Historisches zu Faschismus und <strong>Antifaschismus</strong>Käte Duncker als Abgeordnete des II. Landtagsvon Thüringen (1921–1923)Käte Duncker war als Mitglied <strong>der</strong> Fraktion <strong>der</strong> KPD Abgeordnetedes II. Landtags von Thüringen von Dezember 1921bis zu seiner Auflösung im Dezember 1923. 1 Eigentlich hattesie nicht damit gerechnet, nominiert zu werden, sich zuerstauch gesträubt und schließlich doch zugestimmt, für denLandtag zu kandidieren. Dabei brachte sie solide Voraussetzungenfür diese für sie durchaus neuartige Tätigkeit und diedamit verbundene Verantwortung mit. Dazu zählten ihr Allgemeinwissen;ihre Kenntnis <strong>der</strong> sozialistischen und sozialwissenschaftlichenLiteratur ihrer Zeit; ihre eigenen Studien undVeröffentlichungen zu Fragen <strong>der</strong> Frauen- und Kin<strong>der</strong>arbeit,zum Schutz von Müttern und Kin<strong>der</strong>n sowie zu Fragen <strong>der</strong> Erziehung;ihre Erfahrungen als Lehrerin und als Kursleiterin imRahmen <strong>der</strong> proletarischen Erwachsenenbildung. Käte Dunckerhatte gute, enge Kontakte zu den Menschen – vor allenin Gotha und Umgebung (wo schon ihr Großvater mütterlicherseitsals Senator für Armenwesen gewirkt hatte), aberauch darüber hinaus –, <strong>der</strong>en Interessen sie nun im Landtagvertreten sollte. Sie war eine geübte und überzeugende Rednerin,und sie konnte glaubhaft auf Kenntnisse und Erfahrungenverweisen, über die sie als Mutter von drei Kin<strong>der</strong>n verfügte.Es gab aber auch Umstände, die ihre Aktivitäten als Abgeordnetebeeinträchtigten. Käte Duncker mußte einen Haushaltund großen Garten versorgen und sich als faktisch alleinerziehendeMutter 2 außerdem um zwei noch schulpflichtige Jungenkümmern, diese Bürde hatten ihre männlichen Kollegenim Landtag nicht zu schultern. 3 Schließlich wohnte sie im FleckenSiebleben bei Gotha, in einem für die Abgeordnetentätigkeitverkehrstechnisch recht ungünstig gelegenen Ort. Siewar wesentlich älter als ihre fünf Fraktionskollegen 4 und infolge<strong>der</strong> Belastungen <strong>der</strong> Kriegs- und ersten Nachkriegsjahregesundheitlich nicht in bester Verfassung.Gleichwohl trat Käte Duncker, nachdem sie sich entschiedenhatte, als Nachrückerin in den Landtag einzuziehen, ihr Mandatmit gutem Gewissen und dem festen Vorsatz an, sich volleinzubringen und erfolgreich tätig zu sein. Der Ratschlag ihresMannes: »Man kann aber auch ›faul‹ sein im Parlament,und das ist prinzipiell auch oft das Richtige«, 5 entsprach nichtihren Vorstellungen und Ansprüchen. Das schloß nicht aus,daß sie sich <strong>der</strong> Grenzen ihrer parlamentarischen Tätigkeit,vor allem aber ihrer Wirkungsmöglichkeiten unter den damalsherrschenden Verhältnissen, bewußt war. 6Deshalb verband Käte Duncker – soweit ihr das zeitlich undphysisch möglich war – ihre Tätigkeit als Abgeordnete stetsmit einem beachtlichen außerparlamentarischen Engagement.Sie leitete Kurse 7 , sprach in kleineren und großen Versammlungen,unterstützte Kontrollausschüsse und an<strong>der</strong>eBasisaktivitäten, sprach mit Frauen und Männern vor Ort undberiet sich mit kompetenten Partnern (Gemeindevertretern,Betriebsräten, Lehrern, Schulärzten u. a.). 8 In ihren Redenvor dem Plenum des Landtags wies sie immer wie<strong>der</strong> daraufhin, daß Parlamentsbeschlüsse und Gesetze nur dann ihrenZweck erfüllen können, wenn sie durchgesetzt sowie den davonunmittelbar Betroffenen zugleich Mitwirkungs- und Kontrollrechtezugestanden werden. 9Ihre Einstandsrede im Thüringer Landtag hielt Käte Dunckeram 12. Januar 1922 zum Entwurf eines Wohlfahrtspflegegesetzes.Für die 38. Plenartagung am 31. Januar hatte siees übernommen, den Antrag <strong>der</strong> KPD-Fraktion zum 2. Tageordnungspunkt– »Maßnahmen zur Bekämpfung des Kin<strong>der</strong>elends«– einzuführen und zu begründen. 10 Sie konnte sichdabei auf nahezu 30 Jahre Erfahrungen bei <strong>der</strong> Bekämpfungdes Kin<strong>der</strong>elends stützen und somit auch vor dem Trugschlußwarnen, Kin<strong>der</strong>elend etwa nur als »eine Folge des Krieges« zubetrachten.Anhand von Fakten, Beispielen und Untersuchungsergebnissencharakterisierte Käte Duncker das Kin<strong>der</strong>elend als»Teilerscheinung des proletarischen Massenelends«. Um eswenigstens zu mil<strong>der</strong>n for<strong>der</strong>te sie, eine »nahrhafte Schulspeisung«zu gewährleisten sowie »Kin<strong>der</strong>krippen und Kin<strong>der</strong>horte«vor allem zur Entlastung <strong>der</strong> werktätigen Mütter einzurichten.Eindringlich ermahnte sie die sozialdemokratischeRegierung, »einen Plan für die systematische Kin<strong>der</strong>fürsorgeauszuarbeiten und dem Landtage zur Genehmigung vorzulegen«.Doch »wir geben uns keiner Illusion hin, daß das Kin<strong>der</strong>elenddurch Annahme unseres Antrages, auch wenn er inweitestgehendem Sinne in die Tat umgesetzt wird, ganz aus<strong>der</strong> Welt geschafft wird. […] Solange die Mehrzahl <strong>der</strong> Menschennur dazu da ist, Güter für eine Min<strong>der</strong>zahl zu schaffenund von diesen Dingen nichts zu haben, kurz, solangedie Dinge über den Menschen stehen, werden wir das Kin<strong>der</strong>elendnicht ausrotten. Aber den furchtbarsten Auswüchsendes Kin<strong>der</strong>elends muß gegengesteuert werden, die schrecklichsteZukunftsgefahr muß bekämpft werden.« 11Wie die Geschäftsverteilung in <strong>der</strong> Fraktion geregelt war undin welchen Landtagsausschüssen Käte Duncker mitwirkte,40
ließ sich nicht mehr ermitteln. 12 Ihre Reden im Plenum lassenbelegen, daß sie für Fragen <strong>der</strong> Volksbildung und sozialeAngelegenheiten, vor allem wenn sie Kin<strong>der</strong>, Frauen und jungeMädchen betrafen, verantwortlich zeichnete. Sie sprachmehrmals zur Gesetzesvorlage zur Min<strong>der</strong>ung des Kin<strong>der</strong>elends;zur Verbesserung <strong>der</strong> Schuluntersuchung und medizinischenBetreuung <strong>der</strong> Schüler (insbeson<strong>der</strong>e in den Volksschulen);zur Einstellung zusätzlicher Lehrer, vor allem an denVolksschulen, um die Klassenfrequenzen verringern zu können;zur Einrichtung von För<strong>der</strong>schulen (Berufsschulen) fürMädchen; zur Abschaffung <strong>der</strong> §§ 218/219; zum Entwurf einesHebammengesetzes; zur Verwendung von Lichtbil<strong>der</strong>nund Lehrfilmen in den Schulen, vornehmlich zur Qualifizierungdes naturwissenschaftlichen Unterrichts.Käte Duncker setzte sich außerdem für die Entschädigung<strong>der</strong> Opfer des Kapp-Putsches, aber auch für die pünktlicheAuszahlung <strong>der</strong> Gehälter <strong>der</strong> Angestellten und Beamten desStaates ein, als sich herausstellte, daß die dafür aus demStaatshaushalt an private Banken überwiesenen Gel<strong>der</strong> vondiesen einbehalten und zu Spekulationszwecken verwandtworden waren.Beson<strong>der</strong>s engagiert und couragiert handelte Käte Dunckerin <strong>der</strong> Schlußphase ihrer Abgeordnetentätigkeit – Mitte November/AnfangDezember 1923 –, als sie die »zahllosenVerhaftungen, Haussuchungen […], Drohungen und körperlichenMißhandlungen« durch Reichswehreinheiten nach<strong>der</strong>en Einmarsch in Thüringen vor Ort wie auch die Behandlung<strong>der</strong> »Schutzhäftlinge« untersuchte, dokumentierte unddem Landtag unterbreitete. 13 Die persönlichen Gesprächemit den Betroffenen, beson<strong>der</strong>s in den Gefängnissen, erfor<strong>der</strong>tenMut und Umsicht. Käte Duncker hatte ihr »Material«vorsorglich sicher verwahrt, um es dem Zugriff <strong>der</strong>Reichswehr zu entziehen, die dann auch am 23. November,dem angekündigten Termin ihrer Rede im Landtag, frühum 6 Uhr – ungeachtet ihrer parlamentarischen Immunität– durch ein Spezialkommando eine Haussuchung bei ihrdurchführen ließ.Alle Reden Käte Dunckers im Plenum des Landtags warengründlich vorbereitet, durchdacht und sachlich formuliert,sie vermied billige Polemik. Ihre For<strong>der</strong>ungen, ihre Argumentationwaren schlüssig und stets belegt – anhand konkreterFakten, statistischen Materials, wissenschaftlicher Untersuchungenund eigener Erfahrungen. Sie verblüffte die »Kollegen«aus den bürgerlichen <strong>Partei</strong>en durch ihre Sachkenntnisund ihr Wissen, das sie befähigte, nicht nur Statistikenauszuwerten, Befunde anerkannter Wissenschaftler zu zitieren,auf einschlägige Gesetze in den USA bzw. Sowjetrußlandzu verweisen, son<strong>der</strong>n auch Hinweise des Kronprinzenund nachmaligen Kaisers aus seiner Korrespondenz mit KanzlerBismarck 14 o<strong>der</strong> Verse bzw. Bemerkungen des WeimarerDichterfürsten Goethe in ihre Ausführungen einfließen zu lassen.15 Gehässige Zwischenrufe und Repliken wußte sie zu parieren.16Zu zwei Themen, die ihr aus tiefster Überzeugung beson<strong>der</strong>sam Herzen lagen, äußerte sich Käte Duncker mehrfach in ihrenPlenarreden: den Auswirkungen des imperialistischenKrieges und <strong>der</strong> Notwendig grundsätzlicher gesellschaftlicherVerän<strong>der</strong>ungen als unabdingbare Voraussetzung für einkulturvolles, glückliches Leben <strong>der</strong> Mehrheit des Volkes. Sieverwies dabei stets auf die Verursacher und Profiteure desKrieges und stellte <strong>der</strong>en Einkünfte und Entschädigungen <strong>der</strong>ständig zunehmenden Verarmung und Verelendung <strong>der</strong> arbeitendenMenschen in Stadt und Land gegenüber. DieserZustand werde sich nicht än<strong>der</strong>n, argumentierte sie, solangewir nicht »zu einer Wirtschaftsweise übergehen, die denMenschen in den Mittelpunkt ihrer Aufgabe stellt, die nichtmehr im Profit, im Gewinn die Aufgabe des wirtschaftlichenLebens sieht, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Erzielung eines gesunden, kräftigen,schönen, geistig und moralisch hochstehenden Menschengeschlechts.«17Sie wußte und befürwortete aber auch, »daß man mit allenKräften wenigstens versucht, was auf dem Boden <strong>der</strong> heutigenGesellschaftsordnung zu machen ist«. 18 Ihren politischenGegner, mit dem es sich auseinan<strong>der</strong>zusetzen undden es zu bekämpfen galt, sah Käte Duncker grundsätzlichim herrschenden System und in seinen Mandatsträgern imParlament. Die sozialdemokratische Regierung unter MinisterpräsidentAugust Frölich tolerierte sie und beför<strong>der</strong>te <strong>der</strong>enMaßnahmen, soweit ihr das möglich schien. Wenn siedie Regierung kritisierte, dann vornehmlich deshalb, um siezu weitergehenden Schritten zu bewegen, »denn solange siesich an die engen Schranken hält, die ihr durch die Reichsverfassunggezogen sind im Interesse des geheiligten Privateigentums,das man nirgends antasten darf, solange kann sienicht zu durchgreifenden Wohlfahrtsregelungen gelangen. EineRegierung, die auf <strong>der</strong> Arbeiterklasse aufbaut und aus ihrhervorgegangen ist, die sich als Vertreterin <strong>der</strong> Arbeiterklassefühlt, würde es verstehen, die Mittel dort zu holen, wo siezu holen sind.« 19Den sozialdemokratischen Minister für Volksbildung, schätzteund unterstützte Käte Duncker, mit ihm und an<strong>der</strong>en Vertreternseines Ministeriums arbeitete sie konstruktiv zusammen.20 Wenn Max Greil ihrer Meinung nach jedoch zuzögerlich handelte, warnte sie auch, daß es dazu kommenkönne, »daß wir den Stall reinmachen, wenn die Kühe totsind, d. h. daß wir mit unserer Arbeit an <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>pflege zuspät kommen.« 21Im II. Landtag von Thüringen – auch das ein Spiegelbild jenerZeit – waren lediglich drei weibliche Abgeordnete vertreten:Emma Sachse (SPD), Dr. Marie Schulz (Deutsche Demokratische<strong>Partei</strong>) und Käte Duncker (KPD). 22 Da alle drei Frauenin ihren Fraktionen für die gleichen Themen zuständig waren,ergab sich für die drei »Landtagsweiber« ungeachtet unterschiedlicherPositionen und <strong>Partei</strong>zugehörigkeit die Möglichkeit,sich in Sachfragen zu verständigen, aber auch die Not-41
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