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NAH DRAN 03_Master_3 - Kinderschutz eV

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22<br />

nah dran<br />

Emanzipation: Als die Frauen begannen,<br />

beruflich zu arbeiten, mussten die Männer<br />

zunehmend in der Küche und Erziehung<br />

mithelfen und dazu auf viele ihrer patriarchalischen<br />

„Männertreffs“ verzichten.<br />

Wie in jeder Entwicklungsgesellschaft gab<br />

es dabei Differenzen und Probleme zwischen<br />

den konservativen Familien, wo der<br />

Mann über alles herrschen musste, und<br />

den zeitgenössischen Familien, die sich um<br />

eine Gleichberechtigung der Ehepartner<br />

bemühten.<br />

Zwischen Tradition<br />

und Emanzipation im<br />

Schatten des Krieges<br />

Mit den Schwierigkeiten in diesem Spannungsfeld<br />

muss sich auch eine Familie<br />

auseinandersetzen, die ich seit Juli 2000<br />

im Rahmen der Sozialpädagogischen Familienhilfe<br />

und seit Januar 2001 im Rahmen<br />

der Ambulanten Erziehungshilfe<br />

(AEH) des <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz<br />

e.V. betreue. Diese Familie stammt aus<br />

dem Kosovo und lebte früher in einem Dorf<br />

im großen Familienkreis, d.h. mit bäuerlicher,<br />

ländlicher und traditioneller Mentalität.<br />

Die Kinder sind in ihrer Heimat von<br />

der serbischen Polizei mit Gewalt aus der<br />

Schule auf die Straße geworfen worden.<br />

Fremde Personen haben sie außer Landes<br />

gebracht, ohne dass ihre Eltern davon erfuhren.<br />

Im September 1999 hat sich die<br />

Familie in Deutschland endlich wieder zusammengefunden.<br />

Aufgrund ihrer Kriegserlebnisse<br />

und der großen kulturellen<br />

Unterschiede haben sich die Familienmitglieder<br />

in Deutschland mit vielen Problemen<br />

auseinandersetzen müssen, wie z.B.<br />

mit gesundheitlichen und psychischen<br />

Traumatisierungen sowie mit Erziehungs-,<br />

Sprach-, Aufenthaltserlaubnis- und Integrationsproblemen.<br />

Der Vater befindet sich wegen eines<br />

Fußleidens und anderer gesundheitlicher<br />

Probleme in ärztlicher und wegen seiner<br />

Kriegstraumatisierung in psychotherapeutischer<br />

Behandlung bei REFUGIO. Er ist ein<br />

gutmütiger und zurückhaltender Mensch<br />

und spricht sehr wenig Deutsch. Ihn konnte<br />

ich meistens als Ansprechpartner im<br />

Kontakt mit Behörden, Schule und Ärzten<br />

gewinnen. Er ist mit vier Stunden halbtags<br />

beschäftigt.<br />

Die Mutter ist ebenso traumatisiert und<br />

wird bei REFUGIO psychotherapeutisch<br />

behandelt. Sie hatte aufgrund ihrer Traumatisierung<br />

viele Probleme mit anderen<br />

Nachbarn, woraufhin die Familie in andere<br />

Räume versetzt wurde. Sie beherrscht<br />

die deutsche Sprache in Grundkenntnissen<br />

und nimmt aktiv an der Kommunikation<br />

teil. Sie arbeitet in Vollzeit.<br />

Der ältere Sohn leidet u.a. an einer kompensierten<br />

chronischen Niereninsuffizienz:<br />

Er wurde bereits einige Male in einer Kinderklinik<br />

operiert, so dass die linke Niere<br />

nun zu 79 % und die rechte zu 11 % funktionieren.<br />

Zur Zeit wird auch er bei REFU-<br />

GIO psychotherapeutisch behandelt. Er besucht<br />

die Schule zur Erziehungshilfe in<br />

Links:<br />

Beim Fußball-Kicken<br />

mit der Familie kann<br />

AEH-Betreuer Fran<br />

Krasniqi von den<br />

albanischen Jungs<br />

noch lernen<br />

Rechts:<br />

Gleichberechtigung<br />

geht auch durch den<br />

Magen: Der Vater<br />

hilft beim Kochen<br />

Riem sowie nachmittags eine der dortigen<br />

sozialpädagogischen Gruppen. Zusätzlich<br />

nimmt er an einer heilpädagogischen<br />

Übungsbehandlung teil. Früher ist er mit<br />

dem Gesetz in Konflikt gekommen und<br />

hatte Probleme mit Gewalt. Bevor seine<br />

Eltern nach Deutschland kommen konnten,<br />

lebte er ein Jahr lang in der Obhut eines<br />

Onkels in München. Er berichtet über<br />

diese Zeit, dass er zwar gut versorgt gewesen<br />

sei, seine Familie aber sehr vermisst<br />

habe, da es wenig Gelegenheit gab, über<br />

seine Probleme zu sprechen. In letzter Zeit<br />

hat er Freunde gefunden und ist Mitglied<br />

eines Fußballvereins geworden.<br />

Der jüngere Sohn leidet an einem angeborenen<br />

schweren Herzfehler sowie an<br />

chronischer Inappetenz und extremem<br />

Untergewicht. Aufgrund der Kriegsgeschehnisse<br />

wie auch der Flucht hatte auch<br />

er traumatische Erlebnisse und befindet<br />

sich in psychologischer Betreuung. Diese<br />

Erlebnisse wirken sich entscheidend auf<br />

die Entwicklung von Kindern aus, was sich<br />

in schulischen Problemen und Verhaltensaufälligkeiten<br />

äußert. Der Junge bekam<br />

wöchentlich Deutsch-Nachhilfe.<br />

Die Tochter wurde von der serbischen Polizei<br />

so misshandelt, dass ihr die vorderen<br />

Zähne ausbrachen. Durch das lange Alleinsein<br />

u.a. in der Gemeinschaftsunterkunft<br />

ist sie sehr aggressiv geworden. Im<br />

Januar 2002 wurde sie in einem Kindergarten<br />

aufgenommen. Aber seit dem Umzug<br />

der Familie hat sie noch keinen Platz<br />

in einem anderen Kindergarten erhalten.

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