01.12.2012 Aufrufe

KRANKHEIT UND WIRKUNG - Lalegion-pictures.com

KRANKHEIT UND WIRKUNG - Lalegion-pictures.com

KRANKHEIT UND WIRKUNG - Lalegion-pictures.com

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Krankheitserscheinungen, ohne jede gröbere Zerstörung des Intellekts im<br />

engeren Sinne, und dann ganz plötzlich (Ende 1888) ein heftiges Aufflammen<br />

des paralytischen Prozesses, eine Exazerbation, die in wenigen<br />

Wochen zur völligen und endgültigen Verblödung führte?<br />

Histologisch-anatomisch j a. Eine völlige klinische Parallele zu der<br />

Ausnahmepersönlichkeit von Nietzsche wird man nicht erwarten dürfen.<br />

Aber in gewisser Weise ist sie wenigstens im Prinzip vorhanden.<br />

Wir sprechen von Jakobs Fällen von stationärer Paralyse (ZNPt, 54,1920).<br />

Jakob schreibt wörtlich (S. 151): „Es ist Tatsache, daß gewöhnlich dem<br />

schleppenden, über viele Jahre hinaus stationären Verlauf der paralytischen<br />

Erkrankung auch anatomisch ein besonders geringgradig entwickelter<br />

und wenig Progression zeigender, stellenweise narbig ausgeheilter<br />

Krankheitsvorgang entspricht, daß es aber bisweilen auch bei derartigen<br />

Zuständen wieder zu einem starken Aufflackern des Prozesses kommen<br />

kann."<br />

Dieser Fall Nr. 1 von Jakob kam 1896 ins Krankenheim, 1899 in die<br />

Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Es war seit 1899 eine „katatone"<br />

Form mit Halluzinationen und paranoiden Wahnideen. 1912 wurde eine<br />

diagnostische Hirnpunktion (Exzision aus dem rechten Stirnhirn) vorgenommen.<br />

Histologisches Ergebnis: ein geringfügiger aber deutlich p a r a -<br />

l y t i s c h e r Befund. Der Tod erfolgt 1916 (also nach zwanzigjähriger<br />

Krankheit) an Bronchopneumonie. Histologisch im Gehirn ein sehr schwer<br />

e r paralytischer fortschreitender Befund (besonders schwer im Schläfenlappen).<br />

Klinisch: erhöhte Demenz und Störung der Merkfähigkeit.<br />

Wir hätten also bei Nietzsche etwa ab Mitte 1880 einen geringgradiger.<br />

paralytischen Entzündungsprozeß anzusetzen, von mildem Verlauf, der<br />

etwa als eine Art Schub bis 1884 dauerte. Dann trat nach einer „Remission"<br />

Ende 1887 eine Exazerbation ein, die sich Dezember 1888 zu einem schweren,<br />

stark progressiven Prozeß steigerte. Genau in Parallele zum Fall 1 von<br />

Jakob. V i e l l e i c h t (mit zwei Fragezeichen!) wurde die Katastrophe<br />

durch den Mißbrauch von Chloral erheblich beschleunigt.<br />

Nebenbei: inkeinem Fall von stationärer Paralyse sind Spirochäten im<br />

Gehirn gefunden worden, wohl als Anzeichen eines m i l d e n Prozesses<br />

zu deuten. Mehrfach haben Forscher festgestellt, daß, entgegen aller Erwartung,<br />

erbliche Belastung und Psychopathie einen m i l d e n Verlauf der<br />

Paralyse verursachen und demnach einen solchen von langer Dauer (Junius<br />

und Arndt sowie Witte, dem sich Boström anschließt). Auch das trifft auf<br />

Nietzsche zu.<br />

Nehmen wir die Infektion 1865, den Beginn der Paralyse 1880 oder 1881<br />

an, so würde die Inkubationszeit 15 Jahre betragen haben; das wäre genau<br />

das Mittel der allgemeinen Statistik. Die Dauer der Paralyse selbst wäre<br />

mit 18 bis 19 Jahren anzusetzen, also eine gar nicht so seltene Länge. Nur<br />

die Gesamtdauer der Syphilis von 1865 bis 1900, 35 Jahre, müßte man als<br />

etwas ungewöhnlich bezeichnen. Ursache könnte die starke psychopathische<br />

Belastung sein. Es wäre außerdem möglich, daß der akutere Prozeß im<br />

Gehirn in den neunziger Jahren zum Stillstand gekommen war, so daß man<br />

27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!