KRANKHEIT UND WIRKUNG - Lalegion-pictures.com
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vergleiche die Anregung durch Alkohol bei vielen Dichtern. Schmuck<br />
der Diktion und schöne Gefühle quellen empor oder werden gesteigert.<br />
Etwas Unklarheit wäre ebenfalls nützlich (wie übrigens Goethe mehrfach<br />
betont hat) bei der Wirkung auf das Publikum.<br />
Ohne Frage kann die Paralyse förderlich sein. Erstens, wenn sie unter<br />
dem Bilde einer milden Hypomanie verläuft; daran kann wohl kaum ein<br />
Zweifel bestehen. Zweitens, wenn der anatomische Prozeß zu Beginn steht<br />
und noch geringfügig ist (wie öfters bei der stationären Paralyse). Bei<br />
Nietzsche hat also das Schicksal ausgerechnet die günstigsten Bedingungen<br />
ausgewählt, um ihn t r o t z der Paralyse gerade durch die Paralyse<br />
noch zu hohen Leistungen gelangen zu lassen. Zu dem Teig, aus dem<br />
Nietzsche geknetet war, gab die P a r a l y s e die Hefe hinzu...<br />
Eine gewisse Parallele liegt übrigens bei Robert Schumann vor (G., I. u.<br />
R. S. 425). Die Paralyse brach manifest 1850 bei ihm aus. Er starb 1856.<br />
Aber in der Vorphase 1845 bis 1850 war die Produktion des Komponisten<br />
ganz enorm gesteigert. Vielleicht könnte man hier eine stationäre Paralyse<br />
von 11 jähriger Dauer annehmen, mit einem ganz m i l d e n , hypomanischen<br />
Schub zu Beginn 1845. Die Krankheit setzte mit massenhaften Gehört<br />
ä u s c h u n g e n ein (schizophrenieartige Paralyse?).<br />
Ebenso hatte R e t h e 1, der berühmte Graphiker, im Vorstadium der<br />
Paralyse (nach V. Parant) eine „suractivite intellectuelle", d. h. Steigerung<br />
der Leistungen zu Beginn, wie in einer hypomanischen Erregung (Vorberg,<br />
Lit. Verz. No. 1385 in „Genie, Irrsinn und Ruhm").<br />
Man könnte vielleicht folgende Überlegung anstellen:<br />
Die Paralyse beginnt anatomisch als ein lokalisierter lakunärer Entzündungsprozeß.<br />
Durch diese Entzündung der pathologischen Hirnteile<br />
werden wohl die benachbarten, noch gesunden Partien besser durchblutet<br />
und dadurch leistungsfähiger. Dies würde natürlich nur bis zu einem gewissen<br />
Grade, d. h. im A n f a n g der Hirnerkrankung, stattfinden können.<br />
Diese Erwägungen nur als Arbeitshypothese.<br />
Der Zarathustra wäre ohne die pathologischen Einflüsse bestimmt nicht<br />
so entstanden, wie er vorliegt, nach der positiven wie nach der negativen<br />
Seite hin betrachtet. Was aus der leichten Bewußtseinstrübung, aus der<br />
Betäubung entstanden ist, wirkt auch wieder träumerisch, geheimnisvoll,<br />
wogend und betäubend-bestrickend. Der Zarathustra ist, namentlich in<br />
seinen ersten drei Teilen, in je zehn Tagen entstanden, zweifellos in<br />
rauschähnlichen, stark hypomanischen Zuständen, und — wie Nietzsche<br />
schreibt, als ob jeder Satz ihm zugesprochen worden wäre. Dazu „in einer<br />
fast unerträglichen Expansion des Gefühls". Im vierten Teil hat Möbius<br />
den Einfluß der beginnenden paralytischen Schädigung glaubhaft nachgewiesen,<br />
namentlich eine Einbuße an verfeinertem Taktgefühl (z. B. unter<br />
Töchtern der Wüste, das Eselsfest usw.). Die stärker hypomanische Phase<br />
war 1885 bereits abgeklungen, als der vierte Teil entstand. Es war eine<br />
Art „Remission", eine Beruhigung eingetreten, das rationale Schaffen trat<br />
wieder mehr in den Vordergrund.<br />
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