ches traf innerhalb <strong>der</strong> SPD mittlerweile auf unüberhörbarenWi<strong>der</strong>spruch. Im Zuge <strong>der</strong> Revisionismusdebatte 20 , dievon Eduard Bernstein mit seiner in den Jahren 1896/1997in <strong>der</strong> »Neuen Zeit« veröffentlichten Artikelserie, die den Titel»Probleme des Sozialismus« trug, ausgelöst worden war, gerietdie parteioffizielle Haltung in diesen Fragen unter Druck.Bernstein, <strong>der</strong> fraglos neue Erscheinungen in <strong>der</strong> sozialenEntwicklung Deutschlands erkannt und Verkrustungen in <strong>der</strong>Ideologie und Politik seiner <strong>Partei</strong> zutreffend beim Namen genannthatte, verkannte jedoch vollständig den Charakter unddie Zielsetzungen des deutschen Imperialismus um die Jahrhun<strong>der</strong>twende.In seinem 1899 publizierten Buch »Die Voraussetzungendes Sozialismus und die Aufgaben <strong>der</strong> Sozialdemokratie«propagierte er offen eine Zustimmung <strong>der</strong> SPDzur Kolonial- und Außenpolitik des wilhelminischen Reiches:»Wenn wir berücksichtigen, dass Deutschland zur Zeit jährlichganz erhebliche Mengen Kolonialprodukte einführt, somüssen wir uns auch sagen, dass einmal die Zeit kommenkann, wo es wünschenswert sein mag, mindestens einen Teildieser Produkte aus eigenen Kolonien beziehen zu können.« 21Und in seinem Aufsatz »Die türkischen Wirren und die deutscheSozialdemokratie« begründete er die Legitimität vonkolonialer Unterdrückung und überseeischer Expansion mitdem »Recht« <strong>der</strong> »Kulturvölker«, »Wilde zu zivilisieren«: »Kulturfeindlicheund kulturunfähige Völker haben keinen Anspruchauf unsere Sympathie, wo sie sich gegen die Kultur erheben.Wir erkennen kein Recht auf Raub, kein Recht <strong>der</strong> Jagdgegen den Ackerbau an. (…) Wir werden bestimmte Methoden<strong>der</strong> Unterdrückung von Wilden verurteilen und bekämpfen,aber nicht, dass man Wilde unterwirft und ihnen gegenüberdas Recht <strong>der</strong> höheren Kultur geltend macht.« 22Von diesen noch allgemein formulierten Gedanken war esdann nur noch ein kleiner Schritt zu solchen Vorstellungen,denen zufolge die Sozialdemokratie im Reichstag ihre Zustimmungzu den groß angelegten maritimen Rüstungen erteilensollte. Dahinter verbarg sich die Vorstellung, dass angeblichauch im Interesse <strong>der</strong> Arbeiterklasse eine Neuaufteilung <strong>der</strong>Welt zugunsten des deutschen Imperialismus auf <strong>der</strong> Tagesordnungstünde. In den »Sozialistischen Monatsheften« hießes hierzu 1899: Sollten die traditionellen Kolonialmächte undimperialistischen Großmächte wie Frankreich und Großbritannien»dazu schreiten, den Markt <strong>der</strong> von ihnen besetztenLandstriche ausschließlich für ihre eigenen Industrien zu reservieren,dann hieße es für die deutsche Exportindustrie unddamit (!-R.Z.) für die deutsche Arbeiterklasse: gehe zugrundeo<strong>der</strong> erzwinge Dir den Eingang mit <strong>der</strong> Waffe in <strong>der</strong> Hand!« 23Ein weiteres Argument wurde in wachsendem Maße vorgetragen,um die propagierte Abkehr <strong>der</strong> Sozialdemokratie voneiner entschieden antimilitaristischen Politik zu begründen:Die SPD könne mit ihrer Zustimmung zu den Flottengesetzenvon <strong>der</strong> Regierung Zugeständnisse in an<strong>der</strong>en Fragen erzielen,vor allem auf dem Gebiet <strong>der</strong> Sozialpolitik und <strong>der</strong> Erweiterungdemokratischer Rechte.Imperialismusund Rassismus»von links«?Sozialdemokratische Befürworter<strong>der</strong> »Welt«- und »Kolonialpolitik« inden »Sozialistischen Monatsheften«1912 bis 1918Ludwig Quessel: Aufgaben sozialdemokratischerKolonialpolitik (ursprünglich 1912), in:Sozialdemokratie und Kolonien. Mit Beiträgen vonEduard Bernstein u. a., Berlin 1919, S. 53 f.:»Wie sich die Sozialdemokratie auch zur kapitalistischenKolonialpolitik zurzeit stellen mag, <strong>der</strong> Pflicht, zivilisatorischeKolonialarbeit zu treiben, unsere Kolonien und ihreBevölkerung kulturell und wirtschaftlich zu heben, darfsich keiner unserer Abgeordneten entziehen.(…) Die Kulturmenschheitkann heute die Produkte <strong>der</strong> Tropen nichtmehr entbehren, und so hoch wir auch die Freiheit und Unabhängigkeit<strong>der</strong> eingeborenen Rassen stellen mögen, sofinden sie doch in <strong>der</strong> Sorge für das kulturelle Wohl <strong>der</strong> gesamtenKulturmenschheit ihre Schranken. Wären demnachdie Produkte <strong>der</strong> Tropen, die die Kulturmenschheit gebieterischbegehrt, wie Ölpflanzen zur Bereitung von Kunstbutterund Seife, Baumwolle zur Kleidung, Kaffee, Tee, Kakaozur Bereitung anregen<strong>der</strong> Getränke, nur durch den Plantagenbetriebzu gewinnen, so müssten sich auch die Sozialdemokratenmit dieser Form <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Unternehmungaussöhnen.(…)Die Eingeborenen zu produktiver Arbeit zu erziehen ist eineerste Aufgabe dessen, was man unter sozialdemokratischerKolonialpolitik verstehen kann. Wenn wir dahin wirken, arbeitenwir in gleicher Weise im Interesse <strong>der</strong> menschlichenZivilisation wie unserer nationalen Wirtschaft. Wer dieseAufgabe erfasst hat, muss aber auch die zu ihrer Erfüllunggeeigneten Mittel ergreifen, und hier gilt es dann die Intransigenzendgültig zu verabschieden, die je<strong>der</strong> positiven Kolonialpolitik<strong>der</strong> Sozialdemokratie im Weg steht.«August Winnig: Die Kolonien und die Arbeiter(ursprünglich 1915), in: ebenda, S. 36 f.:»Die primäre Ursache <strong>der</strong> Kolonialpolitik unserer Zeit ist daszwingende Bedürfnis des Wirtschaftswesens <strong>der</strong> Industrielän<strong>der</strong>nach Rohstoffen. Die Notwendigkeit <strong>der</strong> Wirtschaftdes Mutterlands durch Kolonialwirtschaft zu ergänzenund zu stützen liegt vor allem für unser Land in greifbarer64
Deutlichkeit vor. Die dauernd starke Vermehrung <strong>der</strong> Bevölkerunghat uns ein Wirtschaftssystem aufgenötigt, dass ohnekoloniale Ergänzungswirtschaft überhaupt nicht denkbarund schlechthin unmöglich ist.(…) Wir können uns heute keineEntwicklung denken, die nicht zu einer Ausweitung undSteigerung des Industrialismus führte, die uns in den Standsetzte, auf diese Rohstoffe und Produkte zu verzichten. Solangees menschliches Kulturleben geben wird, so lange wird esnur mit Hilfe <strong>der</strong> heutigen Kolonialgebiete möglich sein. KeinMensch, keine Klasse und keine <strong>Partei</strong> kann diese Tatsacheignorieren. Vor allem kann sie keine <strong>Partei</strong> und keine Klasseunbeachtet lassen, die Anspruch auf Teilnahme an <strong>der</strong> Leitungund Verwaltung des öffentlichen Wesens erhebt.Und am allerwenigsten kann sich die Arbeiterklasse und alsihr politischer Ausdruck die Sozialdemokratie über diese Tatsacheund die aus ihr flie0enden Notwendigkeiten hinwegsetzen.Kann sich die Arbeiterklasse auf den Standpunkt stellen,dass es ihr ganz gleichgültig sei, ob die deutsche Volkswirtschaftdie nötigen Rohstoffe erhalte o<strong>der</strong> nicht? Selbstverständlichwäre ein solcher Standpunkt unmöglich. Es kanneinfach <strong>der</strong> Arbeiterschaft nicht gleichgültig sein, unter welchenBedingungen sich <strong>der</strong> Ablauf <strong>der</strong> wirtschaftlichen Funktionenvollzieht. Es berührt selbstverständlich das Interesse<strong>der</strong> Arbeiterschaft, ob die Industrie, von <strong>der</strong>en Gedeihen sieselbst abhängt, die nötigen Rohstoffe erhält, und ob sie sie zugünstigen Preisen erhält.(…) Das entschiedene Bekenntnis zurHumanität auch gegenüber den Eingeborenen, darf uns nichtverkennen lassen, dass an ihnen zunächst ein gutes StückErziehungsarbeit zu leisten ist. Die Formel von <strong>der</strong> Gleichheitall dessen, was Menschenantlitz trägt, ist sicherlich edel undhochherzig. Aber Jahrtausende fehlen<strong>der</strong> anthropologischerEntwicklung lassen sich nicht in einem Menschenalter ausgleichen.Die notwendige wirtschaftliche Erschließung primitiverLän<strong>der</strong> ist ohne Eingriffe in die ›Rechte‹ und ›Freiheiten‹ihrer Bevölkerung ebenso wenig möglich wie die Erziehungdes Kindes ohne Schulzwang und ohne Zucht.«Herman Kranold: Krieg und Kolonisation(ursprünglich 1915), in: ebenda, S. 31 ff.:»Schon lange war in <strong>der</strong> deutschen Sozialdemokratie einlangsames Anwachsen des Verständnisses für die nationaleund kulturelle Bedeutung <strong>der</strong> Kolonisation zu beobachten.Man gewöhnte sich allmählich ab, an ihr nur die kapitalistischenMotive und Wirkungen zu sehen.(…)Gewiss ist die negative Arbeit, die die sozialdemokratische<strong>Partei</strong> in <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> kolonialen Angelegenheiten bisher geleistethat, nicht niedrig einzuschätzen; die <strong>Partei</strong> darf es sichmit Recht zugute halten, wenn auch in bürgerlichen kolonialfreundlichenKreisen Deutschlands sich allmählich ein besseresund werktätigeres Verständnis für die Aufgaben desEingeborenenschutzes geltend gemacht hat. Ihr unablässigesBohren hat bewirkt, dass das Wort, <strong>der</strong> Eingeborene seidas wertvollste Inventarstück unserer Kolonien, nun in eineman<strong>der</strong>en als dem rein unternehmerfreundlichen Sinngebraucht wird. (…) Trotz vieler Vorbehalte und Bedenkenmüssen Presse und Fraktion um wichtiger Fortschritte willensich entschließen können, manchmal weniger angenehmeDinge mit in den Kauf zu nehmen. Sie dürfen sich nichtdadurch kopfscheu machen lassen, dass man ihnen sagt,sie besorgten die Geschäfte des Kapitalismus. Das magsein, Aber, wie wir gelernt haben, dass es in vielen Dingeneine Interessenidentität <strong>der</strong> Bauern und <strong>der</strong> Industriearbeitergibt, so müssen wir auch verstehen lernen, dass inmanchen Dingen, zum Beispiel eben in kolonialen, eine Interessensolidaritätdes Bourgeois und des Proletariers besteht.(…)Der bedeutendste Aktivposten in <strong>der</strong> Bilanz des Kolonisationswerkesin Afrika und Ost- und Südasien ist die christlicheMission. Sie ist für den besten Teil <strong>der</strong> gegenwärtigenKolonisatoren, die Englän<strong>der</strong>, immer <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong> gewesen;ihr haben ihre Methoden den Erfolg zu verdanken: ihr,<strong>der</strong> Methode <strong>der</strong> Humanisierung <strong>der</strong> schwarzen und gelbenMenschen.«Wilhelm Jansson: Arbeiterklasse und Kolonialpolitik(ursprünglich 1916), in: ebenda, S. 28 f.:»Die Kolonisation ist durchaus nicht nur kapitalistische Profitmacherei,son<strong>der</strong>n sie ist trotz allen wi<strong>der</strong>wärtigen Begleiterscheinungeneine Kulturarbeit, die volkswirtschaftlichnotwendig ist. (…) Die Neger an geregelte Tätigkeit zugewöhnen, ist schließlich auch eine Kulturarbeit, und Aufgabe<strong>der</strong> Sozialdemokratie ist es, an dieser Frage aktivenAnteil zu nehmen. Es muss sich in unseren Reihen die Erkenntnisdurchsetzen, dass koloniale Arbeit nicht nur kapitalistischeGewinnsucht, son<strong>der</strong>n auch allgemeinen volkswirtschaftlichenBedürfnissen dient. Nur dann werden wirpositiv mitwirken und auch einen entsprechenden Einflussauf die Gestaltung <strong>der</strong> Kolonialpolitik ausüben können.«Max Schippel: Eingeborenenpolitik undkoloniale Selbstregierung (ursprünglich 1918), in:ebenda, S. 11 f.:»Keine koloniale Selbstregierung hat bisher daran gedachtund kann jemals daran denken den Eingeborenen, <strong>der</strong> gesternnoch Menschenfresser o<strong>der</strong> Kopf- und Skalpjäger imBann des Schädelkultus war, heute und morgen sofortmit allen politischen Rechten des Kulturträgers o<strong>der</strong> dochKulturteilnehmers auszurüsten, ihn zu allen Entscheidungenüber die Fort- und Durchbildung <strong>der</strong> bisher erreichtenhöchsten Wirtschaftsordnung mit heranzuziehen; etwa gar,beim zahlenmäßigen Übergewicht des eingeborenen Bevölkerungselementes,bis zur maßgebenden Entscheidung <strong>der</strong>höchsten Kulturfragen durch die vollkommene Kulturrückständigkeitund Kulturfeindschaft.«65
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