Die Verantwortung aber bleibt - GEW
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„Schule“? Auch wenn es bei mir Zeiten und Situationen<br />
gibt, in denen ich diese Frage recht kleinmütig<br />
beantworte, habe ich doch so viel professionelles<br />
Selbstbewusstsein, dass ich uns einiges an Einfluss zutraue:<br />
wenn wir uns denn zunächst einmal selbst einig<br />
sind, was wir an Werten vermitteln und auch leben<br />
wollen – und wie viel Anstrengung uns das wert ist.<br />
<strong>Die</strong> Voraussetzung dazu ist ein Selbstbild des Lehrers,<br />
der Lehrerin, mit dem wir uns nicht nur als Fachleute<br />
für bestimmte Unterrichtsfächer festlegen (lassen),<br />
sondern von uns als Teil des Berufsbildes – und zwar<br />
für alle Jahrgangsstufen gültig – einen erzieherischen,<br />
bewusst Werte vermittelnden Impetus fordern. Unsere<br />
Professionalität müsste allerdings sofort in Zweifel<br />
gezogen werden, ließen wir uns für eine einseitige,<br />
ideologische Wertevermittlung einspannen.<br />
<strong>Die</strong> Wertediskussion ist in der Bundesrepublik<br />
Deutschland (wie die Diskussion um eine „nationale<br />
Identität“) leider immer noch weitgehend von rechts<br />
belegt. Das liegt zu einem nicht geringen Anteil an unserer<br />
unseligen Vergangenheit, in der Wertevermittlung<br />
auch in der Schule nur ein Synonym für<br />
Indoktrination im Sinne einer menschenverachtenden<br />
Ideologie war. Interessanterweise wird <strong>aber</strong> nach meiner<br />
Beobachtung einerseits eine Wertediskussion mit<br />
Blick auf unsere <strong>Verantwortung</strong> in der Vergangenheit<br />
– insbesondere die deutsche <strong>Verantwortung</strong> für den<br />
Holocaust und auch auf unsere globale <strong>Verantwortung</strong>,<br />
speziell in bezug auf die „Dritte Welt“ – von linker<br />
Seite ständig neu eingefordert und auch heftig geführt.<br />
Auf der anderen Seite hat eine den eigenen Alltag direkt<br />
berührende Wertediskussion – zum Beispiel in<br />
bezug auf den Schulalltag – über einen zu langen Zeitraum<br />
zumindest in unseren öffentlichen Diskursen<br />
kaum stattgefunden. <strong>Die</strong>se auf der Linken sonst nicht<br />
so zu beobachtende Diskussionszurückhaltung wurde<br />
nachhaltig verstärkt durch den Widerwillen, den die<br />
konservative „Mut-zur-Erziehung“-Debatte in den<br />
Siebzigern hervorrief, weil sie penetrant an die „Werte-<br />
Debatte“ vergangener Ideologien um altdeutsche „Tugenden“<br />
anknüpfte. Es ging wieder einmal um<br />
„Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Gehorsam“, sattsam<br />
bekannte, mit Pathos vorgetragene Verhaltensforderungen,<br />
von denen wir uns genervt absetzten.<br />
Dabei hätten wir damals schon viel gelassener erken-<br />
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nen können, dass diese „Mut-zur-Erziehung“-<br />
Debatte gar nicht die Wertediskussion war, für die sie<br />
sich ausgab. Es ging statt dessen lediglich um „Sekundärtugenden“,<br />
zum Teil auch um Kulturtechniken, die<br />
als Grundwerte hochgestapelt wurden. Ich werde später<br />
noch einmal auf den Unterschied zwischen Werten<br />
und Kulturtechniken zurückkommen. Was<br />
behindert – verhindert? – eigentlich bis heute die Diskussion?<br />
Ist es die Angst vor moralinsaurer Festlegung<br />
auf oktroyierte, selbstherrliche, oft genug heuchlerische<br />
„Werte“, die man bis in alle Ewigkeit satt hat?<br />
Ich möchte keine abgehobene Wertediskussion führen,<br />
sondern eine, die für den pädagogischen Alltag<br />
und unsere Profession Relevanz hat. Ausgangspunkt<br />
meiner Überlegungen sind Beobachtungen aus dem<br />
pädagogischen Alltag. Dort beklagen wir zunehmend<br />
rauhe Sitten bis hin zur Gewalt, einen nicht selten<br />
barschen Umgangston, der Distanz ausdrückt und<br />
ggf. auch schafft, eine Zunahme von Schülern und<br />
Schülerinnen, die sich wie „Prinzen und Prinzessinnen“<br />
so egozentrisch aufführen, als lebten sie alleine<br />
auf der Welt, Ellenbogenmentalität im einzelnen bis<br />
hin zum nationalistischen „Wir zuerst“ im größeren<br />
Zusammenhang. Das alles widerspricht meinen Vorstellungen<br />
von Lebenswerten, von einem humanen<br />
Umgang miteinander. <strong>Die</strong> Reaktion unserer Profession<br />
ist nicht selten hilflos. Oft genug bleiben Kolleginnen<br />
und Kollegen, die sich um einen<br />
gemeinsamen Handlungsrahmen für ein menschliches<br />
Miteinander mühen, Einzelkämpfer und werden<br />
sogar vom eigenen Kollegium aus Müdigkeit, eigenem<br />
Überdruss und Mutlosigkeit ignoriert oder sogar<br />
entmutigt, fühlen sich wie „Dinosaurier“, weil sie „altmodisch“<br />
auf der Einhaltung bestimmter Wertestandards<br />
– manchmal sogar nur in der rudimentären<br />
Form von Regeln – bestehen. Schulen, in denen das<br />
Kollegium oder sogar die Schulgemeinde zu einem<br />
auf Konsens ausgerichteten pädagogischen Diskurs<br />
findet, sind leider immer noch Oasen im weiten Niemandsfeld<br />
der Pädagogik. <strong>Die</strong> notwendige „Reibung“,<br />
die anstrengende Auseinandersetzung im Ringen um<br />
einen gemeinsamen Maßstab wird zu oft vermieden.<br />
Es heißt dann: „Gegen die Gesellschaft, die Eltern,<br />
die aktuellen Verhaltenstrends (aktueller Jugendhit<br />
„Du musst ein Schwein sein in dieser Welt“) kommt