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BAG Antifaschismus der Partei DIE LINKE.

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Die Betonung <strong>der</strong> fließenden Grenzen zwischen beiden Phänomenendurch die Autorin legt die Frage nahe, ob diese Unterscheidungüberhaupt notwendig ist. Für das Nachvollzieheneinzelner historischer Ereignisse durch den Leser erscheinensie eher unerheblich. Schließlich beweist die Autorin eindrucksvoll:Juden in Deutschland hatten letztlich keinerlei Chance,antisemitischem Boykott zu entgehen. In <strong>der</strong> Konsequenz wares für die Betroffenen eher zweitranig, ob es dafür »nur« wirtschaftlicheo<strong>der</strong> klar erkennbare politische Absichten gab.Bemerkenswert und wenig bekannt sind die Ausführungenvon Hannah Ahlheim zum Wi<strong>der</strong>sprechen betroffener Judenund ihrer Organisationen. Waren diese zwar insgesamt eherÄußerungen passiver Gegenwehr, Reaktionen auf Erlebtes, sohatten sie in <strong>der</strong> Gesetzlichkeit <strong>der</strong> Weimarer Republik auchdie berechtigte Grundlage für die Annahme, eigentlich Rechtgegen ihre Wi<strong>der</strong>sacher zu bekommen. Dass diese Annahmeillusorisch war und nur selten zu einem Erfolg führte, wird indem Buch nur allzu deutlich.Deutlich gemacht wird durchgängig noch ein an<strong>der</strong>er indirekterAspekt nationalsozialistischer Boykottpolitik. Es gingnicht nur um »die Juden« in Deutschland, son<strong>der</strong>n auch umdie nichtjüdische Kunden und Geschäftspartner, <strong>der</strong>en allmähliche»Erziehung«. Außerdem wurde schrittweise ein (eigentlichnicht vorhandener) Unterschied suggeriert. Deutschekaufen etwa zu Weihnachten nur in deutschen bzw.christlichen Geschäften und meiden gerade zu den Feiertagenjüdische Einrichtungen. Weihnachtsbaum o<strong>der</strong> Weihnachtskugelnals Dekoration auch in den Auslagen jüdischerGeschäfte wurden nicht als Konzession an den Zeitgeist undnatürliches Geschäftsinteresse empfunden, son<strong>der</strong>n als Provokationbewusst missdeutet.Mit dieser Monografie wird für ein Hauptfeld antisemitischerPropaganda und Politik nachgewiesen, wie »normale Menschen«<strong>der</strong> beschworenen »Volksgemeinschaft« zu Mittäterngeformt wurden, die auch an<strong>der</strong>e Bereiche massiver antijüdischerPolitik am Ende von Weimar und in den Anfangsjahren<strong>der</strong> Hitlerdiktatur als gegeben hinnahmen, gegen die entschiedenerWi<strong>der</strong>stand gefährlich war.Hannah Ahlheim hat für ihr Untersuchungsfeld eine Fülle eindrucksvollerBelege dokumentiert und Erklärungsmuster gegeben,warum die antijüdische Politik in Deutschland weitgehendkonfliktlos im Holocaust enden konnte.Ausverkauf jüdischen Gewerbes in Berlin1930 bis 1945Christoph Kreutzmüller: Ausverkauf.Die Vernichtung <strong>der</strong> jüdischen Gewerbetätigkeit in Berlin1930–1945, Metropol Verlag, Berlin 2012.Jüdisches Gewerbe in Berlin – das waren bis zum Ende <strong>der</strong>Weimarer Republik ca. 20 bis 25 Prozent aller einschlägigenFirmen <strong>der</strong> Stadt.Christoph Kreutzmüller und sein Team stellten dazu über8000 Informationen ins Netz, nachdem sie über 44.000 Basisdatenanalysiert und zugeordnet hatten. Unter www.2.huberlin.de/djgbkann man sie benutzen, die Daten (und Hinweiseauf die ausgewerteten Quellen) stehen im Archiv <strong>der</strong>»Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum« und imLandesarchiv Berlin zur Verfügung.Die Monografie belegt, dass Wirtschaftsgeschichte nicht trockendaher kommen muss. Zwei Aspekte werden als konzeptionelleGrundlagen angegeben.Zum einen wird am Beispiel jüdischer Gewerbetätigkeit dieenge Verzahnung von Wirtschafts- und Politikgeschichte dokumentiert.Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> sich an <strong>der</strong> Entrechtung und Vernichtungjüdischer Gewerbebetriebe beteiligte, konnte sich hinterGesetzen und Erlassen verstecken. Scheinbar war alles legitim,es herrschten »Recht und Ordnung«.Und zweitens werden Einzelschicksale präsentiert, Firmengeschichtenvon <strong>der</strong> Gründung bis zur Zwangsenteignung unddem Lebensende jüdischer Gewerbetreiben<strong>der</strong> skizziert. Weraus Deutschland nicht rechtzeitig entkommen konnte, wählteden Freitod o<strong>der</strong> wurde in die Vernichtungslager deportiert.Einleitend erklärt <strong>der</strong> Autor sein Vorgehen, verweist auf dievorgefundene Quellenlage und den Forschungsstand. Demfolgend wird in vier Kapiteln (Rahmenbedingungen; Verfolgungund Vernichtung <strong>der</strong> jüdischen Gewerbetätigkeit; Abwehrstrategienjüdischer Gewerbetreiben<strong>der</strong> und Beispielefür Deportation) <strong>der</strong> Erkenntnisgewinn <strong>der</strong> Studie vorgestellt.Wichtigste, weil relativ vollständig überlieferte Quelle sind dieAkten des Handelsregisters Berlins. Die Studie konzentriertsich auf die im Handelsregister eingetragen kleinen und mittlerenGewerbebetriebe, Unternehmen, die ein Betriebskapitalvon mindestens 4.000 RM und einen Jahresumsatz von mindestensrund 30.000 RM präsentieren konnten.Wenn <strong>der</strong> Beginn des Untersuchungszeitraums mit 1930 angesetztwird, dann wird diese Entscheidung plausibel undfaktenreich begründet. Auch schon am Ende <strong>der</strong> WeimarerRepublik sahen sich jüdische Gewerbetreibende mit zweiPhänomenen konfrontiert. Von Staats wegen – und nur seltenoffen antisemitisch begründet – wurden ihnen immer wie<strong>der</strong>Hin<strong>der</strong>nisse für eine freie Gewerbeausübung in den Weggestellt. Zugleich waren diese Restriktionen von Vorfällen offenerGewaltausübung begleitet, von Glie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> NS-DAP bzw. ihr naher Organisationen wie <strong>der</strong> SA o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hitlerjugendbegangen.Ähnlich wie beim Boykott jüdischer Einzelhandelsgeschäfteän<strong>der</strong>te sich dieses duale Vorgehen ab Januar 1933 qualitativ,aber allmählich. »Verfolgung durch Verwaltung« (so eineÜberschrift in dem Buch) und offene Gewalt gegen jüdischeGewerbebetriebe häuften sich von nun an. Der Autor verdeutlicht,dass scheinbar neutrale staatliche Institutionen, Wirtschaftsverbändeund Privatunternehmen, wie z. B. Banken,die Ausgrenzungs- und Behin<strong>der</strong>ungspolitik gegenüber jüdischenGewerbetreibenden systematisch verstärkten – oft invorauseilendem Gehorsam.70

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