Germanien, die Archäologie und<strong>der</strong> Nationalsozialismus 1Focke Museum Bremen, Hrsg., Graben für Germanien. Archäologie untermHakenkreuz, Theiss Verlag, Darmstadtt 2013, 192 Seiten.Wie arbeiteten Archäologie und Nationalsozialismus zusammen?Dieser Frage stellte sich die vielbeachtete Ausstellung»Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz«,die bis 8. September 2013 in Bremen zu sehen war. Folgtman dem gleichnamigen, hier angezeigten, reichhaltig illustriertenBegleitband, so kann das Ergebnis nur lauten: Dieprägenden Angehörigen <strong>der</strong> Fächer Archäologie, <strong>der</strong> VorundUrgeschichte wurden nicht funktionalisiert, agierten alsonicht »unter dem Hakenkreuz«, wie es <strong>der</strong> Untertitel vonBuch und Ausstellung nennt, son<strong>der</strong>n »mit dem Nationalsozialismus«und machten nach dessen Ende dann bruchlos umsoerstaunlichere Karrieren. Welche Rolle die Archäologie imNationalsozialismus spielte, zeigen die Ausstellung und dasBegleitbuch erstmalig, und dies anschaulich und populärwissenschaftlichaufbereitet.Die fast zwei Dutzend Beiträge des Buches rufen viele Aspekteins Bewusstsein. Sie reichen von <strong>der</strong> Ausplün<strong>der</strong>ung <strong>der</strong>besetzten Gebiete über einzelne Grabungen zwischen 1933und 1945 bis zum Konflikt zwischen hauptamtlichen Archäologenund <strong>der</strong> völkischen Laienforschung. Die Zahl <strong>der</strong> archäologischenLehrstühle verdreifachte sich zwischen 1933und 1945 auf 15. Apropos Konflikt. Die Rivalität und <strong>der</strong> Konfliktzwischen dem von Himmler protegierten und grundsätzlicherfolgreicheren Ahnenerbe <strong>der</strong> SS einerseits und demAmt Rosenberg an<strong>der</strong>erseits durchzog die ganze Zeit des Nationalsozialismus.Die »Germanen« sind und waren eine Erfindung, die Römerverwendeten diesen Begriff erstmals. Im Buch sind viele Bei-spiele zu finden, wie z. B. Grabungsfunde sachlich falsch indie »passende« Richtung interpretiert wurden. Die Erfindungvon Germanien als abgrenzbarem »Kulturraum« o<strong>der</strong> gar als»hochstehendes« und natürlich an<strong>der</strong>en überlegenes »Volk«und als Vorläufer <strong>der</strong> Deutschen, wurde von den Nazis für ihreimperialistischen Zwecke gern verwendet. Sie stilisiertendas (angenommene) Verhalten <strong>der</strong> »Germanen«, etwa Wan<strong>der</strong>ungsbewegungen,als Freiheitskampf und banden es imSinne ihrer Ziele in eine breite, diese Ziele begründende Ausstellungs-und Bildungsarbeit ein, propagierten und transportiertendie Vorstellung von »Germanien«.Die disziplinäre Aufarbeitung <strong>der</strong> Zusammenarbeit von Archäologieund Nationalsozialismus begann vergleichsweisespät, erst Ende <strong>der</strong> 1990er Jahre. Die personelle Kontinuitätin den genannten Fächern ist frappierend. Bis auf vernachlässigbareAusnahmen kehren alle im Nationalsozialismus aktivenschnell und erfolgreich in gut dotierte Professuren zurück.Das abwechslungsreiche Buch ist für alle Interessierten, auchfür jene, die sich noch nie mit Archäologie beschäftigt haben,mit Gewinn zu lesen. Seine AutorInnen und vor allem seineProduzentInnen haben einen wichtigen Beitrag zur Kritik völkischerDenkfiguren innerhalb ihres Faches vorgelegt.Bernd Hüttner1 Die Rezension erschien zuerst auf <strong>der</strong> Homepage von <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong>. Bremen(siehe http://www.dielinke-bremen.de/politik/buecherkultur/)74
»Zerreißt den Mantel <strong>der</strong> GleichgültigkeitentscheidetEuch, eh` es zu spät ist.«Ulrich Chaussy/Gerd R.Ueberschär, »Es lebe die Freiheit!«Die Geschichte <strong>der</strong> Weißen Rose und ihrer Mitglie<strong>der</strong> in Dokumenten undBerichten, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M., 2013, 534 Seiten.Die letzten Gründe dafür, warum Hans und Sophie Scholl am18. Februar 1943 Flugblätter vor den noch verschlossenenHörsälen und in den Gängen <strong>der</strong> Universität München ablegtenund dann weitere in <strong>der</strong>en Lichthof warfen, werdenwir wohl nie erfahren. War es doch eine fast in <strong>der</strong> Öffentlichkeitstattfindende, geradezu leichtfertige Aktion, die dannzur Festnahme <strong>der</strong> Geschwister durch den dortigen Pedell JakobSchmid und zur Übergabe an die herbeigerufene Gestapoführte. Dennoch machen neue Erkenntnisse, die das jüngstvon Ulrich Chaussy und Gerd R. Ueberschär mit dem Titel »Eslebe die Freiheit!« herausgegebene Kompendium vermittelt,annähernde Vermutungen möglich. Alexan<strong>der</strong> Schmorell undWilli Graf waren in Vorhaben des Auslegens von Flugblätterneingeweiht, ein genauer Zeitpunkt aber nicht festgelegt worden,selbst nicht am Abend des 17. Februar. Es gab lediglichvermeintliche Anzeichen, sich im Visier <strong>der</strong> Gestapo zu befinden.Ein an sich selbst geschicktes Flugblatt – als Test gedacht– war bei Hans Scholl nicht angekommen. Gab es Depressionen(<strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>hall <strong>der</strong> ersten fünf Flugblätter war sehrgering) und Euphorie zugleich, denn bis zum 17. Februar hattedie Gestapo keine verwertbare Spur <strong>der</strong> Gruppe gefunden?Welche Rolle spielte gar <strong>der</strong> nachgewiesene Tatbestand, dassHans und Sophie Scholl Psychopharmaka einnahmen, um extremeBelastungs-und Erregungszustände einzudämmen? DieThese eines Selbstopfers als Fanal zum Wi<strong>der</strong>stand, die zuweilenins Spiel gebracht wird, gilt als wi<strong>der</strong>legt.Worin besteht <strong>der</strong> Wert des von Chaussy und Ueberschär erarbeitetenBandes? Zum ersten Male werden die zentralenDokumente <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standsgruppe Weiße Rose kommentiert,historisch eingeordnet wie<strong>der</strong>gegeben und ihre bestimmendenAkteure vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehenszusammengefasst biographisch porträtiert. Dadurch werdeneinerseits die verbindenden Elemente <strong>der</strong> Sozialisation <strong>der</strong>bestimmenden Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gruppe, an<strong>der</strong>erseits ihre unterschiedlichenWege in den Wi<strong>der</strong>stand, die kollektiven undindividuellen Ziele ihres Wirkens sowie <strong>der</strong> unterschiedlicheAnteil herausgearbeitet. Das Ergebnis ist eine plastische Tiefenschärfe<strong>der</strong> Akteure <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standsgruppe. Des Weiterenwird die hektische Aktivität <strong>der</strong> NS-Bürokratie dargestellt,die Angehörigen <strong>der</strong> Weiße Rose in kürzester Zeit zu ermorden,was am 22. Februar 1943 geschah: Mit <strong>der</strong> Hinrichtungvon Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst, vierStunden nach <strong>der</strong> Urteilsverkündung. So stellte <strong>der</strong> Oberreichsanwaltbeim Volksgerichtshof fest: »Es handelt sich imvorliegenden Verfahren wohl um den schwersten Fall hochverräterischerFlugpropaganda, <strong>der</strong> sich während des Kriegesim Altreich ereignet hat.«Der Band folgt einer logischen Glie<strong>der</strong>ung: die Ereignisse des18. Februar 1943, die Flugblattaktionen, alle sechs Flugblätterin vollem Wortlaut, einschließlich des Flugblattentwurfes vonChristoph Probst vom 28./29.1.1943 (nicht mehr vervielfältigt),eine gestraffte Geschichte <strong>der</strong> Weißen Rose, biographischeAngaben über die Akteure <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standsgruppe unddie NS-Verfolger Robert Mohr, Anton Mahler und Roland Freisler,die kurze »Nachblüte« <strong>der</strong> Weißen Rose, die Anklageschriftvom 21.2.1943, das Urteil des Volksgerichtshofes und dieWahrnehmung und Einschätzung <strong>der</strong> Weißen Rose von 1943bis zum Kriegsende. Hervorzuheben ist beson<strong>der</strong>s die Wie<strong>der</strong>gabe<strong>der</strong> Vernehmungsprotokolle, die durch die Gestapo imErgebnis <strong>der</strong> Verhöre <strong>der</strong> Hauptakteure <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standsgruppeerstellt wurden. Sie umfassen mehr als die Hälfte des 534Seiten umfassenden Bandes. Nach dem Krieg kamen dieseProtokolle in die Hände <strong>der</strong> Roten Armee, wurden dann nachMoskau verbracht und hier einem Son<strong>der</strong>archiv zugeordnet.Jahre später übergaben die sowjetischen Behörden die Vernehmungsprotokolle<strong>der</strong> DDR (bis auf die Unterlagen über Alexan<strong>der</strong>Schmorell, <strong>der</strong> deutsch-russischer Herkunft war). DieArchivalien wurden in <strong>der</strong> DDR dem Zentralen <strong>Partei</strong>archiv desIML beim ZK <strong>der</strong> SED und z. T. dem Archiv des MfS zugeordnet.Bis 1990 blieben die Dokumente unter Verschluss undwaren (bis auf ganz geringfügige Ausnahmen) <strong>der</strong> Forschungentzogen. Ergänzt werden die nun veröffentlichten Archivaliendurch ein von den NS-Behörden angewiesenes Gutachtenüber die Flugblätter, angefertigt von dem Altphilologen Prof.Richard Har<strong>der</strong>. Die Anklageschrift im zweiten Prozess gegendie Angehörigen <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standsgruppe Alexan<strong>der</strong> Schmorell,Wilhelm (Willi) Graf und Prof. Dr. Kurt Huber ist im Bandenthalten. Alle Genannten wurden ebenso zum Tode verurteiltund hingerichtet. Zusammenfassend ist festzustellen : Dasvorliegende Kompendium ermöglicht dem Leser quellengesi-75
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