Die Saubermänner des schmutzigen Stroms - Sonnenzeitung
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INDUSTRIE OHNE AUFTRÄGE<br />
Dass die französische Atomindustrie<br />
diesen Auftrag wie einen Bissen Brot<br />
brauche, ist neben der Hoffnung auf<br />
Exportgeschäfte freilich der eigentliche<br />
Hintergrund der Bau-Entscheidung für den<br />
EPR. Bei mehr als 80 % Anteil an der Gesamtproduktion<br />
steht und fällt Frankreichs<br />
Stromversorgung inzwischen mit der<br />
Atomenergie. Und mangels Aufträgen beginnt<br />
die Branche schon langsam um die<br />
Erhaltung ihrer industriellen Infrastruktur<br />
zu bangen. <strong>Die</strong>se Befürchtungen wurden<br />
auch entsprechend in den zuständigen<br />
Ministerien deponiert. Dass es gelang, den<br />
Auftrag aus Finnland an Land zu ziehen,<br />
wo man um jeden Preis vom russischen<br />
Erdgas und der russischen Atomindustrie<br />
unabhängig sein will, setzte die französischen<br />
Behörden letztlich unter Zugzwang.<br />
<strong>Die</strong> Errichtung eines Vorführmodells in<br />
Frankreich selbst, quasi als „Vitrine“ für<br />
weitere erhoffte Exportaufträge, war<br />
kaum mehr zurückzuweisen, so überflüssig<br />
die – 2012 betriebsbereite – zusätzliche<br />
EPR-Produktionskapazität von 1.600 MW<br />
auch sein mag.<br />
Massive Atomlobby<br />
Nicolas Sarkozy, Chef der Pariser Regierungspartei<br />
UMP und neuer französischer<br />
Innenminister, peitschte noch in<br />
seiner Funktion als Wirtschaftsminister<br />
vor wenigen Monaten die Entscheidung<br />
wortgewandt durch. Aus der Atomenergie<br />
auszusteigen, wäre „völlig unverantwortlich“,<br />
argumentierte Sarkozy, „denn<br />
SONNENZEITUNG 2/05<br />
das würde einen Anstieg unseres CO 2 -Ausstoßes<br />
um 30 % und ein Ansteigen unserer<br />
Energierechnung um 50 % bedeuten“.<br />
Und er fügte hinzu: „Windkraftanlagen<br />
werden die 58 Atomkraftwerke wohl nicht<br />
ersetzen können.“<br />
Das politische Umfeld in Frankreich ist seit<br />
dem Jahr 2002 für das Vorpreschen der<br />
Atomlobby günstig. Bis dahin waren dem<br />
sozialistischen Premierminister Lionel Jospin<br />
durch seine Regierungskoalition mit den<br />
Grünen die Hände gebunden gewesen.<br />
Seine konservativen Nachfolger, zunächst<br />
Jean-Pierre Raffarin und nun Dominique<br />
de Villepin, brauchen solche Rücksichten<br />
nicht mehr zu nehmen. Wenn über die<br />
Opportunität <strong>des</strong> EPR auch nicht unbedingt<br />
Einhelligkeit herrschte, so wurde von den<br />
Regierungsparteien die Debatte doch schon<br />
im Sommer 2003 offiziell für beendet<br />
erklärt. <strong>Die</strong> Explosion der Ölpreise hat dem<br />
Atomkurs nun zusätzlich Rückenwind<br />
verschafft, nachdem ja bereits 1973 Frankreichs<br />
ehrgeiziges Atomausbauprogramm<br />
als Antwort auf den Ölschock konzipiert<br />
worden war. Als geradezu Pawlowschen<br />
Reflex mokieren Kritiker denn auch diese<br />
Kontinuität, zumal der ölgierige Straßenverkehr<br />
nicht mit Atomstrom zu betreiben<br />
ist und Erdöl in Europa kaum mehr zur<br />
Stromproduktion verwendet wird.<br />
<strong>Die</strong> Sorge um den Klimaschutz und Pläne<br />
für neue Atomprogramme von den USA<br />
bis China sind allerdings zusätzliches<br />
Wasser auf den Mühlen all jener, die einer<br />
Renaissance der Atomkraft das Wort reden.<br />
Da tut es gar nichts mehr zur Sache,<br />
Neue Regierung - neue Atomkraft<br />
Kommt es in Deutschland zu einem Regierungswechsel, gewinnt die Atomkraft,<br />
während die Erneuerbaren auf der Strecke bleiben.<br />
Nach fast 37-jähriger Betriebszeit wurde endlich der älteste deutsche Atommeiler,<br />
das AKW Obrigheim, am 11. Mai vom Netz genommen. Nach Angaben <strong>des</strong> badenwürttembergischen<br />
Umweltministeriums soll der Rückbau <strong>des</strong> Meilers etwa bis ins Jahr<br />
2020 dauern. Der Betreiberkonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW) beziffert die<br />
Kosten für den Abbau auf 500 Mio. Euro. Obrigheim ist nach Stade das zweite AKW,<br />
das im Rahmen <strong>des</strong> zwischen den Energiekonzernen und der Bun<strong>des</strong>regierung vereinbarten<br />
Atomkonsenses abgeschaltet wurde. Derzeit sind in Deutschland noch siebzehn<br />
weitere Reaktoren in Betrieb.<br />
Union setzt auf Atomkraft<br />
In den letzten Monaten wurden immer mehr Stimmen aus CDU/CSU hörbar, die nach einem<br />
verstärkten Einsatz von Atomenergie riefen. Der Alptraum könnte zur Realität werden,<br />
wenn CDU/CSU die vorgezogene Bun<strong>des</strong>tagswahl gewinnt: Dann würden Teile <strong>des</strong><br />
Atomausstiegs rückgängig gemacht und die verbliebenen siebzehn Atommeiler länger<br />
am Netz gelassen werden. Zwar schloss Noch-Oppositionsführerin Angela Merkel im Mai<br />
den Neubau von Atomkraftwerken aus, doch „wie die Betreiber mit den Laufzeiten umgehen,<br />
bleibt ihnen überlassen“. <strong>Die</strong> Börsen reagierten am 23. Mai sofort: Solaraktien<br />
fielen um über 20 %, während ihre <strong>schmutzigen</strong> Konkurrenten kräftig zulegen konnten.<br />
Dass eine schwarz-blaue Regierung mit dem Ökostromgesetz und den Förderungen von<br />
erneuerbaren Energien nicht (umwelt-)freundlich umgehen wird, steht jetzt schon fest.<br />
Am 8. Juni bekräftigte Angela Merkel ihre diesbezüglichen Aussagen. Greenpeace/PH<br />
©<br />
dass der offizielle französische Diskurs von<br />
der nationalen Unabhängigkeit in punkto<br />
Energie dank der Atomkraft inzwischen<br />
ziemlich virtuell geworden ist: Das Uran<br />
für die Atomkraftwerke muss aus Niger,<br />
Kanada oder Australien importiert werden.<br />
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Paris schielt allerdings auch auf den massiven<br />
künftigen Energiebedarf so mancher<br />
Schwellenländer und will seine Atomindustrie<br />
ins Geschäft bringen. Vor allem<br />
China, das erst Anfang dieses Jahres eine<br />
Ausschreibung für vier AKW lanciert hat,<br />
wird als viel versprechender Hoffnungsmarkt<br />
gesehen. <strong>Die</strong> endgültige Entscheidung<br />
über den Bau <strong>des</strong> EPR-Prototypen in<br />
Flamanville ist wohl nicht zufällig ausgerechnet<br />
nach der Rückkehr von Staatspräsident<br />
Jacques Chirac von einer China-Reise<br />
gefallen. „China ist in dieser Debatte<br />
immer ein Argument gewesen“, bekennt<br />
auch die Energiesprecherin der Regierungspartei,<br />
Nathalie Kosciusko-Morizet.<br />
Ihre Parteikollegen überschlagen sich<br />
inzwischen mit Bekenntnissen zur Atomenergie.<br />
So ging der Vorsitzende <strong>des</strong> Wirtschaftsausschusses<br />
im Pariser Parlament,<br />
Patrick Ollier, kürzlich gegen den Ausbau<br />
der Windenergie, „die unsere großartigen<br />
Landschaften ruiniert“, so richtig aus sich<br />
heraus: „Ich würde mir wünschen, dass<br />
wir den Anteil der Atomenergie noch<br />
erhöhen, denn in der ganzen Welt kennt<br />
man keine so zuverlässige saubere Energieproduktion<br />
wie die Atomkraft.“<br />
REPORTAGE<br />
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