Macher - WirtschaftsEcho
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<strong>WirtschaftsEcho</strong> ·APRIL/MAI 2010 <strong>Macher</strong> & Märkte 12<br />
VON ILKA ENNEN<br />
Die Zeit als hauptberuflicherSpülmaschinenausräumer<br />
ist schon länger<br />
vorbei. Knapp dreieinhalb Jahre<br />
ist es her,dass Klaus Krumrey seinen<br />
Job als Hausmann aufgegeben<br />
hat und als Geschäftsführer<br />
der Congress Centrum GmbH<br />
nach Böblingen ging. Dort guckten<br />
ihn die Darmstädter Stadtoberen<br />
als Chef für eine ihrer Problemzonen<br />
aus: das neugebaute<br />
Wissenschafts- und Kongresszentrum.<br />
Der Ruheständler im<br />
Wartestand nahm das Angebot<br />
an. Seine Abschiedsvorstellung<br />
vom Berufsleben hatte sich der<br />
Karlsruher hübsch ausgedacht.<br />
Als neuer Geschäftsführer vom<br />
Darmstadtium wollte er die vornehmste<br />
Aufgabe übernehmen:<br />
Das Haus repräsentieren und an<br />
nationalen und internationalen<br />
Netzwerken spinnen, auf dass<br />
Darmstadt künftig ein Bauchnabel<br />
der Tagungswelt wird. Natürlich<br />
wusste Klaus Krumrey, dass<br />
seine Aufgabe über das Grußonkel-Dasein<br />
hinausgehen wird.<br />
Doch statt zu netzwerken, musste<br />
er vomersten TaganKrisen managen.<br />
Das Haus war offen, aber<br />
nichts fertig.<br />
Werbung im<br />
In- und Ausland<br />
Ein futuristisches Grau dominiert<br />
das Gebäude, doch für viele<br />
Darmstädter scheint es nur<br />
Schwarz oder Weiß bei der Betrachtung<br />
des Darmstadtiums zu<br />
geben: Für die einen ist es avantgardistische<br />
Vorzeigeimmobilie,<br />
für die anderen städtisches Millionengrab.<br />
Geschäftsführer Klaus<br />
„Defizitär,aber<br />
gewinnbringend“<br />
Darmstadtium – Kongresszentrum mit Öko-Appeal und optimaler Infrastruktur –<br />
Avantgardistische Vorzeigeimmobilie oder städtisches Millionengrab?<br />
Krumrey muss nicht nur Kunden<br />
in Deutschland und der Welt für<br />
sein Kongresszentrum gewinnen,<br />
sondern direkt vor der Haustür<br />
mit der Imagewerbung anfangen.<br />
„Die Darmstädter werden alle<br />
noch eingefangen“, verspricht er.<br />
Ein ehrgeiziges Ziel in begrenzter<br />
Zeitspanne. Ende des Jahres verabschiedet<br />
sich Krumrey in den<br />
Ruhestand. Mal wieder.<br />
Der Mann wirkt wie ein Farbtupfen<br />
im minimalistischen Farbdesign<br />
des Hauses. Der dunkle,<br />
sanft gestreifte Anzug bildet den<br />
Kontrast für ein Hemd von kräftigem<br />
lila. Eine robuste Goldkette<br />
hängt um den krawattenfreien<br />
Hals.Eine Kapitänsmütze,ein Geschenk<br />
seiner Mitarbeiter, hängt<br />
an der Garderobe.Die Aufgabe im<br />
Darmstadtium ist ein Gastspiel<br />
auf Zeit, dennoch fühlt er sich hier<br />
angekommen: „Ich bin hier zu<br />
Hause“, sagt Krumrey.<br />
Der Problemlöser gibt sich<br />
freundlich im Tonund bestimmt<br />
in der Aussage. Viele Baustellen<br />
hat er in den vergangenen zwei<br />
Jahren beseitigt. Nun geht es dar-<br />
um, das „publizistisch und in der<br />
Öffentlichkeitswahrnehmung<br />
stark angeschlagene“ Haus, das<br />
die Darmstädter ironisch-liebevoll<br />
„Schepp Schachtel“ nennen,<br />
nach außen positiv zu verkaufen.<br />
Hildegard Schoger, Krumreys<br />
Stellvertreterin, tourt mit Mitarbeitern<br />
durchs In- und Ausland<br />
und wirbt für ihre berufliche Heimat.<br />
Sie besucht Messen in Millionenstädten<br />
oder ködert Veranstaltungsagenturen,<br />
Verbände und<br />
große Unternehmen in Köln, Berlin<br />
und München mit interessan-<br />
ten Vortrags-Promis. Ein großes<br />
Ziel ist, das bisher kleinste Segment<br />
der internationalen Veranstaltungen<br />
zu pushen: von zehn<br />
Prozent in 2009 auf zwanzig Prozent<br />
in 2012.<br />
„Green Meetings“<br />
heißt das Zauberwort<br />
Richtig angeben kann das Darmstadtium<br />
in Sachen Umwelt.<br />
„Green Meetings“ heißt das Zauberwort<br />
der Branche, und beim<br />
Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz<br />
übernimmt das<br />
Darmstadtium als „Grünes Haus“<br />
nicht nur in Deutschland eine Vorreiterrolle.Das<br />
German Convention<br />
Bureau, die Vermarktungsorganisation<br />
des Tagungsstandortes<br />
Deutschland mit Sitz in Frankfurt,<br />
beschreibt das Darmstadtium als<br />
Multitalent, das in punkto Energieverbrauch<br />
auf Sparflamme<br />
läuft. Photovoltaikanlagen sorgen<br />
für Strom, Regenwasser spült die<br />
Toiletten, ein Holzhackschnitzel-<br />
Kraftwerk mit Holz aus dem nahegelegenen<br />
Odenwald und Spessart<br />
versorgt das Haus mit Heizung<br />
und Warmwasser. Der Öko-<br />
Appeal findet auch im Ausland<br />
Beachtung. Das Thema Nachhaltigkeit<br />
sei im Veranstaltungsgewerbe<br />
in den USAnoch höher angesiedelt<br />
als in Europa, sagt Hildegard<br />
Schoger. „Wir waren der<br />
Renner für die Amerikaner.“ Auch<br />
was die Veranstaltungstechnik<br />
angeht, ist das Darmstadtium auf<br />
dem neuesten Stand. Selbst IT-Unternehmen<br />
seien begeistert von<br />
der Ausstattung. „Hier gibt es keine<br />
Verkabelungsorgien. Die Infrastruktur<br />
lässt keine Wünsche offen“,<br />
sagt Schoger.<br />
230 Veranstaltungen sind für<br />
2010 bereits gebucht. Krumrey ist<br />
sicher, dass es ein besseres Jahr<br />
wird als das vergangene, das ihm<br />
mit einer mauen zweiten Hälfte<br />
die Bilanz verhagelt hat. Zu den<br />
2,4 Millionen Euro Finanzaufwand<br />
aus Zins und Tilgung summierte<br />
sich der operativeBetriebsverlust<br />
von1,7 Millionen Euroauf<br />
einen städtischen Zuschussbedarf<br />
von 4,1 Millionen. 2010 rechnet<br />
Krumrey mit einem operativen<br />
Minus von 1,2 Millionen Euro.<br />
Dass das Haus irgendwann in die<br />
Gewinnzone kommt, hält der Geschäftsführer<br />
für ausgeschlossen.<br />
„Wir haben uns mit vielen Städten<br />
verglichen, die haben alle<br />
schöne Defizite“, sagt Krumrey.<br />
„Kein Kongresszentrum in<br />
Deutschland schreibt schwarze<br />
Zahlen.“ Schlimm findet er das<br />
nicht. Seine Rechnung geht den-<br />
Zahlen und Fakten<br />
Das Wissenschafts- und Kongresszentrum<br />
verfügt über eine<br />
Gesamtfläche von 18000 Quadratmetern.<br />
Der Kongresssaal<br />
„Spectrum“ mit bis zu 1677<br />
Sitzplätzen und einer Deckenhöhe<br />
vonrund 14 Metern kann<br />
in zwei oder drei Säle geteilt<br />
werden. Mit Hubpodien können<br />
die Höhen der Sitzplätze<br />
variiert werden. Darüber hinaus<br />
gibt es 18 flexibel kombinierbare<br />
Konferenzräume für<br />
insgesamt bis zu 1300 Personen.<br />
Größte Veranstaltungen<br />
waren nach Unternehmensangaben<br />
2009 die „Touristica“ mit<br />
18 000 Besuchern, die Unternehmenskontaktmesse<br />
für Studenten<br />
„Konaktiva“ (14 500),<br />
der „Tag der Vereine“ (13 000)<br />
und die Hochschul- und Berufsinformationstage<br />
für Schüler<br />
„Hobit“ (12 000).<br />
[Infobox]<br />
noch auf. Das Darmstadtium ist<br />
„defizitär,aber gewinnbringend“,<br />
sagt Krumrey und bedient sich dabei<br />
der prägnanten Formulierung<br />
eines FAZ-Redakteurs. Nur beim<br />
ersten Hören sei das ein Widerspruch.<br />
Das Haus generiere Umsatz<br />
und Wertschöpfung für die<br />
Stadt, seine Gastronomie, Hotel-<br />
lerie und die Geschäfte. Wie viel<br />
genau, das soll das Europäische<br />
Institut für Tagungswirtschaft in<br />
Wernigerode ausrechnen. Noch<br />
vor den Sommerferien wollen die<br />
Verantwortlichen das Ergebnis<br />
verkünden. Mit einem Kaufkraftzufluss<br />
von 20 Millionen Euro<br />
rechnet der Geschäftsführer.<br />
Zu wenig Hotelbetten<br />
in Darmstadt<br />
Aus seiner Sicht könnte es auch<br />
mehr sein, wenn es da nicht eine<br />
Wachstumsbremse gäbe: das unzureichende<br />
Bettenangebot in der<br />
Stadt. Mit der Hartnäckigkeit eines<br />
Wadenbeißers fordert Krumrey<br />
ein weiteres Drei- oder Vier-<br />
Sterne-Haus. Offensichtlich hat<br />
die Penetranz Erfolg: „Die Diskussion<br />
ist angeregt“, sagt er. Fakten<br />
hat derweil HildegardSchoger geschaffen.<br />
Sie hat dem Veranstalter<br />
des Ärztekongresses mitgeteilt,<br />
dass er die Anzahl an Betten bekommt,<br />
die er für seine Tagung<br />
2014 braucht: 1400 Besucher<br />
werden erwartet.<br />
Klaus Krumrey<br />
wird dann nicht mehr<br />
der erste Mann vorOrt<br />
sein. Über seine Nach-<br />
folge wirdam21. April<br />
entschieden. Die Stellvertreterin<br />
hat sich beworben.<br />
Bis dahin hat<br />
Krumrey noch einiges<br />
zu tun. Er will das unselige<br />
Kapitel um die<br />
Baukosten schließen,<br />
die Finanzsituation<br />
klären und Personalfragen<br />
lösen. Auf dass<br />
sich der neue Geschäftsführer<br />
um die<br />
vornehmste Aufgabe<br />
kümmern kann: repräsentieren<br />
und netzwerken.<br />
Dass Krumrey dann<br />
zu Hause in Karlsruhe<br />
Grashalme zählt, ist<br />
unwahrscheinlich.<br />
„Wenn es nach anderenginge,wäreich<br />
bis<br />
2012 wieder verplant.<br />
Aber es gibt noch ein<br />
Leben vor dem Tode“,<br />
sagt der 68-Jährige.<br />
Nach seinem Empfinden<br />
hat Krumrey noch<br />
32 Jahre Zeit für Dinge,<br />
die ihm wichtig<br />
sind. Er will vor allem<br />
reisen. Den Kilimandscharo<br />
besteigen und<br />
zum Basislager des<br />
Mount Everest stapfen.<br />
BoraBoraund die<br />
Galapagosinseln sehen.<br />
Durch Wüstensand<br />
stiefeln. Ohne Handy. Ohne<br />
Laptop. Unerreichbar sein für die<br />
Mühen dieser Welt. Krumrey bekommt<br />
glänzende Augen, wenn<br />
er davon spricht. Nebenher wird<br />
er sich noch ein bisschen Taschengeld<br />
verdienen als Berater. Beim<br />
Tagessatz von 1500 Euro ist er offen<br />
für vieles.<br />
Geschäftsführungsduo:<br />
Hildegard Schoger und<br />
Klaus Krumrey.<br />
FOTOS: ALEXANDER HEIMANN