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KRANKHEIT UND WIRKUNG - Lalegion-pictures.com

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e r n s t zu nehmen. Diese „Magie des Extrems", wie Nietzsche es genannt<br />

hat, zeigt sich in der Polemik als überlegen.<br />

In Nietzsches Werk schleicht sich 1887 auch etwas F r e m d e s : „eine<br />

unbeschreibliche Atmosphäre von Fremdheit, etwas Unheimliches"<br />

ein, wie sein Freund Rohde schon 1886 sich ausdrückte. Die Schönheiten<br />

der Darstellung bleiben dabei bestehen. Aber vorher entstehen 1888 noch<br />

in rasender Spannung, in Ungerechtigkeit, jedoch in hinreißender Diktion<br />

die unvergleichlichen polemischen Schriften der letzten Zeit. Dazwischen<br />

versagt aber Nietzsche auch schon öfters und stößt ins Leere, wirkt beklemmend<br />

durch Engen, durch Maßlosigkeiten und Absurditäten. Sein<br />

Werk bleibt endgültig in der Unvollendung stecken, es wird nicht reif.<br />

Ein ewiger Torso," ein ewiges Problem.<br />

Überschaut man Nietzsches Werk mit einem kurzen Blick in seiner Gesamtheit,<br />

so setzt 1880 in Nietzsches Denken die Verwandlung ein. Der<br />

pathologische Faktor, das neue psychologische Erleben und der neue philosophische<br />

Gehalt stehen in einer Beziehung zueinander, daß sie zu einer<br />

unlösbaren Identität verschmelzen. Nietzsches Biographie muß sich für<br />

jeden echten Wahrheitssucher gesetzmäßig in eine Pathographie entwickeln.<br />

Das ungeheuer Bedeutsame in diesem Leben ist dieses: Durch den Sprung<br />

von 1880 „kommt Nietzsche erst zu seiner eigentlichen Höhe" (Jaspers).<br />

Die kranken Faktoren haben nicht nur gestört, sondern vielleicht sogar erst<br />

ermöglicht, was sonst so nicht entstanden wäre. Nietzsche wird ursprünglicher,<br />

unmittelbarer, die dichterische Kraft wächst ohne Frage. Wir<br />

finden eine Sicherheit des Gelingens bis in jede Silbe. Glühend quillt die<br />

Sprache, ohne Vermittlung der „Gedankenbleiche" (Jaspers), aus der Tiefe<br />

des Ursprungs.<br />

Wir stehen damit vor dem Kernpunkt des psychiatrischen Problems. Was<br />

ist da 1880 vor sich gegangen?<br />

Möbius sagt: von etwa 1881 (bis 1882) ab P a r a l y s e mit produktiver<br />

Steigerung.<br />

Ben da meint: zuerst Lues cerebri, die Ende 1888 in Paralyse übergeht.<br />

L a n g e - E i c h b a u m hat sich 1927 (Genie, Irrsinn und Ruhm S. 417 f.)<br />

für eine hypomanische Form der Paralyse ab 1881 ausgesprochen. Dann<br />

fand er 1930 Bendas Annahme einer Lues cerebri doch für vorsichtiger,<br />

betonte aber gleichzeitig, daß die Ansicht von Möbius wissenschaftlich<br />

nicht widerlegt werden könne.<br />

J a s p e r s hält die Annahme einer Paralyse von 1881 ab für unberechtigt.<br />

Wir hätten kein Alltagsmaterial zum Vergleich. Es handle sich höchstens<br />

um Vorboten, aber nicht um den Z e r s t ö r u n g s prozeß der Paralyse.<br />

„Etwas Neues scheint hinzugekommen zu sein, das aus der biologischen<br />

Gesamtkonstitution sich auswirkt." Jaspers meint weiter: „Den Vorgang<br />

als Schizophrenie oder als Schizoid zu bezeichnen, halte ich für unergiebig,<br />

weil diese diagnostischen Schemata ... dann ganz nichtssagend werden,<br />

wenn sie ... ohne Aufzeigung handgreiflicher, d. h. psychotischer Symptome<br />

Anwendung finden. Ich bin dennoch ... überzeugt, daß hier auch<br />

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