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KRANKHEIT UND WIRKUNG - Lalegion-pictures.com

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Erlebniszuständen überhaupt nur zwei Menschen persönlich etwas mitgeteilt:<br />

Lou Andreas-Salome (die er eine Zeitlang als seine Schülerin und<br />

Anhängerin betrachtete) und seinem bewährten Freund Overbeck (Professor<br />

für Kirchengeschichte in Basel). Er tat dies beide Male mit leiser<br />

Flüsterstimme und mit dem Ausdruck des Entsetzens, des Grauens auf<br />

dem Gesicht. Also, als ob sich eine jenseitige, nicht mehr irdische Welt<br />

mit ihren Abgründen vor ihm aufgetan oder ihm zugeraunt hätte. „Wahnstimmung",<br />

sagt der Psychiater. Beim Schaffen des Zarathustra war es<br />

Nietzsche, als ob ihm jeder Satz zugesprochen würde.<br />

Vor uns erscheint „ein unlösbares Ineinander der Geistigkeit des denkenden,<br />

schaffenden Nietzsche und der unbegründbar kommenden überfallenden<br />

Erfahrungen" (Jaspers). Diese extremen fremden Gefühle finden<br />

wir aber nur 1881 bis 1884 (drei Jahre lang), von 1885 nicht mehr. Der Höhepunkt<br />

fällt in die Jahre 1882 und 1883. Zwischen den Euphorien tauchen<br />

aber auch schlechte Wochen mit Anfällen und Augenleiden auf. „Das<br />

Auf und Ab ist außerordentlich" (Jaspers). Nach den euphorischen Zeiten<br />

kommen „Phasen trostloser Leere und Melancholie".<br />

Niemand kann- dies alles aus dem normalen schöpferischen Erleben<br />

eines produktiven Denkers verstehen. Hier muß nicht bloß ein<br />

„biologischer" Faktor, sondern ein ausgesprochen p s y c h o p a t h o -<br />

l o g i s c h e s Erleben zugrunde liegen: irgendeine Giftwirkung, eine Stoffwechselstörung,<br />

eine anatomische Veränderung im Zentralnervensystem.<br />

Dafür gibt es drei Beweisgründe: 1. das Anfallartige der überströmenden<br />

Gefühle; 2. die unzusammenhängende Mannigfaltigkeit und das Vielfache<br />

der unverstehbaren Zustände. Meist gehen sie den schaffenden<br />

Augenblicken vorauf. Sie wirken also stimulierend; ab 1884 setzt ein<br />

langsames Matterwerden ein. 3. treten diese gesteigerten psychologischen<br />

Erfahrungen, die außerhalb alles sonst Vorkommenden liegen, bei Nietzsche*<br />

zum ersten Male mit 36 Jahren auf. Vorher niemals, auch nicht im Keim<br />

und nicht angedeutet.<br />

Betont muß werden, daß diese extremen Erlebnisse das Intellektuelle<br />

ganz unberührt lassen. Das läßt sich aus den Werken Nietzsches beweisen.<br />

Von 1880 ab ist das ganze Schaffen verändert, es bildet sich ein neuer<br />

S t il heraus. Dieser zeigt sich in der „Kraft der Bilder, in den mystisch<br />

werdenden Gleichnissen, in der Plastik des Gesehenen und in dem Klang<br />

der Worte, in der Wucht der Diktion, der Dichtigkeit der Sprache", wie<br />

Jaspers treffend beschreibt; „Natur und Landschaft werden leibhaftiger,<br />

schicksalsvoller, es ist, als ob er mit ihnen identisch, sie wie das Sein<br />

seiner selbst würden."<br />

Eine neue Aktivität tritt hinzu und beflügelt alles. Es bleibt nicht beim<br />

einfachen Betrachten und Befragen der Probleme. Nietzsches Wille<br />

feuert sich selber an, möchte man sagen. Er richtet sich aktiv zerstörend<br />

gegen alles Mögliche: gegen das Christentum, gegen die Moral, gegen die<br />

überlieferte Philosophie. Gleichzeitig sucht dieser Wille nach einem neuen<br />

eigenen Aufbau. Neue Gedanken (im Keim zwar vorhanden) bekommen<br />

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