Macher - WirtschaftsEcho
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<strong>WirtschaftsEcho</strong> ·APRIL/MAI 2010 Life & Style 40<br />
VON JOHANNES BRECKNER<br />
Esmuss ja auch Phasen des Atemholens geben. Man<br />
kann den Kunstbetrieb als gewaltigen Organismus<br />
begreifen. In einem bis heute unerklärten Stoffwechselvorgang<br />
saugt er Gedanken auf, gebiert Ideen und bringt<br />
sie in vielfältigen Formen in die Welt. Dabei ernährt er die<br />
Glieder,die diesen Organismus bilden, die einen besser,die<br />
anderen schlechter. Soarbeitet dieses Riesenwesen bei hoher<br />
Betriebstemperatur vorsich hin, um irgendwann das Ziel<br />
der Sommerpause zu erreichen.<br />
Die Sommerpause steht längst auf der Liste der vom<br />
Verschwinden bedrohten Wörter, denn immer weniger<br />
Menschen wissen, was das heißt. Zur Sommerpause<br />
also brachen Musiker, Schauspieler, Sänger und<br />
all die anderen Glieder des kulturellen Riesentieres fluchtartig<br />
auf und besiedelten mit den anderen Werktätigen die<br />
Küsten und Berge Europas. Wer Kultur wollte, musste ein<br />
Buch lesen oder eine Platte auflegen oder ins Kino gehen,<br />
aber selbst dort warimSommer das Angebot so dünn, dass<br />
alte Kinoerfolge gezeigt und als Klassiker-Festival angepriesen<br />
wurden. Nur die Maler wurden aus ihrem Dienst nicht<br />
Eine Weisheit der Dakota-Indianer<br />
besagt:<br />
� Wenn du entdeckst, dass du<br />
ein totes Pferdreitest, steig ab.<br />
Doch wir Manager versuchen oft<br />
andereStrategien, nach denen wir<br />
in dieser Situation handeln:<br />
� Wir besorgen eine stärkerePeitsche.<br />
� Wir wechseln die Reiter.<br />
� Wir sagen: So haben wir das Pferd<br />
doch immer geritten.<br />
� Wir gründen einen Arbeitskreis,<br />
um das Pferdzuanalysieren.<br />
Wurstund Worte<br />
entlassen, sie fuhren in den Süden, vorzugsweise nach<br />
Frankreich, wo sie bei Pleinair-Treffen dann doch wieder den<br />
Pinsel auspacken mussten.<br />
Heute ist die Sommerpause mit Festspielen ausgefüllt,<br />
und der Organismus muss das ganze Jahr<br />
schuften. Weil das aber auf Dauer nicht gutgehen<br />
kann, macht sich im April eine klitzekleine Frühjahrsmüdigkeit<br />
bemerkbar.Natürlich regt sich der eine oder andereTeil<br />
des Kulturkörpersganz kräftig, wirdhier eine Opernpremiere<br />
geboren oder dort ein neues Buch. Aber die Frühjahrsware<br />
der Verlage ist seit Januar im Handel, die großen Ausstellungseröffnungen<br />
liegen hinter uns,und die Karfreitagsoper<br />
Parsifal mag man nach Ostern auch nicht mehr hören. Jetzt<br />
beginnt die Zeit, in der die Helligkeit des Abends davon<br />
abhält, ein dunkles Theater zu besuchen, gleichzeitig aber<br />
ist es zu kalt, als dass der Freilichtbetrieb schon einsetzen<br />
könnte.<br />
In dieser schwierigen Phase zeigen alle Bühnen eine<br />
Inszenierung, die leider nur einem kleinen Publikum<br />
vorbehalten ist. Die Vorstellung der Spielpläne für die<br />
kommende Saison ist ein Ritual, das an jedem Theater ein<br />
� Wir besuchen andereOrte,<br />
um zu sehen, wie man dort<br />
tote Pferde reitet.<br />
� Wir erhöhen die Qualitätsstandards<br />
für den Beritt toter Pferde.<br />
� Wir bilden eine Task Force, um das<br />
tote Pferd wiederzubeleben.<br />
� Wir schieben eine Trainingseinheit<br />
ein, um besser reiten zu lernen.<br />
� Wir stellen Vergleiche<br />
unterschiedlich toter Pferde an.<br />
� Wir ändern die Kriterien,<br />
die besagen, ob ein Pferd tot ist.<br />
� Wir kaufen Leute von außerhalb<br />
ein, um das tote Pferd zureiten.<br />
� Wir schirren mehreretote Pferde<br />
Weisheiten<br />
zusammen an, damit sie schneller<br />
werden.<br />
� Wir erklären: Kein Pferd kann<br />
so tot sein, dass man es nicht<br />
noch schlagen könnte.<br />
� Wir machen zusätzliche Mittel<br />
locker, umdie Leistung des Pferdes<br />
zu erhöhen.<br />
� Wir machen eine Studie, umzu<br />
sehen, ob es billigere Berater gibt.<br />
� Wir kaufen etwas zu, das tote<br />
Pferde schneller laufen lässt.<br />
� Wir erklären, dass unser Pferdbesser,<br />
schneller und billiger tot ist.<br />
� Wir bilden einen Qualitätszirkel<br />
„Verwendung für tote Pferde“.<br />
wenig andersabläuft. Einmal im Jahr haben die Mitglieder<br />
der künstlerischen Leitung ihren großen Auftritt, den sie sich<br />
auch nicht nehmen lassen. Deshalb gehört es zum guten<br />
Brauch, den Journalisten all das vorzutragen, wasauch in<br />
gedruckter Form vorliegt. Es kann ja auch nicht verkehrt<br />
sein, die Handlung von„La Traviata“ noch einmal erzählt zu<br />
bekommen. Damit das Publikum nicht vorzeitig geht, verspricht<br />
man ihm für hinterher einen Imbiss.Allerdings dauern<br />
die Vorträge meist länger als ein mittelstarker Theaterabend,<br />
weshalb erfahrene Kollegen alle Umgangsformen in<br />
den Wind schlagen und sich schon zwischendurch versorgen.<br />
Besonderserfreulich in Erinnerung sind die Mini-Frikadellen,<br />
die am Mainzer Staatstheater gereicht werden.<br />
Überhaupt blüht an beiden Seiten des Rheins<br />
eine besondere Lebensart. In Wiesbaden wirdder neue<br />
Spielplan regelrecht gefeiert in der prachtvollen Barockkulisse<br />
des Foyers. Die Landeshauptstadt treibt auch immer ein<br />
besondersgroßes Publikum auf, neben dem kleinen Häuflein<br />
Journalisten treffen sich immer auch allerlei Beiräte und<br />
Würdenträger aus Stadt und Land, obwohl der schöne Wiesbadener<br />
Brauch, die salbungsvollen Intendantenworte von<br />
� Wir überarbeiten die<br />
Leistungsbedingungen für Pferde.<br />
� Wir richten eine unabhängige<br />
Kostenstelle für tote Pferde ein.<br />
Und wir Manager entwickeln<br />
stetig weitereStrategien, um<br />
Konsequenzen zu verschleppen:<br />
� Wersagt, dass man tote Pferde<br />
nicht reiten kann?<br />
� Wir lassen das Pferdschnellstens<br />
zertifizieren.<br />
� Wir frieren das Pferdein und warten<br />
auf eine neue Technik, die es uns<br />
ermöglicht, tote Pferde zu reiten.<br />
heißen Würstchen begleiten zu lassen, seit einigen Jahren<br />
außer Kraft gesetzt worden ist.<br />
Esbedarf ja auch vieler Erläuterungen. Denn jedes<br />
Theater gibt sich für die nächste Spielzeit ein Motto:<br />
Mit ihm behaupten die Theatermacher,dass ihreMenükarte<br />
für die kommende Spielzeit nicht dem Zufall geschuldet<br />
ist oder den Notwendigkeiten, die in einer Gleichung<br />
aus vorhandenem Ensemble und verfügbaren Mitteln<br />
errechnet werden. Nein, ein tieferer Sinn waltet über allem,<br />
wenn man den Spielplan unter das Generalthema „Väter und<br />
Söhne“, „Die Frau inder Gesellschaft“ oder auch „Gefühle,<br />
Gier und Geld“ stellt. Wobei es der Ehrgeiz jedes guten<br />
Dramaturgen ist, in gewandter Argumentation jedwedes<br />
Stück der Weltliteratur so zu deuten, dass es zu jedwedem<br />
Spielzeit-Motto passt. Man muss nur lange genug reden:<br />
Diese Kunst kann so erbaulich sein, dass die Aufführung der<br />
Spielzeit-Vorschau als eigenes Theaterstück für die nächste<br />
Spielzeit angekündigt werden sollte.Das Publikum wirddie<br />
Kassen stürmen, die Theater werden klug genug sein, diese<br />
Erfolgsinszenierung vielfach auf den Spielplan zu setzen.<br />
Und das Kultur-Tier kann sich nicht einmal mehr eine kleine<br />
Frühjahrsmüdigkeit gönnen.<br />
� Wir bilden einen Gebetskreis<br />
der unser Pferdgesund betet.<br />
� Wir stellen das tote Pferd<br />
bei jemand anderem in den Stall<br />
und behaupten, es sei seines.<br />
� Wir stellen fest, dass die anderen<br />
auch tote Pferde reiten und erklären<br />
dies zum Normalzustand!<br />
� Wir ändern die Anforderung<br />
vonReiten in Bewegen und erteilen<br />
einen neuen Entwicklungsauftrag.<br />
� Wir sourcen das Pferdaus.<br />
� Wetten, dass das Vieh nur simuliert!<br />
� Wenn man das tote Pferdschon<br />
nicht reiten kann, dann kann es doch<br />
wenigstens eine Kutsche ziehen!