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Die Verantwortung aber bleibt - GEW

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Angelika Rieber<br />

Begegnungen mit der Vergangenheit<br />

Vorstellung des Projektes „Jüdisches Leben in Frankfurt“, Seminar 1995 (gekürzte Version)<br />

Viele Lehrerinnen und Lehrer beklagen zunehmend<br />

mangelndes Interesse von Jugendlichen an der Auseinandersetzung<br />

mit dem Nationalsozialismus. Andere<br />

dagegen sprechen von einer hohen Motivation<br />

der Schülerinnen und Schüler. Jugendliche äußern<br />

immer wieder Unzufriedenheit darüber, dass der Unterricht<br />

zu trocken sei, und dass viele der sie unterrichtenden<br />

Lehrkräfte einer intensiven Beschäftigung<br />

mit dem Nationalsozialismus aus dem Wege gingen,<br />

während andere ständig den Holocaust thematisierten.<br />

<strong>Die</strong>se Problembeschreibung macht zweierlei<br />

deutlich:<br />

Es ist notwendig über Inhalte, Methoden, Zielsetzung<br />

und Wirksamkeit des Unterrichts zur Geschichte des<br />

Nationalsozialismus zu reflektieren und möglicherweise<br />

neue Wege einzuschlagen.<br />

Es ist notwendig, sich damit zu beschäftigen, welchen<br />

Bezug die heutige Jugend und ihre Lehrerinnen und<br />

Lehrer zur nationalsozialistischen Vergangenheit<br />

haben.<br />

Schockpädagogik ist ebenso wie nüchterne Aufklärung<br />

nicht der angemessene Weg, Jugendliche für die<br />

Beschäftigung mit der Vergangenheit zu öffnen. Seit<br />

etlichen Jahren gibt es verschiedene Ansätze in der<br />

schulischen und außerschulischen Arbeit wie auch in<br />

der Lehrerfortbildung, die immer stärkere Verbreitung<br />

finden:<br />

● lokalgeschichtliche Spurensuche<br />

● Begegnungen mit Zeitzeugen<br />

● Gedenkstättenarbeit<br />

● „Facing History and Ourselves“ bzw. „Konfrontationen“<br />

● deutsch-israelische oder deutsch-polnische Begegnungen.<br />

„Facing History and Ourselves“<br />

Der in den Vereinigten Staaten verbreitete Ansatz des<br />

Instituts „Facing History and Ourselves“ (FHAO)<br />

wurde von Kolleginnen und Kollegen in vielfacher<br />

Weise aufgegriffen und auch im Rahmen der Hessischen<br />

Lehrerfortbildung und des Fritz-Bauer-<br />

Instituts angewendet und weiterentwickelt. <strong>Die</strong>ser<br />

Ansatz versucht, Wege zu finden, die Fragen von Jugendlichen<br />

wie auch von Lehrerinnen und Lehrern<br />

66<br />

an die NS-Geschichte in den Mittelpunkt zu stellen<br />

und nach den persönlichen Bezügen zur Vergangenheit<br />

zu suchen. <strong>Die</strong>s beinhaltet auch die Beschäftigung<br />

mit Fragen der Identität, mit den<br />

Schwierigkeiten von vielen Jugendlichen und Erwachsenen<br />

Deutsche zu sein, oder als Ausländer in<br />

Deutschland zu leben. Ein solcher Ansatz beschränkt<br />

sich nicht auf die Vermittlung von Informationen und<br />

Wissen, sondern versucht, die – gelegentlich als abwehrend<br />

oder aggressiv empfundenen – Fragen und<br />

Probleme der Jugendlichen ernst zu nehmen und auf<br />

sie einzugehen. Kooperative und handlungsorientierte<br />

Arbeitsmethoden spielen dabei eine zentrale<br />

Rolle. Sie sind Voraussetzung und Bedingung, um<br />

eine auf gegenseitigem Vertrauen aufbauende Auseinandersetzung<br />

zu schaffen. <strong>Die</strong> Jugendlichen sind<br />

dabei nicht Objekte von Wissensvermittlung, sondern<br />

„lernende Subjekte“. Interessant an dem Ansatz<br />

von FHAO ist vor allem die konsequente Anwendung<br />

von Arbeitsweisen, die sowohl den eigenen<br />

Bezug zum Thema als auch die Frage von Entscheidungssituationen<br />

und -alternativen in Vergangenheit<br />

und Gegenwart in den Mittelpunkt stellen.<br />

Dazu einige Beispiele aus dem methodischen FHAO-<br />

Konzept:<br />

„ Think – pair – share“ lautet der Slogan, bei dem<br />

deutlich wird, welche Ebenen von diesen unterschiedlichen<br />

Methoden angesprochen werden. Das<br />

„Journal“ beispielsweise, man könnte es „Projekttagebuch“<br />

nennen, ist eine der Säulen dieses Konzeptes.<br />

Es dient während der Unterrichtseinheit dazu, Gedanken,<br />

Eindrücke, Gefühle, Fragen oder Kommentare<br />

zunächst für sich selbst festzuhalten. Phasen der<br />

Reflexion, des Sichvergewisserns und Sammelns sind<br />

damit integraler Teil des Lernprozesses. Häufige und<br />

oft auch ganz kurze Phasen von Partner- und Kleingruppenarbeit<br />

ermöglichen den Austausch in einem<br />

überschaubaren Rahmen und geben damit allen die<br />

Chance, etwas beizutragen und Gehör zu finden. <strong>Die</strong><br />

„Connections“ bieten die Möglichkeit, offene Fragen<br />

anzusprechen, Gedanken und Gefühle mitzuteilen<br />

oder aus dem Tagebuch vorzulegen. Gerade beim<br />

Thema Holocaust, das viele Erwachsene wie Jugendliche<br />

emotional stark berührt, haben solche ritualisierten<br />

Angebote, Fragen, Gedanken, Gefühle, Kritik<br />

und Vorschläge zu artikulieren, große Bedeutung.

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