dasssowohl die Fremdenfeindlichkeit <strong>als</strong> auch die Islamfeindlichkeit unübersehbarzugenommen haben, während die erhobenen Werte für Antisemitismusseit 2002 zurückgegangen sind (vgl. Heitmeyer, S. 21 f.).• Diese Tendenz kann durch die Ergebnisse der aktuellen Shell-Jugendstudie2006 bestätigt werden. Obwohl die Forscher die Jugendlichen nach wie vor<strong>als</strong> eine eher tolerante Bevölkerungsgruppe bezeichnen, dominiere bei derMehrheit der Jugendlichen inzwischen eine ablehnende Haltung hinsichtlichdes Zuzugs von Zuwanderinnen <strong>und</strong> Zuwanderern nach Deutschland. 1614 Vgl. www.bmi.b<strong>und</strong>.de/nn_662956/Internet/Content/Nachrichten/Reden/2006/05/BM_Internationale_Koordinaten_Zuwanderungs_<strong>und</strong>_<strong>Integration</strong>spolitik.htm [Zugriff am 25.9.06].15 Ziel der Studie, die zwischen 2002 <strong>und</strong> 2012 durchgeführt wird, ist es, das Ausmaß <strong>und</strong> dieEntwicklung des Syndroms menschenfeindlicher Einstellungen (Rassismus, Antisemitismus,Fremdenfeindlichkeit, Heterophobie, Islamphobie, Etabliertenvorrechte) in der Bevölkerung derB<strong>und</strong>esrepublik Deutschland im Zeitverlauf zu analysieren <strong>und</strong> auf der Basis sozialpsychologischer<strong>und</strong> soziologischer Konzepte zu erklären, vgl. www.uni-bielefeld.de/ikg/projekt_gmf-survey.htm[Zugriff am 25.9.06].16 Vgl. www.shell.com/home/Framework?siteId=de-de&FC2=/de-de/html/iwgen/leftnavs/zzz_lhn12_6_0.html&FC3=/de-de/html/iwgen/about_shell/Jugendstudie/2006/Jugendstudie2006_start.html [Zugriff am 25.9.06].