KRANKHEIT UND WIRKUNG - Lalegion-pictures.com
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7. Von Februar 1880 bis Dezember 1888<br />
Übersicht über Psychologie und Produktion<br />
Wir verschaffen uns jetzt zunächst einmal eine Gesamt-Übersicht über<br />
Nietzsches Psychologie und Verhalten zu seinen Werken in den Jahren<br />
1880—1888. Dabei wird des öfteren J a s p e r s zitiert, und zwar deshalb,<br />
weil dieser erstens P s y c h i a t e r von Hause aus war, dann aber zur<br />
„Geisteswissenschaft" überging, als Professor für Philosophie (in<br />
Heidelberg). Jaspers ist völlig unverdächtig, das Pathologische oder<br />
Kranke in einer Pathographie etwa ganz b e s o n d e r s zu betonen oder gar<br />
zu übertreiben.<br />
Im Februar 1880 machte sich ein bedeutsamer Einschnitt in der Krankheitsgeschichte<br />
bemerkbar. Die Grundstimmung begann sich bedeutend zu<br />
bessern und aufzuhellen. Allerdings hörten die zeitweiligen Beschwerden<br />
durch die Hirnsyphilis keineswegs ganz auf. Es kamen immer wieder noch<br />
schwere V/ochen (z. B. 1885 ein schlimmes Augenleiden). Aber während<br />
Nietzsche noch im Januar 1880 sein nahes Ende ernsthaft erwartete, wird<br />
er im Februar 1880 ein ganz anderer.. Die Stimmung wird euphorisch, ein<br />
Wohlgefühl keimt auf, das Selbstbewußtsein steigert sich wieder, er wird<br />
sich seiner philosophischen Aufgabe, seiner Berufung bewußt. Freundschaften<br />
und menschliche Beziehungen zerbrechen. Die Verwandlung wird<br />
stärker im August 1880. Nietzsche spricht von einer unvergleichlich<br />
besseren, einer „unbändig gehobenen Stimmung". Er kann jetzt wieder<br />
arbeiten, das Werk „Morgenröte" wird fertig. Nietzsche lernt eine ganz<br />
neue Form des inneren Erlebens kennen, eine völlig neue Atmosphäre<br />
atmet um ihn, die durch keinerlei Vorboten in früheren Jahren irgendwie<br />
angekündigt worden wäre. Die Umwandlung erreicht ihre Hochebene im<br />
August 1881 und verbleibt auf dieser Höhe 1882 und 1883. Im August 1881<br />
schreibt er: „Die Intensitäten meines Gefühls machen mich schaudern."<br />
Er weint auf seinen Wanderungen „Tränen des Jauchzens", er singt und<br />
„redet Unsinn" mit sich allein. Sein Selbstgefühl steigt jäh in die Höhe.<br />
„Es wird vielleicht die Zeit kommen, wo auch die Adler scheu zu mir<br />
aufblicken müssen" (November 1881). Die berühmten Inspirationserlebnisse<br />
des Zarathustra und der „ewigen Wiederkunft" fallen in diese Jahre.<br />
(Davon später.)<br />
Wir haben hier aber keinesfalls eine „rein geistige Entwicklung" vor uns,<br />
sondern wir müssen als Ursache dieser ganzen Veränderung „einen biologischen<br />
Faktor", wie es Jaspers nennt, annehmen, eine k ö r p e r l i c h e<br />
neue Grundlage des seelischen Erlebens. Nietzsche wird, wie Jaspers<br />
ausführt, der vollen Verstehbarkeit durch eine normale Psyche entrückt<br />
und durch eine vielleicht unüberbrückbare Fremdheit distanziert. Mit den<br />
gesteigerten Zuständen, die nicht etwa bloß e u p h o r i s c h sind, sondern<br />
auch von einer „erschreckenden Abgründigkeit", ist ein Gefühl außerordentlicher<br />
Bedrohung verbunden. Nietzsche hat von diesen extremen<br />
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