KRANKHEIT UND WIRKUNG - Lalegion-pictures.com
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liegt eine Nuance von Wildheit, von „Unordnung", wie Kant etwas<br />
philiströs gemeint hat.<br />
Ist nun der Ferment zusatz zum großen Form- und Intelligenztalent,<br />
der gerade das „Geniale" zu erzeugen scheint, nur die P s y c h o p a t h i e ?<br />
(Ferment ist natürlich bloß ein Verlegenheitsausdruck; gemeint ist<br />
irgendeine reizgebende biologische Ursache.)<br />
Oder bedeutet das Ferment einen Zuschuß v o n f r e m d e m B l u t ?<br />
Drittens, ist vielleicht Psychopathie und fremde Blutbeimischung i d e n -<br />
t i s c h ? Etwa durch Keimfeindschaft?<br />
Nach dem biologischen Grundgesetz von Arndt-Schulz könnte das<br />
Fremde einen leichten nützlichen Reiz bedeuten. Auch eine P s y c h o s e<br />
ganz im B e g i n n kann die Leistungsfähigkeit steigern (Beispiele: Schumann,<br />
Nietzsche); da ist sie klinisch noch gleichbedeutend mit Psychopathie<br />
und würde nur einen schwachen Reiz ausgeübt haben. Als<br />
starker Reiz, als a u s g e s p r o c h e n e Geisteskrankheit wirkt sie später<br />
nur z e r s t ö r e n d , auch auf die Produktion.<br />
Man kann eine fließende Reihe aufstellen:<br />
1. Stärkster Reiz — P s y c h o s e — Zerstörung des Produktiven.<br />
2. Mittelstarker Reiz — mehr oder weniger P s y c h o p a t h i e — Anreiz<br />
der Produktion (manchmal auch Schädigung).<br />
3. Schwacher Reiz — Fermentunruhe im Blut in Form von Uberempfindlichkeit,<br />
Sensitivität, geistiger Beweglichkeit und' Lockerung einef a s t<br />
noch normale Abart von Blutmischung, ein feinster Anreiz zur<br />
Produktion. (Leonardo könnte solch Typ gewesen sein.)<br />
Soll man wirklich daran denken, Genies zu züchten? Meist, fast<br />
gesetzmäßig heißt Geniewerden zugleich auch ein tiefes, schauervolles<br />
Martyrium. Ja, die Masse will ihren Halbgott am liebsten als<br />
Märtyrer, so oder so gekreuzigt, sonst v e r t r ä g t sie seine Überlegenheit<br />
nicht.<br />
Soll man wirklich formtalentierte gesunde Familien mit fremdartigem<br />
oder psychopathischem Blut absichtlich kreuzen? Soll man einen Menschen<br />
mit vollem Bewußtsein zum Martyrium führen . . .?<br />
Fast noch unerträglicher wäre die p s y c h o l o g i s c h e Seite der<br />
Geniezüchtung. Alles Hohe und Feinste, alles sehr Verwickelte m i ß l i n g t<br />
gewöhnlich, wenn man es rational, zweckbewußt will. Das geht schon<br />
beim Kunstschaffen so. Ein Jüngling, der sich sagt: nun w i l l ich das<br />
tiefste Drama der Welt schreiben — dem J ü n g l i n g gerät es b e -<br />
stimmt nicht. Und man sehe sich das Literatentum in den verschiedenen<br />
Cafes Größenwahn an: wir wollen als Genies anerkannt werden!<br />
Einer, der zum Genie gezüchtet worden ist, einer, dessen Eltern ihn<br />
zum Genie e r z i e h e n , einer, der das w e i ß und Genie werden w i l l —<br />
d e r wird es ganz bestimmt n i e ! Der verfehlt sogar das allereinfachste<br />
Ziel: etwas B r a u c h b a r e s im Leben zu leisten; einer zu werden, der<br />
wirklich etwas kann und der nicht bloß mystischen Nebel um sich verbreitet.<br />
„Der Mensch ist verloren, der sich früh für ein Genie hält"<br />
(Lichtenberg).<br />
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