Die Verantwortung aber bleibt - GEW
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Erich Frister<br />
<strong>GEW</strong>-Vorsitzender 1968 - 1981<br />
Der Versuch ist notwendig<br />
Ansprache auf dem Seminar im Dezember/Januar 1982/83, Auszüge<br />
Wenn man Konsequenzen aus dem Seminar ziehen<br />
will, muss man an den Ausgangspunkt zurück kommen.<br />
Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Berührungsprobleme<br />
und die Sprachlosigkeit für<br />
Geschehnisse, für die es eigentlich keine Sprache gibt,<br />
ja nicht nur deshalb aufgelöst wurden, weil da ein internationaler<br />
Gewerkschaftskongress in Israel stattfand.<br />
Vielmehr wurde die <strong>GEW</strong> durch jemanden repräsentiert,<br />
der es sich von seinem persönlichen Schicksal her<br />
erlauben konnte, das in Sprache zu kleiden und darüber<br />
zu reden mit jemandem, der nur zufällig nicht<br />
zu jenen gehörte, die ermordet wurden. Heinrich Rodenstein<br />
hat sich vor 1933 nicht nur literarisch über<br />
die Rechten und was sie Böses machen erregt, sondern<br />
er hat sich auch in aktiven, bis ins Krankenhaus führenden<br />
Auseinandersetzungen gegen die Nazis gewehrt.<br />
Nach 1933 flüchtete er bei Nacht und Nebel,<br />
um selbst dem Erschlagenwerden zu entgehen. Er hat<br />
dann im Exil über das damals noch nicht angeschlossene<br />
Saarland, die Niederlande und Frankreich<br />
schließlich auch im französischen Widerstand mitgewirkt.<br />
Von daher war es für die <strong>GEW</strong> und für die von<br />
ihr repräsentierte Lehrerschaft ein Glücksfall, dass sie<br />
einen „Außenminister“ hatte in diesen Jahren nach<br />
dem Kriege und später dann einen Vorsitzenden, der<br />
über die nationalsozialistische Vergangenheit als jemand<br />
sprechen konnte, der in keiner Weise dafür zur<br />
<strong>Verantwortung</strong> gezogen werden konnte, und der auch<br />
nicht zu jenen gehörte, die da gleichgültig oder vorsichtig<br />
sich zurückgehalten hatten.<br />
Bei aller Unterschiedlichkeit, die Shalom Levin und<br />
Rodenstein in ihren politischen und weltanschaulichen<br />
Ansichten und metaphysischen Bindungen hatten,<br />
war es doch so, dass sie sich aufgrund dieser ganz<br />
anderen als der üblichen deutschen Verbindung zwischen<br />
jüdischem und deutschem Schicksal auf einen<br />
Grundsatz verständigten, nämlich den, wie es Shalom<br />
Levin 1968 formuliert hat: der Heiligkeit des Lebens<br />
oder der Unverletzlichkeit des Lebens. Beide waren<br />
sich darüber im klaren und auch einig in ihrer aktiven<br />
Tätigkeit, dass es nichts gibt, was diesem Prinzip<br />
übergeordnet werden könnte. Es gibt keinen Zweck,<br />
der die Mittel heiligt, um dessentwegen jemand das<br />
Leben eines anderes verletzen – auch seelisch verletzen<br />
– darf.<br />
Wenn man Bilanz zieht, so muss man an diese<br />
Grundfrage erinnern, an das Prinzip der Heiligkeit des<br />
Menschenlebens und des vollen Rechts des Mitmenschen,<br />
zu leben und sich zu entwickeln. Wenn wir uns<br />
das vor Augen führen, dann ist klar, dass auch heute,<br />
1983, kein Anlass besteht, diese Aufgabe als gelöst zu<br />
betrachten. <strong>Die</strong> Welt ist in diesem Jahr wenigstens<br />
nicht besser geworden. Darüber hinaus ist es auch in<br />
den Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik<br />
nach wie vor notwendig, eine intensive Zusammenarbeit<br />
zu haben, die am Ende vielleicht<br />
fruchtlos ist. Aber zumindest der Versuch, dazu beizutragen,<br />
dass dieses Prinzip der Heiligkeit des Menschenlebens<br />
in größerem Umfang zur Geltung<br />
komme, ist notwendig.<br />
<strong>Die</strong> <strong>GEW</strong> als Organisation wird die Seminare weiterführen,<br />
und <strong>Die</strong>ter Wunder hat dies nicht nur als<br />
selbstverständliche Pflicht übernommen, sondern<br />
auch als eine Aufgabe, der er politisch und sittlich sich<br />
stellen muss, da gab es gar keinen Zweifel, da gibt es<br />
auch gar keinen Zweifel.<br />
Ich empfehle, die bisherigen Bemühungen, wenn<br />
auch mit veränderten Formen und immer wieder<br />
neuen Formen, fortzuführen. Sicher können wir alle,<br />
wenn wir an das Bild des biblischen Friedens denken,<br />
auf dem das Lamm neben dem Löwen liegt, nur<br />
lächeln. In dieser Welt, in der wir leben, sollte man<br />
bei aller Skepsis den Versuch, die Natur zu überlisten,<br />
immer wieder machen. Er ist es schon wert, gewagt<br />
zu werden.<br />
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