KRANKHEIT UND WIRKUNG - Lalegion-pictures.com
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11. Inspirationen,<br />
Ekstasen und mystische Erlebnisse<br />
Wir betrachten jetzt die Inspirationserlebnisse und Ekstasen, ferner die<br />
n e g a t i v e n Gefühlszustände bei Nietzsche („Abgründigkeit", „außerordentliche<br />
Bedrohung").<br />
Ein Beispiel: das Inspirations-Erlebnis im August 1881 am See von<br />
Silvaplana. Beim Anblick eines gewaltigen Felsblockes überfällt Nietzsche<br />
eine Art von Erleuchtung oder Inspiration. Ihm wird der Gedanke des<br />
Übermenschen Zarathustra und vor allem der Gedanke der ewigen Wiederkehr<br />
alles Geschehens plötzlich überwältigend klar. Er weint dabei<br />
„Tränen des Jauchzens", er fängt an zu singen und „redet Unsinn" vor<br />
sich hin. „Die Intensitäten meines Gefühls machen mich schaudern." Sein<br />
Selbstgefühl erhebt sich bald darauf, wie wir bereits ausgeführt haben, zu<br />
solcher Höhe, daß vielleicht die Zeit kommen wird, daß die Adler scheu<br />
zu ihm aufblicken müssen. — Später schreibt Nietzsche an Brandes (April<br />
1888) über die Konzeption des Zarathustra: „Vollkommener Zustand eines<br />
Inspirierten. Alles unterwegs auf starken Märschen konzipiert: absolute<br />
Gewißheit, als ob jeder Satz eifern zugerufen." Möbius meint einfach:<br />
„Rauschähnlicher Zustand, paralytische Erregung."<br />
So kurz und bündig ist das alles aber doch wohl nicht abzutun.<br />
Von allergrößter Wichtigkeit sei hervorgehoben, daß solche inspiratorischen<br />
oder ekstatischen Erlebnisse verbunden waren mit einem Gefühl<br />
von „erschreckender Abgründigkeit" (Jaspers), einem Gefühl „außerordentlicher<br />
Bedrohung". Wie bereits erwähnt, hat Nietzsche diese<br />
extremen Erlebniszustände nur zwei Menschen persönlich mitgeteilt:<br />
flüsternd, mit dem Ausdruck des Entsetzens, des Grauens auf dem Gesicht.<br />
Was bedeutet das?<br />
Wichtig wäre zunächst die Psychologie der Inspirationen von Nietzsche.<br />
Denn es gibt natürlich auch völlig normale Inspirationen.<br />
Betrachten wir einmal kurz, wie eine solche gesunde Inspiration verläuft.<br />
Hat jemand sich Tage, Wochen, Jahre mit all seinem aktiven<br />
Denken vergeblich um ein Problem, eine Gestaltungsform gemüht, so ist<br />
er darüber vielleicht nervös, innerlich gespannt, etwas neurotisch geworden.<br />
Immer wieder haben sich Vorurteile, Irrtümer, Irrwege zwischen<br />
ihn und die richtige Lösung gedrängt; er hat hundert Vorarbeiten geleistet,<br />
brockenweise, teils aktiv bewußt, teils Erfahrungen mit intuitivem Fühldenken<br />
unbewußt aufnehmend und all die vorläufig unnützen Bruchstücke<br />
wieder halb oder ganz vergessend, aber schon schwebt ihm die<br />
Richtung vor, in der die Lösung wohl liegen müßte. Da räumt eine innere<br />
Entspannung, im Schlaf, im Traum, rationale Hindernisse aus dem Wege,<br />
die Bahn wird frei — oder ein Sinneseindruck verhilft dem unanschau-<br />
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