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Barock Renaissance - Germanisches Nationalmuseum

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1945) restaurieren ließ. Anlässlich der feierlichen<br />

Einweihung im Jahr 1908 wurde<br />

die von dem historistischen Bildhauer Wilhelm<br />

Haverkamp (1864–1929) geschaffene<br />

Medaille herausgegeben, um an den<br />

symbolträchtigen Wiederaufbau der nahe<br />

der Westgrenze des Reiches gelegenen<br />

kaiserlichen Festung zu erinnern.<br />

Lit.: Martin Heidemann: Medaillenkunst in<br />

Deutschland von 1895 bis 1914. Berlin 1998,<br />

Kat.Nr. 1077, S. 326 und 472. –Claudia Hagenguth,<br />

in: Mythos Burg. Hrsg. von G. Ulrich<br />

Großmann. Ausst.Kat. <strong>Germanisches</strong> <strong>Nationalmuseum</strong>.<br />

Nürnberg/Dresden 2010, S. 332. –<br />

Zum Künstler vgl. Rüdiger Bausch: Wilhelm<br />

Haverkamp. Lebenslauf und künstlerisches<br />

Schaffen. In: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld,<br />

32, 2007, S. 113–146. –Weiterführend<br />

vgl. Monique Fuchs/Bernhard Metz: Haut-<br />

Kœnigsbourg. Paris 2001.<br />

Geschenk von Eckhard Prochaska, Maintal<br />

Matthias Nuding<br />

Kindergedeck<br />

Inv.Nr. VK 4207,1–5 (Abb. 79). Ungemarkt, um<br />

1915. Porzellan, weiß, Umdruckdekor, mehrfarbig.<br />

Untertasse Dm. 12,0 cm; Tasse H. 6,5 cm,<br />

Dm. 6,0 cm; Suppenteller Dm. 18,5 cm; Essteller<br />

Dm. 18,2 cm; Dessertteller Dm. 15,0 cm.<br />

Das vollständig erhaltene Kindergedeck,<br />

ein sogenannter Kindersatz, besteht aus<br />

Suppen-, Speise- und Dessertteller sowie<br />

aus Tasse und Untertasse. Alle Teller besitzen<br />

einen ausgeprägten, eingezogenen<br />

Standring und einen geschweiften<br />

Rand mit Goldlinie. Bei der Tasse öffnet<br />

sich über dem eingezogenen Standring<br />

ein hoher zylindrischer Körper mit geschweifter,<br />

goldgeränderter Mündung.<br />

Der ohrenförmige Henkel ist ebenfalls mit<br />

Gold verziert. Mit Ausnahme der Untertasse<br />

ist bei sämtlichen Gefäßteilen das<br />

zentrale Motiv identisch: In einem links<br />

mit der Reichskriegsflagge und rechts mit<br />

der Nationalflagge Österreich-Ungarns<br />

gezierten Medaillon sind ein großes<br />

Schlachtschiff, ein U-Boot und ein weiteres<br />

Schiff sowie ein Zeppelin zu sehen.<br />

Bekrönt wird die Darstellung durch ein<br />

schwarz-weiß-rot gewelltes Band, also<br />

von den Farben des Deutschen Reichs.<br />

Das Band trägt zwischen den Jahreszahlen<br />

»1914« und »1915« die Aufschrift<br />

»Deutschlands Flotte«. Den unteren Ab-<br />

schluss des Medaillons bildet ein von Eichenlaub<br />

begleitetes Eisernes Kreuz. Die<br />

Fahnen der Teller sind mit Soldaten, Matrosen,<br />

Sanitätern und mit weiteren typischen,<br />

den Krieg symbolisierenden Bildern<br />

bedruckt sowie –mit Ausnahme der<br />

Untertasse –mit einem Spruch in dunkelroter<br />

Farbe. Dieser lautet beim Suppenteller:<br />

»Die Suppe ist ein gut Gericht,/Nur<br />

Suppenkaspar ißt sie nicht«, beim Essteller:<br />

»Gemüs’ und Fleisch bekommt nur<br />

der/Der seine Suppe aß vorher« und<br />

beim Dessertteller: »Iß hübsch deinen Teller<br />

leer,/Das Compot kommt hinterher.«<br />

Diese Sprüche finden sich sowohl auf<br />

älteren als auch auf jüngeren Kindergedecken,<br />

die mit Abbildungen verschiedener<br />

Spielzeuge und Kinder versehen sind.<br />

Mit der Erwähnungdes Suppenkaspars<br />

wurde auf die weit verbreitete Geschichte<br />

aus dem von dem Mediziner Heinrich<br />

Hoffmann (1809–1894) verfassten Kinderbuch<br />

»Struwwelpeter«zurückgegriffen.<br />

Die Texte bezeugen die Schwierigkeiten,<br />

die bei vielen Kindern mit der Nahrungsaufnahme<br />

verbunden waren. Das Lesen<br />

oder Vorlesen und das Schauen sowie<br />

möglicherweise das Erzählen von Geschichten<br />

durch die Eltern oder andere Erwachsene<br />

sollten einen Anreiz zum Essen<br />

in manierlicher Form bieten. Dass derartige<br />

Gedecke für bürgerliche Käufergruppen<br />

bestimmt waren, belegen nicht zuletzt<br />

die aufgedruckten Reime, denn Fleisch<br />

und Kompott waren nur wenigen Kreisen<br />

vorbehalten; insbesondere im Ersten Weltkrieg,<br />

als die Mehrzahl der Menschen in<br />

268<br />

Abb. 79 Kindergedeck, um 1915<br />

Deutschland mit einem Minimum an Lebensmitteln<br />

auskommen musste.<br />

Kindergedecke sind seit dem Ende des<br />

18. Jahrhunderts bekannt. Ihre Proportionen<br />

berücksichtigten die kindlichen Nutzer,<br />

wobei es sich oft um Miniaturausgaben<br />

von Servicen für Erwachsene<br />

handelte. Seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts<br />

zierten vermehrt militärische Motive<br />

das Porzellan/Steingut für Kinder. Sie<br />

sollten insbesondere Jungen auf die Notwendigkeit<br />

der körperlichen Stärkung für<br />

militärische Zwecke hinweisen. Einen<br />

Höhepunkt erlebten entsprechende Bilder<br />

zur Zeit des Ersten Weltkriegs. So wurde<br />

schon 1914 die Porzellanindustrie angehalten,<br />

gemäß der allgemeinen Kriegspropaganda<br />

patriotisch-aktuelle Artikel<br />

herzustellen, wozu auch derartige Kinderservice<br />

zählten. Gleichzeitig konnten die<br />

Erwachsenen, die das Geschirr kauften,<br />

ihre eigene Kriegs- und Flottenbegeisterung<br />

als Teil ihrer patriotischen Gesinnung<br />

zum Ausdruck bringen. Entsprechend<br />

wollten sie die mit den Gedecken<br />

beschenkten Kinder erziehen und sozialisieren.<br />

Die militärische Bilderwelt auf dem<br />

Geschirr richtete sich in der Regel an Jungen,<br />

da sie zu tapferen Soldaten für das<br />

Vaterland erzogen werden sollten.<br />

Das vorgestellte Gedeck hatte um<br />

1915/16 jedoch ein fünfjähriges Mädchen<br />

von seinem Vater bekommen, der<br />

kurz danach im Weltkrieg fiel. Politik und<br />

Kriegspropaganda hatten ihren Platz auf<br />

dem Esstisch gefunden und die Schrecken<br />

des Krieges wurden verharmlost.

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