LRB 1'2000 - BdP Landesverband Schleswig-Holstein / Hamburg

LRB 01/2000
Herr Krasnawski
sucht das Glück
Beim Öffnen der Tür sieht man
ihn: Schnurgeradeaus lässt er
die letzten Häuser und Bäume
hinter sich, die Kreuzung mit
den Erntemaschinen am linken
Rand, sogar seine Asphaltdecke
macht dem staubigen,
trockenen Lehm Platz. Währenddessen
baut sich zu beiden
Seiten eine Hecke auf,
geschlossen wie eine Wand,
und sie erlaubt nur selten den
Blick auf die dahinter liegenden
Felder, die in seltenen Augenblicken
blassgrün zwischen
den Ästen leuchten. Es
ist ungewöhnlich ruhig, nur
manchmal ist es laut, wenn der
Wind weht. Und kalt ist es,
obwohl die Sonne scheint. Der
Weg führt auf einen Hügel, man
bekommt den Himmel zu sehen,
doch schnell verschwindet
er hinter einer Baumkrone
und man muss weitergehen,
um ihn wieder sehen zu können.
Seit etwa drei Tagen kreist Michael
Krassnawski in einer
Hülle aus Glas und Aluminium.
Sein auf die Erde gerichtetes
Kameraauge tut einen guten
Dienst. Vielleicht etwas unscharf,
sagen die Techniker,
aber leicht zu beheben. Reines
Software-Problem. Nicht
der Rede wert. Keine Panik auf
der Titanic. Die Leere um ihn
herum ist Herrn Krassnawski
ziemlich scheißegal. Genaugenommen
bekommt sie ihm
sogar, denn nichts stört die
gleichförmig geradlinige Bewegung,
die reibungslose Arbeit
garantiert.
Der Wind in den Feldern wird
stärker, Wolken kommen auf.
Es regnet aus ihnen, die Tropfen
fallen auf den Weg und
werden zu dunklen Flecken.
Der ganze Weg wird dunkel.
Der Himmel auch, denn die
Sonne geht unter. Die letzten
Spaziergänger spannen ihre
Regenschirme auf und wanken
auf die Kreuzung zu.
„Wenn das Gebet die Kommunikation
mit einer Gottheit
ist, so ist mit hoher Geschwindigkeit
rasen ein
Gebet. Die Heiligkeit von
Rädern und Schienen. Man
muss auf den Gleisen knien,
um zur göttlichen Geschwindigkeit
zu beten.
Man muss vor der ungeheuren
Drehzahl eines Kreiselkompass
knien: 20.000
Umdrehungen pro Minute,
die höchste mechanische
Geschwindigkeit, die vom
Menschen bisher erreicht
wurde.“
Herr Krassnawski macht Musik
an. Von zu Hause hat er
sich verschiedene CDs mitgebracht,
unter anderem das
neue Album von der
Bloodhound Gang und einige
Minidiscs mit „Vocal House“.
Nervös klopft er mit den Fingern
auf den Amaturen aus
Hartplastik und pfeift dazu,
während unter seinem Fenster
die Ostküste der USA vorbeizieht.
Das Neonlicht geht
automatisch an, wie immer um
diese Uhrzeit.
Es ist dunkel. Der Regen hört
auf, in den Wolkenlücken werden
manchmal Sterne sichtbar.
Ein einzelner, kleiner heller
Fleck bewegt sich mit hoher
Geschwindigkeit durch die
Nacht.
Die Mikrowelle piept, eine Klap-
pe geht auf, lecker. Die Blende
der Kamera schließt sich,
öffnet sich, schließt sich. Programmgemäß
unternimmt der
Satellit eine Drehung um 90
Grad.
Früh am Morgen entschließt
sich ein einzelner Radfahrer,
eine Abkürzung zu nehmen.
Die Kette springt jedoch ab
und er steht bis zu den Knöcheln
im Schlamm des Feldwegs.
Der Himmel fängt an
seinem äußersten östlichen
Rand an, hell zu werden. „Verdammte
Scheiße!“ Ein schmaler
rosa Streifen zeigt sich, der
Radfahrer dreht sich ungläubig
um und fängt an, das Rad
durch den Matsch zu schieben.
„Hier ist ja doch alles auf angenehm
mechanische Art und
Weise geregelt.“ Herr
Krassnawski beobachtet die
Anzeige und lächelt. 28 Kilometer
pro Sekunde. Während
unten auf der Erde die Menschen
verschlafen am
Frühstückstisch sitzen.
Schwerpunkt
Bi uns to hus
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