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<strong>Wıssenschaftsrecht</strong><br />

Wissenschaftsverwaltung · Wissenschaftsförderung<br />

Inhalt dieses Heftes<br />

Abhandlungen<br />

Dr. Margrit Seckelmann, Speyer<br />

Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

Zur rechtlichen Bewertung von Ethikkommissionen ................. 187<br />

Dr. Alexander Reetz, LL.M., Lübeck<br />

Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG auf dem „verfassungsrechtlichen<br />

Prüfstand“ ...................................................... 206<br />

PD Dr. Mario Martini, Speyer<br />

Akkreditierung im Hochschulrecht – Institutionelle Akkreditierung,<br />

Programmakkreditierung, Prozessakkreditierung .................... 232<br />

Rechtsprechung<br />

Entscheidungen<br />

(bearbeitet von Anne-Kathrin Lange, Bonn) ........................ 253<br />

Rechtsprechung in Leitsätzen<br />

(bearbeitet von Anne-Kathrin Lange, Bonn) ........................ 260<br />

Literatur<br />

Übersicht über die Neuerscheinungen<br />

(bearbeitet von Anne-Kathrin Lange, Bonn) ........................ 266<br />

Klaus Ebling / Marcel Schulze [Hrsg.]: Kunstrecht – Verlag C. H. Beck –<br />

München 2007 – 536 Seiten – 98,00 €.<br />

(Referent: Christian Flämig, Rottach-Egern) ........................ 267<br />

Antonius Assheuer: TV-L, Kommentar für Verwaltung, Hochschulen und<br />

Forschung – Verlag Luchterhand/Wolters Kluwer – Köln 2008 –<br />

460 Seiten – 69,00 €.<br />

(Referent: Eckard Wesemann, Bonn) ............................... 271


188 Margrit Seckelmann<br />

WissR<br />

Margrit Seckelmann<br />

Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft<br />

und Medizin?<br />

Zur rechtlichen Bewertung von Ethikkommissionen<br />

I. Einleitung<br />

1. Zur Generierung staatlichen Wissens durch Experten<br />

Lassen sich Wissenschaft, Ethik und Recht in der klinischen medizinischen<br />

Forschung vereinbaren? Lassen sich deren unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe<br />

in Konkordanz bringen? Und wenn es möglich wäre, wie<br />

sollte dies vonstatten gehen und wie wäre eine solche Prüfung rechtlicher<br />

wie außerrechtlicher Kriterien mit den Mitteln des Rechts darstellbar?<br />

Eine legislative Antwort auf diese Fragen gibt das Arzneimittelrecht: Mit<br />

der klinischen Prüfung eines Arzneimittels darf nach den §§ 40 ff. des Gesetzes<br />

über den Verkehr mit Arzneimitteln (im Folgenden: AMG) 1 nur begonnen<br />

werden, wenn der Proband oder sein gesetzlicher Vertreter eingewilligt,<br />

die zuständige Ethikkommission diese zustimmend bewertet und<br />

das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte diese genehmigt<br />

hat. Nach der auf der Grundlage des AMG ergangenen Verordnung zur<br />

Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von<br />

klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen<br />

1 So die gesetzliche Konstruktion des der behördlichen Entscheidung vorgeschalteten<br />

Votums der Ethikkommission nach § 41 des Arzneimittelgesetzes in der Fassung<br />

der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I, S. 3394), zuletzt geändert<br />

durch Artikel 9 Abs. 1 des Gesetzes vom 23. November 2007 (BGBl. I, 2631). Hinsichtlich<br />

klinischer Prüfungen von Medikamenten an Minderjährigen vgl. insbesondere<br />

§ 40 Abs. 4 AMG. Das Medizinproduktegesetz bleibt in diesem Artikel außer Betracht.<br />

Wissenschaftsrecht Bd. 41 (2008) S. 188–205<br />

© Mohr Siebeck – ISSN 0948­0218<br />

Abhandlungen


41 (2008) Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

189<br />

(GCP­V) 2 werden den Ethikkommissionen unter europarechtlichem Einfluss<br />

3 verfahrensgestaltende Kompetenzen zuerkannt. 4<br />

Ethikkommissionen sind heutzutage aus der medizinischen Forschung<br />

in Deutschland wie in den anderen Industrienationen nicht mehr<br />

wegzudenken. 5 Diese Selbstbewertungsgremien haben sich aus der Deklaration<br />

des Weltärztebundes von Helsinki von 1967 heraus entwickelt.<br />

In dieser verpflichtete sich die organisierte Ärzteschaft vor dem Hintergrund<br />

der Erfahrungen des Dritten Reichs dazu, vor jeglicher Form der<br />

Versuche am Menschen eine ethische Kontrolle durchzuführen. Diese<br />

Überprüfung sollte durch standesrechtlich gebildete Kommissionen vorgenommen<br />

werden. 6 Von einer Selbstbewertungseinrichtung der Wissenschaft<br />

haben sich die Ethikkommissionen seitdem immer mehr zu in­<br />

2 Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung<br />

von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen<br />

(GCP­Verordnung – GCP­V) vom 9. August 2004 (BGBl. I, 2081).<br />

3 Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 4. April<br />

2001 zur Angleichung der Rechte und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten<br />

über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen<br />

Prüfungen mit Humanarzneimitteln.<br />

4 Bei klinischen Studien in verschiedenen Körperschaften, Krankenhäusern<br />

oder Ländern (sogenannten „multizentrischen Studien“) sind sämtliche durch die Landesgesetze<br />

bestimmten Ethikkommissionen zu beteiligen, in der Regel sind dies bei<br />

Universitätskrankenhäusern die Ethikkommissionen der Universitäten und bei sonstigen<br />

Krankenhäusern die Landesärztekammern. Dieses recht langwierige Verfahren<br />

wurde nach Erlass der GCP­V gestrafft. Nunmehr übernimmt eine der Ethikkommissionen<br />

die Verfahrensleitung, und zwar diejenige, bei der der Sponsor der Studie zunächst<br />

eine befürwortende Stellungnahme beantragt hat.<br />

5 Dazu exemplarisch: M. Albers, Die Institutionalisierung von Ethik­Kommissionen<br />

– Zur Renaissance der Ethik im Recht, KritV 86 (2003), 419; K.-P. Sommermann,<br />

Ethisierung des öffentlichen Diskurses und Verstaatlichung der Ethik, ARSP 89 (2003),<br />

75; K. Sobota, Die Ethik­Kommission – Ein neues Instrument des Verwaltungsrechts?,<br />

AöR 121 (1996), 229; C. Gramm, Ethikkommissionen: Sicherung oder Begrenzung der<br />

Wissenschaftsfreiheit?, Wissenschaftsrecht 32 (1999), 209; Derselbe, Verrechtlichung<br />

von Ethik und Ethisierung des Rechts, in: J. Bohnert u.a. (Hrsg.), Verfassung – Philosophie<br />

– Kirche, FS für A. Hollerbach, 2001, 611; J. Cwalinna, Ethik­Kommissionen:<br />

Forschungslegitimation durch Verfahren, Frankfurt am Main 1987; J. Lege, Das Recht<br />

der Bio­ und Gentechnik, in: M. Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2003,<br />

669 (766 ff.); J. Taupitz, Ethikkommissionen in der Politik: Bleibt die Ethik auf der<br />

Strecke?, JZ 2003, 815; K.-P. Rippe, Ethikkommissionen in der deliberativen Demokratie,<br />

in: M. Kettner (Hrsg.), Angewandte Ethik als Politikum, 2000, 140; W. van den<br />

Daele/H. Müller-Salomon, Die Kontrolle der Forschung am Menschen durch Ethikkommissionen,<br />

1990.<br />

6 Zur Deklaration von Helsinki vgl. M. Weschka, Internationale Standards zur<br />

Bioethik: Handlungsbedarf für die Bundesrepublik Deutschland?, 2001; A. Laufs, Informed<br />

consent und ärztlicher Heilauftrag, in: T. Hillenkamp (Hrsg.), Medizinrechtliche<br />

Probleme der Humangenetik, Heidelberg 2002, 118; C. Alber-Malchow, Die arzneimittelrechtliche<br />

Regelung der Mitwirkung von Ethik­Kommissionen im Licht der


190 Margrit Seckelmann<br />

WissR<br />

stitutionalisierten Kooperationsarenen zwischen der Wissenschaft und<br />

der öffentlichen Verwaltung entwickelt. 7 Den bisherigen Höhepunkt<br />

dieses Bürokratisierungs pro zesses bildete die 12. AMG­Novelle, seit der<br />

sogar von einer „behördenähnlichen Stellung“ der Ethikkommissionen<br />

gesprochen werden kann. 8<br />

Aufgrund der europarechtlichen Überformung der deutschen Gesetze<br />

im Medizinrecht bekamen die Ethikkommissionen nach dem Arzneimittelgesetz<br />

und der GCP­Verordnung kompetenziell eine deutlich<br />

aktivere Rolle zugeschrieben als die klassischen Konsultationsformen<br />

gemischter Kommissionen und Gremien, zu denen etwa die Bundesprüfstelle<br />

für jugendgefährdende Medien nach § 1 ff. des Jugendschutzgesetzes<br />

zu rechnen ist. 9<br />

Diese neue Rolle der Ethikkommissionen ist rechts­ und demokratietheoretisch<br />

nicht unproblematisch. Je stärker die verfahrensgestaltenden<br />

und ­leitenden Kompetenzen dieser Kommissionen werden, desto mehr<br />

droht die Grenze zwischen Beratung und Entscheidung bei diesen Kommissionen<br />

10 zu verschwimmen. Zugleich sind die Gesetze im Gesundheitsrecht,<br />

was namentlich für das AMG und die auf dessen Grundlage<br />

ergangene GCP­Verordnung gilt, immer undeutlicher formuliert, zumal<br />

sich die vielen aus dem Englischen übersetzten Begriffe nicht systemrein<br />

in die deutsche verwaltungsrechtliche Rechtssprache einfügen. Daher lässt<br />

sich durchaus vertreten, dass im „Gesundheitsrecht […] das Wesentliche“<br />

gerade „nicht im Gesetz“ steht, sondern sich in einem – demokratietheoretisch<br />

bedenklichen – „Halbdunkel“ vollzieht. 11<br />

Berufsfreiheit der freien Ethik­Kommissionen und der Forschungsfreiheit des Arztes,<br />

Frankfurt am Main 2005, 3.<br />

7 Zum Thema der Legitimation ihrer Voten forscht jetzt auch eine selbständige<br />

Nachwuchsgruppe „Demokratische Legitimation ethischer Entscheidungen“ am MPI<br />

für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg.<br />

8 So die Gesetzesbegründung, mit dem diese Regelung eingeführt wurde (im Gesetz<br />

selbst findet sich kein derartiger Hinweis), vgl. das Zwölfte Gesetz zur Änderung<br />

des Arzneimittelgesetzes vom 30. Juli 2004, BGBl. I, 2031. Hinsichtlich der Folgen für<br />

die rechtliche Einstufung des Verwaltungshandelns und die daraus resultierenden<br />

Rechtsschutzmöglichkeiten vgl. u.a. M. Seckelmann, Governance durch Kommissionen<br />

im Arzneimittel­ und im Gentechnikrecht, in: Elisabeth Duijmovits et al., Recht<br />

und Medizin, Baden­Baden 2006, 207 (226 f.).<br />

9 Zur Frage der Besetzung der (vorherigen) Bundesprüfstelle zur Beurteilung jugendgefährdender<br />

Schriften vgl.: BVerfGE 83, 130.<br />

10 W. Brohm, Sachverständige und Politik, Rechtsfragen der Beratung der Wirtschafts­<br />

und Sozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland, in: Festschrift für E.<br />

Forsthoff, 1972, 37; P. Loviscach, Beiräte bei Verwaltungsbehörden. Eine Untersuchung<br />

über die in Beiräten institutionalisierten Beziehungen zwischen Verwaltungsbehörden<br />

und Interessenten und Sachverständigen, 1998.<br />

11 So hinsichtlich der Kompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses: T. Kin-


41 (2008) Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

191<br />

Die demokratische Legitimation kann „abgedunkelt“ sein, wenn es zu<br />

einer faktischen Entscheidungsvorwegnahme durch Sachverständige<br />

kommt, die sich zwar nicht einem Parlament gegenüber für ihr Handeln<br />

verantworten müssen, aber die Handlungen der demokratisch legitimierten<br />

Amtsträger kraft ihres überlegenen Wissens (und bei publizierten Gutachten<br />

bestimmter Räte: oft auch ihres gesellschaftlichen Ansehens) präjudizieren<br />

können. 12 Denn dann drohen sich die Gewichte von der Legislative<br />

hin zur Exekutive und deutlicher noch zu den Expertenkorps hin zu<br />

verschieben. Von derartigen Gutachten abzuweichen, würde nämlich eine<br />

enorme Entschlusskraft von Regierung und Verwaltung voraussetzen und<br />

es würden zugleich in einer durch die Medien kontrollierten parlamentarischen<br />

Demokratie die Anforderungen an die Begründung ihrer Maßnahmen<br />

deutlich ansteigen.<br />

Zumindest dann, wenn keine institutionellen Gegengewichte geschaffen<br />

würden, könnte ein demokratietheoretisch bedenkliches „Auseinanderfallen<br />

von akademischem und öffentlichem Diskurs“ 13 zu befürchten sein.<br />

Wenn – wie es derzeit auch normiert ist – in den Kommissionen im Arzneimittelrecht<br />

nicht nur Experten, sondern auch sogenannte „Vertreter der<br />

Öffentlichkeit“ 14 vertreten sind, könnten sich jene zu einer neuen „Form<br />

neokorporatistischer Interessenwahrnehmung“ 15 entwickeln, deren Anbin­<br />

green, Verfassungsrechtliche Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis des Gemeinsamen<br />

Bundesausschusses im Gesundheitsrecht, NJW 2006, 877 (880).<br />

12 Kingreen (Fn. 11), 880; Sommermann (Fn. 5), Sobota (Fn. 5), 229.<br />

13 G. Grözinger, Sachverstand und Politikvernunft. Zur möglichen Rolle einer Gelehrtenrepublik<br />

in der Bürgerdemokratie, in: T. Ellwein u.a., Jahrbuch zur Staats­ und<br />

Verwaltungswissenschaft 9/1996, 273 ff., 273; H.-P. Vierhaus, Sachverstand als vierte<br />

Gewalt?, NVwZ 1993, 36; dazu grundlegend: F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen<br />

Utopie und Anpassung, 1975; M. G. Schmidt, Demokratietheorien, 1995.<br />

14 J. H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, 1956; Derselbe, Verbände,<br />

in: J. Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Band II, Heidelberg 1987, 149, und die Beiträge bei: R. Steinberg (Hrsg.),<br />

Staat und Verbände. Zur Theorie der Interessenverbände in der Industriegesellschaft,<br />

1985. Mit deutlich skeptischem Unterton: H.-H. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen.<br />

Die Durchsetzungsschwäche allgemeiner Interessen in der pluralistischen<br />

Demokratie, 1977; G. T. W. Dietzel, Ein zweiter Sachverständigenrat? Zum voraussehbaren<br />

Defizit an Öffentlichkeit und politischem Gewicht beim Sachverständigenrat<br />

für Umweltfragen, ZRP 1973, 98.<br />

15 Kingreen (Fn.11); E. Schmidt-Aßmann, Verfassungsfragen der Gesundheitsreform,<br />

NJW 2004, 1689; zu dieser Thematik grundlegend J. H. Kaiser, Die Repräsentation<br />

organisierter Interessen, 1956; Derselbe, Verbände, in: J. Isensee/P. Kirchhof,<br />

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, Heidelberg<br />

1987, 149, und die Beiträge bei: R. Steinberg (Hrsg.), Staat und Verbände. Zur Theorie<br />

der Interessenverbände in der Industriegesellschaft, 1985. Mit deutlich skeptischem<br />

Unterton: H.-H. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen. Die Durchsetzungsschwäche<br />

allgemeiner Interessen in der pluralistischen Demokratie, 1977; G. T.


192 Margrit Seckelmann<br />

WissR<br />

dung an den Souverän dann Fragen aufwirft, wenn diese nur noch durch<br />

sehr „lange und dünne Legitimationsketten“ oder ein sehr „weitmaschiges<br />

Normprogramm“ 16 erfolgt. Denn es handelt sich bei diesen Fragen um zentrale<br />

Fragen für das Gemeinwesen, die verfassungsrechtlichen Anforderungen<br />

wie der Wesentlichkeitstheorie genügen müssen. 17<br />

Hinsichtlich der Einsetzung des Deutschen Ethikrats als Nachfolgegremium<br />

des Nationalen Ethikrats wurde auf diese Kritik bereits teilweise<br />

reagiert und die Einsetzung dieses Gremiums per Gesetz vorgenommen<br />

sowie die Bestellung seiner Mitglieder durch den Bundestagspräsidenten<br />

vorgesehen. 18 Im Folgenden sollen jedoch derartige gesetzesvorbereitende<br />

(oder politikberatende) Ethikkommissionen nicht weiter betrachtet werden.<br />

Stattdessen soll hier die Rolle der Kommissionen bei der Vorbereitung<br />

von Verwaltungsentscheidungen, der sogenannten gesetzesausführenden<br />

Ethikkommissionen und vergleichbaren Körperschaften, analysiert<br />

werden. 19<br />

2. Input- oder Outputsteuerung?<br />

Die Einbindung standesrechtlicher Selbstbewertungsmechanismen in die<br />

staatliche Willensbildung wirft Probleme auf. Diese betreffen primär die<br />

Rückführbarkeit der Handlungen dieser Gremien auf den Volkswillen. In<br />

der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland stellt sich insbesondere<br />

die Frage nach der demokratischen Legitimation privater Expertenkorps,<br />

wie sie nach Art. 20 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes erforderlich ist. 20 Es<br />

W. Dietzel, Ein zweiter Sachverständigenrat? Zum voraussehbaren Defizit an Öffentlichkeit<br />

und politischem Gewicht beim Sachverständigenrat für Umweltfragen, ZRP<br />

1973, 98.<br />

16 So für den gemeinsamen Bundesausschuss: Kingreen (Fn.11), 880.<br />

17 Kingreen (Fn.11), 880, im Anschluss an H.-J. Papier, Der Wesentlichkeitsgrundsatz<br />

– am Beispiel des Gesundheitsreformgesetzes, VSSR 1990, 123 (137).<br />

18 Gesetz zur Einrichtung des Deutschen Ethikrats (Ethikratgesetz – EthRG) vom<br />

16. Juli 2007, BGBl. I/2007 (19. Juli 2007), 1385.<br />

19 Zum Gemeinsamen Bundesausschuss vgl. Kingreen (Fn.11).<br />

20 Dazu insbesondere die Kommentierung von K.-P. Sommermann, in: H. von<br />

Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage,<br />

Band 2 (Artikel 20 bis 82), 2005, 1; A. Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates,<br />

in: J. Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Band III, 3. Auflage 2006, 425 – 475; W. Brohm, Sachverständige Beratung<br />

des Staates, in: J. Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Band II, 1987, 207; P. Dagtoglou, Der Private in der Verwaltung<br />

als Fachmann und Interessenvertreter, 1964; G. T. W. Dietzel, Wissenschaft und<br />

staatliche Entscheidungsplanung. Rechts­ und Organisationsprobleme der Wissen­


41 (2008) Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

193<br />

stellt sich die Frage, inwieweit der Staat im biotechnologischen Zeitalter 21<br />

an dieser klassischen Form der „Inputsteuerung“ festhalten möchte, oder<br />

ob neue Richtigkeitsdimensionen neben der rechtsnormativen Legitimation<br />

zu erwägen sind. 22 In der rechtstheoretischen Diskussion wird derzeit<br />

die Frage aufgeworfen, ob es neben der „klassischen Form der Verwaltungsorganisation,<br />

die sich am Idealtypus der hierarchischen Ministerialverwaltung<br />

orientiert, noch andere Modelle der Verwaltungslegitimation<br />

geben kann“. 23 Diese werden entweder „klassisch“ unter dem Gesichtspunkt<br />

der funktionalen Selbstverwaltung (auf den im Weiteren noch zu<br />

sprechen zu kommen sein wird) begründet 24 oder durch weitere hergebrachte<br />

Formen der Staatsferne plural zusammengesetzter Gremien, insbesondere<br />

in den Bereichen, in denen grundrechtlich garantierte Spielräume<br />

bestehen. 25 Darüber hinausgehend werden in jüngerer Zeit neue<br />

Legitimationsmöglichkeiten vertreten und die Frage nach einer „Dynami­<br />

schaftlichen Politikberatung, 1978; H.-G. Dederer, Korporative Staatsgewalt. Integration<br />

privat organisierter Interessen in die Ausübung von Staatsfunktionen; zugleich<br />

eine Rekonstruktion der Legitimationsdogmatik, 2004; aus älterer Zeit: R.<br />

Breuer, Direkte und indirekte Rezeption technischer Regeln durch die Rechtsordnung,<br />

AöR 101 (1976), 46 (50 f).<br />

21 M. Seckelmann, Industrialisierung, Internationalisierung und Patentrecht im<br />

Deutschen Reich, 1871 – 1914, Frankfurt am Main 2006, 399; zu den Staatsaufgaben<br />

grundlegend: H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Auflage, Kronberg<br />

1977.<br />

22 W. Hoffmann-Riem, Governance im Gewährleistungsstaat – Vom Nutzen der<br />

Governance­Perspektive für die Rechtswissenschaft –, in: G. F. Schuppert (Hrsg.), Governance­Forschung.<br />

Vergewisserung über Stand und Entwicklungslinien, 2005, 195<br />

(210). Zum Governance­Begriff vgl. u.a.: M. Seckelmann, Keine Alternative zur Staatlichkeit<br />

– Zum Konzept der „Global Governance“, Verwaltungsarchiv 2007, 30.<br />

23 C. Möllers, Braucht das öffentliche Recht einen neuen Methoden­ und Richtungsstreit?,<br />

Verwaltungsarchiv 90 (1999), 187 (189).<br />

24 E. T. Emde, Die demokratische Legitimation funktionaler Selbstverwaltung.<br />

Eine verfassungsrechtliche Studie anhand der Kammern, der Sozialversicherungsträger<br />

und der Bundesanstalt für Arbeit, 1991, unter Bezug auf W. Brohm, Strukturen der<br />

Wirtschaftsverwaltung, 1969, 243 ff.; W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997,<br />

369 ff.; Derselbe, Funktionale Selbstverwaltung, Die Verwaltung 35 (2002), 349; P.<br />

Axer, Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Die Verwaltung 35<br />

(2002), 349; E. Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116<br />

(1991), 329 (376 ff.). Zum Komplex der funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften<br />

vgl. auch die Entscheidung des BVerfG zum Lippeverbandsgesetz, BVerfGE 107, 59.<br />

25 H.-H. Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher<br />

Institutionalisierung. Das Wissenschaftsrecht als Recht kooperativer Verwaltungsvorgänge,<br />

1994; Möllers (Fn. 22), 189.


194 Margrit Seckelmann<br />

WissR<br />

sierung des Rechtsstaatsprinzips“ 26 wie einem Wandel des Gesetzesvorbehalts<br />

27 gestellt.<br />

Damit ist die Frage nach dem Selbstverständnis des Staates und nach<br />

den Formen und Foren seiner Willensbildung aufgeworfen. Können im<br />

Zeichen der in jüngerer Zeit häufig diskutierten „Gewährleistungsverantwortung<br />

des Staates“ 28 neue Steuerungsformen erwogen werden? 29 Oder<br />

sind gar neue normative Maßstäbe für die „Richtigkeit“ von Verwaltungsentscheidungen<br />

denkbar?<br />

26 Möllers (Fn. 22), 190; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, Tübingen<br />

1994, 210 f.; neben anderen insbesondere: K.-H. Ladeur/T. Gostomzyk, Der Gesetzesvorbehalt<br />

im Gewährleistungsstaat, Die Verwaltung 36 (2003), 141; E.-H. Ritter, Organisationswandel<br />

durch Expertifizierung und Privatisierung im Ordnungs­ und Planungsrecht,<br />

in: W. Hoffmann­Riem/E. Schmidt­Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht<br />

als Steuerungsressource, 1997, 5 (40 f.); H. Schultze-Fielitz, Zeitoffene<br />

Gesetzgebung, in: W. Hoffmann­Riem/E. Schmidt­Aßmann (Hrsg.), Innovation und<br />

Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, 139 (149 f.).<br />

27 W. Hoffmann-Riem, Gesetz und Gesetzesvorbehalt im Umbruch. Zur Qualitäts­Gewährleistung<br />

durch Normen, Archiv des öffentlichen Rechts 130 (2005), 7.<br />

28 E.-H. Ritter, Das Recht als Steuerungsmedium im kooperativen Staat, in: D.<br />

Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, sinkende Steuerungsfähigkeit, 1990, 69;<br />

Ladeur/Gostomzyk (Fn. 25), 141; neben den bereits Erwähnten insbesondere: J.<br />

Masing, Grundstrukturen eines Regulierungsverwaltungsrechts. Regulierung netzbezogener<br />

Märkte am Beispiel Bahn, Post, Telekommunikation und Strom, Die Verwaltung<br />

36 (2003), 1; G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998; U. Di<br />

Fa b i o, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung<br />

und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), 237; M. Burgi, Funktionale<br />

Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999; C. Engel, Selbstregulierung im Bereich<br />

der Produktverantwortung, Staatswissenschaften und Staatspraxis 9 (1998), 535; sowie<br />

die Beiträge in: W. Berg u.a., Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept<br />

des Gewährleistungsstaats, 2001. Zum in diesem Zusammenhang diskutierten Begriff<br />

der „Regelungsstrukturen“ vgl. H.-H. Trute/W. Denkhaus/D. Kühlers, Regelungsstrukturen<br />

der Kreislaufwirtschaft zwischen kooperativem Umweltrecht und<br />

Wettbewerbsrecht, 2004; zur Möglichkeit „gubernativen Rechts“ vgl. A. von Bogdandy,<br />

Guber native Rechtsetzung. Eine Neubestimmung der Rechtsetzung und des<br />

Regierungs systems unter dem Grundgesetz in der Perspektive gemeineuropäischer<br />

Dogmatik, 2000.<br />

29 Zu dieser Problematik vgl. aus der Vielzahl der Beiträge: Hoffmann-Riem,<br />

Fn. 21, 210; C. Franzius, Die Herausbildung der Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung<br />

im Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2000; R. Steinberg/D.<br />

Schütze, Umweltverträgliche Technikgestaltung durch Recht, in: KritV 81 (1998), 255;<br />

M. Kloepfer, Recht ermöglicht Technik. Zu einer wenig beachteten Funktion des Umwelt­<br />

und Technikrechts, Natur und Recht 19 (1999), 417.


41 (2008) Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

195<br />

Während zuvor, nach dem klassischen legalistischen Modell, die Anforderungen<br />

an das Zustandekommen von Verwaltungsentscheidungen<br />

einer genauen Überprüfung unterzogen werden konnten, bei denen die<br />

Bindung an die rechtsnormativen Erfordernisse für die Rechtmäßigkeit<br />

der Ergebnisse bürgte (sogenannte Input­Steuerung), stehen nunmehr die<br />

Ergebnisse von Verwaltungsprozessen im Mittelpunkt der Betrachtung,<br />

deren Zielerreichung auch anhand quantitativer oder anderer Vorgaben<br />

(wie etwa der Effizienz des Ressourceneinsatzes) gemessen 30 werden<br />

kann. 31<br />

Eine besondere Vorreiterstellung innerhalb dieser Diskussion kommt<br />

– neben dem Umweltrecht 32 – in diesem Zusammenhang dem Wissenschaftsrecht<br />

zu, das in Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes von<br />

einer gewissen Staatsferne gekennzeichnet ist 33 und dessen anwendungsbezogene<br />

Elemente in jüngerer Zeit stark europarechtlich überformt werden.<br />

34 Hinzukommen die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe, etwa der<br />

Verweis auf die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in § 41<br />

AMG. Diese sogenannten „Technikklauseln“ wie auch andere Elemente<br />

30 Zur Komplexität der Verfahren zur Abschätzung des sogenannten impacts von<br />

Gesetzen vgl. beispielhaft: C. Böhret/G. Konzendorf im Auftrag des Bundesministeriums<br />

des Innern und des baden­württembergischen Ministeriums des Innern, Handbuch<br />

Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) – Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften,<br />

2001; Dieselben, Guidelines on Regulatory Impact Assessment (RAI)/Leitfaden<br />

zur Gesetzesfolgenabschätzung, 2004; Dieselben (im Auftrag der Deutschen<br />

Bundesregierung), Leitfaden Gesetzesfolgenabschätzung, 2000.<br />

31 Hoffmann-Riem, Fn. 21, 210.<br />

32 Hierzu beispielhaft: M. Kloepfer, Die europäische Herausforderung – Spannungslagen<br />

zwischen deutschem und europäischem Umweltrecht, in: Umweltrecht im<br />

Wandel – Bilanz und Perspektiven, 2002, 87 (109 f.).<br />

33 M. Fehling, Neue Herausforderungen an die Selbstverwaltung in Hochschule<br />

und Wissenschaft, Die Verwaltung 35 (2002), 399; H. C. Röhl, Staatliche Verwaltung in<br />

Kooperationsstrukturen. Organisationsrechtsfragen am Beispiel des Wissenschaftsrates<br />

und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Die Verwaltung 29 (1996), 487 (489);<br />

T. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999; Derselbe, Die<br />

Autonomie der Wissenschaft im europäischen Rechtsvergleich, 1992; J.-P. Schneider,<br />

Kooperative Verwaltungsverfahren, Verwaltungsarchiv 87 (1996), 38; grundlegend:<br />

Trute (Fn. 24); A. Benz, Kooperative Verwaltung. Funktionen, Voraussetzungen und<br />

Folgen, 1994; und die Beiträge bei: N. Dose/R. Voigt (Hrsg.), Kooperatives Recht, 1995;<br />

sowie die Beiträge in: D. Jansen (Hrsg.), New Forms of Governance in Research organizations,<br />

2007.<br />

34 Di Fabio (Fn. 26); G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen<br />

Union. Zur horizontalen und vertikalen Zusammenarbeit der europäischen Verwaltungen<br />

am Beispiel des Produktzulassungsrechts, 2004.


196 Margrit Seckelmann<br />

WissR<br />

einer dynamischen Risikosteuerung 35 setzen die Rechtsdogmatik unter<br />

Veränderungsdruck. 36<br />

II. Einzelfragen<br />

Unterzieht man das Handeln von Ethikkommissionen einer ökonomischsoziologischen<br />

Effizienzanalyse, so wird man diesen Gremien bescheinigen<br />

können, unter den gegebenen Umständen das bestmögliche Wissen über<br />

die technischen Risiken generieren zu können. Über diese Funktion der<br />

Wissensbeschaffung hinaus kommt diesen Kommissionen nicht nur eine<br />

Informations­, sondern auch eine Legitimations­ und Befriedungsfunktion<br />

zu, gerade wenn sie – wie im Arzneimittelrecht – die gesellschaftlichen<br />

Akteure oder deren Vertreter als Kommunikatoren in die Entscheidungsvorbereitung<br />

einbeziehen. 37 Demgegenüber kann aus juristischrechtsstaatlicher<br />

Perspektive durchaus hinterfragt werden, ob in Fragen,<br />

35 O. Lepsius, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung<br />

von Innovationen?, VVDStRL 63 (2004), 264; A. Scherzberg, Risikosteuerung<br />

durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovationen?,<br />

VVDStRL 63 (2004), 214; Derselbe, Risiko als Rechtsproblem, Verwaltungsarchiv 84<br />

(1993), 484 (497 f.); C. Engel, Rechtliche Entscheidungen unter Ungewissheit, in:<br />

Derselbe/J. Halfmann/M. Schulte, Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002,<br />

113 sowie die Beiträge von Scherzberg und Schulte in diesem Band; I. Spiecker gen.<br />

Döhmann, Staatliche Entscheidung unter Unsicherheit: Eine Analyse ökonomischer<br />

Entscheidungsmodule im öffentlichen Recht, in: M. Bungenberg u.a. (Hrsg.), Recht<br />

und Ökonomik, 44. AssÖR, 2004, 61 (77); R. Lukes, Probabilistische Risikoanalysen<br />

und Gentechnikrecht, Natur und Recht 1994, 157; F. Nicklisch, Das Recht im Umgang<br />

mit dem Ungewissen in Wissenschaft und Technik, NJW 1986, 2287; H. Hofmann,<br />

Technik und Umwelt, in: E. Benda/W. Maihofer/J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts,<br />

2. Auflage 1994, § 21 Rz. 24; U. K. Preuß, Risikovorsorge als Staatsaufgabe,<br />

in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, 301; N. Luhmann, Soziologie des<br />

Risikos, 1991; U. Beck, Risikogesellschaft, München 1986; sowie die Beiträge in A.<br />

Bora, Rechtliches Risikomanagement, 1999; M. Reinhardt, Die Überwachung durch<br />

Private in Umwelt­ und Technikrecht, AöR 1993, 618; E. Bohne, Staat und Konfliktbewältigung<br />

bei Zukunftstechnologien, NVwZ 1999, 1.<br />

36 Di Fabio (Fn. 26), Vorwort; R. Pitschas, Rechtliche Verfassung der Arzneimittelrisikokommunikation<br />

in der Europäischen Union und Staatshaftungsrecht, in: D.<br />

Hart/W. Kemmnitz/C. Schnieders (Hrsg.), Arzneimittelrisiken: Kommunikation und<br />

Rechtsverfassung, 1998, 202. B. Collatz, Die neuen europäischen Zulassungsverfahren<br />

für Arzneimittel. Insbesondere Verfahren und Rechtsschutz des Antragstellers und<br />

Zulassungsinhabers bei Zulassungsentscheidungen, 1996; G. Sydow, Externalisierung<br />

und institutionelle Ausdifferenzierung. Kritik der Organisationsformen in der EU­<br />

Eigenadministration, Verwaltungsarchiv 97 (2006), 1.<br />

37 Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, 428, nach: I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung.<br />

Verfahren zur Erarbeitung von Umwelt­ und Technikstandards,<br />

1995, 195.


41 (2008) Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

197<br />

welche die Nachhaltigkeit unserer Lebensgrundlagen betreffen, kooperative<br />

Lösungen tatsächlich das Mittel der Wahl sein können oder nicht eher<br />

zur terminologischen Camouflage der Entscheidungs­ oder zumindest<br />

Durchsetzungsvermeidungsstrategien von Regierung und Verwaltung<br />

dienen. 38<br />

1. Zur demokratischen Legitimation von Kommissionsentscheidungen<br />

Es wird oftmals die These vertreten, dass die Einsetzung von Kommissionen<br />

dazu geeignet ist, die Ergebnisse des so vorbereiteten staatlichen Handelns<br />

in besonderer Weise zu legitimieren. 39 Diese Aussage ist indes interpretationsbedürftig.<br />

In Wirklichkeit ist nämlich zwischen verschiedenen<br />

Formen von Legitimation zu unterscheiden: zwischen einer Herstellung<br />

demokratischer Legitimation, wie sie das Demokratieprinzip fordert,<br />

dann einem Grundrechtsschutz durch Verfahren 40 und schließlich der<br />

Schaffung gesellschaftlicher Akzeptanz 41 . Es ist – im Sinne der Jellinekschen<br />

Zwei­Seiten­Theorie – durchaus möglich, Staaten und ihr Handeln<br />

unter verschiedenen disziplinären Fragestellungen zu erfassen. 42 Für die<br />

Herstellung gesellschaftlicher Akzeptanz für Verwaltungsentscheidungen<br />

ist die Einsetzung von Ethikkommissionen ein taugliches Instrumentarium.<br />

Das AMG sieht für die Genehmigung von Arzneimitteln eine Kommission<br />

vor, die als eine Kombination eines idealtypischen Expertengremiums<br />

mit einem sogenannten „gesellschaftlichen“ Gremium 43 aufzufassen<br />

ist. Sie soll durch die Art ihrer Zusammensetzung den gesellschaftlichen<br />

Pluralismus abbilden und aufgrund des Sachverstands der in ihr vertretenen<br />

Forscher 44 eine Schadensprognose bei der Subsumtion neuer Vorha­<br />

38 G. Lübbe-Wolff, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht – Rechtsgrundsatz<br />

oder Deckmantel des Vollzugsdefizits?, Natur und Recht 1989, 295; Dieselbe, Das Kooperationsprinzip<br />

im Umweltrecht, in: A. Benz/W. Seibel (Hrsg.), Zwischen Kooperation<br />

und Korruption. Abweichendes Verhalten in der Verwaltung, 1992, 209.<br />

39 J. Ipsen, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen<br />

durch das Verwaltungsrecht, VVDStRL 48 (1990), 178 (202).<br />

40 BVerfGE 49, 89 (113); BVerfGE 53, 30 (65 f.); BVerfGE 84, 59 (66); BVerfGE 90,<br />

60 (196).<br />

41 Zur Akzeptanzschaffung: Ipsen (Fn. 39), 202.<br />

42 G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 1882, 158; Zu Jellineks<br />

Selbstverpflichtungslehre: M. Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations: The Rise<br />

and Fall of International Law 1870 – 1960, 2001, 198 ff.; Seckelmann (Fn. 20), 50 f.<br />

43<br />

K.-P. Sommermann, Gremienwesen und staatliche Gemeinwohlverantwortung<br />

– Eine Einführung, in: Derselbe, Gremienwesen und staatliche Gemeinwohlverantwortung,<br />

2001, 9.<br />

44<br />

C. Hérault-Hegge, Das Gebot staatlicher Nichtidentifikation und seine Auswirkungen<br />

auf das Arzneimittelversorgungsrecht – Ein Beitrag zur staatlichen Neutralität<br />

gemäß Art. 5 Abs. 3 GG, 2002.


198 Margrit Seckelmann<br />

WissR<br />

ben unter den „Stand der Wissenschaft“ und den „Nutzen“ der klinischen<br />

Studien als unbestimmte Rechtsbegriffe 45 vornehmen. 46<br />

Akzeptanzschaffung ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Herstellung<br />

demokratischer Legitimation, welche nur durch eine Rückführung<br />

des Handelns der Kommissionen auf ein Gesetz stattfinden kann. 47 Das ist<br />

jedenfalls dann der Fall, wenn die Handlungen dieser Kommissionen zu<br />

Grundrechtseingriffen führen können. Diese Möglichkeit ist durchaus gegeben.<br />

Es gehört zu den genuinen Aufgaben der Ethikkommission nach<br />

AMG, die Grundrechte dessen, der eine klinische Studie beantragt, des<br />

sogenannten Sponsors auf Berufsausübungsfreiheit und auf Wettbewerbsfreiheit<br />

(Art. 12 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1<br />

GG) sowie die Forschungsfreiheit der auf seiner Seite beteiligten Ärzte<br />

(Art. 5 Abs. 3 GG) mit widerstreitenden Grundrechten und anderen Werten<br />

von Verfassungsrang abzuwägen. Zu diesen gehören die Grundrechte<br />

der Patienten, Probanden und Bürger auf körperliche Unversehrtheit<br />

(Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und die Verpflichtung des Staates zur Wahrung<br />

ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). In Bezug auf Tierversuche ist<br />

die Staatszielbestimmung auf Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen<br />

und der Tiere (Art. 20a GG) zu beachten. 48<br />

a) Zur Rechtsnatur der Kommissionsvoten<br />

Die Rolle von Ethikkommissionen bei der Zulassung klinischer Prüfungen<br />

von Arzneimitteln am Menschen hat sich nach den unterschiedlichen<br />

Novellen des AMG gewaltig verändert. Die Rechtsnatur dieser Stellungnahmen<br />

der Ethikkommission war lange Zeit umstritten, da diese zwar<br />

nicht rechtlich, wohl aber oft faktisch die Entscheidung der Bundesoberbehörde<br />

vorwegnahmen, da ein Abweichen von den Voten der Ethikkom­<br />

45 Di Fabio (Fn. 26); zur Qualifikation dieser Klauseln siehe: R. Breuer, Gerichtliche<br />

Kontrolle der Technik, NVwZ 1988, 104; F. Nicklisch, Rechtsfragen der modernen<br />

Bio­ und Gentechnologie, Betriebsberater 1989, 1; R. Pitschas, Die Bewältigung<br />

der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht,<br />

DÖV 1989, 785.<br />

46 A. Unkelbach, Vorbereitung und Übernahme staatlicher Entscheidungen durch<br />

plural zusammengesetzte Gremien – Empirische und rechtliche Eckdaten des deutschen<br />

Gremienwesens auf Bundesebene –, 2001; W. Graf Vitzthum/T. Geddert-Steinacher,<br />

Der Zweck im Gentechnikrecht. Zur Schutz­ und Förderfunktion von Umwelt­<br />

und Technikgesetzen, 1990, 73; W. Richter, Gentechnologie als Regelungsgegenstand<br />

des technischen Sicherheitsrechts. Rechtliche Steuerung unter Bedingungen der Ungewissheit,<br />

1989.<br />

47 BVerfGE 49, 89 (131).<br />

48 W. Hoffmann-Riem, Gesetz und Gesetzesvorbehalt im Umbruch. Zur Qualitäts­Gewährleistung<br />

durch Normen, AöR 130 (2005), 7.


41 (2008) Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

199<br />

missionen schriftlich zu begründen war und gegebenenfalls einen Haftungsfall<br />

auslösen konnte. 49 Nach der 12. AMG­Novelle von 2004 und der<br />

auf ihrer Grundlage ergangenen GCP­Verordnung wurde der Gesetzeswortlaut<br />

deutlich verändert. Gemäß § 42 Abs. 1 des AMG und nach § 7<br />

Abs. 1 Satz 1 GCP­V hat der Sponsor einer klinischen Prüfung nunmehr<br />

einen „Antrag“ auf „zustimmende Bewertung“ an die Ethikkommission<br />

zu richten. Der Wortlaut spricht nunmehr dafür, dass die befürwortenden<br />

Stellungnahmen der Ethikkommissionen Verwaltungsakte sind. Die Behördeneigenschaft<br />

der Landesärztekammern wie der Universitäten ist gegeben,<br />

bei denen aufgrund der Landesgesetze die zur Ausführung des<br />

AMG zuständigen Ethikkommissionen eingerichtet wurden. Nach § 8<br />

GCP­V ergehen die Stellungnahmen nunmehr auch dem Sponsor und<br />

nicht nur der Behörde gegenüber, so dass sie Außenwirkung entfalten.<br />

Nach anderer Meinung ist indes nur ein negatives Votum einer Ethikkommission<br />

ein Verwaltungsakt, da dieses einen verfahrensabschließenden<br />

Schritt darstelle, der auch Außenwirkung entfalte, während ein befürwortendes<br />

Votum ein reines Verwaltungsinternum gegenüber der zuständigen<br />

Bundesoberbehörde darstelle. 50<br />

Dieser Ansicht ist jedoch nicht zuzustimmen. Die – durch eine systematische<br />

Gesamtschau der §§ 40 und 42 AMG mit den §§ 7 und 8 der<br />

GCP­Verordnung zu rechtfertigende – Einstufung des befürwortenden<br />

wie negativen Kommissionsvotums zum Verwaltungsakt erhöhte die<br />

Rechtsschutzmöglichkeiten der Beteiligten und sorgte zugleich (nach der<br />

hier vertretenen Auffassung) für Rechtsklarheit. 51<br />

49 Vgl. dazu: H.-H. Rupp, Sind Ethik­Kommissionen Rechtsausschüsse und ihre<br />

Voten Verwaltungsakte?, in: K.­H. Kästner/K. W. Nörr/K. Schlaich, FS für Martin<br />

Heckel, 1999, 839; K. Grupp, Rechtsschutz gegen Gremienentscheidungen, in: K.­P.<br />

Sommermann, Gremienwesen und staatliche Gemeinwohlverantwortung, Berlin<br />

2001, 133; Gramm (Fn. 64); Sommermann (Fn. 5); Sobota (Fn.5).<br />

50 Vgl. dazu: H.-G. Koch, Aufgaben und Verpflichtung der Ethik­Kommissionen<br />

– aus der Sicht des Rechts, in: Selbstkontrolle der Wissenschaft in der medizinischen<br />

Forschung. Erfahrungen und Perspektiven aus 25 Jahren Ethik­Kommission, 2006, 43<br />

so die frühere h.M. m.w.N.<br />

51 Wie hier: Rehmann/Greve, Arzneimittelgesetz, Kommentar, 3. Aufl., München<br />

2008, Vor §§ 40–42a, Rdnr. 7, ebenso Sander, Arzneimittelrecht, Kommentar, 45. Lfg.<br />

(Nov. 2007), Band 1, zu § 40 AMG, Rdnr. 10, E. Deutsch/A. Spickhoff, Medizinrecht,<br />

5. Aufl., Heidelberg 2003, Rdnr. 760; Seckelmann (Fn. 8), 224; zu diesem Komplex auch<br />

S. Meuser/J. Platter, Die Bewertung der klinischen Prüfung von Arzneimitteln durch<br />

die Ethikkommission – eine Verwaltungsentscheidung besonderer Art?, PharmR 2005,<br />

395 m.w.N.


200 Margrit Seckelmann<br />

WissR<br />

b) Zulässigkeit eines „weisungsfreien Raums“?<br />

Üben die Ethikkommissionen mithin als „Behörden“ Staatsgewalt aus, so<br />

ist nach der Herleitung ihrer demokratischen Legitimation, konkret also<br />

nach dem Beleihungsakt, zu fragen. Diese erfolgte im Arzneimittelgesetz<br />

unmittelbar durch Gesetz. Im AMG sind Zusammensetzung und Befugnisse<br />

der Ethikkommissionen umrissen und in den entsprechenden Landesgesetzen<br />

ausgestaltet worden, so dass hier grundsätzlich von einer personellen<br />

Legitimation auszugehen ist. 52<br />

Wenn man die Stellungnahmen der Ethikkommissionen nach AMG als<br />

Verwaltungsakte, also als eine Form staatlicher Machtausübung ansieht, so<br />

fragt sich, ob diese Gremien nicht als „weisungs­ oder ministerialfreie<br />

Räume“ 53 zu qualifizieren sind, die nur unter äußerst eingeschränkten Bedingungen<br />

zulässig sind. Denn sie stellen letztlich die Exekutivspitze wegen<br />

fehlender Ingerenzmöglichkeiten gegenüber dem Parlament verantwortungsfrei.<br />

Aus diesem Grunde ist die sachlich­inhaltliche Legitimation der<br />

Ethikkommissionen von besonderer Bedeutung, also ihre Weisungsabhängigkeit.<br />

Ausnahmen von diesem Erfordernis hat das Bundesverfassungsgericht<br />

nur in den Fällen zugelassen, in denen eine besondere funktionelle<br />

Rechtfertigung dafür gegeben und die Maßgeblichkeit des demokratischen<br />

Willens in diesen Verfahren sichergestellt ist. Von einer derartigen Rechtfertigung<br />

kann im Einzelfall dann ausgegangen werden, wenn eine effektive<br />

Aufgabenwahrnehmung eine gewisse Distanz zum Staat erfordert. In diesen<br />

Fällen muss jedoch der schwächer gewordene Strang sachlich­inhaltlicher<br />

Legitimation durch besondere Vorkehrungen zur personellen Legitimation<br />

kompensiert werden. 54<br />

Die Ethikkommissionen nach AMG sind aufgrund ihrer pluralen Abbildung<br />

der Gesellschaft und der in ihnen verkörperten Expertise ähnlich<br />

wie die Bundesprüfstelle als ein zulässiger Fall eines weisungsfreien Gremiums<br />

anzusehen. Ähnlich wie diese benötigen sie zur Beurteilung der<br />

ethischen Fragen des „Nutzens“ eines Arzneimittels eine gewisse Staatsferne,<br />

welche in Hinblick auf die betroffenen Grundrechte, insbesondere<br />

die ihrem Wortlaut nach vorbehaltlos gewährte Forschungsfreiheit zu<br />

rechtfertigen ist.<br />

52 Sommermann (Fn. 5).<br />

53 J. Oebbecke, Weisungs­ und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986,<br />

7; E. Klein, Die verfassungsrechtliche Dogmatik des ministerialfreien Raumes, Berlin<br />

1974; P. Füsslein, Ministerialfreie Verwaltung. Begriff, Erscheinungsformen und Vereinbarkeit<br />

mit dem Grundgesetz, Diss. Bonn 1972; Emde (Fn. 24).<br />

54 Sommermann, (Fn. 1); Oebbecke (Fn. 53).


41 (2008) Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

2. Zum Rechtsschutz gegen Kommissionsentscheidungen<br />

201<br />

Neben ihren also auch nach „klassischer“ Grundrechtsdogmatik zu rechtfertigenden<br />

Kompetenzen haben die Ethikkommissionen nach dem AMG<br />

relativ weitgehende verfahrensgestaltende Kompetenzen, die die Frage<br />

nach den institutionellen Korrektiven für ihre erweiterten Handlungsspielräume<br />

aufwerfen. Zu denken ist insbesondere an die Klagemöglichkeiten<br />

und an die weiteren institutionellen Vorkehrungen zur Schaffung<br />

von Transparenz, namentlich von Anhörungs­ und Beteiligungsrechten.<br />

Zunächst zum Rechtsschutz. Dieser stellt bei Kommissionsentscheidungen<br />

grundsätzlich ein Problem dar. Aus den unter 1 a) dargestellten<br />

Gründen wird hier allerdings davon ausgegangen, dass es sich bei den Entscheidungen<br />

der Ethikkommissionen nach AMG um Verwaltungsakte<br />

handelt. Der Wortlaut des § 42 Abs. 1 S. 1 AMG, dass die zustimmende Bewertung<br />

vom Sponsor bei der Ethikkommission zu beantragen ist und die<br />

Regelung in § 42 Abs. 1 S. 7 AMG, dass die zustimmende Bewertung nur<br />

aus bestimmten, enumerativ aufgeführten Gründen „versagt“ werden<br />

kann, spricht für eine Verpflichtungsklage. Im AMG finden sich allerdings<br />

keine Bestimmungen hinsichtlich eines Vorverfahrens gegen eine negative<br />

Stellungnahme der Ethikkommission. Letztlich wird hier auf § 68 Abs. 1<br />

S. 1 VwGO zurückzugreifen sein, da ein gesetzgeberischer Wille zu einem<br />

Auschluss des Vorverfahrens nach § 68 Abs. 1 S. 2 1. Alt. VwGO nicht zu<br />

erkennen ist.<br />

Ethik und Beurteilungsspielraum<br />

Hinsichtlich des Prüfungsumfangs ist zu erwägen, inwieweit die Ethikkommissionen<br />

über einen Beurteilungsspielraum gegenüber den Gerichten<br />

verfügen sollen. Für einen solchen spricht der Verweis auf die unbestimmten<br />

Rechtsbegriffe „der Erkenntnisse der Wissenschaft“ und des „Nutzens“<br />

nach § 41 Abs. 1 AMG. Ein Beurteilungsspielraum kann nach „klassischer“<br />

juristischer Dogmatik dann von den Gerichten anerkannt werden,<br />

wenn es sich um Prognoseentscheidungen oder um wertende Betrachtungen<br />

pluralistisch zusammengesetzter Gremien handelt. 55 Eine vergleichende<br />

Betrachtung mit dem Gentechnikgesetz ergibt etwa, dass der Zentralen<br />

Kommission für die biologische Sicherheit (ZKBS) bei der Bewertung<br />

von Freilandversuchen von den Gerichten aufgrund der in ihr<br />

vertretenen technischen Expertise ein Beurteilungsspielraum zuerkannt<br />

55 Hierzu insbesondere: R. Wahl, Risikobewertung der Exekutive und richterliche<br />

Kontrolldichte – Auswirkungen auf das Verwaltungs­ und das gerichtliche Verfahren,<br />

NVwZ 1991, 409.


202 Margrit Seckelmann<br />

WissR<br />

wird. 56 Dieser wird indes im Schrifttum jedoch zunehmend in Frage gestellt:<br />

Diese Stimmen warnen davor, dass die Kommissionen bei ihrer Bewertung<br />

von Risiken Rechtsschutzinteressen Drittbetroffener unter anderen<br />

Aspekten würdigen würden als ein Gericht, nämlich gerade aufgrund<br />

ihrer technischen Expertise, die sie mehr an den Fortschritten ihres Fachs<br />

als an den Gemeinwohlbelangen interessiert sein lassen könnte. Darüber<br />

hinaus bestehe in pluralistisch zusammengesetzten Gremien auch die Gefahr,<br />

dass Partikularinteressen ein überproportionales Gewicht erlangen<br />

können. 57<br />

Nebenbei bemerkt: Von „Ethik“ wird im AMG nicht gesprochen. Daran<br />

anschließend lässt sich die Frage stellen, inwieweit die Ethikkommissionen<br />

als eine Form neuer Kooperationsarenen wirklich noch „ethische“<br />

Fragestellungen bei der Prüfung der Erkenntnisse der Wissenschaft und<br />

des Nutzens beurteilen?<br />

3. Mögliche Korrektive<br />

Trotz dieser Bedenken wird hier in Hinblick auf die gewisse Staatsferne<br />

bei der Beurteilung klinischer Medizinstudien, die zumindest in Universitätskrankenhäusern<br />

nach Art. 5 Abs. 3 GG geboten erscheint, vom Vorliegen<br />

eines Beurteilungsspielraums ausgegangen. Das enthebt aber nicht der<br />

Frage, ob gegebenenfalls institutionelle Korrektive denkbar sind, um diese<br />

erweiterten Handlungsspielräume in demokratietheoretischer Hinsicht<br />

mit einem Gegengewicht 58 zu versehen. Nimmt man diese Frage ernst, so<br />

lässt sich an neue Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung denken oder an<br />

eine Ausweitung der Aktivlegitimation zum Vorgehen gegen Kommissionsentscheidungen.<br />

De lege lata steht diese dem „Sponsor“ des klinischen<br />

Versuchs, also einem Pharmaunternehmen, zu.<br />

Es ließe sich daran denken, in der Systemlogik der immer stärkeren<br />

Überformung des nationalen deutschen Rechts durch die Rechtsetzung<br />

56 OVG Hamburg, ZUR 1995, 93; OVG Berlin NVwZ 1995, 1023; VG Berlin<br />

NVwZ­RR 1994, 150; differenzierend: G. Hirsch/A. Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz<br />

(GenTG), Kommentar, München 1991, § 16, Rz. 57.<br />

57 S. Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht. Beurteilungsspielräume<br />

der Verwaltung gegenüber den Gerichten?, 2004; differenzierend: R. A. Kroh,<br />

Risikobeurteilung im Gentechnikrecht – Einschätzungsspielraum der Behörde und<br />

gerichtliche Kontrolle, DVBl. 2000, 103 f.; zu dieser Gefahr grundsätzlich: Sommermann<br />

(Fn. 5), Rz. 79.<br />

58 Überlegungen zu einem „Austarieren“ finden sich bei: A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip.<br />

Grundlagen einer prospektiven Ausgleichsordnung für die Folgen<br />

privater Freiheitsbetätigung – Zur Flexibilisierung des Verwaltungsrechts am Beispiel<br />

des Umwelt­ und Planungsrechts, 1999.


41 (2008) Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

203<br />

auf europäischer Ebene an eine Ausweitung der Beteiligungs­ und Klagerechte,<br />

etwa auch auf Betroffenenverbände, zu denken. 59 Demgegenüber<br />

stehen natürlich praktische Bedenken, vor allem die stetige Drohung der<br />

Pharmakonzerne mit einer „Abwanderung“ der Forschung in weniger<br />

stark reglementierte, aber nicht unbedingt dadurch „bessere“ Standorte<br />

(man denke an die englischen Probanden vor einigen Jahren). Auch werden<br />

in Deutschland Beteiligungs­ und Klagerechte derzeit unter dem Stichwort<br />

des „Bürokratieabbaus“ tendenziell „abgebaut“. 60 Dennoch erscheint<br />

eine solche Überlegung in Hinblick auf einen wünschenswerten Abbau<br />

von Informationsasymmetrien unter dem Gesichtspunkt der europarechtlich<br />

überformten Informationsfreiheitsrechte durchaus in dem Rahmen<br />

erwägenswert, in dem sich dieser mit den Grundrechten der an den arzneimittelrechtlichen<br />

Studien Beteiligten sachangemessen vereinbaren lässt. 61<br />

Derartige Änderungen würden aber de lege ferenda gegebenenfalls Umgestaltungen<br />

der jeweiligen Fachgesetze wie auch der Verwaltungsgerichtsordnung<br />

nach sich ziehen.<br />

III. Folgerungen für eine Rolle der Staatlichkeit<br />

im biotechnologischen Zeitalter<br />

Die Frage nach der Rolle von Ethikkommissionen im Arzneimittelrecht<br />

wirft letztlich die zentrale Frage nach dem Selbstverständnis des Staates in<br />

der biotechnologischen Informationsgesellschaft auf: Dieser hat – so die<br />

hier vertretene Ansicht – den Rahmen abzustecken und zu sichern, welcher<br />

durch die staatliche Verpflichtung auf die Wahrung der Menschen­<br />

59 Kloepfer (Fn. 37), 109 f.<br />

60 Hierzu kritisch: A. Guckelberger, Bürokratieabbau durch Abschaffung des Erörterungstermins?,<br />

DÖV 2006, 97.<br />

61 Nicht jede Verzögerung des Verfahrens durch Bürgerbeteiligung muss unbedingt<br />

zu einer „Verschlechterung“ des Verwaltungsverfahrens führen. So fällt die Durchführung<br />

von Beteiligungsverfahren anteilig gegenüber anderen Verfahrensschritten nicht<br />

deutlich ins Gewicht, dazu: J. Ziekow/M.-P. Oertel/A. Windoffer, Dauer von Zulassungsverfahren.<br />

Eine empirische Untersuchung zu Implementation und Wirkungsgrad<br />

von Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung, 2005. Zu den positiven Seiten einer<br />

Verzögerung der Einführung neuer Techniken durch die „katechontische“ Funktion<br />

des Verwaltungsrechts: B. Schlink, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen<br />

Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, VVDStRL 48 (1990), 233 (259 ff.); in<br />

diese Richtung argumentiert auch: Breuer (Fn. 43), 106, der in der gericht lichen Überprüfbarkeit<br />

der Beurteilungen technischer Sachverhalte durch Private ein notwendiges<br />

Korrektiv sieht, welches im Einzelnen „situationsadäquat“ (115) austariert werden<br />

muss.


204 Margrit Seckelmann<br />

WissR<br />

würde und den nachfolgenden Grundrechtekatalog sowie die weiteren<br />

Verfassungsprinzipien festgelegt wird. 62<br />

Es gehört mithin zu den Staatsaufgaben, dafür Sorge zu tragen, wie Wissen<br />

über technische Risiken bestmöglich generiert und wie zugleich erreicht<br />

werden kann, dass diese Expertise in die staatliche Willensbildung eingebunden<br />

wird. Zu den weiteren Aufgaben des Staates gehört auch die derzeit<br />

konkretisierungsbedürftige Verteilung der Haftungsrisiken zwischen den<br />

Ethikkommissionen und den Körperschaften, die diese einrichten, den<br />

Kommissionsmitgliedern sowie dem Staat. Der Staat ist nicht auf eine Risikovorsorge<br />

beschränkt. Er hat vielmehr immer auch eine Förderfunktion<br />

zu erfüllen. Diese ist im parlamentarischen Konsensbildungsprozess zu ermitteln,<br />

etwa durch Regelungen des Verwaltungsverfahrens, die für eine<br />

größtmögliche Transparenz und Kontrolle der Entscheidungen sorgen sollen.<br />

63 Hierzu gehören alle Maßnahmen, die dem Abbau von Informationsasymmetrien<br />

dienen können. Und als solche können auch die hier vorgestellten<br />

gesetzesausführenden Ethikkommissionen, trotz aller im Einzelnen<br />

äußerbarer Kritik, sich immer noch als die beste aller bislang erwogenen<br />

Modelle zur Risikoabschätzung im Arzneimittelrecht erweisen.<br />

Summary<br />

In Germany, as well as in other industrialised countries, ethics commissions play a central<br />

role for medical research. These panels have developed out of the Declaration of<br />

Helsinki which was adopted in 1967 by the World Medical Association. It provided for<br />

an inspection of experiments on human beings based on self­assessments enacted by a<br />

professional code of conduct. Since then, ethics commissions have increasingly developed<br />

from means of scientific self­assessment into institutionalised arenas of cooperation<br />

between science and public administration. As to the clinical assessment of<br />

drug tests on adult human beings, this outcome has been given a legal foundation by the<br />

Law on the Dealings with Medicaments (Arzneimittelgesetz) or the Medical Pro ducts<br />

Act (Medizinproduktegesetz). On the grounds of the Ordinance on Good Clinical<br />

Practice in the Performance of Clinical Tests Involving Drugs for the Treatment of<br />

Human Beings (GCP­Verordnung) which, in turn, is based on the amended Medical<br />

62 Seckelmann (Fn. 8); R. Pitschas, Allgemeines Verwaltungsrecht als Teil der öffentlichen<br />

Informationsordnung, in: W. Hoffmann­Riem/E. Schmidt­Aßmann/G. F.<br />

Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, 1993,<br />

219; zur „Technikbewältigung als Staatsaufgabe“ vgl. Ipsen (Fn. 39), 178.<br />

63 Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher (Fn. 46) , 26; W. Graf Vitzthum, Das Verfassungsrecht<br />

vor der Herausforderung von Gentechnologie und Reproduktionsmedizin,<br />

in: V. Braun/D. Mieth/K. Steigleder (Hrsg.), Ethische und rechtliche Fragen der Gentechnologie<br />

und der Reproduktionsmedizin, 1987, 236 (289 ff.); Würtenberger, Wandlungen<br />

in den privaten und öffentlichen Verantwortungssphären, in: JbRSoz. XIX<br />

(1989), 308 (319).


41 (2008) Institutionalisierte Sachverständige in Wissenschaft und Medizin?<br />

205<br />

Products Act, and under the influence of European law, ethics commissions are adjucated<br />

increasingly far­reaching competencies as to the shaping of procedures.<br />

Seen from the viewpoints of legal theory and of democracy theory, the role of ethics<br />

commissions is somewhat problematic. The higher the extent to which these commissions<br />

can affect the design of procedures, the more the boundary between counsel and<br />

decision­making is blurred. The legal qualification of the votes made by ethics commissions,<br />

as well as their implications for the possibility of legal action, are therefore<br />

issues of high importance. These concerns, along with general questions on the role of<br />

governments in the ethical assessment of scientific research in the age of biotechnology,<br />

are dealt with in this paper.


206 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

Alexander Reetz<br />

Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

auf dem „verfassungsrechtlichen Prüfstand“<br />

Mit Urteil vom 18.09.2007, X ZR 167/05 – „Selbststabilisierendes Kniegelenk“<br />

bestätigte der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Verfassungsmäßigkeit<br />

des § 42 Nr. 1 ArbEG. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass<br />

die Regelung im Hinblick auf neuheitsschädliche wissenschaftliche Spontanäußerungen<br />

und neuheitschädliche Offenbarungen, die der Wissenschaftler<br />

nachvollziehbar damit begründet, dass er die Folgen einer wirtschaftlichen<br />

Verwertung nicht verantworten kann, keine Anwendung finden<br />

kann. Er ist entgegen der Einschätzung des Bundesgerichtshofs zudem<br />

der Ansicht, dass die Mittelaufbringung der Hochschule aus dem Fundus<br />

der an ihr getätigten schutzfähigen Erfindungen nicht deren mit Verfassungsrang<br />

ausgestattete Funktionsfähigkeit betrifft und daher auch nicht<br />

dem institutionellen Garantiebereich des Art. 5 III 1 GG unterfällt.<br />

I. Einführung<br />

Der für Erfinderrechtsfragen zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs<br />

entschied mit Urteil vom 18.09.2007 1 , dass sich die Neuregelung<br />

des § 42 Nr. 1 ArbEG 2 im Rahmen der formellen Gesetzgebungskompetenz<br />

des Bundes nach Art. 73 I Nr. 9 GG halte und zudem nicht<br />

gegen Art. 5 III GG verstoße. Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt<br />

zugrunde: Der Kläger, habilitierter beamteter Direktor einer Abteilung<br />

für Kieferchirurgie mit einem Forschungsschwerpunkt in Biomechanik,<br />

beantragte festzustellen, dass er nicht dazu verpflichtet sei,<br />

die Offenbarung seiner Erfindung, eines „selbststabilisierenden Kniegelenks“,<br />

der beklagten Hochschule anzuzeigen oder zu melden. Er beabsichtigte,<br />

die Erfindung im Rahmen seiner Lehrtätigkeit bereits vor Ablauf<br />

der durch die Anzeige regel mäßig in Lauf gesetzten Zweimonatsfrist<br />

1 BGH, Urt. v. 18.09.2007 – X ZR 167/05, GRUR 2008, 140 – „Selbststabilisierendes<br />

Kniegelenk“; zuvor OLG Braunschweig, Urt. v. 10.11.2005 – 2 U 19/05, GRUR-RR<br />

2006, 178; LG Braunschweig, Urt. v. 02.02.2005 – 9 O 1060/03, MittdtPatAnw 2004,<br />

74. 2 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen vom 18.01.<br />

2002, BGBl. I S. 414.<br />

Wissenschaftsrecht Bd. 41 (2008) S. 206–231<br />

© Mohr Siebeck – ISSN 0948-0218


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

207<br />

den Studierenden zugänglich zu machen. Der Kläger vertrat die Ansicht,<br />

hierdurch in seinen Grundrechten verletzt zu sein. Die beklagte Hochschule<br />

kündigte dienstrechtliche Konsequenzen und die Prüfung von<br />

Schadensersatzansprüchen an.<br />

Auf den Antrag des Klägers bejahte der Bundesgerichtshof ein konkretes<br />

Feststellungsinteresse gemäß § 256 I ZPO und legte dezidiert Wert darauf,<br />

nicht über ein „abstrahierendes Feststellungsinteresse“ entschieden<br />

zu haben; 3 denn der Antrag des Klägers, konkret festzustellen zu lassen,<br />

dass er nicht verpflichtet sei, die Offenbarung seiner Erfindung „selbststabilisierendes<br />

Kniegelenk“ der Beklagten anzuzeigen oder zu melden, 4<br />

hing alleine von der abstrakten Gültigkeitsfeststellung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

ab. 5 Diese Regelung belasse dem Rechtsanwender genügend Spielraum,<br />

den Konflikt zwischen Publikationsinteressen des Hochschulwissenschaftlers<br />

und den Verwertungsinteressen der Hochschulen sachgerecht<br />

zu lösen. Eine Beeinträchtigung des Art. 5 III 1 GG sei durch die<br />

verfassungsrechtliche Garantie der Institution Hochschule und ihrer<br />

Funktionsfähigkeit gerechtfertigt, da sie die Mittelaufbringung der Hochschule<br />

auch aus dem Fundus der an ihr getätigten schutzfähigen Erfindungen<br />

betreffe. 6 Den Bedenken der Wissenschaftler, sie könnten durch die<br />

Neuregelung des § 42 Nr. 1 ArbEG in ihrer positiven Publikationsfreiheit<br />

beeinträchtigt sein, könne – wie es bereits das Bundesverfassungsgericht in<br />

seinem Kammerbeschluss aus dem Jahre 2004 andeutete 7 – jedenfalls dadurch<br />

Rechnung getragen werden, dass sich die zweimonatige Regelfrist<br />

bis auf wenige Stunden verkürzen kann.<br />

3 BGH GRUR 2008, 150 (Rdn. 4).<br />

4 Vgl. insoweit den Tatbestand des Berufungsurteils, auf den der BGH GRUR<br />

2008, 150 (Rdn. 4), Bezug nimmt, OLG Braunschweig, Urt. v. 10.11.2005, 2 U 19/05,<br />

GRUR-RR 2006, 178.<br />

5 Diese Gültigkeitsfeststellung ist hingegen nicht mit der Nichtigkeitsfeststellung<br />

des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 I GG, §§ 81, 31 II BVerfGG zu verwechseln.<br />

Nur jene Entscheidung hat Gesetzeskraft, eine Bindung der unteren Gerichte<br />

an das Urteil des Bundesgerichtshofs schließt Art. 20 III, 97 I GG aus, wenngleich<br />

keine Zweifel an der faktischen Präjudizwirkung bestehen.<br />

6 BGH GRUR 2008, 150, 152 (Rdn. 21).<br />

7 Vgl. BVerfG (K), 1 BvL 7/03 vom 12.03.2004, NVwZ 2004, 974.


208 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

II. Verfassungsrechtliche Überprüfung des § 42 Nr. 1<br />

i.V.m. § 24 II ArbEG<br />

Es soll im Folgenden überprüft werden, ob die Feststellungen zur Verfassungsmäßigkeit<br />

der Neuregelung mit der bisherigen Rechtsprechung des<br />

Bundesverfassungsgerichts übereinstimmen und aus der Sicht des Verfassers<br />

überzeugen können.<br />

1. Schutzbereich der positiven Publikationsfreiheit<br />

a. Sachlicher Schutzbereich<br />

Bei der Neuregelung des Hochschulerfinderrechts verortete der Gesetzgeber<br />

die positive Publikationsfreiheit in der Forschungsfreiheit (nicht: der<br />

Lehrfreiheit) des Art. 5 III 1 GG und befindet sich damit in Übereinstimmung<br />

mit der wohl herrschenden Auffassung. 8 Die Gegenauffassung zählt<br />

die Publikationsfreiheit zur Lehrfreiheit, 9 eine differenzierte Auffassung<br />

sieht die erstmalige Veröffentlichung als Bestandteil der Forschungsfreiheit,<br />

die lehrmäßige Wiedergabe hingegen als Lehre. 10 Jedenfalls stellt sie<br />

sich aber als ein eigenständiges und anerkanntes Element der Wissenschaftsfreiheit<br />

dar. 11<br />

Rückblickend betrachtet wurde schon während der Weimarer Reichsverfassung<br />

[WRV] die akademische Lehrfreiheit des Art. 142 WRV als<br />

Sonderrecht der Hochschullehrer (sog. gesteigerte Freiheit) angesehen, die<br />

sich im Rahmen ihres Beamtenverhältnisses nicht auf die Meinungsfreiheit<br />

des Art. 118 I WRV hätten berufen können. Hierin wurde ihre eigentliche<br />

Bedeutung gesehen. Häufig wurde die dogmatische Parallele gezogen,<br />

dass der Hochschullehrer eine ähnliche sachliche Unabhängigkeit gegenüber<br />

seinem Dienstherrn genieße wie der Richter. 12 Auch heute ist<br />

8<br />

Vgl. RegE, amtl. Begr. zu § 42 Nr. 1, BR-Drs. 583/01, S. 8 f. (entspricht BT-<br />

Drs.14/5975, S. 6).<br />

9 So BVerwGE 29, 77, 80 f.; H. D. Classen, Wissenschaftsfreiheit außerhalb der<br />

Hochschule(1994), S. 90; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig, GG I (5. Aufl. 2000), Art. 5<br />

Rdn. 102; vgl. nunmehr auch E. Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 (GW 2001) Rdn.<br />

29 f., der seine ursprünglich (vgl. die Altkommentierung Rdn. 29 f., 43) differenzierte<br />

Sichtweise offenbar nicht mehr weiterverfolgt.<br />

10<br />

Bei methodischer Erarbeitung und Bewertung ist sie zugleich Forschung und<br />

Lehre, Th. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit (1990), S. 274.<br />

11<br />

Allgemeine Ansicht, BVerfGE 35, 79 (113); zuletzt M. Kamp, Forschungsfreiheit<br />

und Kommerz (2004), S. 71, und Chr. Lux, Hochschulen und Wirtschaft (2002), S. 19 f.<br />

12<br />

So etwa K. Rothenbücher, VVDStRL 4 (1928), S. 6 (37 f.); G. Anschütz, Die Verfassung<br />

des Deutschen Reichs (14. Aufl. 1933), Art. 142 Anm. 4; siehe auch schon für die<br />

Hochschullehrer in Preußen, C. Bornhak, Hochschullehrer in Preußen (1901), S. 41 f.


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

209<br />

Wissenschaft ohne ihre Verbreitung durch die Publikation nicht denkbar.<br />

Die Publikation ist zur Erweiterung des objektiven, überindividuellen Bestandes<br />

an wissenschaftlichen Erkenntnissen 13 und mithin für den wissenschaftlichen<br />

Fortschritt von elementarer Bedeutung. 14 Eine Verwertungspräferenz<br />

des Wissenschaftlers, die zu einer Verzögerung der Publikation<br />

führt, ist nach bestrittener Auffassung für den Grundrechtsschutz unproblematisch;<br />

15 denn zum einen ist die Freiheit der Wissenschaft inhaltlich<br />

nicht auf die gemeinschaftsnützige Ausübung begrenzt. 16 Zum anderen<br />

führt auch die (verzögerte) Veröffentlichung nach Prioritätssicherung<br />

zu einem Meinungsaustausch innerhalb der scientific community. 17<br />

Umgekehrt stellt sich gerade auch die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen<br />

in neuheitsschädlicher Form, ohne auf die Verwertungsinteressen<br />

der Hochschule durch rechzeitige Schutzrechtsanmeldung Rücksicht<br />

zu nehmen, als eine von Art. 5 III 1 GG geschützte Verhaltensweise<br />

dar. Solche „drittschädigenden“ Verhaltensweisen werden in der Grundrechtsdogmatik<br />

zwar als Verstoß gegen das Gebot des „neminem laedere“<br />

in seiner grundrechtstatbestandsverkürzenden Variante diskutiert. 18 Hiergegen<br />

spricht jedoch, dass nicht jeder Übergriff in die Rechtssphäre eines<br />

Dritten dazu führen darf, dass Verhaltensweisen aus dem Tatbestand eines<br />

Freiheitsrechtes ausscheiden müssen, weil damit von vornherein die Entstehung<br />

von Grundrechtskollisionen ausgeschlossen wäre. Es ist system-<br />

13 Dies ist Ziel der Wissenschaft, vgl. dazu M. Blankenagel, Wissenschaft zwischen<br />

Information und Geheimhaltung (2001), S. 104 ff.; K. Hailbronner, Die Freiheit der<br />

Forschung und Lehre als Funktionsgrundrecht (1979), S. 262. Die Wissenschaftsfreiheit<br />

ist „Kommunikationsgrundrecht“, vgl. etwa R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG,<br />

Art. 5 III (1977) Rdn. 10; H. Wagner, NVwZ 1998, 1235, 1239.<br />

14<br />

Vgl. E.-J. Meusel, in: HbdWissTransfers (1990), S. 89 (92).<br />

15 Es handelt sich hierbei im eigentlichen Sinne um ein Problem der negativen<br />

Grundrechtsfreiheit; M. Blankenagel, Wissenschaft zwischen Information und Geheimhaltung<br />

(2001), S. 107; Chr. Lux, Rechtsfragen der Kooperation zwischen Hochschulen<br />

und Wirtschaft (2002), S. 19 ff.; Th. Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit<br />

(1991), S. 291 ff; sehen die Veröffentlichung als notwendige Bedingung<br />

für einen Grundrechtsschutz aus Art. 5 III 1 GG an.<br />

16 J. Fenchel, Negative Informationsfreiheit (1997), S. 62 und S. 53 ff.; M. Kamp,<br />

Forschungsfreiheit und Kommerz (2004), S. 72, haben dies für die negative Publikationsfreiheit<br />

bestätigt. Umgekehrt gilt auch für die positive Publikationsfreiheit, dass<br />

eine gleichzeitig bestehende Verwertungsabsicht unschädlich ist und diese gegebenenfalls<br />

als ein separates Interesse an anderen Grundrechten (Art. 12, 14 GG) zu messen<br />

ist.<br />

17<br />

So die vermittelnde Ansicht von I. Pernice, in: Dreier, GG I (2. Aufl.), Art. 5 III<br />

(Wissenschaft) Rdn. 31.<br />

18<br />

Umfassend zur Frage des Begriffs und der Existenz schutzbereichsimmanenter<br />

Grenzen der Freiheitsgrundrechte im Unterschied zu den sog. verfassungsimmanten<br />

Schranken, Th. Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“ (2005), S. 88 ff., S. 234.


210 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

und methodengerechter, solche Kollisionen auf der Schrankenebene zu<br />

lö se n . 19<br />

Den inhaltlichen Bezugspunkt der positiven Publikationsfreiheit bildet<br />

das Ergebnis wissenschaftlicher Tätigkeit auf jeder Stufe der Vollendung<br />

wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Voraussetzungen des Wissenschaftsbegriffs,<br />

auf den hier im Einzelnen nicht einzugehen ist, 20 müssen für die<br />

informative Verbreitung daher erfüllt sein. 21 Gegenstand der Wissenschaftsfreiheit<br />

sind „vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit<br />

beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei der<br />

Suche nach Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe“ 22 . Betrachtet<br />

man die Entwicklungsstadien der Veröffentlichung eines Forschungsergebnisses,<br />

so steht der Forscher bei Vorliegen eines Forschungsergebnisses<br />

zunächst vor der Wahl, ob er seine Forschung der Öffentlichkeit durch<br />

Preisgabe bzw. Verbreitung zugänglich machen möchte oder nicht. Hat<br />

der Forscher nach Bewertung seiner Ergebnisse eine Entscheidung zugunsten<br />

der Verbreitung getroffen, muss er entscheiden, zu welchem Zeitpunkt<br />

und in welchem Rahmen (Vortrag, Diskussion, Fachpublikation<br />

etc.) diese erfolgen soll. Schließlich muss er festlegen, in welcher Breite und<br />

Tiefe seine Ergebnisse preisgegeben werden sollen. Die Ausübungsmodalitäten<br />

sind hierbei umfassend geschützt, die Entscheidung über das „Ob“<br />

der Veröffentlichung aber nur insoweit, als die getroffene positive Entscheidung<br />

für die Vornahme der grundrechtlich geschützten Handlung<br />

durch Handlungshindernisse beeinträchtigt wird. 23<br />

19 So vor allem die Vertreter der herrschenden „weiten Tatbestandstheorie“, vgl. R.<br />

Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 289 ff.; W. Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation,<br />

S. 175, und zuletzt Th. Stemmler, Das „Neminem-leadere-Gebot“, S. 88 ff., mit<br />

umfassender Darstellung der Einwände gegen die „enge Tatbestandstheorie“.<br />

20 Zum Inhalt der Wissenschaftsfreiheit, vgl. BVerfGE 90, 1, 11 ff.; 35, 79, 112 f.; 47,<br />

327, 367 f.; lesenswert E. Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I (GW 2001) Rdn. 13 ff.<br />

21 Nach weit überwiegend anerkannter Definition des Wissenschaftsbegriffs handelt<br />

es sich bei Wissenschaft um „alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger<br />

Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“, so BVerfGE 35, 79, 113;<br />

47, 327, 367; BVerwGE 29, 77, 78 f.; 23, 112, 120, sowie u.a. R. Scholz, in: Maunz/Dürig,<br />

GG, Art. 5 III (1977) Rdn. 91; H. D. Classen, Wissenschaftsfreiheit außerhalb der<br />

Hochschule (1994), S. 74; R. Wendt, in: v. Münch/Kunig, GG I, Art. 5 Rdn. 100; Th.<br />

Oppermann, in: HStR VI (2. Aufl. 2001), § 145 Rdn. 10; H.-H. Trute, Die Forschung<br />

zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung (1994),<br />

S. 113 f.; Chr. Lux, Rechtsfragen der Kooperation zwischen Hochschulen und Wirtschaft<br />

(2002), S. 16 m.w.N; kritisch zu diesem „heteronomen Wissenschaftsbegriff“,<br />

aber mit beachtlichen Argumenten, E. Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I (GW<br />

2001) Rdn. 13 ff.<br />

22 Bzw. „Gegenstand der Forschungsfreiheit“, so BVerfGE 90, 1, 11 f.; 47, 327, 367 f.;<br />

35, 79, 113 f..<br />

23<br />

J. Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte (1993), S. 57; im


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

211<br />

Der positiven Publikationsfreiheit wird nach jüngsten Umfragen in<br />

Thüringen eine die Schutzrechtsinteressen immer noch überragende Bedeutung<br />

beigemessen. 24 An diesem Umstand konnte die Novelle des<br />

Hochschulerfindungsrechts offenbar bislang wenig verändern. Gleichwohl<br />

sollte auch die Schutzrechtsaktivität des Hochschulwissenschaftlers<br />

als möglicher Indikator für wissenschaftliche Leistungsfähigkeit nicht unterschätzt<br />

werden. Er könnte, als Faktor von beachtlicher Ambivalenz, für<br />

das Selbstergänzungsrecht in Berufungsverhandlungen eine zunehmende<br />

Rolle spielen und die wissenschaftsadäquate Bewertung des Bewerbers<br />

vor neue Herausforderungen stellen; denn einerseits kann es der wissenschaftlichen<br />

Reputation des Bewerbers schaden, wenn er auf ein gewisses<br />

„Schutzrecht-Prestige“ verzichtete. Andererseits kann ein beachtliches<br />

Schutzrechtsportfolio darauf hindeuten, dass der Bewerber in der Vergangenheit<br />

insbesondere darauf bedacht war, wirtschaftlich von der staatlich<br />

finanzierten Forschung zu profitieren. Um von vornherein zu vermeiden,<br />

dass künftige Renditeerwartungen der Hochschule oder des Wissenschaftlers<br />

als wissenschaftsferne Erwägungen für eine Einstellungsentscheidung<br />

herangezogen werden, sollten sich die Berufungskommissionen<br />

in Selbstverzicht üben und Schutzrechtsaktivitäten schlicht ignorieren.<br />

b. Grundrechtsberechtigung<br />

Träger des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit ist jeder Einzelne, der<br />

wissenschaftlich tätig ist oder tätig werden will. 25 Damit ist die Grundrechtsberechtigung<br />

an den Tatbestand der wissenschaftlichen Betätigung<br />

„qualifikationsmäßig gebunden“. 26 Keine Schwierigkeiten bereitet es, den<br />

eigenverantwortlich handelnden Hochschullehrern im Rahmen ihrer<br />

hauptamtlichen wissenschaftlichen Aufgaben an der Universität die<br />

Grundrechtsträgerschaft zuzusprechen. Schwieriger ist diese bereits für<br />

das übrige wissenschaftliche Personal festzustellen, dessen hauptamtliche<br />

Betätigung statusmäßig an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Mit-<br />

Anschluss daran J. Fenchel, Negative Informationsfreiheit – zugleich ein Beitrag zur<br />

negativen Grundrechtsfreiheit (1997), S. 24.<br />

24 Haase/Lautenschläger, WissR 39 (2006), S. 137, 153, die insoweit auch auf eine<br />

Analyse von Hausberg u.a., Zur Einführung der Neuheitsschonfrist im Patentrecht –<br />

ein USA-Deutschland-Vergleich bezogen auf den Hochschulbereich (2002), S. 1, rekurrieren.<br />

25 So BVerfGE 15, 256, 263 f.; 35, 79, 112; 90, 1, 12; vgl. die Parallele zur Kunstfreiheit<br />

BVerfGE 30, 173, 188; vgl. auch R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. III<br />

(1977) Rdn. 119 und Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 5 Abs. 3<br />

Rdn. 367.<br />

26 Dazu R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. III (1977) Rdn. 119.


212 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

gliedschaftsgruppe innerhalb der Hochschule geknüpft ist. Maßgebliches<br />

Kriterium für die Grundrechtsträgerschaft ist nicht die Zuordnung zu einer<br />

der in § 42 S. 1 HRG 27 genannten Mitgliedergruppen der wissenschaftlich<br />

Beschäftigten, sondern die konkrete Ausgestaltung ihrer Aufgabenstellung,<br />

welche je nach Funktionsausübung ein mehr oder weniger an<br />

wissenschaftlicher Eigenverantwortung aufweist. 28 Hierbei kann es als<br />

ein wichtiger Indikator für die Grundrechtsberechtigung gelten, ob die<br />

Tätigkeit „selbständig“ wahrgenommen wird oder lediglich als „Mitwirkung“.<br />

29<br />

Sowohl die Feststellung der Grundrechtsberechtigung als auch die<br />

Bestimmung des Maßes an Selbständigkeit bei der wissenschaftlichen<br />

Arbeit hat weitreichende Konsequenzen für die positive und negative<br />

Publikationsfreiheit in Hochschulerfindergemeinschaften; denn bei der<br />

Entscheidung über die Publikation von Forschungsergebnissen handelt<br />

es sich um ein unteilbares besonderes Persönlichkeitsrecht, das entgegen<br />

beachtlicher Literaturstimmen 30 nicht dem Recht der Bruchteilsgemeinschaft<br />

gemäß § 741 ff. BGB unterliegt. 31 Es ist eine Funktionsbedingung<br />

der Wissenschaft, dass sich der forschungsverantwortliche Wissenschaftler<br />

hinsichtlich der Publikationsentscheidung gegenüber kollidierenden<br />

Publikations- und Geheimhaltungsinteressen „nachgeordneter“ 32 Wissenschaftler<br />

durchsetzen können muss, auch wenn sich letztere ebenfalls<br />

auf Art. 5 III 1 GG berufen können. Hierbei handelt sich um immanente<br />

Beschränkungen für den einzelnen Grundrechtsträger im Wissenschaftsbetrieb,<br />

die unvermeidbar sind und deshalb hingenommen werden müssen.<br />

33 Die institutionelle Garantie verhindert, dass sich andere Personen<br />

als der verantwortliche Forschungsleiter auch gegenüber der Hochschule<br />

auf ihre positive oder negative Publikationsfreiheit berufen können, so-<br />

27 Die im Wege der Föderalismusreform (Gesetz v. 28.8.2006, BGBl. I S. 2034) erfolgte<br />

Aufhebung des Art. 75 GG führt einstweilen dazu, dass das HRG aufgrund des<br />

Art. 125a I 1 GG als Bundesrecht fortgilt, aber nach S. 2 fortan im Wege der Landesgesetzgebung<br />

ersetzt werden kann.<br />

28 So auch R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. III (1977) Rdn. 121.<br />

29 So E. Denninger, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 I (GW 2001) Rdn. 30.<br />

30 Falck/Schmaltz, GRUR 2004, 469 ff.<br />

31 Zurecht kritisch auch D. Leuze, in: Reimer/Schade/Schippel/Kaube, ArbEG<br />

(8. Aufl. 2007), § 42 n.F. Rdn. 29a, ebenso für den umgekehrten Fall des Geheimhaltungsinteresses,<br />

Rdn. 33.<br />

32 Die echte Grundrechtskollision „gleichrangiger“ Hochschulwissenschaftler<br />

vermag § 42 Nr. 1 ArbEG nicht aufzulösen, da der Dienstherr gegenüber beiden Hochschulbeschäftigten<br />

gleichermaßen grundrechtsverpflichtet sein würde, vgl. dazu unten<br />

II. 4.<br />

33 Zu diesen Kriterien zuletzt BVerfGE 111, 333 (354); 35, 79 (122, 128); 47, 327<br />

(369 f.); 51, 369 (379); 55, 37 (68 f.).


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

213<br />

weit dies zu einer „Aushöhlung“ der Freiheiten des Forschungsverantwortlichen<br />

führen würde. Insoweit gilt die von Hailbronner aufgestellte<br />

Grundthese, dass der durch Art. 5 III 1 GG gewährleistete Freiheitsraum<br />

bei der Ausübung von Funktionen in Forschung und Lehre variiert, und<br />

zwar je nach der übertragenen Funktion. 34<br />

2. Die Beeinträchtigung der positiven Publikationsfreiheit<br />

durch § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

Als Beeinträchtigung der positiven Publikationsfreiheit des Wissenschaftlers<br />

kommen grundsätzlich zwei gesetzlich auferlegte Pflichten in Betracht:<br />

zum einen die jeden gemäß § 5 ArbEG treffende Mitteilungspflicht,<br />

zum anderen das vorübergehende Offenbarungsverbot des § 24 II ArbEG,<br />

das nur unter den Voraussetzungen des § 42 Nr. 1 S. 1 ArbEG keine Anwendung<br />

findet, vgl. § 42 Nr. 1 S. 2 ArbEG.<br />

a. Mitteilungspflicht gemäß § 5 ArbEG<br />

Bereits die Entstehung der Mitteilungspflicht gemäß § 5 ArbEG könnte<br />

eine zwar nur mittelbare, aber dennoch rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung<br />

der Wissenschaftsfreiheit darstellen; denn nur bis zu ihrem<br />

Entstehungszeitpunkt, namentlich der Fertigstellung der Diensterfindung,<br />

ist der Wissenschaftler völlig frei, seine Forschungsergebnisse ungehemmt<br />

zu veröffentlichen. Insofern wirkt die Mitteilungspflicht bereits<br />

auf die Publikationsfreiheit ein. Dieser könnte der Wissenschaftler nur<br />

durch die frühzeitige Veröffentlichung unfertiger bzw. nicht zur Erfindungsreife<br />

gelangter Forschungsergebnisse oder aber durch die Nicht-<br />

Fertigstellung der Erfindung entgehen. 35 Die frühzeitige Veröffentlichung<br />

vor Entstehung der Mitteilungspflicht des § 5 ArbEG stellt sich im Ergebnis<br />

aber als eine staatlich nicht zurechenbare Selbstbeeinträchtigung dar;<br />

denn dass sich aus der beamtenrechtlichen Stellung keine Beschränkungen<br />

des wissenschaftlichen Veröffentlichungsrechts ergeben können, ist bereits<br />

seit der Zeit der Weimarer Republik im Beamtenrecht anerkannt und<br />

ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums. 36 Die Entstehung<br />

34 K. Hailbronner, Die Freiheit der Forschung und Lehre als Funktionsgrundrecht<br />

(1979), S. 77 f., S. 263 f.: Die Tätigkeit des wissenschaftlichen Mitarbeiters ist „Mitwirkung“<br />

an einem fremden Forschungsprojekt, während dem Hochschullehrer die eigenständige<br />

Forschungstätigkeit als Dienstaufgabe bzw. Funktion „übertragen“ ist.<br />

35 Dieses Vorgehen wird von J. Hübner, WissR 38 (2005), S. 34, 38, als eine Strategie<br />

empfohlen, sich der Geheimhaltungsverpflichtung zu entziehen.<br />

36 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. III (1977) Rdn. 172; auch W.<br />

Thieme, Deutsches Hochschulrecht (2004), Rdn. 107, 117 f; dazu sogleich, unter 3. b.


214 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

der Mitteilungspflicht folgt aus der Fertigstellung der Erfindung und beinhaltet<br />

lediglich eine unselbständige Rechtsfolge, die keinen Anlass für<br />

eine Grundrechtsprüfung gibt.<br />

b. Geheimhaltungsverpflichtung gemäß § 42 Nr. 1 S. 1<br />

i.V.m. § 24 II ArbEG<br />

Hingegen stellt sich die für den grundrechtsberechtigten Hochschulbeschäftigten<br />

angeordnete Rechtsfolge des § 42 Nr. 1 S. 1 ArbEG, mit der<br />

Veröffentlichung einer Erfindung bis zum Ablauf einer regelmäßig zwei<br />

Monate andauernden Frist zu warten, als eine Beeinträchtigung seiner<br />

positiven Publikationsfreiheit dar; denn hierbei handelt es sich lediglich<br />

um eine zeitliche Verkürzung bzw. Modifizierung der in § 24 II ArbEG<br />

angeordneten Geheimhaltungsverpflichtung des Arbeitnehmers. Man<br />

kann darüber streiten, ob diese Beeinträchtigung erheblich genug ist, um<br />

überhaupt Anlass für eine Grundrechtsprüfung geben zu können. 37 Eine<br />

Bagatellisierung unterhalb der Eingriffsschwelle wurde durch den Bundesgerichtshof<br />

zurecht verneint; denn der Forscher trägt das Risiko, ggf.<br />

in Regress genommen zu werden. Diesem wirksam zu begegnen, bedeutet:<br />

In dubio pro silentio. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.<br />

Hiervon zu unterscheiden sind intrinsische Verzögerungen des Wissenschaftsbetriebs,<br />

die in vielfältiger Hinsicht auftreten können: etwa in<br />

der Erkenntnis um die Unvollkommenheit des Forschungsergebnisses, in<br />

einer Gewissensentscheidung, Folgenabschätzungen, Selbstbestätigungszwängen,<br />

und sogar in Abstimmungsprozessen mit Forscherkollegen. Bei<br />

der Wartezeit bis zur Veröffentlichung einer Fachpublikation 38 handelt es<br />

sich ebenso um eine wissenschaftsimmanente Verzögerung.<br />

aa. Anwendung des § 42 Nr. 1 ArbEG bei einem geplanten<br />

Publikationsbedürfnis<br />

Für die Situation eines planbaren Publikationsbedürfnisses ist die Zurückhaltung<br />

gemäß § 42 Nr. 1 i.V.m. § 24 II ArbEG angeordnet, namentlich ein<br />

staatlicher Imperativ. Eine auch nur kurzzeitige Verzögerung durch die<br />

Geheimhaltungspflicht ist daher nicht für die positive Publikationsfreiheit<br />

lediglich prägend, sondern beschränkend. Die schiere Existenz der Regelung<br />

nötigt dem Wissenschaftler eine Risikoabwägung auf, die er am liebs-<br />

37 In diesem Sinne, Th. Beyerlein, NZA 2002, 1020, 1022.<br />

38 J. Hübner, WissR 38 (2005), S. 34, 38 m.w.N.; so auch BVerfG(K), NVwZ 2004,<br />

974, 975, da in der Regel „weder in der Forschung, noch in der Lehre die Offenbarung<br />

neuheitsschädlicher Publikationen ohne jeden Vorlauf erfolgt.“


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

215<br />

ten vermeiden würde. Er ist gezwungen, sich Gedanken darüber zu machen,<br />

inwieweit er der Anordnung zur Geheimhaltung unter Beachtung<br />

ihrer ratio legis, der Hochschule die Schutzrechtssicherung zu ermöglichen,<br />

gerade noch dadurch gerecht werden kann, dass er zwar etwas preisgibt,<br />

dies aber tunlichst, ohne den wesentlichen Grundgedanken seiner<br />

Erfindung in neuheitsschädlicher Form i.S.d. § 3 I PatG zu offenbaren.<br />

Auch muss er von sich aus darauf hinwirken, dass die Regelfrist von zwei<br />

Monaten ggf. zu seinen Gunsten verkürzt wird.<br />

(1) Verkürzung des Geheimhaltungszeitraums<br />

Die gesetzliche Beweislastentscheidung fällt – wie es der Bundesgerichtshof<br />

jüngst festgestellt hat 39 – zugunsten der Hochschulen aus. Er folgt damit<br />

der Ansicht J. Hübners 40 , dass der Hochschulwissenschaftler nach den<br />

allgemeinen Grundsätzen für das Publikationsbedürfnis beweispflichtig<br />

ist, um eine Verkürzung des zweimonatigen Regelgeheimhaltungszeitraumes<br />

zu erwirken. Dieses Risiko werde allerdings, so der Bundesgerichtshof,<br />

jedenfalls dadurch stark relativiert, dass der elektronische Verkehr<br />

Möglichkeiten eröffne, durch geeignete Maßnahmen, auch des Hochschulerfinders<br />

(sic!), Rechnung tragen zu können. Insofern sei zu beachten,<br />

dass eine prioritätswahrende Anmeldung durch den Dienstherrn bzw. den<br />

Arbeitgeber gemäß § 35 II i.V.m. § 34 III Nr. 1, 2 PatG nicht einmal erfordert,<br />

dass sie überhaupt schon die Formulierung von Schutzansprüchen<br />

(vgl. insoweit § 34 III Nr. 3 PatG) enthält, 41 so dass das Interesse des Dienstberechtigten<br />

an der Schutzrechtssicherung – freilich unter Inkaufnahme<br />

wirtschaftlicher Risiken – 42 gewahrt bliebe, auch wenn dies mit einer wesentlichen<br />

Verkürzung des Geheimhaltungszeitraumes einherginge. Überschreitet<br />

der Hochschulwissenschaftler bei seiner anschließenden Offenbarung<br />

jedoch den Rahmen des Mitgeteilten, so trägt er hierfür wiederum<br />

das volle Risiko, 43 nach verbreiteter Ansicht macht er sich gegebenenfalls<br />

schadensersatzpflichtig. 44<br />

39 BGH, GRUR 2008, 150, 153 (Rdn. 26).<br />

40 So J. Hübner, WissR 38 (2005), S. 34 (41 f.).<br />

41 So R. Kraßer, in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht (2004), Kap. IX/II Rdn. 75;<br />

auch A. Keukenschrijver, in: Busse, PatG, § 35 Rdn. 20; besonders treffend, die Ausführungen<br />

des BGH GRUR 2008, 150, 153 (Rdn. 25): es reicht hierfür aus, „die Erfindung,<br />

so wie sie bisher formuliert worden ist (…) mit Angaben einzureichen, die dem Anschein<br />

nach als Beschreibung anzusehen sind“.<br />

42 J. Hübner, Erfindungen von Beschäftigten an Hochschulen (2003), S. 121 f.<br />

43 So dezidiert der BGH GRUR 2008, 150, 153 (Rdn. 25).<br />

44 Bartenbach/Volz, ArbEG, § 42 Rdn. 96; G. Rother, in: Reimer/Schade/Schippel/<br />

Kaube, ArbEG, § 24 Rdn. 13; dies setzt indes voraus, dass der durch § 42 Nr. 1 modifi-


216 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

(2) Verlängerung des Geheimhaltungszeitraums?<br />

Für den Fall einer Verlängerung des Geheimhaltungszeitraums weist<br />

Leuze darauf hin, dass die Zwei-Monats-Frist offenbar recht häufig nicht<br />

unerheblich überschritten werde. Der unbestimmte Rechtsbegriff „rechtzeitig“<br />

im Rahmen des § 42 Nr. 1 ArbEG 45 ist insoweit von der Anzeige der<br />

Offenbarungsabsicht, die den Fristbeginn markiert, abhängig. Die Offenbarungsanzeige<br />

muss nach Auffassung von Bartenbach/Volz den Anforderungen<br />

des § 5 ArbEG genügen; 46 denn nur eine solche sichere dem<br />

Dienstherrn eine zuverlässige Beurteilung der Schutz- und Verwertungsfähigkeit.<br />

Diese Konsequenz ist wegen der aufgezeigten geringen Anforderungen<br />

an eine prioritätswahrende Schutzrechtsanmeldung indes nicht<br />

hinnehmbar. Die Grundrechtsberechtigung des publikationswilligen<br />

Hochschulwissenschaftlers aus Art. 5 III 1 GG führt dazu, dass sich die<br />

Hochschule im Hinblick auf die „rechtzeitige“ Offenbarungsanzeige –<br />

vorläufig – mit den Informationen begnügen muss, die für die Prioritätssicherung<br />

unmittelbar notwendig sind. Hierfür ist eine Erfindungsmeldung,<br />

die den Anforderungen des § 5 I, II ArbEG entspricht, nicht erforderlich<br />

und daher als unverhältnismäßig anzusehen.<br />

bb. Anwendung des § 42 Nr. 1 auch bei nicht planbaren<br />

„wissenschaftlichen Spontanäußerungen“?<br />

Die Option des Wegfalls der Anzeigepflicht lässt der Bundesgerichtshof<br />

ungeprüft, da er sich zu einer Stellungnahme richtigerweise nicht veranlasst<br />

sah. 47<br />

Dort, wo die Möglichkeit einer vorherigen Offenbarungsanzeige nicht<br />

besteht, etwa im Rahmen des Bedürfnisses zu wissenschaftlicher Spontanoffenbarung<br />

auf einem Symposion, müsste in der Konsequenz der Logik<br />

des erkennenden Gerichts der Hochschulwissenschaftler die Darlegungs-<br />

und Beweislast dafür tragen, dass ein dringendes Bedürfnis einer unaufschiebbaren<br />

Offenbarung bestand, damit das eigenmächtige Hinwegsetzen<br />

über die Geheimhaltungsverpflichtung nachträglich gerechtfertigt<br />

werden kann. 48 Hingegen wird in den Gesetzesmaterialien lediglich ein<br />

zierte § 24 II ArbEG eine verfassungsmäßige Schutznorm ist, deren Verletzung eine<br />

Schadensersatzpflicht gemäß § 823 II BGB auslöst.<br />

45 D. Leuze, in: Reimer/Schade/Schippel/Kaube, ArbEG (8. Aufl. 2007), § 42 n.F.<br />

Rdn. 28.<br />

46<br />

Bartenbach/Volz, ArbEG, § 42 Rdn. 86, 91; § 13 Rdn. 7 ff.<br />

47<br />

BGH GRUR 2008, 150, 153 (27).<br />

48<br />

Daher zu recht kritisch, J. Hübner, WissR 38 (2005), S. 34 (42).


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

217<br />

„Interesse an der zügigen Veröffentlichung“ verlangt, nicht auch der Nachweis<br />

für ein dringendes Publikationsbedürfnis. 49<br />

Es stellt sich mithin die Frage nach einer teleologischen Reduktion.<br />

Denn eine einseitige Risikoverteilung zu Lasten des Hochschulerfinders<br />

wäre gerade bei einem unaufschiebbaren Offenbarungsinteresse unangemessen.<br />

Er dürfte seinem Forschungskonkurrenten nicht einmal öffentlich<br />

widersprechen, wenn letzterer gegen dessen entschiedene Überzeugung<br />

redete. Wenn die wissenschaftliche „Ehre“ auf dem Spiel steht, hätte<br />

er sie gegen die Schutzrechtsinteressen seiner Hochschule abzuwägen und<br />

– um ganz sicher zu gehen – gegebenenfalls in der entscheidenden Situation<br />

unterzuordnen. Ihn nötigt man dazu, auf eine Gegenäußerung zu<br />

verzichten und bezeichnet diese Selbstverständlichkeit ganz großmütig als<br />

sein „Recht“, vgl. § 42 Nr. 2 ArbEG. Entschlösse er sich später, darauf zu<br />

erwidern, lebte die Geheimhaltungsverpflichtung gemäß § 42 Nr. 1 i.V.m.<br />

§ 24 II ArbEG wieder auf.<br />

Der Verfasser hält eine Anwendung der Regelung auf ein als dringend<br />

empfundenes Offenbarungsbedürfnis deshalb für unangemessen. Auch<br />

ein Verzicht auf eine jedenfalls neuheitsschädliche Offenbarung wäre wegen<br />

der Risikoverteilung, über die sich der Wissenschaftler ganz kurzfristig<br />

klar werden müsste, nicht sachgerecht. Dem Hochschulwissenschaftler<br />

sollte ein Beurteilungsspielraum belassen werden. Hierfür streitet zumal,<br />

dass er in der Regel gleichermaßen daran interessiert ist, seine Erfindungen<br />

zu seinem eigenen finanziellen Vorteil zu verwerten. Schadet er seiner<br />

Hochschule durch eine neuheitsschädliche Offenbarung, dann schadet er<br />

sich zugleich auch selbst – zumindest finanziell. Prima facie dürften dann<br />

aber auch erhebliche Gründe für seinen Verzicht auf eine wirtschaftliche<br />

Verwertung und seine als notwendig empfundene Entscheidung für eine<br />

Offenbarung sprechen.<br />

cc. Keine Veröffentlichung ohne Verwertungsabsicht<br />

oder Flucht in die Geheimhaltung?<br />

Der Hochschulwissenschaftler muss sich nach der geltenden Rechtslage<br />

für eine Veröffentlichung ohne eigenen Einfluss auf die Verwertung oder<br />

aber für eine Geheimhaltung ohne Verwertung entscheiden. Veröffent-<br />

49 J. Hübner, WissR 38 (2005), S. 34 (42); der Hinweis auf D. Leuze, WissR 35 (2002),<br />

S. 348, 356 geht insoweit fehl; auch die amtliche Begründung zu § 42 Nr. 1 ArbEG verlangt<br />

lediglich (und insofern sicherlich missverständlich), dass ein „Interesse an einer<br />

zügigen Veröffentlichung“ bestehen muss, nicht aber, dass deren Dringlichkeit durch<br />

den Hochschullehrer auch nachgewiesen werden muss, s. den RegE, amtl. Begr. zu § 42<br />

Nr. 1, BR-Drs. 583/01, S. 9 (entspricht BT-Drs.14/5975, S. 6).


218 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

lichung ohne Verwertung setzt die Freigabeerklärung des Dienstherrn voraus.<br />

Im Einzelfall kann sich für den eigenverantwortlichen Hochschulerfinder<br />

indes die sozial-ethische Problematik stellen, ob er es für vertretbar<br />

hält, dass seine Erfindung über die Verwertung ein Zwischenglied in der<br />

Wertschöpfungskette der Industrie bilden oder aber auf anderem Wege<br />

nutzbringend an die Allgemeinheit weitergegeben werden soll. Zwar ist es<br />

richtig, dass es die Wissenschaftsfreiheit des Hochschulerfinders nicht gebietet,<br />

dass der Hochschullehrer auch Inhaber der Verwertungsrechte an<br />

seiner Erfindung bleiben muss. 50 Die Verwertungsentscheidung der Hochschule<br />

ist zunächst jedoch nur die mittelbare Folge einer durch den Wissenschaftler<br />

selbständig zu verantwortenden Offenbarungsentscheidung.<br />

Die wissenschaftliche Folgenverantwortung ist ein ganz wichtiger Bestandteil<br />

der Wissenschaftsfreiheit. Sie ist Ausprägung des Erfinderpersönlichkeitsrechts<br />

aus Art. 5 III 1 GG. Dass – wie der Bundesgerichtshof<br />

ausführt – der Hochschulerfinder seine Nichtnennung in den Patentveröffentlichungen<br />

(§ 63 I 3 PatG; Regel 18 der Ausführungsverordnung zum<br />

EPÜ) herbeiführen könne, wenn er sich ausschließlich durch von ihm<br />

pub lizierte Erfindungen in der Fachwelt einen Namen machen möchte, 51<br />

ändert nichts daran, dass der Wissenschaftler es in der Hand hat, ob die<br />

Erfindung überhaupt der Öffentlichkeit preisgegeben wird .<br />

Dem Erfinder bleibt also im Zweifel nur die Flucht in die Geheimhaltung<br />

(§ 42 Nr. 2 ArbEG). 52 Diese „wissenschaftsautonome“ Entscheidung<br />

ist nicht justitiabel. Die geltende Rechtslage muss vor allem dann als zutiefst<br />

unbefriedigend empfunden werden, wenn eine Veröffentlichung<br />

ohne Verwertung durchaus im Allgemeinwohlinteresse läge. Wer weiss,<br />

wie viele Erfindungen bereits alleine deshalb nicht offenbart worden sind,<br />

weil der Hochschulwissenschaftler die Folgen einer wirtschaftlichen Verwertung<br />

nicht verantworten wollte.<br />

Es ist daher erstrebenswert, de lege ferenda einen Mechanismus zur<br />

Verfügung zu stellen, der es dem Wissenschaftler ermöglicht, auf die Art<br />

50 So zutreffend bereits D. Leuze, in Reimer/Schade/Schippel, Das Recht der Arbeitnehmererfindung<br />

(7. Aufl. 2000), § 42 Rdn. 16.<br />

51 So der BGH, GRUR 2008, 150, 152 (Rdn. 20).<br />

52 Einige Autoren bestreiten, dass geheim gehaltene Forschungsergebnisse überhaupt<br />

in den Schutzbereich des Art. 5 III 1 GG fallen, andere Autoren möchten den<br />

Grundrechtsschutz von der Erfüllung weiterer subjektiver Voraussetzungen abhängig<br />

machen. Die hierzu vorgetragenen Argumente können allesamt nicht überzeugen. Ihre<br />

Darstellung würde jedoch den Rahmen sprengen, vgl. dazu die vorzüglichen Ausführungen<br />

von M. Kamp, Forschungsfreiheit und Kommerz (2004), S. 72 ff. und J. Fenchel,<br />

Negative Informationsfreiheit – Zugleich ein Beitrag zur negativen Informationsfreiheit<br />

(1997), S. 53 ff.


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

219<br />

der Verwertung oder ggf. einen Verzicht der Hochschule auf eine Kommerzialisierung<br />

Einfluss zu nehmen. Ihm sollte angeboten werden, die<br />

Entscheidung einer unabhängigen Ethik-Kommission oder Schlichtungsstelle<br />

einzuholen, und sich dieser unterwerfen. Dies wäre eine Chance für<br />

die Hochschule, die Geheimhaltung zu verhindern und zugleich eine Möglichkeit,<br />

ein wissenschaftsadäquates Verfahren für die Berücksichtigung<br />

sozial-ethischer Gesichtspunkte bei der Erfindungsverwertung zur Verfügung<br />

zu stellen. Zugleich würde der Wissenschaftler mit seiner Folgenverantwortung<br />

nicht alleine gelassen.<br />

Sollte der Hochschulwissenschaftler nach geltender Rechtslage trotz<br />

unterbliebener Anzeige von seiner positiven Publikationsfreiheit Gebrauch<br />

machen und auf diese Weise die Schutzrechtsentstehung verhindern,<br />

so wären Sanktionen gegen diese Entscheidung wohl an Art. 5 III 1<br />

GG zu messen, wenn der Wissenschaftler sich in nachvollziehbarer Weise<br />

auf seine wissenschaftliche Folgenverantwortung beruft. Den Gerichten<br />

bliebe nur eine Willkürkontrolle.<br />

dd. Zwischenergebnis<br />

Die Regelung des § 42 Nr. 1 S. 1 i.V.m. § 24 II ArbEG ist lediglich auf geplante<br />

Offenbarungsentscheidungen des Hochschulwissenschaftlers anzuwenden.<br />

Der Geheimhaltungszeitraum ist lediglich verkürzbar, nicht<br />

aber verlängerbar. Auf ein spontanes Offenbarungsbedürfnis des Wissenschaftlers<br />

sowie eine neuheitsschädliche Offenbarung, die der Hochschulwissenschaftler<br />

nachvollziehbar damit begründet, dass er die Folgen der<br />

Verwertung nicht verantworten kann, ist die Regelung nicht anwendbar.<br />

3. Bestehen einer Grundrechtsbegrenzung<br />

Bei den durchaus begrüßenswerten Anstrengungen der Gerichte, im Wege<br />

einer Verkürzung der Regelfrist bis auf wenige Stunden die Beeinträchtigungsqualität<br />

der gesetzlichen Anordnung abmildern zu wollen, wenngleich<br />

auch nicht eliminieren zu können, handelt es sich um Korrekturanstrengungen<br />

auf der Rechtfertigungsebene der Grundrechtsbeeinträchtigung.<br />

Die Forschungsfreiheit des Art. 5 III 1 GG ist ein vorbehalt-<br />

los gewährleistetes Grundrecht. Da sich das Begrenzungsmodell bzw.<br />

die „Gewichtungs- und Abwägungsmethode“ des Bundesverfassungsgerichts<br />

53 zur Lösung von Kollisionsproblemen auf der Verfassungsebene als<br />

53 Seit BVerfGE 28, 243 (261); auch 69, 1 (21) – Kriegsdienstverweigerung; s. auch<br />

BVerfGE 51, 324 (345 f.) – Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – bildet die-


220 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

geeignet herausgestellt hat und mit Nuancierungen auch in der Rechtsprechung<br />

des Bundesverwaltungsgerichts und der Rechtslehre übernommen<br />

wurde, 54 soll es hier ebenfalls für die Lösung der zu überprüfenden Kollisionsprobleme<br />

herangezogen werden. Speziell für das Grundrecht des<br />

Art. 5 III 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es seine<br />

Grenzen nicht nur in den Grundrechten Dritter finde, sondern in „Verfassungsbestimmungen<br />

aller Art“. 55 Nicht jedes verfassungslegitime Ziel ist<br />

für Beeinträchtigungen der positiven Publikationsfreiheit somit geeignet;<br />

es muss insofern „qualifiziert sein“, dass es als Rechtswert einer verfassungsrechtlichen<br />

Kollisionsnorm entnommen werden kann. Unter Verfolgung<br />

dieses Ziels vorgenommene Einschränkungen der positiven Publikationsfreiheit<br />

sind außerdem nur zulässig, „soweit sie unter Berücksichtigung<br />

der Anforderungen praktischer Konkordanz mit Rücksicht auf das<br />

betroffene Grundrecht unerlässlich sind“. 56 Der Bundesgerichtshof verortet<br />

das Schutzrechts- und Verwertungsinteresse in der verfassungsrechtlichen<br />

Garantie der Institution der Hochschule und ihrer Funktionsfähigkeit<br />

gemäß Art. 5 III 1 GG. Aber auch andere Kollisionsnormen kommen<br />

in Betracht. Bereits die zweite Kammer des ersten Senats beim Bundesverfassungsgericht<br />

hatte seinerzeit die Vorlage des Landgerichts Braunschweig<br />

insoweit beanstandet, dass sie sich lediglich mit kollidierenden Grundrechtspositionen,<br />

nicht aber mit der Funktionsfähigkeit der Hochschulen,<br />

Pflichten aus dem Beamtenverhältnis und anderen Gemeinwohlzielen von<br />

Verfassungsrang auseinandergesetzt hat. 57<br />

a. Art. 5 III 1 GG: Funktionsfähigkeit der Hochschulen<br />

Der Bundesgerichtshof ist der Ansicht, dass „die Mittelaufbringung der<br />

Hochschule auch aus dem Fundus der an ihr getätigten schutzfähigen Erfindungen<br />

deren mit Verfassungsrang ausgestattete Funktionsfähigkeit“<br />

betreffe. 58<br />

ses Modell die Leitlinie der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, vgl. hierzu eingehend<br />

K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2 (1994), S. 666 ff.<br />

54 So BVerwGE 87, 37, 45 f. m.w.N.; M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 (1994),<br />

S. 551 (dort FN 297 mit vielen Nachweisen); ders., Verfassungsrecht II: Grundrechte<br />

(2. Aufl. 2003), A 9 Rdn. 32.<br />

55 In der Entscheidung BVerfGE 30, 173, 193, ging es freilich um die Kunstfreiheit;<br />

um die Wissenschaftsfreiheit hingegen in BVerfGE 47, 327, 369; 57, 70, 99; zur Bezeichnung<br />

als „echte“ bzw. „unechte Grundrechtskollision“ vgl. K. Stern, in: Stern, Staatsrecht<br />

III/2 (1994), S. 608.<br />

56 Dezidiert M. Sachs, Verfassungsrecht II: Grundrechte (2. Aufl. 2003), A 9 Rdn.<br />

44 (ohne Hervorhebung im Original).<br />

57 BVerfG (K), NVwZ 2004, 974, 975.<br />

58 BGH GRUR 2008, 150, 152 (Rdn. 21).


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

221<br />

Schon das Bundesverfassungsgericht deutete mehrfach an, dass sich<br />

„mögliche Grenzen der Wissenschaftsfreiheit“ aus dem Gesichtspunkt<br />

der „Funktionsfähigkeit der Hochschule“ ergeben könnten. 59 Es benutzte<br />

den Begriff der „Funktionsfähigkeit“ bislang in verschiedenen Verwendungskontexten.<br />

Zum einen zog es in zwei Entscheidungen als Rechtfertigungsgrund<br />

für Beeinträchtigungen der Wissenschaftsfreiheit i.V.m. dem<br />

allgemeinen Gleichheitssatz, die als Grundrechte bei der Zugehörigkeit zu<br />

einer bestimmten Mitgliedergruppe und der Ausübung von Mitgliedschaftsrechten<br />

innerhalb der Hochschule berührt waren, „die – ihrerseits<br />

durch Art. 5 III 1 GG gebotene – Förderung der Funktionsfähigkeit von<br />

Hochschulorganen“ 60 heran. Eingriffe in die Koalitionsfreiheit von Tarifvertragsparteien<br />

durch gesetzliche Regelungen über die Befristung von<br />

Arbeitsverträgen (hier: §§ 57a ff. HRG i. d. F. des HFVG [BGBl. I S. 1065]<br />

vom 14.6.1984) wurden im Interesse der „Leistungs- und Funktionsfähigkeit<br />

der Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ als gerechtfertigt<br />

angesehen, da sie die „sachgerechte Förderung des wissenschaftlichen<br />

Nachwuchses“ sicher stellten. 61 In anderen Entscheidungen ging es um die<br />

Begrenzung des Zulassungsanspruches zum Studium im Rahmen vorhandener<br />

Ausbildungskapazitäten. Die freie Ausbildungswahl i.V.m. dem allgemeinen<br />

Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip konnte „zum<br />

Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes – der Funktionsfähigkeit<br />

der Universität als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines<br />

ordnungsgemäßen Studienbetriebs – und nur unter strenger Wahrung<br />

des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden“. 62 Später<br />

wurde der Terminus der „Funktionsfähigkeit der Universitäten“ um die<br />

Attribute „in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung, Lehre und<br />

Studium“ ergänzt 63 und schließlich auf die Formulierung „Funktionsfähigkeit<br />

des Wissenschaftsbetriebs“ verkürzt. 64 In seinem letzten hierzu ergangenen<br />

Beschluss des ersten Senats 65 hat es dargelegt, dass Art. 5 III 1<br />

GG eine „objektive, das Verhältnis von Wissenschaft, Forschung und<br />

Lehre zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm (vgl.<br />

BVerfGE 35, 79 [112]; stRspr)“ enthalte. Im Anschluss an das Hochschul-<br />

Urteil bestätigt es hierin seine Auffassung, dass der Staat für funktions-<br />

59 BVerfG (K), NVwZ 2004, 974, 975.<br />

60 BVerfGE 56, 192, 213 f.; 95, 193, 212.<br />

61 BVerfGE 94, 268, 285 ff..<br />

62 Zuerst BVerfGE 33, 303, 339 ff.; auch BVerfGE 54, 173, 191; 85, 36, 56.<br />

63 BVerfGE 54, 173, 191, im Anschluss an BVerfGE 33, 303, 339 ff.; 39, 258, 265 ff.;<br />

43, 34, 45; 43, 291, 325 ff.; später auch BVerfGE 66, 155, 179; 85, 36, 56.<br />

64 In BVerfGE 35, 79, 124, zuletzt BVerfGE 111, 333, 353.<br />

65 BVerfGE 111, 333, 353.


222 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

fähige Institutionen eines freien Wissenschaftsbetriebs sorgen und durch<br />

geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen muss, dass das individuelle<br />

Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung so weit unangetastet<br />

bleibt, wie das „unter Berücksichtigung der anderen legitimen<br />

Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen<br />

Beteiligten möglich ist“. 66<br />

Das Bundesverfassungsgericht gewährt dem Gesetzgeber im Hinblick<br />

auf den Umfang und die Form der Förderungspflicht einen breiten Gestaltungsraum.<br />

67 Die Förderung der Wissenschaft wurde bislang weit überwiegend<br />

durch die Finanzierung aus dem Staatshaushalt sowie öffentlichen<br />

und privaten Drittmitteln sichergestellt. Der körperschaftlichen<br />

Eigen finanzierung der Hochschulen wurde demgegenüber eine nur marginale<br />

Bedeutung zuteil. 68 Die staatlicherseits nahezu monopolisierte Finanzierung<br />

der Hochschulen hatte deshalb eine so große Bedeutung, weil<br />

„ohne entsprechende finanzielle Mittel, über die im wesentlichen nur noch<br />

der Staat verfügt, heute in weiten Bereichen der Wissenschaften […] keine<br />

unabhängige Forschung und wissenschaftliche Lehre mehr betrieben werden<br />

kann […]; eine Ausübung der Grundfreiheiten ist hier notwendig mit<br />

der Teilhabe an staatlichen Leistungen verbunden“ 69 . Durch die nunmehr<br />

geschaffene Möglichkeit der hochschuleigenen Verwertung von Forschungsergebnissen<br />

könnte die staatlicherseits nahezu monopolisierte<br />

Forschungsfinanzierung geschwächt und gleichzeitig die Aufgabe der<br />

Hochschulen gestärkt worden sein, der individuellen Wissenschaftsfreiheit<br />

ein gedeihliches, d.h. vor allem staatsfreies „Zentrum der Hege und<br />

Pflege“ 70 aus eigener Kraft zu verschaffen. Der Bundesgerichtshof betrachtet<br />

im Einklang mit dem Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages<br />

aus dem Jahre 2001 die neu eingeführte Regelung als einen Mechanismus,<br />

der dem Interesse der öffentlichen Hand Rechnung trägt, den<br />

Hochschulen aus der Verwertung der bei diesen anfallenden Erfindungen<br />

Mittel zu erschließen. Insoweit gelte nichts anderes als bei der Mittelverteilung,<br />

bei der die Anknüpfung an die Bewertung wissenschaftlicher<br />

Qualität legitim ist. 71<br />

66 BVerfGE 111, 333, 353, im Anschluss an BVerfGE 35, 79, 115; 85, 360, 384; 93, 85,<br />

95.<br />

67<br />

Vgl. BVerfGE 81, 108, 116, worin – soweit ersichtlich – bereits ein Eingriff in die<br />

Kunstfreiheit durch den Abbau von Steuervergünstigungen abgelehnt wird („kein<br />

Vorrecht auf Steuerfreiheit jeder künstlerischen oder wissenschaftlichen Betätigung“).<br />

68<br />

U. Karpen, Wissenschaftsfreiheit und Hochschulfinanzierung, S. 41.<br />

69<br />

BVerfGE 35, 79, 115.<br />

70<br />

H. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz (3. Aufl. 2004), Art. 5 Rdn. 210.<br />

71<br />

BGH GRUR 2008, 150, 152 (Rdn. 21), unter Verweis auf BT-Drs. 14/7573, S. 2.


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

aa. Die Berechtigung an den erzielten Überschüssen aus der Verwertung<br />

223<br />

Dies wirft natürlich die Frage nach der Mittelberechtigung aus der Schutzrechtsverwertung<br />

auf. Diese müsste erstens bei den Hochschulen liegen.<br />

Zweitens müsste sichergestellt sein, dass die Hochschulen für eine wissenschaftsadäquate<br />

Verteilung der erzielten Einnahmen selbst sorgen können.<br />

Betrachtet man die Systematik des Arbeitnehmererfindungsgesetzes<br />

bei der Inanspruchnahme von Arbeitnehmererfindungen, so ist es regelmäßig<br />

der Arbeitgeber bzw. der Dienstherr, welcher gemäß §§ 6 I, 7 I ArbEG<br />

(i.V.m. § 40 f. ArbEG) die Diensterfindung unbeschränkt oder aber<br />

gemäß §§ 6 I, 7 II ArbEG beschränkt in Anspruch nehmen kann. Demgegenüber<br />

sind jedenfalls die öffentlichen Hochschulen i.d.R. nicht dienstherrenfähig,<br />

72 so dass sich nur für diese wenigen Ausnahmefälle, die durch<br />

das Landesrecht bestimmt sind, ein Inanspruchnahmerecht der Hochschulen<br />

unmittelbar aus der arbeitnehmererfindungsrechtlichen Regelung<br />

ergibt. Die mangelnde Dienstherrenfähigkeit müsste nach der Regelungssystematik<br />

des Arbeitnehmererfindungsgesetzes eigentlich zum Übergang<br />

der Erfinderrechte auf die Länder führen, welche damit auch im Hinblick<br />

auf die Erzielung von Verwertungserlösen berechtigt und verantwortlich<br />

wären.<br />

Gleichwohl sollen ausweislich der Gesetzesbegründung „die Hochschulen<br />

die Möglichkeit erhalten“, die Erfindungen zur Verwertung an<br />

sich zu ziehen. 73 Im Zusammenhang mit der besonderen Gesetzesbegründung<br />

zur Vergütungsregelung des § 42 Nr. 4 ArbEG wird deutlich, dass<br />

der Gesetzgeber den Mechanismus der sog. Drittel-Regelung, welche sich<br />

offenbar in der Praxis außeruniversitärer Forschungseinrichtungen bereits<br />

bewährt hatte, auf den Hochschulbereich übertragen wollte. 74 Damit<br />

verbleibt dem Hochschulerfinder bzw. der Erfindergemeinschaft ein Drittel<br />

des Patentverwertungserlöses, von dem die mit der Schutzrechtserwirkung,<br />

deren Aufrechterhaltung oder Verteidigung sowie der mit der Verwertung<br />

verbundenen Kosten nicht in Abzug gebracht werden. Für die<br />

Verwendung der bei den Hochschulen verbleibenden Erlöse werden keine<br />

gesetzlichen Vorgaben gemacht. Damit setzt der Gesetzgeber voraus, dass<br />

die Hochschulen die dort getätigten Erfindungen in Anspruch nehmen<br />

können sollen, wobei von den verbleibenden zwei Dritteln aus Verwer-<br />

72 D. Scheven, in: HbdWissR I (2. Aufl. 1996), § 11 S. 325 (351); M. -E. Geis, in: Heilbronner/Geis,<br />

HRG, § 58 (2001) Rdn. 14 – mit Ausnahme einiger Hochschulen Berlins<br />

sowie der Universität des Saarlandes; § 8 Abs. 1 und 2 SaarlUG: Dienstherrenfähigkeit<br />

aber nicht für Professoren.<br />

73 BT-Drs. 14/5975, S. 2 f.<br />

74 BT-Drs. 14/5975, S. 7 und passim.


224 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

tungserlösen letztlich auch die mit der Patentierung entstehenden Kosten<br />

bewältigt werden müssen. 75<br />

Deshalb billigt der Bundesgerichtshof, in Übereinstimmung mit den gesetzgeberischen<br />

Zielen, aber entgegen der Systematik des Arbeitnehmererfindungsgesetzes,<br />

der jeweiligen Hochschule, aus der die Erfindung<br />

stammt, das Verwertungsrecht zu. Die weitreichenden Schlüsse, die er im<br />

Hinblick auf den fiskalischen Nutzen der Hochschulen zieht, sind allerdings<br />

nicht haltbar: Es bestehen in der beabsichtigten Verteilung nach der<br />

sog. Drittel-Regelung, auch soweit sich diese in außeruniversitären Forschungseinrichtungen<br />

bewährt haben mag, aus prinzipiellen Gründen<br />

nicht unerhebliche Gefahren für die Hochschulforschung. Es liegt auf der<br />

Hand, dass durch die unmittelbare Gratifikation einer erfolgreichen Verwertung<br />

von Hochschulerfindungen eine Motivationslage für die Verlagerung<br />

von Forschungsschwerpunkten auf solche Gebiete geschaffen wird,<br />

bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen schnellen Transfer in die<br />

industrielle Verwertung besteht. Wenn auch die Hochschulen konkret<br />

profitieren, d.h. eine Verwertungsrendite erzielen, so kann sich dies in Zeiten<br />

der staatlichen Unterfinanzierung für die Grundlagenforschung nur<br />

negativ auswirken. Es fehlt an einem Mechanismus der wissenschaftsadäquaten<br />

Verteilung der Mittel. Die Drittel-Regelung mag als gerecht empfunden<br />

werden, wo Forschungseinrichtungen nicht auch zur Grundlagenforschung<br />

verpflichtet sind. Die großzügige Verteilung der erzielten Einnahmen<br />

zielt dort nämlich darauf ab, einen „Incentive“ für die zielstrebige<br />

Erfindungstätigkeit zu geben. Soweit an den öffentlichen Hochschulen<br />

dieselben Wissenschaftler zugleich Grundlagen-, Drittmittel- und Auftragsforschung<br />

betreiben, wird die Verwertungspräferenz auf unheilsame<br />

Weise in den Vordergrund gerückt. Der Bundesgerichtshof legt nicht überzeugend<br />

dar, wie die Mittelerschließung überhaupt zur Stärkung der Autonomie<br />

der Hochschulen beitragen soll. 76 Im Gegenteil: Wenn sich die<br />

Hochschulen gegenüber dem Land eine größere Autonomie verschaffen<br />

wollten, so müsste dies um den Preis einer Vernachlässigung der Grundlagenforschung<br />

geschehen, da insofern ein Wettbewerb um die zusätzlichen<br />

Einnahmen aus der Erfindungsverwertung entfacht worden und die<br />

Grundfinanzierung als nicht leistungsbezogene Zuwendung ohnehin garantiert<br />

ist. 77<br />

75 Gegenüber den Vorstellungen des Gesetzgebers im Hinblick auf die Kostensituation<br />

deutlich pessimistischer K. Bartenbach/O. Hellebrand, MittdtPatAnw 2002,<br />

165, 169 f.; R. Bodenburg, F&L 2003, 601, 602, bezeichnet es als „komplexes Hochrisiko“.<br />

76 BGH GRUR 2008, 150, 152 (Rdn. 21).<br />

77 Ähnlich bereits D. Leuze, WissR 35 (2002), S. 348, 351 f.


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

bb. Kritische Beurteilung der Einnahmensituation<br />

225<br />

Für die Länderhaushalte entstehen indessen unmittelbare Kosten für<br />

Dienstleistungen zur Patentierung und Verwertung von Forschungsergebnissen.<br />

Es sind zudem mittelbare Kosten für den Aufbau eines hochschulspezifischen<br />

Patent- und Verwertungssystems entstanden. 78 Die<br />

optimistische Beurteilung der Einnahmesituation der Hochschulen aus<br />

Inanspruchnahme und Verwertung von Diensterfindungen wird in der<br />

Rechtswissenschaft ganz überwiegend kritisch bewertet. 79 Hierzu bildet<br />

die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ein deutliches Gegengewicht,<br />

zumal hier unbekanntes Terrain betreten worden ist. Es ist in diesem<br />

Zusammenhang auf eine mögliche Dichotomie zwischen dem angestrebten<br />

Gesetzeszweck und der tatsächlichen Einnahmesituation hinzuweisen.<br />

Zwar ist in Anbetracht der wohl noch bestehenden Neuartigkeit<br />

des § 42 ArbEG der insoweit eindeutigen Entstehungsgeschichte „erhebliches<br />

Gewicht“ beizumessen, die Regelung darf letztlich aber den „Vorstellungen<br />

und Erwartungen […], die in verschiedenen Äußerungen<br />

während des Gesetzgebungsverfahrens zum Ausdruck gekommen sind“,<br />

nicht (auch nicht „in Teilen“) zuwiderlaufen. 80 Das Bundesverfassungsgericht<br />

ist sehr wohl dazu bereit, Anspruch und Wirklichkeit einer gesetzlichen<br />

Neuregelung zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, je länger Beeinträchtigungen<br />

der positiven Publikationsfreiheit auf Kosten eines (angeblichen)<br />

Verwertungsinteresses hingenommen werden müssen. Daher<br />

kommt es durchaus in Betracht, die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers<br />

im Hinblick auf die zu erwartende Einnahmesituation kritisch<br />

zu betrachten.<br />

Bei aller Wertschätzung für den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers<br />

erscheint es nach Einschätzung von Post und Kuschka „äußerst zweifelhaft,<br />

ob die Patentinfrastruktur an den deutschen Hochschulen bereits<br />

in der Lage ist, den mit Sicherheit entstehenden Mehraufwand an Beratungs-<br />

und Informationsaktivität sowie an Verwaltungs- und Verwertungsaktivität<br />

zu bewältigen“. 81 Insbesondere sei zu beachten, dass die<br />

Hochschulen „an die haushaltsrechtliche Verpflichtung zu wirtschaftlichem<br />

und sparsamen Handeln (vgl. § 6 I, II HGrG, § 7 BHO, §§ 7, 90 Nr. 3<br />

NWHO)“, aber gleichzeitig auch an einer Verwertungspflicht aufgrund<br />

der Fürsorgepflicht gebunden sind. Hieraus folge, dass die Hochschulen<br />

78 BT-Drs. 14/5975, S. 3.<br />

79 Vgl. zu den möglicherweise beträchtlichen Auswirkungen des § 42 Nr. 4 ArbEG<br />

auf die öffentlichen Haushalte, K. Bartenbach/O. Hellebrand, MittdtPatAnw 2004,<br />

165, 169 f.; hierzu auch den Beitrag von St. Post/M. Kuschka, GRUR 2003, 494 ff.<br />

80 M. Sachs, DVBl. 1984, 73, 76.<br />

81 St. Post/M. Kuschka, GRUR 2003, 494.


226 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

(nur dann) zur wirtschaftlichen Verwertung verpflichtet sind, wenn dies<br />

wirtschaftlich sinnvoll erscheine. 82 Ebenso skeptisch wurde die Gegenfinanzierung<br />

des Schutzrechts- und Verwertungswesens an den Hochschulen<br />

von Bartenbach und Hellebrand bewertet. Sie stellen fest, dass gemäß<br />

§ 42 Nr. 4 ArbEG 30 Prozent der Verwertungseinnahmen als Vergütung<br />

ausgekehrt werden müssten, ohne Rücksicht darauf, ob Entwicklungskosten<br />

oder Schutzrechtskosten bereits eingespielt sind. 83 Hinzu müssten<br />

weitere Kosten „für die Schutzrechtserwirkung, die Schutzrechtsorientierung<br />

und gegebenenfalls auch für die Schutzrechtsverteidigung“ addiert<br />

werden. Alleine für die Schutzrechtsanmeldung handele es sich um Kosten<br />

im mindestens fünfstelligen Bereich, im Verteidigungsfalle könne ein<br />

sechsstelliger Eurobetrag für Gerichts- und Anwaltskosten leicht überschritten<br />

werden. 84<br />

Diese Einschätzungen liegen nun bereits mehrere Jahre zurück und es<br />

wäre interessant zu erfahren, ob zwischenzeitlich Überschüsse erzielt<br />

werden können. 85<br />

b. Art. 33 V GG: Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums<br />

Schließlich wird erwogen, grundrechtsbegrenzende Inhalte gegenüber der<br />

Publikationsfreiheit des Hochschulwissenschaftlers aus den hergebrachten<br />

Grundsätzen des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 V GG abzuleiten.<br />

Bereits die persönliche Reichweite der Begrenzungsregelung ist auf Berufsbeamte<br />

beschränkt. 86 Auf die Beschäftigungsverhältnisse der Angestellten<br />

findet Art. 33 V GG keine Anwendung. Demgegenüber ist § 42<br />

Nr. 1 i.V.m. § 24 II ArbEG auf alle Wissenschaftler anwendbar, die im Rahmen<br />

ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit publizieren möchten, und geht<br />

daher über die Begrenzungsreichweite des Art. 33 V GG hinaus. Aus mangelnder<br />

Kongruenz ist es daher schon gewagt, hierin eine Begrenzungsregelung<br />

erkennen zu wollen.<br />

Bei Art. 33 V GG handelt es sich um eine Begrenzungsregelung zu<br />

Art. 12 I 2 GG, um die Erfüllung staatlicher Befugnisse zu sichern. 87 Es ist<br />

82 St. Post/M. Kuschka, GRUR 2003, 494, 498.<br />

83 K. Bartenbach/O. Hellebrand, MittdtPatAnw 2004, 165, 169, berechnen, dass<br />

– ohne Berücksichtigung der laufenden Kosten der Hochschulen für Personal und die<br />

Entwicklung – die Verwertungserlöse das 1,43–fache der Schutzrechtskosten betragen<br />

müssen; s. auch St. Post/M. Kuschka, GRUR 2003, 494.<br />

84 Dazu im einzelnen K. Bartenbach/O. Hellebrand, MittdtPatAnw 2004, 165,<br />

170.<br />

85<br />

Insoweit auch kritisch, Haase/Lautenschläger, WissR 39 (2006), S. 137 (153).<br />

86<br />

M. Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 33 Abs. 5 Rdn. 42.<br />

87<br />

R. Heß, Grundrechtskonkurrenzen (2000), S. 240; ebenso für Art. 33 IV GG.


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

227<br />

deshalb fraglich, ob auf der Grundlage der hergebrachten Grundsätze des<br />

Berufsbeamtentums auch Einschränkung der positiven Publikationsfreiheit<br />

gerechtfertigt werden können. Dieser Auffassung ist offenbar Beyerlein,<br />

der resümiert, dass der beamtete Hochschullehrer dienstlich Erfahrenes<br />

grundsätzlich für sich behalten muss. Hierzu gehöre auch die dienstlich<br />

gemachte Erfindung, da diese mittels technischer und personeller<br />

Ausstattung der Hochschule und während der Arbeitszeit des Erfinders<br />

entstanden sei. 88 Zutreffend hat aber bereits Hübner bemerkt, dass die<br />

Wissenschaftsfreiheit nicht mit „zweckmäßigkeitsgesteuerten staatlichen<br />

Geheimhaltungsinteressen“ abgewogen werden kann.<br />

Es ist in der Tat zweifelhaft, ob wissenschaftliche Erfindungen und Erkenntnisse<br />

im Einzelfall Dienstgeheimnisse sein könnten. 89 So enthielt<br />

etwa § 6 des Hessischen Universitätsgesetzes in der Fassung des Änderungsgesetzes<br />

von 1974 (HUG [1974]) eine Verpflichtung der an Forschung<br />

und Lehre beteiligten Mitglieder und Angehörigen der Hochschule (allerdings<br />

in der Formulierung einer Soll-Vorschrift), bei Bekanntwerden von<br />

Forschungsergebnissen, die bei verantwortungsloser Verwendung erhebliche<br />

Gefahr für die Gesundheit, das Leben oder das friedliche Zusammenleben<br />

der Menschen herbeiführen können, die Universität entsprechend zu<br />

informieren. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bestimmung unter<br />

anderem deshalb für verfassungsmäßig erachtet, weil die zu schützenden<br />

Rechtswerte, um derentwillen die Informationsverpflichtung besteht, unmittelbar<br />

in grundrechtsbegrenzenden Verfassungsbestimmungen verankert<br />

sind. 90 Die vorübergehende Geheimhaltungsverpflichtung betrifft gerade<br />

den umgekehrten Fall der Verschwiegenheit und soll nach dem ausdrücklichen<br />

Willen des Gesetzgebers lediglich die Schutzrechtssicherung<br />

der Hochschule bewirken. Anders als bei der Informationsverpflichtung<br />

nach § 6 HUG [1974] ist der Geheimhaltungsverpflichtung nach § 42 Nr. 1<br />

i.V.m. § 24 II ArbEG kein „verfassungsrechtliches Schwellengewicht“ entgegenzusetzen.<br />

Sollte etwa aus ähnlich verfassungsrechtlich erheblichen<br />

Gründen wie bei der Informationsverpflichtung gemäß § 6 HUG [1974] ein<br />

besonderes Geheimhaltungsbedürfnis bestehen, so wäre die nur vorübergehende<br />

Geheimhaltungsverpflichtung im Übrigen auch untauglich, um<br />

die verfassungsrechtlich erheblichen Rechtsgüter wirksam gegen Publizität<br />

zu schützen. Ungeachtet der von Hübner bereits geäußerten Bedenken ist<br />

es auch deshalb abzulehnen, Art. 33 V GG als grundrechtsbegrenzende<br />

88 So Th. Beyerlein, MittdtPatAnw 2004, 74, 75 f.; dagegen zutreffend J. Hübner,<br />

WissR 38 (2005), S. 34, 48 f.<br />

89 In diesem Sinne auch F. Steinfort, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der<br />

Veröffentlichungsfreiheit des Wissenschaftlers (1987), S. 171 ff., 173 f.<br />

90<br />

BVerfGE 47, 327, 381 f.


228 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

Grundlage für die Geheimhaltungsverpflichtung nach § 42 Nr. 1 i.V.m. § 24<br />

II ArbEG heranzuziehen.<br />

Überdies entbehrt die Behauptung, die Geheimhaltungsverpflichtung<br />

des Hochschulwissenschaftlers sei ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums,<br />

jeglicher Grundlage. Bei diesen handelt es sich um Prinzipien,<br />

die für die Institution des Berufsbeamtentums prägend sind. Zum<br />

anderen beschränkt sich die Gewährleistung des Art. 33 V GG auf die Bewahrung<br />

des Tradierten. 91 Mindestens unter der Weimarer Reichsverfassung<br />

müssen die Grundsätze bereits als verbindlich anerkannt und gewahrt<br />

worden sein. 92 Die historische Untersuchung der Wissenschaftsfreiheit<br />

der Hochschullehrer 93 hat insoweit ergeben, dass Art. 142 WRV<br />

als maßgebliche historische Grundlage des beamtenrechtlichen Grundsatzes<br />

gerade die Freiheit der Publikation sichern und nicht verhindern sollte.<br />

Dasselbe galt im Grundsatz bereits unter Art. 20 der Preußischen Verfassungsurkunde<br />

von 1850 für die preußischen Landesteile. Gerade in der<br />

„gesteigerten“ Freiheit der wissenschaftlichen Publikationen haben sich<br />

die Hochschullehrer von den übrigen Beamten unterschieden, die sich im<br />

besonderen Gewaltverhältnis nicht auf die Meinungsfreiheit des Art. 118<br />

WRV berufen konnten. Der hergebrachte Grundsatz des Berufsbeamtentums<br />

beinhaltet im Bereich der akademischen Wissenschaftsfreiheit die<br />

Aussage: Die Publikationsfreiheit des Hochschullehrers bleibt durch das<br />

Beamtenverhältnis unberührt.<br />

c. Förderung des Wissens- und Technologietransfers<br />

als Gemeinwohlbelang von Verfassungsrang?<br />

Der Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE<br />

GRÜNEN vom 9.5.2001, der die Grundlage des späteren Regierungsentwurfes<br />

bildete, erhebt die Förderung des Wissens- und Technologietransfers<br />

gemäß § 2 VII HRG zu einem weiteren Anliegen der Reform. 94 Freilich<br />

müsste es sich bei der Förderung des Wissens- und Technologietransfers<br />

auch wiederum um ein Rechtsgut von Verfassungsrang handeln. Die Anlehnung<br />

Beyerleins an eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts in<br />

91 M. Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II (4. Aufl. 2000), Art. 33 Abs. 5<br />

Rdn. 44.<br />

92<br />

BVerfGE 58, 68, 76 f.; 46, 97, 117; auch BVerfGE 67, 1, 12.<br />

93<br />

Vgl. (nur) A. Reetz, Erfindungen an Hochschulen (2006), S. 43 ff. (für die preußischen<br />

Gebiete), S. 77 ff. (für das Reich in der Weimarer Republik).<br />

94<br />

So nur der Gesetzentwurf (nicht RegE [BR-Drs. 583/01 vom 17.8.2001]) der<br />

Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 9.5.2001, zu A., BT-Drs.<br />

14/5975, S. 2; fast wortgleich die Beschlussempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses<br />

im Dt. Bundestag vom 26.11.2001, BT-Drs. 14/7573, S. 2.


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

229<br />

dem sog. Hochschulurteil, dass die Wissenschaftsfreiheit anerkanntermaßen<br />

durch „andere legitime Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen“ begrenzt<br />

werden könne, 95 ist daher im Kontext der Grundrechtsbegrenzungsdogmatik<br />

unvollständig. 96 Hiernach kommt der Wissenschaftsfreiheit gegenüber<br />

„solchen mit ihr kollidierenden, gleichfalls verfassungsrechtlich geschützten<br />

Prinzipien nicht schlechthin Vorrang zu“ 97 . Es ist unter keinem<br />

Gesichtspunkt ersichtlich, warum es sich bei der Förderung des Wissens-<br />

und Technologietransfers zum Zwecke der gewerblichen Verwertung gerade<br />

um eine Aufgabe handelt, die den Hochschulen von Verfassung wegen<br />

obliegt.<br />

Nur ganz vereinzelt wird in der Rechtslehre angedeutet, dass sich aus<br />

der Kompetenznorm des Art. 73 Nr. 9 GG, welche mit dem Anliegen des<br />

Technologietransfers sachlich wohl am engsten verbunden ist, 98 ein grundrechtsbegrenzender<br />

Gehalt für die positive Publikationsfreiheit des Wissenschaftlers<br />

entnehmen ließe. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren<br />

Entscheidungen 99 auch den Kompetenztiteln des Grundgesetzes<br />

eine grundrechtsbegrenzende Aussage entnommen: Bereits in seiner ersten<br />

dazu getroffenen Entscheidung, in der es Art. 4 III 2 GG als untaugliche<br />

Regelung zur Begrenzung der Gewissensfreiheit eines Kriegsdienstverweigerers<br />

angesehen hat, stützte es Einschränkungen der Gewissensfreiheit<br />

auf bundesstaatliche Kompetenztitel. 100 Später stieß es nicht nur<br />

im Schrifttum, 101 sondern auch in den eigenen Reihen 102 auf Widerspruch.<br />

Aus der kompetentiellen Zuordnung des gesetzgeberischen Regelungsbedarfs<br />

alleine kann eine Befugnis auch zu Grundrechtseinschränkungen<br />

nicht abgeleitet werden; 103 denn insofern handelt es sich bei den Kompe-<br />

95 So Th. Beyerlein, MittdtPatAnw 2004, 74, 75, unter Nennung von Chr. Kannengießer,<br />

in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG (9. Aufl.), Art. 5 Rdn. 17; der Rückgriff auf<br />

BVerfGE 93, 85, 95; 35, 79, 115 unterschlägt, dass auch die legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen<br />

verfassungsrechtlich qualifiziert sein müssen, da diese im<br />

gleichgeordneten Zusammenhang mit den „Grundrechte(n) der verschiedenen Beteiligten“<br />

genannt werden, vgl. BVerfGE 35, 79, 115; bei BVerfGE 93, 85, 95, ging es um<br />

die Funktion der Hochschulen als „Ausbildungsstätten“, welche die Hochschulen neben<br />

der Wissenschaft zu erfüllen haben. Dies wird aber auch bei Chr. Kannengießer,<br />

aaO., ganz klar deutlich.<br />

96 Kritisch auch J. Hübner, WissR 38 (2005), S. 34, 45.<br />

97 BVerfGE 57, 70, 99; 47, 327, 368 f.<br />

98 J. Hübner, WissR 38 (2005), S. 34, 46.<br />

99 So vor allem in BVerfGE 28, 243, 261; 69, 1, 21 f.<br />

100 BVerfGE 28, 243, 261; dort u.a. auf Art. 73 Nr. 1, 87a GG.<br />

101 Zu den Nachweisen im Schrifttum vgl. etwa M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht<br />

III/2 (1994), S. 582 FN 439.<br />

102 Vgl. etwa die abweichenden Meinungen der Richter Mahrenholz und Böcken-<br />

förde, BVerfGE 69, 1, 57 ff.<br />

103 So in grundlegender Auseinandersetzung mit dem eben zitierten Sondervotum


230 Alexander Reetz<br />

WissR<br />

tenztiteln lediglich um die Zuweisung von gesetzgeberischen Regelungskompetenzen<br />

in der bundesstaatlichen Ordnung. 104 Die Art. 73 ff. GG<br />

enthalten Kompetenzbestimmungen, die in ihrer Wertigkeit nicht als äquivalent<br />

anzusehen sind 105 und zudem auch ganz unterschiedliche Bereiche<br />

des täglichen Lebens abdecken. Dass diese höchst unterschiedlichen, teils<br />

historisch gewachsenen Regelungsgegenstände, zur Begrenzung vorbehaltloser<br />

Grundrechte herangezogen werden könnten, würde die Sorgfalt,<br />

die in Anbetracht der Unterstellung eines ausdifferenzierten Schrankensystems<br />

üblicherweise bei der Auslegung von einfachen und qualifizierten<br />

Gesetzesvorbehalten geübt wird, als obsolet erscheinen lassen. Aus diesem<br />

Grunde ist, wie bei allen Kompetenzbestimmungen des Grundgesetzes,<br />

auch im Hinblick auf die Kompetenzverteilungsregel des Art. 73 Nr. 9 GG<br />

eine grundrechtsbegrenzende Wirksamkeit gegenüber allen Grundrechten,<br />

und mithin auch der positiven Publikationsfreiheit des Art. 5 III 1<br />

GG, grundsätzlich abzulehnen. 106<br />

4. Echte Grundrechtskollisionslagen<br />

Dass § 42 Nr. 1 i.V.m. § 24 II ArbEG Ausdruck gesetzgeberischer Konfliktauflösungsbemühungen<br />

ist, wird jedenfalls für die Situation gegenläufiger<br />

Publikations- und Geheimhaltungsinteressen eindeutig verneint. 107 Dies<br />

konzediert der Gesetzgeber selbst. 108 Dies gilt umso mehr, als sich in § 42<br />

ArbEG keine Regelung findet, die es erlauben würde, mit Rücksicht auf<br />

die negative Publikationsfreiheit anderer Grundrechtsträger die Veröffentlichung<br />

von Forschungsergebnissen durch veröffentlichungswillige<br />

Hochschulwissenschaftler endgültig zu verbieten; denn die Geheimhaltungsverpflichtung<br />

des § 42 Nr. 1 ArbEG besteht nur für einen relativ kurzen<br />

Zeitraum. Hiernach würde sich die positive Publikationsfreiheit gegenüber<br />

einem Geheimhaltungsinteresse letztlich immer durchsetzen, obwohl<br />

die Hochschulen gegenüber beiden Interessen gleichermaßen<br />

grundrechtsverpflichtet sind. Warum sich die positive gegenüber der negativen<br />

Freiheit immer durchsetzen soll, ist nicht erkennbar. Ebensowenig<br />

sowie dem Schrifttum, welches sich für eine generelle Annahme grundrechtsbegrenzender<br />

Gehalte der Kompetenztitel ausspricht, M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2<br />

(1994), S. 582 ff.<br />

104<br />

Epping/Lenz/Leydecker, Grundrechte (2004), Rdn. 75.<br />

105<br />

Epping/Lenz/Leydecker, Grundrechte (2004), Rdn. 75.<br />

106 So auch im Ergebnis F. Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung (1999),<br />

S. 61.<br />

107<br />

Th. Hoeren, WissR 38 (2005), S. 132, 138.<br />

108<br />

Vgl. den entsprechenden Hinweis in der Beschlussempfehlung und dem Bericht<br />

des Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/7573, S. 7.


41 (2008) Die Regelung des § 42 Nr. 1 ArbEG<br />

231<br />

erkennbar ist es, wie der parlamentarische Gesetzgeber diese Kollisionslagen<br />

abstrakt-generell auflösen sollte. 109 An dieser Stelle ist lediglich festzustellen,<br />

dass sich die rechtlich kaum zu bewältigende Pattsituation in den<br />

meisten Fällen als ein Scheinproblem entlarvt. Es ist kaum wahrscheinlich,<br />

dass mehreren Hochschulwissenschaftlern eine gleichzeitige und gleichrangige<br />

Verantwortung zur eigenständigen Durchführung desselben Forschungsvorhabens<br />

übertragen ist, ohne zugleich Verantwortungsbereiche<br />

klar abzugrenzen.<br />

III. Fazit<br />

Der Bundesgerichtshof hat sich weit in den Bereich des Hochschulpolitischen<br />

vorgewagt und die Chance nicht genutzt, die Neuregelung des § 42<br />

Nr. 1 ArbEG einer umfassenden verfassungsrechtlichen Überprüfung<br />

durch das Bundesverfassungsgericht zu unterziehen. Die Gültigkeit des<br />

§ 42 Nr. 1 ArbEG war für das Revisionsurteil alleine entscheidungserheblich,<br />

so dass sich die Option eines (erneuten 110 ) Vorlagebeschlusses hätte<br />

aufdrängen müssen.<br />

Summary<br />

This article discusses the recent findings of the German Federal Court of Justice on the<br />

constitutionality of Section 42 of the German Employee Invention Code (“Arbeitnehmererfindungsgesetz”)<br />

in its decision “Selbststabilisierendes Kniegelenk”. This author<br />

disagrees with the Court’s opinion that Section 42 recognizes the academic freedom<br />

protected under Article 5(3) of the German Constitution (“Grundgesetz”). Moreover,<br />

it is the author’s analysis that neither Article 5(3) nor any other provision of the German<br />

Constitution permit public universities to restrain the academic freedom of their employed<br />

scientists for the sole purpose of obtaining the right to patent and exploit their<br />

inventions. This author believes that Section 42 of the Employee Invention Code, in effect,<br />

infringes an individual’s academic freedom to disclose inventions to the scientific<br />

community freely and without being subject to any further obligations.<br />

109 Zu einem entsprechenden Handlungsauftrag, vgl. etwa BVerfGE 83, 130, 142.<br />

110 Zu einem solchen führte bereits der Rechtsstreit in der ersten Instanz. Dort<br />

wurde der Vorlageentschluss als unzulässig zurückgewiesen, da angeblich keine Entscheidungserheblichkeit<br />

bestanden hatte, vgl. Vgl. BVerfG (K), 1 BvL 7/03 vom<br />

12.03.2004, NVwZ 2004, 974.


232 Mario Martini<br />

WissR<br />

Mario Martini*<br />

Akkreditierung im Hochschulrecht – Institutionelle<br />

Akkreditierung, Programmakkreditierung,<br />

Prozessakkreditierung<br />

„Qualität ist das beste Rezept“. Mit diesem Slogan umwirbt nicht nur Dr.<br />

Oetker die backende Hausfrau. Die Losung ließe sich auch dem neuen<br />

Hochschulrecht als Leitmotiv überschreiben. Qualitätssicherung ist Teil<br />

eines neuen hochschulpolitischen Paradigmas. Hieß es früher noch, in Sachen<br />

Reformen seien die Hochschulen Friedhöfen gleich – an beiden Orten<br />

ließen Reformen die davon Betroffenen kalt –, zeichnet sich an deutschen<br />

Hochschulen in den vergangenen Jahren ein beispielloser Wandlungsprozess<br />

ab. Selten vollzogen sich so viele Veränderungen in der<br />

Hochschullandschaft – von der Juniorprofessur über die Stiftungsuniversität<br />

bis zur Exzellenz-Initiative – wie in den vergangenen Jahren. Die<br />

Qualitätssicherung ist eines ihrer jungen Kinder. Die Hochschulgesetze<br />

nehmen die Forderung nach Qualitätssicherung unisono in ihr legislatives<br />

Handlungsbesteck auf. „Die Arbeit der Hochschulen in Forschung und<br />

Lehre soll regelmäßig bewertet werden“, heißt es etwa in § 6 HRG 1 .<br />

Ihren Rückenwind und ihre politische Schwerkraft bezieht die Forderung,<br />

systematisch Instrumente zur hochschulübergreifenden Qualitätssicherung<br />

einzuführen, aus dem Bologna-Prozess 2 : Die Bildungsminister<br />

der wichtigsten europäischen Staaten haben sich auf das Ziel verständigt,<br />

die Vision eines gemeinsamen Bildungsraumes Europa zu verwirklichen,<br />

in dem sich die Studierenden möglichst frei von nationalen Hindernissen<br />

bewegen können. Es soll bis 2010 ein System leicht verständlicher und vergleichbarer<br />

Abschlüsse geschaffen werden: ein erster berufsqualifizierender<br />

Bachelor-Grad und ein Master-Grad. Die Gleichwertigkeit von Stu-<br />

* Mario Martini ist Privatdozent an der Bucerius Law School, Hamburg. Z. Zt.<br />

vertritt er den Lehrstuhl für Verwaltungswissenschaft, insbesondere Regieren und<br />

Verwalten im europäischen Kontext (Prof. Dr. Dr. h.c. Siedentopf), an der Deutschen<br />

Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer.<br />

1 Ähnlich § 7 Abs. 1 S. 1 bbg. HochschulG (sub specie der Lehre); § 5 Abs. 1 S. 1 bw.<br />

HochschulG; § 92 Abs. 2 hess. HochschulG; § 33 S. 1 HochschulG M-V; § 5 Abs. 1 nds.<br />

HochschulG; § 5 S. 1 rp. HochschulG; § 5 Abs. 1 saarl. UnivG; § 5 Abs. 1 s-h. HochschulG;<br />

§ 7 Abs. 1 Hochschulgesetz LSA; § 8 Abs. 1 thür. HochschulG.<br />

2 Vgl. zum Bologna-Prozess die Erklärung der europäischen Bildungsminister vom<br />

19.6.1999, abrufbar unter www.bologna-berlin2003.de (11.3.2008); v. Wulffen/Schlegel,<br />

NVwZ 2005, S. 890 ff.<br />

Wissenschaftsrecht Bd. 41 (2008) S. 232–252<br />

© Mohr Siebeck – ISSN 0948-0218


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

233<br />

dien leistungen soll dabei durch ein europaweit anwendbares Leistungspunktesystem,<br />

die sog. ECTS-Punkte, gewährleistet – und durch die<br />

Akkreditierung der Studiengänge und ihrer Abschlüsse gesichert werden.<br />

Bund und Länder nehmen die Forderungen des Bologna-Prozesses<br />

nach Akkreditierung ernst: Sie verstehen sie als zentralen Baustein eines<br />

hochschulübergreifenden Qualitätssicherungssystems in einer europäischen<br />

Architektur von Lehre und Studium. So heißt es etwa in § 7 des<br />

nordrhein-westfälischen Hochschulgesetzes: „Die Studiengänge sind nach<br />

den geltenden Regelungen zu akkreditieren und zu reakkreditieren. Die<br />

Aufnahme des Studienbetriebs setzt den erfolgreichen Abschluss der Akkreditierung<br />

voraus; die aus dem Akkreditierungsverfahren resultierenden<br />

Auflagen sind umzusetzen“.<br />

Akkreditierung, von „accredere“: Glauben schenken, beschreibt dabei<br />

allgemein die Durchführung eines Verfahrens, das darauf gerichtet ist, herauszufinden,<br />

ob ein Angebot bestimmten Qualitätsansprüchen genügt 3 .<br />

Die Akkreditierung fällt eine Entscheidung über die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen<br />

eines Hochschulangebots. Ihr Ziel ist es, in einem objektiven,<br />

transparenten und validen Prozess Verfahrenssicherheit und internationale<br />

wie nationale Anerkennung der Abschlüsse zu gewährleisten.<br />

Der Beitrag spürt der ökonomischen Logik der Akkreditierung nach<br />

(unten I.), ordnet sie als Phänomen in den Kontext neuerer vergleichba-<br />

3 Der Begriff findet dabei sowohl auf den Vorgang der Qualitätsprüfung eines zuzulassenden<br />

Produkts bzw. einer zuzulassenden Dienstleistung als auch auf die Auswahl<br />

der Prüfstelle selbst, die die Produkt- bzw. Dienstleistungsqualität prüfen darf,<br />

Anwendung. Da diese Inhaltsdopplung Verwechslungen und Missverständnisse provoziert,<br />

wäre es im Interesse terminologischer Klarheit ratsam, zwischen der „Zertifizierung“<br />

von Produkten und Dienstleistungen und der „Akkreditierung“ von Prüfstellen<br />

zu differenzieren. Im Bereich der Hochschulakkreditierung hat sich diese Unterscheidung<br />

– anders als in anderen Sachbereichen – jedoch de lege lata (noch) nicht<br />

durchgesetzt. Die Hochschulgesetze sprechen einheitlich von „Akkreditierung“. Dieser<br />

gesetzlichen Nomenklatur leistet der Beitrag Folge. Vgl. zum Begriff der Akkreditierung<br />

Erichsen, Grundlagen, Zielsetzungen, gegenwärtiger Stand und Zukunft des<br />

Akkreditierungswesens in Deutschland, in: Benz/Kohler/Landfried (Hrsg.), Handbuch<br />

Qualität in Studium und Lehre (Loseblatt; Stand: Okt. 2006), F. 1.1, S. 5; Fehling,<br />

Hochschule, in: ders./J.P Schneider/Voßkuhle, Handbuch des Regulierungsrechts,<br />

2008 Rdnr. 39 ff. (im Erscheinen); Künzel, Akkreditierung und Qualitätsmanagement,<br />

in: Deutscher Hochschulverband (Hrsg.), Qualität durch Akkreditierung, 2005, S. 51<br />

(52); Schade, RdJB 2000, S. 389 ff.; Markert/Konschak, Qualität der Lehre durch<br />

Akkre ditierung von Studiengängen, in: Anderbrügge/Epping/Löwer, Festschrift für<br />

Dieter Lenze zum 70. Geburtstag, 2003, S. 401 ff.; allgemein zu Akkreditierungen<br />

Bieback, Zertifizierung und Akkreditierung, 2008; Bretschneider (Hrsg.), Handbuch<br />

Akkreditierung von Studiengängen, 2. Aufl. 2007; Pünder, Zertifizierung und Akkreditierung,<br />

ZHR 170 (2006), S. 567 ff.; Voßkuhle, Strukturen und Bauformen neuer Verwaltungsverfahren,<br />

in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren<br />

und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 277 (318 ff.)


234 Mario Martini<br />

WissR<br />

rer Entwicklungen sowie verwaltungswissenschaftlicher Steuerungskonzepte<br />

ein (unten II.) und schlüsselt ihre Erscheinungsformen und Konzeptionen<br />

auf (unten III.), um anschließend ihre verfassungsrechtlichen Anforderungen<br />

und Grenzen abzustecken (unten IV.). Ein Blick auf die<br />

aktuellen Entwicklungen zur Systemakkreditierung schließt die Überlegungen<br />

ab (unten V.).<br />

I. Ökonomische Ratio und Genese der Akkreditierung<br />

im Hochschulrecht<br />

Die Bemühungen um Qualitätssicherung im Hochschulrecht sind nicht<br />

allein hochschuleigener Nabelschau geschuldet. Sie wollen auch einem<br />

ökonomischen Sachverhalt Rechnung tragen. Ökonomisch ausgedrückt,<br />

zeichnen sich Bildungsangebote in besonderem Maße durch eine Nachfragerunsicherheit<br />

aus: Der Studienanfänger investiert in ein Leistungsversprechen<br />

des Anbieters – in ein Vertrauensgut, dessen Angebotsqualität er<br />

ex ante nicht beurteilen kann, das für seine persönliche und berufliche Zukunft<br />

aber einschneidende Bedeutung hat.<br />

Die Unsicherheit der Qualitätsbeurteilung erschwert nicht nur die Auswahlentscheidung.<br />

Sie kann auch eine Gefahr für die Qualität der angebotenen<br />

Leistungen insgesamt mit sich bringen. Sie vermag eine unerwünschte<br />

Abwärtsspirale der Qualität der auf dem Bildungsmarkt angebotenen<br />

Leistungen zu induzieren. Das hat der Ökonom Akerlof für<br />

Sachgüter mit Hilfe seines Zitronenprinzips an dem einfachen Beispiel des<br />

Gebrauchtwagenmarktes gezeigt 4 :<br />

Der Nachfrager eines gebrauchten PKW kann vor Vertragsabschluss<br />

die Qualität des Wagens und die Angemessenheit des Preises in der Regel<br />

nicht vollständig beurteilen. Er orientiert sich in seiner Zahlungsbereitschaft<br />

daher – so Akerlof – an der durchschnittlich vorhandenen Qualität.<br />

Auch gute Wagen erlösen dann nur den durchschnittlichen, nicht aber den<br />

an sich angemessenen überdurchschnittlichen Preis; bei schlechten Wagen<br />

verhält es sich umgekehrt: Sie erzielen trotz unterdurchschnittlicher Qualität<br />

einen durchschnittlichen Preis. Das begründet für die Anbieter von<br />

Gebrauchtwagen einen starken Anreiz, Produkte vorzugsweise minderer<br />

Qualität auf dem Markt anzubieten. Es kommt zu einer adversen Selektion:<br />

Die guten Produkte werden durch die schlechten Produkte (die<br />

4 Akerlof, Quarterly Journal of Economics 84 (1970), S. 488 ff. Akerlof legt damit<br />

den Grundstein für die sog. Informationsökonomik. Für seine Leistungen erhielt er im<br />

Jahre 2001 zusammen mit Michael Spence und Joseph Stiglitz den Wirtschaftsnobelpreis.


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

235<br />

„lemons“, wie Akerlof die schlechten Wagen nennt) verdrängt. Gute Produkte<br />

verschwinden vom Markt. Die Qualitätsunsicherheit, unter der die<br />

Akteure am Gebrauchtwagenmarkt ihre Entscheidungen treffen, führt<br />

dazu, dass die Qualität angebotener Waren und Leistungen kontinuierlich<br />

sinkt, wenn keine Korrekturmechanismen wirksam werden (sog. Zitronenprinzip).<br />

Akerlofs Zitronenprinzip gilt praeter propter auch für das Bildungsangebot<br />

von Hochschulen: Die Qualitätsunsicherheit in einem größer und<br />

damit intransparenter werdenden Hochschulmarkt kann dazu führen,<br />

dass die hochschulpolitisch erwünschte Qualität angebotener Leistungen<br />

insgesamt leidet und in eine Abwärtsspirale gerät. Diese Erkenntnis der<br />

Institutionenökonomik bildet – unausgesprochen – auch die Geburtsstunde<br />

der Akkreditierung in den USA 5 . Dort hatten in der Mitte des<br />

19. Jahrhunderts demographische Entwicklungen, ökonomisches Wachstum<br />

und technologische Dynamik eine starke Expansion der Bildungsträger<br />

hervorgebracht, der keine staatliche Kontrolle der Angebotsqualität<br />

korrespondierte. Die Breite und Intransparenz der Qualität von Abschlüssen<br />

und Bildungsangeboten führte zu einer deutlichen Absenkung akademischer<br />

Standards. Eine Kommerzialisierung von Teilen des Hochschulsystems<br />

und eine Praxis der Käuflichkeit von Abschlusszertifikaten hielten<br />

Einzug. Die Hochschulbildung drohte in einen Abwärtsstrudel zu<br />

geraten.<br />

Dem sollte die Akkreditierung entgegenwirken. Es bildeten sich Vereinigungen<br />

von Hochschulangehörigen heraus, die sich die freiwillige,<br />

nicht-staatliche, selbstregulierende Evaluation von Bildungsangeboten auf<br />

die Fahnen schrieben. Ziel war die Gewährleistung angemessener Ausbildungsstandards.<br />

Die New England Association of Schools and Colleges<br />

machte im Jahre 1885 den Anfang. Das Vertrauenskapital, das die Einrichtungen<br />

genossen, sollte eine Qualitätsbeurteilung ermöglichen. Die Akkreditierung<br />

sollte jenes Maß an Transparenz herstellen, das für die regulierende<br />

Funktion des Marktes erforderlich ist.<br />

Das Konzept ging im Grundsatz auf. Die Akkreditierungen übernahmen<br />

die Funktion von Surrogatinformationen, welche anstelle direkt beobachtbarer<br />

Leistungseigenschaften zur Qualitätsbeurteilung herangezogen<br />

werden können. Als solche erlaubten die von ihnen ausgesandten Vertrauenssignale<br />

einen Rückschluss auf die signalisierte Eigenschaft, nämlich<br />

die durch den Interessenten nicht beurteilbare Qualität.<br />

5 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung der Akkreditierung etwa Rau, WissR 1986,<br />

S. 60 ff.; Erichsen (Fn. 3), S. 4 f.


236 Mario Martini<br />

WissR<br />

Durch das Konzept der Akkreditierung soll den Hochschulen, Studierenden<br />

und Arbeitgebern eine verlässliche Orientierung bei der Beurteilung<br />

der Qualität von Studienprogrammen ermöglicht werden, zugleich<br />

aber die Vielfalt der Angebote im internationalen Wettbewerb erhalten<br />

bleiben. Sie steht im Dienst des Anliegens des § 9 Abs. 2 HRG, für die<br />

Gleichwertigkeit einander entsprechender Studien- und Prüfungsleistungen<br />

sowie Studienabschlüsse und die Möglichkeit des Hochschulwechsels<br />

zu sorgen. Ihre Mission lässt sich auf die Formel bringen: Vielfalt ermöglichen,<br />

Qualität sichern und Transparenz schaffen.<br />

II. Akkreditierung als Erscheinungsform des Steuerungskonzepts<br />

„regulierter Selbstregulierung“<br />

Die Akkreditierung ist als ein Surrogat staatlicher Kontrolle konzipiert.<br />

Sie repräsentiert ein Instrument hoheitlich regulierter Selbstregulierung 6 ,<br />

die im Schatten staatlicher Hierarchie operiert. Dort, wo der Staat mit eigenen<br />

Mitteln eine Überprüfung der Qualität von Hochschulangeboten<br />

nicht sicherstellen kann oder will, füllt die Akkreditierung die sonst entstehende<br />

Lücke aus.<br />

Mit ihr sucht der Staat nicht allein dort Entlastungsinteressen Tribut zu<br />

zollen, wo die Aufsichtsverwaltung „unter dem Diktat leerer Kassen wie<br />

Atlas unter dem Gewicht des Himmels stöhnt“ 7 . Er will vor allem dem Umstand<br />

Rechnung tragen, dass der Sachverstand, der für eine staatliche Kontrolle<br />

erforderlich ist, angesichts der wachsenden Zahl von Bildungsanbietern,<br />

der Komplexität der Sachverhalte und der dynamischen Entwicklung<br />

kaum mehr umfassend in Behörden vorgehalten werden kann. Bei einer unübersehbaren<br />

Zahl neuer Bachelor- und Masterstudiengänge ist die staatliche<br />

Kapazitätsgrenze des Wissens- und Beurteilungsvermögens alsbald<br />

erreicht. Das in der scientific community darüber vorhandene Wissen machen<br />

Akkreditierungsprogramme ihrem Grundgedanken nach im Interesse<br />

kooperativer Gemeinwohlverwirklichung durch die Aktivierung selbstregulativer<br />

Beiträge der Rechtsgenossen nutzbar. Der Staat verlagert seine<br />

Überwachungsverantwortung auf den privaten Sektor und beschränkt sich<br />

auf eine begleitende Kontrolle der privaten Kontrolle. Die Akkreditierung<br />

6 Vgl. zu dem Steuerungskonzept regulierter Selbstregulierung insbesondere die<br />

Beiträge aus Anlass des 60. Geburtstags von Wolfgang Hoffmann-Riem, Regulierte<br />

Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates, 2001; ferner Di<br />

Fabio, VVDStRL 56 (1997), S. 235 ff.; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 160 ff.;<br />

Thoma, Regulierte Selbstregulierung im Ordnungsverwaltungsrecht, 2008.<br />

7 Di Fabio (Fn. 6), S. 235 (239 f.).


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

237<br />

soll damit als funktionales Äquivalent für staatliche Qualitätssicherungsverfahren<br />

eine Nutzung gesellschaftlicher Problemlösungskompetenz und<br />

gesellschaftlichen Innovationspotenzials ermöglichen.<br />

Wurde bislang in Deutschland die Qualitätsverantwortung der Hochschullehre<br />

als ausschließliches Hausgut des Staates behandelt, vollzieht<br />

sich mit ihrem Einzug in das deutsche Hochschulrecht insoweit ein Paradigmenwechsel:<br />

Der Staat bezieht private Dritte in die staatliche Aufgabenwahrnehmung<br />

ein und tauscht seine Erfüllungsverantwortung gegen<br />

private Qualitätskontrolle unter staatlicher Gewährleistungsverantwortung<br />

ein 8 . Er übernimmt die Gewähr dafür, dass private Akteure, die am<br />

Markt gemeinwohlrelevante Dienstleistungen erbringen, dauerhaft speziellen<br />

Qualitätsstandards genügen.<br />

Die Akkreditierung schickt sich im öffentlichen Recht an, einen festen<br />

Platz im Köcher der Handlungsinstrumente einzunehmen. In einem<br />

wachsenden Kreis von Sachmaterien bedient sich der Staat ihrer – vom<br />

Produktsicherheits- und Abfallrecht über das Straßenverkehrsrecht bis<br />

zum Recht der elektronischen Signaturen:<br />

– Nach dem Geräte- und Produktsicherheitsgesetz darf ein Produkt<br />

nur in den Verkehr gebracht werden, wenn seine Konformität mit den<br />

Sicher heitsanforderungen überprüft, bescheinigt und durch das CE-Zeichen<br />

auf dem Produkt zertifiziert wird (§ 4 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 GSPG<br />

i.V.m. §§ 2, 3 GPSGV) 9 . Das Konformitätsbewertungsverfahren führen<br />

private Dienstleistungsunternehmen durch, die als Prüfstelle von der zuständigen<br />

Behörde akkreditiert worden sind.<br />

– Das KrW-/AbfG kennt eine Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb.<br />

Zertifizierte Entsorgungsfachbetriebe genießen nach § 51 Abs. 1<br />

i.V.m. § 52 Abs. 1 KrW-/AbfG das Privileg, keine Transport- und keine<br />

Vermittlungsgenehmigung für die Verbringung von Abfällen zu benötigen.<br />

Die Zertifizierung kann eine behördlich anerkannte und damit akkreditierte<br />

Entsorgergemeinschaft vornehmen (§ 52 Abs. 3 KrW-/AbfG<br />

i.V.m. §§ 2 ff. Entsorgergemeinschaftsrichtlinie) 10 . Sie kontrolliert die Einhaltung<br />

der Zertifizierungsanforderungen bei ihren Mitgliedern.<br />

8 Vgl. dazu etwa Schuppert, Staatswissenschaft, 2003, S. 289 ff. und S. 571 ff.; Ritter,<br />

AöR 104 (1979), S. 389 ff.; Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe,<br />

1999, S. 121; Trute, Die Verwaltung 32 (1999), S. 73 (94).<br />

9 Dazu eingehend Pünder (Fn. 3), S. 567 (570); Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung<br />

im Produktsicherheitsrecht, 2000; Voßkuhle (Fn. 3), S. 277 (310 ff).<br />

10 Vgl. dazu Queitsch, in: Giesberts/Reinhardt (Hrsg.), BeckOK KrW-/AbfG, § 52<br />

Rndr. 23 ff. Zur Vereinbarkeit mit dem Europa- und Verfassungsrecht Kersting, in:<br />

Landmann/Rohmer (Hrsg.), Umweltrecht, 51. Aufl. 2007, § 52 KrW-/AbfG Rdnr.<br />

31 ff.


238 Mario Martini<br />

WissR<br />

– Zur Gewährleistung eines gewissen Mindeststandards von elektronischen<br />

Signaturen sieht das Signaturgesetz eine (freiwillige) Zertifizierung<br />

der Signaturverfahren vor, welche die Anbieter entsprechender Dienstleistungen<br />

anwenden. Akkreditierte Zertifizierungsdiensteanbieter erhalten<br />

ein Gütezeichen der zuständigen Behörde, mit dem sie im Rechts- und Geschäftsverkehr<br />

werben dürfen. Es erbringt den Nachweis der umfassend<br />

geprüften technischen und administrativen Sicherheit für die auf ihren<br />

qualifizierten Zertifikaten beruhenden qualifizierten elektronischen Signaturen<br />

(qualifizierte elektronische Signaturen mit Anbieter-Akkreditierung)<br />

– § 15 Abs. 1 S. 2, 3-4 SignG 11 .<br />

– Ein ähnliches System regulierter Selbstregulierung liegt dem Umweltaudit<br />

zugrunde. Es zielt auf die Einführung und Überprüfung umfassender<br />

Umweltqualitätsmanagementsysteme durch unabhängige, staatlich<br />

akkreditierte Gutachter. Es soll die unternehmerische Eigenverantwortung<br />

aktivieren und die Nutzung des im Unternehmen vorhandenen Wissens<br />

für die Zwecke des Umweltschutzes ermöglichen 12 .<br />

– Auch das SGB XI schließlich setzt die Akkreditierung als Instrument<br />

der Qualitätssicherung und -überprüfung in Pflegeeinrichtungen ein: Für<br />

Einrichtungen der häuslichen und ambulanten Pflege, die Prüfergebnisse<br />

zur Prozess- und Strukturqualität „nach einem durch die Landesverbände<br />

der Pflegekassen anerkannten Verfahren zur Messung und Bewertung der<br />

Pflegequalität durch unabhängige Sachverständige oder Prüfinstitutionen“<br />

erbracht haben, sieht das SGB eine Erleichterung des Umfangs der<br />

Regelprüfung vor (§ 114 IV SGB XI). Die methodische Verlässlichkeit der<br />

Zertifizierungs- und Prüfverfahren sowie die Zuverlässigkeit, Unabhängigkeit<br />

und Qualifikation der Sachverständigen und Prüfinstitutionen<br />

müssen dabei den Maßstäben und Grundsätzen zur Sicherung und Weiterentwicklung<br />

der Pflegequalität i.S.d § 113 Abs. 1 S. 4 Nr. 3 u. 4 SGB XI<br />

entsprechen 13 .<br />

11 Vgl. dazu auch Voßkuhle (Fn. 3), S. 277 (315 ff.).<br />

12 Vgl. dazu auch Jarass, in: ders. (Hrsg.), BImSchG, 7. Aufl. 2007, § 58e Rndr. 1 ff.;<br />

Martini, Integrierte Regelungsansätze im Immissionsschutzrecht, 2000, S. 278.<br />

13 §§ 113 und 114 SGB XI wurden mit Wirkung vom 1.7.2008 durch das Gesetz zur<br />

strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz)<br />

vom 28.5.2008 (BGBl. I S. 874) neu gefasst. Zur Akkreditierung von Pflegeeinrichtungen<br />

nach der alten Rechtslage Bieback, Zertifizierung und Akkreditierung,<br />

2008, S. 166 ff.


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

III. Erscheinungsformen der Hochschulakkreditierung de lege lata<br />

239<br />

Die Akkreditierungspraxis im deutschen Hochschulrecht nahm mit Beschlüssen<br />

der Hochschul- und Kultusministerkonferenz ihren Anfang 14 .<br />

Inzwischen hat sie in den Hochschulgesetzen feste gesetzliche Wurzeln<br />

geschlagen. Sie begegnet uns dort de lege lata in zwei Formen: als institutionelle<br />

Akkreditierung und als Programmakkreditierung. Die institutionelle<br />

Akkreditierung (unten 1.) bezieht sich auf Hochschulen insgesamt;<br />

sie erstreckt sich auf alle Aufgaben und Funktionsbereiche einer Institution.<br />

Die Programmakkreditierung (unten 2.) nimmt die Qualität einzelner<br />

Hochschulstudiengänge in den Blick. Jüngst tritt die Prozessakkreditierung<br />

auf den Plan (dazu unten V.).<br />

1. Institutionelle Akkreditierung<br />

Die institutionelle Akkreditierung hat den Prüfauftrag, zu klären, ob eine<br />

Hochschule in der Lage ist, Leistungen in Lehre und Forschung zu erbringen,<br />

die anerkannten wissenschaftlichen Maßstäben entspricht. Ihre Wirkmacht<br />

entfaltet sie gegenwärtig bei der Anerkennung privater Hochschulen.<br />

Bremen, Thüringen, Niedersachsen und das Saarland erheben die institutionelle<br />

Akkreditierung ausdrücklich zur rechtlichen Voraussetzung<br />

der staatlichen Anerkennung privater Hochschulen 15 . Andere Länder, wie<br />

Brandenburg 16 und Rheinland-Pfalz 17 etwa, machen die staatliche Anerkennung<br />

im Regelfall oder nach Ermessen der Behörde von einer Akkreditierung<br />

abhängig. Andere lassen die Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat<br />

der staatlichen Anerkennung als Lackmustest ihrer Aufrechterhaltung<br />

folgen 18 .<br />

Magister ludi im System der institutionellen Akkreditierung ist der<br />

Wissenschaftsrat. Seine Prüfbereiche bilden Leitbild und Profil, Leistungen<br />

in Forschung und Lehre, personelle und sachliche Ausstattung, Qua-<br />

14 Insbesondere „Statut für ein länder- und hochschulübergreifendes Akkreditierungsverfahren“<br />

vom 24.5.2002 und „Eckpunkte für die Weiterentwicklung der Akkreditierung<br />

in Deutschland“ vom 15.10.2004; jeweils abrufbar unter http://www.akkreditierungsrat.de.<br />

Vgl. dazu Lege, JZ 2005, S. 698 (699); Heitsch, DÖV 2007, S. 770<br />

(770).<br />

15 § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 brem. HochschulG; § 101 Abs. 1 thür. HochschulG, § 64<br />

Abs. 1 S. 2 u. 3 nds. HochschulG, § 80 Abs. 1 S. 2 saarl. UnivG.<br />

16 § 79 Abs. 2 bbg. HochschulG.<br />

17 Siehe etwa § 117 Abs. 1 S. 1 u. 4 rp. HochschulG.<br />

18 § 107 Abs. 1 Nr. 3 HochschulG LSA; § 79 Abs. 3 i.V.m. § 76 Abs. 2 S. 3 u. 4 s.-h.<br />

HochschulG.


240 Mario Martini<br />

WissR<br />

litätssicherung und Qualitätsentwicklung sowie Finanzierung 19 . Das<br />

Leitbild der privaten Hochschule muss anerkannten wissenschaftlichen<br />

Maßstäben entsprechen und die Hochschule hat nachzuweisen, dass sie<br />

über die notwendigen Ressourcen und Strategien verfügt, um ihre selbst<br />

gesetzten Ziele sowie die hochschulrechtlichen Mindestanforderungen<br />

auch erreichen zu können. Bei positivem Urteil spricht der Akkreditierungsrat<br />

eine befristete Akkreditierung aus – bei neu zu gründenden<br />

Hochschulen für fünf Jahre, bei bestehenden Einrichtungen für 10 Jahre.<br />

Der Wissenschaftsrat ist kein Privatrechtssubjekt, sondern ein von Bund<br />

und Ländern getragenes wissenschaftspolitisches Beratungsgremium. Die<br />

institutionelle Akkreditierung ist damit auch kein akkreditierungstypischer<br />

Fall privater Selbstregulierung, sondern bedeutet eine Einbeziehung<br />

anderer Verwaltungsträger in einen staatlichen Genehmigungsprozess.<br />

Die Gründung des Wissenschaftsrates geht auf ein zwischen Bund und<br />

Ländern abgeschlossenes Verwaltungsabkommen zurück 20 . Es kann auf<br />

die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Art. 91b GG verweisen 21 .<br />

Die institutionelle Akkreditierung als Instrument der Qualitätssicherung<br />

hat die Herstellung von Transparenz und Vergleichbarkeit staatlicher<br />

und nichtstaatlicher Bildungsangebote zur Aufgabe. Damit ist sie nicht<br />

nur eine wichtige Stellschraube im sich intensivierenden Wettbewerb zwischen<br />

privaten und staatlichen Hochschulen sowie den privaten Hochschulen<br />

untereinander, sondern auch ein wichtiges Ventil der Steuerung<br />

hochschulpolitischer Innovationen sowie der Sicherung wissenschaftlicher<br />

Leistungsfähigkeit von Hochschuleinrichtungen und des Schutzes<br />

der Studierenden sowie möglicher Arbeitgeber.<br />

Bis dato bewegt sich die institutionelle Akkreditierung im Schatten öffentlicher<br />

Wahrnehmung. Aufsehen erregte sie in der Vergangenheit lediglich<br />

in dem Falle des Akkreditierungsverfahrens der Hochschule Witten-<br />

Herdecke sowie jüngst der Berliner European School of Management and<br />

Technology (ESMT) und der CVJM-Hochschule in Kassel. Einen Moment<br />

lang schien der Wissenschaftsrat im vorletzten Jahr das Grabesglöckchen<br />

für den Bereich Humanmedizin der Hochschule Witten-Herdecke<br />

läuten zu lassen, hat dann aber die Akkreditierung unter Auflagen<br />

ausgesprochen. 33 Stellungnahmen zu Akkreditierungen privater Hoch-<br />

19 Vgl. dazu Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Akkreditierung privater Hochschulen,<br />

Drs. 4419/00, S. 27 ff. sowie ders., Leitfaden der institutionellen Akkreditierung,<br />

Drs. 7078–06, S. 13.<br />

20 Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung eines<br />

Wissenschaftsrates v. 5.9.1957, vgl. dazu Kipp, DÖV 1958, S. 490 (491).<br />

21 Vgl. dazu insbesondere Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36 (40), aus der älteren Literatur<br />

Kipp (Fn. 20), S. 490 ff.


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

241<br />

schulen hat der Wissenschaftsrat bisher abgegeben, sieben davon versagender<br />

Natur.<br />

2. Programmakkreditierung<br />

Während der institutionellen Akkreditierung die öffentliche Aufmerksamkeit<br />

bislang weithin versagt bleibt, ist die Programmakkreditierung in<br />

jüngerer Zeit in den Brennpunkt der hochschulpolitischen Diskussion gerückt.<br />

Die meisten Länder, etwa Nordrhein-Westfalen 22 , schreiben inzwischen<br />

entweder zwingend 23 oder als Regel-Verpflichtung 24 eine Akkreditierung<br />

aller oder einzelner, insbesondere der Bachelor- und Masterstudiengänge,<br />

durch unabhängige und wissenschaftsnahe Einrichtungen vor.<br />

Diese akkreditierenden Stellen zu bestimmen, liegt in den Händen einer<br />

rechtsfähigen Stiftung des öffentlichen Rechts, namentlich eines der Organe<br />

der „Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland“:<br />

des Akkreditierungsrates. Die Stiftung und ihre Organe sind beauftragt,<br />

die Aufgaben der Länder im Vollzug der gemeinsamen Strukturvorgaben<br />

nach § 9 Abs. 2 HRG wahrzunehmen. Die Länder verzichten<br />

insoweit auf eine eigene behördliche Überprüfung und überantworten sie<br />

dem Akkreditierungssystem der Stiftung 25 .<br />

a) Ablauf und Organisation der Programmakkreditierung<br />

Das nordrhein-westfälische Studiengängeakkreditierungsstiftungsgesetz<br />

(StAkStiftG) 26 ermächtigt den Akkreditierungsrat in seinem § 7 Abs. 1<br />

S. 2, Agenturen die Berechtigung zur Akkreditierung von Studiengängen<br />

zu verleihen. Er setzt sich aus 18 Mitgliedern zusammen, die den Bereichen<br />

Wissenschaft, Staat, Berufspraxis und Studierende entstammen (§ 7 Abs. 2<br />

StAkStiftG) 27 . Sechs Akkreditierungsagenturen hat der Akkreditierungs-<br />

22 § 7 Abs. 1 nrw. HochschulFG.<br />

23 Vgl. § 53 Abs. 4 S. 1 brem. HochschulG; § 52 Abs. 8 hmb. HochschulG; § 9 Abs. 3<br />

S. 4 HochschulG LSA; § 28 Abs. 5 S. 2 HochschulG M-V; § 6 Abs. 2 S. 2 nds. HochschulG;<br />

§ 50 Abs. 3 S. 1 saarl. UnivG.<br />

24 Vgl. etwa § 78 Abs. 3 bw. HochschulG; Art. 10 Abs. 4 bay. HochschulG; § 102<br />

Abs. 2 S. 2 hess. HochschulG (für Studiengänge privater Hochschulen); § 9 Abs. 3 S. 4<br />

HochschulG LSA; § 5 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 6 S. 2 s-h. HochschulG.<br />

25 Kultusministerkonferenz, Vereinbarung zur Stiftung „Stiftung: Akkreditierung<br />

von Studiengängen in Deutschland“, Beschl. v. 16.12.2004, S. 3; dies., 10 Thesen zur<br />

Bachelor- und Masterstruktur in Deutschland, Beschl. v. 12.6.2003, S. 3.<br />

26 Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen<br />

in Deutschland“ vom 15.2.2005, Gesetz v. 15.2.2005, GVBl. NRW, S. 45.<br />

27 Die Errichtung der Stiftung beruht auf einem als Verwaltungsabkommen im<br />

Rahmen der Kultusministerkonferenz geschlossen Vereinbarung der Länder (Verein-


242 Mario Martini<br />

WissR<br />

rat bis dato zugelassen: die wohl bekanntesten sind die ZeVA (die zentrale<br />

Evaluations- und Akkreditierungsagentur Hannover), ACQUIN (das<br />

Akkreditierungs-, Zertifizierungs- und Qualitätssicherungsinstitut) und<br />

AQAS (die Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von<br />

Studiengängen). Die Agenturen werden regelmäßig in der Rechtsform des<br />

privaten Rechts geführt, üblicherweise als gemeinnützig anerkannte Vereine<br />

oder als rechtsfähige Stiftung. Sie schließen mit den Hochschulen privatrechtliche<br />

Verträge über die Durchführung der Akkreditierung.<br />

Die zu akkreditierende Hochschule stellt einen Antrag bei einer Akkreditierungsagentur.<br />

Diese nimmt dann eine Qualitätsprüfung durch eine<br />

Gruppe externer Fachgutachter vor, welche auf dem Prinzip des Peer Review<br />

beruht. In einem formalisierten Verfahren wird anschließend ermittelt,<br />

ob das zu akkreditierende Studienangebot den fachlichen Mindeststandards<br />

genügt und bestimmte Strukturvorgaben sicherstellt. Bewertet werden<br />

insbesondere die Ziele, Struktur und Durchführung des Studiengangs,<br />

etwa das pädagogische Konzept und die Studierbarkeit, die angemessene<br />

(personelle, sachliche und räumliche) Ausstattung der Hochschule sowie<br />

die fachliche Güte 28 . Hat ein Studiengang ein Akkreditierungsverfahren erfolgreich<br />

durchlaufen, erhält er eine befristete Akkreditierung (mit oder<br />

ohne Auflagen) und trägt für den Zeitraum seiner Akkreditierung das Qualitätssiegel<br />

der Stiftung 29 . Die für das Akkreditierungsverfahren entstehenden<br />

Kosten fallen (ebenso wie im Verfahren der institutionellen Akkreditierung)<br />

der Hochschule zur Last 30 .<br />

Für die Arbeit der Agenturen ist zwar ein Wettbewerb mit Profilbildung<br />

intendiert 31 , zugleich aber eine Einheitlichkeit der Bewertungsmaßstäbe<br />

essenziell. Denn nur so lässt sich die beabsichtigte Vergleichbarkeit<br />

der Studienabschlüsse erreichen. Darin liegt ein Drahtseilakt. Ihn zu bewältigen<br />

ist Aufgabe des Akkreditierungsrates. Ihm ist die Gesamtverantwortung<br />

für die Entwicklung und Durchsetzung vergleichbarer Qualitätsstandards<br />

in dem dezentral organisierten Akkreditierungssystem<br />

barung zur Stiftung Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland, Beschl. v.<br />

16.12.2004). Sie überträgt der Stiftung die Aufgaben des bisherigen Akkreditierungsrates.<br />

28 Vgl. zu den Kriterien der Programmakkreditierung insbesondere den Beschl. des<br />

Akkreditierungsrates v. 17.7.2006, zu den Kriterien für die Akkreditierung von Studiengängen,<br />

Drs. AR 15/2008, ferner Hopbach, in: Benz/Kohler/Landfried (Hrsg.),<br />

Handbuch Qualität in Studium und Lehre (Loseblatt; Stand: Okt. 2006), F. 2.1,<br />

S. 10 ff.<br />

29 Vgl. dazu auch im Einzelnen Kohler, Akkreditierungsentscheidungen: Inhalte,<br />

Wirkung und Veröffentlichung, in: Benz/Kohler/Landfried (Hrsg.), ibid. F. 3.5, S. 1 ff.<br />

30 Die Kosten institutioneller Akkreditierung belaufen sich im Durchschnitt auf<br />

18.000–28.000 €, die Kosten einer Programmakkreditierung auf 10.000–15.000 €.<br />

31 Vgl. auch § 2 Abs. 2 Nr. 1 StAkStiftG.


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

243<br />

übertragen. Er hat die Aufgabenerfüllung durch die Agenturen zu steuern,<br />

zu überwachen und einen fairen Wettbewerb unter ihnen zu gewährleisten.<br />

Der Akkreditierungsrat bekommt es dabei durchaus mit Emanzipierungs-<br />

und Profilierungstendenzen der Agenturen zu tun. Die sich ihm<br />

stellende Herausforderung, in einem ebenso schwierigen wie sensiblen<br />

Feld eine regulative Steuerungsaufgabe wahrzunehmen, verlangt neben<br />

Fingerspitzengefühl eine hinreichend zielgenaue rechtliche Steuerung.<br />

Letztere lässt sich dem Studiengängeakkreditierungsstiftungsgesetz allerdings<br />

kaum entlocken. Dessen § 3 spricht zwar von „einer vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit“ zwischen der Stiftung und den Agenturen sowie<br />

von „Vereinbarungen, mit denen die Rechte und Pflichten der Partner im<br />

Akkreditierungssystem geregelt werden“. Vorgaben für ihre inhaltliche<br />

Ausfüllung lässt er insoweit jedoch (abgesehen von der Benennung vorgesehender<br />

Regelungsgegenstände) weithin vermissen.<br />

b) Rechtliche Einordnung<br />

Die rechtliche Einordnung der Programmakkreditierung liegt weitgehend<br />

im Dunkeln. Das Arsenal denkbarer Lösungen reicht von rein privatrechtlicher<br />

Deutung über Beleihung, Verfahrensprivatisierung bis zu einer Mitwirkung<br />

sui generis. Die Vielfalt unterschiedlicher landesrechtlicher Ausgestaltungstypen<br />

verkompliziert die Suche nach einer einheitlichen Antwort<br />

zusätzlich.<br />

Über eine freiwillige Selbstverpflichtung, wie etwa beim Umwelt-Audit,<br />

geht eine Akkreditierung jedenfalls hinaus. Sie verlässt durch ihre Einbindung<br />

in das System materieller Wissenschaftsverwaltung auch den originären<br />

Rechtskreis des Zivilrechts 32 . Die Agenturen schließen mit der Antrag<br />

stellenden Hochschule zwar einen privatrechtlichen Akkreditierungsvertrag<br />

– einen Werkvertrag, dessen geschuldetes Werk in der Begutachtung<br />

des Studiengangs einschließlich der Entscheidung über die Akkreditierung<br />

besteht. Dieser Vertrag ist jedoch im Lichte der hochschulrechtlichen Akkreditierungsverpflichtung<br />

zu lesen, die den Studiengang unter den Vorbehalt<br />

einer vorherigen Akkreditierung, die Verleihung des Akkrediats, stellt,<br />

sowie der Funktion der vertraglichen Vereinbarung, für den zu akkreditierenden<br />

Studiengang als Surrogat landeseigener Vollzugskontrolle eine<br />

Überprüfung der ländergemeinsamen Strukturvorgaben i.S.d. § 9 Abs. 2<br />

HRG vorzunehmen. Insoweit liegt eine Beleihung der Agenturen nahe 33 .<br />

32 A.A. Bieback, Zertifizierung und Akkreditierung, 2008, S. 260; wie hier dagegen<br />

Lege (Fn. 14), S. 698 (701 f.); Heitsch (Fn. 14), S. 770 (777 f.).<br />

33 Vgl. zu Wesen und Voraussetzungen der Beleihung Schmidt am Busch, DÖV


244 Mario Martini<br />

WissR<br />

Dazu müsste der Staat den Agenturen hoheitliche Rechtsmacht zur selbständigen<br />

Wahrnehmung im eigenen Namen übertragen haben. Dafür<br />

scheint § 7 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Stu diengängeakkreditierung<br />

sstiftungsgesetzes zu streiten. Er verleiht den Agen turen die Berechtigung,<br />

Studiengänge durch Verleihung des Siegels der Stiftung zu akkreditieren.<br />

An die Verleihung des Akkreditierungsrechtes knüpft sich freilich nicht<br />

denknotwendig auch die Befugnis der Agentur zu selbständiger hoheitlicher<br />

Aufgabenwahrnehmung. Die Akkreditierung kann ebenso gut unselbständiger<br />

Verfahrensbestandteil der staatlichen Genehmigung des Studienprogramms<br />

sein. So verhält es sich dort, wo die erfolgreiche Akkreditierung<br />

nicht zur selbständigen gesetzlichen Verpflichtung der Hochschulen erhoben<br />

wird, sondern die Behörde sie zur Voraussetzung ihrer Genehmigung<br />

erhebt, wie etwa für Studiengänge nichtstaatlicher Hochschulen in Niedersachsen<br />

(§ 64 Abs. 1 S. 3 des nds. HochschulG 34 ) oder Studiengänge an Bremer<br />

Hochschulen (§ 53 Abs. 4 S. 2 brem. HochschulG 35 ) 36 . Der Staat schaltet<br />

hier einen privaten Intermediär in die staatliche Aufgabenwahrnehmung<br />

ein, ohne ihm eine eigenständige rechtsfolgerelevante Entscheidungsmacht<br />

zuzugestehen. Er verlagert eine als Teil des Genehmigungsverfahrens auch<br />

schon zuvor wahrgenommene Begutachtung in den Verantwortungsbereich<br />

Privater – ähnlich etwa dem medizinisch-psychologischen Gutachten beim<br />

Führen von Kraftfahrzeugen. Es handelt sich dann um eine Form der Verfahrensprivatisierung,<br />

bei der Teilleistungen im Rahmen eines hoheitlichen<br />

Verfahrens durch Dritte erbracht werden, deren Ergebnis in das rechtsaufsichtliche<br />

Genehmigungsverfahren einfließt, allerdings nicht um eine Beleihung<br />

37 .<br />

Anders verhält es sich dann, wenn die Akkreditierung – wie inzwischen<br />

in den meisten Ländern, so etwa in Nordrhein-Westfalen – die staatliche<br />

Genehmigungsentscheidung ablöst und zu einer selbständig auferlegten,<br />

rechtlich sanktionierten Pflicht wird. Es handelt sich hier regelmäßig um<br />

mehr als eine unverbindliche externe Begutachtung, die etwa mit der Stel-<br />

2007, S. 533 ff.; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 1 Rdnr.<br />

231 ff.; Stelkens, NVwZ 2004, S. 304 (305 ff.).<br />

34 Dort heißt es: „Neue Studiengänge dürfen nur mit Genehmigung des Fachministeriums<br />

nach Akkreditierung durch eine vom Fachministerium bestimmte Stelle<br />

eingerichtet werden.“<br />

35 Dieser lautet: „Auf der Grundlage der Akkreditierung entscheidet der Senator<br />

für Bildung und Wissenschaft unter Berücksichtigung der Übereinstimmung mit der<br />

Wissenschafts- und Hochschulgesamt- sowie der Hochschulentwicklungsplanung,<br />

der Wirtschaftlichkeit und Effizienz gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 2 über die Einrichtungsgenehmigung.“<br />

36 Ähnlich wohl auch in Berlin, dessen Hochschulgesetz bisher keine gesetzliche<br />

Verpflichtung zur Akkreditierung von Studiengängen kennt.<br />

37 A.A. Heitsch (Fn. 14), S. 770 (777 f.).


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

245<br />

lungnahme einer Ethik-Kommission vergleichbar wäre, nämlich eine Regelung<br />

mit unmittelbarer Außenwirkung, für die die Agentur Beliehene<br />

ist. So setzt etwa die Aufnahme des Studienbetriebs in Nordrhein-Westfalen<br />

den erfolgreichen Abschluss der Akkreditierung voraus (§ 7 Abs. 1 S. 2<br />

Hs. 1 nrw. HochschulG). Wenn das Gesetz zusätzlich die Befolgung von<br />

Auflagen der Agentur anordnet, wie etwa § 7 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 nrw. HochschulG,<br />

§ 49 Abs. 6 S. 6 s.-h. HochschulG, verleiht sie der Akkreditierung<br />

unmittelbar gesetzliche Regelungsmacht, die den Charakter von Verwaltungsakten<br />

im Sinne des § 35 VwVfG annimmt 38 .<br />

IV. Verfassungsrechtliche Anforderungen und Grenzen der gegenwärtig<br />

praktizierten Hochschulakkreditierung<br />

Die Expansion der Akkreditierung im öffentlichen Recht spiegelt ein gewandeltes<br />

Aufgabenwahrnehmungsverständnis des Staates wider. Sie ist<br />

weniger Abbild eines bis aufs Skelett verschlankten öffentlichen Dienstes<br />

oder eines „weiter als das Waldsterben vorangeschrittenen Staatssterbens“ 39<br />

als vielmehr Teil eines Konzepts arbeitsteiliger Gemeinwohlkonkretisierung.<br />

Sie entlässt den Staat – zumal im grundrechtlich sensiblen Bereich<br />

des Hochschulrechts – freilich nicht aus seiner Verantwortung und seinen<br />

verfassungsrechtlichen Bindungen: Die Implementierung der Akkreditierung<br />

in das System staatlicher Aufgabenwahrnehmung und die mit ihr<br />

verbundene Verlagerung staatlicher Verfahrensverantwortung auf private<br />

Dritte stoßen in ein grundrechtsdogmatisches Minenfeld vor. Was im Sektor<br />

technischer Produktsicherheit noch verantwortbar erscheinen mag 40 ,<br />

erreicht im Hochschulrecht mit der hochsensiblen Grundrechtsschutzzone<br />

des Art. 5 Abs. 3 GG eine neue Dimension grundrechtlicher Brisanz.<br />

Die Gründung von Hochschulen sowie die Einrichtung und Durchführung<br />

von Studiengängen gehören zu den Entscheidungen, die als<br />

grundrechtswesentlich im Sinne der Wesentlichkeitstheorie 41 anzusehen<br />

38 A.A. Bieback (Fn. 32), S. 378 ff.; wie hier im Ergebnis dagegen Heitsch (Fn. 14),<br />

S. 770 (777 f.); Lege (Fn. 14), S. 698 (702); zur Verwaltungsaktsqualität von Auflagen U.<br />

Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 33), § 36 Rdnr. 83 m.w.N.<br />

39 In diesem Sinne aber Prantl, „Kein schöner Land“, Gastvortrag beim Neujahrsempfang<br />

von ver.di am 4.2.2007, S. 5 der Tonbandabschrift.<br />

40 Vgl. dazu Pünder (Fn. 3), S. 583 ff.<br />

41 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.10.1975, BVerfGE 40, S. 237 (249); BVerfG, Beschl. v.<br />

9.5.1972, BVerfGE 33, S. 125 (158 ff.) – Facharzt; BVerfG, Urt. v. 18.7.1972, BVerfGE 33,<br />

S. 303 (337 und 344) – numerus clausus I; BVerfG, Urt. v. 6.12.1972, BVerfGE 34, S. 165<br />

(192 f.) – Elternrecht; BVerfG, Beschl. v. 27.1.1967, BVerfGE 41, S. 251 (259 f.); BVerfG,


246 Mario Martini<br />

WissR<br />

sind. Sie sind Teil der Gestaltungshoheit der Hochschulen. Ihre Kontrolle<br />

durch Akkreditierungsagenturen greift in den von der Wissenschaftsfreiheit<br />

geschützten Kernbereich der Hochschulautonomie ein 42 .<br />

Die Verantwortung, die der Staat für die Validität studentischer Ausbildung<br />

trägt, legitimiert ihn durchaus, eine Kontrolle der Qualität angebotener<br />

Studienleistungen durchzuführen. Er ist ermächtigt, für einen schonenden<br />

Ausgleich zwischen der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG)<br />

und der kollidierenden Grundrechtsposition der studentischen Ausbildungsfreiheit<br />

(Art. 12 Abs. 1 GG) im Wege praktischer Konkordanz zu<br />

sorgen 43 .<br />

Lässt der Staat diese staatliche Kontrollaufgabe durch private Dritte<br />

wahrnehmen, muss er freilich durch einen entsprechenden Regulierungsrahmen<br />

dafür Sorge tragen, dass eine Verfahrensprivatisierung nicht in<br />

eine Missachtung rechtsstaatlicher, insbesondere grundrechtlicher Verfahrensdurchsetzung,<br />

entgleitet. Die mit der Akkreditierung verbundenen<br />

Vorteile der Entlastung des Staates und der Integration externen<br />

Sachverstandes dürfen nicht erkauft werden durch die Erosion des<br />

Grundrechtsschutzes und der demokratischen Kontrolle. Mit der osmotischen<br />

Funktionsverschränkung von Staat und Gesellschaft in einem<br />

kooperativ-selbstregulierten System wächst die grundrechtssichernde<br />

Bedeutung des Verfahrens als Auffangordnung. Die Gewährleistungsverantwortung<br />

des Staates muss sich in den grundrechtssensiblen Bereichen<br />

des Wissenschaftsrechts in greifbaren Aufsichtsbefugnissen niederschlagen<br />

– und in der durch das Untermaßverbot dogmatisch unterfütterten<br />

Pflicht, diese Aufsicht wahrzunehmen, soll nicht der hehre Begriff<br />

der Gewährleistungsverantwortung zur inhaltsleeren Beteuerung degenerieren<br />

44 . Die massive grundrechtliche Gefährdungslage, welcher die<br />

Hochschulen durch die Akkreditierung ausgesetzt sind, hat in eine<br />

strenge Überwachung der Akkreditierungsvoraussetzungen zu münden.<br />

Die Einbindung Privater in eine grundrechtssensible Konfliktentschei-<br />

Beschl. v. 21.12.1977, BVerfGE 47, S. 46 (78 ff.) – Sexualerziehung in der Schule; Schulze-<br />

Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, S. 162 ff.<br />

42 Die Akkreditierung legt den Hochschulen nicht nur zeitlichen, finanziellen und<br />

organisatorischen Aufwand auf, sondern berührt durch den von ihr ausgehenden Anpassungsdruck<br />

vor allem ihre Freiheit zur inhaltlichen Ausgestaltung ihrer Studiengänge;<br />

vgl. auch Bieback (Fn. 32), S. 378 ff.; Heitsch (Fn. 14), S. 770 (772); Lege (Fn. 14),<br />

S. 698 (703); Pautsch, WissR 38 (2005), S. 201 (213).<br />

43 BVerfG, Beschl. v. 31.5.1995, BVerfGE 93, S. 85 (95 f.); BVerfG, Beschl. v.<br />

7.10.1980, BVerfGE 55, S. 37 (68 f.); Lege (Fn. 14), S. 698 (702).<br />

44 Di Fabio (Fn. 6), S. 235 (262 f.); zur Warnung vor einer „Paralyse der Verantwortung“,<br />

die als Letztverantwortung ausgeflaggt, aber ohne korrespondierende Zuständigkeiten<br />

und Vollzugspotenziale bleibt: Zacher, Freiheit und Gleichheit in der Wohlfahrtspflege,<br />

1962, S. 49 f., 124 f.


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

247<br />

dung verlangt nach klaren Entscheidungsmaßstäben und prozeduralen<br />

Vorgaben für den Kontrollprozess.<br />

Diese lassen die Landeshochschulgesetze jedoch bislang weithin vermissen.<br />

Sie lassen nicht nur vielfach offen, wer die zur Akkreditierung ermächtigten<br />

anerkannten Stellen sind 45 , statt sie – wie etwa § 43 S. 1<br />

thürHG 46 – dem rechtsstaatlichen Gebot hinreichender Bestimmtheit entsprechend<br />

zu benennen 47 . Sie hüllen sich auch in Schweigen darüber, wie<br />

die Gremien besetzt sein müssen, wie ihre Neutralität zu wahren ist, welche<br />

Kriterien sie anzulegen haben, wie insbesondere die Qualität zu messen<br />

ist. Die Gesetze beschränken sich in der Regel auf den Hinweis der<br />

Qualitätsmessung durch Akkreditierung „nach den geltenden Regeln“<br />

(vgl. etwa § 7 Abs. 1 S. 1 nrw. Hochschulgesetz) 48 . Wie aber misst man<br />

Qualität? Für den Kaufmann ist die Frage schnell beantwortet: Qualität<br />

ist, wenn der Kunde zurückkommt und nicht das Produkt. Für die Qualitätsmessung<br />

von Hochschulleistungen ist diese Handreichung etwas zu<br />

einfach gestrickt. Qualitätsbeurteilung ist ein komplexer wertender Vorgang,<br />

der als Relationsprozess auf Kriterienvorgaben angewiesen ist, um<br />

die intendierte Eignung der angebotenen Leistung zur Erzielung gestellter<br />

Anforderungen beurteilen zu können. Transparente und präzise wissenschaftsadäquate<br />

49 Vorgaben sind für ein rechtsstaatliches, hinreichenden<br />

Grundrechtsschutz in einem Konzept regulierter Selbstregulierung sicherstellendes<br />

Verfahren unverzichtbar 50 .<br />

45 So etwa § 6 Abs. 2 nds. HochschulG „durch eine vom Land und der Hochschule<br />

unabhängige, wissenschaftsnahe Einrichtung“ oder § 50 Abs. 3 saarl. UG „durch eine<br />

unabhängige wissenschaftliche Einrichtung“.<br />

46 Dort heißt es: „Jeder neue Studiengang oder die wesentliche Änderung eines bestehenden<br />

Studiengangs ist in der Regel durch eine vom Akkreditierungsrat anerkannte<br />

Einrichtung in qualitativer Hinsicht zu bewerten“ (Hervorhebung des Verf.). Ähnlich<br />

§ 5 Abs. 2 S. 1 s.-h. HochschulG.<br />

47 Die Übertragung der Aufgabe im Wege eines Verwaltungsabkommens auf die<br />

Stiftung oder durch das nordrhein-westfälische Studiengängeakkreditierungsstiftungsgesetz<br />

genügt insoweit nicht. Es bedürfte einer gesetzlichen Umsetzung durch<br />

Staatsvertrag der Länder. Ebenso Lege (Fn. 14), S. 698 (704).<br />

48 Konkreter demgegenüber § 43 S. 2 thür. HochschulG, der „die aufgrund des § 9<br />

Abs. 2 HRG ergangenen Empfehlungen, insbesondere die ländergemeinsamen Vorgaben<br />

für Bachelor- und Masterstudiengänge“ als Bewertungsmaßstäbe für verbindlich<br />

erklärt.<br />

49 Vgl. BVerfGE 111, S. 333 (358 f.).<br />

50 Zweifelhaft daher Bieback (Fn. 32), S. 388, die es angesichts der Komplexität und<br />

Dynamik des Lebensbereiches ausreichen lassen will, die Festlegung von Qualitätsstandards<br />

der Verwaltung zu überlassen. Die Komplexität und Dynamik kann es rechtfertigen,<br />

die Anforderungen an das „Wie“ der gesetzlichen Steuerung zu senken, nicht<br />

aber das „Ob“ der Verwaltung zu überantworten.


248 Mario Martini<br />

WissR<br />

Umso mehr gilt dies insofern, als der Umstand, dass der Auftraggeber<br />

die Akkreditierung zahlt, als sensible Note ein besonderes Bedürfnis nach<br />

Sicherung der Verfahrensverantwortung hervorruft. Die akkreditierte<br />

Stelle steht im Wettbewerb mit anderen Stellen 51 . Das impliziert, wiewohl<br />

die Agenturen gemeinnützig arbeiten, eine Abhängigkeit vom „Kunden“.<br />

Der Wettbewerb der Agenturen kann im Extremfall ein „race to the bottom“<br />

induzieren, in dem sich diejenige Agentur durchsetzt, die die niedrigsten<br />

Zertifizierungsanforderungen anlegt. Das Mantra „Scientia donum<br />

dei est, unde vendi non potest“ 52 , kann hier leicht auf dem Altar von<br />

Selbstbehauptungsinteressen und eines kontraproduktiv wirkenden Wettbewerbsgedankens<br />

geopfert werden. Die für eine sachgerechte Bewertung<br />

essenzielle qualitätssichernde Distanz gerät bei der Akkreditierung überdies<br />

dadurch leicht in Gefahr, dass Gutachter und Akkreditierte sich in<br />

vertauschten Rollen, etwa bei der Akkreditierung des eigenen Studiengangs,<br />

in Berufungsverfahren oder sonstigen Wertungsentscheidungen, in<br />

der überschaubaren scientific community alsbald wieder begegnen 53 . Die<br />

Unparteilichkeit der Akkreditierung und die Sachgerechtigkeit ihrer Bewertungsmaßstäbe,<br />

die sich als Grundrechtsgebot aus der verfahrensrechtlichen<br />

Dimension der Wissenschaftsfreiheit ergeben, sind der Lackmustest<br />

ihrer Verantwortbarkeit. Diesen Test bestehen die Landeshochschulgesetze<br />

mangels hinreichender gesetzlicher Steuerung gegenwärtig<br />

noch nicht. Sie lassen nicht erkennen, woraus sich die Maßstäbe der Akkreditierung<br />

ergeben und wie die Sachgerechtigkeit der durch private Intermediäre<br />

vorgenommenen Akkreditierung gesichert werden soll. Weder<br />

die bestehenden Verwaltungsabkommen, etwa die ländergemeinsamen<br />

Strukturvorgaben der Kultusministerkonferenz 54 , noch das nordrheinwestfälische<br />

Studiengängeakkreditierungsstiftungsgesetz vermögen diesen<br />

Mangel zu kompensieren. Ersteren fehlt es an der parlamentsgesetzlichen<br />

Natur, die den prospektierten Maßstäben die notwendige demokratische<br />

Legitimation vermitteln könnte, letzterem an der Verbindlichkeit<br />

für die anderen Bundesländer. Zwar müssen die Akkreditierungsvorgaben<br />

sich angesichts der Eigengesetzlichkeit der komplexen und dynamischen<br />

51 Vgl. zu dem zwischen den Agenturen entbrannten Preiswettbewerb Wörner,<br />

Stand und aktuelle Fragen der Akkreditierung in Deutschland, in: Hochschulverband<br />

(Hrsg.), Qualität durch Akkreditierung, 2005, S. 51 (52).<br />

52<br />

S.c.: Die Wissenschaft kann nicht verkauft werden, weil sie eine Gabe Gottes<br />

ist.<br />

53<br />

Fehling (Fn. 3), Rdnr. 40.<br />

54<br />

Kultusministerkonferenz, Ländergemeinsame Strukturvorgaben gemäß § 9<br />

Abs. 2 HRG für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen, Beschl.<br />

v. 10.10.2003 i.d.F. vom 7.2.2008.


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

249<br />

Sachmaterie nicht bis in jede Einzelheit aus dem Parlamentsgesetz des<br />

Landes ergeben, jedoch zumindest aus diesem ableitbar sein.<br />

Wird eine hinreichend dichte normative Steuerung diese Bedenken womöglich<br />

abmildern oder zerstreuen, gesellen sich Defizite eher struktureller<br />

Natur hinzu: Die Programmakkreditierung ist bürokratisch, zeitaufwändig<br />

und kostenintensiv. Die bürokratische Okkupation wissenschaftlicher<br />

Lebenswelten raubt Hochschulen die Ressourcen, die sie für den<br />

Einsatz in Forschung und Lehre benötigen. Indem sie eine Fremdbewertung<br />

vornimmt, ist die Programmakkreditierung nicht nur tendenziell autonomiefeindlich.<br />

Sie enthält auch eine Momentaufnahme eines Ergebnisses,<br />

das sich jederzeit wandeln kann, dessen Kontinuität durch die Akkreditierung<br />

aber nicht gesichert ist. Eine Clusterakkreditierung vermag den<br />

entstehenden Aufwand nur bedingt zu begrenzen. Sie stellt nach ihrem<br />

methodischen Anspruch eine gebündelte Programmakkreditierung mehrerer<br />

Studiengänge in einem einheitlichen Akkreditierungsverfahren dar<br />

und vermag damit Rationalisierungs- und Kosteneinsparpotentiale nur in<br />

dem Umfang zu entfalten, in dem die zu untersuchenden Studiengänge gemeinsame<br />

Schnittmengen aufweisen, die einen verfahrensrechtliches Entlastungseffekt<br />

für das Prüfprogramm mit sich bringen.<br />

V. Ausblick: Prozessakkreditierung als Ergänzung<br />

des Handlungsinstrumentariums<br />

Einen Ausweg aus dem Dilemma scheint die Akkreditierung von Prozessen<br />

statt Programmen, d.h. die Akkreditierung hochschuleigener Qualitätssicherungssysteme,<br />

zu weisen, wie sie etwa in Großbritannien seit 1998<br />

und bereits früher in Australien, Neuseeland und Hongkong zur Anwendung<br />

kommt. Die Kultusministerkonferenz hat Handlungsbedarf konstatiert.<br />

Im Sommer 2007 hat sie auf Vorschlag des Hochschulverbandes für<br />

das Konzept einer Prozessakkreditierung als Alternative zur Programmakkreditierung<br />

grundsätzlich grünes Licht gegeben 55 . Eine gesetzliche Ermächtigung<br />

zur Ersetzung der Programm- durch eine Prozessakkreditie-<br />

55 Dazu die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz vom 15.6.2007 und vom<br />

13.12.2007 zur Einführung der Systemakkreditierung; vgl. auch Wissenschaftsrat,<br />

Empfehlung zur künftigen Rolle der Universitäten im Wissenschaftssystem, WR-<br />

Drucks. 7067-06, Empfehlung Nr. 10; zu bereits durchgeführten Pilotprojekten, insbesondere<br />

dem „Mainzer Modell“, siehe Schmidt/Horstmeyer, Beiträge zur Hochschulforschung<br />

30 (2008), S. 40 ff. sowie Leitfaden für Verfahren der Systemakkreditierung<br />

der Akkreditierungsagentur ACQUIN http://www.acquin.org/doku_serv/Leitfa<br />

denSystemakkreditierung.pdf (1.5.2008).


250 Mario Martini<br />

WissR<br />

rung findet sich freilich bisher nur im bremischen 56 und schleswig-holsteinischen<br />

57 Hochschulgesetz.<br />

Die Prozessakkreditierung (häufig auch Systemakkreditierung genannt)<br />

zielt auf eine am New Public Management orientierte, in Verantwortung<br />

der Fakultäten eingerichtete Optimierung hochschulinterner<br />

Prozesse. Sie überprüft nicht Programme, sondern die Lenkungs-, Steuerungs-<br />

und Aufsichtsmechanismen, mit denen die Hochschulen ihrer Verantwortung<br />

nachkommen, akademische Standards zu sichern und die<br />

Qualität von Forschung und Lehre zu optimieren. Ihr Gegenstand ist die<br />

Einhaltung und Validität hochschuleigener Qualitätssicherungssysteme<br />

und -verfahren, die das erwünschte Ausbildungs- und Forschungsniveau<br />

zuverlässig und systematisch, disziplin- und niveauunabhängig garantieren,<br />

insbesondere die Aufbau- und Ablauforganisation und ihre Steuerungsmechanismen<br />

58 . Ihr liegt die nachvollziehbare Hypothese zugrunde,<br />

dass bei vorhandener Prozessqualität auf die Nachweisbarkeit entsprechender<br />

Programmqualität geschlossen werden kann 59 . Es soll – ähnlich<br />

wie bei dem verfahrensrechtlichen Ansatz des Umwelt-Audit-Systems –<br />

ein Qualitätsmanagement-System entstehen, das alle Aspekte der akademischen<br />

Hochschulleistungen erfasst und ein „Frühwarnsystem“ etabliert,<br />

welches Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennt und notwendige<br />

Umsteuerungs- und Verbesserungsmaßnahmen umsetzt, bevor die Ergebnisqualität<br />

sinkt. Gleichsam als „interne Akkreditierungsagentur“ soll<br />

56 „Die Akkreditierung des Studienangebots kann durch eine Prozessakkreditierung<br />

oder eine institutionelle Akkreditierung der Hochschule ersetzt werden“, heißt es<br />

in § 53 Abs. 4 S. 7. brem. HochschulG.<br />

57 § 5 Abs. 1 S. 3 s.-h. HochschulG bestimmt, dass „die Programmakkreditierung<br />

(…) nach Etablierung entsprechender Systeme durch andere Akkreditierungssysteme<br />

ergänzt oder ersetzt werden kann“.<br />

58 Kennzeichnend für ein gelungenes Qualitätssicherungssystem sind insbesondere<br />

qualitätsfördernde Entscheidungsstrukturen und Mechanismen zur Ressourcenverteilung<br />

sowie ein Personalmanagement, das ein hohes Motivations- und Qualifikationsniveau<br />

sowohl in Wissenschaft als auch in Verwaltung als auch auf Leitungsebene<br />

sicherstellt.<br />

59 Wolff, Stand und aktuelle Fragen der Akkreditierung in Deutschland, in: Deutscher<br />

Hochschulverband, Qualität durch Akkreditierung, 2005, S. 23 (26), stellt den<br />

plastischen Vergleich mit der Qualitätskontrolle einer Bäckerei an: „Man stelle sich<br />

eine Brötchenbäckerei vor, in der wir die Qualität der Brötchen prüfen und feststellen<br />

wollen. Um das zu leisten, untersuchen wir jedes einzelne Brötchen auf seine Bestandteile<br />

und Genießbarkeit. Ein ungewöhnlicher Aufwand, der gleichzusetzen ist mit unserer<br />

Programmakkreditierung. Sehr viel klüger wäre es zu prüfen, ob die Brötchenbäcker<br />

ihr Handwerk verstehen, ob der Ofen in Ordnung ist, ob die Rezepte gut sind<br />

und ob aus den Zutaten prima schmackhafte, sättigende und gut verdauliche Brötchen<br />

gebacken werden können“. Ob die Uniformität von Brötchen mit der Individualität unterschiedlicher<br />

Studiengänge und Wissenschaftsdisziplinen ohne Weiteres verglichen<br />

werden kann, darf allerdings bezweifelt werden.


41 (2008) Akkreditierung im Hochschulrecht<br />

251<br />

es die bisher durch Externe vorgenommene Ergebniskontrolle in funktional<br />

äquivalenter Weise durch interne Prozesssteuerungsmechanismen 60<br />

wahrnehmen.<br />

Die Prozessakkreditierung überprüft die in den Hochschulen implementierte<br />

Systemsteuerung der Prozesse daraufhin, ob sie die Wirksamkeit<br />

des Qualitätsmanagementsystems angemessen, effektiv und effizient<br />

sichert. Eine positive Prozessakkreditierung bescheinigt der Hochschule,<br />

dass ihr Qualitätssicherungssystem im Bereich von Studium und Lehre<br />

geeignet ist, das Erreichen der Qualifikationsziele und die Qualitätsstandards<br />

ihrer Studiengänge zu gewährleisten 61 .<br />

Die Prozessakkreditierung setzt das Vertrauen in die Selbstüberprüfung<br />

der Hochschule an die Stelle permanenter Kontrolle von außen. Sie<br />

respektiert die institutionelle Autonomie der Hochschulen, ist zeit- und<br />

ressourcenschonender als die Programmakkreditierung; Evaluation als<br />

Instrument der Binnensteuerung und die Akkreditierung als Instrument<br />

zur Sicherung von Qualitätsstandards nähern sich einander an und werden<br />

miteinander verzahnt 62 . Die Prozessakkreditierung begreift Hochschulen<br />

und ihre Qualitätssicherung stärker als lernende und lernfähige<br />

Systeme. Auf inhaltliche Stichproben wird sie dabei freilich nicht ganz<br />

verzichten können. Denn eine vollständige Sicherung der Ergebnisqualität<br />

setzt eine Verifizierung der aus dem Prozessgedanken abgeleiteten Qualitätsvermutung<br />

voraus. In der Sache handelt es sich bei der Prozessakkreditierung<br />

eher um eine verfahrensrechtliche Absicherung qualitätssichernder<br />

Selbstevaluation, gleichsam eine „Hilfe“ zur Selbsthilfe, als um<br />

ein ergebnisorientiertes Validierungsverfahren. Ihre Aussagekraft als Instrument<br />

zur Einschätzung inhaltlicher Ausbildungsqualität und ihr Entlastungspotenzial<br />

bleiben notwendig begrenzt. Sie vermag, anders als in<br />

der hochschulpolitischen Diskussion bisweilen suggeriert, (bei sachgerechter<br />

Anwendung) die Programmakkreditierung nicht vollständig abzulösen,<br />

sondern lediglich zu entlasten 63 .<br />

60<br />

Beispiele sind etwa eine regelmäßige Lehrveranstaltungsevaluation durch die<br />

Studierenden, die interne und externe Evaluation der Studiengänge, Anreizsysteme<br />

zur Förderung der Qualität in Studium und Lehre, die Sicherung der Lehrkompetenz<br />

bei Berufungs- und Einstellungsverfahren sowie ein wirksames Umsetzungscontrolling<br />

für Maßnahmen zur Mängelbeseitigung.<br />

61<br />

Akkreditierungsrat, Kriterien für die Systemakkreditierung, Drs. AR 11/2008,<br />

S. 1.<br />

62 Vgl. zu dem kontrovers diskutierten Verhältnis von Akkreditierung und Evaluation<br />

im Allgemeinen Erichsen (Fn. 3), S. 8 ff.; Kromrey, Zur Verbindung von Akkreditierung<br />

und Evaluation, ibid., F 2.2, S. 1 ff.<br />

63<br />

Nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 13.12.2007 zur Einführung<br />

der Systemakkreditierung ist Voraussetzung für die Zulassung zur Systemakkreditierung<br />

der Nachweis einer bestimmten Anzahl erfolgreich durchgeführter Pro-


252 Mario Martini<br />

WissR<br />

VI. Fazit<br />

Das Bekenntnis des Hochschulrechts zur Qualitätssicherung verdient<br />

Lob. Der eingeschlagene Weg der Akkreditierung ist in seinem Grundgedanken<br />

ein zielführender Baustein in einem solchen Handlungskonzept.<br />

Seine Umsetzung de lege lata löst jedoch verfassungsrechtliches Bauchgrimmen<br />

aus. Die Fruchtbarmachung selbstregulativer Beiträge externen<br />

Sachverstandes im Wege einer Einbeziehung privater Akteure ist nur bei<br />

strikter Wahrnehmung der staatlichen Gewährleistungsverantwortung<br />

und konsequenter Steuerung des Prozesses durch hinreichend dichte legislative<br />

Vorgaben verantwortbar. Das gegenwärtige Akkreditierungssystem<br />

genügt diesen Anforderungen noch nicht. Die Programmakkreditierung<br />

leidet auch an strukturellen Defiziten. Eine Prozessakkreditierung<br />

verspricht hier eine die Hochschulautonomie sichernde Erweiterung des<br />

Instrumentenbestecks, die allerdings nur ergänzend, nicht ersetzend Einsatz<br />

finden darf, wenn die originäre Zielsetzung der Akkreditierung, die<br />

unabhängige Beurteilung der sachlichen Mindestqualität eines Bildungsangebots,<br />

zuverlässig erreicht werden soll.<br />

Summary<br />

The accreditation of universities and degree courses as a means towards the safeguarding<br />

of the quality and comparability of degree courses has, within a short time, secured<br />

a firm place within the instrumental medley of the legislation on higher education. To a<br />

great extent, we are still in the dark as regard to its legal basis, its classification according<br />

to legal theory and its covering by constitutional law. The article discloses the economic<br />

rationality of accreditation, regiments it into the system of instruments of control<br />

existing in public administration, systematizes its structure and analyses its responsibility<br />

in the light of the managerial guidelines under constitutional law set down<br />

in Article 5 paragraph (3) GG (i.e. Grundgesetz = German Basic Law). Among other<br />

things, it comes to the conclusion that the structuring of accreditation de lege lata does<br />

not meet the requirements of Article 5 paragraph (3) GG to exercise the governement’s<br />

warranty when including private protagonists in the supervision of the higher education<br />

system. It also comes to the result that system accreditation which is currently<br />

being discussed can complement programme accreditation perspectively, but cannot<br />

replace it.<br />

grammakkreditierungen, namentlich „pro angefangene 2.500 Studierende mindestens<br />

ein erfolgreich akkreditierter Studiengang, [insgesamt] mindestens jedoch zwei Studiengänge<br />

(ein Bachelor-, ein Masterstudiengang); für Hochschulen mit reglementierten<br />

Studiengängen gilt das Gleiche, mindestens jedoch drei erfolgreich akkreditierte<br />

Studiengänge (ein Bachelor-, ein Master-, ein reglementierter Studiengang)“.


41 (2008) Rechtsprechung<br />

Anne-Kathrin Lange<br />

Ausgewählte Entscheidungen<br />

Übersicht<br />

Wissenschaftsrecht Bd. 41 (2008) S. 253–259<br />

© Mohr Siebeck – ISSN 0948-0218<br />

253<br />

Rechtsprechung<br />

1. Verwaltungsgericht Braunschweig: Impfkosten bei Dienstreise<br />

2. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Festsetzung der Gruppengröße<br />

zur Verbesserung der Betreuungsrelation<br />

1. Verwaltungsgericht Braunschweig – Urteil vom 3. Juni 2008 – 7 A 5/08<br />

Leitsatz<br />

Aufwendungen für Impfungen – einschließlich Sera – können im Zusammenhang<br />

mit Auslandsdienstreisen nur dann als notwendige Auslagen (hier: erstattungsfähige<br />

Nebenkosten) im Sinne des § 10 Abs. 1 BRKG anerkannt werden, wenn sie für<br />

Schutzimpfungen entstanden sind, die entweder vom Einreiseland zwingend vorgeschrieben<br />

oder dienstlich empfohlen worden sind. Fehlt es insoweit an einer dienstlichen<br />

Empfehlung, ist die Behörde nicht gehindert, mangels konkreterer Erkenntnisquellen<br />

auf die allgemeinen Impfempfehlungen des Auswärtigen Amtes sowie ergänzend<br />

der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit<br />

(DTG) abzustellen.<br />

Zum Sachverhalt<br />

Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, ihm Kosten zu erstatten, die er<br />

aus Gründen medizinischer Vorsorge anlässlich einer Dienstreise nach China aufgewendet<br />

hat.<br />

Der Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Er steht als Wissenschaftlicher Oberrat im<br />

Dienst der Beklagten.<br />

Der Beklagte genehmigte sowohl die Teilnahme des Klägers an dieser Veranstaltung<br />

als auch die damit im Zusammenhang stehende Dienstreise. Ausweislich der<br />

Vorentscheidung handelte es sich um eine Forschungsreise von höchster Priorität.<br />

In Vorbereitung seiner Dienstreise hatte sich der Kläger bei seinem auch für Reisemedizin<br />

qualifizierten Hausarzt nach erforderlichen medizinischen Vorsorgemaßnahmen<br />

erkundigt. Der Arzt erklärte dem Kläger, für die Dienstreise nach China seien


254 Rechtsprechung<br />

WissR<br />

vorbeugende Maßnahmen gegen Malaria, Typhus, Tollwut sowie gegen Hepatitis A<br />

und B erforderlich. Der Kläger ließ diese empfohlenen Vorsorgemaßnahmen im Februar<br />

2007 durchführen und beantragte bei dem Beklagten Beihilfeleistungen (u.a.) für<br />

die dadurch entstandenen Kosten. Mit bestandskräftigem Beihilfebescheid lehnte der<br />

Beklagte die Gewährung von Beihilfe für die genannten Vorsorgemaßnahmen ab verwies<br />

den Kläger an die Reisekostenstelle. Diese erkannte dem Kläger lediglich die Kosten<br />

für die Hepatitis-A-Impfung als erforderliche Reisekosten an und lehnte im Übrigen<br />

die Erstattung der Kosten für die verbleibenden medizinischen Vorsorgeuntersuchungen<br />

ab. Zur Begründung führte er an, dass das Auswärtige Amt für Reisen nach<br />

China Impfungen gegen Tollwut, Typhus und Hepatitis-B nicht für notwendig erklärt<br />

hatte. Die Kosten für die Malaria-Prophylaxe seien deswegen nicht erstattungsfähig,<br />

weil nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale<br />

Gesundheit (DTG) eine Malariavorbeugung in Wuhan nicht notwendig<br />

sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte zurück.<br />

Daraufhin erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht und trug zur Begründung<br />

ergänzend vor, dass er ausschließlich die Erstattung von Kosten, die er aus Anlass<br />

seiner Dienstreise aufgewandt habe begehre. Es handele sich um notwendige<br />

Auslagen, die als Nebenkosten im Sinne des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) zu<br />

erstatten seien. Er habe den Rat seines hinreichend fachkundigen Hausarztes in Anspruch<br />

nehmen und ihm vertrauen dürfen. Insoweit als er im Rahmen des offiziellen<br />

Tagungsprogramms Feldversuche in der umliegenden Provinz besichtigte, wären auf<br />

ihn Vorwürfe und auf den Dienstherren weitaus höhere Kosten zugekommen, hätte<br />

der Kläger die Vorsorge unterlassen. Daher entspreche es dem Fürsorgeprinzip, Auslagenersatz<br />

zu leisten.<br />

In der Begründung der Klageabweisung beruft sich der Beklagte darauf, dass gemäß<br />

Ziffer 10.1.2 der Verwaltungsvorschrift zum BRKG (BRKGVwV) Impfkosten<br />

bei Auslandsreisen erstattungsfähig sein können, allerdings zwecks einheitlicher Ermessensausübung<br />

und nach ständiger Verwaltungspraxis des Beklagten nur nach<br />

Maßgabe der Impfempfehlungen des Auswärtigen Amtes sowie ergänzend nach denjenigen<br />

des DTG. Von dem seit 1986 in Dienstreisen erfahrenen Kläger könne erwartet<br />

werden, dass er sich insoweit zeitnah hinreichend sachkundig mache. Eine Zusicherung<br />

der Kostenerstattung durch die rechtlich selbständige, nicht dem Beklagten,<br />

sondern der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung unterstellte<br />

Beihilfestelle sei mangels Regelungscharakters nicht abgegeben worden; zudem sei<br />

die Beihilfestelle dafür ohnehin unzuständig.<br />

Aus den Gründen<br />

[…]<br />

Die zulässige Klage ist unbegründet.<br />

Die Versagung des von dem Kläger begehrten Verwaltungsaktes ist rechtmäßig<br />

und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht der von ihm<br />

geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der im Tatbestand spezifizierten Arzt-,<br />

Impfstoff- und Medikamentenkosten nicht zu. Die Voraussetzungen der einzigen insoweit<br />

in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage sind nicht gegeben. Gemäß § 10<br />

Abs. 1 BRKG werden zur Erledigung eines Dienstgeschäftes notwendige Auslagen,


41 (2008) Rechtsprechung<br />

255<br />

die nicht nach den §§ 4 bis 9 BRKG zu erstatten sind, als Nebenkosten erstattet. Die<br />

erstgenannte Vorschrift ist hier allein einschlägig, weil die aufgrund § 14 Abs. 3<br />

BRKG erlassene Auslandsreisekostenverordnung (ARV) insofern keine speziellere<br />

oder ergänzende Regelung enthält.<br />

Die geltend gemachten Kosten sind keine notwendigen Auslagen im Sinne des § 10<br />

Abs. 1 BRKG: In Anwendung der den Begriff der Notwendigkeit konkretisierenden<br />

Verwaltungsvorschriften (BRKGVwV), kommen prinzipiell u.a. auch notwendige<br />

Impfungen einschließlich Sera im Zusammenhang mit den Auslandsdienstreisen als<br />

erstattungsfähige Nebenkosten in Betracht (Ziffer 10.1.2, letzter Spiegelstrich). Allerdings<br />

fallen darunter in erster Linie Auslagen für vom Einreiseland zwingend vorgeschriebene<br />

Schutzimpfungen sowie für dienstlich empfohlene Impfungen gegen<br />

Erkrankungen in Infektions- und Epedemiegebieten (Meyer/Fricke, Reisekosten im<br />

öffentlichen Dienst, Komm., Std. Sept. 2007, Bd. 2, Rn. 31 zu § 10 BRKG). Im vorliegenden<br />

Fall geht es weder um von der VR China vorgeschriebenen noch um dienstlich<br />

empfohlene Impfungen. Stattdessen hat der Beklagte unter Berufung auf generelle,<br />

nicht nur Bedienstete betreffende Empfehlungen des Auswärtigen Amtes sowie<br />

ergänzend der DTG – in der jeweils gerade aktuellen Fassung – die Erstattung der<br />

Auslagen abgelehnt. Dies ist nicht zu beanstanden, weil keine konkreteren Erkenntnisquellen<br />

verfügbar waren. Dass der Beklagte sodann unter der strikten Beachtung<br />

dieser zwischen den Beteiligten inhaltlich unstreitigen Empfehlungen nur die Auslagen<br />

für die Hepatitis A-Impfung erstattet, ansonsten eine Kostenerstattung abgelehnt<br />

hat, ist gleichfalls unstreitig und bedarf keiner weiteren Vertiefung.<br />

Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht daher auf die Begründung<br />

der Widerspruchbescheides des Beklagten, macht sich die dortigen Ausführungen<br />

zu Eigen und sieht prinzipiell von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe<br />

ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).<br />

Ergänzend hebt die Kammer hervor: Der im Beihilfebescheid erhaltenden Passus,<br />

die Kosten seien gegenüber der Reisekostenstelle geltend zu machen, sofern es sich<br />

um Aufwendungen für eine Dienstreise handele, weist schon mit dieser sprachlichen<br />

Formulierung lediglich auf die Möglichkeit hin, bei der dafür zuständigen Stelle einen<br />

entsprechenden Antrag zu stellen. Anhaltspunkte für eine Zusicherung im Sinne<br />

des § 38 VwVfG sind nicht ersichtlich; es fehlt erkennbar sowohl an einem Rechtsbindungswillen<br />

als auch einem Regelungscharakter. Zudem wäre die Beihilfestelle<br />

– nach dem Wortlaut dieses Hinweises auch für den Kläger erkennbar – für eine solche<br />

Zusicherung nicht zuständig gewesen.<br />

Aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn folgt nichts anderes. Denn jene wird<br />

durch den § 10 Abs. 1 BRKG bereits hinreichend konkretisiert, so dass in Anbetracht<br />

dieser abschließenden Spezialregelung kein Raum für einen Rückgriff auf jenen allgemeinen<br />

Grundsatz bleibt.<br />

Soweit der Kläger sich auf eine – unstreitig auch durch ihn durchgeführte – Exkursion<br />

in den ländlichen Raum beruft, dauerte diese ausweislich der vorgelegten Tagesprogramms<br />

vom 26. März 2007 (Bl. 63 GA) lediglich maximal (inkl. Fahrtzeiten)<br />

fünf Stunden und erreicht daher schon zeitlich nicht das Risikopotential eines – sonst<br />

erforderlichen – mehrwöchigen Aufenthaltes fernab der Großstädte.<br />

[…]<br />

[Urteil eingesandt von der 7. Kammer des VG Braunschweig]


256 Rechtsprechung<br />

WissR<br />

2. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Juni 2008<br />

Leitsatz<br />

Die Hochschule kann die Betreuungsrelation für Lehrveranstaltungen in der Studienordnung<br />

anhand der in der Hochschulwirklichkeit durchschnittlich anzutreffenden<br />

Gruppengröße festsetzen. Kapazitätsrechtlich setzt die Verbindlichkeit aber<br />

voraus, dass die Gruppengröße formell ordnungsgemäß durch das zuständige Hochschulorgan<br />

beschlossen wurde und dabei die kapazitären Auswirkungen bedacht<br />

worden sind. Ferner muss die Orientierung an der Hochschulwirklichkeit konsistent,<br />

also für alle Lehrveranstaltungen, eingehalten sein; Fehleinschätzungen gehen<br />

zu Lasten der Hochschule.<br />

Zum Sachverhalt<br />

Der Antragsteller begehrt die Zulassung zum Studium der Medizin und macht hierzu<br />

geltend, die Antragsgegnerin habe mit der Vergabe von 321 Studienplätzen die vorhandene<br />

Ausbildungskapazität nicht erschöpft. Das Verwaltungsgericht hat die Kapazitätsberechnung<br />

der Antragsgegnerin beanstandet und eine Aufnahmekapazität<br />

von 341 Studienanfängern errechnet. Es hat die Antragsgegnerin daher im Wege der<br />

einstweiligen Anordnung verpflichtet, weitere 20 Bewerber vorläufig zum Studium<br />

zuzulassen. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin ist der Beschluss abzuändern,<br />

weil sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur eine Aufnahmekapazität<br />

von 335 Studienanfängern feststellen lässt. Die Antragsgegnerin kann daher nur dazu<br />

verpflichtet werden, 14 weitere Teilstudienplätze zu vergeben.<br />

Aus den Gründen<br />

[…]<br />

3. Vorschriften darüber, wie der für die Berechnung der Lehrnachfrage maßgebliche<br />

Curricularanteil inhaltlich zu bestimmen ist, enthält die KapVO VII jedoch<br />

nicht. Auch aus dem Gebot der erschöpfenden Kapazitätsauslastung lassen sich keine<br />

konkreten Berechnungsgrundsätze ableiten (vgl. BVerfGE 85, 36 [56 f.]).<br />

Die Ausgestaltung obliegt daher grundsätzlich der Hochschule selbst, die im<br />

Rahmen der ihr durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Eigenständigkeit befugt<br />

ist, bei der Organisation und Ausgestaltung des Studiums ihren eigenen hochschulpolitischen<br />

Vorstellungen und fachdidaktischen Zielvorstellungen Ausdruck zu<br />

verleihen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.1987 – 7 C 10/86 –, NVwZ 1989, 360). Im<br />

Rahmen des vom Verordnungsgeber vorgegebenen Curricularnormwerts des Studiengangs<br />

– sowie im Falle des Studiengangs Medizin auch der Currcicularanteile der<br />

am Studiengang beteiligten Lehreinheiten – gestaltet die Hochschule Struktur und<br />

Inhalt ihrer Studienpläne daher grundsätzlich selbst.<br />

Insbesondere ist die Hochschule von Rechts wegen nicht verpflichtet, bei der Berechnung<br />

der Lehrnachfrage den Vorgaben des sogenannten ZVS-Beispielstudienplans<br />

zu folgen. Dieser ist vielmehr weder in der KapVO VII noch in der Approbationsordnung<br />

für Ärzte vom 27.06.2002 (BGBl. I S. 2405, zuletzt geändert durch Gesetz vom


41 (2008) Rechtsprechung<br />

257<br />

02.12.2007, BGBl. I S. 2686 – ÄAppO –) verbindlich vorgegeben. Der Gesetzgeber hat<br />

auf die verbindliche Vorgabe entsprechender Leitbilder vielmehr bewusst verzichtet,<br />

um der Profilbildung der Hochschulen und der Herausbildung wissenschaftlicher<br />

Schwerpunkte ausreichend Raum zu belassen (vgl. Koch, RdJB 2005, 345). Entgegen<br />

der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung sind daher nicht zwingend die abstrakten<br />

Betreuungsrelationen des ehemaligen ZVS-Beispielstudienplans heranzuziehen<br />

(vgl. Senatsbeschlüsse vom 09.07.2007 – NC 9 S 26/07 – und vom 23.08.2006 – NC<br />

9 S 38/06 –). Der ZVS-Beispielstudienplan gab auf der Grundlage der Approbationsordnung<br />

ein „Beispiel“ – also eine Möglichkeit – vor, wie der für den Studiengang festgesetzte<br />

Curricularnormwert ausgefüllt und umgesetzt werden kann; er schloss und<br />

schließt abweichende Studienpläne aber nicht aus.<br />

Dabei ist allerdings nicht zu verkennen, dass die Systematik der KapVO VII auf<br />

pauschalierte Berechnungsmodi angelegt ist. Dies ist für die Bestimmung des an der<br />

Hochschule vorhandenen Lehrangebots besonders deutlich. Denn unabhängig von<br />

den tatsächlichen Gegebenheiten wird durch das in § 8 f. KapVO VII angeordnete<br />

Stellenprinzip stets auf die höchst mögliche Lehrverpflichtung des Lehrpersonals abgestellt<br />

(vgl. BVerfGE 66, 155 [186 f.]). Darüber hinaus geht der Gesamtansatz der<br />

verfügbaren Deputatsstunden einer Lehreinheit von der Austauschbarkeit aller Lehrenden<br />

für die Veranstaltungen innerhalb der Lehreinheit aus. Diese Annahme ist angesichts<br />

der hohen Spezialisierung aber fiktiv; es liegt auf der Hand, dass etwa ein<br />

Anatomie-Kurs nicht von Psychologen abgehalten werden kann (vgl. auch Bahro/<br />

Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl.<br />

2003, S. 368). Gleiches gilt für die Bestimmung des Curricularnormwerts, bei der abstrakt<br />

an Hand der „Lernmengentheorie“ auf den Besuch der von der Approbationsordnung<br />

und den Studien- und Prüfungsordnungen vorgegebenen mindesterforderlichen<br />

Veranstaltungen abgestellt wird (vgl. Großkreutz, in: Hailbronner/Geis,<br />

HRG-Kommentar, Stand: 06/2007, § 29 Rn. 18; Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht<br />

in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 2003, S. 403).<br />

Die als „Mittelwert“ angesetzten Betreuungsrelationen des ZVS-Beispielstudienplans<br />

(vgl. BVerwGE 64, 77 [89]), die auch bei der Festsetzung des Curricularnormwerts<br />

zu Grunde gelegt worden sind (vgl. Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht<br />

in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 2003, S. 103), korrespondieren daher<br />

offenkundig mit dem abstrakten Berechnungsmodell der Kapazitätsverordnung.<br />

Ihre Heranziehung erscheint deshalb auch nach Wegfall der rechtsverbindlichen Vorgabe<br />

sachgerecht (vgl. Senatsurteil vom 23.11.2005 – NC 9 S 140/05 –).<br />

Die Betreuungsrelationen des ZVS-Beispielstudienplans sind im gegenwärtigen<br />

Rechtszustand aber nicht mehr verbindlich vorgeschrieben und damit nicht die einzige<br />

Möglichkeit. Schranken bei der eigenverantwortlichen Bestimmung der Lehrnachfrage<br />

durch die Hochschulen ergeben sich vielmehr nur aus den Vorgaben höherrangigen<br />

Rechts – insbesondere aus dem Gebot der erschöpfenden Kapazitätsauslastung<br />

– und dem Erfordernis der Systemgerechtigkeit des gewählten Modells.<br />

Wählt die Hochschule ein Berechnungssystem, bei dem die Betreuungsrelation<br />

anhand der in der Hochschulwirklichkeit durchschnittlich anzutreffenden Gruppengröße<br />

festgelegt wird, ist dies im Grundsatz daher nicht zu beanstanden. Der Ansatz<br />

hat sachliche Gründe und findet ebenfalls Anhaltspunkte in der Kapazitätsverordnung<br />

(vgl. etwa § 7 Abs. 1 Satz 2 KapVO VII hinsichtlich der Zuordnung zu


258 Rechtsprechung<br />

WissR<br />

Lehreinheiten). Die Hochschule hat dieses Modell aber konsistent einzuhalten und<br />

trägt Verantwortung und Risiko für die Richtigkeit der unterstellten Annahmen.<br />

Hieraus ergibt sich nicht nur eine erhöhte Darlegungsbedürftigkeit, die sich grundsätzlich<br />

auf alle Gruppengrößen bezieht, sondern auch eine im Vergleich zur abstrakten<br />

Berechnungsmethode des ZVS-Beispielstudienplans erhöhte Fehleranfälligkeit<br />

(dazu sogleich).<br />

III. Die von der Antragsgegnerin berechnete Lehrnachfrage auf Basis der tatsächlichen<br />

Gruppengröße ist daher im Grundsatz nicht zu beanstanden (1.), die Berechnungen<br />

im Einzelnen bedürfen indes der Korrektur hinsichtlich der Festlegung der<br />

für den Studiengang Molekulare Medizin (2.) und den klinischen Ausbildungsabschnitt<br />

(3.) erbrachten Veranstaltungen sowie für die Bestimmung von Lehrnachfrage<br />

(4.) und Dienstleistungsimport (5.).<br />

[(2.) bis (5.) hier nicht abgedruckt; Beschluss vollständig veröffentlicht in juris].<br />

1. Sowohl bei der Festlegung kapazitätsbestimmender Regelungen (vgl. BVerfGE<br />

85, 36 [56 f.]) als auch bei kapazitätsrelevanten Veränderungen in zulassungsbeschränkten<br />

Studiengängen (vgl. BVerfGE 66, 155 [178 f.]) unterliegt die Hochschule<br />

dem Gebot erschöpfender Kapazitätsauslastung. Das Verfahren zur Festsetzung der<br />

Aufnahmekapazität einer Hochschule muss hierfür den Bedingungen rationaler Abwägung<br />

genügen. Der Hochschule obliegt eine Darlegungspflicht hinsichtlich der<br />

angestellten Annahmen und Wertungen, aus denen sich nachvollziehbar ergeben<br />

muss, dass etwaige Kapazitätsminderungen auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt<br />

worden sind (vgl. BVerfGE 85, 36 [57]). Dies gilt in besonderer Weise für<br />

mathematisch bestimmte Festlegungsmodelle, weil die Zahlen und Formeln für sich<br />

den hinter ihr stehenden Abwägungsvorgang nicht ohne weiteres erkennen lassen.<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat die „ungewöhnlichen Schwierigkeiten“ der inhaltlichen<br />

Nachprüfung einer Kapazitätsverordnung „mit mehreren komplizierten<br />

und rechnerisch verknüpften Formeln“ und den sich hieraus ergebenden „unübersichtlichen“<br />

und „vielfältigen Ableitungen“ eindrücklich beschrieben (vgl. BVerfGE<br />

85, 36 [58]). Es hat zugleich jedoch klargestellt, dass auch die Modellrechnungen und<br />

Ableitungszusammenhänge einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden müssen.<br />

Diese erstreckt sich nicht nur auf die Kontrolle der tatsächlichen Annahmen, die<br />

der Modellrechnung zugrunde liegen, sondern auch auf die Systemkonformität des<br />

Modells.<br />

Die Antragsgegnerin hat zur Berechnung der Lehrnachfrage die im Studienplan<br />

ausgewiesenen Lehrveranstaltungen im vorklinischen Teil aufgelistet und den jeweilige<br />

Bedarf an Lehrdeputatsstunden in Semesterwochenstunden errechnet. Berechnungsgrundlage<br />

für den jeweiligen Lehraufwand ist dabei die Formel:<br />

Stundenvolumen (v) x Anrechnungsfaktor (f)<br />

Betreuungsrelation (g).<br />

Die für die jeweilige Lehrveranstaltung anzusetzende Stundenzahl (v) ergibt sich dabei<br />

aus den im Studienplan hierfür ausgewiesenen Semesterwochenstunden. Auch<br />

die Betreuungsrelation (g) ist als rechnerische Gruppengröße in der Studienordnung<br />

festgelegt (vgl. Anlage 2/2). Der Anrechnungsfaktor (f) dient dazu, dem unterschiedlichen<br />

Vorbereitungs- und Betreuungsaufwand der Veranstaltungen Rechnung zu<br />

tragen. Er kann zwar nicht aus den zwischenzeitlich außer Kraft getretenen früheren


41 (2008) Rechtsprechung<br />

259<br />

Kapazitätsverordnungen entnommen werden (vgl. etwa Anlage 2 der Verordnung<br />

des Kultusministeriums über die Grundsätze für eine einheitliche Kapazitätsermittlung<br />

und -festsetzung zur Vergabe von Studienplätzen vom 31.01.1977, GBl. S. 64).<br />

Die Heranziehung eines entsprechenden Gewichtungsfaktors ist aber auch nach<br />

Wegfall der verordnungsrechtlichen Normierung sachgerecht und daher in der Senatsrechtsprechung<br />

gebilligt worden (vgl. etwa Senatsurteil vom 15.02.2000 – NC 9 S<br />

39/99 –).<br />

Dieses Berechnungsmodell ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. Es entspricht<br />

den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Festlegung objektivierter, nachvollziehbarer<br />

Kriterien der Kapazitätsermittlung nach dem Stand der jeweiligen Erfahrungen.<br />

[Beschluss eingesandt vom Vors.Ri. am VGH Schwan]


260 WissR<br />

Anne-Kathrin Lange<br />

Rechtsprechung in Leitsätzen<br />

Rechtmäßigkeit von Studiengebühren in Hessen<br />

Verf HE Art. 1, 59, 67; StGHG § 19; UN-Sozialpakt Art. 13<br />

1. Die Aufzählung der Antragsberechtigten vor dem Staatsgerichtshof in Art. 131<br />

Abs. 2 HV ist nicht abschließend. Der Gesetzgeber war daher befugt, den Fraktionen<br />

des Hessischen Landtags in § 19 Abs. 2 Nr. 4 StGHG ein eigenes Antragsrecht<br />

zu verleihen.<br />

2. Art. 59 Abs. 1 HV enthält keine Garantie der Unentgeltlichkeit des Hochschulstudiums<br />

und damit auch kein Verbot allgemeiner Studienbeiträge.<br />

3. Art. 59 Abs. 1 Satz 1 HV ist als soziales Grundrecht der Ausgestaltung und<br />

Konkretisierung durch den Gesetzgeber zugänglich. Von der Ausgestaltungsermächtigung<br />

des Art. 59 Abs. 1 Satz 1 HV ist Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV zu unterscheiden.<br />

Zwischen Art. 59 Abs. 1 Satz 1 HV und Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV<br />

besteht kein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV enthält einen<br />

qualifizierten Gesetzesvorbehalt, der die Entscheidung über die Erhebung<br />

eines Unterrichtsentgelts dem Gesetzgeber überantwortet. Im Geltungsumfang<br />

einer solchen gesetzlichen Anordnung ist die verfassungsunmittelbar geltende<br />

Unterrichtsgeldfreiheit des Art. 59 Abs. 1 Satz 1 HV eingeschränkt.<br />

4. Indem Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV die Anordnung eines Schulgeldes erlaubt, wenn<br />

die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen<br />

es gestattet, wird auf die Fähigkeit zur Zahlung des Schulgeldes zur<br />

Zeit der Ausbildung abgestellt. Diese Feststellung ist der Einschätzungsprärogative<br />

des Gesetzgebers mit der Maßgabe überantwortet, dass die finanzielle<br />

Situation eines Studienbewerbers oder Studierenden kein Hindernis für die<br />

Aufnahme eines Studiums darstellen darf.<br />

5. Der Gesetzgeber darf allgemeine Studienbeiträge ohne individuelle Prüfung<br />

der wirtschaftlichen Lage einführen, wenn er die damit verbundenen Belastungen,<br />

die von der Aufnahme oder Fortführung eines Studiums abhalten könnten,<br />

durch die Gewährung eines Darlehens auffängt und wenn die Darlehensbedingungen<br />

so gestaltet sind, dass die Inanspruchnahme des Darlehens für einen<br />

Studierenden, der aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage die Studienbeiträge<br />

während des Studiums nicht zahlen kann, zumutbar ist. Die Zumutbarkeit ist<br />

objektiv am Maßstab eines vernünftigen und wirtschaftlich rational handelnden<br />

Studierenden zu bestimmen.<br />

Wissenschaftsrecht Bd. 41 (2008) S. 260–265<br />

© Mohr Siebeck – ISSN 0948-0218


41 (2008) Rechtsprechung in Leitsätzen<br />

261<br />

6. Die Verzinsungspflicht des Darlehens nach § 7 Abs. 1 Satz 2, 4 HStubeiG verstößt<br />

nicht gegen Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV, da Studierenden, deren BAföG-Berechtigung<br />

festgestellt worden ist, das Studiendarlehen zinslos gewährt und die<br />

für die Erhebung eines Studienbeitrags erforderliche „wirtschaftliche Lage“ im<br />

Sinne des Art. 59 Abs. 1 Satz 4 HV bereits durch die Gewährung des bonitätsunabhängigen<br />

Darlehens sichergestellt wird.<br />

7. Es ist mit der Hessischen Verfassung vereinbar, dass § 7 Abs. 1 Satz 6 HStubeiG<br />

die Zinsfreistellung von der Feststellung der BAföG-Berechtigung abhängig<br />

macht.<br />

8. § 7 Abs. 1 Satz 6 HStubeiG und § 8 Abs. 2 HStubeiG enthalten dynamische<br />

Verweisungen von Landes- auf Bundesrecht. Sie halten sich in dem hierfür geltenden<br />

verfassungsrechtlichen Rahmen, da das Hessische Studienbeitragsgesetz<br />

und das BAföG wesensgleiche Rechtsmaterien betreffen und von vergleichbaren<br />

Prinzipien getragen werden.<br />

9. Die nach § 3 Abs. 3 HStubeiG mögliche Erhöhung des Studienbeitrags auf bis<br />

zu 1.500 Euro im Falle eines Zweitstudiums ist sachlich gerechtfertigt und<br />

durfte den Hochschulen als autonomen Satzungsgebern übertragen werden.<br />

10. Die nur fakultative Beitragsermäßigung für ein Teilzeitstudium ist mit Art. 1<br />

HV vereinbar. Die Hochschulen haben ihr Satzungsermessen am Pflichtlehrangebot<br />

auszurichten und einer regelmäßig nur eingeschränkten Inanspruchnahme<br />

des Lehrangebots in Ausübung ihres Satzungsermessens Rechnung zu<br />

tragen. Dies gilt im Wege verfassungskonformer Auslegung auch für den Fall<br />

eines Teilzeitstudiums, das als Zweitstudium absolviert wird.<br />

11. Zweitstudiengänge und Zeiten der Überschreitung der Regelstudienzeit sind<br />

nicht vom Schutzbereich des Art. 59 Abs. 1 Satz 1 HV erfasst (vgl. StGH, Urteil<br />

vom 01.12.1976 – P.St. 812 –, StAnz. 1977, S. 110 [115]). Daher war der Gesetzgeber<br />

nicht verpflichtet, für entsprechende Beitragspflichtige den Zugang zum<br />

Studiendarlehen nach § 7 HStubeiG zu eröffnen.<br />

12. Die Zweckbindung der Beiträge in § 1 Abs. 2, 3 und 4 HStubeiG ist mit der<br />

Hessischen Verfassung vereinbar.<br />

13. Das Hessische Studienbeitragsgesetz entfaltet unechte Rückwirkung, die jedoch<br />

den an sie zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.<br />

Die Belange der Studierenden, die vor dem Inkrafttreten des HStubeiG ihr<br />

Studium in Hessen begonnen haben, überwiegen nicht das staatliche Interesse<br />

an einer allgemeinen Erhebung der Beiträge.<br />

14. Es ist nicht sachwidrig und daher mit Art. 1 HV vereinbar, die Höhe einer Beitragsbefreiung<br />

im Falle von Kinderbetreuung nur von der Person des Kindes<br />

abhängig zu machen.<br />

15. Die Regelung über die kinderbezogene Beitragsermäßigung bei zwei gleichzeitig<br />

studierenden Elternteilen stellt keine mittelbare Diskriminierung von<br />

Frauen dar.<br />

16. Der UN-Sozialpakt als Bundesrecht ist nicht Prüfungsmaßstab im Verfahren<br />

der abstrakten Normenkontrolle vor dem Staatsgerichtshof.


262 Rechtsprechung in Leitsätzen<br />

WissR<br />

Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Urteil vom 11. Juni 2008 – P.St. 2133, P.St.<br />

2158<br />

In: LKRZ 2008, 7 S. 186.<br />

Rechtmäßigkeit von Zweitstudiengebühren in Rheinland-Pfalz<br />

HSchulG RP §§ 35 Abs. 3 S. 1, 70 Abs. 1 S. 2, 70 Abs. 3 S. 3, 70 Abs. 3 S. 4; HRG<br />

§§ 18, 19; StudKEinrV RP § 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 S. 1, 2 Abs. 2 S. 2, 11 Abs. 1<br />

Die Beschränkung der Gebührenfreiheit von Zweitstudien auf konsekutive Bachelor-<br />

und Masterstudiengänge (§ 70 Abs. 1 Satz 2 HochSchG) ist verfassungsgemäß.<br />

Ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet es, allein Absolventen<br />

rheinland-pfälzischer Hochschulen die Möglichkeit einzuräumen, ein aus einem<br />

zügigen Erststudium auf dem Studienkonto verbleibendes Restguthaben für die<br />

Begleichung der Gebühren eines Zweitstudiums einzusetzen.<br />

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. April 2008 – 2 A 11200/07<br />

In: juris<br />

Verfassungsmäßigkeit von Studienbeiträgen in Hessen<br />

Verf. HE Art. 59; StudBG HE § 3 Abs. 1, 1 Abs. 1<br />

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu<br />

Studienbeiträgen im Sinne des § 80 Abs. 4 VwGO im Hinblick auf eine Vereinbarkeit<br />

der Regelungen des Hessischen Studienbeitragesgesetzes mit Art. 59 Abs. 1<br />

Satz 1 und 4 der Verfassung des Landes Hessen.<br />

Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. März 2008 – 8 TG 2493/07<br />

In: DVBl 2008, 10 S. 667.<br />

Verwaltungskostenbeitrag für Studierende<br />

GG Art 105 Abs. 2; HSchulG BYArt 72, 85a<br />

Die Erhebung eines Verwaltungskostenbeitrags in Höhe von 50 Euro je Semester<br />

für Verwaltungsdienstleistungen der Hochschulen, die zur Verwaltung und Betreuung<br />

der Studenten vorgehalten werden, jedoch nicht unmittelbar dem Lehrbetrieb<br />

zuzuordnen sind, ist verfassungsgemäß.(Rn.15)(Rn.18)<br />

Bayerischer Verwaltungsgerichthof, Urteil vom 12. Dezember 2007– 7 BV 06.3227<br />

In: juris<br />

Ablehnung der Verbeamtung auf Lebenszeit als Professor<br />

Verf. BW Art. 51; HSchulG BW § 50 Abs. 1 S. 1; DSG BW § 4 Abs. 3; BG BW § 10<br />

Abs. 1; ErnG BW § 1 Abs. 1<br />

1. Weder aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums noch aus<br />

Art. 5 Abs. 3 GG folgt ein Recht auf unbefristete Anstellung an der Hochschule.<br />

(Rn.22)


41 (2008) Rechtsprechung in Leitsätzen<br />

263<br />

2. Wiederholte Verstöße gegen dem Schutz von Studierenden dienende datenschutzrechtliche<br />

Bestimmungen können durchgreifende Zweifel an der Eignung<br />

eines Hochschulprofessors begründen. (Rn.26)<br />

3. Die Entscheidung, eine Verbeamtung auf Lebenszeit abzulehnen, obliegt auch<br />

bei Beamten, deren Ernennung dem Ministerpräsidenten vorbehalten ist, regelmäßig<br />

– soweit der Ministerpräsident die Prüfung nicht an sich zieht – dem Ministerium<br />

als der obersten Dienstbehörde. (Rn.23)<br />

Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 16. April 2008 – 3 K 2222/07<br />

In: juris<br />

Staatliche Forschungseinrichtung<br />

GG Art. 5 Abs. 3; HRG § 57d<br />

Eine dem Geschäftsbereich eines Bundesministeriums angehörende Einrichtung<br />

der Ressortforschung ist eine Forschungseinrichtung im Sinne von § 57d HRG,<br />

wenn sie über eine eigene Organisation verfügt, die eine freie wissenschaftliche Betätigung<br />

im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG ermöglicht.<br />

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. März 2008 – 7 AZR 1100/06.<br />

In: juris<br />

Kapazitätsreduzierung durch Tarifvertrag<br />

KapV SA §§ 8, 9<br />

1. Vor dem Hintergrund eines fehlenden normativen Stellenplanes könnte eine<br />

Reduzierung des Lehrdeputates eines wissenschaftlichen Mitarbeiters infolge<br />

einer tarifvertraglichen Regelung nur dann als zulässiges kapazitätsreduzierendes<br />

Moment anerkannt werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass nicht das<br />

individuelle Dienstverhältnis eines Stellenverwalters für die Anwendung der<br />

tarifvertraglichen Reduzierung des Lehrdeputates maßgeblich ist, sondern<br />

sich diese Reduzierung abstrakt auf in einem Stellenplan aufgeführte Planstellen<br />

bezieht.<br />

2. Sofern Bestimmungen in der Lehrverpflichtungsverordnung so auszulegen<br />

sein sollen, dass sie im Wege einer dynamischen Verweisung auf tarifvertragliche<br />

Vereinbarungen Bezug nehmen, muss sich diese Verweisung mit hinreichender<br />

Klarheit aus dem Normtext ergeben. Im Weiteren sind dynamische<br />

Verweisungen in gesetzlichen Regelungen ohnehin nur eingeschränkt zulässig.<br />

Der Verordnungsgeber darf seine Normsetzungsbefugnis nicht in beliebigem<br />

Umfang außerstaatlichen Stellen überlassen, soll der Bürger nicht schrankenlos<br />

einer normsetzenden Gewalt nichtstaatlicher Einrichtungen ausgesetzt<br />

werden.<br />

Oberverwaltungsgericht Sachen-Anhalt, Beschluss vom 29. Mai 2008 – 3 N 145/08<br />

In: juris


264 Rechtsprechung in Leitsätzen<br />

WissR<br />

Zulassungsrecht<br />

VwGO § 123; Vergabeverordnung – ZVS § 3, 6<br />

1. Im Zulassungsrechtsstreit um einen Studienplatz außerhalb der festgesetzten<br />

Kapazität fehlt der nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Anordnungsgrund,<br />

wenn der Antragsteller nicht seinerseits das ihm Mögliche und Zumutbare<br />

getan hat, um einen Studienplatz in dem gewünschten Studiengang<br />

zu erhalten.<br />

2. Bei Studiengängen, die in das zentrale Vergabeverfahren einbezogen sind, erfordert<br />

das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im Regelfall eine aktuelle und<br />

ordnungsgemäße ZVS-Bewerbung für den Studiengang, der Gegenstand des<br />

Zulassungsrechtsstreits ist.<br />

Dauert der Zulassungsrechtsstreit erstinstanzlich oder im Beschwerdeverfahren<br />

über das Bewerbungssemester hinaus an, besteht die Obliegenheit, das<br />

ZVS-Verfahren für den streitgegenständlichen Studiengang zu durchlaufen,<br />

für den bisher erfolglosen Antragsteller auch in den Folgesemestern fort (Bestätigung<br />

der bisherigen Senatsrechtsprechung).<br />

Die Obliegenheit weiterer Bewerbung im ZVS-Verfahren entfällt, wenn der<br />

Antragsteller im Zulassungsrechtsstreit auf Grund einstweiliger Anordnung<br />

des Verwaltungsgerichts vorläufig den gewünschten Studienplatz erhalten hat,<br />

die einstweilige Anordnung wegen einer dagegen von der Hochschule erhobenen<br />

Beschwerde aber noch nicht rechtskräftig ist; dies gilt auch dann, wenn<br />

das gerichtliche Eilverfahren im Beschwerdeverfahren über das Bewerbungssemester<br />

hinaus andauert (Änderung der Senatsrechtsprechung).<br />

3. Der Obliegenheit der ZVS-Bewerbung ist im Regelfall nur genügt, wenn sich<br />

der Antragsteller entsprechend dem geltenden Vergaberecht auch am Auswahlverfahren<br />

der Hochschulen beteiligt und von der Option Gebrauch<br />

macht, hierfür sechs (und nicht weniger) Studienorte anzugeben; für die Teilnahme<br />

an der Vergabe in der Abiturbestenquote und nach Wartezeit genügt<br />

die ordnungsgemäße Bewerbung (ohne Rücksicht auf die Zahl der gewünschten<br />

Studienorte).<br />

Hanseat. Oberverwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 23. April 2008 – 3<br />

Nc 216/07<br />

Mitgeteilt vom Veröffentlichungsreferat des OVG<br />

Einreiseerlaubnis als Au-pair-Kraft oder Student<br />

ARB Nr. 1/80 Art. 6 Abs. 1<br />

Der Umstand, dass einem türkischen Staatsangehörigen gestattet worden ist, als<br />

Au-pair-Kraft oder als Student in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzureisen,<br />

kann ihm nicht die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ nehmen und ihn nicht<br />

von der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt im Sinne von Art. 6 I des Beschlusses<br />

Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. 9. 1980 über die Entwicklung der<br />

Assoziation ausschließen. Dieser Umstand hindert den betreffenden Staatsangehörigen<br />

daher nicht daran, sich auf diese Vorschrift zu berufen, um eine Erneue-


41 (2008) Rechtsprechung in Leitsätzen<br />

265<br />

rung seiner Arbeitserlaubnis zu erhalten und in den Genuss eines dementsprechenden<br />

Aufenthaltsrechts zu kommen.<br />

EuGH 3. Kammer, Urteil vom 24. Januar 2008 – C-294/06 (Payir u.a. / Secretary of<br />

State for the Home Department)<br />

In: EuZW 2008, 8 S. 256.<br />

Rechtswidrige Ausbildungsförderung bei Sicherstellung der Ausbildung durch anzurechnendes<br />

Vermögen<br />

BAföG §§ 11 Abs. 2 , 26, 27, 28 Abs. 3 S. 1; SGB X § 45<br />

1. Forderungen des Auszubildenden, die nicht unter den abschließenden Katalog<br />

des § 27 Abs. 2 BAföG und nicht unter die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG vom<br />

Vermögen ausgenommenen Gegenstände fallen, gelten ungeachtet ihrer Rechtsnatur,<br />

ihres Ursprungs und Inhalts als Vermögen im ausbildungsförderungsrechtlichen<br />

Sinn. Dies gilt auch für (verdeckt) treuhänderisch gehaltene Forderungen.<br />

2. Der sich aus einem Treuhandverhältnis ergebende Anspruch des Treugebers gegen<br />

den Treunehmer auf Herausgabe des Treuguts kommt grundsätzlich als<br />

vom Vermögen des Auszubildenden nach § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG abzuziehende<br />

Schuld in Betracht. Voraussetzung dafür ist, dass der Auszubildende den<br />

Inhalt und das Bestehen des Treuhandverhältnisses im Zeitpunkt der Antragstellung<br />

substantiiert darlegt und nachweist.<br />

3. Der Abschluss und die Ernstlichkeit eines behaupteten Treuhandverhältnisses<br />

zwischen dem Auszubildenden und einem Familienangehörigen oder einer Person,<br />

zu der ein sonstiges Verhältnis besonderer persönlicher Nähe besteht, muss<br />

durch äußerlich erkennbare und objektiv nachweisbare Merkmale (objektive<br />

Indizien) nachgewiesen werden. Der Beweisantritt durch das Zeugnis von Familienangehörigen<br />

vermag fehlende objektive Beweisanzeichen nicht zu ersetzen<br />

und die Beweiskraft vorhandener gewichtiger Gegenindizien nicht zu erschüttern.<br />

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Urteil vom 11. Februar 2008 – 2 A<br />

959/05<br />

In: DVBl 2008, 10 S. 667.


266 WissR<br />

Anne-Kathrin Lange<br />

Übersicht der Neuerscheinungen<br />

Aufsätze<br />

Literatur<br />

Büchler, Andrea/Wohlers, Wolfgang: Bologna in der Schweiz – Zur Umgestaltung<br />

der juristischen Studiengänge an der Universität Zürich. In: ZEuP 2008, 1<br />

S. 110.<br />

Bull, Nele/Wieland, Friederike: Bucerius Law School: Alltag an einer privaten<br />

Hochschule: Studieren an der „Butze“. In: JuS-Magazin 2008, 3 S. 11.<br />

Frank, Beate: Universitätsmedizin im strukturellen Wandel: Vom Kooperationsmodell<br />

zum Integrationsmodell am Beispiel des rheinland-pfälzischen Entwurfes<br />

eines Universitätsmedizingesetzes. In: DÖV 2008, 11 S. 441.<br />

Francq, Stéphanie: Bologna Reform in Belgian Law Schools. In: ZeuP 2008, 1<br />

S. 135.<br />

Goebel, Joachim: Nachgelagert finanzierbare Studienbeiträge, Ausbildungsunterhalt<br />

und Kinderreichtum. In: NWVBl 2008, 6 S. 205.<br />

Goebel, Joachim: Nochmals: Kindesunterhalt, Studienbeiträge und kinderreiche<br />

Familien – Erwiderung zu dem Beitrag von Waldeyer. In: NWVBl 2008, 6<br />

S. 216.<br />

Hein, Lars/Schröder, Olaf: Zur sog. Handsteuerung in der juristischen Staatsprüfung<br />

– zugleich eine Besprechung des Urteils des OVG Nordrhein-Westfalen<br />

vom 9. Januar 2008 (DÖV 2008, 608 ff.). In: DÖV 2008, 14 S. 577.<br />

Hellemacher, Leo; Knobloch, Thomas; Stelzner-Rothe, Thomas: Zukunft, Freiheit<br />

und Besoldung – Ergebnisse einer Evaluationsstudie. In: DNH 2008, 3 S. 30.<br />

Hirte, Heribert: Bologna und die deutsche Juristenausbildung – Zu den Schwierigkeiten<br />

Deutschlands bei der Übernahme des Bachelor-/Master-Modells in die<br />

Rechtswissenschaft. In: ZSchR 2008, 2 S.253.<br />

Jansen, Christoph: Rechtliche Anforderungen an die Kriterien für leistungsorientierte<br />

Vergabe von Mitteln für Forschung und Lehre an den Medizinischen<br />

Fakultäten. In: MedR 2008, 4 S. 185.<br />

Kalss, Susanne: Die Umsetzung des „Bologna-Prozesses“ in der österreichischen<br />

Juristenausbildung. In: ZEuP 2008, 1 S. 125.<br />

Kilian, Matthias/Lemke, Stefanie: Das Ende eines europäischen Sonderweges: Die<br />

Reform der Juristenausbildung in Spanien. In: BRAK-Mitt. 2008, 1 S. 10.<br />

Klug, Andrea: Das Arbeitnehmererfindungsgesetz – eine deutsche Besonderheit.<br />

In: DNH 2008, 3 S. 14.<br />

Wissenschaftsrecht Bd. 41 (2008) S. 266–272<br />

© Mohr Siebeck – ISSN 0948-0218


41 (2008)<br />

267<br />

Obwexer, Walter: Ausländische akademische Grade aus Lehrgängen universitären<br />

Charakters in Deutschland. In: EuZW 2008, 10 S. 300.<br />

Pitz, Andreas/Wicklein, Marco: Zukunft des Rechtsreferendariats. In: ZRP 2008, 4<br />

S. 131.<br />

Rutschow, Annika: Der LL.M.-Aufbaustudiengang: „Gemeinsamer Rechtsraum<br />

Europa“ in Dresden. In: EuZW 2008, 8 S. 228.<br />

Schömann, Matthias: Juristenausbildung. In: ZRP 2008, 1 S. 28.<br />

Schröder, Jürgen: Privat geht alles besser!? Anmerkungen zur Novellierung des<br />

sächsischen Hochschulrechts. In: SächsVBl 2008, 6 S. 133.<br />

Schubert, Torben/Schmoch, Ulrich: How Lazy are University Professors Really: A<br />

not so Seriously Meant Note on Observations Made During an Online Inquiry.<br />

In: SozW 2008, 1 S. 75.<br />

Wagner, Gerhard: Der Bologna-Prozess in der europäischen Juristenausbildung.<br />

In ZEuP 2008, 1 S. 109.<br />

Wahlers, Wilhelm: Das nordrhein-westfälische Hochschulmedizingesetz. Wegbereiter<br />

für eine nationale und internationale Spitzenposition? In: MedR 2008, 5<br />

S. 249.<br />

Waldeyer, Hans-Wolfgang: Kindesunterhalt, Studienbeiträge und kinderreiche Familien<br />

– Eine Erwiderung auf den Beitrag von J. Goebel. In: NWVBl 2008, 6<br />

S. 212.<br />

Rezensionen<br />

Literatur<br />

Klaus Ebling/Marcel Schulze (Herausgeber): Kunstrecht – Verlag C. H.<br />

Beck – München 2007 – 536 Seiten – € 98,00<br />

Die Symbiose von Wissenschaft und Kunst ist evident. Sie kommt vor allem im<br />

Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zum Ausdruck, der den grundrechtlichen Schutz von Wissenschaft<br />

und Kunst gleichermaßen ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet. Aus<br />

unterverfassungsrechtlichem Blickwinkel gehen „Wissenschaft“ und „Kunst“ allerdings<br />

getrennte Wege. Lediglich für das Wissenschaftsrecht hat sich in den 60er<br />

Jahren eine eigenständige Rechtsdisziplin entwickelt, wobei deren Ausprägung als<br />

eine Querschnittsdisziplin für lange Zeit primär an dem Hochschulrecht ausgerichtet<br />

gewesen ist (s. pars pro toto das in 1. Auflage 1982 und in 2. Auflage 1996 erschienene<br />

„Handbuch des Wissenschaftsrechts“; zur Entwicklung des Wissenschaftsrechts<br />

in ausländischen Rechtsordnungen s. Krüger, Internationaler Rechtsvergleich,<br />

in: Flämig u.a. [Hrsg.], Handbuch des Wissenschaftsrechts, 2. Aufl. 1996,<br />

S. 1711 ff., 1723 ff.). Von der verdienstvollen Untersuchung von Lynen (Kunst im<br />

Recht, Erläuterungen zum Spannungsfeld von Kunst, Recht und Verwaltung, Düsseldorf<br />

1994) abgesehen, lassen sich jedoch für die Kunst – unbeschadet einer Vielzahl<br />

von Abhandlungen zu kunstrechtlichen Detailfragen – bis in die heutige Zeit<br />

hinein kaum Ansätze für die Entwicklung einer rechtswissenschaftlichen Disziplin<br />

„Kunstrecht“ erkennen.


268 Literatur<br />

WissR<br />

Um so mehr verdient Aufmerksamkeit, dass im Jahre 2007 Klaus Ebling und<br />

Marcel Schulze zusammen mit einigen der „Kunst“ zugewandten Juristen als Autoren<br />

das Wagnis eingegangen sind, ein Werk mit dem ambitiösen Titel „Kunstrecht“<br />

herauszugeben. Sicherlich lag den beiden Herausgebern für das Projekt nicht<br />

die Idee zugrunde, mit dieser Publikation nunmehr eine neue Rechtsdisziplin zu<br />

begründen. Man wird eher vermuten, dass mit dem Einstieg in das „postmaterielle<br />

Zeitalter“ auch ein Werk über das „Kunstrecht“ irgendwie „in der Luft“ lag.<br />

Ohnehin zeichnet sich auf dem Kunstmarkt schon seit geraumer Zeit vor allem<br />

auf dem Hintergrund seiner Internationalisierung ein Paradigmenwechsel ab. Immer<br />

mehr wird Kunst zum Statussymbol, durch deren Besitz man überlegenen<br />

Geschmack oder Stil demonstrieren kann. Auf dem Kunstmarkt vollzieht sich<br />

hiernach ein – von überörtlichen Tageszeitungen auf der Seite „Kunstmarkt“ mitunter<br />

ungläubig begleiten 1 – Wandel, der sich insbesondere darin zeigt, dass Kunstwerke<br />

zu einem Spekulations- und Investitionsobjekt („Trophäen-Shopping“) sowie<br />

zu einem Werbemittel im globalisierten Kulturbetrieb werden (vgl. Watson,<br />

From Manet to Manhattan, The Rise of Modern Art Market, 1992, passim). Angesichts<br />

der Metamorphose des vor allem von Auktionshäusern, Galerien und privaten<br />

Sammlern beherrschten internationalen Kunstmarktes in einen „Kapital“-<br />

Markt (mit einem jährlichen Umsatzvolumen von ca. 20 Mrd. EUR) entfaltet der<br />

Kunstmarkt eine „kapitalistische“ Dynamik, die mehr denn je der rechtlichen<br />

Hilfe und Korrektur bedarf, damit die Kunst – wie der Fall der im Juni 2008 im<br />

Kunsthandel ausgestellten Bilder von Jörg Immendorf zeigt – vor „Schaden“ bewahrt<br />

werden kann.<br />

Vor dem Hintergrund der Entwicklung des Kunstmarktes ist es daher durchaus<br />

verständlich, dass die Herausgeber des Werkes über das „Kunstrecht“ im „Vorwort“<br />

die pragmatischen Zielsetzungen ihres „Handbuches“ recht freimütig herausstellen.<br />

Entsprechend breit angelegt ist auch der Kreis der Adressaten, dem der<br />

„Gebrauch des Handbuches“ nahegelegt wird; er reicht über die Angehörigen der<br />

beratenden Berufe weit hinaus in das Umfeld der Akteure, die – wie Museen, Galerien,<br />

Kunstversicherer und Kunstverwerter – den Kunstmarkt dominieren.<br />

Bei allem Verständnis für den utilitaristischen Ansatz hätte es auch einem<br />

„Handbuch zum Kunstrecht“ gut zu Gesicht gestanden, wenigstens in der „Einführung“<br />

sich als „Lehrbuch“ zu begreifen. Dem Gebot, zumindest in der „Einführung“<br />

die Grundlagen des Kunstrechts – auch und gerade in Abgrenzung zum<br />

„Medienrecht“ – auszubreiten, werden die Ausführungen von M. Schulze jedoch<br />

nicht gerecht. Dessen Präsentation der „Verfassungsrechtlichen Grundlagen“ des<br />

Kunstrechts begnügt sich unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung<br />

des Bundesverfassungsgerichts zu den Grenzen der Kunstfreiheit (Art. 1 Abs. 1;<br />

Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) und zu der Lehre vom „geistigen Eigentum“ (Art. 14 Abs. 1<br />

S. 1 GG) mit Ausführungen auf wenigen Seiten (S. 1–5; s. auch S. 58). Das durchaus<br />

gehaltvolle und in den Kommentaren zum Grundgesetz ausgebreitete Schrifttum<br />

1 In dem Beitrag von D. Baumer über „Bilder im Kaufrausch, Rekorde im Dutzend“,<br />

in: Süddeutsche Zeitung vom 15.02.2007, gipfelt das Urteil über den Kunstmarkt<br />

in dem Satz „Der europäische Kunstmarkt taumelt in schierer Potenz.“


41 (2008)<br />

Literatur<br />

269<br />

zur Kunstfreiheit wird nicht einmal im Ansatz in die Diskussion über die verfassungsrechtlichen<br />

Grundlagen des Kunstrechts eingebracht. Dieses Defizit ist um<br />

so gravierender, da das Kunstrecht – in Parallele zum Wissenschaftsrecht – in hohem<br />

Maß grundrechtsgeprägt ist. Vielleicht bedarf „Kunst“ angesichts ihrer Funktion<br />

für die freie individuelle Entfaltung nach Maßgabe undefinierbarer Offenheit<br />

und Vielgestaltigkeit im Hinblick auf die Verwerfungen auf dem Kunstmarkt sogar<br />

noch mehr als die „Wissenschaft“ der grundrechtlichen Gewährleistung. Immerhin<br />

ist die Kunstfreiheit als solche in der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

nicht geschützt; sie ist lediglich Teil der Meinungsfreiheit und damit den Schranken<br />

in Art. 10 Art. 2 EMRV unterworfen.<br />

Im übrigen entzieht sich M. Schulze in der „Einführung“ auch in den weiteren<br />

Ausführungen der Aufgabe, die dem Kunstrecht zugrunde liegenden Grundwertungen<br />

aufzuzeigen. Vielmehr sind seine Darlegungen lediglich eine Zusammenfassung<br />

der im Anschluss daran in dem „Handbuch“ auf mehr als 500 Seiten behandelten<br />

Sachkomplexe – von dem „Künstler und sein Werk“ über die „Kunstvermarktung“<br />

bis hin zu dem Steuer- und Zollrecht. Für Irritationen sorgt dabei, dass<br />

– in Erweiterung dessen, was in der „Einführung“ schon in dem Abschnitt über<br />

„Internationale Organisationen, Gemeinschaftsrecht“ ausgeführt wird – dies noch<br />

einmal im 1. Teil als „Internationale Grundlagen“ ausgebreitet wird. Diese Darstellung<br />

hat jedoch zumindest eine hohe informatorische Relevanz, da damit den<br />

Benutzern des „Handbuches“ die mit der Digitalisierung dramatisch gewachsene<br />

Internationalisierung des Kunstmarktes in konzentrierter Form vor Augen geführt<br />

wird.<br />

Im 2. Teil des „Handbuches“ erhöht sich allerdings für das Kunstrecht zunehmend<br />

der Erkenntnisgewinn. In diesem Teil, der dem „Künstler und seinem Werk“<br />

gewidmet ist, werden von drei Autoren höchst unterschiedliche Sachbereiche präsentiert.<br />

Die Problematik von „Eigentum und Besitz“ an Kunstwerken diskutiert<br />

in mitunter recht kühler Diktion (s. insbesondere S. 52 zur Verjährung) K. Siehr.<br />

Im Mittelpunkt des 2. Teils steht eine mit instruktiven Beispielen aus der „Kunstgeschichte“<br />

angereicherte Einführung in das (nationale) „Urheberrecht“ von W.<br />

Nordemann. Abschließend referiert M. Schulze über das jüngst wieder in die<br />

rechtspolitische Diskussion geratene „Künstlersozialversicherungsrecht“.<br />

Ein „Highlight“ offenbart das „Handbuch“ im 3. Teil über den „Kulturgüterschutz“.<br />

Die bezeichnenderweise über den Schutz von Kunstwerken (!) hinausgehenden<br />

Ausführungen W. Siehr zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie sich<br />

nicht allein an der Vergangenheit („Holocaust Art“ sowie Raub- und Beutekunst)<br />

orientieren. Vielmehr ist dem Verf. auf dem geopolitischen Hintergrund von „Krieg<br />

und Kunst“ offenkundig daran gelegen, primär ein umfassend angelegtes (Ziel-)<br />

Programm über den national und international ausgerichteten Schutz von Kulturgütern<br />

vorzulegen (s. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen über „Zukünftige<br />

Entwicklungen“ auf S. 127 ff.). Da die Phantasie derer, die sich der Kulturgüter<br />

nicht nur um des Kunstgenusses willen zu bemächtigen versuchen (s. die Variante<br />

„Art Napping“), jede Grenzen überschreitet, muss sich W. Siehr auch mit<br />

dem Problem der Wirtschaftskriminalität („Geldwäsche“) auseinandersetzen.<br />

Dazu bedient sich der Verf. nicht nur einer äußerst anschaulichen Sprache; viel-


270 Literatur<br />

WissR<br />

mehr vermittelt er über eine Vielzahl von Beispielen ein Höchstmaß an „Plastizität“<br />

für ein Phänomen, das man nicht zuletzt angesichts der Beteiligung staatlicher<br />

Museen an dem illegalen Kunsthandel nur mit dem Etikett „Kulturschande“ versehen<br />

kann.<br />

Demgegenüber sind die Ausführung im 5. Teil des „Handbuches“ über die<br />

„Kunstvermarktung aus urheberrechtlicher Sicht“ eher rechtstechnisch, wenn<br />

auch nicht ausschließlich ausgerichtet. Diese Einschränkung gilt insbesondere für<br />

die Darlegungen von G. Schulze über den Werkoriginalvertrag sowie über den<br />

Kunstvertrag. Demgegenüber zeichnet sich die Darstellung von R. Kirchmaier<br />

über den „Leihverkehr“ vor allem durch die rechtstatsächliche Erkenntnis aus, dass<br />

der Umfang des internationalen Leihverkehrs in jüngster Zeit erheblich zugenommen<br />

hat – eine im Sinne der Völkerverständigung begrüßenswerte Entwicklung,<br />

die jedoch erst jüngst von Seiten der Wortführer staatlicher Museumspolitik einer<br />

kleinkarierten Kritik ausgesetzt gewesen ist. 2 Freilich wirft die Zunahme des internationalen<br />

Leihverkehrs (insbesondere im Zusammenhang mit sog. Dauerleihgaben)<br />

eine Vielzahl von über das Versicherungsrecht („Staatsgarantie“) hinausgehenden<br />

rechtlichen Fragestellungen auf, für die der Verf. eine umfassend angelegte<br />

Antwort bietet.<br />

Geradezu monographischen Charakter weist der von K. Ebling bearbeitete 5.<br />

Teil über das „Steuerrecht“ auf. Zusammen mit dem von R. Rüsken verfassten 6.<br />

Teil über das „Zollrecht“ nehmen die abgabenrechtlichen Ausführungen mehr als<br />

die Hälfte des Umfangs des „Handbuches zum Kunstrecht“ ein. Ob diese Gewichtung<br />

zugunsten des Steuer- und Zollrechts (noch dazu mit einem eigenen Stichwortverzeichnis!)<br />

angemessen ist, sei dahingestellt. Zumindest bietet sie dem Verf.<br />

nicht nur die Gelegenheit einer umfassenden Darstellung des geltenden nationalen<br />

Steuerrechts. Darüber hinaus offeriert K. Ebling – sicherlich einem Desideratum<br />

für die Akteure im Kunstmarkt folgend – einen Überblick über die Besteuerung<br />

ausländischer Künstler. Selbst der steuerlichen Problematik des Kunstsponsorings<br />

und der Kunstsammlungen widmet der Verf. einen eigenen Abschnitt. Auch zu<br />

rechtspolitischen Initiativen über die steuerliche Förderung von Kunst meldet sich<br />

K. Ebling zu Wort. Um so erstaunlicher ist (angesichts des deutlichen Hinweises<br />

auf S. 67) dessen Zurückhaltung, sich ausführlich dem Steuerrecht für (Kunst-)<br />

Stiftungen zuzuwenden (s. aber S. 383 f.).<br />

Die (vielleicht zu) kritischen Bemerkungen über das von K. Ebling / M. Schulze<br />

herausgegebene Werk über das „Kunstrecht“ finden in der Science Community sicherlich<br />

Unterstützung mit dem Hinweis, dass eine unter dem Titel „Kunstrecht“<br />

präsentierte Veröffentlichung nicht nur als „Handbuch“ über einzelne Sachbereiche<br />

einer Rechtsdisziplin verstanden werden kann. Diesen Befund gilt es vor allem<br />

dann als Defizit herauszustellen, wenn sich dieses Rechtsgebiet – insbesondere im<br />

Zeitalter der von der digitalen Technik mehr denn je beherrschten Informationsgesellschaft<br />

– noch nicht etabliert hat, sondern erst im Werden begriffen ist. Ohnehin<br />

muss sich das „Kunstrecht“ – wenn es sich als rechtswissenschaftliche (Quer-<br />

2 K.-D. Lehmann, Die Weltkunsthauptstadt in der Wüste, in: Süddeutsche Zeitung<br />

vom 22.02.2007.


41 (2008)<br />

Literatur<br />

271<br />

schnitt-) Disziplin begreifen sollte – mit der zentralen Frage nach dem „Kunstbegriff“<br />

(s. S. 59 im Urheberrechtsteil und S. 261, 268 im Steuerrechtsteil) im Sinne<br />

einer intranationalen Harmonisierung des Kunstrechts auseinandersetzen. Von<br />

daher ist die wohl nicht unberechtigte Erwartung an die Herausgeber heranzutragen,<br />

in der (ohnehin wegen des Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts<br />

in der Informationsgesellschaft [BGBl. I 2007, 2513] erforderlichen) 2. Auflage des<br />

Werkes „Kunstrecht“ auch Ausführungen über die dem Kunstrecht vorgegebenen<br />

Grundwertungen und Strukturelemente insbesondere auf dem Hintergrund der<br />

die Kunstfreiheit erwähnenden Esra-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes<br />

vom 13.06.2007 3 vorzulegen.<br />

Christian Flämig<br />

Antonius Assheuer: TV-L, Kommentar für Verwaltung, Hochschulen und<br />

Forschung – Verlag Luchterhand/Wolters Kluwer – Köln 2008 – 460 Seiten<br />

– € 69,00<br />

Mit Abschaffung des BAT und Einführung von TVöD und TV-L hat ein grundlegender<br />

Wechsel im Besoldungsrecht stattgefunden. Das vorliegende Werk von Antonius<br />

Assheuer, Abteilungsleiter für Tarifpersonal und nebenberufliche Beschäftigte<br />

an der Fernuniversität Hagen, hat zum Ziel, laut Klappentext sowohl Praktikern aus<br />

Personalverwaltung als auch Führungskräften und Personalräten gleichsam als Hilfestellung<br />

im täglichen Geschäft zu dienen. Gedacht ist der Kommentar dabei auch<br />

zur Verwendung in Verwaltung, Hochschulen und Forschung.<br />

Der Kommentar behandelt sowohl den TV-L als auch den Überleitungstarifvertrag<br />

(TVÜ-Länder), hält die dazugehörigen Anlagen – allerdings unkommentiert<br />

– bereit, und schließt mit den ebenfalls unkommentierten Tarifverträgen für<br />

Auszubildende der Länder in Ausbildungsberufen nach dem Berufsbildungsgesetz<br />

(TVA-L BBIG) und in Pflegeberufen (TVA-L Pflege).<br />

Die Kommentierung im Einzelnen ist dem Umfang des Werkes geschuldet<br />

durchgehend knapp gehalten. Gleichwohl leistet sie eine inhaltliche Auseinandersetzung<br />

und Erläuterung der Vorschriften des TV-L ohne sich- wie dies bei Kurzkommentaren<br />

mitunter vorkommt – in der bloßen Wiederholung des Gesetzeswortlautes<br />

zu üben. Positiv ist dabei anzumerken, dass zur Erläuterung der Vorschriften<br />

mit kleinen Beispielsfällen gearbeitet wird, die dem Anwender in der<br />

täglichen Praxis dienlich sind. Negativ fällt auf, dass sich die Kommentierung bezüglich<br />

Verweisen auf Rechtsprechung und weiterführende Literatur oder andere<br />

Kommentierungen – beispielsweise Bredemeier/Neffke, TVöD/TV-L, 3. Auflage,<br />

2007; Hamer, Basiskommentar zum TV-L, 2007, Kuner, Leistungsorientierte Be-<br />

3 BVerfG-Beschluss – 1 BvR 1783/05 – vom 13.06.2007, NJW 2008, 39; zu den Entscheidungen<br />

der Vorinstanzen s. LG München (GRUR – RR 2004, 92), OLG München<br />

(ZUM 2003, 426) und BGH (JZ 2006, 193).


272 Literatur<br />

WissR<br />

zahlung in TVöD und TV-L, 2007 – merklich zurückhält. Kritisch zu sehen ist zudem<br />

die Art der Zitierung gerichtlicher Entscheidungen, die sich auffallend oft lediglich<br />

auf das Aktenzeichen und das Verkündungsdatum beschränkt. Ohne einen<br />

juris-Zugang o.ä. sind derartige Angaben in der Praxis praktisch unbrauchbar.<br />

Sinnvoller wäre hier die Nennung von Quellen in gängigen Periodika wie NJW,<br />

NZA, PersR, ZTR etc. gewesen, zumal derartige Literatur bei den Adressaten des<br />

Werkes regelmäßig vorhanden sein dürfte. Eine stichprobenartige Überprüfung<br />

einiger Quellenangaben ergab zudem, dass sämtliche überprüfte Quellen ebenfalls<br />

in einer der genannten Periodika, jedenfalls aber über juris zu finden waren. Wenigstens<br />

ein Hinweis auf die juris-Datenbank wäre daher angezeigt gewesen.<br />

Diese Art der Darstellung mag jedoch auch dem Umstand geschuldet sein, dass<br />

das Buch- so der Verfasser – als Hilfestellung für den Praktiker und nicht für den<br />

wissenschaftlichen Diskurs gedacht ist. Insoweit ist der Kommentar als sinnvolle<br />

Ergänzung zu empfehlen, obwohl es mit 69,00 € zu Buche schlägt.<br />

Eckhard Wesemann

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