Erstens stehen seit <strong>der</strong> Krise wie<strong>der</strong>vermehrt Menschen im Fokus, die vonaußerhalb nach Europa o<strong>der</strong> innerhalbEuropas migrieren. Dabei ist häufig dieRede von »Wirtschafts-« o<strong>der</strong> »Armutsflüchtlingen«.Diese Bezeichnungen sindnegativ konnotiert und drücken die Delegitimierungvon bestimmten Migrationsbewegungenaus, welche durchGesetzesinitiativen, den Ausbau von Sicherheits-und Kontrolltechnologien sowie<strong>der</strong> engeren Zusammenarbeit <strong>der</strong>EU-Staaten an den europäischen Außengrenzenreguliert und unter Kontrollegebracht werden sollen. Insbeson<strong>der</strong>ein Bezug auf die Situation vonFlüchtlingen in den massiv von <strong>der</strong> Krisebetroffenen Staaten Italien und Griechenlandwird seit etwa zwei Jahrenvermehrt über rassistische Gewalt undinstitutionelle Diskriminierung berichtet.In einem Bericht von Bor<strong>der</strong>monitoring.euheißt es dazu: »Die Situation <strong>der</strong>Flüchtlinge in Italien ist geprägt durchextreme Armut, die im Wesentlichenaus einem Zusammenspiel fehlen<strong>der</strong>staatlicher Unterstützung einerseits undadministrativen Hürden an<strong>der</strong>erseitsentsteht« (2013: 29). Insbeson<strong>der</strong>e treffedies auf die anerkannten Flüchtlingezu, die eigentlich durch ihr bestätigtesAsylverfahren unter dem Schutz des italienischenStaates stehen müssten. AmnestyInternational berichtet zur Lage<strong>der</strong> Flüchtlinge in Griechenland:»Since 2010, asylum-seekers, refugeesand irregular migrants, as well as theunofficial mosques, shops and communtiycentres they have developed,have been targeted in racially-motivatesattacks. There was a dramatic rise inthe number of attacks throughout 2012«(Amnesty International 2012: 10).Der Anstieg <strong>der</strong> rassistischen Angriffesowie die gestiegenen »xenophobicfeelings« werden an gleicher Stellemit <strong>der</strong> ökonomischen Krise und mitharten Sparmaßnahmen erklärt. Aberauch in Deutschland, wo negative Auswirkungen<strong>der</strong> Krisenprozesse nicht invergleichbarer Weise wie in Italien undGriechenland festzustellen sind, werdenvermehrt »Armutsflüchtlinge« in6
den Fokus gerückt. Das betrifft hier vor allem Migrant_innenaus Bulgarien und Rumänien, oft mit antiziganistischem Unterton.So schrieb Anfang März 2013 die BILD in einer Seriedie »Wahrheit über Roma in Deutschland«, behauptete etwa,die Kriminalität von Roma steige an (Bild.de 2013a) und fragte,ob ein Abgeordneter <strong>der</strong> Bremer Bürgerschaft Recht habe.Dieser als »Roma-Kritiker« (Bild.de 2013b) bezeichnete SPD-Politiker ließ im Vormonat verlautbaren, dass er sich gegendie Einwan<strong>der</strong>ung von Roma ausspreche, da sie ihre Töchterzwangsverheirateten, Klebstoff schnüffelten und die Aussicht,dass »sie je zum BSP o<strong>der</strong> auch nur Rente beitragen«sowieso »gleich Null« sei.Zweitens ist festzustellen, dass im Zuge <strong>der</strong> Krise Hierarchisierungenzwischen europäischen Nationalstaaten bedeutungsvollerwerden. Paradigmatisch dafür sind Erklärungen,die die wirtschaftliche und soziale Situation in Län<strong>der</strong>n wieSpanien, Griechenland und Italien nicht etwa auf das Wirtschaftssystemim Allgemeinen o<strong>der</strong> forcierte Ausbeutungsstrukturenim »Standort-Wettbewerb« (Lohnentwicklung inDeutschland, Exportüberschüsse) zurückführen, son<strong>der</strong>n aufeine fehlende o<strong>der</strong> unzureichende Arbeitsmoral. So zeigt eineAnalyse von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz (2011: 19)über die Berichterstattung <strong>der</strong> BILD zur Krise in Griechenland2010, dass <strong>der</strong> griechischen Bevölkerung die Schuld an <strong>der</strong>Krisensituation gegeben wird. Sie selbst sei es gewesen, dieden griechischen Staat durch Faulheit und Korruption in dieZahlungsfähigkeit getrieben habe. Die Deutschen erscheinenhingegen als sparsam und fleißig. Verbreitung findet im Krisendiskursauch die rassistische Bezeichnung »PIIGS«-Staaten. 2Drittens verschärfen sich auch innerhalb <strong>der</strong> Nationalstaatendie Ausgrenzung und <strong>der</strong> Ausschluss von Menschen, wobeihier auch auf unterschiedliche rassistische Traditionenund Kontinuitäten zurückgegriffen wird. Davon betroffen sind,wie oben dargestellt, (Post-) Migrant_innen und inländischeMin<strong>der</strong>heiten. Vor allem in den westeuropäischen Staaten istim Laufe <strong>der</strong> letzten Jahre ein Zuwachs an antimuslimischemRassismus zu verzeichnen, <strong>der</strong> sich nicht nur auf eine möglicheterroristische Gefahr von außen bezieht, son<strong>der</strong>n auch inden jeweiligen Staaten lebende Muslime als »Gefahr im Inneren«markiert. Dabei werden – wie eine Analyse <strong>der</strong> relevantenDebatten seit dem 11. September 2001 in Deutschlandzeigt – in <strong>der</strong> Tendenz Muslim_innen diskursiv als fundamentalistisch,gefährlich, unaufgeklärt, frauenfeindlich, antisemitisch,faul, nutzlos, desintegriert und sich abschottend dargestellt(Friedrich/Schultes 2013). Außerdem nehmen im Zuge<strong>der</strong> letzten Jahre Antiziganismus und Antisemitismus insbeson<strong>der</strong>ein Mittel- und Osteuropa zu.Die hier angedeuteten aktuellen Erscheinungsformen desRassismus können nicht auf einen Nenner gebracht und in eineneinzigen Sinnzusammenhang gesetzt werden, da sie vonunterschiedlichen historischen, sozialen und politischen Kontextenabhängen, die mit einbezogen werden müssen. Derkurze Abriss zeigt aber in <strong>der</strong> Tendenz, dass im Zuge <strong>der</strong> Krise»traditionelle« Formen des Rassismus reaktiviert wurden,aber auch, dass es sich keineswegs um ein rein diskursivesPhänomen handelt, son<strong>der</strong>n Rassismus sich auch auf staatlicherund institutioneller Ebene vollziehen. Diese Entwicklungenlassen sich nicht monokausal auf die Krise im Sinne einesAutomatismus beziehen. Dennoch scheint es einen Zusammenhangzu geben, da in Bezug auf alle drei Ebenen und hinsichtlich<strong>der</strong> verschiedenen Rassismen eine Zunahme im Laufe<strong>der</strong> letzten, durch die »multiple Krise« geprägten Jahre zuverzeichnen ist, wenngleich Rassismus durch die Verschärfung<strong>der</strong> Krisenprozesse nicht neu erfunden wird. Gleichzeitigdeutet sich neben <strong>der</strong> Reaktivierung etablierter Rassismen eineVervielfältigung rassistischer Grenzziehungen an.Rassismus in BewegungEiniges deutet darauf hin, dass die Grenzen zwischen rassistischemEin- und Ausschluss, zwischen Innen und Außen einerGesellschaft durchlässiger werden. Vassilis Tsianos und MarianePieper (2011: 118) schlagen dementsprechend vor, nichtmehr nur Differenzierungen und Exklusion, son<strong>der</strong>n »neuartigeProzesse einer limitierten Inklusion beziehungsweise eineregalitären Exklusion« in den Blick zu nehmen. Bei <strong>der</strong> Analyseaktueller Tendenzen einiger rassistischer Erscheinungsformeninnerhalb von Nationalstaaten lohnt es sich, diesenFaden aufzunehmen.Im Hinblick auf (potenzielle) Migrant_innen werden keineswegsnur »Armutsflüchtlinge« o<strong>der</strong> »Wirtschaftsflüchtlinge«thematisiert, son<strong>der</strong>n zugleich – insbeson<strong>der</strong>e in Staaten,in denen die Konjunktur noch nicht völlig eingebrochen ist –um »gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland« geworben.Hinter dieser vor allem auch aus <strong>der</strong> Wirtschaft immerwie<strong>der</strong> geäußerten For<strong>der</strong>ung steht neben einem realenFachkräftemangel in manchen Branchen das Interesse, einemdurch den demographischen Wandel gefürchteten Einbrechendes Überangebots an Arbeitskräften entgegenzusteuernund »das für sie [die Wirtschaft, S.F.] sehr günstigeVerhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarktbeizubehalten« (Niggemeyer 2011: 22). Verknüpft wird <strong>der</strong>Ruf nach »Fachkräften« mit <strong>der</strong> allgegenwärtigen For<strong>der</strong>ungnach Sozialstaatsabbau. 3Eine Analyse <strong>der</strong> Integrationsdebatte in Deutschland zeigt, dassdie heterogene Gruppe <strong>der</strong> (Post-) Migrant_innen in »nutzloseAn<strong>der</strong>e« und in »nützliche An<strong>der</strong>e« geteilt wird (Friedrich 2012).Es wird gewissermaßen als liberale Entgegnung auf biologistischenund kulturalistischen Rassismus die Kategorie <strong>der</strong> Leistungaufs Deutungsfeld geführt. Leistungswilligkeit fällt im Integrationsdiskursmit Integrationswilligkeit zusammen und führtim Effekt zur Einteilung zwischen »Musterbeispielen gelungenerIntegration« und »Integrationsverweigerern« (Friedrich/Schultes 2011). Der Erfolg <strong>der</strong> als »integriert« Begriffenen bildetden Beweis dafür, dass man »es« eben doch schaffen kann,wenn man sich richtig anstrengt – gleichzeitig werden »Musterbeispielegelungener Integration« zu Ausnahmen stilisiert.7
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