STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNGInterview mit Axel Gedaschko<strong>und</strong> Hilmar von LojewskiIst die Soziale Stadt in Gefahr?Quelle: GdWAxel GedaschkoDas Beson<strong>de</strong>re am Programm Soziale Stadt ist <strong>de</strong>r integrierte Blick auf die Problemlagenbenachteiligter Stadtteile <strong>und</strong> die Mobilisierung von Selbstheilkräften vor Ort. Dies gelingt durchdie mögliche flexible Kombination investiver <strong>und</strong> nichtinvestiver Mittel. Die vorgenommenen Kürzungenim Programm <strong>und</strong> die Streichung dieser nichtbaulichen Mittel gefähr<strong>de</strong>n jedoch die Wirksamkeit <strong>de</strong>rnotwendigen Maßnahmen in <strong>de</strong>n Quartieren. Der GdW-Präsi<strong>de</strong>nt <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Beigeordnete beim DeutschenStädtetag, Dezernat Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen <strong>und</strong> Verkehr fin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utliche Worte.In Sonntags- o<strong>de</strong>r Wahlkampfre<strong>de</strong>n betonenPolitiker immer gern, die Städte seien Integrationsmaschinen,die größten Integrationsleistungenwür<strong>de</strong>n in Wohngebieten mitpreiswertem Wohnungsbestand erbracht <strong>und</strong>das Programm Soziale Stadt sei wie geschaffen,die damit verb<strong>und</strong>enen Herausfor<strong>de</strong>rungenfür Quartiere <strong>und</strong> Gemeinwesen zubewältigen. Haben Sie das Gefühl, dies fin<strong>de</strong>tim realen politischen Han<strong>de</strong>ln eine ausreichen<strong>de</strong>Würdigung?Gedaschko: Das Programm Soziale Stadt istauch im diesjährigen B<strong>und</strong>eshaushalt völlig unzureichendfinanziell ausgestattet. Wie<strong>de</strong>rum istdie Verknüpfung baulich-investiver <strong>und</strong> sozialerMaßnahmen nur eingeschränkt zugelassen. DieseVerkürzung <strong>de</strong>s Programmziels kritisieren wir seitzwei Jahren, sie be<strong>de</strong>utet faktisch das Aus für dasSoziale im Programm Soziale Stadt. Für die vielen,die sich intensiv dafür engagieren, Stadt- <strong>und</strong>Wohnquartiere zu stabilisieren, ist die Ausstattung<strong>de</strong>s Programms ein Signal dafür, wie stark die Politikihr Engagement wertschätzt. Die Entscheidung <strong>de</strong>rHaushaltspolitiker zeigt: Sie verkennen die Herausfor<strong>de</strong>rungen,vor <strong>de</strong>nen die Menschen <strong>und</strong> Unternehmenin benachteiligten Stadtquartieren stehen.von Lojewski: Rückblickend ist festzuhalten, dasssowohl die integrativen Leistungen <strong>de</strong>r Stadt alsauch das Programm „Soziale Stadt“ zu wenig Beachtungvon Seiten <strong>de</strong>r Politik erfahren haben. Kürzungen<strong>de</strong>s Programmvolumens von einst 95 Mio. €auf aktuell 40 Mio. € machen <strong>de</strong>utlich, dass dasThema in <strong>de</strong>r Politik <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Öffentlichkeit nochnicht präsent genug ist. Auch <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>Mangel vor allem an preiswertem Wohnraum invielen großen Städten führt zu Verdrängungseffekten<strong>und</strong> einer Umstrukturierung <strong>de</strong>s sozioökonomischenstädtischen Gefüges in Quartieren <strong>und</strong>Städten. Handlungsbereiche für das ProgrammSoziale Stadt gibt es somit genügend.Was macht das Programm so beson<strong>de</strong>rs <strong>und</strong>seine <strong>Projekte</strong> so sinnvoll?von Lojewski: Das Programm ermöglicht esauf integrative Art <strong>und</strong> Weise, die örtlichenProblemstellungen zu i<strong>de</strong>ntifizieren <strong>und</strong> dieseanzugehen. Insbeson<strong>de</strong>re die Möglichkeiten zurFör<strong>de</strong>rung von nicht-investiven Maßnahmen, zurUnterstützung o<strong>de</strong>r zum Aufbau eines Quartiersmanagements,erweisen sich als elementar fürdas Engagement vor Ort. Aufbauend auf dieserGr<strong>und</strong>lage bil<strong>de</strong>n sich oftmals viele weitere Initiativen,die von <strong>de</strong>n Bewohnern im Gebiet selbstgetragen wer<strong>de</strong>n – ein Beispiel guter integrierterStadtentwicklung.Gedaschko: Die durch das Programm geför<strong>de</strong>rtenVorhaben zeigen, wie sozialen Konflikteninnerhalb von Nachbarschaften, <strong>de</strong>r sozialenEntmischung sowie <strong>de</strong>r krisenhaften Entwicklungganzer Wohnquartiere begegnet wer<strong>de</strong>n kann <strong>und</strong>wie Integrationserfolge erzielt sowie nachhaltiggesichert wer<strong>de</strong>n können. Sie machen <strong>de</strong>n Akteurenvor Ort Mut <strong>und</strong> regen zum Nachahmen an.Was be<strong>de</strong>utet die <strong>de</strong>rzeitige Mittelausstattungfür die Zukunft <strong>de</strong>s Programms SozialeStadt?Gedaschko: Die bereits das zweite Jahr wirken<strong>de</strong>nMittelkürzungen bei <strong>de</strong>n Vorhaben zur Stabilisierungbenachteiligter Stadtquartiere <strong>und</strong>Nachbarschaften führen immer offensichtlicherzu Einbrüchen in <strong>de</strong>r Stadtteilarbeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>n damitverb<strong>und</strong>enen Investitionen. Viele über mehrereJahre angelegte städtebaulich, sozial-, bildungs<strong>und</strong>arbeitsmarktpolitisch integrierte Maßnahmenlaufen in <strong>de</strong>n Quartieren aus, <strong>de</strong> facto wer<strong>de</strong>n infolge<strong>de</strong>r Mittelkürzungen keine neuen Quartiere10 4 | 2013
Hilmar von Lojewskiin das Programm Soziale Stadt aufgenommen.Verschärft wird die Situation dadurch, dass dieKommunalaufsichten finanziell klammen Kommunensolche „freiwilligen” Aufgaben zunehmenduntersagen. Sehen<strong>de</strong>n Auges wer<strong>de</strong>n so sozialeAbwärtsspiralen organisiert.von Lojewski: Nicht nur die geringe Mittelausstattungstellt ein Problem für die Beteiligtendar, son<strong>de</strong>rn auch die Unsicherheit <strong>de</strong>r Mittelverfügbarkeit.Zu kritisieren ist hierbei insbeson<strong>de</strong>redie Vorgehensweise. Die in Aussichtgestellten Mittel von 50 Mio. € für das Jahr2013, wur<strong>de</strong>n in einer Sitzung <strong>de</strong>s Haushaltsausschussesohne Vorankündigung um 10 Mio. €gekürzt. Die Schwankungen <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rhöhe <strong>und</strong>die Unsicherheiten mit Blick auf die zukünftigeVerfügbarkeit sind eine offensichtliche Missachtung<strong>de</strong>r bisherigen Erfolge...... also ein <strong>de</strong>sparates Zeichen für die Menschenin <strong>de</strong>n Quartieren <strong>und</strong> die engagiertenAkteure?von Lojewski: Das Signal aus <strong>de</strong>r Politik ist inhöchstem Maße kontraproduktiv <strong>und</strong> hochgradig<strong>de</strong>motivierend. Eine sinnvolle Umsetzung <strong>de</strong>rFör<strong>de</strong>rinhalte kann oftmals nur mit viel Phantasie<strong>und</strong> extrem hohem Engagement von Einzelpersonenaufrecht erhaltenwer<strong>de</strong>n. Bei<strong>de</strong>s giltes zu bewahren. Das ist unter <strong>de</strong>n gegebenenFör<strong>de</strong>rbedingungen noch schwieriger gewor<strong>de</strong>n.Erfolge <strong>und</strong> Leistungen, die erzielt wur<strong>de</strong>n,wer<strong>de</strong>n in keiner Weise bei <strong>de</strong>r Mittelvergabeberücksichtigt. Es wur<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>nen, die eineUnterstützung am nötigsten haben, gekürzt.Und dies bezieht sich nicht nur auf die Bevölkerungsgruppen,son<strong>de</strong>rn auch auf die Städte.Der aktuelle Gemein<strong>de</strong>finanzbericht weist nach,dass aus <strong>de</strong>n städtischen Investitionshaushaltenmittlerweile Sozialhaushalte gewor<strong>de</strong>n sind. DieFinanzierung <strong>de</strong>r finanziell <strong>und</strong> mitunter auchQuelle: Deutscher Städtetagsozial Schwachen ist langfristig kostenintensiver,als eine faire Chance zur Teilhabe zu ermöglichen.Gedaschko: Das sehe ich genauso: Die Entscheidungen<strong>de</strong>r Haushaltspolitiker sind unverständlich,weil die Folgen einer Kürzung <strong>de</strong>s ProgrammsSoziale Stadt in <strong>de</strong>n nächsten Jahren mit vielhöheren Kosten an an<strong>de</strong>rer Stelle wie<strong>de</strong>r aufgefangenwer<strong>de</strong>n müssen. So kann ein nachhaltigerVerschuldungsabbau nicht funktionieren. Um Mutzu machen, wen<strong>de</strong>t sich das „Bündnis für eine SozialeStadt” an die vielen Engagierten vor Ort: Mitvielfältigen Initiativen muss <strong>de</strong>utlich gemachtwer<strong>de</strong>n, dass die Zivilgesellschaft die Vernachlässigung<strong>de</strong>s sozialen Zusammenhalts <strong>und</strong> dieGefährdung <strong>de</strong>s sozialen Frie<strong>de</strong>ns in <strong>de</strong>n Stadtquartierennicht wi<strong>de</strong>rspruchslos hinnimmt.Abgesehen von <strong>de</strong>r finanziellen Ausstattung<strong>de</strong>s Programms, gibt es etwas, womit Siezufrie<strong>de</strong>n sind? Wird das Programm <strong>de</strong>mintegrierten Ansatz gerecht?Gedaschko: Energiewen<strong>de</strong> <strong>und</strong> klimagerechterStadtumbau können nur dann sozialverträglichgestaltet <strong>und</strong> ganze Stadtquartiere nur dann energetischsaniert wer<strong>de</strong>n, wenn die dort leben<strong>de</strong>nMenschen beteiligt wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sie die Erneuerungtatkräftig unterstützen. Für die Motivation <strong>de</strong>rMenschen <strong>und</strong> lokalen Initiativen zum Mitmachenist das Programm Soziale Stadt wie kein an<strong>de</strong>resgeeignet <strong>und</strong> notwendig – es ist die Verknüpfungsstellevon <strong>de</strong>n Menschen zu <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nenFachpolitiken, die von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Verwaltungsebenenzunehmend für abgestimmtes, integriertesHan<strong>de</strong>ln genutzt wur<strong>de</strong>. In dieser Hinsichtsind in <strong>de</strong>n letzten 10 Jahren Fortschritte erzieltwor<strong>de</strong>n, die es auszubauen gilt.von Lojewski: Das Programm bietet einen i<strong>de</strong>alenAnsatz zur integrierten Stadtentwicklung, da alleAspekte Eingang fin<strong>de</strong>n, nicht nur die unzweifelhaftwichtigen sozialen Themen. Es ermöglicht<strong>de</strong>n Beteiligten, fach- <strong>und</strong> themenübergreifen<strong>de</strong>Zusammenarbeit mit Blick auf eine nachhaltigeLösung voranzubringen, ohne das sonst üblicheRessort- <strong>und</strong> Sparten<strong>de</strong>nken. Insgesamt wur<strong>de</strong>das Thema <strong>de</strong>r integrierten Stadtentwicklunggut innerhalb <strong>de</strong>r Stadtverwaltungen <strong>und</strong> <strong>de</strong>rÖffentlichkeit transportiert. Dennoch bedarf eseiner Verstetigung.Was for<strong>de</strong>rn Sie von <strong>de</strong>r Politik? Wie solltedas Programm weiterentwickelt wer<strong>de</strong>n?von Lojewski: Der Mittelbedarf für die sozialeIntegration insgesamt for<strong>de</strong>rt eine Konzentration<strong>de</strong>r Mittel <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Anstrengungen aller Träger,um die gesellschaftlichen <strong>und</strong> faktischen Kostenmangelhafter Integration in <strong>de</strong>n Griff zu bekommen.Hierbei kommt <strong>de</strong>n Mitteln für die Soziale Stadtals konzeptioneller Anker für die Stabilisierung<strong>und</strong> Aufwertung von Quartieren auch in Zukunftbeson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zu. B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Län<strong>de</strong>r müssen<strong>de</strong>r Versäulung ihrer Fachpolitiken wirksamentgegenwirken, <strong>de</strong>n Anspruch an eine integriertenationale Stadtentwicklungs-, Klimaschutz-,Energie <strong>und</strong> Mobilitätspolitik einlösen <strong>und</strong> horizontalwie vertikal kohärente Strategien <strong>und</strong>Instrumente zur (städtischen) Nachhaltigkeitliefern. Dafür ist fraglos ein dreistelliger Millionenbetragan För<strong>de</strong>rinstrumenten gerechtfertigt<strong>und</strong> erfor<strong>de</strong>rlich.Gedaschko: Das Programm muss auch in Zukunftein zentrales Instrument <strong>de</strong>r Städtebauför<strong>de</strong>rungbleiben, das die Initiativen zahlreicher Akteure bei<strong>de</strong>r sozialen Stabilisierung benachteiligter Quartierewirksam unterstützt.Unser vor zwei Jahren aus Protest gegen dieMittelkürzungen gegrün<strong>de</strong>tes „Bündnis für eineSoziale Stadt” for<strong>de</strong>rt die Politik dazu auf, dasProgramm Soziale Stadt wie<strong>de</strong>r mit einer <strong>de</strong>nProblemen entsprechen<strong>de</strong>n Mittelausstattung,min<strong>de</strong>stens jedoch auf <strong>de</strong>m Niveau <strong>de</strong>s Jahres2010 (95 Mio. €), fortzuführen. Verstärkt wer<strong>de</strong>nkann <strong>de</strong>r integrierte Ansatz <strong>de</strong>s Programms,in<strong>de</strong>m z. B. die für Wirtschaft o<strong>de</strong>r Klimaschutzzuständigen Ressorts noch stärker als bisher eingeb<strong>und</strong>enwer<strong>de</strong>n.Vom Tisch muss die Einschränkung bei <strong>de</strong>r Finanzierungvermeintlich nichtinvestiver Maßnahmen,das ist ein unverständlicher Rückfall in altes Beton-Denken.Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.Das Interview führte Olaf Berger.4 | 201311